PHAENOMENOLOGICA
LOTHAR ELEY
-COLLECTION PUBLIEE SOUS LE PATRONAGE DES CENTRES D'ARCHIVES-HUSSERL
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Die Krise des Apriori LOTHAR ELEY
Die Krise des Apriori
IN DER TRANSZENDENTALEN PHÄNOMENOLOGIE EDMUND HUSSERLS
.1N DER TRANSZENDENTALEN PHÄNOMENOLOGIE EDMUND HUSSERLS
Comite de redaction de la collection : President: H. L. Van Breda (Louvain); Membres: M. Farber (Philadelphia), E. Fink (Fribourgen Brisgau), J. Hyppolite (Paris), L. Landgrebe (Cologne), M. Merleau- Ponty (Paris)t, P. Ricreur (Paris), K. H. Volkmann-Schluck (Cologne), J. Wahl (Paris); Secretaire: J. Taminiaux (Louvain).
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MARTINUS NIJHOFF / DEN HAAG / 1962
INHALTSVERZEICHNIS
Einführung /
ZIEL UND LEITFADEN DER ARBEIT
Erster Teil/DAs
WESEN UND DIE TRANSZENDENTALITÄT
Erstes Kapitel. Die Differenz-Einheit von Wesen und Dies-da § I. Die Grundmomente der Wesenslehre der 'Ideen' A. Das 'insofern' zweier Einstellungen B. Exkurs. Wesen, Einzelnes, Dies-da, Dasein C. Der Begriff der Notwendigkeit D. Wesenserkenntnis-Tatsachenerkenntnis § 2. Die widerstreitenden Momente in der Wesenslehre der 'Ideen' A. Die widerstreitenden Momente in der Bestimmung der Differenz von Wesen und Individuum B. Die widerstreitenden Momente in der Bestimmung der Wesenserkenntnis-Tatsachenerkenntnis § 3. Die Grundmomente des Wesens in der Spätlehre und ihr Widerstreit § 4. Die Wesenslehre als das Resultat der widerstreitenden Momente A. Der Begriff des Verweisungszusammenhanges als Resultat des Widerstreites des regionalen Allgemeinen (Die Frage nach dem Horizont der Wesen-Dies-da- Auslegung) B. Die widerstreitenden Momente als Bedingung der Möglichkeit der Wesenserkenntnis Zweites Kapitel. Wesen-Transzendentalität und ihr Widerstreit § 5. Der Widerstreit des Wesens als Widerstreit der Transzendentalität § 6. Exkurs. Zum Begriff Welt § 7. Exkurs. Transzendentalität und regionale Stufen
Zweiter Teil/DIE
Copyright I96z by Martinus Nijhoff, The Hague, Netkerlands All rights reseroed, including the right to translate Ot' to reproduce this book 01' parts thereof in any form PRINTED IN THE NETHERLANDS
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TRANSZENDENTALE EpOCHE
§ 8. Das transzendentale Enthüllen § 9. Das transzendentale Enthüllen als Enthüllen des Sinnes § 10. Das Scheitern der transzendentalen Phänomenologie am Satz vom Widerspruch § 11. Das Versagen der transzendentalen Phänomenologie vor der Spekulation § 12. Die Antithetik von Mundanem und Transzendentalem
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INHAL TSVERZEICHN I S
VI
Dritter Teil!
LEBENSWELT - EXAKT-WISSENSCHAFTLICHE WELTTRANSZENDENTALlTÄT
§ 13. Die Krise der Modeme § 14. Objektiv-logisches Apriori und lebensweltliches Apriori
Vierter Teil!
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DIE VERNUNFTGESCHLlCHTLlCHKEIT ALS PROBLEM
§ 15. Die Stufen der Geschichtlichkeit § 16. Die Geschichtlichkeit des Geschichtsverständnisses
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Abschluss
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Bibliographie
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I
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EINFüHRUNG
ZIEL UND LEITFADEN DER ARBEIT
Die Frage nach dem Wesen und in innerem Zusammenhang damit die Frage nach dem Transzendentalen steht im Zentrum des Husserlschen Philosophierens. Es ist daher eine vordringliche Aufgabe, Wesen und Grund des Transzendentalen freizulegen. Verlangt schon die Sache selbst die äußerste Anstrengung des Denkens, so wird eine solche Untersuchung noch dadurch erschwert, daß Husserls 'durchgeführte Analysen sein Programm und die in ihm liegende Selbstinterpretation seines Werkes in einer ihm selbst verborgen gebliebenen Weise sprengen: 1 Der Weg, den die Analyse zu gehen hat, muß somit vorgängig zu ihrer Entfaltung in den Blick kommen, soll die Diskussion sich nicht ins Uferlose verlieren. Sie gelangt auf einen Weg und gewinnt eine feste Richtung, wenn der Horizont sich eröffnet, in und aus dem Husserl die Frage nach dem Wesen stellt. Husserl hat die Geschichte des neuzeitlichen Denkens und damit sein eigenes Bemühen als ein Ringen um den Objektivismus und Transzendentalismus begriffen. 2 Es sei daher eine erste, vorläufige Bestimmung dieser Begriffe versucht. 3 Der Mensch versteht sich je schon in und aus seiner Welt. 4 Der modeme Mensch indes lebt nicht nur naiv in seiner Welt; vielLandgrebe, L., Philosophie der Gegenwart, Berlin 1957, S. 29. s. Husserl, E., Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phanomenologie. Eine Einleitung in die phänomenologische Philosophie, Haag 1954, (1m folgenden zitiert: Krisis), s. 70/71. 3 Es ist dabei unvermeidlich, daß die Ergebnisse der nachfolgenden Analyse vorweggenommen und vorausgesetzt werden. Philosophische Überlegungen lassen sich nicht von ihrer Entwicklung, der Entwicklung des Begriffs, isolieren. Andererseits muß der Leser vorweg den Weg, die Richtung der vorliegenden Analyse wissen, will er nicht im Ungewissen tappen. Der Ausweg: der Leitfaden muß im Hinblick auf sein Resultat und das Resultat im Hinblick auf seine Direktion in den Blick gebracht werden. Das soll in dieser Einführung versucht werden. 4 s. dazu z.B. Krisis, S. 148, ab Zeile 20 ff. Ferner: 'Der Mensch in seinem menschlichen Dasein, oder Mensch in seiner Umwelt. Aber eigentlich ist das eine Tautologie. Denn der Mensch als Mensch ist nur als menschlich Lebender, als in einer, seiner Umwelt Lebender. Mensch sagen, ist schon Umwelt mitdenken.' (Ms. A VI I5, s. 49 b (1929)). 1 2
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EINFÜHRUNG
EINFÜHRUNG
mehr ist diese seine Welt vorweg schon von den exakten Wissenschaften ausgelegt,! so zwar, daß die exakt-wissenschaftliche Welt, die eben als solche eine technische ist,2 die Vergessenheit des durch Sitte und Tradition bestimmten personalen Weltlebens (= Lebenswelt 3) ist 4 und so in Spannung zu ihm steht. In aller Vergessenheit muß jedoch schon das bestimmend sein, was solche Vergessenheit überhaupt erst möglich macht. Ja, in solcher Vergessenheit bekundet sich die Intention des in der Lebenswelt selbst schon Verborgenen, sich zu enthüllen, in die Präsenz zu kommen. 5 Die exakt-wissenschaftliche Auslegung lebt aber selber wiederum in einer Unmittelbarkeit; sie ist darum naiv; 6 sie ist nur dadurch, daß sie ihre eigene Auslegung nich t begreift.7 Die
Spannung von Lebenswelt und exakt-wissenschaftlicher Welt trägt der Mensch nicht dadurch aus, daß er die wissenschaftliche Welt negiert und sich in einen Raum zurückzieht, in dem die Wissenschaften nicht vorkommen; 1 vielmehr wird in diesem Ringen ein in der Lebenswelt Verborgenes offenbar. 2 Andererseits ist aber auch der Versuch, die Lebenswelt um der Wissenschaft willen zu negieren, wie die Fortschrittstheorien des 19. Jahrhunderts sich anmaßten, ein eitler Wahn; die Enthüllung des in der Lebenswelt wie in der technischen Welt Verborgenen läßt vielmehr die Differenz-Einheit von Lebenswelt und technischer Welt sehen, so daß die Lebenswelt der Vergessenheit enthoben und bewahrt und die technische Welt beständig in die Lebenswelt integriert werden kann. Das von der Lebenswelt selber schon Vorausgesetzte und sie so Ermöglichende, in ihr aber Verborgene wird terminologisch als Transzendentalität bezeichnet.3 Entsprechend wird ihre Enthüllung eine transzendentale genannt. Die Transzendentalität legt Husserl als Subjektivität im Sinne der Neuzeit aus. So besagt der Transzendentalismus: '... der Seinssinn der vorgegebenen Lebenswelt ist subjektives Gebilde, ist Leistung des erfahrenden, des vorwissenschaftlichen Lebens. In ihm baut sich der Sinn und die Seinsgeltung der Welt auf, und jeweils der Welt, welche dem jeweilig Erfahrenden wirklich gilt. Was die "objektiv wahre" Welt ,anlangt, die der Wissenschaft, so ist sie Gebilde höherer Stufe, aufgrund des vorwissenschaftlichen Erfahrens und Denkens bzw. seiner Geltungsleistungen ... Also nicht das Sein der Welt in seiner fraglosen Selbstverständlichkeit ist das an sich Erste, und nicht die bloße Frage ist zu stellen, was ihr objektiv zugehört; sondern das an sich Erste ist die Subjekti vi tä t, und zwar als die das Sein der Welt naiv vorgebende und dann rationalisierende oder, was gleich gilt: objektivierende.' 4 Die Verborgenheit der Transzendentalität als Subjektivität ist Anonymität. 5 Die Verborgenheit der Subjektivität als Vergessen-
1 Husser!, E., Erfahrung und Urteil. Untersuchungen zur Genealogie der Logik, Hamburg 1954 2 , S. 39 ff. 2 s. dazu S. 101 ff. der vorliegenden Arbeit. S Lebenswelt meint ein Doppeltes: (I) den durch Sitte und Tradition bestimmten personalen Lebensraum; (2) den Horizont, in und aus dem sich das Leben versteht. Dieses Gedoppelte (worin sich eine Dialektik bekundet) spricht sich in dem Satz aus: Die technische Welt ist die Vergessenheit der Lebenswelt. Zum Begriff Welt s. S. 62 ff., zum Begriff Lebenswelt und technischer Welt s. S. 101 ff., zur genauen Bestimmung des 'ist' und 'nicht' s. S. 77 ff. dieser Arbeit. 4 In seinem Werk Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie. Zweites Buch. Phänomenologische Untersuchungen zur Konstitution, Haag 1952, (im folgenden zitiert: Ideen II) unterscheidet Husser! die personalistische Einstellung von der naturalistischen 'oder, was damit äquivalent ist, auf "objektive" Wirklichkeit gerichtete.' (ebd., S. 183). Husser! fährt dann fort: 'Bei genauer Betrachtung wird sich sogar herausstellen, daß hier nicht einmal zwei gleichberechtigte und gleichgeordnete Einstellungen vorliegen, bzw. zwei völlig gleichberechtigte und sich zugleich durchdringende Apperzeptionen, sondern daß die naturalistische Einstellung sich der personalistischen unterordnet und durch eine Abstraktion oder vielmehr durch eine Art Selbstvergessenheit des personalen Ich eine gewisse Selbständigkeit gewinnt.' (ebd., S. 183/84). 'Selbstvergessenheit des personalen Ich' und Vergessenheit der Lebenswelt meint aber dasselbe; denn: 'Der Mensch in seinem menschlichen Dasein, oder Mensch in seiner Umwelt. Aber eigentlich ist das eine Tautologie.' (Ms. A VI I5, S. 49 b). Zum Begriff Einstellung s. S. 60 der vorliegenden Arbeit. 5 s. dazu Husserl, E., Cartesianische Meditationen und Pariser Vorträge, Haag 1950, S. 50. S Im Ms. K III 6 spricht Husser! von den zwei Naivitäten der Wissenschaften: die erste: 'Also das Rätsel der Voraussetzung bekümmert den Wissenschaftler nicht, weil er wie jeder Könner sich im Können weiß; in seiner Arbeitseinstellung davon Gebrauch machend, ist er auf die Tat, auf Ziel und Weg gerichtet und in dieser Richtung liegt nicht die Vernunft als Thema, und zwar im Sinne jener beständigen Voraussetzung.' (Ms. K III 6, S. I76a (1934-36)); die zweite Naivität: 'Ich sehe die Naivität nun darin, daß der Wissenschaftler diese Geschichtlichkeit nicht in seine Aufgabe hineinbezieht als etwas in sie wesentlich mit Eingehendes. Es fehlt natürlich nicht an historischen Werken über die Wissenschaften ... Aber dieses Interesse ist ein Nebenhergehendes, das für die Arbeit an den berufsmäßigen Zielen der Wissenschaften irrelevant ist.' (ebd., S. 178 a). Natürlich ist der Ausdruck 'naiv' hier nicht im alltäglich negativen Sinn gemeint. 7 So schreibt Husser!: 'Positive Wissenschaft ist Wissenschaft in der ''Ieltverlorenheit.' (Cartesianische Meditationen, S. 183).
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Krisis, S. 138. Hier zeigt sich eine gewisse Nähe wie auch Feme zur Rechtsphilosophie Hegels; s. dazu S. 101 ff. dieser Arbeit. S In dieser Arbeit wird bewußt von Transzendentalität gesprochen, weil die transzendentale Subjektivität im Sinne Husserls selber schon eine Auslegung der TranSzendentalität ist. 4 Krisis, S. 70 (Sperrung im Text). 5 In der Krisis spricht Husserl des öfteren von Anonymität. 1 S. 2
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EINFÜHRUNG
EINFÜHRUNG
heit ist Objektivität. Der Mensch lebte und lebt zunächst naiv in solcher Vergessenheit.! Bricht die wissenschaftliche Reflexion in das naive Leben ein, so zeigt sich ihr in dieser Einstellung allein das 'An sich', das Objektive, die objektive Wahrheit. 2 Husserl charakterisiert diese Fragehaltung als Objektivismus. 3 Sie vertieft die Vergessenheit der transzendentalen Subjektivität. Das Dasein vermag sich nicht bloß naiv in wissenschaftlicher Einstellung zu halten. Die wissenschaftliche Welt steht vielmehr in Spannung zur Lebenswelt, so daß der wissenschaftliche Mensch ständig seinen eigenen Ort zu reflektieren hat und reflektiert. Die Krise der Moderne besteht nun darin, daß die Reflexion nach dem Grunde des wissenschaftlichen Fragens zunächst und zumeist auf dem Boden der objektiven Welt verharrt und somit die Transzendentalität als Transzendentalität nicht zur Präsenz bringt. Die Erkenntnis wird dogmatisch, der Objektivismus zur Gefahr. Mit der Überwindung der Krise ist aber nicht die Spannung von Lebenswelt und wissenschaftlicher Welt zu Ende. Wir müssen uns vielmehr ständig der wissenschaftlichen Welt überlassen, ständig uns selbst vergessen, um uns aufs neue und in erneuter Weise wiederzugewinnen. Der Ort dieses sich ständig vergessenden Wiedergewinnens ist die transzendentale Antithetik selber. So fragt Husserl: 'Ist nicht am Ende unser menschliches Sein und das zu ihm gehörige Bewußtseinsleben mit seiner tiefsten Weltproblematik die Stätte, wo alle Probleme von lebendig innerem Sein und äußerlicher Vorstellung zum Austrag kommen?' 4 In der vorliegenden Arbeit soll versucht werden, das Wesen dieser transzendentalen Antithetik zu enthüllen. In ihm bricht eine Krise auf, die sich im Husserlschen Verständnis des Transzendentalen und damit seiner Sicht der Krise selber verstellt. In der 'Einführung' soll die Spannung dieser Antithetik nur so weit aufgedeckt werden, daß Ziel und Leitfaden der Untersuchung sich anzeigen. Die Husserlsche Kritik des Kantischen Begriffes des Transzendentalen wirft das Problem auf, das uns nunmehr beschäftigen muß.5 Nach Husserl 'ist vorweg mit den Kantischen
Fragestellungen die alltägliche Lebensumwelt als seiende vorausgesetzt ... und nicht minder die Wissenschaften .. .' ! Denn Kant betont im Blick auf die reine Mathematik und die reine Naturwissenschaft: ' ... da sie wirklich gegeben sind, läßt sich nun wohl geziemend fragen: wie sie möglich sind; denn daß sie möglich sein müssen, wird durch ihre Wirklichkeit bewiesen.' 2 Die Erkenntnis, 'die sich nicht sowohl mit Gegenständen, sondern mit unserer Erkenntnisart von Gegenständen, so fern diese a priori möglich sein soll, überhaupt beschäftigt,' nennt Kant transzendental. 3 Husserl bezeichnet ein solches Verfahren als 'eine eigentümlich regressive und konstruierende Methode.' 4 Sie ist konstruktiv und regressiv, weil sie Sinn und Sein von Welt voraussetzt und nicht aufklärt, ihn nicht Schritt für Schritt, progressiv zur Präsenz bringt. Die Philosophie kann nur in einem 'in jedem Schritte aus evidenten Prinzipien sich rechtfertigenden Begründungsweg emporsteigen. Ihr Verfahren kann und darf nur progressiv sein.' 5 Kant kann nach Husserl vor allem nicht die Differenz zwischen Lebenswelt und wissenschaftlicher Welt in den Blick bringen,6 daß sich nämlich das vormalige Weltleben verändern mußte und verändert hat, damit Wissenschaften (d.h. vor allem die modernen Wissenschaften) uns begegnen können und begegnen. 7 Solche Veränderung besagt aber
1 'Das an sich Erste ist die Subjektivität, und zwar als die das Sein der Welt naiv vorgebende .. .' (Krisis, S. 70). - Zum Problem der Geschichtlichkeit s. S. 121 ff. dieser Arbeit. 2 ' ••• und dann rationalisierende oder, was gleich gilt: objektivierende' (s. oben). 3 ebd. 4 ebd., S. II6. 5 s. dazu auch: Szilasi, W., Einfuhrung in die Phänomenologie Edmund Busserls, Tübingen 1959, S. 9 ff.
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1 Krisis, S. 106,/107. 2 Kant, 1., Kritik der reinen Vernunft, B 25 (Akademie Ausg. Bd. III, S. 40). 3 Kant, 1., a.a.O., B 25 (Akademie Ausg. Bd. III, S. 43). '" Husserl, E., Erste Philosophie (I923/24). Erster Teil. Kritische Ideengeschichte, Haag 1956, (im folgenden zitiert: Erste Phil. T), S. 189. S Erste Phil. I, S. 191. a Diese Differenz wird genauer im 'Dritten Teil' bestimmt werden, s. S. 101 ff. 7 Es ist allerdings kritisch anzumerken, daß die Husser1sche Auslegung des Kantischen Transzendentalen als konstruktives und regressives Verfahren das Bemühen Kants um die Vermittlung von transzentaler Apperzeption und empirischer Anschauung übersieht. Von hierher muß auch der oben zitierte Text Kants (Kritik der reinen Vernunft, B 25) und das darin waltende Verständnis von 'möglich' und 'wirklich' und in diesem Zusammenhang das 'Vorausgesetztsein' der Wissenschaft bedacht werden. Eine nähere Untersuchung wird im Rahmen dieser Arbeit nicht erstrebt. Husserl begreift nicht das im Kantischen Denken bestimmende spekulative Moment; er läßt sich in seiner Kritik zu schnell vom Empirismus blenden. Kant kennt zwar nicht eine Genesis des transzendentalen Erkennens, doch sind in seinem Verständnis Leitfäden - und zwar von dem in ihm waltenden Spekulativen - vorgezeichnet, die freilich den Rahmen seiner Philosophie sprengen und vor allem von Hegel zur Entfaltung gebracht wurden. Die vorliegende Arbeit versucht im Husserlschen Denken eine Spannung zwischen spekulativen und empiristischen Momenten aufzuzeigen, aber nicht darzulegen, wie sich diese Spannung in der Husserlschen Kantinterpretation auswirkt. Es kommt uns nur auf ein Doppeltes an: I. Husserl bemüht sich um eine transzendentale Genesis, so daß der .Gegensatz nicht: transzen-
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EINFÜHRUNG
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Entfremdung von der Lebenswelt, wie sich oben zeigte. Die exakten Wissenschaften verlangen notwendig die transzendentale Reflexion, sollen sie selber mit der Lebenswelt 'versöhnt' werden. 1 Kant begreift somit nach der Meinung Husserls nicht die Genesis der Transzendentalität. Er sieht nicht, daß die Transzendentalität, die in der Lebenwelt selbst verborgen ist, sich in die 'Weltverlorenheit' hineinbegibt, um sich selbst als Transzendentalität zur Präsenz zu bringen, d.h. zu sich selbst zu kommen und zwar in dem Sinne, daß sie sich ständig der Welt überantwortet, um sich erneut zu gewinnen. 2 Demgemäß muß sich das Apriori auch
anders als bei Kant bestimmen: Das Apriori ist nicht ein bloß. subjektives; es stehen sich nicht apriorische Verknüpfungsformen und ein Material von Sinnesdaten gegenüber; das dem Erkennenden von 'außen' Gegebene sind nicht Data; vielmehr begegnet ihm immer schon das vom Wesen her ausgelegte Seiende. 'Diephänomenologische Frage lautet: Was ist an dem Sachverhalt von vornherein als Inhalt des Sachverhaltes selbst schaubar?' 1 Andererseits gründet aber das Wesen und seine Differenz zum Seienden (Dies-da) selber in der Transzendentalität, wie weiter unten offenbar wird. Die Transzendentalität wird indes von der Subjektivität her verstanden; die Differenz kann aber nicht rein 'subjektiv, sie muß vielmehr subjektiv-objektiv sein, so daß der
dental-empirisch, sondern Transzendentalität-Mundanität (transzendentales Leben und mundanes Leben) ist. 2. Demgemäß steht nicht den apriorischen Verknüpfungsformen ein Material von Sinnesdaten gegenüber, sondern das Apriori ist subjektivobjektiv. Diese Eigentumlichkeiten werden im weiteren Verlauf der Arbeit noch herausgestellt werden. 1 'Der "Objektivismus" der mathematischen neuzeitlichen Wissenschaft ist für Husserl sozusagen das Modell einer Selbstentfremdung des absoluten subjektiven Geistes, der in der Reduktion seiner selbst gewiß wird. Die geheimere Teleologie der Wissenschaftsgeschichte, wie sie Husserl ansetzt, besteht darin, daß das konstituierende Leben in der objektivistisch-wissenschaftlichen Außenwendung sich am weitesten verloren haben muß, um sich selbst zu gewinnen. Die Reduktion bedeutet so eine Rückkehr in den Ursprung, eine Heimkehr aus der äußersten Selbstentfremdung. Dieses geschichts-philosophische Schema ist nicht neu. Es ist eine "Phänomenologie des Geistes" mit den analytischen Mitteln einer intentionalen Bewußtseinsexegese, hier vor allem durchgeführt in einer Auslegung der Sinnbildungsprozesse, welche den Stil der neuzeitlichen Wissenschaft bestimmen.' (Fink, E., 'Welt und Geschichte,' in: Husserl und das Denken der Neuzeit (Akten des zweiten Internationalen Phänomenologischen Kolloquiums, Krefeld I.-3. November I956), Haag 1959, S. 152). 2 Es sei hier nur ein - allerdings zentrales - unterscheidendes Moment zwischen Husserlschem und Kantischem Verständnis des Transzendentalen aufgezeigt. (Näheres s.z.B.: Szilasi, W., a.a.O., S. 9 ff.). Man wird aber gegen diese Interpretation einwenden, daß der Gedanke der Genesis nicht so stark betont werden darf. Zur Entgegnung sei auf die Husserlsche Kritik an der Kantischen Kategorientafel hingewiesen. W. Szilasi schreibt: 'Die Kategorien sind aber am Leitfaden einer Urteilstafel gewonnen. Somit ist gerade die Logik, die der transzendentalen Kritik nicht unterworfen wurde, Leitfaden für die transzendentale Untersuchung. Sie ist in ihrer naiven Geltung ungeprüft angenommen. Wenn auch bei Kant die betreffenden Ausführungen transzendentale Logik heißen, an die logischen Vorgänge selbst hat er nicht die Frage nach der Bedingung der Möglichkeit gestellt. Er hat also im Vertrauen zu der apriorischen Idealität der logischen Gesetze sie der transzendentalen Prüfung nicht unterworfen.' (a.a.O., S. 11). Husserl verlangt im Gegensatz zu Kant eine Genesis der Logik, wie er sie im Umriß in seinen Werken Formale und transzendentale Logik. Versuch einer Kritik der logischen Vernunft, Halle a.d.S. 1929 und El'tahl'ung und Urleil entfaltet hat. Eine solche muß notwendig eine transzendentale sein. Die Phänomenologie muß aber von der logischen 'zur Erfassung der konstitutiven Problematik als einer universalen, nicht nur auf die logischen Gebilde bezogenen' (F01'male und transzendentale Logik, S. 235), fortschreiten. In seinem Spätwerk bemüht Husserl sich um eine solche universale Genesis. Er spricht in der Kl'isis von Stufen der Geschichtlichkeit, vor allem von der mythischen, der objektiv-wissenschaftlichen und der phänomenologischen Stufe. (Ms. KIll 9, S. 46 a ff. (1934-35), zum Teil abgedruckt in Krisis, S. 502/03). Husserl spricht vom Zu-sich-selbst-Kommen im phänomenologisierenden Tun (s. Ms. KIll 6, S. 191 a; ferner ebd., S. 154 a
ff.). Mit der Stiftung der Wissenschaften wird ein 'neues Menschentum' geschaffen 'mit dem Korrelat einer neuartigen Kultur, die nicht nur organisch ist, sondern aus. der schöpferischen Tat der Einzelnen einen neuartigen Totalsinn' erhält. (Ms. KIll 9, S. 47a). Das Zur-Präsenz-kommen des Transzendentalen bedeutet für Husserl geradezu eine 'religiöse Umkehrung'. 'Vielleicht wird es sich sogar zeigen, daß die totale phänomenologische Einstellung und die ihr zugehörige Epoche zunächst wesensmäßig eine völlige personale Wandlung zu erwirken berufen ist, die zu vergleichen wäre zunächst mit einer religiösen Umkehrung, die aber darüber hinaus die Bedeutung der größten existenziellen Wandlung in sich birgt, die der Menschheit als Menschheit aufgegeben ist.' (Kl'isis, S. 140). Von der Philosophie schreibt Husserl: 'Philosophie, Wissenschaft wäre demnach. die historische Bewegung der Offenbarung der universalen, dem Menschentum als solchen "eingeborenen" Vernunft.' (Kl'isis, S. 13/14). Husserl spricht von den 'Wesensstrukturen der absoluten Geschichtlichkeit, namlich diejenigen einer transzendentalen Subjektgemeinschaft, und als einer solchen, die, in diesen allgemeinsten wie gesonderten apriorischen Formen intentional vergemeinschaftet lebend, in sich Welt als intentionales Geltungskorrelat hat und immerfort weiter schafft in immer neuen Formen und Stufen einer Kulturwelt. Das systematisch in Gang gebracht, in den strengsten aller erdenklichen Methoden, eben denen der sich auf sich selbst. apodiktisch besinnenden und apodiktisch auslegenden transzendentalen Subjektivität, ist eben Transzendentalphilosophie.' (Kl'isis, S. 262/63). Ferner: 'So ist Philosophie nichts anderes als «(Rationalismus)), durch und durch, aber nach den verschiedenen Stufen der Bewegung von Intention und Erfüllung in sich unterschiedener Rationalismus, die ratio in der ständigen Bewegung der Selbsterhellung, angefangen von dem ersten Einbruch der Philosophie in die Menschheit, deren eingeborene Vernunft vordem noch ganz im Stande der Verschlossenheit, der nächtlichen Dunkelheit war.' (Kl'isis, S. 273). Die Bewegung der Selbsterhellung hat aber ein ausgezeichnetes Ziel und Resultat, nämlich das Zu-sich-selbst-kommen der Transzendentalität· dieses Ziel ist in solcher Erfüllung Ende und zugleich Anfang einer neuen Unen&ichkeit. 'Philosophie, Wissenschaft in allen ihren Gestalten ist rational, das ist eine Tautologie. Sie ist aber in allem auf dem Wege zu einer höheren Rationalität, sie ist Rationalität, die, ihre unzulängliche Relativität immer wieder entdeckend, fortgetrieben wird im Mühen, im Erringenwollen der wahren und vollen Rationalität. Schließlich aber entdeckt sie, daß diese eine im Unendlichen liegende Idee und im. Faktum notwendig auf dem Wege ist; aber auch, daß es hier eine Endgestalt gibt, die zugleich Anfangsgestalt einer neuartigen Unendlichkeit und Relativität ist; dies. aber in einem Doppelsinn von Entdeckung, der historisch zweierlei Epochen von. Anfang und Fortgang bezeichnet.' (Krisis S. 274). 1 Szilasi, W., a.a.O., S. 44.
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EINFÜHRUNG
Transzendentalität eine transzendentale Transzendenz eignet, die Transzendentalitätsich also als sich objektivierende Subjektivität ·bestimmt. Es ist bekannt, daß Hegel sich in seiner Phänomenolo.gie des Geistes um eine solche Genesis bemüht hat. In diesem Kapitel soll nicht das Problem der 'Versöhnung' von Lebenswelt und technischer Welt näher erörtert werden. Es sei hier vielmehr versucht, den Horizont des transzendentalen Enthül,iens und die in ihm waltende Spannung aufzuzeigen. Auf die Spannung werden wir aufmerksam, wenn wir uns die Frage vorlegen: Wie kommt die je schon vorausgesetzte und als solche zunächst verborgene Transzendentalität zur Präsenz? Wird die Transzen·dentaIität dadurch offenbar, daß sie sich selber aus ihrem naiven Darleben produktiv hervorkehrt und das naive Leben in das 'seiner Transzendentalität bewußte aufhebt? Das transzendentale Enthüllen wäre aber dann progressives Hervorbringen, Erzeugen. Das 'Prinzip aller Prinzipien' der Phänomenologie Husserls indes lautet, 'daß alles, was sich uns in der "Intuition" originär, (sozusagen in seiner leibhaften Wirklichkeit) darbietet, einfach hinzunehmen sei, als was es sich gibt, aber nur in den Schranken, in denen es sich gibt.' 1 Die Transzendentalität ist uns zwar im naiven Leben verborgen und nicht durch bloßes Hingucken schon zu erblicken. Sie muß aber als solche der Grund dafür sein, "daß uns zunächst die Sachen als Sachen selbst vernehmbar sind. Die TranszendentaIität ist als solcher Grund vorausgesetzt. Das Enthüllen der Transzendentalität kann daher nicht produktives Hervorkehren, Erzeugen sein; denn das setzte ja schon ihren Horizont voraus. (Die Verborgenheit der Transzendentalität kann sich entsprechend nicht als objektivierte Subjektivität bestimmen). Was ist aber der Leitfaden dieser transzendentalen Enthüllung? Um ihn klar in den Blick zu bekommen, muß noch einmal das neuzeitliche Bemühen des Transzendentalismus zur Sprache kommen. Nicht unwichtig ist in diesem Zusammenhang, daß lJusserl das phänomenologische Entfalten eines Sachverhaltes in gewisser7 Hinsicht im Sinne des Positivismus versteht. Er schreibt: 'Sagt "Positivismus" soviel wie absolut vorurteilsfreie 1 Husserl, E., Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie. Erstes Buch. Allgemeine Einführung in die reine Phänomenologie, Haag 1950, (im folgenden zitiert: Ideen I), S. 52.
EINFÜHRUNG
II
Gründung aller Wissenschaften auf das "Positive", d.i. originär zu Erfassende, dann sind wir die echten Positivisten.' 1 Indem Ringen des Objektivismus mit dem Transzendentalismus geht es nach H usserl nicht so sehr um ein erkenntnistheoretisch - spekulatives Problem,2 als vielmehr um die wahre Methode des Philosophierens. 3 Er greift daher vor allem die Impulse des Empirismus auf, der die große Bedeutung hat, 'der die Begründung einer Philosophie überhaupt erst ermöglichenden Methode des Rückgangs auf die phänomenologischen Ursprunge aller Erkenntnisse zum Durchbruch zu verhelfen und der Forderung einer radikalen intuitionistischen Philosophie Nachdruck zu verschaffen.' 4 'Der Rationalismus aber, als Dogmatismus, ist gar nicht auf eine immanente 'Methode angelegt, und in seiner Methode wirkt sich nicht eine Tendenz auf die wahre, wenn auch unvollkommen aus.' 5 Wie kann aber das Erkennen der Transzendentalität als transzendentaler Subjektivität habhaft werden; und zwar nicht als Ursprungspunkt einer Weltkonstruktion, sondern vielmehr als Stätte positiver Forschung, damit das Dasein nicht mehr naiv dahinlebt, sondern Normen gewinnt, sein Leben wissenschaftlich, d.h. transzendental, zu rechtfertigen? Husserl greift die Intention Lockes auf. Wurde doch bei ihm - im Gegensatz zu Descartes das ego (besser: das Bewußtsein) zum Thema einer eigenen deskriptiven Wissenschaft, in der Absicht, das generelle Wesen der Erkenntnisleistung klarzulegen, um prinzipielle Normen für das erkennende Tun zu gewinnen. 6 Locke und seine Zeitgenossen vermochten aber nach Husserl nicht den wahren Empirismus, den wahren Intuitionismus zum Siege zu verhelfen, weil sie selber noch dem 'objektivistischen Vorurteil' verhaftet blieben. 7 Sie erkannten nach Husserls Meinung nicht, daß das ego (besser: das Bewußtsein), welches in ihrer (psychologischen) Betrachtung thematisch war, selber schon ein 'geleistestes' 8 ist. Ihre Thematisierungen hielten sich vorweg schon im Resultat ursprung1 Ideen I, S. 46. 2 Zum Begriff der Spekulation s. S. 26, S. 95 ff. dieser Arbeit. 3 Zum Problem der Methode s. S. 126 ff. dieser Arbeit. 4 Erste Phil. I, S. 182. 5 ebd., S. 187. 6 ebd., S. 83. 7 s. ebd. S. 78 ff. S Husserl spricht in der Ersten Phil. I, in den Cartesianischen Meditationen und in der Krisis immer wieder vom Leisten.
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EINFÜHRUNG
EINFÜHRUNG
licher Leistungen, erblickten diese also nicht selbst als Leistun-gen des dem natürlichen ego (Bewußtsein) schon vorausliegenden transzendentalen. Die von ihnen erschaute Subjektivität ist als. Resultat schon vorausliegender subjektiver Leistungen objektive Subjektivität. Ihre Fragestellung ist daher objektivistisch. Verharrt das Denken in dieser Fragehaltung, ohne zu begreifen,_ daß diese Einstellung selber schon eine vermittelte ist, so wird notwendig das Objektiv-sein des Objektiven, d.h. das Dingliche, zum Maßstab der Betrachtung. Das Psychische wird verdinglicht; das Bewußtsein zum Datenfeld.l Wie bewährt sich nun aber das 'Prinzip aller Prinzipien', von dem oben die Rede war? Dieses Prinzip verlangt, daß alles, wassich uns darbietet, einfach hinzunehmen sei, als was es sich gibt. Die Transzendentalität zeigt sich im naiven Leben gerade nicht. Sie ist aber als Transzendentalität der Grund dafür, daß uns. zunächst die Sachen als Sachen vernehmbar sind. Sie kann daher nur als Ermöglichung des naiven Vernehmens erblickt werden. 2, Solches 'als' ist aber dann konstitutiv für das Enthüllen der Transzendentalität; d.h. zur Transzendentalität gehört wesenhaft eineDifferenz, die in dieser Arbeit die transzendentale genannt wird. Was ist aber die Rechtsquelle für die Erkenntnis, die dieTranszendentalität als leistende Subjektivität begreift? Wohlgemerkt, die Transzendentalität wird als lei?tende Subjektivität ausgelegt; d.h. es waltet schon ein bestimmtes Verständnis der transzendentalen Differenz, so daß allein von solcher Differenz. her das Leisten zureichend bestimmt werden kann. Auf zwei wesentliche Bestimmungen dieses Leistens sei aufmerksam gemacht. -Die Transzendentalität ist uns als Ermöglichung des naiven Weltlebens im naiven Weltleben lebend gerade nicht im Blick. Die transzendentale Ermöglichung, die transzendentale Begründung 3 muß aber als transzendentale begründend im Begründeten sein, so zwar, daß sie als begründende im Begründeten d~r Transzendentalität ge-hören muß. Die transzendentale Ermöglichung muß sich demgemäß als 'Vermittlung' 4 bestim-
men. Husserl begreift nun die Transzendentalität als Subjektivität; also kann ihre 'Vermittlung' sich nur als Objektivierung bestimmen. Unter leistender Subjektivität muß demgemäß die sich objektivierende Subjektivität verstanden werden,! so zwar, .daß das naive Leben in solchen Objektivierungen lebend dem 'Getanen', dem 'Geleisteten', dem 'Objektiven' zugewandt ist, aber um das objektivierende Leben selber nicht weiß. Und in der Tat, Husserl hebt hervor: 'Objektivität aus Erfahrung oder schon aus theoretischen Denken hergeben und mittels des schon erworbenen immer neuen Erkenntnisbesitz erwerben, das ist, in naiv-natürlicher Weise von Kenntnisnahmen, von begreifenden Urteilen und Einsichten zu neuen und schließlich zu Theorien, Wissenschaften fortschreiten. Aber eben dieses ist ja, und in jedem Schritt, ein Rätsel. Das Getane, die Tat ist in jedem solchen Schritt "da", sie allein steht im Blick, ist allein "Thema", während das bewußtseinsmäßige Leben und Leisten, in dem das Tun selbst besteht, eben gelebtes, aber nicht thematisches ist. Es erfahrend und theoretisierend in den Blick und in Arbeit zu stellen, das im aktuellen Leben ungesehene und daher unverständliche Leben zum Verständnis, zur theoretischen Aussprache zu bringen - das ist ja die neue Problematik gegenüber allen und jeden Problemen natürlicher Einstellung auf Objektivität.' 2 In diesem Verständnis des Leistens liegt aber notwendig ein weiteres Moment beschlossen. Im naiven Leben lebt die Subjektivität in ihren Leistungen dem Geleisteten zugewandt; sie ist sich aber nicht als leistende bewußt. Ihr naives Denken ist durch dieses 'Nicht-Bewußtsein' definiert. Das In-Blick-kommen -der Transzendentalität muß indes der Transzendentalität gemäß sein, d.h. von ihr selber schon geführt und geleitet sein. Die
s. Erste Phil. I, S. 158. Husser! begreift die transzendentale Subjektivität 'als die das Sein der Welt naiv vorgebende ... ' (Krisis, S. 70; Sperrung im Text). 3 Husserl spricht in den Cartesianischen Meditationen des öfteren von transzendentaler Begründung. 4 'Vermittlung' - in Anführungsstrichen - soll anzeigen, daß Vermittlung nicht im Sinne Hegels gemeint ist. 1
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1 ' .•• das an sich Erste ist die Subjektivität, und zwar als die das Sein der Welt naiv vorgebende und dann rationalisierende oder, was gleich gilt: objektivierende.' (Krisis, S. 70). Husser! versteht hier zwar unter Objektivierung nur die Leistung, die Hervorbringung der exakten Welt. Es ist aber zu bedenken, daß nach ihm die Welt schlechthin (sowohl die Lebenswe1t als auch die exakte Welt) die Vergessenheit der Subjektivität is t. Solche Vergessenheit ist aber Objektivitat, so daß auch die Stiftung der Lebenswelt Objektivierung ist. Diese Objektivierung wird in den exakten Wissenschaften radikalisiert. (s. dazu unten S. 101 ff_ dieser Arbeit). - Ferner: Die Wesen - Dies-da Differenz ist ja als transzendentale, gründend in der transzendentalen Subjektivität, subjektiv-objektiv, also Objektiviertes, insofern sie in naivem Leben lebend thematisch ist. (s. oben S_ 9, näheres dazu S_ 18 ff.) Und beachte schließlich das nachfolgende Zitat. 2 Erste Phil. I, S. 8z/83.
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Transzendentalität kann daher als sich objektivierende Subjektivität nur zur Präsenz kommen, wenn sie sich selber aus ihrem naiven Darleben produktiv hervorkehrt, so daß sie Resultat solcher Hervorkehrung ist und sich als solches bewußt ist.! Die transzendentale Subjektivität bringt sich dann als eine solche in den Blick, wenn sie ihr naives Darleben verändert und in ihre höhere Position aufhebt; d..h. aber, das daß transzendentale Vernehmen zum Moment dieses Leistens, dieses Produzierens wird. Die transzendentale Differenz muß sich als (Jbergang des naiven Lebens in das seiner TranszendentaZität bewußte bestimmen. Husserl begreift indes die transzendentale Differenz nicht als Übergang. Denn entweder lebe ich im Leisten, und dann ist nur die Tat, das Getane im Blick, oder ich thematisiere das Leisten, und dann lebe ich nicht in dem ursprünglichen positionalen Akt, sondern nur in seiner' N eutralisierung', 2 wiewohl dieses Thematisieren selber ein Tun ist, das aber wieder nur in seiner Modifikation thematisch wird. Noch deutlicher wird dieses in folgenden Sätzen: 'Ich kann in keine andere Welt hineinleben, hineinerfahren, hineindenken, hineinwerten und -handeln, als die in mir uns aus mir selbst Sinn und Geltung hat. Stelle ich mich über dieses ganze Leben und enthalte ich mich jedes Vollzuges irgendeines Seinsglaubens, der geradehin die Welt als seiende nimmt _ richte ich ausschließlich meinen Blick auf dieses Leben selbst, als Bewußtsein von der Welt, so gewinne ich mich als das reine ego mit dem reinen Strom meiner cogitationes.' 3 Das transzendentale Leisten spaltet sich in Leisten und Thematisieren. Kraft einer solchen Spaltung wird das transzendentale Leisten zum 'Feld von Beschreibungen'. Die transzendentale Differenz ist aber damit weggebracht, die Transzendentalität negiert. Das transzendentale Bewußtsein wird zum empirischen. Das Denken verfättt dem Empirismus. Husserl sucht indes den Empirismus zu entlarven, indem er das empirische Bewußtsein als schon 'geleistetes' begreift; er wiederholt also wohl oder übel den spekulativen I deaZismus und nimmt auf diese Weise den Empirismus wieder zurück. Husserl behauptet also ständig neu die leistende Transzendentalität (im oben bestimmten Sinn), wiewohl er sie immer wieder I ~s gilt ja ein Doppeltes zu bedenken: (a) die Transzendentalität der Subjektivität, (b) dIe Transzendentalität als sich obiektivierende SUbiektivität. 2 s. dazu den Begriff der Neutralitätsmodifikation in: Ideen I, S. 264 ff. a Cartesianische Meditationen, S. 60/61.
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negiert. 1 Es sei jedoch sogleich auf ein weiteres Moment hinge-wiesen. Oben2 wurde das 'Prinzip aller Prinzipien' der Husserlschen Phänomenologie herausgestellt. Es zeigte sich dort, daß nach Husserl die Transzendentalität der Grund dafür ist, da.!} zunächst die Sachen als Sachen vernehmbar sind. Sie ist als solcherGrund im naiven Vernehmen selber verborgen. Sie kann sich~ aber als solcher Grund nur einem hinnehmenden VernehmeIl' eröffnen, welches selber ein transzendentales ist. In diesem Sinn muß von einer sich eröffnenden Transzendentalität gesprochen werden, die im transzendentalen Erkennen vernommen wird. Das transzendentale Vernehmen kann dem transzendentalen Sich-Eröffnen dann nicht in der Weise vereignet werden, daß es,. zur Differenz-Einheit eines Erzeugens wird. Denn das vernehmenI In den Husserl-Interpretationen wird zumeist betont, daß der Husserlsche Begriff des Leistens nicht im Sinne des klassischen .Idealismus geseh~n. werden darf. Es wird aber zumeist nicht die Spaltung von Le~sten und Themat~suTen erkannt. Hier wird versucht, den Grund dieser Spaltung,freizulegen. Grundlegend ist doch das' Verständnis der Transzendentalität. Es wird hier keine Kritik von 'außen', sondern im Namen der behaupteten Transzendentalität erhoben. Die Spannung im Husserlschen Verständnis des Transzendentalen deutet sich im folgenden Text an: 'Das ist der letzte Sinn des Vorwurfs, den man der Philosophie aller Zeiten machen muß mit Ausnahme der freilich die Methode verfehlenden Philosophie des Idealismus -, daß sie den naturalistischen Objektivismus nicht überwinden konnte, der von Anfang an eine sehr natürliche Versuchung war und immerf.ort ~l!e~. Wie ge~agt? ~r~t der Idealismus in allen seinen Formen versucht der SUbJektIvltat als SubJektIvltat. habhaft zu werden ... Aber der Idealismus war immer zu schnell mit seinen Theorien und konnte sich zumeist nicht von geheimen objektivistischen Voraussetzungen freimachen, oder er übersprang als spekulativer die Aufgabe, die aktuelle Subjektivität, als aktuelle phänomenale Welt in Anschaulichkeit in Geltung h.abende, ~on-' kret und analytisch zu befragen - was recht verstanden nichts anderes IS: al~ pha~o menologische Reduktion vollziehen und transzende~tale Phä.nomenol~gle InS SpI~1 setzen. So erklärt sich übrigens, warum ich die von mIr ausgebildete Phanomenologle transzendentale nenne und von der transzendentalen Subjektivität in ihr spreche .• Denn wenn Kant dem alten Wort durch seine Vernunftkritik einen neuen Sinn gibt, so kann man sich bald davon überzeugen, daß, genau besehen, der ganz. andere Ide~- lismus Berkeleys und Humes, und jeder Idealismus übe.rhaupt, das gleIche ,them.a~l sehe Feld hat und nur verschieden gewendete Fragen In demselben stellt. (~ns~s, S. 271/72). Husserl will die transzendentale Subjektivität zur Anschauung bnn~en, indem er den Idealismus vom Spekulativen befreien will; genau dadurc~ entZIeht er der Anschauung den Boden und fällt zurück in den Empirismus. Und In der Tat kann er, wie sein Werk zeigt, die Transzendentalität nur behaupten kraft sp~kula tiver Momente. Das Husserlsche Fragen ist von spekulativen Momenten bestImmt, die er ständig vertreibt, indem er sie zurückholt. Mit Nachdruck betont K. H. Volkmann-Schluck: 'Die Berufung auf die Anschauung als die Rech.tsq~elle aller Setzungen bedarf jedoch einer metaphysischen Grundlegung. UnterbleIbt SIe, dann entbehrt das Evidenzprinzip, so umfassend es auch gefaßt werden mag, und so fest das Bewußtsein sich in ihm befestigt, das tragenden Grundes ... ' (Volkma~n-Schluck, K. H., 'Husserls Lehre von der Idealität der Bedeutung als metaphYSIsches Pro-Problem', in: HusseTI und das Denken der Neuzeit, S. 236). 2 s. oben S. IO dieser Arbeit.
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de Subjekt hält sich vorweg schon im Horizont der Transzendentalität, soll es sich selber als Transzendentalität begreifen können. Die Transzendentalität hat sich also schon dem Denken verstellt, daß ,die sich eröffnende Transzendentalität und das Vernehmen der Transzendentalitätindie(Differenz-)EinheiteinesErzeugenszwingt. Damit zeigt sich im Horizont der von Husserl konzipierten Transzendentalität selber der Grund ihres Widerstreites an. Die sich eröffnende Transzendentalität entzieht sich dem Husserls~hen Den~en genau dadurch, daß er sie als leistende im obigen SInn begreIft. Er beschwört aber dadurch eine solche leistende Transzendentalität herauf, daß er das vernehmende Hinnehmen noch im Lichte des neuzeitlichen Empirismus versteht. Das transzendentale Enthüllen bestimmt sich nach ihm als ein intuitives, unmittelbares Beschreiben, als ein Schritt für Schritt bewußter, vom Leeren zum Vollgehalt progressiv fortschreitender Bewußtseinsprozeß. 'Prinzipiell kann sie (( = die Philosophie» nur von absolut einsichtigen Urgründen ausgehen und in einem absolut vorurteilslosen, in jedem Schritte aus evidenten Prinzipien sich rechtfertigenden Begründungswege emporsteigen. Ihr Verfahren kann und darf nur progressiv sein.' 1 Zusammenfassend kann gesagt werden: Die Husserlsche Phänomenologie ist selber das Resultat eines zunächst verborgenen Widerstreites, doch so, daß sich in ihm die transzendentale Bedingung des Widerstreits anzeigt. Husserl erlaßt nämlich das transzendentale Enthüllen als ein vernehmendes Hinnehmen. Doch entzieht es sich genau dadurch wiederum seinem Blick, daß er es als immanentes progressives Beschreiben bestimmt. Die Transzendentalität kann sich daher nur im Wirbel des spekulativ-empiristischen W iderstreites behaupten. Gerade diesen Widerstreit näher zu entfalten, versucht diese Arbeit. Der Widerstreit muß noch schärfer in den Blick kommen, damit der Leitfaden der nachfolgenden Analyse um so deutlicher hervortritt. Es muß nämlich bündig und genau gezeigt werden, worin das Spekulative und sein Widerpart, das empiristische Moment, gründet. Dazu sei noch einmal die Spannung von Objektivismus und Transzendentalismus reflektiert. In neuzeitlicher Sicht gründet die Dinglichkeit des Dinglichen im Bewußtsein. Da aber der Psychologismus das Psychische, das objektiv Subjektive, 1
Erste Pkil. I, S. 190/91.
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als dieses grundlegende Bewußtsein ansah, verstellte sich die wahre Immanenz des leistenden Lebens in die Immanenz eines vorfindlichen Bewußtseinsfeldes als eines Datenfeldes, wie bereits früher gezeigt wurde. Damit löst sich das Dingliche in das Bewußtsein auf, wie dieses sich verdinglicht. Das Dingliche bewahrt sein Sein nur dann, wenn es selbst als Transzendenz psychischer Immanenz verstanden wird, so daß die Immanenz des transzendentalen Lebens die Immanenz einer ImmanenzTranszendenz ist. Die Wahrheit des Objektivismusl besteht nun darin, daß er in radikaler Weise solche Transzendenz hervorkehrt; er wird zur Unwahrheit, wie sich oben zeigte, wenn seine Vermitteltheit nicht begriffen 'wird, wenn er sich vielmehr zum Boden alles Betrachtens macht und sich somit als norma normans ausgibt. Der Horizont des Husserlschen Denkens ist so bestimmt durch die Spannung zwischen Psychologismus und Mathematizismus,2 denn letzterer ist ja exemplarisch für den Objektivismus. Infolgedessen versucht Husserl zunächst das Eigentümliche des Wesens des Mathematischen zu bestimmen. Dieses kann jedoch nur zureichend gelingen, wenn zuvor das 'Wesen' des Wesens selber geklärt ist. 3 Wir wollen uns hier gemäß unserer oben gemachten 1 Die Wahrheit des Objektivismus darf nicht mit objektiver Wahrheit verwechselt werden. S In seinem Tagebuch schreibt Husserl unter dem Datum vom 25. September 1906: 'Und während ich mich mit den Entwürfen zur Logik des mathematischen Denkens und insbesondere des mathematischen Kalküls abmühte, peinigten mich die unbegreiflich fremden Welten: die Welt des rein Logischen und die Welt des Aktbewußtseins, wie ich heute sagen würde, des Phänomenologischen und auch Psychologischen. Ich wußte sie nicht in eins zu setzen, und doch mußten sie zueinander Beziehung haben und eine innere Einheit bilden. So grübelte ich einerseits über das Wesen von Vorstellung und Urteil, über Relationstheorie u. dgl., und andererseits über die Klarlegung des Zusammenhanges der mathematisch-logischen Formalitäten.' ('Persönliche Aufzeichnungen', in: Pkilosopky and Pkenomenological Research, 1956, XVI, 3, S. 294). Im 'Vorwort' von 1900 zu seinem Werk Logische .Untersuchungen, Halle a.d. S. 1922, Bd. I, S. VI schreibt Husserl: 'Da ... meine ganze, von den Überzeugungen der herrschenden Logik getragene Methode - gegebene Wissenschaft durch psychologische Analysen logisch aufzuklären - ins Schwanken geriet, so sah ich mich in immer steigendem Maße zu allgemeinen kritischen Reflexionen über das Wesen der Logik und zumal über das Verhältnis zwischen der Subjek. tivität des Erkennens und der Objektivität des Erkenntnisinhaltes gedrängt.' 3 s. dazu Logische Untersuchungen, Bd. I, S. VI: 'Naturgemäß mußte ich von hier aus = von den Problemen der modernen Mathematik und besonders dem Verhältnis des Formalen der Arithmetik zu dem der Logik)) weiter fortschreiten zu den fundamentaleren Fragen nach dem Wesen der Erkenntnisform im Unterschied von der Erkenntnismaterie, und nach dem Sinn des Unterschiedes zwischen formalen (reinen) und materialen Bestimmungen, Wahrheiten, Gesetzen.'
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Einschränkung 1 nur· dem 'Wesen' des Wesens 2 selber zuwenden, ohne nähere Unterscheidung zwischen lebensweltlichem und exaktem Wesen. In den Logischen Untersuchungen weist Husserl den Psychologismus durch den Nachweis zurück, daß die logischen Gesetze nicht Gesetze für Urteilsakte, sondern für Urteilsinhalte, mit :anderen Worten für ideale Bedeutungen sind. Die Zahl ist z.B. eine gegenüber der unbeschränkten Mannigfaltigkeit möglicher Erkenntnisakte. 'Ideal' bezeichnet hier den Gegensatz zu den mannigfaltigen realen und subjektiv-anthropologischen Phänomenen oder psychischen Akten, den tatsächlichen Verhaltungen. Das 'Ideale' ist so unabhängig vom tatsächlich vermeindenden Akt. Daraus folgt aber nicht, daß das 'Ideale' 'an sich', d.h. unabhängig vom vermeinenden Vermeinen, ist. Das Vermeinte ist eben immer Vermeintes seines Vermeinens; es steht in Korrelation zum Vermeinen und ist aus ihm nicht herauslösbar. Husserl wird allerdings gezwungen - und zwar durch die folgerichtige Entfaltung des Ansatzes der Logischen Untersuchungen selber - die zentrale Unterscheidung dieses Werkes zu revidieren. Es sei hier nur auf die Weiterentwicklung des 'Idealen' in den Ideen hingewiesen. Husserl unterscheidet dort zwischen dem, was zwar in dieser bestimmten Weise (an diesem Ort, zu dieser Zeit) sich verhält, sich aber an sich auch anders verhalten könnte, und dem, was unabhängig von diesem Verhalten im Hier und Jetzt gilt, in der Weise, daß es von ihm schon vorausgesetzt ist. 3 Husserl stellt also die Differenz von Wesen und Tatsache und zwar zunächst des Vermeinten selber heraus. Der Begriff des 'Idealen' im Unterschied und Gegensatz zum realen psychischen Vorkommnis verdeckt, ja verstellt hingegen diese grundlegende Differenz. Husserl sieht ein, daß das Vermeinte nicht 'Ideales', sondern die Sache, d.h. WesenTatsache Differenz (-Einheit), ist. Die Sache ist aber immer Vermeintes, verwiesen auf das Vermeinen. Der Bezug zwischen der Sache und ihrem Vermeinen muß also nunmehr in das Zentrum der Überlegung rücken. In den Ideen
I definiert Husserl Wesen als 'das im selbsteigenen Sein eines Individuums als sein Was Vorfindliche.' 1 Vorfindliches ist immer für eine Subjektivität vorfindlich, so daß Wesen Vermeintes einer Subjektivität ist. Andererseits ist auch das tatsächliche Vermeinen Vermeinen von etwas. 'So wie das Gegebene der individuellen oder erfahrenden Anschauung ein individueller Gegenstand ist, so das Gegebene der Wesensanschauung ein reines Wesen.' 2 Wenn aber Wesen und Tatsache ausschließlich als unterschiedene Gegenstände, als unterschieden Gegebenes verstanden werden, charakterisiert Wesen wie Tatsache zwar das Inhaltliche des Vermeinens; grundlegend ist dann aber allein das vermeinende Leben selbst, und dieses läßt sich nicht umgekehrt aus seinem Wesen heraus verstehen. Wesen wird so zur Gesetzlichkeit des von ihm schon vorausgesetzten Lebens. Dann ist aber der Grund der Unterscheidung zwischen vermeinendem tatsächlichen Leben und seiner Gesetzlichkeit selber nur ein faktischer. Darin liegt ein weiterer Schritt der bisher aufgezeigten Destruktion beschlossen: Ist der Grund der Unterscheidung zwischen Wesen und Tatsache nur ein faktischer, so ist diese Unterscheidung selber weggebracht. Das vermeinende Leben ist dann nur ein je faktisches und nur faktisch zu beschreibendes. Das Wesen wird zum invarianten Spielraum des vermeinenden Lebens destruiert. Es wird aber dann nicht mehr durchsichtig, warum und inwiefern die ImmanenzTranszendenz des vermeinenden Lebens in der Immanenz des transzendentalen Bewußtseins gründen soll. Die Interpretation hat sich verlaufen. Sie hat sich nämlich von einer Bestimmung des Wesens leiten lassen, ohne ihren Resultatcharakter zu erkennen. Es wird doch nach dem vom naiven Leben schon Vorausgesetzten, in ihm aber selber Verborgenen gefragt. Das Bewußtsein ist indes immer schon vermeinend einem Vermeinten zugewandt. (Husserl nennt das Bewußtsein daher ein intentionales). Also muß das Vermeinen als Vermeinen wie das Vermeinte als Vermeintes ein solches Vorausgesetztes anzeigen. Es muß durchsichtig werden, daß dieses Vorausgesetzte die Immanenz des vordem unbekannten transzendentalen Leistens ist. Das wird nur dadurch möglich, daß das Wesen die Intentionalität verständlich werden läßt und nicht umgekehrt. Inwiefern?
s. oben S. 10. Der Wesensbegnff HusserIs unterscheidet sich von vornherein von dem des Aristoteles und der Scholastik. Es ist zu beachten, daß wir in dieser Arbeit nur den neuzeitlichen Wesensbegriff im Auge haben. Ferner: wenn wir in dieser Arbeit vom 'Aligememen' sprechen, so ist das nur im idealistischen Sinn und seiner Destruktiou zu verstehen. 3 s. Ideen I, S. 12. 1
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Ideen.I, S. 13. ebd., S. 14.
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Husserl schreibt: 'Wesen ist das im selbsteigenen Sein eines Individuums als sein Was Vorfindliche.' 1 Wesen ist aber nicht als ein Bereich geistig-empirischer Fakta vorfindlich, die einfach da sind und als sogeartete von sinnlich-empirischen Fakta unterschieden sind. 2 Wesen ist vielmehr als ein der sinnlichen Erfahrung schon Vorausliegendes vorfindlich, so daß von ihm her das Gegebene als Tatsächliches erkannt wird. 3 Damit nimmt der Weg der Interpretation eine andere Richtung. Nach Husserl bezeichnet Wesen 'das im selbsteigenen Sein eines Individuums als sein Was Vorfindliche. Jedes solches Was kann aber "in Idee" gesetzt werden'. 4 Wesen ist so offenbar ein Inhaltliches, das schon aller 'Ideation' vorausgeht. Wie ist es von der Ideation schon vorausgesetzt? In den Ideen III bestimmt Husserl das Wesen als den Rahmen, an den vorweg schon die Erfahrung gebunden ist. 5 Er ermöglicht erst recht seine ausdrückliche Thematisierung, seine Ideation. Der Rahmen wird als solche Ermöglichung in der Wesensschau gerade nicht erblickt; wird er doch vorausgesetzt. Genauer muß aber nunmehr gesagt werden: Das Wesen ist von dem je zu Erfahrenden schon als Rahmen vorausgesetzt und so von ihm unterschieden; d.h. zwischen Wesen und Dies-da wie auch zwischen apriorischer Gesetzlichkeit und empirischer Typik besteht eine DifferenzEinheit. 6 Die sinnliche Erfahrung wie die Ideation 'hält' sich je schon in dieser Differenz-Einheit, die somit als solche in ihr nicht in den Blick kommt. Das vom naiven Gewahren selber schon Vorausgesetzte, es Ermöglichende, in ihm aber Verborgene
bestimmte sich als Transzendentalität. Sie legte sich nettzeitlich als Subjektivität aus. Die Differenz-Einheit von Wesen und Dies-da, die im naiven Gewahren je schon vorausgesetzt, als solche aber gerade nicht in den Blick kommt, ist damit ·selber eine transzendentale. Genau das betont auch Husserl. In den Ideen III entfaltet er nämlich u.a. den Unterschied von streng apriorischer Allgemeinheit und empirischer und begreift ihn als einen transzendentalen. 'Dieser Sinn von Apriori gehört zu den Begriffen von Realitäten und ist ein "transzendentaler" Unterschied, sofern er und sein Unterschied vom Aposteriori seine Quelle in der Grundeigenschaft der Realitäten hat, sich als Einheiten von Mannigfaltigkeiten zu "konstituieren" '.1 Die Differenz von Wesen und Dies-da, d.h. die Differenz von prius und posterius, kommt in der alltäglichen Erfahrung wie in der Ideation als Differenz nicht in den Blick; das besagt aber: das prius-posterius ist prius-posterius als posterius, so daß das prius solcher Differenz notwendig die Aufhebung in das priusposterius als prius verlangt. In dieser transzendentalen. Position zeigt sich so wiederum eine prius-posterius Differenz. Husserl spricht von transzendentalem Wesen und von der Faktizität. 2 Er
1 Ideen I, S. I3. 2 Dieses ist die Auffassung der naiven (= nicht-transzendentalen) Phänomenologie. H. Conrad-Martius schreibt: 'Es gibt empirische Gegebenheiten, es gibt aber auch Wesensgegebenheiten und in ihnen gründende Gesetze.' (Vorwort von H. Conrad-Martius, in: Reinach, A., Was ist Phänomenologie?, München I95I, S. II). 'Man kann nicht das geistig-empirische (nicht etwa psychologische) Faktum von Wesenheiten beweisen. Sie sind da, und jeder, der nicht wesensblind ist, sieht sie.' (ebd., S. I5). 3 s. Ideen I, S. I2. 4 ebd., S. I3. 5 s. Husserl, E., Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie. Drittes Buch. Die Phänomenologie und die Fundamente der Wissenschaften, Haag I952, (oben und im folgenden zitiert: Ideen III), S. 33 ff. e So schreibt Husserl bezüglich der Wissenschaften: 'Überall muß ... die Wissenschaft von den reinen Möglichkeiten der Wissenschaft von den tatsächlichen Wirklichkeiten vorangehen und dieser als ihre konkrete Logik die Leitung geben.' ('Nachwort' (zu den Ideen I), in: Hlfsserliana Bd. 5, (im folgenden zitiert: 'Nachwort'), S. I43).
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Ideen III, S. 35. In den Ideen I fragt Husserl zunachst: 'Inwiefern jedoch transzendentale Phänomene als singuläre Fakta einer Forschung zugänglich sind, und welche Beziehung eine solche Ta~achenforschung zur Idee der Metaphysik haben mag, das wird erst in der abschließenden Reihe von Untersuchungen seine Erwägung finden können.' (Ideen I, S. 7). Auf Seite 139 der Ideen I schreibt Husserl: 'Vielmehr führt der Übergang in das reine Bewußtsein durch die Methode der transzendentalen Reduktion notwendig zur Frage nach dem Grunde für die nun sich ergebende Faktizität des entsprechenden konstituierenden Bewußtseins.' Der Übergang zur transzendentalen Faktizität besagt: 'Die Reduktion der natürlichen Welt auf das Bewußtseinsabsolute ergibt faktische Zusammenhänge von Bewußtseinserlebnissen gewisser Artungen mit ausgezeichneten Regelordnungen, in denen sich, als intentionales Korrelat, eine in der Sphäre der empirischen Anschauung morphologisch geordnete Welt konstituiert, d.i. eine Welt, für die es klassifizierende und beschreibende Wissenschaft geben kann.' (Ideen I, S. 139). In der Erste Phil. I schreibt Husserl: 'Das Übergehen vom transzendentalen Apriori zum transzendentalen Faktum' führt 'zum System aller empirischen Wissenschaften in transzendentaler Fundierung.' (Erste Phil. I, s. 324). - Was Husserl unter dieser transzendental-faktischen Disziplin, die er auch Metaphysik (ebd., S. 395) nennt, versteht, ersieht man aus folgender Bemerkung: 'Der Geist in seiner Natur und Anpassung des Geistes an seine Natur, Entwicklung von erkennenden Geistern, Entwicklung von WiSlieIlschaften und Kulturtaten der Menschheit überhaupt - das hat auch seine philosophischen Seiten; aber keine erkenntnistheoretischen, kehre solche, die zur Ersten Philosophie gehören; nicht zur ersten, sondern zur "letzten Philosophie" würde ich sagen.' (Erste Pkil_ r, S. 385). - Im 'Nachwort' betont er: 'Vor einem öfters vorgekommenen Mißverständnis sei hier noch gewarnt. Wenn .gleich anfangs vordeutend gesagt wird, daß nach den !in den angekündigten weiteren Teilen des Werkes zu begründenden) Anschauun1
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betont ausdrücklich das transzendentale Wesen, wenn er schreibt: 'Überall muß ebenso die Wissenschaft von den reinen Möglichkeiten der Wissenschaft von den tatsächlichen Wirklichkeiten vorangehen und dieser als ihre konkrete Logik die Leitung geben. So wird es auch für die Transzendentalphilosophie sein, wenn auch die Dignität der Leistung des Systems des transzendentalen Apriori eine viel höhere ist.' 1 Erst von dieser eigentümlichen Bestimmung des Transzendentalen her wird der radikale Gegensatz zwischen dem Husserlschen und Heideggerschen Verständnis des Transzendentalen deutlich. Heidegger schreibt: 'Übereinstimmung ((zwischen Husserl und Heidegger)) besteht darüber, daß das Seiende im Sinne dessen was Sie (( = Husserl)) "Welt" nennen, in seiner transzendentalen Konstitution nicht aufgeklärt werden kann durch einen Rückgang auf Seiendes von ebensolcher Seinsart. - Damit ist aber nicht gesagt, das, was den Ort des Transzendentalen ausmacht, sei überhaupt nicht Seiendes - sondern es entspringt gerade das Problem: welches ist die Seinsart des Seienden, in dem sich"Welt" konstituiert? Das ist das zentrale Problem von Sein und Zeit d.h. eine Fundamentalontologie des Daseins. Es gilt zu zeigen, daß die Seinsart des menschlichen Daseins total verschieden ist von der alles anderen Seienden, und daß sie als diejenige, die sie ist, gerade in sich die Möglichkeit der transzendentalen Konstitution birgt. Die transzendentale Konstitution ist eine zentrale
Möglichkeit der Existenz des faktischen Selbst.' 1 Die 'transzendentale Konstitution' im Sinne Husserls ist aber nicht eine 'zentrale Möglichkeit der Existenz des faktischen Selbst', weil bei ihm die Transzendentalität von einem Begriff der Wesensmöglichkeit im Sinne der Ontologie - wenn auch in ihrer neuzeit, lichen Verwandlung - verstanden wird. 2 Die oben aufgezeigte Destruktion der Wesensmöglichkeit zur Möglichkeit, zum Spielraum- des faktisch vermeinenden Lebens hingegen läßt weder das Husserlsche noch das Heideggersche Verständnis des Transzendentalen begreiflich werden. Vielmehr wird Heideggers Verständnis nur deutlich auf Grund der Verwandlung des Verständnisses des Transzendentalen und der darin gründenden Veränderung des Verständnisses der Möglichkeit. 3 Diese Verwandlung kann hier nicht näher entfaltet werden. Es wird nur auf das unterschiedene Verständnis des Transzendentalen bei Husserl und Heidegger hingewiesen, um die Dimension aufzuzeigen, in der allein der Husserlsche Begriff des Transzendentalen verständlich wird, und um so diese Interpretation zu rechtfertigen. Nunmehr muß das Moment zur Sprache kommen, das zu dem oben Entfalteten in Spannung steht. Die Analogie zwischen der Wesen - Dies-da-Differenz und der von ihr vorausgesetzten Transzendentalität 4 deutete schon die Spannung an. Wenn 'die Erkenntnisse der "Möglichkeiten" der der Wirklichkeiten vorhergehen', 5 ,kann Wesen nicht im selben Sinn Gegenstand sein wie das Dies-da. Genau das betont aber Husserl: 'So wie das Gegebene der individuellen oder erfahrenden Anschauung ein individueller Gegenstand ist, so das Gegebene der Wesensanschauung ein reines Wesen. Hier liegt nicht eine bloß äußerliche Analogie vor, sondern radikale Gemeinsamkeit. Auch Wesenserschauung ist eben Anschauung, wie eidetischer Gegen~ stand eben Gegenstand ist. Die Verallgemeinerung der korrelativ zusammengehörigen Begriffe "Anschauung" und "Gegenstand"-
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gen des Verfassers alle radikal-wissenschaftliche Philosophie auf dem Fundament der Phänomenologie ruhe, daß sie in einem weiteren Sinne durchaus "phänomenologische Philosophie" sei, so sagt das nicht, daß Philosophie überhaupt und nur eine apriorische Wissenschaft wäre. Die Aufgabenstellung dieses Bandes, die einer Wissenschaft vom eidetischen Wesen einer transzendentalen Subjektivität, beschließt nichts weniger in sich als die Meinung, daß damit schon eine Wissenschaft von der faktischen transzendentalen Subjektivität geleistet sei. Schon der Hinblick auf die mathematischen Wissenschaften, die großen logischen InstrumentE' für ihnen entsprechende Tatsachenwissenschaften, müßte das Gegenteil voraussehen lassen. Tatsachenwissenschaft im strengsten Sinne, wahrhaft rationale Naturwissenschaft ist erst möglich geworden auf dem Grund der selbständigen Ausbildung einer reinen Mathematik der Natur. So wird es auch für die Transzendentalphilosophie sein, wenn auch die Dignität der Leistung des Systems des transzendentalen Apriori eine viel höhere ist.' ('Nachwort', S. I43). - In der Literatur hat schon früh Oskar Becker auf diese Eigentümlichkeit hingewiesen: s. Becker, 0., 'Die Philosophie Edmund Husseris', in: Kant-Studien XXXV, S. 140. - Wie die eigentümliche Unterscheidung der Verhältnisse 'Wesen - Dies-da' und 'transzendentales Wesen - Faktizität' zu begreifen ist, wird später aufgezeigt werden (s. unter S. 57 ff.). Hier geht es nur darum, auf eine Spannung in der Wesenslehre aufmerksam zu machen. 1 'Nachwort', S. 143.
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1 Biemel, W., 'Husserls Encyclopaedia-Britannica-Artikel und Heideggers Anmerkungen dazu', in: Tijdschrift voor Philosophie, Leuven 1950, 12, S. 274 ff. S 'Die alte ontologische Lehre, daß die Erkenntnis der "Möglichkeiten" der der Wirklichkeiten vorhergehen müsse, ist m. E., sofern sie recht verstanden"und in rechter Weise nutzbar gemacht wird, eine große Wahrheit.' (Ideen I, S. 194)· 3 'Es ist eine beliebte Manier, Heideggers Begriff des menschlichen Daseins als eine "Konkretisierung" des abstrakten Bewußtseinsbegriffes von Husserl zu erläu. terno Damit wird man beiden Denkern ungerecht.' (Fink, a.a.O., S. 154)·, 4 s., S. 21, Anm. 2 dieser Arbeit. 5 Ideen I, S. 194.
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2,5--,
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ist nicht ein beliebiger Einfall, sondern durch die Natur der Sachen zwingend gefordert.' 1 H usserl hat die von ihm behauptete D#ferenz von Wesen und Dies-da schon preisgegeben, wenn er beide Momente analog vergegenständlicht. Damit hat sich aber auch das Verständnis der Transzendentalität verwandelt. Sie kommt als eine solche in den Blick, 'die alles Sein nur als Gegenstand-sein begreifen läßt: 'Die Haltung der universalen phänomenologischen Reflexion ist '" eine solche universaler Vergegenständlichung: 2 Noch einmal sei der Gegensatz von Objektivismus und Transzendentalismus in Erinnerung gerufen. Es hatte sich gezeigt, daß der Empirismus alles Dingliche in Bewußtsein auflöste, so daß dieses sich als Datenfeld auswies. Die Dinge wurden zu assoziativen Komplexen, ihre Einheit und Ordnung reduzierte und destruierte sich in eine allein durch Gewohnheit sich bestimmende Regelung. Das Bewußtsein konnte sich aber damit nicht selbst begründen. Es wurde grundlos. 'Das Ende ist der absolute Bankrott aller Erkenntnis.' 3 Husserl fand in dieser Ausweglosigkeit allererst wieder Boden auf Grund der Freilegung des Wesens. Die Bedeutung des Rationalismus sieht Husserl gerade darin, daß er Bewahrer und Verteidiger 'ewiger Wahrheiten' ist. Er ist 'die Fortsetzung des Platonismus und des mittelalterlichen Realismus; also Feind aller nominalistischen Wegdeutungen der allgemeinen Ideen und jedweder wahrhaft rationalen Erkenntnis; Verteidiger der "ewigen" Wahrheiten und jeder erfahrungswissenschaftlichen Methode, die dem Empirischen Anteil an der reinen Rationalität verschafft und das vor allem in der vorbildlichen Gestalt der mathematischen Naturwissenschaft: 4 In der Formalen und transzendentalen Logik schreibt Husserl~ 'Das 18. Jahrhundert und die Folgezeit waren vom Empirismus oder besser Antiplatonismus so sehr bestimmt, daß nichts ferner lag als die Anerkenntnis idealer Gebilde als Gegenständlichkeiten ... Das ist für die neuere Geschichte der Transzendentalphilosophie und für die noch in den alten Vorurteilen so sehr befangene Gegenwart ein Punkt von größter Bedeutung. Nichts hat die klare Einsicht in den Sinn, in die eigentliche Problematik und Methode der echten Transzendentalphilosophie so sehr gehemmt als dieser Antipla1 Ideen I, S. 14/15. a Landgrebe, L., a.a.O., S. 34. a Erste Phil. I, S. 181. (Sperrung im Textt. 4 ebd., S. rfPz/83.
tonismus, der so einflußreich war, daß er alle Parteien, auch den' sich vom Empirismus losringenden Kant bestimmte.' 1 Wie gewinnt Husserl wieder Boden in der Ausweglosig-keit der neuzeitlichen Philosophie? Er legt zunächst das aller Erfahrung schon vorausliegende und diese allererst ermöglichende Wesen, also die Differenz von Wesen und Dies-da, frei. Das dem Dies-da Vorangehen wird selber von der Allgemeinheit her' begriffen. 2 Das vermeinende Ich müßte dann aber selber als ein' Allgemeines ausgelegt werden. Husserl begreift zwar das Voran-gehen als Allgemeines, hat es aber sofort im nämlichen Prozeß des Denkens wieder negiert, wenn das Allgemeine zum Charakteristikum des Gegenstandes Wesen geworden ist,3 so daß der Gedanke des Ich als Allgemeines gar nicht zur Entfaltung kommen kann. Das Wesen ist Gegenstand-für und somit auf Subjek-tivität, genauer: auf das je-meine Ich, bezogen. Genau deswegenbeginnt die Entfaltung der transzendentalen Subjektivität solipsistisch. Husserl muß somit nicht nur ein 'An-sich' im Sinneeines außer dem Vermeinen für sich Bestehenden ablehnen,~ sondern auch 'in einem Sinne, der auf ein transzendentales, "Jedermann" Beziehung hat: Er betont: 'Die Wahrheit ist mindest im Gebiete der fundamentalen "rein -egologischen" Phä-· nomenologie ... in keinem normalen Sinne mehr Wahrheit "an, sich", selbst nicht in einem Sinne, der auf ein transzendentales. "Jedermann" Beziehung hat. Zum Verständnis dieser Äußerung' erinnere ich daran ... , daß der systematische Aufbau einer transzendentalen Phänomenologie in der ersten und Grundstufe die Anderen nur als eingeklammerte "Phänomene" und, noch nicht als transzendentale Wirklichkeiten in Anspruch \ nehmen darf. So erwächst als diese Grundstufe eine merkwürdige' transzendental-solipsistische Disziplin als die an sich erste, die' wirklich transzendental-solipsistisch ist, mit Wesenwahrheiten, mit Theorien, die ausschließlich für mich, das Ego, gelten, alsO" die zwar ein für allemal,4 aber ohne Beziehung auf wirkliche undJ mögliche Andere zu gelten beanspruchen dürfen. Somit erwächst. 1 Formale und trans:rendentale Logik, S. 228/29. a Ideen I, S. 19; s. dazu S. 46, Anm. 5 dieser Arbeit. a s. z. B. Ideen I, S. 19. 4 In der Krisis -spricht Husserl von der 'allgemeinen Struktur' der Lebenswelt,.
die 'ein für allemal und für jedermann gleich zugänglich' festgestellt werden kann~ (ebd., S. 142).
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EINFÜHRUNG
auch die Frage einer subjektiven Logik, deren Apriori doch nur solipsistisch gelten darf.' 1 Die transzendentale Wahrheit für ein transzendentales Jedermann destruiert sich zu 'Wesenswahrheiten ... die ausschließlich für mich, das Ego, gelten', die aber selber als Wahrheit 'ein für allemal' begriffen werden; nur auf Grund der Wahrheiten 'ein für allemal' findet die Subjektivität Grund und Boden. Husserl würde sonst wiederum selber dem Antiplatonismus verfallen, vor dem er warnt. Wird jedoch die Spannung, in der dieser Wahrheitsbegriff steht, vergessen, so destruieren sich die 'Wesenswahrheiten ... , die ausschließlich für mich, das ego, gelten', zu bloßen Tatsachenwahrheiten der je faktischen Subjektivität - wie oben bereits angedeutet wurde. Die Subjektivität wird dann aber grund- und bodenlos. Nunmehr läßt sich genau bestimmen, was der Begriff des 'Spekulativen meint. Die Wesen - Dies-da Differenz (- Einheit) ist als transzendentale spekulativ. 2 Die Spannung zwischen dem spekulativen und empiristischen Moment der Husserlschen Philosophie beruht also darin, daß die Differenz von Wesen und Dies-da und ihre vorausgesetzte Transzendentalität behauptet (das Denken also spekulativ ist) und sogleich im nämlichen Prozeß des Denkens .dadurch negiert wird, daß ihre Momente vergegenständlicht werden (so daß das Denken dem Empirismus verfällt). Die Spannung von Transzendentalismus und Objektivismus, in die Husserl sein eigenes Ringen wie das der Neuzeit hineingestellt sah, verbirgt also selber eine Krise. Sie wird als Krise des Apriori begriffen, wobei das Apriori sich im Sinne Husserls sowohl als Wesen 3 wie als das Zusammen von Wesen und Transzendentalität 4 bestimmt. Husserl behauptet die Differenz von Wesen und Dies-da 5 und ihre vorausgesetzte Transzendentalität und negiert sie im näm-
lichen Prozeß des Denkens. Diese Negation zeigte sich nur im Resultat, daß sich nämlich Wesen und Dies-da zu bloßen Gegenständen des Vermeinens degradieren, so daß die Transzendentalität nur auf solche Vergegenständlichung hin vorstellig wird. Es soll nun in den folgenden Analysen .von der Widersprüchlichkeit der konstitutiven Momente des Husserlschen Wesens selber her aufgezeigt werden, daß das oben behauptete Resultat wirklich Resultat ist. Dieselbe Spannung zeigt sich auch im Husserlschen Verständnis des Verhältnisses von exaktem Apriori zu dem der Lebenswelt (und damit auch zwischen der technischen Welt und der Lebenswelt) und somit auch in seinem Begriff der Geschichtlichkeit, wie im Verlauf der Untersuchung deutlich werden wird. Diese Arbeit versucht ferner in ihrem abschließenden Kapitel freizulegen, wodurch der Widerstreit zwischen empiristischen und spekulativen Momenten in der Phänomenologie Husserls bedingt ist. Auf Grund der Zielstellung dieser Untersuchung ergeben sich die Einschränkungen des Themas. Sie entfaltet die Eigentümlichkeiten des Wesens nur so weit, wie es zum Verständnis des Transzendentalen notwendig ist.! Aufzuzeigen, wie sich der Widerstreit des Wesens in der Bedeutungslehre auswirkt, wird im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich sein. Die Probleme Apriorität und Zeitlichkeit, Apriorität und Wahrheit werden nicht erörtert. Schließlich bleibt die Konstitution der Intersubjektivität unberücksichtigt. Es sei noch besonders hervorgehoben, daß Husserl im Laufe seiner denkerischen Entwicklung immer wieder aufs neue und in vielfältiger Weise versucht hat, seine transzendentale Reflexion (die Reduktion) und damit seine Phänomenologie zu begründen. Diese vielfältigen Bemühungen sollen in der vorliegenden Arbeit nicht in ihrer historischen Abfolge referiert werden. Vielmehr ist ein sachlicher Gesichtspunkt leitend: Es wird der innere Zusammenhang von Wesen und Transzendentalität reflektiert. Nur in wenigen Kontexten der verschiedenen Arbeiten seines Gesamt-
Formale und transzendentale Logik, S. 238. 2 Zur weiteren Bestimmung der Spekulation s. S. 95 ff. dieser Arbeit. 3 'Wesensanalyse ist eo ipso generelle Analyse, Wesenserkenntnis auf Wesen, auf Essenzen, auf allgemeine Gegenständlichkeiten gerichtete Erkenntnis. Und hier hat auch die Rede von Apriori ihre legitime Stelle.' (Husserl, E., Die Idee der Phänomenologie. Funf Vorlesungen, Haag, I950, S. 5I). - Das Eidos 'definiert zugleich den ~inzigen der Begriffe des vieldeutigen Ausdrucks apriori, den wir philosophisch anerkennen. Er ausschließlich ist also gemeint, wo je in meinen Schriften von apriori ,die Rede ist.' (Formale und transzendentale Logik, S. 2I9). Es ist aber Ideen 111, S. 35 zU beachten. 1
Ideen 111, S. 35. Es wird auch kurz von der Differenz (-Einheit) Wesen - Dies-da gesprochen.
4,S.
5
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1 Eine ausführliche Analyse des Wesensbegriff der Logischen Untersuchungen wird daher nicht erstrebt. Wichtig ist, daß Husserl in dem Vorwort zur zweiten Auflage der Logischen Untersuchungen von sehr wesentlichen Unzulänglichkeiten dieser Schrift: 'wie der allzu einseitig nach den verites de raison orientierte Begriff der .,Wahrheit an sich" , spricht. (ebd., S. XII/XIII).
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EINFÜHRUNG
werkes wird Husserl sich der spekulativen Voraussetzungen der von ihm konzipierten Transzendentalität ausdrücklich bewußt; daß nämlich die Wesen - Dies-da Differenz-Einheit eine transzendentale ist und so den Rückstieg in die Transzendentalität erzwingt, daß also umgekehrt die Transzendentalität der WesenDies-da Differenz-Einheit verpflichtet bleibt. (Husserl vergißt freilich im Denken sein Denken, indem er sogleich die Voraussetzungen seiner Reflexion im Reflektieren negiert). Auf diese (wenigen) Kontexte weist die vorliegende Arbeit hin und gründet auf sie ihre Interpretation und Kritik.
ERSTER TEIL
DAS WESEN UND DIE TRANSZENDENTALITÄT
ERSTES KAPITEL
DIE DIFFERENZ-EINHEIT VON WESEN UND DIES-DA
Der neuzeitliche Kampf zwischen Objektivismus und Transzendentalismus gründet im Wesen selber, insofern seine Differenz. zum Dies-da eine transzendentale ist. Später wird sich zeigen, daß das Wesen sich in exaktes und lebensweltliches Apriori differenziert, so zwar, daß das Differenzierend-einigende die Transzendentalität ist. Zuvor muß aber der Husserlsche Begriff des Apriori schlechthin in den Blick kommen. Im Ersten Teil dieser Arbeit soll daher versucht werden, das Wesen des Wesens ohne nähere Unterscheidung von exaktem und lebensweltlichem Wesen zu enthüllen; daß dieses berechtigt ist, muß die Analyse selber erweisen. Zunächst werden die Grundmomente der Differenz-Einheit von Wesen und Dies-da entfaltet, so wie Husserl sie in den Ideen dargelegt hat. Daß dieselben Grundmomente auch in der Wesenslehre der Spätlehre Husserls bestimmend sind, soll hernach gezeigt werden. §
I.
DIE GRUNDMOMENTE DER WESENSLEHRE DER 'IDEEN'
(A) Das 'insofern' zweier Einstellungen Wesen ist' das im selbsteigenen Sein eines Individuums als sein Was Vorfindliche.' 1 Vorfindlich heißt: vorfindlich für jemanden. Die Wesenheiten können nun mit anderen eine Einheit begründen oder nicht. Husserl bezeichnet die Wesen als 'unselbständig' oder 'abstrakt', die nur in der Einheit mit anderen bestehen. So ist z.B. die sinnliche Qualität ein 'Abstraktum'; sie weist ja notwendig auf irgendeine Differenz von Ausdehnung hin. Wesen, die mit anderen Wesen keine Einheit eingehen, also in diesem Sinn absolut selbständig sind, nennt Husserl 'Konkreta'. 2 1 S
Ideen I, ebd., §.
s. 13. 15.
DAS WESEN UND DIE TRANSZENDENTALITÄT
DAS WESEN UND DIE TRANSZENDENTALITÄT
Wesen ordnen sich vor allem in die Einheit einer Stufenfolge von Generalität und Spezialität, nach unten gelangen wir zu den niedersten spezifischen Differenzen (den eidetischen Singularitäten), emporsteigend zur obersten Gattung. 1 Nunmehr läßt sich ,der Begriff der Region streng definieren: 'Region ist nichts anderes als die gesamte zu einem Konkretum gehörige oberste Gattungseinheit, also die wesenseinheitliche Verknüpfung der obersten Gattungen, die den niedersten Differenzen innerhalb des Konkretums zugehören.' 2 'Der Inbegriff der im regionalen We.sen gründenden synthetischen 3 Wahrheiten macht den Inhalt ,der regionalen Ontologie aus.' 4 Das Was als das im Dies-da V or/indliche muß nun darüber Auskunft geben, was Individuum meint. Ein Individuum heißt -<ein Dies-da, dessen sachhaltiges Wesen ein Konkretum ist.' 5 Es ist aber nun zu beachten, daß das sinnlich Erfahrene ein Individuelles ist,6 so daß sein Was, das als Was und nur als sol,ches in entsprechender Schau in den Blick kommt, ein Konkretum ist. Es muß also ein Grund aufzeigbar, sein, weswegen ~as erfahrbare Dies-da ein Individuum ist. In der Ideation kann ein ~solcher nicht sichtbar werden, denn in ihr habe ich nur das Was ,als Was im Blick und nicht das hier befragte Zwischen als Differenz von Wesen und Dies-da, d.h. von prius und posterius. Erst recht ist in der sinnlichen Wahrnehmung ein Grund dafür nicht zu sehen: ihr ist ja das Individuelle schon vorgegeben. Das Dies-da kann aber dann nicht nur als Individuelles gesetzt sein; es muß vielmehr vorgängig zu seinem Individuellsein schon als posterius ,auf sein prius (schon als Dies auf sein Wesen) bezogen sein, soll ein Individuelles vorfindlich sein können. Mit anderen Worten, es muß hier eine 'Folge-Beziehung' 7 bestehen. Nach Husserl besagt ·das aber: das Dies-da ist Individuell-Erfahrbares, insofern es .diesseiender Verhalt ist, insofern es posterius seines prius (Dies
seines Wesens) ist, ist es Letztes der Wesensreihe 1; d.h. der Bezug vom posterius zum prius ist Wesensverhalt, also nur die Vereinzelung einer Wesensallgemeinheit. Auf diese Weise wird es möglich, trotz der sich oben anzeigenden Dialektik, die undialektische Bestimmung des Wesens als Konkretum und Abstraktum anzuwenden.
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(B) Exkurs. Wesen, Einzelnes, Dies-da, Dasein
Es muß zwischen dem Wesen und dem Individuellen unterschieden werden. Das Individuelle ist zunächst das gesetzte Individuelle, das Dies-da, das nur konstatiert werden kann und damit tatsächlich ist. Wenn wir aber sagen, daß jedem Individuellen ein Wesensbestand als sein Wesen zugehört,2 wie umgekehrt jedem Wesen mögliche Individuen entsprechen,3 so ist das Individuelle nicht als Dies-da, als Tatsächliches, gesetzt, sondern es ist der eidetische Zusammenhang zwischen individuellem Gegenstand und Wesen vorstellig; d.h., das Individuelle ist als Dies-Besonderung seines Wesens, aber frei von seiner Dieses-Setzung im Blick. Das Individuelle kann aber auch frei von seiner Dies-Besonderung und damit auch frei von der Dieses-Setzung (Husserl schreibt: 'unvermischt mit Setzungen von Individuellem' 4), rein als Einzelheit seines Wesens im Modus des 'überhaupt', betrachtet werden. Vom, Wesen ist also das Individuelle als Einzelnes seines Wesens, 'unvermischt mit Setzungen von Individuellem', zu unterscheiden. Dieses wird an den beiden Urteilen deutlich. 'Das Wesen (die "Gattung") Farbe ist ein anderes als das Wesen (die "Gattung") Ton' 5 und 'eine Farbe überhaupt ist verschieden von einem Ton überhaupt ... Ein Einzelnes vom Wesen Farbe und
1 s. Ideen I, S. 19/20; zum Begriff der Notwendigkeit s. S. 34 ff. dieser Arbeit.
s. Ideen I, S. 13; S. 35. s. ebd., S. 13; S. 33/34. ebd., S. 18. - Das Individuelle meint also ein Doppeltes: (a) Individuelles als Einzelnes seines Wesens, (b) dieses Individuelle. Es geht hier um eine Unterscheidung, die vor allem von den Skotisten des Mittelalters diskutiert wurde. Der skotistische Begriff des Singulären meint wohl auch diese Doppeltheit: das Individuelle und dieses Individuelle (= haecceitas). s. Kraus, J., Die Lehre des ]ohannes Duns Skotus OFM flon der natura communis, (Studia Friburgensia), Freiburg 1927; Nink, C., Ontologie, Freiburg 1952, S. 49 ff. S Ideen I, S. 19. 2
Ideen I, S. 31. I ebd., S. 37. 8 Synthetische Wahrheiten apriori sind solche, die im Gattungswesen gründen und nicht bloße formal-logische Besonderungen formal-ontologischer Wahrheiten .sind (= analytische Wahrheiten). (s. Ideen I, S. 37). 4 ebd., S. 38. $ ebd., S. 36. 'Die Begriffe sind gegenüber denen der "Log. Unters", etwas ..modifiziert.' (s. ebd. Anm.). e s. ebd., S. 12. 7 Zum Begriff 'Folge' s. ebd., S. 19/20. 1
3 4
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DAS WESEN UND DIE TRANSZENDENTALITÄT
DAS WESEN UND DIE TRANSZENDENTALITÄT
ein Einzelnes vom Wesen Ton ist intuitiv "vorstellig" und zwar als Einzelnes seines Wesens.' 1 Es ist also das Individuelle als Einzelnes seines Wesens, 'unvermischt mit Setzungen von Individuellem', oder, um es deutlicher zu sagen, frei von seiner Dies-Besonderung und Dieses-Setzung, zu unterscheiden von dem Individuellen, frei von seiner DiesesSetzung. Davon ist aber wiederum 'die Einschränkung auf eine Daseinssphäre' abzuheben, so daß von einem 'empirischen Umfang' 2 gesprochen werden kann. Wodurch wird aber nun die Unterschiedenheit des unterschieden Vorstelligen ermöglicht? Durch die verschiedenen 'Blickwendungen' . Wenn das als Dies gesetzte Wirkliche als Dieses vorstellig ist, ist es als tatsächliches im Blick; 3 wenn der Sachverhalt als Dies-Besonderung (Vereinzelung) seines Wesens vorstellig ist, wird ein eidetischer Zusammenhang thematisch. 4 Von dieser 'Blickwendung' ist die 'Blickwendung' vom Wesen zum Einzelnen als Einzelnem seines Wesens unterschieden.5
insofern es als Wirkliches gesetzt ist, sondern in dem Einzelnen, insofern es Vereinzelung seines Wesens ist.! Was meint das 'insofern'? Jeder Besonderung wie Vereinzelung liegt eine Differenz als Indifferenz zugrunde, doch so, daß trotz Indifferenz Identität waltet; genau dieses spricht der Begriff des 'insofern' aus. 2 Dieses sei an einem Beispiel verdeutlicht, an dem in dem Urteil: 'Das Tier ist ein Lebewesen' ausgedrückten Sachverhalt. Das Lebewesen ist nicht als Lebewesen schon Tier; es könnte auch Pflanze sein. Umgekehrt ist aber das Tier, eben als Besonderung (sofern es Besonderung des Lebewesens ist), notwendig ein Lebewesen. Ein analoges - wohlgemerkt analoges Verhältnis besteht zwischen dem Wesen und Einzelnen. Es ist noch zu beachten, daß nach Husserl Wesensallgemeinheit und Wesensnotwendigkeit Korrelate sind. 3 Weiter schreibt er: 'Die ausgesprochenen Sätze über die Verhältnisse zwischen Allgemeinheit, Notwendigkeit ... können auch allgemeiner gefaßt werden, so daß sie für beliebige und nicht nur für eidetische Sphären gelten. Offenbar gewinnen sie aber in der eidetischen Begrenzung einen ausgezeichneten und besonders wichtigen Sinn.' 4 Es unterscheidet sich nun die Wesensallgemeinheit von der empirischen Allgemeinheit. Die letztere setzt nämlich das Dasein schon voraus, während umgekehrt das Dasein das Wesensallgemeine voraussetzt. Ist also die Allgemeinheit eine streng eidetische, so auch die Notwendigkeit; ist die Allgemeinheit eine empirische, so auch die Notwendigkeit. Wie setzt aber das Dasein das Wesen voraus? In den Ideen III bestimmt Husserl das Wesen als den Rahmen, an den die Erfahrung je schon gebunden ist. Diese Bestimmung ist zwar schon in den Ideen I grundgelegt, doch zeigt sich eine Spannung zwischen dem Wesensverständnis der Ideen I und dem der Ideen III, die erst später herausgestellt werden soll.5 Wir entfalten zunächst weiterhin die positiven Momente der Wesenslehre der Ideen. Aufs
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(C) Der Begriff der Notwendigkeit
Die Sache selber ist nach Husserl in Gattung und Art wie auch in Wesen (Art) und Dies-da gegliedert. Notwendig setzt das Seiende (das Dies-da) sein Wesen voraus; d.h. in eins mit dem Wesen muß sich das zeigen, was Notwendigkeit meint. Notwendigkeit bezeichnet nun nach Husserl die Beziehung zwischen dem Wesen und seinem Seienden (bzw. zwischen der Gattung und ihrer Art.) 'Jede eidetische Besonderung und Vereinzelung eines eidetisch allgemeinen Sachverhaltes heißt, sofern sie das ist, eine Wesensnotwendigkeit.' 6 Besonderung meint das Verhältnis zwischen Gattung und Art, Vereinzelung die Beziehung zwischen dem Wesen (der Art) und seinem Einzelnen (hier ist vor allem das Dies-da gemeint). Daß dieser wirkliche Körper den Gesetzen, die apriori mit seinem Körpersein gegeben sind, entspricht, ist nicht ein Faktum; das Entsprechen gründet nicht in dem Einzelnen, 1 Ideen I, 2 ebd., S. 3 ebd., S. 4 ebd. 5 ebd., S. 6 ebd., S.
S. 18. 34. 20.
18/19, 19.
s. Ideen I, S. 20. Unter anderen Voraussetzungen, die hier nicht zu diskutieren sind, wird dieses vor allem im Skotismus erörtert; nämlich als das Problem der communitas naturae; es werden zwei Erklärungen vorgetragen: (I) die communitas per inexistentiam und (2) die communitas indifferentiae negativae. Unter wieder anderen Voraussetzungen diskutiert Hegel dieses Problem in der Phänomenologie des Geistes. 3 Ideen I, S. 19. 4 ebd., S. 20. o s. unten S. 44 ff. dieser Arbeit. 1
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DAS WESEN UND DIE TRANSZENDENTALITÄT
neue sei unter anderem Gesichtspunkt auf das Verhältnis von Wesen und Dies-da hingewiesen. Husserl gewinnt den Zugang zur , Differenz von Wesen und Dies-da von den unterschiedenen Weisen des Vermeinens, wie sich vor allem in dem Exkurs zeigte. Das Verhältnis von Wesenserkenntnis und Tatsachenerkenntnis wirft daher neue Probleme auf.
(D) Wesenserkenntnis - Tatsachenerkenntnis Husserl unterscheidet streng zwischen dem, was in der sinnlichen Erfahrung, und dem, was in der Wesensschau vorfindlich ist,l zwischen Tatsache und Wesen. 2 'Reine Wesenswahrheiten enthalten nicht die mindeste Behauptung über Tatsachen.' 3 Andererseits besteht doch eine Aufeinanderbeziehung von Wesenserkenntnissen und Tatsachenerkenntnissen. Wesenserkenntnisse können aber als solche nicht auf Tatsachenerkenntnisse bezogen sein; denn dann wäre ja die Unterschiedenheit von Wesen und Tatsache beseitigt. Es muß also ein prius-posterius Verhältnis walten, derart, daß zwar alle Wesenserkenntnisse prinzipiell frei sind von allen Tatsachenerkenntnissen, nicht aber umgekehrt die Tatsachenerkenntnisse rein von eidetischen Erkenntnissen. Von den Wesenserkenntnissen her gesehen besagt das, daß sie nicht nur frei von den Erkenntnissen des Faktischen sind, sondern diesen 'vorangehen',4 so daß die Wesenslehre als die konkrete Logik die Leitung übernimmt. 5 Sollen aber prius und posterius nicht doch wieder zu einem bloßen Zueinander werden, so kann das Dies-da und seine Gewahrung nicht nur posterius seines prius, es muß vielmehr posterius seines prius-posterius, also Drittes sein. Die Aufeinanderbeziehung von Wesenswissenschaften und Tatsachenwissenschaften setzt also selber schon einen nicht tatsächlichen Zusammenhang zwischen individuellem Gegenstand und Wesen (wie auch zwischen empirscher Typik und 1 'Das Wesen (Eidos) ist ein neuartiger Gegenstand. So wie das Gegebene der individuellen oder erfahrenden Anschauung ein individueller Gegenstand ist, so das Gegebene der Wesensanschauung ein reines Wesen.' (Ideen I, s. 14·)' 2 ebd., S. I6. 3 ebd., S. I7. 4 'Überall muß ebenso die Wissenschaft von den reinen Möglichkeiten der WiSSenschaft von den tatsächlichen Wirklichkeiten vorangehen .. .' ('Nachwort', S. I43) s. ferner Ideen IH, S. 56; Ideen I, S. z94; Cartesianische Meditationen, S. I06. 5 s. 'Nachwort', S. J43; ferner Ideen I, S. 23·
DA~ WESEN UND DIE TRANSZENDENTALITÄT
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apriorischer Gesetzlichkeit) voraus und ist allein durch ihn begründet. l §:öl. DIE WIDERSTREITENDEN MOMENTE IN DER
WESENSLEHRE DER 'IDEEN'
(A) Die widerstreitenden Momente in der Bestimmung der Differenz von Wesen und Individuum Im § r (r, A) wurde dargelegt, daß das Dies-da, das in der Erfahrung als Individuell-Tatsächliches gesetzt ist, schon vorgängig zu seinem Individuellsein als Dieses auf sein Wesen bezogen sein muß, soll es selber Individuelles, das in der Erfahrung vorfindlich ist, sein können. Es muß also mit anderen Worten posterius seines prius-posterius, also Drittes und als solches Folge (= Resultat) sein. Solche Folge kann aber dann nicht als bloße Vereinzelung (Besonderung) begriffen werden. Husserl muß einerseits auf Grund seines Ansatzes von einer Folge im Sinne des Resultates sprechen, andererseits aber seinen eigenen Ansatz wiederum negieren, weil er die Folge eben nicht als Drittes (= als Resultat) anerkennen kann. Das Dritte als Resultat ist im Horizont des Husserlschen Denkens genau wegen jener Wesenslehre unmöglich, die andererseits das Dritte verlangt. 'Das Wesen (Eidos) ist ein neuartiger Gegenstand.' 2 Die Wesenheiten sind dadurch gekennzeichnet, daß sie entweder mit anderen Wesenheiten eine Einheit begründen oder nicht. Sie ordnen sich als Teile in vielfacher Hinsicht in Ganzheiten ein. 3 Das Dies-da kann sich aber dann nur dadurch als posterius seines Wesens behaupten, daß es sich zum Letzten der Wesensreihe und in diesem Sinn zum Vereinzelten destruiert. 4 Anderseits macht Husserl aber eine Wesensaussage über 1 Husserl schreibt so: 'Daß ein Wirkliches im Raume derartigen Wahrheiten entspricht, ist nicht ein bloßes Faktum, sondern als Besonderung von Wesensgesetzen eine Wesensnotwendigkeit. Tatsache daran ist nur das Wirkliche selbst auf das die Anwendung gemacht wird.' (Ideen I, S. 2Z). ' a ebd., S. Z4. 3 ebd., S. 3Z!3:öl. 4 In einem Spätmanuskript schreibt Husserl: 'Jede Auslegung des Individuellen führt ~uf Typisches, aber das Individuelle ist letzte Grenze der Typik, untere Grenze '" (Ms. KIll 6, S. usa). Genau wegen des oben Entfalteten muß Husser! die 'Generalisierung' als 'logische Ableitung' bestimmen. Das Individuum ist dann 'de~ rein logisch geforderte Urgegenstand, das rein logisch Absolute, auf das alle logischen "Ableitungen" zurückweisen.' (Ideen I, S. 36).
DAS WESEN UND DIE TRANSZENDENTALITÄT
DAS WESEN UND DIE TRANSZENDENTALITÄT
Individuelles, wenn er es eben als ein Dies-da begreift, dessen sachhaltiges Wesen ein Konkretum ist. Das setzt aber voraus, daß das Individuelle, das in der Erfahrung vorfindlich ist, schon vorgängig zu diesem Vorfindlichsein als Dieses und nicht als Letztes in der Wesensreihe auf sein Wesen bezogen ist. Die Verlegenheitslösung: Das Zwischen von Wesen und Dies-da wird zum 'insofern' zweier Einstellungen. Das gelingt aber nur durch Erhöhung bzw. Erniedrigung des Dieses; also: das Dies-da, das wir erfahren, 'der als wirklich gesetzte Sachverhalt', ist eben Individuell-Tatsächliches als solches Dies-da, insofern es als ein solches gesetzt ist. Der wirkliche Sachverhalt ist indes als auf sein Wesen bezogener vorstellig nicht durch das Dies, sondern als Letztes seines Wesens und in diesem Sinn als Vereinzeltes.! Die Wirklichkeit wird also gespalten in Dies-da und Vereinzeltes (Letztes) seines Wesens. Das Dritte ist gewissermaßen diese Spaltung. Die Aussage: 'Ein Dies-da, dessen sachhaltiges Wesen ein Konkretum ist, heißt ein Individuum' 2 kann sich nur in der Negation ihrer Voraussetzung, nämlich Wesensaussage über das Dies-da (das in der Erfahrung Vorfindlich ist) zu sein, behaupten; statt das Dies-da auf sein prius zu beziehen, hat sie nur noch ein Dies als Letztes der Wesensreihe im Thema. Das Husserlsche Konkretum will auf ein Dies-da bezogen sein; es muß aber - eben als so gefaßtes Konkretum - sich dieses Bezuges versagen. Wirklichkeit und Wesen werden zu verschiedenen Komplexionen - das ist das Resultat der Husserlschen Wesenslehre. Dann ist es kein Wunder, wenn diese Scheidung sich weiter destruiert und Wesen zur 'reinen Möglichkeit', zu einem 'Reich der Unwirklichkeiten' wird, zu einem Typus, der 'in der Luft absolut reiner Erdenklichkeiten', 'aller Faktizität enthoben', 'schwebt', wie Husserl in den Cartesianischen Meditationen betont. 3
erkennbar sein, was Tatsache meint. Husserl betont: 'Sagten wir: jede Tatsache könnte "ihrem eigenen Wesen nach" anders sein, so drückten wir damit schon aus, daß es zum Sinn jedes Zufälligen gehört, eben ein Wesen, und somit ein rein zu fassendes Eidos zu haben:! Darin liegt, daß wir, wollen wir das Dies-da als Tatsächliches erkennen, zurückfragen müssen vom Dies-da auf die Vereinzelung seines Wesens; gilt doch der Satz: 'Daß ein Wirkliches im Raume derartigen Wahrheiten entspricht, ist nicht ein bloßes Faktum, sondern als Besonderung von Wesensgesetzen eine Wesensnotwendigkeit.' 2 Ferner: 'Anders-seinkönnen' meint offensichtlich das Verhältnis vom Dies-da, das wir erfahren, zu seiner vorausgesetzten Vereinzelung. So schreibt Husserl bezüglich der Naturgesetze: 'Solche Gesetze drücken doch nur faktische Regelungen aus, die selbst ganz anders lauten könnten und die schon voraussetzen, als zum Wesen von Gegenständen möglicher Erfahrung von vornherein gehörig, daß dergleichen von ihnen geregelte Gegenstände an sich selbst betrachtet zufällig sind.' 3 Das 'Anders-sein-können' setzt somit die Vereinzelung schon voraus und diese ist Leitfaden seiner Erkenntnis. Das Einzelne wird dann nur von seiner Vereinzelung, anders formuliert, das Dies-da nur von seinem Dies-sein und nicht umgekehrt das Dies-sein von seinem Dieses-da her begriffen. Nach Husserl ist indes das Dieses nur im 'Raum-Zeit-Koordinatensystem' bestimmbar. 4 'Die fundierenden Erkenntnisse des Erfahrens setzen Reales individuell, sie setzen es als räumlich-zeitliches Daseiendes.' 5 Leitfaden des Anders-sein-könnens ist nicht die Vereinzelung, sondern das Vereinzelte in seiner mannigfaltigen Variationsmöglichkeit im Raum-Zeit-Zusammenhang. 6 Die . Methode der Wesenserkenntnis ist die Variation. 7 Die Betonung dieses zuletzt aufgezeigten Momentes führt aber nicht zur Preisgabe des Wesens. Es wird sich vielmehr zeigen, daß das von Husserl konzipierte Wesen das Resultat seiner widerstreitenden Momente ist.
(B) Die widerstreitenden Momente in der Bestimmung der Wesenserkenntnis - Tatsachenerkenntnis
Die Wesenserkenntnisse gehen den Tatsachenerkenntnissen voran. Also muß doch vom Wesen her allererst bestimmbar und
1 2
3 4
Ideen I, S. 20. ebd., s. 36. Cartesianische Meditationen, S.
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1 S. 2
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Ideen, I S. 12. ebd., S. 2r. ebd., S. 12. s. dazu S. 50 f. diese Arbeit. Ideen I, S. 12. ebd., S. 20. ebd., S. 13.
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DAS WESEN UND DIE TRANSZENDENTALITÄT
§ 3. DIE GRUND MOMENTE DES WESENS IN DER
SPÄTLEHRE UND IHR WIDERSTREIT
Auch in der Spätlehre Husserls zeigen sich die oben aufgezeigten Grundmomente des Wesens und ihr Widerstreit. Es sei noch einmal an den Wesensbegriff der Ideen erinnert: 'Alles zum Wesen des Individuums Gehörige kann auch ein anderes Individuum haben und oberste Wesensallgemeinheiten der Art ... umgrenzen "Regionen" oder "Kategorien" von Individuen.' 1 Wie umgrenzen sie die Individuen? Wesen bezeichnet eine' einzigartige Auszeichnung'; 'es bezeichnet einen kategorialen (oder wie wir besser sagen, regionalen) Rahmen für jeden zu einer Erfahrung solcher Grundart gehörigen und möglichen Sinn, einen Rahmen, an den als eine notwendige Form alle Näherbestimmung eines in irgendwelcher Erfahrung unbestimmt gesetzten Gegenstands apriori gebunden ist.' 2 Solche 'Regel' ist aller empirischen Regel schon vorgeordnet. Auch in der Spätphilosophie betont Husserl, daß Wesen das in Vielen Enthaltene meint, so daß das, was einem Individuum als sein Was zukommt, auch anderen derselben Region zukommt. Husserl hebt nämlich hervor: 'Ein Allgemeines von diesem Ding ist identisch dasselbe, ist Seiendes, das zugleich Allgemeines von anderen Dingen ist, von allen die Linden sind. Keine dieser Linden hat eine Eigenschaft mit einer anderen gemein, aber alle sind sie Linden, sie sind einzelne Dinge desselben Allgemeinen. So für jede Allgemeinheit. Jede Allgemeinheit in ihren eigenen Auslegungen bezeichnet eine allgemeine Regel (ein Gesetz) für die Eigenschaft jedes als Einzel-Ding unter ihr Stehenden, an ihr "Anteil" habenden.' 3 Jeder 'konkrete Begriff' 'trägt in sich das allgemeinere Formale', 4 'd.h. Linde, diese konkret allgemeine ist nicht eine Eigenschaft, sondern eine allgemeine Form, eben ein Allgemeines für alle Eigenschaften dieser Linde. Deren Eigenschaften sind als die, worin diese eben diese ist, selbst Diesheiten.' 5 Die Linde ist aber nun offensichtlich ein 'konkret Allgemeines' Ideen I, s. 13. a Ideen III, S. 33. 3 Ms. K III 6, S. 138b (1934-1936). 1
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ebd., S. 138 a. ebd.
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(anders formuliert: ein empirischer Begriff), so daß wir zum 'obersten Allgemeinen' aufsteigen können, 'von Linde bis zu Pflanze - von Neger etc. zu Mensch'. 1 Meint' aufsteigen', daß wir in fortschreitender Verallgemeinerung des 'konkret Allgemeinen' schließlich das 'oberste Allgemeine' gewinnen? Das würde aber' besagen, daß das 'oberste Allgemeine' selbst wiederum nur eine empirische Regel beinhaltet. Husserl betont indes, daß das" oberste 'Allgemeine', etwa 'Ding', nicht ein Allgemeines meint,. daß der Erfahrung abgeschaut ist, sondern daß selbst der Erfahrung apriori seine Regel vorschreibt, daß es also - in der Sprachweise der 'Ideen' - 'einen Rahmen für jeden zu einer Erfahrungsolcher Grundart gehörigen und möglichen Sinn' 2 bezeichnet. Husserl schreibt nämlich: 'Vielleicht ist die Besinnung über die Art dieser Allgemeinheit der "obersten Allgemeinheit")) gegenüber den gewöhnlichen empirischen Allgemeinheiten nicht so unnütz.' Wie immer nämlich die Realitäten in ihrem Faktum verschieden sein mögen und wie sie sich 'als verharrende Substanzen bewegen und verändern mögen (darin eben identisch verharrend)', sie sind notwendig gebunden 'an ontologische, an apriorische " Regionen" . Daß in der Welt Naturobjekte sind, kann nicht Erfahrung lehren. Wenn wir fragen, was Erfahrung lehrt, haben wir schon als Voraussetzung dieser Frage die Welt als Fragehorizont und darin notwendig und unbefragt Dinge. Alles Reale steht jedenfalls unter diesem Apriori: daß es eine" Körperlichkeit hat mit allem ontologisch Dazugehörigen, das. eben herauszufalten, zu beschreiben ist. Und so hinsichtlich organischer Wesen, Mensch, Tier.' 3 Das Empirische ist aber nur dann je schon von seiner vorausgesetzten Regel bestimmt, wenn es Resultat ist, wie sich früher zeigte. Die Unterordnung des empirisch Allgemeinen unter die apriorische Regel kann also nicht als Klassifikation begriffen werden. Husserl hebt daher die von ihm geforderte Unterschei~
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Ms. KIll 6, S. 138a. Ideen III, S. 33. 3 Ms. K III 6, S. 240 a. - Bezüglich der Deskription der Seele schreibt Husserl: 'Demnach ist die Deskription der Seele überhaupt die Auslegung des seelischen Apriori, als Frage-Horizontes, in dem vorweg alle besonderen Seelen-Fragen gehalten sind, genauer: all das empirisch Faktische und die empirische Typik angehenden Fragen ist das nach einer näheren Bestimmung dieser ontologischen Form; Näherbestimmung der Seele besagt, es hat schon Anteil an allen ontologischen See1enbestimmungen, aber es fehlt die Besonderung.' (ebd.). 1
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"dung von empirischer und apriorischer Regel genau wiederum ,dadurch auf, daß er die Unterordnung dieser unter jener als Klassifikation bestimmt. 'Das "Selbstverständliche" der Systematisierbarkeit unter höhere Begriffe bis hinauf zum Begriff Ding enthüllt sich als ein Weltgesetz der Klassifizierbarkeit. Alle Wandlungen der Dinge sind gebunden durch die Kausalität der Klassen,! die in allen Änderungen in allem Entstehen und Vergehen durchströmt werden müssen.' 2 Husserl negiert seine eigene Wesenslehre, indem er den bloßen Dualismus apriori-aposteriori behauptet und so die 'Trinität' beseitigt. Bezüglich des Verhältnisses Wesen - Dies-da besagt das, daß das Dies-da untere Grenze des Allgemeinen ist. 'Der Typus hat einen Umfang besonderer und allgemeiner Typen, in denen Einzelnes auffaßbar ist, und die schon horizonthaft mitgelten ,einen offenen Horizont von Allgemeinheiten. Jede Auslegung des Individuellen führt auf Typisches, aber das Individuelle ist letzte Grenze der Typik; untere Grenze, das Individuum, dem die einmalige zeit-räumliche Stelle zukommt; nach oben in den Allgemeinsheits-Horizonten invariante oberste Allgemeinheiten, die formalen eines jeden Einzelnen.' 3 Wirklichkeit und Wesen sind ,gewissermaßen unterschiedene Komplexionen. Das Dies vermittelt nicht das Wesen mit dem Dies-da, sondern das Dies ist Dies seines Da. 'Die Diesheit des Dinges ist die seines Daseins in der ,Zeit als während in einer Zeitstelle, die die des Dinges ist, die seiner Dauer in der universalen Koexistenz der Dauern, mit dem dazu Gehörigen nach Simultaneität und Sukzessivität.' 4 Der Wirklichkeitsbereich unterscheidet sich vom Wesensbereich als eine andere Komplexion. Der Text fährt nämlich fort: 'Das All-gemeine dieses Dinges hat auch eine Seinsweise, nicht die eines Dinges, sondern eben ein Allgemeines.' 5 Das Allgemeine fügt sich ein in eine universale Komplexion, so daß die 'obersten Allge·meinheiten' 'miteinander verschwistert' 6 sind in einer universa-
len 'regionalen Begrifflichkeit', in der die Welt absolut verharrt. 1 Das Verhältnis von Wesen und Einzelnem wird durch die Begriffe Teil, Gruppe (bzw. Ganzheit) bestimmt. 2 'Einzelheiten sind Einzelheiten von Gruppen, Teile von Gruppen. Alle Gruppen, alle Ganzen selber wieder Einzelheiten, umspannt von der Totalität der Totalitäten: Welt,3 die keine Einzelheit ist, nicht mehr wiederholbar ist, ein Typus der einzig ist und alle Typen in sich hat, Alleinheit in Unendlichkeit.' 4 Die behauptete Differenz-Einheit von Wesen und Dies-da wird dadurch wiederum negiert, daß das Dies-da nicht als Drittes, nicht als posterius seines prius-posterius begriffen wird. Das Resultat: das Wesen wird im selben Sinn zum Gegenstand wie das Dies-da,5 Wesen und Dies-da werden zu bloßen Komplexionen. Wird der Widerstreit vergessen, so destruieren sich notwendig diese Komplexionen zu bloßen komplementären Bestimmungen. N. Hartmann hat diesen Schritt vollzogen, indem er das Allgemeine zur allgemeinen Gesetzlichkeit des 'Da' bestimmt, in dem Sinne, daß das Dasein sein Sosein wie das Sosein sein Dasein ist. Wesen und Dasein wird zum Dasein und Sosein (man beachte die Umkehrung!); ihre Differenz-Einheit ist damit weggebracht und zur bloßen Trennung des Denkens degradiert. 'Diese Trennung aber gibt es nur im Denken, in der Realität besteht sie nicht. Hier ist vielmehr alles Sosein von etwas zugleich auch das Dasein von etwas (wenn schon nicht desselben), und alles Dasein von etwas zugleich Sosein von etwas.' 6 Das Denken wird grund-los. Husserl indes betont, daß alle Realitäten 'notwendig gebunden sind an ontologische apriorische "Regionen.'" 7 Die Wesenslehre Husserls ist vielmehr das Zusammen der widerstreitenden Momente.
1 Der Begriff 'Klasse' ist hier wohl nicht im strengen Sinn als bloßer Umfangs· begriff gemeint: unsere Argumentation stützt sich nicht auf den Gegensatz Umfangsverhältnis-Inhaltsverhältnis, sondern auf die Eigentümlichkeit solcher UmfangsInhaltsbetrachtung als Klassifikation. 2 Ms. K III 6, s. 141 b. 3 ebd., S. 125 a. 4 ebd., S. 138 b. 5 ebd. 6 ebd., S. 139 b. Genau dieses zeigt sich schon in den Ideen bei der Bestimmung .des Wesens als Abstraktum und Konkretum. (s. dazu oben S. 31 dieser Arbeit).
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1 S. Ms. K III 6, S. 139 b. s. auch Ideen I, S. 31.
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Zum Begriff Welt s. unten S. 62 ff. dieser Arbeit. Ms. K III 6, S. 125 a. s. Ideen I, S. 14. Hartmann, N., Der Aufbau der realen Welt, Meisenheim am Glan, 19492 , S. 374. Ms. K III 6, S. 240 a .
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§ 4. DIE WESENSLEHRE ALS DAS RESULTAT
DER WIDERSTREITENDEN MOMENTE
Zwei Bestimmungen der Husserlschen Wesenslehre stehen in Spannung zueinander. Die erste: Die Erkenntnis des Wesens geht der Erkenntnis des Tatsächlichen voran als ihre konkrete Logik und Leitung.! Darin liegt die Möglichkeit begründet, das Zwischen von Dieses-da und Wesen selber in den Blick zu bringen. 2 Die zweite Bestimmung: Wesen und Tatsächliches sind zwei unmittelbare Gegenstände der Thematisierung. Dieses wurde im Umriß schon in der Einführung deutlich. In den letzten Paragraphen zeigte sich aber, daß die zweite Bestimmung selber durch den Widerstreit in der ersten bedingt ist. Die Wesenslehre Husserls ist damit nicht das bloße Beisammen widerstreitender Momente, vielmehr ist sie Resultat des Widerstreites selber, wie nun explizit herauszustellen ist.
(A) Der Begriff des Verweisungszusammenhanges als Resultat des Widerstreites des regionalen Allgemeinen (Die Frage nach dem Horizont der Wesen - Dies-da - Auslegung) In all unseren bisherigen Analysen wurde vorausgesetzt, daß alles und jedes, soll es eben Seiendes sein, schon als Wesen-Dies-da unterschieden ist. Ferner: alles und jedes, was auch immer uns begegnet, kann uns nur begegnen in unterschiedenen Weisen des Gewahrens, der sinnlichen Anschauung wie der eidetischen Einsicht. Worin gründet solche Unterscheidung? Sie ist keine 'distinctio rationis'; denn die Sache selbst gliedert sich in Wesen und Dies-da. Was ist aber ihr tragfähiger Grund? Was ist der Horizont, in und aus dem Seiendes auf solche Weise ausgelegt wird? Der Widerstreit des Wesens muß aber zuvor der Widerstreit dieses Horizontes selber sein. Die Bestimmung der Notwendigkeit eröffnet uns den Zugang zu diesem Horizont. Alles und jedes, soll es überhaupt Seiendes sein, ist doch notwendig aus Wesen und Dies-da zusammengesetzt. Seiendes begegnet uns überhaupt eh und je als Tatsäch1
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s. 'Nachwort', S. X43. s. Ideen I, §. 6.
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liches, ZU dessem Sinn es schon gehört, ein Wesen zu haben.! Wenn aber Wesen das dem Dies-da Vorangehende ist und es das Dies-da als Dies-da überhaupt erst sehen läßt, so muß dieses Vorangehen selber den Charakter der Notwendigkeit erklären. Husserl hat, wie bereits bekannt, das Wesen der Notwendigkeit auf folgende Weise bestimmt: 'Jede eidetische Besonderung und Vereinzelung eines eidetisch allgemeinen Sachverhaltes heißt, sofern sie das ist, eine Wesensnotwendigkeit.' 2 D.h. aber: 'Wesensallgemeinheit und Wesensnotwendigkeit sind ... Korrelate.' 3 Soll sich also der Charakter der Notwendigkeit klären, so muß zuvor nach dem Prinzip gefragt werden, das uns gestattet, Wesensallgemeinheiten 'abzuleiten'. Offensichtlich müßte das dem Dies-da Vorangehende kraft seines Vorangehens ein solches Prinzip abgeben. Es wäre an der Sache selbst von seiner Inhaltlichkeit her erbliekbar. Und in der Tat fragt Husserl in den Ideen III nach der Methode, 'dergemäß sie ((= die regionalen Begriffe)) apriori abgeleitet werden können. Gemeint ist diese Ableitung aber nicht in dem Sinne einer "transzendentalen Deduktion" aus irgendeinem Postulat, aus irgendeinem nicht selbst durch Intuition gegebenen Denksystem (wie es das System der Urteilsformen in der kantischen Deduktion der von ihm sogenannten Kategorien ist) und doch nach einem apodiktisch einleuchtenden "transzendentalen Leitfaden", dem folgend wir sie nicht deduzieren, sondern selbst finden und Schritt für Schritt selbst schauend erfassen können.' 4 Das Prinzip ist die Regelhaftigkeit (oder wie Husserl schreibt: die Idee). Die Idee des Minerals z.B. wie die des Dinges schreibt der Erfahrung eine Regel vor. Jedoch unterscheiden sie sich fundamental in ihrem Vorschreiben. Die Idee des Minerals muß sich in der Erfahrung ausweisen; hingegen ist die Idee des Dinges die apriorische Form jeder solchen Erfahrung. 'Ist überhaupt Erfahrbares, so hat es seine Form, es ist ein Ding.' 5 Hierin spricht sich ein neues Moment aus, das bisher noch nicht reflektiert wurde. Das der Erfahrung Vorgegebene ist nicht ein bloßes 'Da' ; vielmehr kommt dem Gegebenen schon vorgängig zu 1 2
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s. Ideen I, S. XZ/X3. ebd., S. X9. ebd. Ideen In, S. 25. ebd., S. 34.
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seinem 'Da' sein Wesen zu, so daß seine Erkenntnis der Erfahrung allererst die Logik und Leitung gibt. Dann muß aber vorgängig zur Ideation schon ein Bezug des Wesens zum Gewahren bestehen, in der Weise, daß das Wesen als regionale Bestimmung des Seienden auch Form der Gewahrung ist; genauer: daß das Wesen als regionale Bestimmung des Seienden die Form für das Gewahren bedingt. Husserl schreibt: 'Man darf nicht verwechseln das, was ein Allgemeinbegriff vorschreibt und was das Wesen der allgemeinen Wahrnehmung als einer Grundart der Erfahrung vorschreibt.'! 'Eben damit hat die Idee des Dinges 2 eine einzigartige Auszeichnung, sie bezeichnet einen kategorialen (oder, wie wir besser sagen, regionalen) Rahmen für jeden zu einer Erfahrung solcher Grundart gehörigen und möglichen Sinn, einen Rahmen, an den als eine notwendige Form alle Näherbestimmung eines in irgendwelcher Erfahrung unbestimmt gesetzten Gegenstandes apriori gebunden ist.' 3 Ferner: Alle Erfahrung ist geregelt 'durch einen formalen Sinnesbestand, den die Idee des Dinges in sich schließt.' 4 Das dem Dies-da Vorangehen 5 wird als Allgemeines ausgelegt. 6 Dann muß aber auch das Gewahren selber als Allgemeines begriffen werden. 'Man darf nicht verwechseln das, was ein Allgemeinbegriff ((hier ist nicht das Wesensallgemeine, sondern das empirisch Allgemeine gemeint)) vorschreibt und was das Wesen der allgemeinen Wahrnehmung vorschreibt.' 7 Der Horizont, in dem also das Sein als Wesen - Dies-da zur Auslegung kommt, ist das so bestimmte Allgemeine. Vom Allgemeinen her müssen nun noch einmal die aufgezeigten Momente des Wesens reflektiert werden. Die Vermittlung von Wesen und Dies-da wurde zum Problem. Es hatte sich gezeigt, daß solches Zueinander nur bedacht werden kann, wenn das Dieses das Wesen mit dem Dies-da vermittelt. Demgemäß muß im Horizont des Allgemeinen das Dieses eben selber Allgemeines und NichtAllgemeines sein. Wie ist es aber Allgemeines und Nicht-AllgeI dem III, S. 33. Das Ding ist hier exemplarisch. 3 Ideen IU, S. 33. 4 ebd. 5 Das Vorangehen ist Allgemeines. Das Vorangehende als Allgemeines bedeutet schon die Destruktion des Allgemeinen. 6 Ideen I, S. 19. 7 Ideen IU, S. 33. 1
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meines? Nach Husserl ist das Gewahren des Dies-da wie des dem Dies-da Vorangehens, das als Allgemeines ausgelegt wird, Fixierung; insofern nämlich das Dies-da im Blick ist, ist gerade nicht das dem Dies-da Vorangehen, das Allgemeine, im Thema und_ umgekehrt -_wie wir bereits früher dargelegt haben.! Dann muß aber das Dieses Allgemeines und Nicht-Allgemeines in dem Sinne sein, daß das Meinen des Dies-da die Fixierung des Allgemeinen als N icht-Allgemeinen is t, daß die Setzung des Allgemeinen aber durch das Dieses als das Nicht-Allgemeine bedingt ist. 2 Da das Dies-da Dies = Nicht-Allgemeines ist, ist das Vorwärtstreibende das Allgemeine. Das Allgemeine als das vom Dies-da bedingte kommt aber selber noch vom sinnlichen Meinen her und ist als solches nurin der Sinnlichkeit präsent, wahrgenommen. Die (vielheitslose) Einzelheit und die durch sie bedingte Allgemeinheit sind noch Extreme, eben Fixierungen, die das Allgemeine nicht gewähren lassen. Sie sind nicht im Allgemeinen aufgehoben, so daß das Allgemeine sich nicht als 'unbedingt Allgemeines' setzt; das wird nur dadurch möglich, daß die Extreme als Einheit bewußt werden; solches Bewußthaben ist Denken. Das Wahrnehmen erhebt sich in das 'Reich des Verstandes'; das Denken erblickt das Wesen. Das 'unbedingt Allgemeine' kann freilich kraft seinerHerkunft nicht als 'ruhiges einfaches Wesen genommen' werden ... Wenn das dem Dies-da - Vorangehen als Allgemeines nicht nurleer behauptet wird - und es wird offensichtlich von Husserl in dem von uns hier betrachteten Kontext nicht leer behauptet -, so erzwingt das Allgemeine diese hier aufgedeckte Entfaltung. Hegel hat bekanntlich das Allgemeine in dieser Weise in seinerPhänomenologie des Geistes reflektiert. 3 Der aufgezeigte Widerstreit im Husserlschen Verständnis des Wesens muß also zuvorein Widerstreit des Allgemeinen selber sein. Es werden daher die 1 Man beachte aber auch die Destruktion, wie sie sich in den Ideen I zeigt: dasDies-da ist als auf sein Allgemeines vorstellig nicht durch das Dies, sondern als Letztes seines Wesens. (s. dazu S. 38 dieser Arbeit). Damit wird das Husserlsche 'insofern' zur Vernichtung des HegeIschen 'insofern'. Das Allgemeine als Vorangehen wird zum Allgemeinen als Vorrangehendem. 2 Es geht - um es noch anders zu formulieren - um die Dialektik des Dieses als Diesda und 'alles und jedes ist ein Dies' und der dadurch bedingten weiteren Entfaltung. Die Dialektik beseitigt weder das Dies-da noch das 'alles und jedes ist ein Dieses'~ vielmehr zwingt sie beide Momente in eine Einheit und beugt sich diesem Zwange. (s. Hegel, G. F. W., Phänomenologie des Geistes, S. 84 (Jubiläumsausgabe)). 3 s. vor allem den zusammenfassenden Rückblick: Phänomenologie des Geistes,. S. 105 ff.
DAS WESEN UND DIE TRANSZENDENTALITÄT DAS WESEN UND DIE TRANSZENDENTALITÄT
spekulativen Momente des Allgemeinen so weit entfalt~~, da~ ihre Behauptung wie ihre Negation im Husserlschen Verstandms des Wesens aufbricht. Ein solcher Widerstreit bedingt, daß das Husserlsche Fragen sich nicht als ein Ganzes, als ein Gefüge e~t falten kann, sondern nur aspekthaft, so daß diese Interpretation selber notwendig aspekthaft sein wird. In diesem Paragraphen soll explizit herausgestellt werde~, daß das Husserlsche Verständnis des Wesens nicht nur das BeIsammen widerstreitender Momente, sondern vielmehr das Resultat ·.des Widerstreites ist. Dieses sei in zwei Schritten versucht: (r) Der Horizont der Wesens - Dies-da Auslegung ist selber Resultat des Widerstreites. Es wird sich zeigen, daß der Einwand Husserls . gegen das ganze erste Kapitel des ersten A~schnittes der Ideen I nicht die Negation seiner Wesensanalyse 1st, sondern Ausdr~ck des Widerstreites dieser Analysen.! (2) Die von Husserl aufgezeIgten positiven methodischen Schritte der Wesenserkenntnis sind Momente des Widerstreit des Wesens selber. Sollte es wahr sein, daß Husserl das dem Dies-da Vorangehen _als Allgemeines behauptet, indem er e~ ne~ert, ~o kann in solchem Denken das so resultierende Wesen mcht m semer Herkunft und '.seinem System erblickt werden; d.h. abe~ das 'inso~ern' ~er Wesenserblickung Husserls erreicht nicht die spekulative H~he , des von Hegel in der Phänomenologie des Geistes entlarvten.' msofern' des Wesens; es fällt zurück hinter das 'insofern' 'des sl~n lichen Meinens'; das Wesen wird im Prozeß solcher ~ egatIon · selber wesenlos. Genau dieses wird sich in den manmgfachen Aspekten transzendental-phänomenologi~chen ?en~ens dieses Paragraphen und denen des nächsten Kapitels zeIgen. . Das dem Dies-da Vorangehen wird von Husserl als Allgememes begriffen. Dann muß aber auch das Gewahren selber als All?emeines verstanden werden. Nun bestimmt sich das Allgememe · als Form. Husserl spricht von 'einer Form für alle möglichen Ideen I S. 389/390; insbesondere S. 390. .. . di Es sei' hier noch auf ein Weiteres aufmerksam gemacht. ~s_ kann ~amhch e Fra e nach dem Wesen im Rahmen der Genesis der!ranszende~talität und 1m Rahmen das Zu-slCh·selbst-kommen der der g( transzend ent a 1en) LOgl'k gestellt werden'die _ . d tal Transzendentalität schon voraussetzt. Aber i~ V~halt~ls von tra.nszen ~n er Lo ik und Genesis im Husserlschen Verständms ?rlcht ~m ~euer Wl~erst~eIt a~, h d'leser Arbel't nicht thematisch wird, weIl derg.1m R amen . . . die mathesls bh dl umversalis d' 'm Sinne Husserls nicht entfaltet werden soll. Es wird m dieser A an ung nur le · ~ranszendentalität in ihrer Genesis betrachtet.
Gegenstände möglicher Erfahrung dieser Artung überhaupt'. 1 Aber er betont auch, daß das regionale Apriori 'nicht einen Inhalt, sondern eine Form für alle möglichen Gegenstände möglicher Erfahrung dieser Artung überhaupt' 2 meint; noch deutlicher: 'Das Was des Dinges, sein sachhaltiger Inhalt, mag sich wie immer, voraussehbar oder nicht voraussehbar, ändern, das Allgemeine aber, das das Wort Ding da besagt (und es besagt sehr viel) kann sich nicht ändern, es ist der Rahmen, in dem alle Veränderung statthat.' 3 Es sei im Vergleich zu diesem Text an den der Ideen I erinnert. Dort steht geschrieben: 'Jede eidetische Besonderung und Vereinzelung eines eidetisch allgemeinen Sachverhaltes heißt, sofern sie das ist, eine Wesensnotwendigkeit . Wesensallgemeinheit und Wesensnotwendigkeit sind also Korrelate.' 4 Allgemeinheit und Notwendigkeit werden also dort von der geradehin vernehmbaren Sachhaltigkeit her verstanden. Von solcher Sachhaltigkeit her müßte auch hier das regionale Apriori als Rahmen des Gegenstandes wie der Erfahrung des Gegenstandes, kurz als 'Grundart der Erfahrung' sich bestimmen. Es wird aber im Kontext der Ideen III nicht von solcher Sachhaltigkeit her verstanden: das Sachhaltige kann sich ändern; I) 'das Allgemeine, das das Wort Ding da besagt ... kann sich nicht ändern'. 6 Solches Allgemeine als Form ist von der geradehin vernehmbaren Sachhaltigkeit (= Inhalt) getrennt - und zwar um der Reinheit der Form willen; denn 'alles Sachhaltige ist zufällig'. 7 Als was bestimmt sich aber nun näher solches Allgemeine als Form? Es bestimmt sich als 'System endloser Prozesse kontinuierlichen Erscheinens' bzw. als 'ein apriori bestimmtes Kontinuum von Erscheinungen mit verschiedenen, aber bestimmten Dimensionen, durchherrscht von fester Gesetzlichkeit'. 8 Genau das zeigt das in den Ideen III entfaltete Exempel. 9 Hier soll ein Hinweis genügen. Betrachten wir diesen Tisch. Wollen wir sein notwendig ihm Zukommendes explizieren, also sein Wesen als
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I dem III, S. 33. ebd. ebd., S. 35 (Sperrung im Text). Ideen I, S. 19. Ideen IU, S. 35. ebd. ebd. Ideen I, S. 351. S. Ideen IU, S. 29 ff.
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Ding, so müssen wir gewissermaßen um ihn herumgehen,l seine mannigfachen Erscheinungen variieren, wobei wir zu Fiktionen übergehen usw. So schreibt Husserl: 'Demnach ist wirklich im Gange aller möglichen Erfahrung ein Apriori vorgezeichnet und offenbar vorgezeichnet durch das Wesen der dinglichen Wahrnehmung als einer Grundart der Wahrnehmung bzw. Erfahrung.' 2 Was hat sich aber im Gang, im Prozeß solcher Erkenntnis vollzogen? Offenbar eine Veränderung ihrer eigenen Voraussetzung. Zunächst begreift Husserl das Wesen als das dem Dies-da Vorangehende. 3 In diesem Sinn fragt er auch in den Ideen In nach den 'Wesensallgemeinheiten' . 4 Das Vorangehen wird im streng allgemeinen Sinn verstanden, also muß auch das Gewahren im streng allgemeinen Sinn begriffen werden. In dem Kontext der Ideen I 5 zeigt sich nun die Negation dieses Allgemeinen darin, daß das Verhältnis von Wesen und Dies-da nicht als 'Trinität' ausgelegt wird. Das Wesen destruiert sich zur Invariante. Der Kontext der Ideen In macht deutlich, wodurch diese Destruktion bedingt ist. Sie ist begründet in der Negation des Allgemeinen, d.h. in der Trennung von Form und Inhalt, so daß das Sachhaltige, das Was, der Inhalt, zu einer faktischen Bestimmung wird. 6 Das Apriori wird damit selber negiert; die vermeinte Sache ihres apriorischen Gehaltes beraubt und daInit entleert. Das Resultat ist das 'System der endlosen Prozesse des kontinuierlichen Erscheinens', 7 der Verweisungszusammenhang, in dem Sinne, daß das Wesen sich nur als seine Invariante behaupten kann. 8 Sein
tr~gendes Fundament im Bereich der Ontologie des Dinges ist
1 W. Szilasi schreibt: 'Am charakteristischsten war dafür die Wahrnehmung z.B. dieses Tisches da mit der Aufforderung des Um-herum-gehens, ein Hinweis auf die von einem Standpunkt her verdeckten Seiten. Die Aufforderung selbst (H. sprach gern von Einladung) ist nichts anderes als das anschauliche Apriori.' (a.a.O., S. 45). a Ideen III, S. 33 (Hervorhebung von uns). 3 'Überall muß ebenso die Wissenschaft von den reinen Möglichkeiten der Wissenschaft von den tatsächlichen Wirklichkeiten vorangehen.' ('Nachwort', S. 143). 4 s. z.B. Ideen III, S. 56. 5 s. Ideen I, S. 19. 6 'Alles Sachhaltige ist zufällig, es ist das durch Erfahrung Gegebene und durch Erfahrung in seinen Veränderungen oder Unveränderungen zu Bestimmende.' (Ideen III, S. 35). 7 Ideen I, S. 351. 8 Die Differenz Wesen - Dies-da verliert damit ihr sachliches Fundament und wird zwangsläufig zu einer 'distinctio rationis'. Das Verhältnis von Wesen und Dies-da (Individuum) kann sich nur noch als eine Operation des Denkens behaupten. So schreibt Husserl: 'Fassen wir die "Operation" der Generalisierung unter den ... Begriff der logischen "Ableitung", so können wir sagen: das Individuum ist der reinlogisch geforderte Urgegenstand, das rein logisch Absolute, auf das alle logischen "Ableitungen" zurückweisen.' (Ideen I, S. 36). Die Folge wird zur bloßen Satz-Folge
Dmgreales als Substrat von Eigenschaften - Husserl spricht auch von dem Kern als dem bestimmbaren Xl -, also die Destruktion der seit Aristoteles die Philosophie bestimmenden metaphysischen Grundbegriffe_ Der Husserlsche Verweisungszusammenhang ist, so hart es sein mag, die Entsachlichung, ja Entsubstantialisierung der Sache selber: also Produkt des Nominalismus. Adorno bemerkt : 'Wesenlos bleiben die Wesen, mit denen der willkürliche Gedanke des Subjekts dem verödeten Seienden Ontologie einzubilden sich vermißt.' 2 Das Husserlsche Wesen f~t damit noch hinter die Bestimmungen der Wahrnehmung, WIe Hegel sie aufgezeigt hat, zurück. Nur ist zu bedenken, daß Husserls Denken sich nicht in seinem Resultat fixiert. Vielmehr hebt es ständig dieses Resultat wieder auf, indem es sich dem transzendental-philosophischen Erkennen überantwortet, wiewohl es auch diese beständige Intention ständig wiederum negiert. Die Interpretation darf sich weder auf die eine noch auf die andere Seite schlagen; sie muß getreu diesen Widerstreit ans Licht bringen. Dieses bekundet sich in unserem Zusammenhang vor allem im Verständnis des Wesens selber. So schreibt Husserl in den Ideen In: 'Es ist wirklich so, wie die alten Rationalisten es meinten: eine Unendlichkeit von Möglichkeiten geht der Wirklichkeit vorher. So die systematische Unendlichkeit der geometrischen Möglichkeiten der physischen Wirklichkeit; so die durch Wesensnotwendigkeit und durchgängige Wesensnotwendigkeit geregelte Unendlichkeit möglicher Bewußtseinsgestaltungen und noematischer Gestaltungen der psychologischen Wirklichkeit und Psychologie.' 3 Immer wieder betont aber Husserl, daß das Wesen als Vorangehendes Norm des Dies-da, (s. Ideen I, S. 19/20). Im Ersten Paragraphen wurden die Momente der Wesenslehre der Ideen positiv entfaltet; im zweiten zeigte sich der Widerstreit der Momente des Wesens und zwar als Widerstreit der Sache selber. Nunmehr deutet sich an, daß der Widerstreit in der Sache zugleich ein Widerstreit zwischen Sache und Denken ist. Das Denken fragt nach dem Wesen und Dies-da als einer in der Sache selber gründenden Differenz, indem es im nämlichen Prozeß des Denkens diese Differenz negiert. Das Resultat ist die Spaltung von (einer entleerten) Sache und Denken, von Vorprädikativem und Prädikativem. Jedoch bedarf es noch einer eingehenderen Analyse die im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich ist. Die Urteilslehre Husserls wird i~ dieser Untersuchung nicht thematisch. 1 Ideen I, S. 351; s. auch Ideen I, § II. a Adorno, Th. W., ZUf' Metakf'itik def' Ef'kenntnisthe01'ie Studien über Husserl und die phänomenologischen Antinomien, Stuttgart 1956, S. 1~4. 3 Ideen III, S. 56.
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also auf es bezogen ist: 'Überall muß ebenso die Wissenschaft von den reinen Möglichkeiten der Wissenschaft von den tatsächlichen Wirklichkeiten vorangehen und dieser als ihre konkrete Logik die Leitung geben.' 1 Der Widerstreit muß jedoch noch schärfer bestimmt werden. Das dem Dies-da Vorangehen wird als Allgemeines behauptet, dann muß aber auch das gewahrende Ich selber allgemein sein. Wahrheit wäre dann - um die Formulierung Husserls aufzugreifen - 'Wahrheit "an sich" ... in einem Sinne, der auf ein transzendentales "Jedermann" Beziehung hat.' 2 Husserl behauptet jedoch das dem Dies-da vorangehende Wesen, indem er es genau dadurch wiederum negiert, daß er solche Sachhaltigkeitgegen die Form ausspielt und sie zum bloßen Faktum macht. Hierdurch verändert sich aber die Allgemeinheit selber. 'Die Wahrheit ist mindest im Gebiet der "rein" egologischen Philosophie ... in keinem normalen Sinn mehr Wahrheit "an sich", selbst nicht in einem Sinne, der aut ein transzendentales "Jedermann" Beziehung hat.' 3 Die W eSlmswahrheiten werden zu Wahrheiten, 'die ausschließlich tür mich, das Ego, gelten'. 4 Das Denken begibt sich in ein bloßes Für-sich des Bewußtseins. Sein Von-der-Sache-bestimmt-sein verliert sich in die Immanenz- das ist der strenge Tatbestand des Nominalismus. Das Denken sucht einer solchen Immanenz zu entkommen, indem es das Bewußtsein als Bewußtsein von etwas begreift, so zwar, daß solche Immanenz-Transzendenz selber Immanenz ist, daß - mit anderen Worten - die Subjektivität-Objektivität selber Subjektivität ist. Es überantwortet sich aber dem transzendentalen Idealismus, indem es ihn wiederum negiert. Das bekundet sich genau darin, daß in transzendentaler Sicht das Objektive nun nicht als Objektives des Subjektiven entlarvt wird, sondern daß das Objektive nur in der Einklammerung als bloß Vermeintes seines Vermeinens in den Blick kommt; eben weil sich das 'Ansieh' zum bloßen 'Für-mich' destruiert,5 kann es nicht zum 'Anund-für-sich' kommen. Im nächsten Kapitel soll diese Destruktion des Transzendentalen näher entfaltet werden. 1 'Nachwort', S. 143.
F01'maie und transzendentale Logik, S. 238. ebd. 4 ebd. p . 5 s. dazu auch AdOl;no, Th., W., a.a.O; ferner: Nink, C., 'Vom Anfang der htlosophie', in: Scholastik, 1951, XXVI, S. 147 ff. Z
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Es sei hier noch ein weiterer Vorblick auf die nachfolgende Analyse gestattet. Husserl sucht der bloßen Immanenz zu entkommen, indem er diese selber schon als Transzendenz zu begreifen trachtet. Das ego ist eben schon Leistung seines Ego. Allererst solche Transzendentalität verbürgt, daß das je und je subjektive Vermeinen immer schon in einem Verweisungszusammenhang 1 geeint ist, der sich nicht in ein Gewirr von Vermeinungen auflöst. Das Allgemeine kann dann weder bloßes 'Ansich' sein, d.h. von der Sachhaltigkeit her erblicktes Allgemeines, noch bloßes 'Für mich', bloße Subjektivitätsverweisung; es muß vielmehr zum 'An-und-für-sich' kommen. Husserl vermag die Subjektivität deswegen nicht wahrhaft zu be-gründen, weil er sie nicht in ihr' An-und-für-sich' zu bringen vermag. Die Spaltung der Sache in Inhalt und Form, wobei der Inhalt bloßes Faktum ist, läßt nur einen subjektiven Verweisungszusammenhang zu. 2 Nehmen wir nun hier einmal hin, daß nach Husserl der Verweisungszusammenhang Welt ist. (Das Welthafte des Verweisungszusammenhangs kann allerdings in dieser Arbeit nur im Umriß gezeigt werden). Es gilt dann: Im Horizont von Welt wird Sein als Wesen - Dies-da ausgelegt. Genau das betont Husserl in seiner Kritik von I927 an dem ganzen ersten Kapitel des ersten Abschnittes der Ideen 1. Er schreibt: 'Kann ich wissen, daß alles Seiende überhaupt sich in eine solche regionale Austeilung einfügt, daß Wissenschaften darauf zu gründen sind? Sind nicht die Regionen die universalen Weltstrukturen, während doch der Begriff der Weltstruktur, da nicht die Welt als einheitliches Universum vorangestellt ist, überhaupt nicht zur Erörterung kommt?' 3 Es zeigte sich aber, daß dieser Horizont selber Resultat widerstreitender Momente ist. Zusammenfassend kann gesagt werden: Husserl tragt nach der Sachhaltigkeit der Sache, also nach der Wesen - Dies-da DitterenzEinheit. Das Denken verändert jedoch im nämlichen Prozeß des 1 Von der Synthesis schreibt Husserl: 'Synthesis liegt aber nicht nur in allen einzelnen Bewußtseinserlebnissen und verbindet nicht nur gelegentlich einzelne mit einzelnen; vielmehr ist das gesamte Bewußtseinsleben ... synthetisch vereinheitlicht.' (Carlesianische Meditationen, S. 80). Im Rahmen dieser Arbeit ist der Begriff der Synthesis nur so weit bedeutsam, als er den Widerspruch in der Wesenslehre und schließlich im Weltbegriff anzeigt. 2 Auch die Intersubjektivität, die in dieser Arbeit nicht thematisch wird, kann als bloße Intersubjektivität nicht den Verweisungszusammenhang be-gründen. 8 Ideen I, S. 390.
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Denkens seine eigene. ursprüngliche I ntention. Negiert es doch dadurch die von ihm intendierte und behauptete Sachhaltigkeit, daß es der Wesens-Form, dem Allgemeinen, seine Inhaltlichkeit, sein Was, raubt und so die Sachhaltigkeit zum bloßen Faktum werden, also dem Dies-da nachgeordnet sein läßt. Das Resultat: das Allgemeine, der Horizont der Wesen - Dies-da Auslegung, wird zur bloßen Subiektverweisung, zum' System endloser Prozesse kontinuierlichen Erscheinens'. ! Das Wesen destruiert sich zur Invariante des Verweisungszusammenhanges. Der Horizont der Wesen - Dies-da Auslegung (Welt) ist also selber Resultat des Widerstreites. Die Momente des Widerstreites als die konstitutiven methodischen Schritte der Wesenserkenntnis ans Licht zu bringen ist unsere nächste Aufgabe. (B) Die widerstreitenden Momente als Bedingung der Möglichkeit der Wesenserkenntnis Letzter Ausgangspunkt für die Wesensschau ist der individuelle Gegenstand der originären Erfahrung. 2 Wenn ich aber nach dem Wesen frage, ist das Individuelle als Individuelles nicht thematisch, wohl liegt 'ein Sichtigsein von Individuellem' der Wesenserkenntnis zugrunde.3 Husserl begründet dieses damit, daß 'keine Wesensanschauung möglich ist ohne die freie Möglichkeit der Blickwendung auf ein "entsprechendes" Individuelle und der Bildung eines exemplarischen Bewußtseins - wie auch umgekehrt keine individuelle Anschauung möglich ist ohne die freie Möglichkeit des Vollzugs einer Ideation und in ihr der Blickrichtung auf die entsprechenden, sich im individuell Sichtigen exemplifizierenden Wesen'. 4 Wesenserkenntnis hebt an mit dem Individuellen, weil es Anzeige seines Wesens ist; genauer: weil das Individuelle Exempel seines Wesens ist. Das Individuelle kann aber nur Exempel seines ihm vorangehenden Wesens sein, wenn es selber Konkretion seines ihm vorangehenden Wesens ist. Ideen I, s. 351. Freilich kann die Wesenserkenntnis auch anheben mit einer Phantasiegegebenheit; doch verweist alle Phantasie immer intentional auf originäre Gegenwärtigung. Ferner ist die Phantasie für die weiter unten erörterte Variation konstitutiv. Die Bedeutung der Phantasie fur die Wesenserkenntnis erörtern wir im Rahmen dieser Arbeit nicht. S Ideen I, S. 16. 4 ebd.
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Husserl betont doch, daß 'im Gange aller möglichen Erfahrung ein Apriori vorgezeichnet' ist.! Der dort vor uns liegende Stein ist Stein wie Ding. Der Stein weist sich als dieser in der Wahrnehmung aus; hingegen ist solche Wahrnehmung, soll sie überhaupt Wahrnehmung sein, schon Dingwahrnehmung. Der dort liegende Stein bringt also in eins zur Ausprägung Stein wie Ding und zwar kraft der unterschiedenen Erfüllung seiner unterschiedenen Wesensvorzeichnung. 2 Das Absehen von dem, was nicht zur Erfüllung eines Wesens als solchen gehört, gibt den Blick frei für ein solches Wesen. Wie kommt aber der der Erfahrung schon vorausliegende Rahmen, die apriorische Vorzeichnung der Erfahrung, in den Blick? Was ist der Leitfaden solcher Ideation? Es wurde bereits betont, daß das Individuelle nur Exempel seines ihm vorangehenden Wesens sein kann, wenn es selber Konkretion seines ihm vorangehenden Wesens ist. 3 Leitfaden der Ideation muß also diese Konkretion sein. Husserl behauptet aber nun die Vermittlung, indem er sie negiert. Das Wesen wird nämlich auf das Diesda bezogen gedacht, so daß das Dies-da selber Resultat, Drittes ist. Die Bezogenheit wird indes von Husserl dadurch wiederum negiert, daß er sie als Abstieg vom Allgemeinen zum Besonderen in der Weise bestimmt, daß das Dieses Letztes seines Allgemeinen wird. Das Dieses als Letztes des Allgemeinen ist dann radikal von dem Dies...da, das uns in der Erfahrung begegnet, unterschieden. Der Aufstieg zum Husserlschen Wesen kann also nur kraft der vorgängigen Modifikation des Dies-da zum Letzten seines Wesens erfolgen, so daß das so modifizierte Dieses zum 'leitenden Vorbild', zum Exempel der Wesenserkenntnis wird. Diese Modifikation vollzieht sich in der epoche als der vorgängigen Ermöglichung der Wesenserkenntnis. Denn: Das Erkennen negiert, d.h. fixiert das dem Dies-da vorangehende und es ermöglichende Allgemeine genau dadurch, daß es das Dies-da aus seinem Interesse entläßt, es bedeutungslos werden läßt, es einklammert, es auf sein Dies als Letztes seiner Möglichkeiten neutralisiert.
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Ideen UI, S. 33. ebd., S. 34. S Man beachte: 'Überall muß ... die Wissenschaft von den reinen Möglichkeiten der Wissenschaft von den tatsächlichen Wirklichkeiten vorangehen und dieser als ihre konkrete Logik die Leitung geben.' ('Nachwort', S. 143). 1
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Die epoche 1 meint genau diesen Prozeß. In der epoche vollzieht sich also die Negation des Wesens; aus ihr resultiert das H usserlsche Wesen. Das mittels der epoche in Blick kommende Individuelle als Letztes seines Wesens kann aber nur Variante und demgemäß 'leitendes Vorbild' 2 für die Variation sein. Kraft des nämlichen Widerstreites destruiert sich ja der regional bestimmte Erfahrungszusammenhang zum bloßen Verweisungszusammenhang des vermeinenden Lebens, so daß Wesen zur Invariante des Verweisungszusammenhanges wird. Deutlicher: genau dadurch, daß die Vermittlung von Wesen - Dies-da negiert wird, entleert sich das Seiende: Sachhaltiges und Form spalten sich und der regional bestimmte Erfahrungs - wird zum bloßen Verweisungszusammenhang, wie sich im letzten Kapitel zeigte. Die Destruktion vollzieht sich in der epoche selber. Zum Prozeß der Ideation, der notwendig die epoche, d.h. die Einstellungsänderung vom Individuellen als solchem zum Individuellen als 'leitendem Vorbild' für alle möglichen Variationen, voraussetzt, gehören dann freilich drei Hauptschritte: '1. erzeugendes Durchlaufen der Mannigfaltigkeit der Variationen; 2. einheitliche Verknüpfung in fortwährender Deckung; 3. herausschauende aktive Identifizierung des Kongruierenden gegenüber den Differenzen: 3 Wichtig ist nur zu sehen, daß die epoche selber schon das Wesen negiert, um dessen Erfassung sie bemüht wurde. Die drei 'Hauptschritte des Prozesses' der Ideation sind Schritte innerhalb der epoche, also innerhalb ihrer Destruktion, sie selber radikalisierend. Es ist daher irrig, diese 'Schritte' als selbstverständliche Momente der Wesenserkenntnis zu nehmen. Das Denken hätte sich dann in den Resultaten seines eigenen Widerstreites verrannt, während das Husserlsche Denken sich beständig in diesem Widerstreit hält.
1 Epoche meint seinem Wortsinn naeh soviel wie Ansieh-halten, Zurückhalten des Urteils, Haltepunkt. Wir kennen das Wort in den verschiedenartigsten Verwendungen; so unterscheiden wir z.B. in der Geschichte Epochen, die uns dazu dienen, in sich unterschiedene Zeitabschnitte abzugrenzen. Diese Bedeutung schwingt mit im Husserlschen Begrüf der epoche. Er dient auch der unterscheidenden Abhebung und zwar von Frageebenen oder Einstellungsebenen, wie Husserl immer wieder sagt. 2 Erfahrung und Urteil, S. 4XO. 8 ebd., S. 4I9.
ZWEITES KAPITEL
WESEN - TRANSZENDENTALITAT UND IHR: WIDERSTREIT
§ 5. DER WIDERSTREIT DES WESENS ALS WIDERSTREIT
DER TRANSZENDENTALITÄT
Dadurch, daß das Fragen sein von ihm Intendiertes selbernegiert, verändert es im Fragen seine eigene Intention und bekommt das Intendierte nur als so Verändertes in den Blick. Wesen wird als das dem Dies-da Vorangehende und hiermit auf das Dies-da Bezogenene gedacht, doch so, daß solche Vermittlung im nämlichen Prozeß des Denkens negiert wird. In der Einführung zeigte sich, daß die Wesen - Dies-da Differenz selber eine transzendentale ist und in der transzendentalen Subjektivität gründet. Der Widerstreit muß daher vor allem ein Widerstreit der Transzendentalität selber sein. Der Widerstreit der Wesen - Dies-da Differenz bekundet sich im Vergegenständlichen ihrer Momente. Die Transzendentalität kann also nur im Prozeß dieses Vergegenständlichens in den Blick kommen. 'Das, absolute konstituierende Bewußtsein ... ist zwar in letzter Hinsicht sich selbst bildender Strom konstituierender Leistungen ('Bewußtseinsstrom') ; es kann sich selbst aber nur in den Pro-dukten seiner Leistungen, den gegenständlichen Einheiten, den Dingen begreifen und in seinem Wesen enthüllen: 1 Die folgenden Analysen versuchen, diesen Widerstreit der' Transzendentalität zu entfalten. Das Wesen bestimmte sich als der regionale Rahmen, in dem sich die Erfahrung je schon hält. Es ist als je schon vorausgesetzter Rahmen die Ermöglichung der Ideation und kommt daher in der Wesensschau als ihre Ermöglichung nicht in den Blick. Husserl betont doch: 'Jedes-. Objekt ... bezeichnet eine Regelstruktur für die transzendentale Subjektivität.' 2 Diese kann aber erst in 'kopernikanischer Wende' erblickt werden. Es unterscheiden sich so zwei Positio1
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Landgrebe, L., a.a.O., S. 34. Carlesianische Meditationen, S. 22.
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transzendentale. l
nen: die natürliche (die naive) und die Das Problem ist allerdings, wie beide miteinander versöhnbar sind. Hier ist zunächst nur die Frage, wie diese Positionen im Sinne Husserls zu bestimmen sind. Entscheidend ist, daß diese Unterschiedenheit im Verständnis des Wesens selber gründet. Doch kann folgender Einwand erhoben werden: Husserl unterscheide zwar zwischen der natürlichen und der transzen"dentalen Position wie auch zwischen der Thematisierung des Wesens und der Tatsache und zwar sowohl in der natürlichen als auch in der transzendentalen Position. 2 Die Wesen-Tatsache Betrachtung setze aber jeweils schon ihr entsprechendes Feld 3 voraus, um eben transzendentale bzw. natürliche Wesen - Tatsache Betrachtung zu sein, und es werde nicht umgekehrt die Unterschiedenheit von natürlicher und transzendentaler Position durch die Wesen - Dies-da Differenz erzwungen. Versetzen wir uns zur Widerlegung des Einwandes zunächst in die natürliche Position. Der Einwand setzt voraus, daß das Wesen eine Invariante des natürlichen Bodens, also des Verweisungszusammenhanges ist, in dem sich das Gewahren je schon hält. Dann ist .aber die Differenz Wesen - Tatsache selber eine faktische. Die Transzendentalität kann in solcher Sicht nie und nimmer aufgezeigt werden. Die Priorität-Posteriorität ist vielmehr selber eine transzendentale, wie Husserl ausdrücklich betont. 4 Es ist sehr bemerkenswert, daß Husserl in den Cartesianischen Meditationen das Transzendentale zunächst in (transzendental-) empirischer Deskription entfaltet und erst im § 34 die eidetische Analyse einführt. Er schreibt: 'Nur um der Erleichterung des Zugangs in die Phänomenologie willen führen wir sie « = die eidetische Analyse)) so spät an. Die übergroße Mannigfaltigkeit neuartiger Aufweisungen und Probleme sollte zunächst im schlichteren Gewande einer bloß empirischen (obschon nur in der transzendentalen Erfahrungssphäre verlaufenden) Deskription wirken. Dem gegenüber bedeutet die Methode eidetischer Dess. dazu Ideen I, S. 57 ff. So spricht doch Husserl in der Krisis von zwei möglichen Grundweisen, die Lebenswelt thematisch zu machen. (s. Krisis, § 38). 3 Husserl spricht immer wieder von Boden, Feld ... 'Der natürliche Seinsboden ist in seiner Geltung sekundär, er setzt beständig den transzendentalen vorau~.' (Carlesia"nische Meditationen, S. 61). Er spricht von der 'Freilegung des unendlichen Feldes transzendentaler Erfahrung'. (ebd., S. 69). 4 s. oben S. 20 ff. dieser Arbeit. 1
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kription eine Überleitung aller solchen Deskription in eine neue, eine prinzipielle Dimension, die zu Anfang die Schwierigkeiten des Verständnisses erhöht hätte, während sie nach einer Fülle empirischer Deskriptionen leicht zu erfassen ist.' 1 Andererseits betont er aber, daß Wesen eine universale Gesetzlichkeit ist und zwar eine solche, die 'jeder Tatsachenaussage über Transzendentales ihren möglichen Sinn (mit dem Gegensatz Widersinn) vorzeichnet' . 'Die eidetische Phänomenologie erforscht also das universale Apriori, ohne das ich und ein transzendentales Ich überhaupt nicht erdenklich ist, oder, da jede Wesensallgemeinheit den Wert einer unzerbrechlichen Gesetzmäßigkeit hat, sie erforscht die universale Wesensgesetzlichkeit, die jeder Tatsachenaussage über Transzendentales ihren möglichen Sinn (mit dem Gegensatz Widersinn) vorzeichnet.' 2 Genau deswegen nimmt Husserl auch eine bloß empirische Deskription vor aller eidetischen Betrachtung wiederum zurück, wenn er bezüglich der Analyse der ersten achtzig Seiten der Cartesianischen Meditationen schreibt: 'Aus guten Gründen drängten sich öfters bei den Beschreibungen Ausdrücke wie Wesensnotwendigkeit, wesensmäßig auf, worin ein bestimmter, erst von der Phänomenologie geklärter und umgrenzter Begriff des Apriori zum Ausdruck kommt.' 3 Es ist freilich eine Binsenwahrheit, daß, wenn die Beschreibung sich als eine tatsächliche versteht, sie sich schon im Horizont des Wesens vollzieht. 4 Bemerkenswert ist jedoch, daß auch in der transzendentalen Position das Wesen sich nur im Widerstreit behaupten kann. Dieser gründet zwar nicht in der Differenz von transzendentalem Wesen und Faktizität;5 wohl aber bezeugt die Analogie 6 zwischen der ontologischen Differenz von Wesen und Dies-da und der transzendentalen von Wesen und Faktizität, daß die transzendentale Differenz schon beseitigt ist. Die Differenz transzendentales Wesen - Faktizität in Analogie zur ontologischen ist nämlich selber schon Resultat der Destruktion; denn 1 Cartesianische Meditationen, S. 103. 2 ebd., S. 106. 3 ebd., S. 103. 4 'Sagten wir: jede Tatsache könnte "ihrem eigenen Wesen nach" anders sein, so drückten wir damit schon aus, daß es zum Sinn jedes Zufälligen gehört, eben ein Wesen und somit ein rein zu fassendes Eidos zu haben.' (Ideen I, S. 12). 5 s. oben S. 21, Anm. 2 dieser Arbeit. 6 s. 'Nachwort', S. 143.
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die regionale Differenz ist - wie Husserl betont - eine transzendentale, gründend in der transzendentalen Subjektivität. Die Negation der regionalen Differenz Wesen - Dies-da und die durch sie bedingte Aufspaltung in eidetische und tatsächliche Einstellung ist damit zuvor schon die Negation der Transzendentalität dieser Differenz. Was besagt das? Die regionale Priorität-Posteriorität muß als eine in natürlicher Position in Blick kommende selber Posteriorität sein. Die Priorität der Priorität-Posteriorität als Posteriorität muß sich dann notwendig kraft der Priorität in die Priorität-Posteriorität als Priorität aufheben. Die Negation der regionalen Differenz-Einheit (Vermittlung) und die dadurch bedingte Spaltung in zwei Einstellungen ist also zuvor die N egation der transzendentalen Vermittlung und bedingt somit die Spaltung von natürlicher und transzendentaler und dadurch die von Wesen und Dies-da und die von transzendental-eidetischer und transzendental-faktischer Einstellung. 1 Es lassen sich aber nun schrittweise die einzelnen Momente dieser Destruktion aufzeigen. Husserl spricht in den Cartesianisehen Meditationen in transzendental-empirischer Betrachtung von den material- und formal-ontologischen Regionen. 2 Dieses ist dadurch möglich, daß die Priorität-Posteriorität als (transzendentale) Posteriorität im Blick ist. Ferner ist das Posteriori nie eine rein eidetische Besonderung eines Wesensgesetzes ; es ist vielmehr Drittes. So ist nach Husserl schon das Dies-da nie bloße Wesensbesonderung; vielmehr bemüht er ja, um den Aufstieg zum Wesen zu vollziehen, die epoche. So betont er auch bezüglich der transzendentalen Faktizität, daß die Notwendigkeit des transzendentalen ego als Faktizität - oder wie er dort sagt als Faktum - keine 'pure Wesensnotwendigkeit, d.i. keine rein eidetische Besonderung eines Wesensgesetzes' 3 ist. Wird aber die regionale Differenz von Wesen und Dies-da negiert, so erst recht ihr transzendentaler Posterioritätscharakter. Genau dadurch wird aber das Verhältnis von transzendentalem Wesen und Faktizität wiederum in Analogie zur ontologischen Wesen -
Dies-da Betrachtung gesehen. 'Tatsachenwissenschaften im strengsten Sinne, wahrhaft rationale Naturwissenschaft ist erst möglich geworden auf Grund der selbständigen Ausbildung einer reinen Mathematik der Natur. Überall muß also die Wissenschaft von den reinen Möglichkeiten der Wissenschaft von den tatsächlichen Wirklichkeiten vorangehen und dieser als ihre konkrete Logik die Leitung geben. So wird es auch für die Transzendentalphilosophie sein, wenn auch die Dignität der Leistung des Systems des transzendentalen Apriori eine viel höhere ist: 1 Auf diese Weise destruiert sich der transzendentale Begründungszusammenhang in ein 'Schema', auf das O. Becker aufmerksam gemacht hat. - Freilich muß bedacht werden, daß dieses 'Schema' schon Resultat des Widerstreits der Transzendentalität selber ist, so daß Husserl ständig diese Spaltungen zurückweist, indem er wieder in sie hineingerät. O. Becker schreibt:
1 Es ist zu beachten: Natürliche Position und transzendentale Position destruieren sich zu bloßen Einstellungen (natürliche und transzendentale Einstellung), zum 'insofern' zweier Verhaltungen. Das Entsprechende gilt für die Wesens- und Tatsachenbetrachtung. 2 s. Carlesianische Meditationen, § 29. 8 Ideen I, S. 109.
0,-----------,E
T'-------------'N 'Von der natürlichen EinstellungN aus kann man entweder in "vertikaler" Richtung zur eidetischen Einstellung E (oder korrelativ von dem "natürlichen Gegenstand" d.i. der "realen Tatsache" N zu dem "Eidos" E) übergehen und dann von E aus in "horizontaler" Richtung zur vollen oder "reinen" phänomenologischen Einstellung 0 (bzw. dem reinen transzendentalen Phänomen 0). Oder man kann auch zuerst in "horizontaler" Richtung von N aus nach T, der transzendental-faktischen ("metaphysischen") Einstellung T (bzw. dem" transzendentalen Phänomen als singulärem Faktum"), fortschreiten und von da in" vertikaler" zu 0. Es bedeuten also die vertikalen Wege die "eidetische", die horizontalen die "transzendentale" Komponente der Reduktion. Wichtig sind die 1
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beiden auf den beiden verschiedenen Wegen NE0 und NT0 durchschrittenen Zwischenphasen E und T, das reine "transzendente" Eidos E und das "transzendentale" Faktum T ("transzendent" heißt hier "noch nicht transzendental reduziert") - Das transzendente Eidos bildet den Gegenstand der" Ontologie", die wieder in einen formalen und einen materialen Teil zerfällt, von denen der letztere wieder eine Menge einzelner "Regionen"umfaßt, die durch die "obersten Gattungen" bestimmt sind. Die philosophische Wissenschaft vom transzendentalen Faktum dagegen kulminiert in der Metaphysik, die also von der "Ontologie" scharf zu trennen ist.' ! § 6. EXKURS. ZUM BEGRIFF WELT
Der Leser wird vielleicht darauf hinweisen, daß doch Husserl den Zugang zur Transzendentalität von dem von ihm neu konzipierten Weltbegriff gewinnt. In der Tat wird die Transzendentalität von Welt her offenbar, ja zum Sinn von Welt selbst gehört der Verweis zur Transzendentalität. Aber gerade seine Enthüllung verschärft noch den aufgezeigten Widerstreit. Es sei daher noch einmal der Übergang der naiven zur transzendentalen Position reflektiert. In naiver Position erfaßt das Bewußtsein alles und jedes, insofern es ist; d.h-. es begegnet ihm als Gegenständliches; es ist als Dieses-da, als 'Hier, Jetzt' 2 bedeutsam.3 Soll der von der Gegenständlichkeit vorausgesetzte Bezug zur Subjektivität als dieser erblickt werden, so muß die Gegenständlichkeit selber diesen Rückstieg vermitteln. Wodurch wird aber dieser Rückstieg ermöglicht? Nach H egel 4 wird der Rückgang in die Subjektivität und hernach seine Versöhnung mit der Ob1 Becker, 0., a.a.O., S. I40, - Es sei hier noch auf folgendes hingewiesen: Da die Wesenslehre Husserls sich in seinem Spätwerk nicht in ihren tragenden Bestimmungen ändert, bleiben auch notwendig in den verschiedenen von ihm vorgetragenen Begründungsversuchen der transzendentalen Reflexion dieselben konstitutiven Momente bestimmend. (Zum Begriff Welt s. den Exkurs, insbesondere S. 70, Anm. I). Es sollen daher im Rahmen dieser Arbeit nicht die verschiedenen von Husserl vorgetragenen Begründungsversuche der transzendentalen Reflexion (der transzendentalen ReduktIOn) in ihrer historischen Abfolge referiert werden. Für die folgenden Analysen ist allein ein sachlicher Gesichtspunkt maßgebend. 2 Das 'Hier, Jetzt' soll andeuten, daß in unserer Arbeit nicht näher untersucht wird, ob das Dies-da sich als Hier-Jetzt oder J etzt-Hier oder sonstwie sich bestimmt. 3 s. Ideen I, S. 57 ff.; ferner ebd., S. IO, S. I2. 4 s. Phänomenologie des Geistes.
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jektivität durch das Allgemeine, so wie es sich im letzten Kapitel bestimmte, ermöglicht. Hier soll nur der Übergang in das 'Reich des Verstandes' bedacht werden; es sollen aber nicht die einzelnen Schritte dieses Überganges näher bestimmt werden; wichtig ist im Rahmen dieser Arbeit nur, daß der Duktus selber zum Begriff kommt. Der Überstieg über das 'Hier, Jetzt' ist nach Hegel das Allgemeine; es ist als das vorausgesetzte prius das forttreibende Moment, aber als prius abstrakt, d.h. einem posterius entgegengesetzt. Es ist abstrakt in der Weise, daß es das Abstrakte des Dieses aufhebt; • es ist Negation des Dieses=Nicht-Allgemeinen, also Negation der Negation; als solche Negation der Negation vermittelt es das Dieses mit dem Allgemeinen, in der Weise, daß es das Dieses, das selber Allgemeines als Nicht-Allgemeines ist, das also mit einer Negation behaftet ist, zur Positivität bringt. Wir können so sagen: das Dieses ist das erste Moment, das abstrakt Allgemeine das zweite, das versammelnd-vermittelnde Aufheben beider Momente durch das zweite ist das Wesen.! Weil prius und posterius Fixierungen sind, bleibt nach Hegel das Zwischen nicht leer, sondern bekommt einen positiven Inhalt. Es wird zum Kampffeld der Subjektivität. 2 Das naive Bewußtsein übersteigt zunächst sein 'Hier, Jetzt', indem es in dieser Position zu verharren trachtet; prius und posterius kommen nur in seiner P~sition, d.h. prius-posterius nur als posterius zum Bewußtsein; notwendig muß sich daher um der Differenz, um der forttreibenden Kraft des prius willen, seine Naivität vernichten. Da aber das Zwischen von prius und posterius der Ort der Subjektivität ist, bleibt sie dem posterius verpflichtet; sie beseitigt weder das posterius noch das prius; sie sucht vielmehr diese als Momente des Zwischen zu bewahren und das Zwischen als Einheit von 1 Wir können freilich auch dieses Verhältnis vom Wesen her betrachten, so daß> dieses das Erste ist; das setzt aber schon die Präsenz der Transzendentalität voraus; eine solche Betrachtung wäre eine logische. Von hierher deutet sich an, daß im § x dieser Arbeit noch ein weiterer Widerstreit verborgen ist, nämlich der von transzendentaler Logik und transzendentaler Genesis; diesem Widerstreit gehen wir in dieser Arbeit nicht nach; s. auch S. 48 Anm. 2 dieser Arbeit. 2 Dieses Kampffeld wandelt sich zwar auf den verschiedenen Stationen des zu sich selbst kommenden Bewußtseins. Im Bereich der Wahrnehmung wird es noch von den Mächten hin und her getrieben; es ist noch nicht Herr seiner selbst. 'Diese leeren Abstraktionen der Einzelnheit und der ihr entgegengesetzten Allgemeinheit ... sind die Mächte, deren Spiel der wahrnehmende, oft sogenannte gesunde Menschenverstand ist;' (Phänomenologie des Geistes, S. 106).
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prius und posterius zu festigen. Absoluten Boden gewinnt ,die Subjektivität allererst im absoluten Bewußtsein. Hier soll nur der Übergang in das 'Reich des Verstandes' reflektiert werden. Das Zwischen von prius und posterius ist aber nicht einfachhin der Ort der Subjektivität, sondern es ist ihr Boden nur, indem sie es als ihre Stätte erwirbt. Das naive Bewußtsein zersetzt sich nämlich in der Weise, daß es sein Wahres hervorkehrt, nämlich Position zu sein, d.h. daß es nicht mehr in der Posteriorität prius und posterius zu fixieren trachtet, daß es nicht mehr zwischen der 'leeren Abstraktion der Einzelnheit und der ihr entgegengesetzten Allgemeinheit' 1 hin und her geworfen wird, sondern sich dadurch einen Standort verschafft, daß diese als Momente der Transzendentalität erscheinen. Die abstrakten Elemente der Einzelnheit und der Allgemeinheit entstammen als diese der Sinnlichkeit und sind durch sie bedingt. Allererst dadurch, daß beide als Momente ihres Einen bewußt werden, daß das prius-posterius sich nicht mehr als posterius zu behaupten sucht, sondern sich als transzendentale Differenz-Einheit anzeigt, kann sich das Allgemeine als ein unbe-dingtes setzen. Indem prius und posterius als abstrakte Elemente schwinden, wird sich die Subjektivität ihrer Position bewußt und gewinnt Boden als Medium der verschwindenden Sinnlichkeit und der sich anzeigenden Transzendentalität, oder - wie Hegel schreibt - des 'verschwindenden Diesseits' und des 'bleibenden Jenseits'. Dieser Ort wird als Welt begriffen. In dem 'Absolutallgemeinen, welches vom Gegensatze des Allgemeinen und Einzelnen gereinigt und für den Verstand geworden ist, schließt sich erst über der sinnlichen als der erscheinenden Welt, nunmehr eine übersinnliche als die wahre Welt auf, über dem verschwindenden Diesseits das bleibende Jenseits'. 2 Im Zerfall des naiven Bewußtseins konstituiert sich Welt. Bedingung der Möglichkeit der Konstitution von Welt ist die Beseitigung der Einseitigkeit von prius und posterius und ihre Zusammennahme als Momente ihres Einen, d.h. die Setzung des unbedingt Allgemeinen, die Konstitution des Wesens. Zusammenfassend muß gesagt werden: Der Obergang der naiven zur
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transzendentalen Position erfolgt nach H egel im Medium der Welt vermittels des Wesens. Auch nach Husserl soll das Bewußtwerden der Welt als Welt den Zugang zur TranszendentaIität eröffnen.! Der sachgemäßen Entfaltung nach hätte also der Begriff der Welt vorgängig zur Freilegung der TranszendentaIität erörtert werden müssen. Im Rückblick auf die bisherige Analyse wird aber deutlich, warum es sinnvoll ist, das Problem der Welt erst hier zu erörtern. In den Ideen I hatte Husserl das Wesen scholastisch als Erstes bes~t. Soll aber - so erkannte Husserl - die Reflexion des Wesens überhaupt möglich sein, so muß das Wesen vorgängig zu seiner Erkenntnis auf das Dies-da bezogen sein; das Dies-da muß schon Drittes sein, soll es Erstes der Erfahrung sein bzw. soll die Wesenserkenntnis ber ihm anheben (wenn auch nicht entspringen) können. - Der Überstieg des Dies-da bestimmte' sich als Allgemeines, so daß das Wesen als Drittes seiner Genesis resultieren müßte. Wesen im Sinne Husserls ist aber nicht nur nicht dieses Dritte, sondern vielmeh.r seine Destruktion. Husserl behauptet das Allgemeine, indem er es negiert: das Wesen im Sinne Husserls fixiert diese Negation; anders formuliert: das Wesen wird im Prozeß seines Denkens selber wesenlos. - Die TranszendentaIität indes kann nur in diesem Widerstreit erblickt werden. Das Allgemeine negiert sich dadurch, daß es sich in eine bloße Form, in ein 'System endloser Prozesse kontinuierlichen Erscheinens' 2 zersetzt. Die Sachhaltigkeit, die Gegenständlichkeit selber, versöhnt sich nicht mit dem Kontinuum der Erscheinungen und der Subjektivität als ihrem Ursprung. Die naive und transzendentale' Position destruieren sich vielmehr zum 'insofern' zweier Einstellungen. Der Obergang der naiven zur transzendentalen Position kann daher nicht zur positiven Bestimmung kommen; die Subjektivität wird welt-los: sie ist entweder in das bloße Diesseits, in den Verweisungszusammenhang, verbannt oder sie verliert sich ins reine Jenseits der TranszendentaIität. 3 Die Subjektivität wird aber welt-los, weil sie zuvor wesen-los geworden ist. Um diese Entweltlichung der Subjektivität scharf in den Blick zU bekommen, wurden zunächst in den letzten Paragraphen die s. z.B. Ideen I, S. 57 ff. ebd., S. 351. a Die radikale Spaltung von Mundanem und Transzendentalem wird später noch aufgezeigt; s. S. Srf.; S. 9S dieser Arbeit . 1
S
1 .2
Phänomenologie des Geistes, S. ebd., S. uS.
106.
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beiden Pole, die natürliche und die transzendentale Einstellung, fixiert. Nunmehr soll der nämliChe Widerstreit, und zwar unter dem Gesichtspunkt der Entweltlichung, freigelegt werden. 'Die phänomenologische Frage lautet: Was ist an dem Sachverhalt von vornherein als Inhalt des Sachverhaltes selbst schaubar?' ! Daß dem Gewahren schon Vorgegebene, etwa das Ding, ist nicht ein isoliertes Datum; dann könnte unsere Betrachtung gar nicht in ihm terminieren; es wäre gar nicht als es selbst schaubar. Vielmehr ist das Vorgegebene, etwa das Ding, sowohl selber schon Einheit seiner mannigfaltigen Eigenschaften als es auch immer schon in einem Zusammenhang von Dingen steht. Vorgegeben ist so ein interrealer Zusammenhang. Er ist selbstverständlich, unbefragt da. Er ist aber nicht unabhängig von der Subjektivität, vielmehr hält sich unsere Erfahrung je schon in ihm; er ist 'das Universalfeld, in das alle unsere Akte, erfahrende, erkennende, handelnde, hineingerichtet sind'. 2 Das Zusammen der Eigenschaften als Eigenschaften eines Dinges wie der Dinge untereinander ist allererst ein interrealer Zusammenhang kraft einer Regelung, durch die etwas als etwas allererst bestimmt ist. 3 Husserl unterscheidet in den Ideen III und dem Sinne nach auch im Ms. K I I I 6 zwischen empirischer und apriorischer Regelung der Erfahrung. 'Freilich schreibt auch die Idee des Minerals, die Idee der Pflanze u. dgl. dem Gang der Erfahrung eine Regel vor. Aber in ganz anderem Sinn als die Idee des Dinges.' 4 'Eine begriffliche Auffassung und Wirklichkeitssetzung als Mineral kann falsch sein, die Erfahrung kann diese oder jene dem Begriff Stein zugehörigen Momente als ungültig ausweisen, nur eins kann sie nie als ungültig ausweisen, solange überhaupt ein erfahrbarer Gegenstand sich gültig durchhält: eben das, was zum Gegenstand als Gegenstand solcher regionalen Erfahrungsart gehört: das Dingliche.' 5 Der vorgegebene Verweisungszusammenhang, in dem jedwedes je schon ist, ist somit
nicht durch eine bloß empirische Regelung bestimmt. Vielmehr bringt er in eins zur Erfüllung seine regionale wie empirische Regelung, wie Husserl ausdrücklich sagt.! Dann muß aber der vorgegebene Verweisungszusammenhang selber Resultat seiner Regionalität und demgemäß Anzeige der von der Regionalität selbst schon vorausgesetzten Transzendentalität sein. So schreibt doch Husserl: 'Jedes Objekt aber bezeichnet eine Regelstruktur für die transzendentale Subjektivität.' 2 Damit ist ein Doppeltes behauptet: einmal der Rückblick auf das selbstverständliche Sich-verhalten der Subjektivität im vorgegebenen Verweis.ungszusammenhang, auf sein doxisches Bewußtsein, sein Leben im 'Modus der Glaubensgewißheit' ; 3 sodann der Vorblick auf dieTranszendentalität. Im vorgegebenen Verweisungszusammenhang lebend, also in naiver Betätigung,4 erblickt die Subjektivität prius und posterius nur als Fixierungen, als Vergegenständlichungen; mit Fug und Recht begreift Husserl diese Haltung als eine ontologische. 5 Das naive Leben wird allererst in seinem Überstieg, d.h~ aber in seinem Zerfall, als ein solches begriffen. 6
Szilasi, W., a.a.O., S. 44. Krisis, S. 145. 3 Auch diese hier wie selbstverständlich behauptete Eigentümlichkeit bedürfte der Begründung, wie sie Hegel in der Phänomenologie des Geistes (s. ebd. S. 92 fL) gegeben hat. Da es hier aber nur darum geht, den Horizont in den Blick zu bekommen, in dem allererst von Welt gesprochen werden kann und muß, können wir auf die Dialektik des Dinges verzichten; zum Problem 'Transzendentalität und regionale Stufen' s.S. 72 ff. dieser Arbeit. 4 Ideen III, S. 33. 5 ebd., S. 34. 1
2
Ideen III, S. 34. Cartesianische Meditationen, S. 22. 3 Sein der Welt im Ganzen ist die Selbstverständlichkeit, die nie angezweifelt und nIcht selbst erst durch urteilende Tätigkeit erworben ist, sondern schon die Voraussetzung für alles Urteilen bildet. Weltbewußtsein ist Bewußtsein im Modus der Glaubensgewißheit, nicht durch einen im Lebenszusammenhang eigens auftretenden Akt der Seinssetzung, der Erfassung als daseiend oder gar des prädikativen Existentialurteils erworben. All das setzt schon Weltbewußtsein in Glaubensgewißheit voraus.' (Erfahrung und Urteil, S. 25). 4 'Die Rede von allgemeiner Beschreibung von Körpern überhaupt, von Organismen ilberhaupt, von Menschen als personalen Subjekten überhaupt - in ihrer Beziehung auf "oberste Allgemeinheiten" - wird naiv verstanden und naiv ev. betätigt.' (Ms. K III 6, S. 240a). 5 s. Ideen I, S. 24; S. 27, ferner Krisis, S. 176 ff. Von hier aus fällt ein neues Licht auf die Dialektik des Wesens, wie wir sie oben entfaltet haben. 6 'Wie kann nun das Vorgegebensein der Lebenswelt zu einem eigenen und univ~rsalen Then:a vo:erden? Offenbar nur durch eine totale Änderung der natürlichen Emstellung, eme Änderung, in der wir nicht mehr wie bisher als Menschen des natürlichen Daseins im ständigen Geltungsvollzug der vorgegebenen Welt leben, vielmehr uns dieses Vollzugs ständig enthalten. Nur so können wir das verwandelte und neuartige Thema "Vorgegebenheit der Welt als solcher" erreichen: Welt rein und ganz ausschließlich als die und so wie sie in unserem Bewußtseinsleben Sinn und Seinsgeltung hat und in immer neuen Gestalten gewinnt .... Das die Weltgeltung des naturlichen Weltlebens leistende Leben läßt sich nicht in der Einstellung des natürli.chen ~elt1ebe~s studieren. Es bedarf also einer totalen Umstellung, einer ganz emzlgartlgen unIversalen Epoche.' (Krisis, S. 151). In der epoche deutet sich aber schon d1e Krise an, wie weiter unten sichtbar wird. S. auch S.93 ff. dieser Arbeit. Das Cartesianische Motiv bedeutet für Husserl: 'Durch die Hölle einer nicht mehr zu ilbersteigernden quasi-skeptischen Epoche hindurch zum Eingangstor in den Himmel einer absolut rationalen Philosophie vorzudringen und diese selbst systematisch aufzubauen.' (Krisis, S. 78). 1
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Das setzt aber voraus, daß es in diesem Zerfall einen Standort gewinnt, eine Mitte nämlich zwischen verschwindender Naivität und sich anzeigender Transzendentalität; es setzt voraus, daß sich Welt konstituiert. 1 Es ist aber durchaus berechtigt, die naive Position als naives Weltleben zu bezeichnen, wie es ja auch einen Sinn hat, vom naiven Darleben der Transzendentalität zu sprechen; ja hier handelt es sich nicht bloß um eine andere Bezeichnung, sondern es kommt die innere Spannung, die beharrende wie forttreibende Kraft der naiven Position zum Ausdruck. Die Destruktion des regional Allgemeinen zum Verweisungszusammenhang wurde aufgezeigt. Die Subjektivität wird wesenund damit auch welt-Ios. 2 Welt meint dann eine universale Komplexion, Wesen ihre Invariante. 'Wenn wir im freien Umblicken das Formal-Allgemeine, das an der Lebenswelt in allem Wandel der Relativitäten invariant Verbleibende, aufsuchen, so halten wir uns unwillkürlich an das, was für uns im Leben allein den Sinn der Rede von Welt bestimmt: die Welt ist das All der Dinge, der in der Weltform Raumzeitlichkeit in doppeltem Sinne örtlich" (nach RaumsteIle, Zeitstelle) verteilten Dinge, der ~aumzeitlichen "Onta".' 3 Welt ist als raumzeitlich-kausale Komplexion All der Dinge. Ihre Typik umspannt als 'Totalität der Totalitäten' 4 alle Sondertypik. Es sei allerdings ausdrücklich hervorgehoben, daß nur eine Bestimmung des Weltbegriffes diskutiert wurde. Es bedarf noch \ der Erschließung des Verhältnisses von Zeitlichkeit und AprioriItät; spricht doch Husserl davon, daß 'Welt gezeitigt' wird. 5 Wenn aber nach Fink Husserl in den späten Zeitmanuskripten 'die Entzweitheit alles Seienden (essentia-existentia) in einer Ur-Einheit, die weder "faktisch", noch "möglich", weder eins, noch vielhaft, weder ein Exemplar, noch eine Gattung ist' 6 zu 1 Zur (geschichtlichen) Konstitution der Welt s. unten S. J2I ff.
S So wie die Subjektivität sich in empirisches und transzendentales I~h spaltet,. so auch Welt in Welt (das Mundane) und Weltphänomen. (s. daz~ S. 85 d~eser ,Arbeit). Diese Spaltung bekundet slCh im Zitat der Anm. 6 auf S. 67 m den Titeln Emstellung', 'epoche'. 3 Krisis, S. I45. 4 Ms. K III6, S. I25a. 5 s.z.B. Ms. CI, S. 2 (der Transkription) (I934). . ., . 6 Fink E. 'Dle Spatphilosophle Husserls m der Frelburger Zelt, m: Edmund Husserl, ;859~I959, S. II3; s.dazu z.B. C I, S. 4 (der Transkription).
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begründen versucht, so setzt das doch voraus, daß diese Differenz selber in den Blick kommt; insofern versuchte diese Analyse eine grundlegende Bestimmung des Husserlschen Weltbegriffes ans Licht zu bringen. Nicht ohne Grund hat auch Husserl in den Ideen, wie in der Ersten Phil., wie in den Cartesianischen Meditationen, wie in der Krisis die Frage nach der Transzendentalität vor aller Zeitanalyse gestellt. Die obige Analyse legte den Widerstreit im Husserlschen Weltverständnis frei; das, was in ihm zur Sprache drängt, kam nicht zum Austrag; einige Hinweise versucht das absclllteßende Kapitel dieser Arbeit. Es sei hier indes noch einmal der bereits früher erhobene Einwand 1 wiederholt und verschärft. Der bestimmende Charakter der Subjektivität ist das Sich- I richten-nach, das sich aber je schon in einem Verweisungszusammenhang hält. Da das Sich-richten-nach von Husserl terminologisch als Intentionalität gefaßt wird, kann auch gesagt werden: 'Die Intentionalität ist es, die Bewußtsein im prägnanten Sinn charakterisiert.' 2 Der Einwand besagt nun, 'daß die, Bedingung der Möglichkeit der Transzendental-Philosophie die Intentionalität ist und nicht umgekehrt'. 3 Unsere bisherigen! Analysen dürften jedoch die Unwahrheit dieser These erwiesen haben. Das Sich-richten-nach, die Intentionalität, gründet je \ schon in einer die Intentionalität allererst ermöglichenden Regelung. Die Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung ist auf das je und je Erfahrene je schon bezogen, wie sie auch dieses je schon übersteigt. Diese Differenz-Einheit hat Husserl selber als eine transzendentale begriffen, wie immer wieder betont wurde. 4 Entscheidend ist, ob die transzendentale Differenz-Einheit radikal erfaßt, in das Zentrum der Überlegungen gerückt und damit der im Husserlschen Fragen verdeckte Widerspruch freigelegt wird, oder ob man beharrlich diesem Widerstreit ausweicht. Wenn die Differenz von Wesen und Dies-da, wie sie Husserl vor allem in den Ideen I herausgestellt hat, nicht im Sinne der Scholastik (des Skotismus) verstanden werden kann, sondern vielmehr im Sinne der neuzeitlichen Transzendentalphilosophie, so muß
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s.s. 58 dieser Arbeit. Ideen I, S. 52. Szilasi, W., a.a.O., S. 25. s. auch S. I8 ff. dieser Arbeit.
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notwendig Welt zum vordringlichen Thema werden. 1 Wenn die Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung auf eben diese Erfahrung bezogen, wie auch von ihr unterschieden ist, so muß kraft dieser Differenz-Einheit ein Gedoppeltes gesetzt sein, wie sich oben zeigte. In einem Spätmanuskript betont Husserl: Die 'Realitäten' sind 'notwendig gebunden ... an ontologische, an apriorische Regionen'. Der Text fährt dann fort: 'Daß in der Welt Naturobjekte sind, kann nicht Erfahrung lehren. Wenn wir fragen, was Erfahrung lehrt, haben wir schon als Voraussetzung dieser Frage die Welt als Fragehorizont und darin notwendig und unbefragt Dinge. Alles Reale steht jedenfalls unter diesem Apriori, daß es eine Körperlichkeit hat mit allem ontologisch Dazugehörigen, das eben herauszuentfalten, zu beschreiben ist. Und so auch hinsichtlich organischer Wesen, Mensch, Tier.' 2 In der Tat begegnet uns das Apriori im Welthorizont. Wird aber die Transzendentalität von prius-posterius recht begriffen, so ist Welt nicht Boden des Apriori, nicht ihm als einheitliches Universum schon vorausliegend, sondern Medium des Begegnens von prius und posterius. Da aber das Wesen nicht als Vermittlung von prius und posterius und damit nicht als Ermöglichung des Begegnens zum Begriff kommt, Wesen sich vielmehr wiederum in ein prius fixiert, muß Welt sich notwendig zum bloßen Verweisungszusammenhang und Boden des Apriori destruieren; genauer: Welt als Verweisungszusammenhang ist selber schon Resultat des Widerstreits des Allgemeinen. Man möge die Hartnäckigkeit verzeihen, mit der immer wieder auf diesen Widerstreit hingewiesen wurde und wird. Da Husserl den Kampf gegen Heideggers Philosophie im Namen der von ihm behaupteten Transzendentalität führt, ist diese Auseinandersetzung ein erneuter Beweis für unsere These. Heidegger weiß darum, daß die Intentionalität nur möglich ist auf dem Grunde der Transzendenz, aber weder mit dieser identisch noch gar umgekehrt selbst die Ermöglichung der Transzen-
denz ist.! Transzendenz ist der Titel, mit dem Heidegger in seiner Schrift: Vom Wesen des Grundes die Transzendentalität zu verstehen versucht, was hier nicht näher auszuführen ist. Es soll nur im Blick auf Sein und Zeit das unterschiedene Verständnis der transzendentalen Differenz (die alle Intentionalität erst verstehen läßt) bei Husserl und Heidegger gezeigt werden. Heidegger versucht dort darzutun, 'daß die Seinsart des menschlichen Daseins total verschieden ist von der alles anderen Seienden, und daß sie als diejenige, die sie ist, gerade in sich die Möglichkeit der transzendentalen Konstitution birgt. Die transzend,ntale Konstitution ist eine zentrale Möglichkeit der Existenz des faktischen Selbst'. 2 Husserl begreift dagegen den Überstieg über das Hier und Jetzt als Allgemeines,3 so daß er als ein transzendentalergründend in der transzendentalen Subjektivität - begriffen wird. Transzendentale Möglichkeit ist die Möglichkeit dieser Subjektivität. Sie wird nicht gesucht in einem ausgezeichneten Jetzt-Hier, in einer 'Seinsart' 'die total verschieden ist von der alles anderen Seienden', so daß sie zum (faktischen) Spielraum der Existenz wird; kann doch nach Husserl dieses Sein, das Dasein, sich nur in Abhebung von allen anderen Seienden behaupten; so daß eine solche Suche schon den Begriff (erst recht den Vor-Begriff) der sich in ihrem Sein unterscheidenden Seienden voraussetzt. Heidegger fragt ja in Sein und Zeit: 'An welchem Seienden soll der Sinn von Sein abgelesen werden, von welchem Seienden soll die Erschließung des Seins ihren Ausgang nehmen? Ist der Ausgang beliebig, oder hat ein bestimmtes Seiendes in der Ausarbeitung der Seinsfrage einen Vorrang? Welches ist dieses exemplarische Seiende und in welchem Sinne hat es einen Vorrang?' 4 Husserl bemerkt kritisch in seinem Handexemplar: 'Kann es bei einer wesensallgemeinen Frage den Vorrang eines Exempels geben? Ist das gerade nicht ausgeschlossen?' 5 Den Überstieg über das Hier und Jetzt in ein ausgezeichnetes Jetzt-Hier zu festigen und Möglichkeit als Möglichkeit dieses Daseins zu bestimmen läßt nach Husserl den Überstieg selber nicht mehr begreifen. Das,
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1 Husserl mußte den Weltbegriff erarbeiten, sollte seine Auslegung des Seienden als Wesen-Dies-da Grund und Boden gewinnen. So ist seine Frage bezüglich der Wesenslehre der Ideen I (ebd., S. 10-39) aus der inneren Konsequenz dieses Verständnisses selber heraus gestellt: 'Sind nicht die Regionen die universalen Weltstrukturen, während doch der Begriff der Weltstruktur, da nicht die Welt als einheitliches Universum vorangestellt ist, überhaupt nicht zur Erörterung kommt?' (Ideen I, S. 390). 2 Ms. KIll 6, S. 240 a.
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s. Heidegger, M., Vom Wesen des Grundes, Frankfurt Main 1943 3, S. 15. s. Biemel, W., a.a.O., S. 274. 3 Das begriffene Allgemeine wird freilich in demselben Denken wiederum negiert. 4 Heidegger, M., Sein und Zeit, TiIbingen 1953 7, S. 7. 5 Husserls Handexemplar zu Sein und Zeit; Die Husserlschen Anmerkungen sind abgeschrieben im Manuskript K X (Heidegger I) (nach 1929); das Zitat K X, S. 4· 1 2
DAS WESEN UND DIE TRANSZENDENTALITÄT
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was den Ort des Transzendentalen ausmacht, ist aber damit nicht nur Nicht-Seiendes. Es ist vielmehr Seiendes wie NichtSeiendes in eins. Husserl vermag allerdings die Vermittlung nicht aufzuzeigen. In Bezug auf das Husserlsche Weltverständnis läßt sich nunmehr sagen, daß nach ihm Welt nicht Binnenbezirk der Endlichkeit, der endlichen Subjektivität, ist. Welt ist vielmehr Stätte der Endlichkeit und des Absoluten. 'Die blendenden tiefsinnigen Weisen, in denen Heidegger mit dem Tode umspringt, wird sich der Tod schwerlich gefallen lassen. In der echten, der in der transzendentalen Reduktion begründeten Phänomenologie, in der Phänomenologie aus den absoluten Evidenzquellen (in denen alle objektiven Evidenzen zu Gegenständen absolut subjektiver Evidenzen werden) ist der Tod das Ausscheiden des transzendentalen Ego aus der Selbstobjektivation als Mensch.' 1 'Der Mensch kann nicht unsterblich sein. Der Mensch stirbt notwendig. Der Mensch hat keine weltliche Proexistenz, in der zeiträumlichen Welt war er früher nichts und wird er nachher nichts sein. Aber das transzendentale urtümliche Leben, das letztlich weltschaffende Leben und dessen letztes Ich kann nicht aus dem Nichts werden und in Nichts übergehen, es ist "unsterblich", weil das Sterben dafür keinen Sinn hat.' 2
Auch nach Husserl sind die Stufen Abstraktionen,l Entfremdungen. 2 Das bedeutet aber, daß sie selber Stufen der zu-sichselbst-kommenden Transzendentalität sein müssen, soll derAnsatz, daß die regionale Differenz selber eine transzendentale ist (gründend in der transzendentalen Subjektivität), konsequent zur Entfaltung kommen. Husserl überschreibt den § 29 der Cartesianischen Meditationen: 'Die material- und formalontologischen Regionen als Indices transzendentaler Systeme von Evidenzen.' 3 Das Für-uns-erste ist die vorgegebene Welt als/ objektive. Das, Objektiv-sein des Objektiven ist aber das Ding~. Das Für-unserste ist demgemäß' die Gegenstruktur der nicht-tierischen Welt', 4 die Dingwelt, also die unterste Abwandlung der Subjektivität. Esist die äußerste Entfremdung. Husserl betont so, daß in der ersten Reflexion die 'pure Realitätenwelt' entdeckt wird. 5 Das an sich Höhere solcher Abwandlung der Subjektivität müßte also dann aus dem Niederen sich hervorkehren, auf daß schließlich die Subjektivität selber als Subjektivität zur Präsenz käme. Das Transzendentale des prius-posterius der Dingheit6 müßte sich in seine höhere Dimension aufheben. Es verweilte dann nicht mehr im prius-posterius als posterius des Dinglichen; es brächte sich vielmehr als solche in die Beschreibung, in die Beobachtung,7 auf daß es sich so in seine höhere Dimension des Organischen bege-
§ 7. EXKURS. TRANSZENDENTALIT ÄT UND REGIONALE STUFEN
s.S. 4, Anm. 4 dieser Arbeit; ferner Kl'isis, S. 230 ff. Husserl spricht selbst von Entfremdung: 'Die Selbstentfremdung vollzieht sicb. in Form des welterfahrenden Lebens und seinen Implikationen.' (Ms. BI 5 IX, s. 8(der Transkription) (I930). 8 Cartesianische Meditationen, S. 97. Es ist ferner folgendes zu beachten: Husserl' weist in einer Anmerkung der Krisis darauf hin, daß ich nicht von Menschen, Tieren, Pflanzen usw. sprechen kann, wenn ich nicht vorweg ein Apriori habe. 'Man hat natürlich vorweg ein biologisches Apriori vom Menschen her', d.h. man hat ein Apriori der Animalität, der Pflanzen, schließlich 'die Gegenstruktur der nicht-tierischen Welt, der Dinge'. (Kl'isis, S.482, Anm.2). 'Wir haben ein Apriori' heißt aber im Sinne Husserls genauer: Wir leben je schon in einer Vorzeichnung, so daß auch ihre Reflexion an sie gebunden ist, In dem 'Vorweg-schon-haben' liegt zugleich eine Stufung. Sie ist als Stufung solches 'Vorweg-schon-habens' Stufung der Transzendentalität, der transzendentalen Subjektivität selber. 4 Krisis, S. 482, Anm. 2. 5 Ms. K 111 9, s. 54 a. 6 Es müßte freilich gezeigt werden, warum das prius-posterius als posterius. die Dingheit ist; doch auf diese Dialektik kann hier verzichtet werden. 7 Es wurde bereits früher darauf· hingewiesen, daß Husserl in transzendentalempirischer Betrachtung das regionale prius-posterius betrachtet; s. dazu ferner: Hegel, G.F.W., Phänomenologie des Geistes, S. 190 ff.; s. bes. S. 193. Die Beschreibung setzt freilich als transzendentale die Selbstgewißheit des Bewußtseins voraus. (s. ebd.,.. S. I39 ff.).
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Die Metaphysik begreift den Menschen 'als ein zur Welt gehöriges, und zwar als Stufe von anderen Stufen unterschiedenes, wie aber auch als ein je schon Welt-verstehendes Wesen. Der Deutsche Idealismus versuchte dieses Problem dadurch zu lösen, daß er die Stufen als Abstraktionen, als Entfremdungen des Geistes begriff. Husserl stellt sich dieser Frage in den Ideen II und den Ideen III. Jedoch bricht gerade im ersteren Werk eine Spannung auf, die er auch in seinem Spätwerk nicht bewältigt hat. L. Landgrebe hat diese aufgezeigt. 3 Hier sei die Stufung nur im Hinblick auf die Priorität-Posterioritäts Differenz betrachtet. Ms. KIll 6, S. 247 b. ebd., S. 2!)I a. 8 Landgrebe, L., 'Seinsregionen und regionale Ontologien in Husserls Phänomenologie', in: Studium Gen61'ale, I956, 9, S. 3I3 ff. 1
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ben könnte. Damit wäre wiederum das Denken auf den Weg der Phänomenologie des Geistes gewiesen. Da aber das Husserlsche Allgemeine sich zu einer bloßen Form, zu einem 'Kontinuum von Erscheinungen' destruiert, kann das regionale Apriori sich nicht als progressive Stufung des Allgemeinen entfalten. Die Stufen können sich nur als Abwandlungen des Kontinuums von Erscheinungen, das ja nichts anderes als eine Raum-Zeit-Kausalität ist, behaupten. Diese Destruktion vollzieht sich in der epoche, die sich als Negation der Transzendentalität und ihrer Stufen notwendig in eine mannigfache epochale Abwandlung gliedert.! Die transzendentalen Stufen 'iiestruieren sich zu regionalen Ontologien. Wird ihre Herkunft vergessen, so destruieren sie sich weiter zu den Schichten N. Hartmanns. 2
ZWEITER TEIL
DIE TRANSZENDENTALE EPOCHE
1.
Unsere Betrachtung termmiert z B. m der OntologIe des LeIbes, der SomatologIe
\Nu wenden dann unsere Aufmerksamkeit der OntologIe des Dmges zu. WIr betrach-
ten so nIcht mehr den LeIb als LeIb; WIr uben epoche bezuglIch der OntologIe des LeIbes. s. auch S. 73, Anm. 3 dIeser ArbeIt. 2 s. dazu auch oben S. 43 dIeser ArbeIt.
Wenn auch das Wesen dem Tatsächlichen ~angeht, so muß es doch, eben im Namen des Vorangehens, ~einen Bezug zum Dies-da zur Sprache bringen. Das Husserlsche Wesen bejaht diesen Bezug, indem es ihn negiert. Der Erste Teil versuchte, von der vorgängigen Fixierung des Wesens her diesen Widerstreit freizulegen. Das Ergebnis: das Wesen wird kraft der epoche wesen-los. Wurde zunächst das prius-posterius als posterius reflektiert, so gestattete hemach diese Differenz kraft ihrer Transzendentalität den Hin.t>lick auf die natürliche und transzendentale Position. Auch hier kam von der Fixierung der Pole her das Zwischen in den Blick. Zu zeig~n, wie dieses Zwischen wiederum durch die epoche - wenn auch durch die transzendentale - weggebracht wird, so daß die Positionen sich in Einstellungen zu festigen suchen, zwischen denen ein radikaler Abgrund waltet, ist die Aufgabe der folgenden Analysen. § 8. DAS TRANSZENDENTALE ENTHüLLEN
In der naiven Position ist die Transzendentalität schon vorausgesetzt, aber als solche nicht im Blick. Notwendig stellt sich die Frage, wie die Transzendentalität im naiven Leben ist. Offensichtlich wird sie in ihm prinzipiell gerade nicht erschaut. Das 'nicht' muß also Auskunft geben über die Anwesenheit des Transzendentalen im naiven Darleben. Die Differenz von Wesen und Dies-da ist nun selber eine transzendentale. Jede Differenz impliziert aber ein 'nicht'. Husserl vergegenständlicht aber die Relata der Wesen - Dies-da Differenz, so daß die Subjektivität auf solche Gegenständlichkeit bezogen gedacht wird. Sein wird zum Gegenstand-sein-für. Die Zugangsweise zu dem sich so auslegenden Sein ist das Themati-
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sieren.! Auch das 'nicht' der Differenz muß sich dann entsprechend verstellen, so daß es sich nur im Zusammenhang mit dem Thematisieren behaupten kann. Genau deswegen schreibt Husserl: 'Das natürliche Leben ist, ob vorwissenschaftlich oder wissenschaftlich, ob theoretisch oder praktisch interessiertes, Leben in einem universalen unthematischen Horizont.' 2 Es soll infolgedessen zunächst vom 'nicht' das Thematisieren, sodann vom Thematisieren das 'nicht' beleuchtet werden. Die Transzendentalität ist im naiven Leben nicht nur faktisch noch nicht bekannt; sie ist prinzipiell in ihm nicht in den Blick zu bekommen. Wir müssen daher sagen: das naive Weltleben ist das Nicht-Thematischsein des Transzendentalen, d.h. aber, das Transzendentale ist konstituierend in der Weise, daß es sich verbirgt. Das naive Weltleben ist das Anonym-sein, das Namenlos-sein des Transzendentalen. Husserl bestimmt daher die Freilegung des Transzendentalen als 'Enthüllen', 3 und, da sie die Offenbarung des transzendentalen Vernunftlebens ist, als das Zu-sich-selbst-kommen der transzendentalen Vernunft. Philosophieren bedeutet, 'die latente Vernunft zum Selbstverständnis ihrer Möglichkeiten zu bringen'. 4 Philosophieren ist die 'historische Bewegung der Offenbarung der universalen, dem Menschentum als solchen "eingeborenen" Vernunft'. 5 Das Enthüllen ist Rückgang in den transzendentalen Grund, Rückgang in die transzendentale Subjektivität, Reflexion. Wie vollzieht sich aber dieser Rückgang? Das naive Weltleben ist, insofern die Transzendentalität gerade nicht thematisch ist. Sie kommt also nur in den Blick auf Grund der Änderung des 'insofern'. Genau das meint epoche. 6 In solcher epoche kann sich allererst zeigen, was Transzendentalität meint. Wir können aber die Methode des transzendentalen Enthüllens noch genauer bestimmen. Dazu muß die Eigentümlichkeit des Thematisierens näher entfaltet werden. Das Thematisieren verlangt nämlich, daß das zu Thematisierende klar und deutlich in 1
Husserl spricht immer WIeder von Thematisieren.
Krisis, S. 148. 3 s. z.B. KrisiS, S. 472; 'Enthüllung des Zwecksinnes der Wissenschaft .. .' (Carte· sianische Meditationen, S. 50). 4 Krisis, S. 13. 2
ebd., S. 13/14. s. dazu Ideen I, § 31: 'RadIkale Änderung der naturlichen Thesis. Die "Ausschaltung", "Einklammerung".' 5
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den Blick kommt und so entfaltet wird, wie es in den Blick kommt; kurz: das Thematisieren verlangt Evidenz.! Nur so-erfährt es seine Strenge, d.h. seine Wissenschaftlichkeit. Wissenschaften erstreben aber nicht nur überhaupt Evidenz, sondern 'absolute Sicherheit, oder, was gleich gilt, absolute Zweifellosigkeit.' 2 Absolute Sicherheit oder - wie Husserl auch schreibt apodiktische Evidenz 3 meint zunächst, daß der Irachverhalt als.er selbst in seinem vollen Gehalt originär (also ni~M nur partiell originär) gegenwärtig ist. 4 Das naive Erkennen gründet sich nicht auf solche ausgezeichnete Evidenz, ja für es ist sie wesenhaft ausgeschlossen. 5 Insbesondere können die Wissenschaften die in ihnen waltende Intention nach apodiktischer Gewißheit als Welt-Wissenschaften nicht zur Erfüllung bringen. Dem naiven Weltleben kommt keine apodiktische Evidenz zu, weil das natür-liche Leben Leben in einem universalen unthematischen Horizont ist. Die Thematisierung dieses Horizontes ist demgemäß eineausgezeichnete, ihr kommt apodiktische Evidenz zu. Sie bringt allererst die Intention der Weltwissenschaften zur Erfüllung und_ . ist damit Wissenschaft "im höchsten und universalsten Sinn, PhIlosophie. Weil aber unser alltägliches wie wissenschaftliches Erken-nen keine apodiktische Gewißheit beanspruchen kann, können wir in naiver Position lebend nicht sagen, ob Philosophie überhaupt möglich ist, ob die Sehnsucht nach absoluter Sicherheit und damit die Philosophie als absolut gewisses Fragen nicht eitler Wahn ist. 'Wir wissen also noch nicht, ob sie ((= die Zweckidee'der Philosophie)) überhaupt zu verwirklichen sei ... Besinnlich erwägen wir, wie sie als Möglichkeit auszudenken und dann, wie sie zur Verwirklichung zu bringen wäre.' 6 Nachträglich, auf Grund dertranszendentalen Reflexion, wissen wir erst, daß apodiktisch gewisses Wissen und damit strenge Wissenschaft möglich ist. 1 Evidenz ist nämlich 'in einem aIlerweitesten Sinne eine Erfahrung von Seiendem und So-Seiendem, eben ein Es-selbst-geistig-zu-Gesicht-bekommen'. (Cartesianische Meditationen, S. 52). 2 ebd., S. 55. 3 ebd., S. 55/56. 4 Husserl schreibt: 'Vollkommene Evidenz und ihr Korrelat, reine und echte' Wahrheit.. .' (Cartesianische Meditationen, S. 52). - Es ist allerdings zu beachten, daß hier nur eine Bestimmung der ApodiktizItät reflektiert wird, nämlich die Inadäquatheit· die zweite Bestimmung s.S. 89 ff., insbesondere S. 97 dieser Arbeit. 5 'Fur das Leben des Alltags 'genügen relative Evidenzen und Wahrheiten'. (Car-tesianische Meditationen, S. 52). 6 ebd., S. 49.
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DIE TRANSZENDENTALE EPOCHE
Wir springen so in die Transzendenta1ität. Ferner: das Verhalten in Welt ist voraussetzungsvoll, nicht anfangend. Wir leben ja immer schon in Welt. Hingegen kann die Thematisierung des Vorausgesetzten als des naiv Nicht-Thematischen nicht mehr voraussetzungsvoll sein, d.h. sie bestimmt sich als anfangende. Es liegt nahe, das Bewußtwerden des transzendentalen Ur-sprungs so zu verstehen, daß die ihrer Transzendentalität bewußt gewordene Subjektivität ihr vormaliges naives Dasein als primitives hinter sich läßt, nicht aufhebt, sondern überwindet im Sinne der Fortschrittstheorien. Aber dann ist nicht beachtet,' daß das natürliche Leben das Nicht-Bewußtsein des Transzendentalen ist. Das Bewußtwerden des Transzendentalen kann aber auch nicht die Aufhebung des vormaligen naiven Darlebens sein; denn es ist das Thematisieren des naiv Nicht-Thematischen. Das Transzendentale ist daher nur im Sprung, im Absprung vom naiven Weltleben zu erreichen. Da aber das transzendentale Leben nicht das Aufheben des vormaligen naiven Darlebens ist, müssen wir ständig in dieses zurückkehren. 'Nach der Trivialisierung des philosophischen Lebens verbleibt die Fortsetzung des natürlichen als Rückkehr, nur daß dann das natürliche unter Erhaltung seiner alten Sinnes- und Seinsstruktur eine Verwandlung darin erfährt, daß das ((Ms.: "in das") philosophierende (alle ((Ms.: "in alle")) mitphilosophierenden) durch Einströmen der transzendentalen Ergebnisse in die früher naiv apperzipierte Subjektivität eine transzendentale "Innerlichkeit" erhält.' 1 Husserl spricht also von 'Rückkehr'. Die transzendental reflektierende Subjektivität erfährt zwar eine Verwandlung, eine · 'transzendentale Innerlichkeit', aber bei Erhaltung ihrer alten _Sinnes- und Seinsstruktur. Das naive Weltleben und insbesondere · das wissenschaftliche Tun ist die Vergessenheit des Transzen· dentalen, so daß wir ständig die Welt verlieren müssen, um sie wiederzugewinnen. 'Positive Wissenschaft ist Wissenschaft in der Weltverlorenheit. Man muß erst die Welt in epoche verlieren, um sie in universaler Selbstbesinnung wiederzugewinnen. Noli foras ire, sagt Augustin, in te redi in interiore homine habitat veritas.' 2 Hier werden wir auf die transzendentale Antithetik aufmerk.-'sam. In der transzendentalen Reflexion übt der Reflektierende
epoche hinsichtlich des naiven Weltlebens. 'Beginnen wir als natürlich eingestellte Menschen, so ist das wirkliche Objekt das Ding dort draußen. Wir sehen es, wir stehen davor, wir haben die Augen fixierend darauf gerichtet, und so, wie wir es da als unser Gegenüber im Raume finden, beschreiben wir es und machen darüber unsere Aussagen .. , Vollziehen wir nun die phänomenologische Reduktion, so erhält jede transzendentale Setzung, also vor allem die in der Wahrnehmung selbst liegenqe, ihre ausschaltende Klammer.' 1 'In der Zeit, in der ich trans~endentaler oder reiner Phänomenologe bin, bin ich ausschließlich als transzendentales ego nach allem darinintentionalImplizierten mein Thema.' 2 'Aus der Umstellung können wir wieder in die natürliche Einstellung zurückkehren.' 3 Ständig muß sich die Subjektivität wiederum vergessen, um sich erneut wiederzugewinnen. Zusammenfassend kann gesagt werden: Die natürliche und transzendentale Position, d.h. die relative und apodiktische Evidenz, d.h. das Voraussetzungsvolle und das Voraussetzungslose stehen in Antithetik zueinander. Es besteht kein Übergang im strengen Sinn von der natürlichen Z1q transzendentalen Position. Zwischen beiden 'ist für die Spontaneität eine Kluft, die das reine Ich nur in der wesentlich neuen Form des realisierenden H andelns und Schattens ... übersteigen kann'. 4 Das weltliche Leben bedarf des transzendentalen Apriori, wie auch dieses das weltliche Aposteriori verlangt. Die Subjektivität muß sich im Sprung die Negation der intendierten Vermittlung eingestehen.
1 2
Ms. K II16, S. 64a. Cartesianische Meditationen, S. 183.
Anmerkung: Zum Begriff Welt - Welt wird als Welt, so sagten wir früher, erst bewußt und bringt sich demgemäß erst in ihr Wesen im Zerfall des vormaligen ursprünglich-naiven Lebens. Man muß das naive Leben verlieren, um sein Wahres in universaler Selbstbesinnung zu gewinnen. Der Begriff' natürliche Position' bringt zur Sprache, daß das Bewußtsein in ihr zunächst verharrt. 1 2
Ideen I, S. 225. Krisis, S. 261.
3
ebd.
4
Ideen I, S. 271. Husserl meint hier die Phantasiemodifikation. Er spricht
an dieser Stelle vom Übergang der Phantasie in die entsprechende Perzeption. Da aber die transzendentale Reduktion eine ausgezeichnete Phantasiemodiükation ist (vergl. Ideen I, S. 267/68), gilt dieses insbesondere auch für die transzendentale Betrachtung.
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Infolge der Vergegenständlichung von Wesen und Dies-da kommt aber bei Husserl die Subjektivität nur als thematisierende in den Blick: im naiven Leben ist die Transzendentalität gerade nicht thematisch. Naivität und Transzendentalität werden zum 'insofern' zweier Einstellungen, zwischen denen ein Abgrund waltet. So wie das Zwischen von Wesen und Dies-da weggebracht ist, so auch das Zwischen als Welt. Die natürliche Position wird zur Einstellung, die nur als Antithese sich behaupten kann. Sie destruiert sich zur Raum-Zeit-Komplexion, die nur in und aus der Antithetik von natürlicher und transzendentaler Einstellung als Welt zur Bewußtheit kommt. So schreibt Husserl: 'Man muß erst die Welt in epoche verlieren, um sie ((nicht: um das Wahre des naiven Lebens hervorzukehren, also aufzuheben; daher bei Husserl Antithetik ! !)) in universaler Selbstbesinnung wiederzugewinnen.' 1 Die natürliche Position wird zur natürlichen Einstellung, d.h. sie wird als Antipode der Transzendentalität der Ort der ständigen Rückkehr aus dem transzendentalen Leben. 2 Die Antithetik selber ist durch die epoche bedingt; sie verhindert, daß die Welt als Zwischen zum Begriff kommen kann. Welt als Antipode zum Transzendentalen wird auch terminologisch >als Mundanität (adjektivisch als mundan) bezeichnet. Entsprechend wird das regionale Wesen im Unterschied zum transzendentalen auch mundanes Wesen genannt. Warum aber die Selbstbesinnung trotz Intentionalität eine bloße Innerlichkeit ist, wird sich später zeigen.
daß die Subjektivität sich als objektivierende gerade nicht bewußt ist. 'Das Getane, die Tat ist in jedem solchen Schritt "da", sie allein steht im Blick, ist allein "Thema", während das bewußtseinsmäßige Leben und Leisten, in dem das Tun selbst besteht, eben gelebtes, aber nicht thematisches ist. Es erfahrend und theoretisierend in den Blick und in Arbeit zu stellen, das im aktuellen Leben ungesehene und daher unverständliche Leben zum Verständnis, zur theoretischen Aussage zu bringen - das ist ja die neue Problematik gegenüber allen und jenen Pl:oblemen natürlicher Einstellung auf Objektivität.' 1 Die Differenz-Einheit von prius und ,posterius läßt allererst die Transzendentalität sehen, d.h. das Sehen der Transzendentalität muß dem prius posterius als posterius, als Objektivität - oder besser Objektiviertes - entspringen. (Da ja das prius-posterius als posterius 'das Getane, die Tat ist' - s.oben -, also Objektiviertes ist.) Dieses Entspringen wird aber nur dadurch möglich, daß' das prius posterius sich kraft seines prius aus dem posterius hervorbringt. Das so bestimmte transzendentale Leisten kann sich als leistendes nur bewußt wel'den, wenn es sich selbst aus dem vordem naiven Leben hervorkehrt und so sein vordem naives Darleben aufhebt. Das so Aufgehobene muß selber Resultat des Leistens sein und als solches zur Aussprache kommen. 2 Da aber Husserl das prius nur in derselben Weise in den Blick bekommt wie das posterius - eben beides als Gegenständliches in ein und demselben Sinn 3 -, so hat dieses Erblicken als Bedingung der Möglichkeit seiner Fixierung schon zuvor seinen Gegenstand von seinen Leistungen neutralisiert. Das transzendentale Leisten spaltet sich in Leisten und Thematisieren. Denn entweder lebe ich im Leisten, und dann ist nur die Tat, das Getane im Blick, oder ich thematisiere das Leisten, und dann lebe ich nicht in dem ursprünglichen positionalen Akt, sondern nur in seiner 'Neutralisierung', 4 wiewohl dieses Thematisieren selber ein Tun ist, das
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§ 9. DAS TRANSZENDENTALE ENTHÜLLEN ALS ENTHÜLLEN DES SINNES
Infolge der Vergegenständlichung der Differenz von prius und posterius kommt die Subjektivität nur als thematisierende in den Blick. Die Differenz-Einheit von prius und posterius ist damit beseitigt. Andererseits wird sie aber als eine transzendentale behauptet, so zwar, daß sie zunächst als objektive bedeutsam ist; sie verdankt ihr Sein der leistenden, d.h. der sich objektivierenden Subjektivität. Wir leben zunächst in Objektivierungen, so Cartesianische Meditationen, S. 183 (Hervorhebung von uns). Die 'natürliche Einstellung' nennt Husserldaher auch 'Leben des Alltags' (s.z.B. Cartesianische Meditationen, S. 52), Alltäglichkeit. 1
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Erste Phil. I, S. 82/83. s. dazu Hegel: ' ... die Unmittelbarkeit ist wesentlich selbst vermittelt'. (Vorlesungen über die PhilOSOPhie der Religion. Erster Band, S. 174 (Jubiläumsausgabe); s. dazu den ganzen Passus S. 172 ff.) 'Die Unmittelbarkeit des Wissens' schließt 'nicht nur die Vermittlung desselben nicht aus, sondern sie sind so verknüpft, daß das unmittelbare Wissen sogar Produkt und Resultat des vermittelten Wissens ist'. (System der PhilosOPhie. Erster Teil. Die Logik, S. 172 (Jubiläumsausgabe). 3 'So wie das Gegebene der individuellen oder erfahrenden Anschauung ein individueller Gegenstand ist, so das Gegebene der Wesensanschauung ein reines Wesen.' (Ideen I, S. 14/15). 4 Zum Begriff der Neutralisierung s. Ideen I, S. 264 ff. 1
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aber wieder nur in seiner Modifikation thematisch wird. Das Ich spaltet sich in ein handelndes und ein diesem Handeln zuschauendes Ich. 'So vollzieht sich mit der phänomenologischen Reduktion eine Art Ich-Spaltung. Der transzendentale Zuschauer stellt sich über sich selbst, sieht sich zu und sieht sich auch als vordem welthingegebenes Ich zu .'1 Das 'vordem weithingegebene Ich' ist aber nicht die Vergangenheit des Ich, seine Habitualität. Vielmehr wird in der transzendentalen Reflexion das vordem welthingegebene Ich einschließlich seiner Wollungen und Habitualitäten 'außer Aktion' gesetzt. 2 Es erfaßt einen 'neuen Lebenswillen'. 3 Das Ich hält sich in der transzendentalen Reflexion in einer total anderen Ebene. Es reduziert sich auf sein rein egologisches Leben; weswegen die transzendentale Reflexion Reduktion ist. 'In der Zeit, in der ich transzendentaler oder reiner Phänomenologe bin, bin ich ausschließlich als transzendentales ego nach allem darin intentional Implizierten mein Thema.' 4 Das Thema der transzendentalen Reflexion bedarf jedoch noch einer genaueren Bestimmung. Die Subjektivität lebt im naiven Leben im Vermeinen dem Vermeinten zugewandt. Aber das naive Verhalten ist als Verhalten mehr als Vermeinen, das Vermeinte mehr denn Vermeintes. Das Gewahrte ist die Sache, die es verbürgt, daß das Zusammen wirklich Zusammenhang sein kann und ist, daß das Verweisen wirklich verweisen kann und verweist. Husserl fragt daher nach der apriorischen Regelung der Erfahrung. Die Sachlichkeit der Sache indes gründet nach ihm in der objektivierenden Leistung der Subjektivität, die demgemäß Subjektivität-Objektivität als Subjektivität sein muß. Indem Husserl die Vermittlungen verscheucht,5 d.h. indem das Allgemeine zur bloßen Form, die Inhaltlichkeit zum Faktum wird, verliert der Verweisungszusammenhang seine Objektivität, seine Begründung, die transzendentale Subjektivität ihre objektivie-
rende, begründende Kraft; darin liegt: im naiven Leben lebt die Subjektivität im bloßen Vermeinen dem Vermeinten zugewandt; in transzendentaler Reflexion hat sie das Vermeinte als Vermeintes des Vermeinens zum Thema. Phänomen meint aber nun nach Husserl nichts anderes als die Präsenz des Vermeinten als Vermeinten seines Vermeinens. Es unterscheidet sich daher das naive Weltleben (das Mundane) von Welt als Phänomen, korrelativ das mundane ich vom transzendentalen. 'Hat der natürliche Mensch (darin das Ich, das letztlich zwar transzendental ist, aber davon nichts weiß) eine in naiver Absolutheit seiende Welt und Weltwissenschaft, so hat der seiner als tran~endentales Ich bewußt gewordene transzendentale Zuschauer die Welt nur als Phänomen, das sagt, als cogitatum der jeweiligen cogitatio, als Erscheinendes der jeweiligen Erscheinungen, als bloßes Korrelat.' 1 Von hierher fällt ein neues Licht auf das Verhältnis von mundanem und transzendentalem Wesen. In transzendentaler Einstellung verweilend betrachte ich die vordem bestimmende ontologische Einstellung. Das so in den Blick Kommende ist das transzendentale Wesen. In den Ideen III weist Husserl auf die nämliche Unterscheidung hin, nur in anderer Terminologie. Er spricht dort von Wesen ((in unserer Terminologie mundanes Wesen)) und Noema. 'Man darf nicht verwechseln Noema (Korrelat) ((unter Berücksichtigung dessen, was da in den Blick kommt - eben Wesenhaftes - können wir von transzendentalem Wesen sprechen)) und Wesen ((= mundanes Wesen)). Selbst das Noema einer klaren Dinganschauung oder eines einstimmigen Anschauungszusammenhanges, der auf ein und dasselbe Ding gerichtet ist, ist nicht und enthält auch nicht das Wesen des Dinges ((= mundanes Wesen)). Die Erfassung des einen ist nicht die des anderen, obschon hier wesensmäßig eine Änderung der Einstellung und der Erfahrungsrichtung möglich ist, durch welche die Erfassung des Noema jeweils in die des entsprechenden ontischen Wesens übergehen kann. - Im letzteren Fall haben wir aber eine andersartige Anschauung als im ersteren.' 2 Noch einmal müssen wir auf die Destruktion des Idealismus zurückkommen. Die Transzendentalität wird in der transzendentalen Phänomenologie wie im Deutschen Idealismus als leistende
1 2
Cartesianische Meditationen, S. Krisis, S. 471/72.
16.
ebd., S. 472. ebd., S. 261. Es ist zwar bemerkenswert, daß Husser! hier den Begriff der Zelt benutzt. Der hier anvisierte Ubergang aber wird bel Husser! me zum Thema und kann nicht zum Thema werden, wlewohl sem Ansatz es verlangte. Die slCh zeibgende Subjektivität kommt auch in den Zeitmanuskripten nur auf Grund der transzendentalen Reduktion in den Bhck, also in der Negation der Vermittlung. 5 Von Husserl werden alle 'Vermittlungenms Dunkle gescheucht'. (Adorno, Th. W., a.a.O., S. 46). 3
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1 2
Cartesianische Meditationen, S. Ideen III, S. 85.
16.
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Subjektivität ausgelegt. Die Vernunft ist damit Vernunft als Wille. H egel schreibt: 'Der Wille hält das Theoretische in sich: der Wille bestimmt sich ... Der Inhalt des Gedachten erhält wohl die Form des Seyenden, aber dies Seyende ist ein Vermitteltes, durch unsere Thätigkeit Gesetztes. Diese Unterschiede sind also untrennbar; sie sind Eines und dasselbe, und in jeder Thätigkeit, sowohl des Denkens als Wollens, finden sich beide Momente.' ! Das Seiende ist auch nach Husserl 'das Getane, die Tat'. 2 Naives Weltleben bedeutet in 'der universalen Willentlichkeit seiend'. 3 In der transzendentalen Reflexion erfaßtdie Subjektivität einen 'neuen Lebenswillen'. 4 Ferner: Nach Hegel ist das vom Willen gesetzte durchaus Faktum, aber wie der Wille an sich selbst vernünftig ist, so ist auch das Faktum vernünftig. 5 Die Willensintention und Willenssetzung ist selber vernünftig und bringt sich so aus dem vordem naiven, seiner Vernünftigkeit noch nicht bewußten Leben in seine Vernünftigkeit. Auch Husserl betont die Transzendentalität als leistende Subjektivität in dem Sinne, daß das naive Leben seiner vorausgesetzten Transzendentalität nicht bewußt ist. Die Phänomenologie Husserls beginnt nicht mit einem spekulativen Satz oder einem spekulativen Postulat, sie versucht vielmehr, die vorausgesetzte Transzendentalität zur Präsenz zu bringen. Husserl spricht daher in Manuskript KIll 6 von dem Zu-sich-selbst-kommen im phänomenologisierenden Tun. 6 Die Geschichte des Denkens ist nach Husserl nichts anderes als das Ringen 'der "erwachten" Vernunft zu sich selbst, zu ihrem Selbstverständnis zu kommen, zu einer konkret sich selbst und zweifellos seienden Welt, als in ihrer ganzen universalen Wahrheit seienden Welt, verstehenden Vernunft'. 7 Den Zugang 1 Hege1, G. F. W., Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse, S. 52 (Jubiläumsausgabe). a Erste Phil. I, S. 82. 3 Krisis, S. 471. 4 ebd., S. 472. 5
'Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig'
(Grundlinien der Philosophie des Rechts, S. 33). 'Etwas vernünftig betrachten heißt, nicht an den Gegenstand von außen her eine Vernunft hinzubringen und ihn dadurch bearbeiten, sondern der Gegenstand ist für sich selbst vernünftig; hier ist der Geist in seiner Freiheit die höchste Spitze der selbstbewußten Vernunft, die sich Wirklichkeit giebt und als existierende Welt erzeugt; die Wissenschaft hat nur das Geschäft, diese eigene Arbeit der Vernunft der Sache zum Bewußtseyn zu bringen.' (ebd., S. 82). 6 Ms. KIll 6, S. 191 a. 7 ebd., S. 155a. Man beachte ferner: Die höchste Menschheitsfunktion ist 'die universal·apodiktisch begründete und begründende Wissenschaft'. (ebd., S. 154a).
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zur Geschichte gewinnt Husserl nur von einem Apriori der Geschichte,! also auf Grund der Unterscheidung der Historie von der Geschichtlichkeit, so daß Geschichtlichkeit nicht primär das naive Leben des geschichtlichen Lebens einer Sippe, eines Volkes etc. meint, sondern vielmehr das Offenbarwerden der das Weltleben selbst bestimmenden 'absoluten Idee', das Offenbarwerden 'der universalen, dem Menschentum als solchen "eingeborenen" Vernunft', 2 wie sie in der europäischen Geschichte manifest geworden ist.3 , Diese Gedanken sind nur im spekulativen, in dem von Hegel freigelegten Sinn begreifbar, will man nicht schon vorweg die Auslegung der Transzendentalität als transzendentale Subjektivität weginterpretieren. Husserl behauptet diese Intention, indem er sie negiert. Die Negation bekundet sich u.a. darin, daß das Bewußtwerden der leistenden Subjektivität als leistende Subjektivität sich nicht als Resultat des Leistens und selber wiederum als Veränderung des Resultats begreift, sondern sich nur als Thematisierung des vordem leistenden Lebens bestimmt. Die intendierende, vorwärtsweisende Kraft der Vernunft wird zum bloßen Intendieren ihres Intentums und nicht - was sie erstrebt - zur Setzung ;der intendierten Sache, zur Begründung der Objektivität. SieAmtleert sich, indem sie sich zum bloßen Verweisen im Netz von Verweisungen destruiert, dessen Sein sich als bloße Stimmigkeit (bzw. Unstimmigkeit) bestimmt. Die Vernunft wird degradiert: ihre ursprünglich dirigierende, vorwärtstreibende -und weisende Kraft wird zum bloßen Intendieren ihres Intentums; freilich in doppelter Richtung: einmal im Intendieren lebend dem Intentum zugewandt, sodann das Intenturn als Intentum seines Intendierens in Blick nehmend. Ein solches Intentum ist aber Sinn. Ein anderer Ausdruck für Inten1 s. Krisis, S. 381; Husserl spricht von einer über die übliche Tatsachengeschichte hinausgehenden Tiefenforschung, die 'eine schlechthin unbedingte, über alle historischen Faktizitäten hinausreichende Evidenz, eine wirklich apodiktische, in Anspruch nimmt'. (ebd., S. 381). Unter 'historischem Apriori' versteht er 'eine absolute uberzeitliche Gültigkeit' (ebd.), eine 'aeterna veritas' (ebd., S. 385). 2 ebd., S. 13/14. . 3 Aufgabe der Philosophie ist es nach Husserl, das Telos der abendländischen Geschichte, die 'Offenbarung der universalen, dem Menschentum als solchen "eingeborenen" Vernunft' sichtbar zu machen. 'Erst damit wäre entschieden, ob das europäische Menschentum eine absolute Idee in sich trägt und nicht ein bloß empirischer anthropologischer Typus ist wie "China" oder "Indien"; und wieder, ob das Schauspiel der Europäisierung aller fremden Menschheiten in sich das Walten eines absolu· ten Sinnes bekundet, zum Sinn der Welt gehörig ist.' (Krisis, S. 13/14).
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dieren ist doch 'im Sinn haben'. 1 Sein als Sinn ist somit Resultat einer in der Husserlschen Phänomenologie sich selber anzeigenden Destruktion. Die transzendentale Reflexion ist nicht Vorform der Hermeneutik, sondern verhinderte Dialektik. Das transzendentale Leisten als Sinnentwurf ist Resultat des Widerstreits der von H usserl konzipierten Transzendentalität. Zum Abschluß dieser Analyse sei noch auf die Sinnstufung aufmerksam gemacht. In der transzendentalen Einstellung zeigt sich das Vermeinte als Vermeintes des Vermeinens, als 'Sinn', hingegen leben wir alltäglich in diesem Vermeinen, dem Vermeinten zugewandt; wir können auch sagen: wir leben alltäglich in diesem Sinnbezug - dem Sinn zugewandt. Wir müssen also in beiden Fällen von Sinn sprechen, wiewohl er in beiden Fällen unterschieden ist; Husserl spricht von einer 'radikalen Sinnesmodifikation' . 2 Er verdeutlicht sie durch Anführungszeichen. In der Wahrnehmung lebend gewahre ich den blühenden Baum dort im Garten. ' "In" der reduzierten Wahrnehmung (im phänomenologisch reinen Erlebnis) finden wir, als zu ihrem Wesen unaufhebbar gehörig, das Wahrgenommene als solches, auszudrücken als "materielles Ding", "Pflanze", "Baum", "blühend" usw.' 3 In dieser transzendentalen Betrachtung leben wir nun wieder 'in' einer Betrachtung. Husserl schreibt: ' "In" der reduzierten Wahrnehmung ... finden wir.' Wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf unsere transzendentale Betrachtungsweise richten, also reflektieren auf die Reflexion und hierbei unsere Aufmerksamkeit auf das im Akt Vermeinte richten, so müssen wirvom Sinn in einem höheren Sinn sprechen. So wird es möglich, auf eine Parallele zur logischen Metasprachentheorie aufmerksam zu machen. Wir können sagen, daß das alltäglich Vermeinte Sinn (ohne Anführungszeichen) ist und es daher als Nullstufe bezeichnen. In der ersten Stufe nehmen wir das Vermeinte als Vermeint es des Vermeinens, den 'Sinn', in den Blick, wobei allerdings zwischen der Null-Stufe und der ersten Stufe (der Metastufe) eine radikale Kluft waltet; in der zweiten Stufe betrachten wir den "Sinn", in der dritten den "'Sinn'" usw., wobei die erste, zweite Stufe usw., Stufen der transzendentalen
Reflexion sind (Reduktion, Reduktion in der Reduktion USW.).l - Nicht nur in noematischer, sondern auch in noetischer Hinsicht können wir einen Stufenbau unterscheiden. - Die Parallele zur Metastufentheorie soll nicht weiter verfolgt werden. Wichtig ist für uns nur, daß die oben aufgezeigte Stufenlehre Destruktion der Hegeischen Logik ist.
I
2 3
Ideen I, S. 3ZZ. ebd., S. ZZI. ebd., S. ZZI/ZZ.
§ 10. DAS SCHEITERN DER TRANSZENDENTALEN PHÄNOMENOLOGIE AM SATZ VOM WIDERSPRUCH
Die Spannung des von Husserl konzipierten Wesens zeigte sich' darin, daß es einerseits rein aus der Intuition geschöpft,2 also> Gegenstand der Anschauung sein soll, andererseits aber als ein regionaler Rahmen, an den die Erfahrung je schon gebunden ist,3 begriffen wird. In der Bestimmung der apodiktischen Evidenz zeigt sich dieselbe Spannung. Eine Erkenntnis ist evident, insofern die Sache als sie selbst im Blick ist. 4 Der apodiktischen Evil~
I 'ReflektieIen ist ein dieses Ich Innewerden, darauf "Hinsehen" und darüber Aussagen. Aber durch diese Reflexion werde ich ja dessen inne, daß ich - in der vorigen natürlichen Weise in der Welt lebend - ständig Welt als geltende hatte, während dieses Ich, das sie als seiende/hatte, aus dessem Seinsgelten her sie für mich war, ständig anonym blieb. AU<:!v'Venn ich reflektierend mich als das Subjekt des Weltbewußtseins überhaupt erfasse, geschieht das vermöge eines Ich- und Geltungslebens, höherer Stufe, das nun selbst, als das reflektieIende "ich tue", "ich bringe zur: Geltung", anonym ist. Das sage ich natürlich aufgrund einer abermaligen, höheren Reflexion, und so besteht hier offenbar eine Iterativität. Ich kann immer aufs neue· reflektieren und immer aufs neue habe ich ein Ich der Reflexion, dasein Vorstellen bestimmten Gehalts und mit diesem Gehalt sein als seiend Gelten, eine Seinsgewißheir vollzieht - das, während es das tut, in Wesensnotwendigkeit unthematisch, unerfaßt, und auch nicht als ein schon als seiend gewisser Hintergrund von primär Beachtetem bewußt ist. Nur indem ich mich in die IteIation einlasse, einmal dazu gelangt (durch welche Motive immer) zu reflektieren, und der Wiederholbarkeit innegeworden bin, WeIß ich im voraus, aber in ganz unbestimmter Leere, daß ich stets gegenüber dem thematisch erfaßten Ich-sein anonymes Ich und reflektieIendes Leben finden muß. Doch in deI Wiederholung der Reflexion und des reflexiv thematisch Gemachten und konkret Betrachteten kann ich - im voraus sei es gesagt - sehr wohl überlegen, 01>, diese ideell fortzusetzende Iteration wesensmäßig immer wieder Verschiedenes ergeben kann oder ob sich nicht nach dem ersten Schritt, der über die naturliche Einstellung erhebt, der Wesensgehalt des Neuen nur wiederholt. Besonders wichtig ist hier, WIe man voraussieht, der erste Schritt, mit dem ich sehe, daß das bei der natürlichen Einstellung anonyme Ich dasjenige ist, für das das Ich des natürlichen Sinnes, ich der Mensch, Objekt ist, d.i. aus dessen Bewußtsein es Sinn und Geltung hat als weltlich seIend und, als diese Geltungsleistung vollziehendes und während derselben anonym, nIcht zur Welt gehört, also nicht als menschliches Ich eines menschlichen Bewußtsemslebens angesprochen WeIden darf.' (Krisis, S. 457/58). 2 s. z.B. Ideen 111, S. Z5 und S. Z9. 3 s. z.B. ebd., S. 33. 4 'Evidenz ist in einem allerweitesten Sinne eine Erfahrung von Seiendem und SoSeiendem, eben ein Es-selbst-geistig-zu-Gesicht-bekommen.' (Carlesianische Medita.tionen, S. 5z).
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,denz muß also ein ausgezeichnetes Zu-Gesicht-bekommen eignen; ,daß nämlich das Gegebene als Gegebenes seiner Gebung präsent ist. Entscheidend ist auch hier die Intuition. Andererseits betont Husserl: 'Eine apodiktische Evidenz aber hat die ausgezeichnete Eigenheit, daß sie nicht bloß überhaupt Seinsgewißheit der in ihr evidenten Sachen oder Sachverhalte ist, sondern sich durch eine kritische Reflexion zugleich als schlechthinnige Unausdenkbarkeit des Nichtseins derselben enthüllt; daß sie also im voraus ((also doch vor aller Schau)) jeden vorstellbaren Zweifel als gegenstandslos ausschließt.' 1 So wird es möglich, das Husserlsche Verständnis des Absoluten zu bestimmen. Das Absolute ist das, dessen Nicht-sein nicht gedacht werden kann; sein Gegenbegriff ist ~zufällig'. Es muß jedoch im Werk Husserls ein vielfacher Sinn von 'zufällig' unterschieden werden. 'Zufällig' kann zunächst heißen 'tatsächlich'. 'Aber der Sinn dieser Zufälligkeit, die da Tatsächlichkeit heißt, begrenzt sich darin, daß sie korrelativ bezogen ist auf eine Notwendigkeit', 2 eine Wesensnotwendigkeit. Es gehört so zum Sinn des Zufälligen, ein Wesen zu haben. 3 'Zufällig' meint zweitens das "Daß'. Die Welt könnte auch nicht sein.4 Freilich kann vom 'Daß' nur gesprochen werden bei einem Seienden, das seinem Wesen nach anders sein kann. Jedoch ergibt die Erkenntnis der WesenTatsache keine Auskunft über das Warum des 'Daß-sein' des
daß diese Einheitsstruktur (( = die Einstimmigkeit eines Erfahrungszusammenhanges)) sich auflöst, daß die Erfahrung nicht mehr in der Weise fortgehender Korrektur und einer fortgehenden Kontinuität allzusammenpassender Korrekturen verläuft? Daß sie so verlaufen muß, ist, selbst wenn wir schon des Faktums, daß sie bisher so verlaufen sei, apodiktisch gewiß wären, nichts weniger als eine apodiktische Gewißheit. Es ist, so werden wir uns sagen müssen, denkbar, daß sich eine Kontinuität zusammenpassender Erscheinungen, Kantisch gesprochen, in ein bloßes "Gewühl" von Erscheinungen auflöse.' 1 Es kann also 'von apodiktischer Notwendigkeit des Seins des Erfahrenen keine Rede sein'. 2 Zweifellosigkeit kann nun ein Doppeltes besagen: 'Wo ich in ungebrochener Einstimmigkeit wahrnehme, glaube ich, und ich kann nicht willkürlich den Glauben in Unglauben verwandeln. Solange gegen erfahrenes Dasein nichts spricht, zweifle ich nicht, ich kann aber aUGh nicht zweifeln. Im Wesen des Zweifels liegt das 'Es spricht etwas dagegen'. Die apodiktische Zweifellosigkeit besagt aber anderes und sehr viel mehr, sie besagt: wo ich sehe, wie ich sehe, und dies festhaltend, daß ich so sehe, da kann ich mir nicht einmal die Möglichkeit, daß das Gesehene nicht ~ oder anders sei, denken; somit auch die Möglichkeit, daW sich hinterher herausstelle, daß das Gesehene nicht sei.' 3 Der Korrelatbegriff zu solcher Zweifellosigkeit ist
Cartesianische Meditationen, S. 56. Ideen I, S. 12. 3 ebd. 4 Die 'Thesis der Welt, die eine .,zufällige" ist .. .', d.h.: 'Alles leibhaft gegebene Dingliche kann trotz dieser leibhaften Gegebenheit auch nicht sein.' (Ideen I, S. 109)· Husserlspricht auch von 'Kontingenz'. (s. Erste Phil. II, S. 44 ft). 5 Nach Thomas von Aquin können die kontingenten Seienden als kontingente Seiende durchaus nicht sein. Es gilt aber auch: 'Nichts ist nämlich so zufällig, daß es lllcht etwas Notwendiges in sich hätte.' (S. theol. 1, q. 86 a. 3). Nach Husserl hat also das Nicht-sein-können einen radikal anderen Sinn. Eine solche Faktizität wäre erst recht Hegel unverständlich. e Cartesianische Meditationen, S. 57; s. dazu auch Ideen I, S. 108. 1
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Erste Phil. 11, S. 48. ebd., S. 49. ebd., S. 50.
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sehen Charakter beanspruchen kann. Und wenn wir diesem Bedenken nachgehen, zeigt sich, daß sie auch nicht denVorzug der absolut ersten Evidenz beanspruchen kann ... Nicht nur, daß Einzelerfahrenes die Entwertung als Sinnenschein erleiden kann auch der jeweils ganze, einheitlich überschaubare Erfahrungs~ zusammenhang kann sich als Schein erweisen unter dem Titel zusammenhängender Traum.' 1 Wie kann aber die Subjektivität in einer solchen Welt Grund und Boden gewinnen? Der Satz vom Widerspruch soll ihr den Weg eröffnen, sich selbst absolut zu be-gründen, wie nunmehr zu zeigen ist. 2 . 'Alles und jedes, wir mögen noch so fest davon überzeugt sein, Ja seiner in adäquater Evidenz versichert sein, können wir zu bezweifeln versuchen. Überlegen wir, was im Wesen eines solchen Aktes liegt. ... Es ist ... klar, daß wir nicht ein Sein bezweifeln und in demselben Bewußtsein (in der Einheitsform des Zugleich) dem Substrat dieses Seins die Thesis erteilen, es also im Charakter des "vorhanden" bewußt haben können. Äquivalent ausgedrückt: Wir können dieselbe Seinsmaterie nicht zugleich bezweifeln und für gewiß halten. Ebenso ist es klar, daß der Versuch, irgendein als vorhanden Bewußtes zu bezweifeln, eine gewisse Aufhebung der Thesis notwendig bedingt; und gerade das interessiert uns.' 3 Im Zweifeln wird sich die Subjektivität kraft der Eigentümlichkeit, daß sie, insofern sie zweifelt, zugleich nicht nicht zweifeln kann, der Aufhebung des Nicht-Zweifelns, d.h. der Aufhebung der vormaligen Thesis bewußt. Das besagt aber nach Husserl: 'Es ist nicht eine Umwandlung der Thesis in die Antithesis, der Position in die Negation; es ist auch nicht eine Umwandlung in Vermutung, Anmutung .. .' 4 'Die Thesis, die wir vollzogen haben, geben wir nicht preis '" Und doch erfährt sie eine Modifikation - während sie in sich verbleibt, was sie ist, setzen wir sie gleichsam "außer Aktion", wir "schalten sie aus", wir "klammern sie ein".' 5 Die Thesis verliert ihre Bedeutsamkeit; kurz der Zweifelnde übt epoche. 6
Die Subjektivität bezweifelt nun nicht diesen oder jenen als wahr angenommenen Sachverhalt. Vielmehr richtet sich ihr Zweifel gegen die je schon wie selbstverständlich vollzogene Erfahrungssetzung schlechthin. Selbst wenn sich bisher im Erfahrungszusammenhang Einstimmigkeit hergestellt hätte, könnte doch dieser stimmige Zusammenhang als ganzer ein Traum sein. Die Subjektivität zweifelt nicht nur beiläufig, während sie in ihrem Interesse, in ihrem Erkennen und Tun in der Alltagswelt aufgeht. Ausdrücklich sucht und fragt sie nach einem' absolut gewissen Boden. Diese Frage entstammt auch nicht dem Einfall eines Einzelnen; vielmehr ist sie durch die geschichtliche Situationbedingt,nämlich durch den Zerfall des naiven Lebens auf Grund des Einbruchs der Reflexion) Die Subjektivität fragt also, indem sie die Generalthesis des naiven Weltlebens selber in Zweifel zieht. Im Zweifeln wird die Thesis 'aufgehoben'. 'Die zum Wesen der natürlichen Einstellung gehörige Generalthesis setzen wir außer Aktion.' 2 Sie wird nicht negi~rt, wohl wird sie bedeutungslos; es bleibt dahingestellt, ob die Welt ein bloßer Traum ist oder nicht. Mit der Welt klammert die Subjektivität auch sich selber ein. Sie 'hebt' sich wie die Welt im Zweifeln 'auf' und zwar kraft des Prinzips, daß sie, sofern sie zweifelt, zugleich nicht nicht zweifeln kann. D~Scholastiker begreifen diese Hinsicht des Satzes vom Widersprudl als 'impossibilitas simultaneitatis', um sie von der 'simultanea impossibilitas' (der inneren Unmöglichkeit) abzugrenzenß Kraft der 'impossibilitas simultaneitatis' erschließt sich allererst das 'aufhebende Aufheben', so daß der Blick frei wird für die im 'aufhebenden Aufheben' selber schon vorausgesetzte und prinzipiell nicht 'aufhebbare' , 4 einklammerbare Subjektivität. Erst kraft der 'impossibilitas simultaneitatis' vermag die Subjektivität sich in eine höhere Ebene zu steigern. 5 Wir
Cartesianische Meditationen, S. 57. s. zu folgendem Ideen I, S. 64 ff. 3 Ideen I, S. 64. 4 ebd., S. 65. 5 ebd. 6 'Aufheben' hat bei Husserl die Bedeutung 'in die Höhe heben' (elevare), 'entdecken' (detegere); bei Hegel besagt Aufheben im Gegensatz zu Husserl ferner noch: 'tilgen' (tOllere) und 'bewahren' (conservare); dieses wird weiter unten, vor allem im nächsten Kapitel, noch deutlich. Das Husserlsche Verständnis des Aufhebens ist in Anführungszeichen gesetzt. 1
2
1 s. dazu: Die Idee der Phänomenologie, 'I. Vorlesung', S. 17 ff.; ferner: Erste Phil. I, '9. Vorlesung: "Der Skeptizismus - die grnndsätzliche Bedeutung seiner "Unsterblichkeit" in der Geschichte der Philosophie. Der entscheidende Schritt Descartes'.", S. 58 ff. 2 Ideen I, S. 67. 3 s. Nink, C., Grundlegung der Erkenntnistheorie, Frankfurt am Main 1930, S. 38. Es geht hier um das &!l-OG in dem von Aristoteles formulierten Satz vom Widerspruch. Der Unterschied zwischen der scholastischen und transzendental-philosophischen Auslegung der 'impossibilitas simultaneitatis' soll hier nicht diskutiert werden. 4 Aufheben besagt also hier nicht 'tollere', nach Hegel muß auch die bloße Subjektivität (die reine Innerlichkeit) vernichtet werden, nur dann kann auch das Aufheben 'conservare' bedeuten, s. dazu § I I . o Aufheben besagt hier 'e1evare' und 'detegere'.
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müssen aber beachten: Auch wenn dem cogitare, insofern es als cogitare gesetzt ist, Notwendigkeit im Sinne der 'impossibilitas simultaneitatis' zukommt, so ist es doch selber noch 'zufällig'; seine 'Zufälligkeit' bekundet sich ja im 'insofern'. Im 'aufhebenden Aufheben' indes wird sich nach Husserl die Subjektivität ihrer selbst gewiß, weil ihr Sein im 'Aufheben' immer schon vorausgesetzt ist; ihr Nicht-sein kann nicht gedacht werden. l 'Der Thesis der Welt, die eine "zufällige" ist, steht gegenüber die Thesis meines reinen Ich und Ichlebens, die eine "notwendige", schlechthin zweifellose ist.' 2 Müssen wir aber nicht notwendig nach dem transzendentalen Grund der 'impossibilitas simultaneitatis' fragen? Die Philosophie soll sich doch 'aus letzten selbst erzeugten Evidenzen' gestalten und sich von daher absolut selbst verantworten.3 Der Grund solcher 'selbst erzeugten Evidenzen' ist aber nach Husserl die transzendentale Subjektivität, das ego cogito. Das transzendentale ego wird also als begründender Grund der 'impossibilitas simultaneitatis' von diesem Prinzip schon vorausgesetzt, während es andererseits mittels dieses Prinzips allererst offenbar werden soll. Ferner: auch wenn die Welt 'zufällig' ist, so kann sie auf Grund dieser Auslegung doch nicht so 'zufällig' sein, daß ihr keine Notwendigkeit zukäme, während die Welt nach Husserl so 'zufällig' ist, daß sie sich in ein bloßes Gewühl von Erscheinungen auflösen kann. 4 Hegel entgeht der aufgezeigten Schwierigkeit genau dadurch, daß der Widerspruch selber forttreibendes Moment des Seins ist. In der Phänomenologie des Geistes kommt das Bewußtsein dadurch zum Selbstbewußtsein, daß der Verstand gezwungen wird, den Widerspruch zu denken, so daß er sich nicht mehr durch das 'insofern', das 'auch' usw. in den Momenten zu fixieren und dadurch vom Widerspruch zu retten sucht. Husserl kommt deswegen in Schwierigkeit, weil er das 'nicht' in Zusammenhang mit dem Thematisieren denkt, so daß es zu einer bloßen Modifikation des 'insofern' verblaßt, statt sich als Kraft der Negation zu bewähren. Er könnte die transzendentale Subjektivi~ät nur erblicken, wenn er das 'nicht' aus seiner Verfestigung
mit dem Thematisieren in die dialektische Einheit von Sein und Nichts zurücknähme. H usserl negiert seine transzendentale Intention genau dadurch .. daß er das' nicht' im 'Zusammenhang' mit dem Thematisieren denkt. Diese Zusammennahme definiert aber die transzendentale epoche, wie sich früher zeigte.! Husserl negiert also die intendierte Transzendentalität durch die transzendentale epocM selber; genauso wie auch die eidetische das intendierte Wesen negiert, wie sich früher zeigte. Indem das Denken das 'nicht' in die Einheit mit dem Thematisieren zwingt, fällt es zurück in den Empirismus. 'Es ist, so werden wir uns sagen müssen, denkbar, daß sich eine Kontinuität zusammenpassender Erscheinungen, Kantisch gesprochen,. in ein bloßes "Gewühl" von Erscheinungen auflöse.' 2 §
s. dazu die Bestimmung der apodiktischen Evidenz, oben S. 89/90. 2 Ideen I, S. 108/09. 3 Cartesianische Meditationen, S. 44. 4 Erste Phil. II, S. 48.
DAS VERSAGEN DER TRANSZENDENTALEN PHÄNOMENOLOGIE VORJ)ER SPEKULATION
II.
Es ist nunmehr möglich, den Begriff der Spekulation präzise zu bestimmen. Immer wieder betonten wir, daß, insofern die Subjektivität in ihrem naiven Darleben ist, ihre Transzendentalität gerade nicht offenbar ist. Weiter zeigte sich, daß, insofern das. naive Leben ze~richt und der Subjektivität keinen Halt mehrgewährt, insofe~ sie also zweifelt, sie zugleich nicht nicht zweifeln kann, sie also die Thesis der natürlichen Einstellung aufhebt. Die Subjektivität vermag sich also nur kraft des Auseinanderhal-tens der entgegengesetzten Momente zu behaupten. 3 Dieses ist nur gerechtfertigt kraft des Satzes vom Widerspruch; dieser hin-wiederum ist nur durch die Transzendentalität gegründet. Nur so kann die Philosophie sich 'aus letzten selbst erzeugten Evidenzen' gestalten. Also muß die Transzendentalität sozusagen der Satz vom Widerspruch selber sein, d.h. sie muß die Identität des Gegensatzes sein, so zwar, daß die Identität nicht das bloße Beisammen der Gegensätze, sondern daß jede Bestimmung durch ihre entgegengesetzte das ist, was sie ist, und s. S. 78 dieser Arbeit. Erste Phil. 11, S. 48. 3 Daß es sich hier um das Auseinanderhalten der entgegengesetzten Momente handelt, wurde wohl im letzten Paragraphen hinreichend deutlich. Ausdrucklich beansprucht Husserl doch die 'impossibilitas simultaneitatis', wiewohl er diese wiederum durch die epoche wegbringt; denn diese ist nur die Modifikation der These, nicht ihre' Negation; s. oben S 92 dieser Arbeit. 1
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von dieser in ihrer Entgegensetzung zwar unterschieden, aber zugleich mit ihr identisch ist. H egel hat genau dieses in seiner Lo.gik reflektiert. 1 'Seyn und Nichts' sind nach ihm 'dasselbe', in der Weise, 'daß das Seyn in Nichts, und das Nichts ins Seyn-nicht übergeht-sondern übergegangen ist'. 2 Das Unterschiedene, d.h. das Entgegengesetzte, ist in seine Identität aufgehoben,3 doch so, daß diese Identität im Gegensatz ist. Nun läßt sich der Begriff der Spekulation genau bestimmen. 'In dem Fassen des Entgegengesetzten in seine Einheit oder des Positiven im Negativen besteht das Spekulative;' 4 d.h. aber: 'Das spekulative Denken besteht nur darin, daß das Denken den Widerspruch und in ihm sich selbst festhält.' 5 Es sei noch einmal die Genesis der Transzendentalität reflektiert. Das naive Leben zerbricht, die Subjektivität wird auf sich selbst zurückgeworfen. Sie versucht von der transzendentalen Subjektivität her alles Sein zu begründen und setzt sich so in Gegensatz zum natürlichen Leben, zum 'gesunden Menschenverstand'. Jedoch ist sie erst wahrhaft gegründete und begründende Transzendentalität, wenn sie natürliches, nur vom Objektiven her, und transzendentales nur von der Subjektivität her sich bestimmendes Leben zur Versöhnung bringt. Dieses Bemühen ist aber Spekulation. Es ist nicht bloße subjektive Tätigkeit, es hat vielmehr den Gegensatz des Subjektiven und Objektiven in sich aufgehoben. 6 So kann Hegel schreiben: 'Die Spekulation versteht den gesunden Menschenverstand wohl, aber der gesunde Menschenverstand nicht das Thun der Spekulation.' 7 Das naive Leben lebt immer schon in Objektivierungen, in Leistungen, ohne darum zu wissen. Das Bewußtwerden muß aber dann selber Leisten sein. Solches Leisten ist Spekulation.8 Die absolute Präsenz der Transzendentalität indes ist durch 1 Hegel, G. F. W., Wissenschaft der Logik. Erster Teil. Die obiektive Logik, S. 88 ff. (Jubiläumsausgabe). 2 Wissenschaft der Logik, S. 89. 3 nicht: 'in seiner Identität aufgehoben'. 4 Wissenschaft der Logik, S. 54. 5 ebd., S. 547. 6 Hegel, G. F. W., System der Philosophie. Erster Teil. Die Logik, S. 197 (Jubilaums.ausgabe); s. dazu den ganzen § 82. 'Ein spekulativer Satz kann deshalb auch nicht in einem einseitigen Satz ausgesprochen werden.' (ebd., S. 197). 7 Hegel, G. F. W., 'Differenz des Fichtesehen und Schellingschen Systems der Philosophie .. .' in: Aufsätze aus dem kritischen Journal der Philosophie und andere .schriften aus der Jenenser Zeit. (Jubiläumsausgabe Bd. I), S. 56. 8 s. ebd., S. 68.
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das Erblicken der Transzendentalität allein nicht gewährleistet. Vielmehr muß diese durch eine kritische Reflexion gesichert sein . Anschauung und Reflexion müssen in eine Einheit gebracht werden, welches weder die Anschauung noch die Reflexion zu leisten vermag; sie ist als solche Einheit eine spekulative. Busserl betont, daß die absolute Präsenz der Transzendentalität nicht nur gewährleistet ist durch das Erblicken der Transzendentalität; das Erblicken muß vielmehr durch eine kritische Reflexion gesichert sein. 1 Reflexion und transzendentale Anschauung müssen also eine Einheit sein. Die Präsenz der Transzendentalität ist weder eine bloß anschauliche, noch bloßes Produkt der Reflexion. Diese Einheit kann aber nur eine spekulative sein. Husserl begibt sich aber in die Spekulation, indem er diese negiert. 2 Denn die Transzendentalität wird von ihm als 'schlechthinnige Unausdenkbarkeit des Nicht-seins' bestimmt. Die Reflexion verfestigt sich aber damit in ein unausdenkbar Erstes und überläßt sich einer bloßen Sehau. Die Reflexion versöhnt sich nicht mit der transzendentalen Anscliauung; vielmehr vergißt sie sich im Reflektieren, indem sie sich in eine bloße Anschauung verliert. Insofern die Transzendentalität noch im Objektiven befangen ist, ist die Tnanszendentalität gerade nicht im Blick. In der Änderung des \insofern' und darum doch wiederum in einem 'insofern' wird allererst die transzendentale Subjektivität erblickt; genau dieses betont Husserl, wie sich im letzten Kapitel zeigte. N ur in der Beseitigung des 'insofern' und darum doch in der 'Vernichtung' der bloßen Innerlichkeit kann die transzendentale Subjektivität sich als Subjektivität-Objektivität begreifen. Dieses wird nur dadurch möglich, daß die Einheit von 'Seyn und Nichts' gedacht wird und nicht ein unausdenkbar Erstes. Da Husserl sich dem transzendentalen Widerspruch nicht beugt, bleibt sein Denken in der Subjektivität befangen, auch wenn es das ego cogito als ego cogito cogitatum ausgibt. Husserl begibt sich in die Spekulation, indem er sie negiert. Das Resultat ist die Antithetik von Mundanem und Transzendentalem . S. 90 dieser Arbeit. So wie das. Husserlsche Verständnis des Wesens als Gegenstand der Wesensschau, so ist auch das der apodiktischen Evidenz als das vollkommene geistige Zu-Gesichtbekommen Resultat des Widerstreites. 1 S. 2
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§ 12. DIE ANTITHETIK VON MUNDANEM
UND TRANSZENDENTALEM
Das Cartesianische Motiv bedeutet für Husserl: 'Durch die Hölle einer nicht mehr zu übersteigernden quasi-skeptischen epoche hindurch zum Eingangstor in den Himmel einer absolut rationalen Philosophie vorzudringen und diese selbst systematisch aufzubauen.' 1 Natürliche und transzendentale Einstellung sind radikal durch eine Kluft unterschieden. 'Der Thesis der Welt, die eine "zufällige" ist, steht also gegenüber die Thesis meines reinen Ich und Ichlebens, die eine "notwendige", schlechthin zweifellose ist.' 2 Das Nichtsein des transzendentalen Ich, des transzendentalen urtümlichen Lebens ist nicht denkbar. 'Aber das transzendentale urtümliche Leben, das letztlich weltschaffende Leben und dessen letztes Ich kann nicht aus dem Nichts werden und in Nichts übergehen, es ist "unsterblich", weil das Sterben dafür keinen Sinn hat.' 3 Das Mundanwerden eines so bestimmten transzendentalen Ich entzieht sich freilich der theoretischen Erschließung. Es läßt sich philosophisch kein Grund angeben, weswegen dieses immer schon seiende transzendentale urtümliche Leben faktisch, mundan wird. Transzendentalität und Mundanität sind wie Himmel und Hölle unterschieden. In diesem Leben indes ist eine absolute Einkehr in die Transzendentalität nicht möglich. Vielmehr muß die Subjektivität sich ständig verlieren, in die Welt einkehren, um sich aufs neue wiederzugewinnen. Wir sind nun hinreichend vorbereitet, uns der Krise der Moderne, so wie sie Husserl versteht, zuzuwenden.
1
Krisis, S. 78.
Ideen I, S. 108/og. a Ms. K 111 6, S. 25Ia. 2
DRITTER TEIL
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§ 13. DIE KRISE DER MODERNE
Seit der zweiten Hälfte des I9. Jahrhunderts, so betont Husserl in der Krisis,! zeigt sich eine 'Umwendung der allgemeinen Bewertung' der Wissenschaften. Sie werden nämlich nur noch als Feststellung dessen, wie die Welt, die physische so die geistige, ist, angesehen. 'Kann aber die Welt und. menschliches Dasein in ihr in Wahrheit einen Sinn haben, wenn die Wissenschaften nur in dieser Art objektiv Feststellbares als wahr gelten lassen, wenn die GeschiChte nichts weiteres zu lehren hat, als daß alle Gestalten der~ geistigen Welt, alle den Menschen jeweils haltgebenden Lebensbedingungen, Ideale, Normen wie flüchtige Wellen sich bilden und wieder auflösen, daß es so immer war und sein wird, daß immer wieder Vernunft zum Unsinn, Wohltat zur Plage werden muß?' 2 Dieses Verständnis von Wissenschaft ist jedoch historisch betrachtet - ein Restbegriff. 'Der positivistische Begriff der Wissenschaft in unserer Zeit ist also - historisch betrachtet - ein Restbegriff. Er hat alle die Fragen fallen gelassen, die man in die bald engeren, bald weiteren Begriffe von Metaphysik einbezogen hatte, darunter alle die unklar sogenannten "höchsten und letzten Fragen". ' 3 Der positivistische Begriff der Wissenschaft ist daher Zeichen einer Krise, und zwar der des europäischen Menschentums selber. 'Es ist eine Krisis, welche das Fachwissenschaftliche in seinen theoretischen und praktischen Erfolgen nicht angreift und doch ihren ganzen Wahrheitssinn durch und durch erschüttert. Es handelt sich hierbei nicht um Angelegenheiten einer speziellen Kulturform, "Wissenschaft" 1 2
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K l'isis,
s. 3 ff••
ebd., s. 4. ebd., S. 6/7.
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bzw. "Philosophie", als einer unter anderen in der europäischen Menschheit. Denn die Urstiftung der neuen Philosophie ist ... die Urstiftung des neuzeitlichen Menschentums, und zwar als eines Menschentums, das gegenüber dem bisherigen, dem mittelalterlichen und antiken, sich radikal erneuern will durch seine neue Philosophie, und nur durch sie.' ! Die Krise der Wissenschaften ist aber nicht nur eine solche des europäischen Menschentums, sondern sie ist als diese zugleich die des Menschentums schlechthin, da es das Telos der abendländischen Geschichte ist, die 'Offenbarung der universalen, dem Menschentum als solchen "eingeborenen" Vernunft' sichtbar zu machen. Das abendländische Menschentum trägt nach Husserl 'eine absolute Idee in sich' und ist nicht nur 'ein anthropologischer Typus wie "China" oder "Indien" '. 2 Die Krise der Moderne bekundet sich in dem Auseinanderfallen von Wissenschaft und Leben. Hat doch die Wissenschaft 'diehöchsten und letzten Fragen' des Menschen fallen gelassen. Wodurch ist aber dieser Auseinanderfall von Wissenschaft und Leben bedingt? Offensichtlich hat er seinen Ursprung in dem Positivwerden der überkommenen Wissenschaften. Vermitteln die Wissenschaften doch nur noch Positives, wie Husserl betont. Selbst die Mathesis (die Mathematik und Logik umschließt) ist eine positive Wissenschaft, wiewohl sie nicht die Erfahrung voraussetzt. Wenn aber sowohl die Mathesis als auch die Geisteswissenschaften positiv sind, so muß offensichtlich ein unterschiedenes Verständnis von positiv bestimmend sein. Andererseits muß in dieser Unterschiedenheit Identität walten, soll es verständlich werden, daß beide Wissenschaften mit Fug und Recht positiv genannt werden. Dann kann aber das Positiv-werden allein nicht den Auseinanderfall von Wissenschaft und Leben erklären; vielmehr muß dieser in den das Positiv-werden schon bestimmenden unterschieden-identischen Grundmomenten gründen. Husserl versucht, dieses Prozesses in der Reflexion der Mathesis habhaft zu werden. Daß es ihm auf diese Weise zugleich möglich wird freizulegen, warum und inwiefern sich Geisteswissenschaft als positive Forschung konstituieren kann und kon1 2
Krisis, S. 10. ebd., S 13/14.
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stituiert, soll später am Modell der historischen Wissenschaft gezeigt werden.! Inwiefern, so müssen wir doch nunmehr fragen, kann die Logik positiv werden? Die Logik ist positiv, insofern sie die sie ermöglichende transzendentale Konstitution, ihre eigene Vernunft, gerade nicht in den Blick nimmt; deutlicher: sie ist das Nichtzur-Sprache-kommen ihrer eigenen Voraussetzung. 'Also das Rätsel der Voraussetzung bekümmert den Wissenschaftler ((also zuvor schon den Logiker)) nicht, weil er wie jeder Könner sich im Können weiß; in seiner Arbeitseinstellung davon Gebrauch machend, ist er auf die Tat, auf Ziel und Weg gerichtet und in dieser Richtung liegt nicht die Vernunft als Thema, und zwar im Sinne jener beständigen Voraussetzung.' 2 Wie kann aber die Logik Logik sein, wenn sie ihre eigene Vernunft gerade nicht in den Blick nimmt? Antwort: Die Logik ist positiv, insofern sie technisches Verfahren ist. Die transzendentale Logik setzt sich im technischen Verfahren als eine 'positive; die positive Logik wird exakt, wie sich später zeigen wird.3 (Sie wird die Grundlage der Mathematik: es konstituiert sich die Mathesis). Husserl nennt das positiv-logische Apriori auch ein objektiv-Iogisches. 4 Technik mein( hier die Kunst, mitte1st bestimmter Regeln konstruktiv, d.h. ohne Rückgriff auf den Sinn, gewisse Ergebnisse zu erzielen. Die Logik kann daher als ein positiv-gewordenes System sich in ihm selbst nicht begründen und ihre Wahrheit freilegen. Insbesondere ist die von der positiven Logik als formale Disziplin vorweg schon dirigierte materiale Wissenschaft ein System, das zur Methode, zum technischen Verfahren geworden ist. Das Positiv-werden als Technisierung läßt exaktes wissenschaftliches Forschen entstehen. 5 s. dazu den Vierten Teil der Arbeit. K IIl6, S. 176a. 3 s. S. II 3 ff. dieser Arbeit. 4 s. Krisis, S. 138. 5 In den Ideen. I unterscheidet Husserl zwischen deskriptiven und exakten Wissenschaften, zwisohen morphologischen und exakten Begriffen. (s. ebd., S. 170/71) Wahrend hier die Unterscheidung nur als Klassifikation gemeint ist, begreift Husserl in der Krisis, daß morphologisches und exaktes Apriori unterschiedene Welten umreißt und bestimmt, daß also die Unterscheidung gerade nicht Klassifikation sein kann. Schon in den Ideen. II wird sich Husserl dieses Problems bewußt. Die personalistische Emstellung unterscheidet sich von der auf objektive Wirklichkeit gerichteten (in der also die objektiven Wissenschaften gründen) 'durch eine Abstraktion oder vielmehr durch eine Art Selbstvergessenheit des personalen Ich'. (Ideen. lI, S. 184). Wissenschaften sind Weltwissenschaften, wie Husserl schon in den Ideen. I betont {so Ideen. I, 1
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Die objektiven Wissenschaften (d.h. die vom objektiv-logischen Apriori schon vorweg bestimmten Wissenschaften) befragen ihre eigene Voraussetzung gerade nicht; sie sind naiv. Sie sind aber naiv in der Weise, daß in ihrem Lichte wie selbstverständlich jede einzelne Gegebenheit unserer Erfahrung gesehen wird. Da der Horizont, in dem uns alles wie selbstverständlich begegnet, Welt ist, alles und jedes uns aber zumeist in der Sicht der exakten Wissenschaften zugänglich wird, ist das von ihnen beherrschte Universum die technische Welt,1 wobei zunächst der Begriff Technik in dem oben bestimmten engen Sinn verstanden werden muß. Der Begriff Welt zeigt aber an, daß die Technisierung' einer konkreteren Bestimmung bedarf. Husserl gibt in der Krisis einen Hinweis. Das Gegenstandsrevier der exakten Wissenschaften, so betont Husserl dort, ist 'eine unendliche und doch in sich geschlossene Welt idealer Gegenständlichkeiten als Arbeitsfeld. Wie alle durch menschliche Arbeitsleistung entspringenden Kulturerwerbe bleiben sie objektiv erkennbar und verfügbar, auch ohne daß ihre Sinnbildung stets wieder explizit erneuert werden müßte'. 2 Die Technisierung' wird damit zur· gesellschaftlichen Tätigkeit, zur Arbeit; die technische Welt zur Gesellschaft, wie im weiteren Verlauf dieser Analyse noch deutlicher wird. Die objektiven Wissenschaften und das von ihnen beherrschte Universum, die technische Welt (die Gesellschaft), bringen ihre eigene Voraussetzung gerade nicht zur Sprache. Die technische Welt ist mit einer Negativität behaftet; läßt also als Welt Wesenhaftes außer sich. Was läßt sie so außer sich? Husserl betont, daß S. 10). Also muß die Unterschiedenheit als Vergessenheit zur Welt gehören. 'Positive Wissenschaft ist Wissenschaft in der Weltverlorenheit.' (Cartesianische Meditationen, S. 183). Daß die Vergessenheit sich in der Technisierung vollzieht, zeigt Husserl in der Krisis. Nachdem er wie oben den Begriff der Technik bestimmt hat, schreibt er: 'Das ursprüngliche Denken, das diesem technischen Verfahren eigentlich Sinn und den regelrechten Ergebnissen Wahrheit gibt (sei es auch die der formalen mathesis universalis eigentümliche 'formale Wahrheit'), ist hier ausgeschaltet; in dieser Art also auch ausgeschaltet in der formalen Mannigfaltigkeitslehre selbst wie in der vorgangigen algebraischen Zahlen- und Größenlehre, dann in allen sonstigen Anwendungen des technisch Erarbeiteten, ohne Rückkehr in den eigentlichen wissenschaftlichen Sinn; darunter also auch in der Anwendung auf die Geometrie, auf die reine Mathematik derraumzeitlichen Gestalten.' (ebd., S. 46). 1 'Diese Idee der Welt als eines Universums durch exakte Methoden, die der mathematisch-physikalischen Naturwissenschaft, beherrschbaren Seins, als eines an sich bestimmten Universums, dessen faktische Bestimmungen dann die Wissenschaft zu ermitteln habe, ist uns so selbstverständlich, daß wir in ihrem Lichte jede einzelne Gegebenheit unserer Erfahrung verstehen.' (Erfahrung und Urteil, S. 40). I Krisis, S. '23.
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die Wissenschaften ihre Lebensbedeutsamkeit verloren haben. Man wird einwenden, daß doch die technischen Wissenschaften dem Leben dienen. Hier wird jedoch Leben schon als gesellschaftliche Tätigkeit verstanden. Die Spaltung von Wissenschaft und Leben ist mehr denn ein historischer Befund, wie auch Husserl weiß.1 Die Spaltung von Wissenschaft und Leben ist vielmehr definitiv für die objektiven Wissenschaften und ihre Welt, für die Gesellschaft. Diese ist daher als diese Entfremdung vom ursprünglichen Leben, von dem durch Sitte und Tradition bestimmten und erfüllten Leben, das gegenüber der Gesell-schaft sein Daseinsrecht anmeldet. Dieses Leben muß als Gegenmoment der Gesellschaft selber bestimmendes Moment der einen Welt sein; Husserl spricht von Lebenswelt. 2 Objektive Wissenschaften sind also Welt- (= technische Welt-) Wissenschaften in der Welt- (= Lebenswelt-) Verlorenheit.3 Es kann daher auch gesagt werden: die technische Welt, die Gesellschaft, ist die Vergessenheit der Lebenswelt. Lebenswelt und technische Welt (Gesellschaft) sind also nur in ihrem Gegensatz, d.h. in ihrer Genesis zu begreifen.4 Der Auseinanderfall von Wissenschaft und Leben ist damitauf seinen Ursprung, die Spannung von Lebenswelt und technischer Welt (Gesellschaft) zurückgeführt. Die objektiven Wissenschaften und das von ihnen beherrschte Universum, die technische Welt, gewinnen nur dann ihre Lebensbedeutsamkeit, wenn sie mit der Lebenswelt (wie auch diese mit ihnen) zur Versöhnung kommen. Da die technische Welt die Vergessenheit der Lebenswelt, die Abstraktion von ihr ist, können die objektiven Wissenschaften allererst durch das Bewußtwerden dessen, was in der Gesellschaft vergessen ist, durch die Aufhebung der AbstrakI s. dazu weiter unten S. log. 2 DIe technische Welt ist die Vergessenheit der Lebenswelt; denn Husserl betontIn den Ideen H, daß die naturalistische Einstellung die Selbstvergessenheit des personalen Weltlebens ist. (s. oben S. 4, Anm. 4). In dem Begriff 'personale Einstellung" der Ideen H kündet sich das an, was Husserl später in der Krisis als Lebenswelt begreift. Eine historische Entwicklung des Begriffes Lebenswelt im Gesamtwerk Husserls WIrd hier nicht erstrebt. - Lebenswelt meint ein Doppeltes: (I) den durch Sitte und Tradition bestimmten personalen Lebensraum (den die Gesellschaft außer siebt läßt); (zum Beleg s. unten S. lOg) (z) den Horizont, in und aus dem das Dasein sicbt versteht. (Welt verweist ja auf die Transzendentalität; Horizont meint dieses VerweIsen. s. dazu den Exkurs: Zum Begriff Welt). 3 s. oben S. 103, Anm. 5. 4 Diese Arbeit verdankt hinsichtlich des Gesellschaftsproblemes manche Hinweiseund Anregungen den Vorlesungen und Übungen von Prof. J. Ritter, Munster (Westf.)r
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tion ihre Be-gr,ündung erfahren. Nur auf diese Weise wird ihr Wahrheitssinn offenbar, der zunächst nicht die Adäquatheit ihrer Methoden, die Richtigkeit ihrer Beweise und Folgerungen betrifft, wohl aber ihr System als System und damit den Sinn ihrer Unternehmungen.! Das philosophische Denken muß so einen Zweifrontenkrieg führen. Es muß zunächst den Totalitätsanspruch, den Hochmut -der objektiven Wissenschaften bekämpfen, indem es ihre Einseitigkeit und Abstraktheit aufzeigt.2 So betont Husserl: 'Die WissenschaH der Neuzeit wollte radikale und universale Weltwissenschaft sein. So ihr Anfang bei Descartes, aber sie verlor das Problem des Menschen aus der Hand bei ihrer Art, Universalität ins Spiel zu setzen, den Menschen als Ichsubjekt, sie hatte kein Ich und Wir im Thema und damit hatte sie nicht die absolute ·Gestalt einer Selbstbesinnung der Menschheit auf ihr Absolutes ... Philosophie reduzierte sich auf eine bloße Tatsachenwissenschaft, . in der die Vernunft verlorenging, welche die Tatsachen jedes Sinnes erst als solche, als Seinssinn schafft. Darum verlor sie auch bei allem gutem Willen, der Religion, sei es auch als sogenannter Vernunftreligion, Genüge zu tun, den Sinn göttlichen Seins und .göttlicher Schöpfung der Welt aus ihrem Thema und führte von selbst zum Atheismus oder zu einer wissenschaftlichen Mystikgegenüber der rein der Gemütsevidenz folgenden, aber wieder Wissenschaftlichkeit im entscheidenden Sinn preisgebenden Mystik im gewöhnlichen Sinn.' 3 Wird die Einseitigkeit und Abstraktheit der technischen Welt nicht gesehen, so führte das zwangsläufig zur Verdrängung der zentralen Menschheitsfragen. Genau das ist der Tatbestand der modemen Gesellschaft. 4 Mag 1 Die Wissenschaften erfahren damit nicht ihr Begründung durch eine Wissenschaftstheorie, wie Husserl noch in den Logischen Untersuchungen glaubte. In der Krisis hat Husserl endgültig den zu engen Rahmen einer Wissenschaftstheorie gesprengt. 2 So bekämpft Husserl den Hochmut der 'Verstandeslogik': ' ... die vermeintlich völlig eigenständige Logik, welche die modernen Logistiker - sogar unter dem Titel .einer wahrhaft wissenschaftlichen Philosophie - glauben ausbilden zu können, nämlich als die universale apriorische Fundamentalwissenschaft für alle objektiven Wissenschaften, ist nichts anderes als eine Naivität. Ihre Evidenz entbehrt der wissenschaftlichen Begründung aus dem universalen lebensweltlichen Apriori, das sie beständig in Form wissenschaftlich nie universal formulierter, nie auf wesenswissenschaftliche Allgemeinheit gebrachter Selbstverständlichkeiten, immerzu voraussetzt.' (Krisis, S. 144). 3 Ms. KIll 2, S. 54b/55 a (1930-36). 4 Damit bestätigt sich wiederum unsere Interpretation der technischen Welt als >Gesellschaft.
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aber das Leben noch so gegen die Herrschaft der Gesellschaft protestieren; dieser Protest bleibt einseitig und abstrakt, und führt zur entsprechenden Fixierung und Ausklammerung. 'Die Ausschließkeit, in welcher sich in der zweiten Hälfte des I9. Jahrhunderts die ganze Weltanschauung des modemen Menschen von den positiven Wissenschaften bestimmen und von der ihr verdankten "prosperity" blenden ließ, bedeutete ein gleichgültiges Sichabkehren von den Fragen, die für ein echtes Menschentum die entscheidenden sind. Bloße Tatsachenwissenschaften machen bloße Tatsachen-Menschen. Die Umwendung der öffentlichen Bewertung war insbesondere nach dem Kriege unvermeidlich, und sie ist, wie wir wissen, in der jungen Generation nachgerade zu einer feindlichen Stimmung geworden. In unserer Lebensnot _ so hören wir - hat diese Wissenschaft uns nichts zu sagen.' 1 Der Protest des Lebens wird durch die Einseitigkeit der Wissenschaften selber heraufbeschworen und bleibt wie dieser einseitig. Er führt, dieses Mal im Namen des Lebens, zur Beseitigung der Vernunft. Husserl bekämpft daher auch die die 'Wissenschaftlichkeit im entscheidenden Sinn preisgebende Mystik im gewöhnlichen Sinn', 2 'die tiefsinnige Mystik der modischen Existenzphilosophie und des sich so überlegen dünkenden historischen Relativismus'. 3 . Wie können Lebenswelt und technische Welt zur Versöhnung kommen? Die Lebenswelt vermag sich aus sich nicht gegenüber der technischen Welt zu behaupten. Das von der Gesellschaft Vergessene kann nur zur Bewußtheit kommen und dadurch bewahrt werden, daß es selber sich wissenschaftlich ausweist und rechtfertigt; dieses ist aber nur dadurch~möglich, daß das vordem naive Dasein nicht zur Unterscheidung gebracht und so präsent hat, was in ihm selber unterschieden ist. Allererst das Bewußtwerden des transzendentalen Einheitsgrundes läßt das Unterschiedene, eben die Lebenswelt und die exakte Welt, sehen und vermag die Lebenswelt gegenüber der exakt-wissenschaftlichen zu bewahren. Ein solches Bewußtwerden ist Wissenschaft. Wissenschaft ist Transzendentalphilosophie. 'Ich nannte die Wissenschaften überhaupt Zweige der Philosophie, wo es doch so. 1
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Krisis, S. 314.
. Ms. KIll 2, S. 55a. in: Brief Husserls an K. Löwithin: EdmundHusserl, I859-I959, Haag 1959, S. 50.
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LEBENSWELT -
EXAKT-WISSENSCHAFTLICHE WELT
eine geläufige Überzeugung ist, daß die objektiven, die positiven Wissenschaften eigenständig sind, selbstgenügsam vermöge ihrer vermeintlich wohlbegründeten und darum vorbildlichen Methode. Aber ist es nicht am Ende der teleologische Einheitssinn, der durch alle Systemversuche der gesamten Geschichte der Philosophie hindurchgeht, die Einsicht zum Durchbruch zu bringen, daß Wissenschaft überhaupt nur möglich ist als Universalphilosophie, und diese in allen Wissenschaften doch eine einzige Wissenschaft. nur möglich als eine Totalität aller Erkenntnisse, und lag darin nicht, daß sie alle auf einem einzigen Grund beruhten, einem allen voran wissenschaftlich zu erforschenden Grunde - und kann das füge ich bei, ein anderer sein als eben der jener anonymen Subjek~ tivität? Das aber konnte und kann man nur einsehen, wenn man endlich und ganz ernstlich nach dem Selbstverständlichen fragt. das alles Denken, das alle Lebenstätigkeit in allen ihren Zwecken und Leistungen voraussetzt, und wenn man, konsequent ihren Seins- und Geltungssinn befragend, der unverbrüchlichen Einheit des Sinn- und Geltungszusammenhanges inne wird, der durch alle geistigen Leistungen hindurchgeht: 1 Wissenschaft ist aber dann nicht primär und grundlegend systematisches Vorstellen von etwas als einem Gegenstandsbereich, weder im konstruktivmathematischen noch im deskriptiven Sinn, sondern das vernunftgemäße Leben ist als solches Wissenschaftlichkeit. 'Der Mensch ist berufen zu einem Leben in der Apodiktizität - nicht nur abstrakt: 2 Die Wissenschaftlichkeit ist Leben, weil Vernunft Vernunft als Wille ist. Die Krise der Moderne, die vor allem eine Krise des europäischen Daseins ist, hat nach Husserl nur zwei Auswege: 'Den Untergang Europas in der Entfremdung gegen seinen eigenen rationalen Lebenssinn, den Verfall in Geistfeindschaft und Barbarei, oder die Wiedergeburt Europas aus dem Geiste der Philosophie durch einen den Naturalismus endgültig überwindenden Heroismus der Vernunft. Europas Gefahr ist die Müdigkeit. Kämpfen wir gegen diese Gefahr der Gefahren als 'gute Europäer' in jener Tapferkeit, die auch einen unendlichen Kampf nicht scheut, dann wird aus dem Vernichtungsbrand des Unglaubens, dem schwelenden Feuer der Verzweiflung an der menschus.
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Krisis, S.
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Ms. K IIl6, S. IS6b.
TRANSZENDENTALITÄT
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heitlichen Sendung des Abendlandes, aus der Asche der großen Müdigkeit der Phoenix einer neuen Lebensinnerlichkeit und Vergeistigung auferstehen, als Unterpfand einer großen und femen Menschenzukunft : Denn der Geist allein ist unsterblich.' 1 Die Genesis der technischen Welt gestattet, Lebenswelt, technische Welt und Transzendentalität zur konkreteren Bestimmung zu bringen. Husserl hat im Manuskript KIll 9 einige wichtige Hinweise gegeben. Er betont, daß geschichtlich 'dem immer schon historischen Leben' - wobei dieses 'immer schon historische Leben' ausgelegt wird als 'gemeinschaftliches Leben in Form der gemeinsamen Sitten, Sprachsitten, Rechtssitten, Religionssitten' 2 - 'ein neuartiges Zweckleben' entsprungen ist, das das gesamte Menschentum umgebildet und allmählich ein neues Menschentum geschaffen hat.3 Das 'neuartige Zweckleben' beinhaltet zunächst die Konstitution der 'puren Realitätenwelt' ,4 die Reduktion auf das objektiv Seiende der realen Welt, die Konstitution der objektiven Wissenschaft; in ihr ist die Möglichkeit der universalen Idealisierung vorgezeichnet, die in der Moderne durchgeführt wurde. Es soll hier nur die Genesis der modemen Gesellschaft entfaltet werden. 5 Das 'neuartige Zweckleben' meint nicht eine neue Zielstellung, eine neue Praxis in der selbstverständlich personalen Lebenswelt, noch die Lebenswelt selber, sondern dieses Zweckleben ist die Selbstvergessenheit des personalen Lebens: ja die "pure Realitätenwelt' ist nur dadurch, daß sich das Leben von seinem ursprünglichen Weltleben 'entfremdet'.6 Sie ist Abstraktion und als solche selber abstrakt; eine solche Tätigkeit ist aber - wie sich schon in der Rechtsphilosophie Hegels zeigt 7 - Arbeit in ihrer modernen Gestalt. Hegel schreibt: 'Die Abstraktion des Produzierens macht das Arbeiten ferner immer mehr mechanisch und damit am Ende fähig, daß der Mensch davon wegtreten und an seine Stelle die Maschine eintreten lassen kann.' 8 Das System der Arbeit 9 ist aber die Gesell1
Krisis, S. 347/48.
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Ms. K Ilf 9, s. sza. ebd., S. 47 a. ebd., S. S4 a. Wir haben hier also, genauer formuliert, die exakte pure Rea1itätenwelt im Auge. s. S. 73, Anm. 2 dieser AIbeit.
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wundUnien der Philosophie des Rechts, § 198.
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ebd. 9 Die AIbeit ist so wenig bloß subjektive Tatigkeit wie die Allgemeinheit des täti. gen transzendentalen Subjekts gegenüber dem Empirischen. AIbeit ist System. B
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schaft; sie ist, weil die Logik der Gesellschaft selber Abstraktion ist, der 'Noth- und Verstandesstaat'.l Damit bestätigt sich unsere Interpretation, daß nämlich die technische Welt Gesellschaft, die Technisierung Arbeit ist; die engere Bedeutung des Begriffs 'Technik' der Krisis findet ihre Konkretion. Die Konstitution der 'puren Realitätenwelt' meint geschichtlich das, was als 'Europäisierung' 2 zum Austrag kommt. Es konstituiert sich eine 'allgemeine Verkehrswelt', 3 die die geschichtliche Herkunft außer sich läßt. 4 Die Stiftung des 'neuartigen Zwecklebens' besagt, daß ein 'neues Menschentum' geschaffen wird 'mit dem Korrelat einer neuartigen Kultur, die nicht nur organisch ist, sondern aus der schöpferischen Tat des einzelnen einen neuartigen Totalsinn' erhält. 5 Die Transzendentalität ist doch als Versöhnung von Lebenswelt und Gesellschaft Vernunft als Wille, vernunftgenormte Tätigkeit, 'sittliche Wirklichkeit' 6 und auf diese Weise Konstituens einer 'philosophischen Kultur'. 7 'Lebenswert ist das Leben unter allen Umständen, schon als ethisches; lebenswert für den einzelnen, der seine ethische Aufgabe erkennt und auf sich nimmt. Lebenswert ist es erst recht, wenn ich, der Handelnde, einen offenen Horizont sozialer Liebesverbundenheit ... sehe, in dem wir alle ... uns in der Erhöhung des Daseins helfen können ... Das Ideal aber ist, daß die Welt in der Tat eine vollkommene sei, wie sie als Welt gedacht werden kann, im Grunde im Sinne der optimalen Weltauffassung, daß Menschen und Welt aufeinander gestimmt sind, daß sie eine Struktur haben, die der Menschheit Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 183. Krisis, S. 13/14. 3 Husserl betont in dem Ms. KIll 9 den innigen Zusammenhang zwischen 'Verkehrswelt' und Konstitution der 'puren Realitätenwelt', s. unten S. 125 dieser Arbeit. 4 Zum Problem der Geschichtlichkeit s. S. 121 ff. dieser Arbeit. S Ms. KIll 9, S. 47 a. 6 Husserl betont in der Spätphilosophie, daß die Transzendentalphilosophie ethische Besinnung ist. 'Wir sind also - wie könnten wir davon absehen - in unserem Philosophieren Funktionare der Menschheit. Die ganze persönliche Verantwortung für unser eigenes wahrhaftes Sein als Philosophen in unserer Berufenheit trägt zugleich in sich die Verantwortung für das wahre Sein der Menschheit.' (Krisis, S. 15). - Husserl spricht geradezu von einer 'religiösen Umkehrung'. 'Vielleicht wird es sicb sogar zeigen, daß die totale phänomenologische Einstellung und die ihr zugehörige Epoche zunächst wesensmäßig eine völlig personale Wandlung zu erwirken berufen ist, die zu vergleichen wäre zunächst mit einer religiösen Umkehrung, die aber darüber hinaus die Bedeutung der größten existenziellen Wandlung in sich birgt, die der Menschheit als Menschheit aufgegeben ist.' (Krisis, S. 140). 7 Erste Phil. I, S. 203 ff .. 1
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eine Unendlichkeit ethischer Kultur möglich macht, aus eigener ethischer Freiheit, und darin beschlossen, daß ethische Gesinnungsich fortpflanze und durch Vorbild und Belehrung von Mensch zu Mensch wirksam und allem voran die unendliche Aufgabe der Ethisierung der Menschheit gestellt und fortschreitend realisiert werden kann.' 1 Damit fällt auch ein neues Licht auf die 'allgemeine Verkehrswelt' , die die geschichtliche Herkunft außer sich läßt. Die Transzendentalität entlarvt diese nicht nur selber als geschichtliche Konstitution; sie wird vielmehr, insofern die Transzendentalität sie mit der Lebenswelt versöhnt, zugleich aufgehoben in die universale Geschichtlichkeit der' Allmenschheit' . 2 Diese hier aufgezeigten Eigentümlichkeiten zeigen eine erstaunliche Nähe zu den Bestimmungen der 'bürgerlichen Gesellschaft' wie Hegel sie in seinen Grundlinien der Philosophie des Rechts entfaltet hat. Hegel wie Ftusserl betonen, daß das 'euro-päische Menschentum eine absolute Idee in sich trägt', 3 die irr der Krise der Moderne offenbar wird. Nach Hegel wie Husserl besteht die Krise in der 'Entzweiung' der technischen Welt von der ursprünglichen, durch Sitte und Tradition bestimmten Welt. Das. Zu-sich-$elbst-kommen der Vernunft g:ünde~ sich bei beiden .auf die Entfhltung des Wesens, also auf dIe LOgIk, wenn auch dIese sich bei beiden fundamental unterscheidet, wie wir im Verlauf unserer Arbeit gesehen haben. Hege! wie Husserl betonen, daß mit der Konstitution der technischen Welt die Geschichte als Weltgeschichte offenbar wird. Hegel 4 bestimmt in seiner Rechtsphilosophie die 'technischeWelt' als den 'Noth- und Verstandesstaat', 5 der als dieser sich von der geschichtlich-Iebensweltlichen Herkunft 'entzweit'. Durch den Staat als der 'Wirklichkeit der sittlichen Idee' 6 wird die durch Tradition und Sitte bestimmte Familie mit der Gesellschaft versöhnt. Die Gesellschaft ist so notwendig Differenz. zwischen de!' lebensweltlich-geschichtlichen Ordnung der Familie Ms. FI 24, S. 154 (der Transkription) (1909-23). s. dazu Diemer, A., Edmund Husserl. Versuch einer systematischen Darstellung' seiner Phänomenologie, Meisenheim am Glan 1959, S. 360 ff. 3 s. Krisis, S. 13/14. 4 s. zu folgendem: Ritter, J., Hegel und die franziJsische Revolution, Köln und Opladen 1957. S Grundlinien der PhilosoPhie des Rechts, § 183. 8 ebd., § 257. 1
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'und dem Staat als der 'sittlichen Wirklichkeit'. 1 Der Staat darf nicht mit der Gesellschaft verwechselt werden. 2 Die Versöhnung beider 'Sphären' mit dem Staat besteht aber nicht in der Auflösung dieser 'Momente' in den Staat, noch darin, daß der Staat beiden 'Sphären' ihre Eigenständigkeit garantiert, sondern er scheidet als 'wirkliche Idee', als Geist 'sich selbst in die zwei ideellen Sphären seines Begriffes, die Familie und die bürgerliche Gesellschaft, als in seine Endlichkeit', 'um aus ihrer Idealität für ."Sich unendlicher wirklicher Geist zu seyn.' 3 Der Staat ist als 'die Wirklichkeit des substantiellen Willens ... das an und für 'sich Vernünftige'. 4 'Die Vernünftigkeit besteht, abstrakt betrachtet, überhaupt in der sich durchdringenden Einheit der Allgemeinheit und der Einzelnheit.' 5 Damit ist der Staat selber in der Logik gegründet. Der Erweis des 'letzten Quellpunktes .aller Thätigkeit, Lebens und Bewußtseyns, gehört der Logik, .als der reinen spekulativen Philosophie an'. 6 Genau in dem Verständnis der Logik bricht aber der radikale Unterschied zwischen dem Husserlschen und HegeIschen Denken .auf. Es soll daher im nächsten Paragraphen die logische Bestimmung von Lebenswelt und technischer Welt zur Sprache kommen. Diese Arbeit fragt nach Wesen und Eigentümlichkeit der transzendentalen Reflexion, des transzendentalen Enthüllens, .also der Genesis der Transzendentalität. Als ihre Bedingung der Möglichkeit erwies sich das Wesen. In diesem Kapitel wurde aber .deutlich, daß die Transzendentalität nur durch ihre Entfrem,dung, durch ihre totale Vergessenheit in der technischen Welt zur Präsenz kommen kann. Im Wesen selber bricht also eine Differenz auf, so daß sich die Welt in Lebenswelt und technische 'Welt scheidet und eint.
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GrundUnien der Philosophie des Rechts, § 18:2 Zusatz. ebd., § :258. ebd., § :262. ebd., § 258. ebd. ebd., § 7.
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§ 14. OBJEKTIV-LOGISCHES APRIORI UND
LEBENSWELTLICHES APRIORI
In der Krisis weist Husserl darauf hin, daß es 'einer systematischen Scheidung der universalen Strukturen: universales lebensweltliches Apriori und universales "objektives" Apriori' 1 bedarf. Wie unterscheidet sich nach Husserl deskriptiv das lebensweltliche Apriori von dem objektiven? Im Rahmen dieser Arbeit kann ein Hinweis genügen. Wesenhaft gehört z.B. zur Räumlichkeit das von dem je-eigenen Leib her orientierte Oben, Unten, Vorne, Hinten. Diese Bestimmungen sind nicht exakt; sie sind vage. Die Vagheit ist aber 'kein ihnen anzuheftender Makel; denn für die Erkenntnissphäre, der sie dienen, sind sie schlechthin unentbehrlich, bzw. in ihr sind sie die einzig b~rechtigten'. 2 Ich kann aber nun das Oben, Unten, Vorne, Hinten exakt im Sinne einer Metrik einführen. Das so Thematische ist aber nicht anschaulich; es ist prinzipiell nicht in die Anschauung überführbar. 3 Es ist eine 'ideale Grenze', ein ideal-identischer Pol, von dem her jedwedes;ßemessen, bzw. auf das hin jedwedes in der Erfahrung Vorfindli~he approximativ vorgestellt wird. 4 Solche ideale Grenzen sind 'logische Substruktionen', methodische Konstruktionen; Husserl nennt diese Methode Idealisierung. Worin gründet aber, daß in der Moderne zunächst und zumeist das objektive Apriori bedeutsam wurde? Husserl schreibt doch: 'Diese Idee der WeIt als eines Universums durch exakte Methoden, die der mathematisch-physikalischen Naturwissenschaft, beherrschbaren Seins, als eines an sich bestimmten Universums, dessen faktische Bestimmungen dann die Wissenschaft zu ermitteln habe, ist uns so selbstverständlich, daß wir in ihrem Lichte jede einzelne Gegebenheit unserer Erfahrung verstehen.' 5 Die Beantwortung dieser Frage wird dadurch erschwert, daß sich der 1 Krisis, S. 143. 2 Ideen I, S. 170. 3 'Die Lebenswelt als Universum prinzipieller Anschaulichkeit - die "objektivwahre" Welt als prinzipiell unanschauliche "logische" Substruktion.' (Krisis, S. 130 ff.). 4 'Vermöge der Bezogenheit der Welt auf die reine Mathematik als ihr Anwendu~gs feld gewinnt ... jede Messung den Sinn einer Approximation auf einen zwar unerrelChbaren, aber ideal-identischen Pol, namlich auf eine bestimmte der mathematischen Idealitäten bzw. der ihnen zugehörigen Zahlengebilde.' (ebd., S. 40). 5 Erfahrung und Urteil, S. 40.
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EXAKT-WISSENSCHAFTLICHE WELT
früher aufgezeigte Widerstreit des regionalen Apriori in der Differenz von objektiv-logischem Apriori und Apriori der Lebenswelt wiederholt und verschärft. Die folgende Analyse beginnt mit der extremen Bestimmung des Wesens und versucht zu zeigen, wie sich dieses Moment im Verlauf der Analyse in sein Gegenteil verkehrt. Ist das Wesen ebenso wie das Individuelle Gegenstand der Anschauung 1 - wenn auch ein 'neuartiger Gegenstand' 2 -, so verliert es seine Auszeichnung als das dem Dies-da Vorangehende, es wird zur bloßen Invariante des Vorhandenen. Das objektive Apriori setzt aber das lebensweltliche voraus,3 wie weiter unten näher gezeigt wird. Solches Voraussetzen kann aber bei dem hier vorliegenden Wesensverständnis nur besagen, daß die Operation qua Variation eine weitere Operation ermöglicht; korrelativ, daß in dem Wesen als Invariante die Konstruktion einer neuen Gegenständlichkeit - Husserl spricht von 'idealer Gegenständlichkeit' 4 - gründet. Die exakten Wissenschaften gewinnen aber dann nur ihre Rationalität, wenn deskriptiv Schritt für Schritt die Fundierung des objektiv-wissenschaftlichen Apriori im Apriori der Lebenswelt aufgezeigt wird. 5 In der exakt-wissenschaftlichen Einstellung verweilend kommt jedoch jedwedes nur von seiner 'idealen Grenze' her in den Blick. Wie wird aber dann das Apriori der Lebenswelt zugänglich, so daß wir Schritt für Schritt die Fundierung des exakten Apriori im lebensweltlichen aufzeigen können? Zunächst ist zu beachten, daß die lebensweltliche und die objektiv-wissenschaftliche Einstellung nicht zwei beliebige Betrachtungsweisen, bloß beliebige Aspekte sind; ihre Unterschiedenheit ist nicht ontische Andersheit, sondern sie ist eine Differenz, die zur Welt selber gehört; genauer: die Differenz ist eine Differenz im Apriori, im Wesen 1 'Hier liegt nicht eine bloß äußerliche Analogie vor, sondern radikale Gemeinsamkeit.' (Ideen I, S. 14). 2 ebd. 3 Krisis, S. I44. 4 ehd., S. 36I. Husserl bezeichnet solche 'Gegenständlichkeit' als ein 'Gebilde höherer Stufe'. (s. Zitat auf S. 5 dieser Arbeit). Husserl nennt die Konstruktion der 'Gebilde höherer Stufe' Idealisierung. 'Mathematische Methode "konstruiert" aus anschaulicher Vorstellung ideale Gegenständlichkeiten und lehrt, diese operativ und systematisch zu behandeln. Sie erzeugt nicht handelnd Dinge aus Dingen, sie erzeugt Ideen; Ideen entspringen durch eine eigenartige Geistesleistung: durch Idealisierung.' (Krisis, S. 36I). 5 Hinweise einer solchen Konsitution gibt Husserl in der Kl'isis. Diese sollen hier nicht referiert werden. Es soll hier nur der Widerstreit innerhalb der Husserlschen Analyse aufgedeckt werden.
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selber; d.h. in der Verschiedenheit besteht Gleichheit, d.i. Wesensidentität. Husserl betont, daß 'die Welt als Lebenswelt schon vorwissenschaftlich die "gleichen" Strukturen «hat» als .... die objektiven Wissenschaften'.l Verschiedenheit meint eine Unterschiedenheit von prius und posterius; das objektiv-logische Apriori verweist als posterius auf sein prius, das lebensweltliche Apriori. Wie setzt aber das objektiv-logische Apriori das lebensweltliche voraus? Es setzt das lebensweltliche voraus in der Weise seiner Vergessenheit, d.h. im Sinne Husserls: insofern das objektiv-logische Apriori thematisch ist, ist das lebensweltliche gerade nicht thematisch. Das lebensweltliche Apriori kommt also nur in Änderung des 'insofern', also in der epoche in den Blick. Die epoche zeigt an, daß wir unversehens in die 'Dialektik' hineingeraten sind, die wir bereits beim Wesen aufgezeigt haben. Wenn Wesen zum Gegenstand winl, ist genau das negiert, weswegen das Wesen überhaupt bemüht wurde, nämlich als das dem Dies-da Vorangehende Norm des Dies-da zu sein. Die Negation geschieht aber> wie uns bekannt ist, durch die epoche. Entsprechend: Wird das exakte Wesen zum 'idealen Gegenstand', so wird das negiert, weswegen es überhaupt bemüht wurde, nämlich als das, was es macht, daß Seiendes schon vorweg vom exakten Wesen her ausgelegt wird. Husserl nimmt die Bestimmung des Wesens als 'idealen Gegenstand' genau dadurch wiederum zurück, daß er die Universalität und Radikalität mathematischer Ausgelegtheit als Vergessenheit der Lebenswelt begreift; er begreift die Ausgelegtheit, indem er die epoche bemüht, also wiederum seinen eigenen Ansatz negiert. Dieses wird vor allem im Husserlschen Verständnis der Mathematik deutlich. Er unterscheidet mit Recht die euklidische Geometrie und die alte Mathematik überhaupt, die 'nur endliche Aufgaben, ein endlich geschlossenes Apriori' kannte, von der modernen Geometrie und Mathematik. Niemals kam das Altertum so weit, 'die Möglichkeit der unendlichen Aufgabe zu erfassen. die für uns mit dem Begriff des geometrischen Raumes wie selbstverständlich verknüpft ist, und mit dem Begriff der Geometrie als ihm zugehöriger Wissenschaft 2 ••• Im voraus ist, was im geometrischen Raum idealiter 1
Krisis, S.
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Die Geometrie soll uns hier nur als Exempel dienen.
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"existiert", in allen seinen Bestimmtheiteneindeutigentschieden. Unser apodiktisches Denken "entdeckt" nur, nach Begriffen, Sätzen, Schlüssen, Beweisen etappenmäßig ins Unendliche fortschreitend, was im voraus, was an sich schon-in Wahrheit ist. Die Konzeption dieser Idee eines rationalen unendlichen Seinsalls mit einer systematisch es beherrschenden rationalen Wissenschaft ist das unerhört Neue.' 1 Solches 'Schon-im-voraus-sein' kann im Horizont Husserlscher Philosophie nur als WesensApriori gedacht werden. Dieses Apriori wird aber genau dadurch negiert, daß das exakte Wesen zum idealen Pol, zum idealen Gegenstand wird, so daß es in der Änderung des 'insofern' (in der epoche) in den Blick kommt. Die eigentümliche Differenz-Einheit von lebensweltlichem und objektiv-logischem Apriori muß aber noch näher bestimmt werden; noch einmal sei die Dialektik wiederholt, indem sich die Analyse an der Eigentümlichkeit mathematischer Ausgelegtheit orientiert. Der Übergang vom lebensweltlichen zum exakten Apriori vollzieht sich kraft der Idealisierung. Die Unterscheidung von 'endlich geschlossenem Apriori' und 'universal systematisch einheitlichem Apriori' weist auf eine noch genauere Bestimmung dieses Überganges hin. Offensichtlich entspringt doch auch die euklidische Geometrie der Idealisierung; es geht doch auch hier um Punkte, Gerade, Ebenen usw. Für die Konstitution des exakten Apriori als Mathesis muß die Eigentümlichkeit des Unendlichen bestimmend sein, so daß von ihm her das objektiv-logische Apriori als Absenz des lebensweltlichen verständlich wird. Die Wissenschaften bewegen sich vorweg schon in ihrer spezifischen Region, sie sind in dieser Weise naiv. Das Vorweg meint zunächst das geradehin zu Entfaltende, das nicht tatsächlich, sondern wesensmäßig aufgezeigt wird und so Norm des Tatsächlichen ist. Wesen ist das Regionale. Es ist aber nicht nur das Regionale, sondern Gegebenes wird schon im Lichte des Wesens gesehen. Das setzt aber voraus, daß das in der Wesensbetrachtung Bedeutsame das meint, was jeder Erfahrung wie Ideierung vorweg schon seine 1 Krisis, S. 19. - Das Husserlsche Verständnis der Mathesis bedarf jedoch aus mathematischen Erwägungen einer Korrektur. Seine 'Idee' einer 'obersten Theorie', 'die alle möglichen Theorienformen bzw. alle möglichen Mannigfaltigkeitsformen als mathematische Besonderungen, also ableitbar, in sich fassen würde' (Formale und transzendentale Logik, S. 86), hat sich als nicht realisierbar erwiesen, wie Gödel 1931 in seiner Arbeit Uber formal unentscheidbare Sätze der Principia Mathematica und verwandter Systeme gezeigt hat.
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Regel vorschreibt - wie wir bereits früher dargelegt haben. Diese Regelstruktur liegt aller aktuellen Wesensbetrachtung schon voraus und zugrunde,! so daß die Wesensbetrachtung von diesem Vorweg ihre Ermöglichung und Normierung erfährt. Die ontologische Wesensbetrachtung bringt aber das Vorweg als Vorweg nicht zur Präsenz. Soll aber eine streng wissenschaftliche Thematisierung möglich sein" so muß dieses Vorweg als Normierung im Geradehin, in ontologischer Position bedeutsam sein. In objektiver Wissenschaft verweilend kann das Vorweg nur bestimmend sein auf Grund logischer (also unanschaulicher) Substruktion, indem es sich also als 'ideale Grenze' bestimmt. 2 Die objektiven \Vissenschaften werden zu exakten. Zusammenfassend kann gesagt werden, daß die Mathesis universalis das Bedeutsamwerden des das regionale Wesen normierenden Vorweg in ontologischer Position ist, d.h. das ZurSprache-bringen des Vorweg als Nicht-zur-Sprache-bringen. 3 Das exakte Apriori ist im lebensweltlichen in der Weise seiner Absenz gegründet. Solche Absenz ist aber zuvor die Absenz der Transzendentalität selber. Das würde aber doch bedeuten, daß' das lebensweltliche Apriori allererst kraft des Offenbarseins der Transzendentalität, also als transzendentales Moment, sich als Grund der Mathesis enthüllen und behaupten könnte. Die Transzendentalität müßte sich im Durchgang durch die totale Absenz der Mathesis in die Offenbarkeit bringen. Die vorwärtstreibende Kraft des lebensweltlichen Apriori müßte sich selbst durch ihre Entfremdung als objektives Apriori in die Transzendentalität aufheben. Hier wird aber nun der Widerstreit deutlich. Das exakte Apriori ist nach Husserl im lebensweltlichen Apriori in der Weise seiner Absenz gegründet. Das lebensweltliche Apriori vermag sich gegenüber dem exakten nur kraft der Transzendentalität zu 1 Husserl betont ausdrücklich diese zugrunde liegende Regelstruktur: 'Jedes Objekt, jeder Gegenstand überhaupt ... bezeichnet eine Regelstruktur des transzendentalen ego.' (Carlesianische Meditationen, S. 90). 2 Husser! betont aUSdrücklich, daß die 'unendliche Idee' 'in der Horizonthaftigkeit der Lebenswelt ihren Sinnesursprung' hat (Krisis, S. 499). Die Horizonthaftigkeit beinhaltet die 'iterative Unendlichkeit' (Formale und transzendentale Logik, S.
167). 3 Das von den exakten Wissenschaften beherrschte Universum läßt sich auf Grund dieser Eigentümlichkeit konkreter bestimmen, wie im letzten Kapitel deutlich wurde.
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behaupten. l Diese ist indes 'nicht sozusagen gratis zu haben', wie Husserl ausdrücklich betont. 2 Also kann das lebensweltliche Verhalten sich nur wissenschaftlich rechtfertigen, d.h. sein Apriori (-Aposteriori) zur Präsenz bringen, im Durchgang durch die Entfremdung. Nur im Durchgang durch die Entfremdung kann dann vom lebensweltlichen Apriori die Transzendentalität und damit es selbst offenbar werden. Der Widerstreit im Verhältnis vom exakten zum lebensweltlichen Apriori bekundet sich nun darin, daß einerseits nur in epoche der technischen Einstellung die Lebenswelt und in epoche der Lebenswelt allererst die Transzendentalität in Blick kommt, der transzendentalen Reflexion also der lebensweltliche Hinblick 'Vorausgeht, daß andererseits aber erst die transzendentale Reflexion den Blick frei gibt für das lebensweltliche Apriori. Es zeigt sich eine analoge Spaltung wie im Verhältnis von WesenTatsache, Transzendentalität und M undanität.
VIERTER TEIL
DIE VERNUNFTGESCHICHTLICHKElT ALS PROBLEM
1 Husserl betont in der Krisis ausdrücklich, daß die Psychologie ihr Eigenwesen nur kraft des Rückgangs in die Transzendentalität zu rechtfertigen vermag. (s. Krisis,
S.261). B
ebd.
§ 15. DIE STUFEN DER GESCHICHTLICH KElT
Das auf Grund der transzendentalen epoche Offenbare ist naclr Husserl das transzendentale sinnstiften~e Leben. Die Zeitlichkeit dieses sinnstiftenden Lebens macht aber als solche noch nicht das. aus, was unter Geschichtlichkeit zu begreifen ist. Geschichtlich-keit meint vielmehr, daß das je schon sinnstiftende Leben als· solches im Laufe der Geschichte zur Präsenz kommt und so" Erfüllung und als Erfüllung Ende dieser Geschichte ist. Solche 'Endgestalt' ist aber 'zugleich Anfangsgestalt einer neuartigen Unendlichkeit'. 1 Das 'Zu-sich-selbst-kommen' vollzieht sich in Stufen. Husserl spricht von 'Stufen der Geschichtlichkeit'. 2 Geschichtlichkeit meint nicht das Historisch-Tatsächliche, sondern das dem Historisch-Tatsächlichen schon Vorausliegendeund es so Bestimmende. Husserl weist ausdrücklich auf diese Differenz hin. Der Historiker verbleibt in seinem Fragen im 'außen', während die transzendental-phänomenologische Freilegung sich als 'Tiefenforschung' begreift.3 In der Krisis kenn-Krisis, S. 274. ebd., S. 502. 3 Auch Hegel unterscheidet in den Grundlinien der Philosophie des Rechts die 'rein. geschichtliche Bemühung' von der 'philosophischen Betrachtung': 'Das in der Zeit. erschemende Hervortreten und Entwickeln von Rechtsbestimmungen zu betrachten, - diese rein geschichtliche Bemühung, so wie die Erkenntnis ihrer verständigen Konsequenz, die aus der Vergleichung derselben mit bereits vorhandenen Rechts-verhaltnissen hervorgeht, hat in ihrer eigenen Sphare ihr Verdienst und ihre Würdigung und steht außer dem Verhältniß mit der philosophischen Betrachtung, insofern namlich die Entwicklung aus historischen Gründen sich nicht selbst verwechselt mit der Entwicklung aus dem Begriffe, und die geschichtliche Erklärung und Rechtfertigung nicht zur Bedeutung einer an und für sich gültigen Rechtfertigung ausgedehnt. wird. Dieser Unterschied, der sehr wichtig und wohl festzuhalten ist, ist zugleich sehr einleuchtend;' Die 'geschichtliche Bedeutung, das geschichtliche Aufzeigen und Begreiflichmachen des Entstehens und die philosophische Ansicht gleichfalls des Entstehens und Begriffes der Sache' sind 'in verschiedenen Spharen zu Hause'. (ebd., § 3)1
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122 DIE VERNUNFTGESCHICHTLICHKElT ALS PROBLEM
zeichnet Husserl seine Betrachtungsweise wie folgt: 'Ein Erschauen nicht von Außen her, vom Faktum, als ob das zeitliche Werden, in dem wir selbst geworden sind, ein bloß äußerliches kausales Nacheinander wäre, sondern von Innen her.' 1 Das. vom Historischen Vorausgesetzte beansprucht eine 'absolute überzeitliche Gültigkeit'; 2 Husserl spricht vom 'historischen Apriori'. 3 Er spricht von der 'über die übliche Tatsachengeschichte hinausgehenden Tiefenforschung' . 4 Der Begriff der Tatsache verlangt selber eine solche 'Tiefenforschung'. Tatsachen können eben nicht durch Tatsachen erklärt werden, sondern nur durch Rückgang in den den Tatsachen vorgeordneten Sinn, durch Rückgang in das, was es überhaupt macht, daß etwas Tatsache ist und als Tatsache begriffen wird, eben das Wesen.5 Wesen ist doch der Rahmen, in dem die Erfahrung sich je schon hält. Geschichtlichkeit ist dann die Entfaltung des in der transzendentalen Subjektivität je schon Vorgezeichneten. 6 Leitfaden der Geschichtlichkeit ist demgemäß das Wesens-Apriori selber. Eine ausgezeichnete Daseinsweise ist das naive Darleben von Welt, in der Weise, daß das Dasein sich in seiner Vorzeichnung hält, diese aber als solche geschichtlich noch nicht zum Problem geworden ist. Husserl betont, daß 'die eingeborene Vernunft ((der Menschheit)) noch ganz im Stande der Verschlossenheit, der nächtlichen Dunkelheit war'. 7 Der Mensch lebt in der vorge:zeichneten Typik seiner Welt blindpassiv, in reiner Naivität. Es ist der Mensch der 'mythischen Welt'. 8 Der Mensch lebt in seiner überkommenen ITradition. Das Ganze des menschlichen Verhaltens ist 'eine Einheit der Sinnhaftigkeit, in Sinngebung und 1 Kl'isis, S. 381. I ebd. 8 ebd. , 'Bei dem in verschiedenen Formen weithin herrschenden Historismus kann ich für eine über die übliche Tatsachengeschichte hinausgehende Tiefenforschung, wie sie in dieser Schrift Krisis» entworfen wird, wenig Empfänglichkeit erwarten, .zumal sie, wie der Ausdruck 'apriori' schon andeutet, eine schlechthin unbedingte, <übel alle historischen Faktizitäten hinausreichende Evidenz, eine wirklich apodikti-sche, in Anspruch nimmt.' (Kl'isis, S. 381). e Tatsache meint das, was seinem Wesen nach anders sein kann. 'Sagten wir: jede Tatsache könnte "ihrem eigenen Wesen nach" anders sein, so drückten wir damit 'schon aus, daß es zum Sinn jedes Zufälligen gehört, eben ein Wesen, und somit ein rein zu fassendes Eidos zu haben.' (Ideen I, S. 12). • Husserl schreibt: 'Man hat natürlich vorweg ein ... Apriori' (Kl'isis, S. 482, Anm. .2). 7 Ms. K HI 6, S. ISS a. 8' s. dazu Diemer, A., a.a.O., S. 366 ff.
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DIE VERNUNFTGESCHICHTLICHKElT ALS PROBLEM 12 3
Sinn selbst als Gestalt, die nicht als Zwecksinn von den Menschen im voraus entworfen ist, sie sind nicht Funktionäre einer Zweckidee, die dieses totale Menschentum bzw. diese Umwelt gewollt und verwirklicht haben'. 1 Das Ganze kann so 'als Einheit eines "Organismus" angeschaut werden'. 2 Die zweite Stufe der Historizität: 'Andererseits aber ist immer schon historisches Leben, so kann, das ist wunderbar, im einzelnen und von einzelnen Menschen her ein neues Zweckleben entspringen.' Das Wesen wird als Wesen bedeutsam. Damit vollzieht sich 'eine Umbildung des gesamten Menschentums, des Totalverbandes der Generativität (der historischen Einheit), allmählich ein neues Menschentum schaffend mit dem Korrelat einer neuartigen Kultur, die nicht nur organisch ist, söndern aus der schöpferischen Tat des einzelnen einen neuen Totalsinn erhaltend'. 3 Denn der Mensch lebt fürderhin nicht mehr in naiver Traditionalität, vielmehr legt er selber das Wesen als Norm seiner Betrachtung und seines Verhaltens frei. 4 Die zweite Historizität ist daher 'die Umbildung des menschlichen Daseins erster Hand durch die Wissenschaft, durch die theoretische Einstellung.' 'Die Weisheit der Priester - die Priester in alltäglichen "religiÖsen" Funktionen, im Gottesdienst, im Dienst der Menschen als unter göttlicher Macht stehenden - die höheren Priester als Träger der religiösen "Weisheit", als "Theologen". Aber das ist kein Logos, sie sind im Glauben und folgen ihren religiösen "Gesichten". Ein ganz anderes ist das Denken des "autonomerr" Menschen als sich über alles, auch über alle Religionstradition stellend - Entmythisierung und erste objektive Welt. Die Kritik der Tradition - entsprungen aus dem Verkehr von Nationen einer verschiedenen ihre nationale Geistigkeit konstituierenden 'Geschichtlichkeit: 5 Die neuzeitliche Philosophie ist Wiederholung der antiken wie universale Sinnverwandlung in eins. Wesen ist nämlich grundMs. K III 9. S. 46 b. ebd .• S. 47 b. a ebd., S. 46 b. . d 4 'Der erste Einbruch der kritischen Einstellung gegenüber aller eIgenen un fremden Tradition ergab die Unterscheidung zwischen dem Menschen, der als Alltags mensch in der Tradition lebend urteilt (in der Doxa) und ~ Mens~h.en ~er Episteme.' (Ms. E III 3. S. 7 (der Transkription) (1933/34» Auch hier beStätlgt slch wieder unsere Interpretation der Lebenswelt und Gesellschaft. e Ms. K 1119, S. SI b/S2a. 1
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legend das 'im selbsteigenen Sein eines Individuums als sein Was Vorfindliche'. 1 Es ist im je Einzelnen erschaubar und so anschaulich, wenngleich es einen geschlossenen Rahmen umreißt. 'Die euklidische Geometrie wie überhaupt die griechische Mathematik kannte nur endliche Aufgaben, nur ein "endlich geschlossenes Apriori". ' 2 Das unerhört Neue der Modeme ist indes die Konzeption 'eines rationalen unendlichen Seinsalls mit einer systematisch es beherrschenden rationalen Wissenschaft '" Eine unendliche Welt ... ist konzipiert als eine solche, deren Objekte nicht einzelweise, unvollkommen und wie zufällig unserer Erkenntnis zugänglich werden, sondern die eine rationale, systematisch einheitliche Methode erreicht - im unendlichen Fortschreiten schließlich jedes Objekt nach seinem vollem An-sichsein'. 3 Die Unendlichkeit der Mathesis ist das Nicht-zur-Sprachekommen der transzendentalen Unendlichkeit. Die dritte Stufe der Geschichtlichkeit ist somit das 'Zu-sich-selbst-kommen der Vernunft im phänomenologisierenden Tun'. 4 'So ist Philosophie nichts anderes, durch und durch, aber nach verschiedenen Stufen der Bewegung von Intention und Erfüllung in sich unterschiedener Rationalismus, die ratio in der ständigen Bewegung der Selbsterhellung, angefangen von dem ersten Einbruch der Philosophie in die Menschheit, deren eingeborene Vernunft vordem noch ganz im Stande der Verschlossenheit, der nächtlichen Dunkelheit war.' 5 Der Widerspruch in dem von Husserl konzipierten Wesen muß nun auch einen Widerspruch im Husserlschen Geschichtsverständnis bedingen. Das Resultat des Widerstreites des Wesens ist das Wesen als Invariante. Die Transzendentalität verliert ihre vorwärtstreibende, leistende Kraft. Der Übergang von der naiven zur wissenschaftlichen und schließlich zur phänomenologischen Stufe kann daher nicht freigelegt werden. Husserl kann nicht wie Hegel zeigen, daß die Stufen Stufen des Zu-sich-selbst-kommens der Vernunft sind. Das Wesen destruiert sich zur Invariante. Die Invariante von 1 Ideen I, S. I3. Krisis, S. I9. 3 ebd. 4 Ms. KIll 6, S. I93 a. 6 ebd., S. I55 a.
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Welt, ihre 'allgemeine Struktur', 1 ist das Identische der je und je subjektiv-relativen Welten. Das Aufmerksamwerden auf das Identische der verschiedenen in Konnex tretenden Welten ist somit das Motiv für 'die Umbildung des Menschentums'. Husserl schreibt daher: 'Der universale Mythos, roh gesprochen das Götter-und Dämonensystem, ist von Nation zu Nation verschieden, Ergebnis einer verschiedenen Historizität. Aber es ist doch, das springt nun als eigene in die Augen, überall dieselbe Erde, dasselbe Erdinnere, mit denselben Typen von Vorkommnissen, Erdbeben, Überschwemmungen,. Wirbelstürmen usw .... Das Selbe, individuell oder allgemeintypisch das Selbe, wird je nach der nationalen Traditionalität mythisch apperzipiert. Es scheIden sich also der sachlich-identische Kern und die mannigfaltige national-mythische Auffassungsweise. In Konnex verschiedener, friedlich sich verständigender Menschheiten verschiedener N ationen verwandelt sich, was für eine schlechthin seiende Welt war, in eine bloß nationale Vorstellungsweise (Geltungsweise) der Welt als das synthetisch als evident sich Abhebende. So sieht die erste Entdeckung der "objektiven" Welt, der einen und selben für alle Menschen, mögen sie welcher Nation immer angehören, aus, die Überwindung der ersten, natürlich-naiven Historizität mensthlichen Daseins und der historisch in ihm gewordenen und fortschreitenden Welt als nationale Apperzeption.' 2 Es konstituiert sich das 'allgemeintypisch Selbe' , doch so, daß von vornherein eine Idealisierung vorgenommen wird. 'Der Mensch, der sich besinnlich über Menschen, Völker, mythisch apperzipierte Welten stellt und die "objektive", die pure Realitäten-Welt entdeckt, hat ... in sich konzipiert ein neuartiges Seiendes. Er hat als endlosen unendlichen Horizont das Universum der objektiven Seienden, der realen Welt, das Thema der exakten Wissenschaften.' 3 Die 'pure Realitätenwelt' konstituiert sich in einem wechselseitigen allgemeinen Verkehr und stiftet eine allgemeine Verkehrswelt. Husserl nennt in der Krisis diesen Prozeß auch 'Europäisierung' . Die Destruktion der Geschichtlichkeit muß noch genauer bestimmt werden. Husserl spricht vom 'Zu-sich-selbst-kommen
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1
Krisis, S.
I42.
2 Ms. KIll 9, S. 53 a. 8 ebd.
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im phänomenologisierenden Tun'. Die erste, phänomenologische Analyse kann aber nicht wie aus der Pistole geschossen anheben; sie wird selber schon geleitet von dem, was hervorgekehrt wird; sie ist selber Vorbegriff, der zu Begriff kommen muß. In der Sprachweise Husserls bedeutet das: das, worauf es zuinnerst in der Philosophie hinaus will, zeigt sich erst in der Endstiftung ; umgekehrt muß aber dann der Anfang schon von seinem Ende her vorbestimmt sein. Wir vermögen aber auf Grund dieses Verständnisses nur zu sagen, was Philosophie ist, insofern schon vorgängig zur Reflexion auf das Wesen der Philosophie das Wissen selber seine eigene Voraussetzung hervorgekehrt hat. Die Reflexion setzt selber schon die Gegenwärtigkeit dessen voraus, was sie reflektiert. Genau deswegen schreibt Hegel: 'Das was ist zu begreifen, ist die Aufgabe der Philosophie, denn das was ist, ist die Vernunft.' 1 Das Verfahren der Philosophie 'kann und darf nur progressiv sein', weil es schon selber progressiv ist. Nach Husserl hat die Philosophie die Aufgabe, die Transzendentalität hervorzukehren und sie Schritt für Schritt zur Präsenz zu bringen. 'Ihr Wesen ((= der Philosophie)) ist es ja, absolut gegründete Wissenschaft, oder einfacher, reine Wissenschaft und nichts als Wissenschaft sein zu wollen. Prinzipiell kann sie nur von absolut einsichtigen Urgründen ausgehen und in einem absolut vorurteilslosen, in jedem Schritte aus evidenten Prinzipien sich rechtfertigenden Begründungswege emporsteigen. Ihr Verfahren kann und darf nur progressiv sein.' 2 Das Bedeutsame ist; daß das absolut gegründete Wissen, die reine Wissenschaft, von der Husserl sagt, daß sie als solche zu sich selbst kommt, nur absolut gegründet ist, wenn sie 'absolut vorurteilslos', d.h. voraussetzungslos selber ihren Urgrund gewinnt, so daß sie vom fest Begründetem zu darauf Gegründetem progressiv übergehen kann. Freilich kann auch ein solch voraussetzungsloses Fragen nicht wie aus der Pistole geschossen, unmotiviert, anfangen. Ein solches Fragen setzt eine Antizipation, eine Leitvorstellung für das zu Suchende voraus.3 Diese ist nach den Cartesianischen Meditationen eine 'Idee', deren Verwirklichung es zu prüfen gilt. Sie ist der in den Wissenschaften waltenden Intention 1 2 3
Grundlinien der Philosophie des Rechts, S. 35. Erste Phil. I, S. I90/9I. S. zu folgendem Carlesianische Meditationen, § 3.
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entnommen. Wir haben so die 'Idee einer Philosophie, nämlich. als einer unbekannt ob und wie zu verwirklichenden. Wir nehmen sie als eine vorläufige Präsumption, der wir uns versuchsweise hingeben, von der wir uns versuchsweise in unseren Meditationen leiten lassen. Besinnlich erwägen wir, wie sie als Möglichkeit auszudenken und dann, wie sie zur Verwirklichung zu bringen wäre'. 1 Es geht also um die Verwirklichbarkeit einer Möglichkeit und darin um ein Fordern, ein Sollen, eine Aufgabe. Das Fragen weiß sich nicht selbst als Resultat und Reflex der gewordenen Wirklichkeit selber. Das Wirkliche des reinen Wissens ist vielmehr die verwirklichte Möglichkeit, das geglückte Experiment. Das. absolute Wissen Hegels reduziert und destruiert sich in einen 'absoluten' methodischen Progress, derart, daß seine 'präsumptive Möglichkeit' selber schon Methode ist. 2 Die 'Idee einer Philosophie, nämlich als einer unbekannten ob und wie zu verwirklichenden' 3 ist aber keine 'fixe Idee' eines Einzelnen. Sie ist vielmehr selber schon in den Wissenschaften bestimmend, jedoch kommt ihre Intention in ihnen gerade nicht zur Erfüllung. Die 'Leitvorstellung' bestimmt somit schon die Geschichte des Denkens, so daß sich das Erwägen der Idee einer Philosophie als solches EtWägen selber relativiert in den methodischen Progress. 4 Vorbegri~f der transzendentalen Phänomenologie besagt demgemäß methodische Antizipation, Begriff der Phänomenologie methodische Verwirklichung solcher Antizipation, genauer: reflektives Selbstgewinnen der Methode, Zu-sich-selbst-kommen der das Denken schon bestimmenden Methode. Das Zu-sichselbst-kommen der Vernunft reduziert und destruiert sich in das. Zu-sich-selbst-kommen der Methode. Von hierher wird verständlich, warum die Husserlsche Philosophie selber programmatischen Charakter haben kann, während sich das für Hegel prinzipiell verbietet. 'Um noch über das Belehren, wie die Welt seyn soll, ein Wort zu sagen, so kommt dazu ohnehin die Philosophie immer zu Cartesianische Meditationen, S. 49. s. dazu: Hülsmann, H., Die Methode in der PhilosOPhie Nieolai Hartmanns" Düsseldorf I959· 3 Carlesianische Meditationen, S. 49. . 4 So schreibt Husserl: 'Doch jeder wirkliche Selbstdenker, wie sehr er im vor~us gewiß war, daß Philosophie überhaupt ein möglicher Zweck sei, wird eben. d~e Möglichkeit, und zwar auf Grund der Klärung des ~ge~tlichen Sinngehaltes r~dikal m Frage stellen müssen, und tut er es, dann steht er m emer,Ursprungsfrage, dle unvermeidlich die Form einer historischen Genesis annehmen Wird.' {Ms. K,III 9, S. 26 bl1
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"Spät. Als der Gedanke der Welt erscheint sie erst in der Zeit, nachdem die Wirklichkeit ihren Bildungsprozeß vollendet und sich fertig gemacht hat. Dieß, was der Begriff lehrt, zeigt notwendig ebenso die Geschichte, daß erst in der Reife der Wirklichkeit das Ideale dem Realen gegenüber erscheint, und jenes sich "dieselbe Welt, in ihrer Substanz erfaßt, in Gestalt eines intellektuellen Reichs erbaut. Wenn die Philosophie ihr Grau in Grau malt, dann ist eine Gestalt des Lebens alt geworden, und mit Grau in Grau läßt sie sich nicht verjüngen, sondern nur erkennen; ,die Eule der Minerva beginnt erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug.' ! Infolge des Widerstreites im Geschichtsverständnis Husserls kann die Geschichtlichkeit in ihrer Fülle, können die Gestalten "der Sittlichkeit nicht zur Entfaltung kommen. Sie verkümmern in einer Wertphilosophie. 2
Vorweg in mundaner Einstellung ist nicht nur die Abstraktsetzung von Welt, sondern in Differenz zu dieser Abstraktsetzung wird die geschichtliche Subjektivität sich als geschichtliche bewußt. Es ist so nicht zufällig, daß sich annähernd in dergleichen Epoche, in der die modernen Naturwissenschaften, die moderne technische Industrie und die auf sie gegründete Gesellschaft sich voll entfalten, das historische Bewußtsein entwickelt.! Die Krise der Moderne besteht aber nach Husserl genau darin, daß sie das Vorweg, wiewohl es für sie konstitutiv ist, als Vorweg nicht begreift. Die Krise besteht so von seiten der exakten Wissenschaften in der Negation der Lebenswelt (also im Objektivismus). Das historische Bewußtsein und in seinem Dienst die historischen Wissenschaften versuchen, das Bewußtsein für die von den exakten Wissenschaften ausgeklammerte Geschichtlichkeit wachzuhalten. Wird aber die Transzendentalität des Vorweg nicht bedacht, kann das Geschichtliche nur wach gehalten werden in der Neutralisierung und Relativierung. Die Wahrheit der Geschichte wird selber erschüttert. Hinsichtlich der Religion schreibt Husserl: der Mensch)), sofern er die 'Hinsichtlich der Religion ist er absolute Geltung der Religionsmythen aufgegeben, die Religionsnaivität: die kritiklose, irreligiös geworden.' 2 Besteht die Krise der e,takten Wissenschaften darin, daß sie die je relative Lebenswelt negieren (also im Objektivismus), so die Krise des 'Historismus' in der Relativierung des Absoluten (oder in der Verabsolutierung des Relativen). Die Geschichtlichkeit verliert ihre Verbindlichkeit. 'Aber Historismus, der sich als Philosophie gebärdet, ist "absoluter" Widersinn, und das ist mehr als mathematischer oder im gewöhnlichen Sinn logischer Widersinn: es ist Widersinn, ausgewertet aus letzten Quellen der Selbstverantwortung, also, wie wir auch sagen können, es ist ein verantwortungsloser, ein unverantwortlicher Widersinn, oder eine Philosophie aus Verantwortungslosigkeit, während wir eine Philosophie versuchen aus wirklicher Verantwortung.' 3 Um die Krise der Geschichtlichkeit, nämlich ihre 'Neutralisation' zu überwinden, bemüht Husserl die transzendentale Subjektivität. Jed~ geschichtliche Besinnung ist für die transzenden-
§ 16. DIE GESCHICHTLICH KElT DES
GESCHICHTSVERSTÄNDNISSES
Daß der Mensch sich als geschichtliches Wesen begreift, ist selbst ein geschichtliches Ereignis; es gründet in einem neuartigen Weltverständnis, nämlich genau in jener 'Umbildung des _gesamten Menschentums', von dem wir oben sprachen. Husserl nennt die 'erste Entdeckung der "objektiven" Welt' 'die Überwindung der ersten natürlich-naiven Historizität menschlichen Daseins'. 3 Es soll hier nur die konsequente Weiterentwicklung dieser Entdeckung in der Neuzeit betrachtet werden. Die exakten Wissenschaften klammern das personal-geschichtliche Leben aus. Reflektieren wir noch einmal das Wesen des Wesens: Wesen ist der 'Rahmen', der vorweg jedweder Erfahrung seine Regel vorschreibt. Das Bedeutsamwerden dieses Vorweg beinhaltet ein Doppeltes, nämlich die Möglichkeit der universalen 'logischen Substruktion' wie das Offenbarwerden des Transzendentalen. Nunmehr zeigt sich noch ein Drittes: Das Thematisieren des G1'undZinien der Philosophie des Rechts, S. 36. So führen die Ausführungen iIber die Geschichte im Ms. KIll 9 Husserl zu dem Eingeständnis: 'Mit all dem ist das Problem der Besinnung auf seine gegenwärtige Aufgabe als einer geschichtlichen nicht gelöst und die Weise seines methodischen Rückgangs in die Geschichte ... nicht aufgeklärt.' (Ms. K III 9, S. 31 a). Dieses durfte iur alle H usserlschen Analysen der Geschich tlichkeit gelten. 3 Ms. KIll 9, S. 54 a. 1
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1 Diesen geschichtlichen Zusammenhang verdanke ich einer Vorlesung von Prof. Ritter, Münster (Westf.). 2 Ms. KIll 9, S. 54 a. 3 Ms. K III 6, S. 247 a.
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tale Subjektivität verbindlich, weil der Sinn von der transzendentalen Subjektivität selbst konstituiert ist: Sinnstiftung schließt Sinnverwandlung ein, so daß der Sinn in seiner Verwandlung bewahrt ist und mit ihm seine Geschichte für die Subjektivität verbindlich ist. Man wird einwenden, daß jede Lebenswelt doch ihre eigene Geschichtlichkeit hat; so ist z.B. für uns Europäer gerade nicht die chinesische Geschichte verbindlich, andererseits müßte aber doch die transzendentale Subjektivität alle Sinnstiftung der Menschheit überhaupt in sich begreifen. Wir versuchen eine Antwort im Sinne Husserls. Mit der Abstraktsetzung von Welt konstituiert sich zunächst eine allgemeine Verkehrswelt mit einer allgemeinen Verkehrssprache. Mit der Technik muß aber die in der Technik sedimentierte Sinnstiftung offenbar werden, will man nicht der Technik verfallen. Diese Sinnstiftung wird nur offenbar kraft des Rückgangs in die transzendentale Subjektivität. Es muß also nach Husserl auch der Chinese, wenn für ihn die abstrakten Wissenschaften bedeutsam geworden sind, den Rückgang in die Subjektivität vollziehen, um sich selbst als absolute (und nicht nur an die historische Umwelt gebundene) transzendentale Subjektivität zu entdecken. Kraft der transzendentalen Besinnung indes wird sodann eine intersubjektive allmenschheitliche Vernunftverbindlichkeit geschaffen und Kommunikation möglich.! Intersubjektive allmenschheitliche Verbindlichkeit und Kommunikation setzt voraus, daß die transzendentale Reflexion allgemeine invariante Wesensbestimmungen offenbar werden läßt. 2 Andererseits ist doch die Lebenswelt eine je relative, und die Integration der wissenschaftlichen Welt in die Lebenswelt muß doch die Integration in die jeweilige Lebenswelt sein. Wie ist aber eine solche Integration möglich? Freilich ist die jeweilige Lebenswelt eben Welt, so daß ihr die 'allgemeinen Strukturen' 3 zukommen. Aber Welt ist noch nicht diese Welt, diese Lebenswelt. Husserl unterscheidet zwischen transzendentalem Wesen und transzendentaler Faktizität, wie sich früher zeigte, so zwar, daß die Faktizität das Wesen voraussetzt und von ihr normiert ist. Die transzendentale Faktizität meint nun nach Husserl vor 1 S 8
Die intersubjektive Konstitution ist nicht Thema dieser Arbeit. s. Krisis, S. 145. ebd., S. 145.
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allem die Diesheit, die zwar ihre allgemeine Invariante voraussetzt, aber andererseits nicht bloße Zutat ist. Sie konstituiert wie Husserl ausdrücklich betont - die je und je faktische Welt in ihrem faktischen Geistesleben.! Die Antwort befriedigt freilich nicht, da die transzendentale Wesen-Faktizitäts-Differenz selber schon die Destruktion der Transzendentalität ist - wie sich früher zeigte. Im Horizont der transzendentalen Subjektivität kann die Geschichte nur verbindlich werden im Sinne der absoluten Philosophie Hegels ..
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s. oben S.
ZI,
Anm. z dieser Arbeit.
ABSCHLUSS
W. Szilasi kommt in seinem erwähnten Buch zu folgendem Resultat: 'Ihre ((= der transzendentalen Phänomenologie» Sicherheit wäre nur erschüttert, wenn der Notwendigkeit der beanspruchte Nachweis fehlte und als fehlender nachgewiesen werden könnte. Auch in solchen Fällen könnte sich die Phänomenologie selbst kontrollieren und die Fehlbildungsstellen ohne Schädigung der Verlassungseinheit umorganisieren.' 1 Diese Arbeit versuchte zu zeigen, daß die transzendentale Phänome~ nologie Resultat des Widerstreits der von ihr konzipierten Transzendentalität selber ist. Das Resultat ist aber nicht das 'nackte Resultat', von dem Hegel schreibt, daß es der Leichnam ist, der die Tendenz hinter sich gelassen hat; 2 das Denken hält sich ~ehr ständig in diesem Widerstreit. Die Sicherheit der transzendentalen Phänomenologie ist erschüttert. Kann aber die Phänomenologie die FehlbildungsstelIen ohne Schädigung der Verfassungseinheit umorganisieren? Gestattet nicht da- 'Prinzip aDer Prinzipien' der Phänomenologie den Durchblick auf den Grund ihres Widerstreites? Allein WEisen und Eigentümlichkeit der Transzendentalität vermag diese Fragen zu beantworten. Als was bestimmte sich die Transzen~ dentalität? Die Subjektivität ist in ihren subjektiven wie intersubjektiven Verhaltungen immer schon in einen Zusammenhang verwiesen, in dem sie sich notwendig hält. Das Verweisen kann aber nicht durch Verweisen seine Erklärung und Begründung finden, sondern nur durch Rückgang in den dem Verweisungszusammenhang schon vorausliegenden und als vorausliegenden auf ihn bezogenen Grund; dieser kann freilich weder Subjek noch Objekt sein; er muß vielmehr- einigende Unterscheidung von Subjekt und Objekt sein; er wird - wie bekannt 1
I
Szilasi, W., a.a.O., S. 142. Phänomenologie des Geism, S.
13.
ABSCHLUSS
ABSCHLUSS
- als Transzendentalität, das begründende Ermöglichen als Konstituieren bezeichnet. Als was bestimmte sich aber der dem Verweisungszusammenhang, dem jeweiligen Hier und Jetzt, schon vorausliegende und auf ihn bezogene Bezug und Grund? Hat er seine Wurzel geschlagen in eine 'Seinsart', die 'total verschieden ist von der alles anderen Seienden' ? 1 Ist insbesondere die für das Denken seit Beginn der Metaphysik bedeutsam gewordene Differenz Wesen - Dies-da selber ein bestimmtes geschichtliches Daseinsverständnis, in dem Sinne, daß allererst dieses Daseinsverständnis den Blick für diese Differenz eröffnet und daß nicht umgekehrt diese Differenz die sachliche und geschichtsmächtige Kraft ist, die allererst das entsprechende Daseinsverständnis möglich macht? Schon H egel fragt nach dem Horizont der Wesen - Dies-da Auslegung. Nach ihm kann sich aber der Rückstieg nur in der Dimension des Allgemeinen vollziehen. Ist nämlich die essentia universal, so erst recht ihre Ermöglichung; anderenfalls würde ja die Reflexion dem Relativismus verfallen, statt die essentia als essentia in den Blick zu bringen. Also kann doch insbesondere nur das Allgemeine das (Da-)Seinsverständnis begreifen lassen und nicht umgekehrt. Als was bestimmt sich aber das Allgemeine? Auch Husserl fragt in der Dimension des Allgemeinen, in dem Sinne, daß der Überstieg über das Hier und Jetzt nicht in einem ausgezeichneten Hier und Jetzt wurzeln kann. Dieses kommt vor allem in den kritischen Anmerkungen Husserls zu M. Heideggers Buch Sein und Zeit zum Ausdruck. H eidegger fragt in Sein und Zeit: 'An welchem Seienden soll der Sinn von Sein abgelesen werden, von welchem Seienden soll die Erschließung des Seins ihren Ausgang nehmen? Ist der Ausgang beliebig, oder hat ein bestimmtes Seiendes in der Ausarbeitung der Seinsfrage einen Vorrang? Welches ist dieses exemplarische Seiende und in welchem Sinn hat es einen Vorrang?' 2 In einer Notiz zu Sein und Zeit betont Heidegger, 'daß die Seinsart des menschlichen Daseins total verschieden ist von der alles anderen Seienden, und daß sie als diejenige, die sie ist, gerade in sich die Möglichkeit der transzendentalen Konstitution birgt. Die transzendentale Konstitution ist eine zentrale Möglichkeit der Existenz des faktischen Selbst'. 3 Husserl bemerkt kri-
tisch in seinem Handexemplar von Sein und Zeit: 'Kann es bei einer wesensallgemeinen Frage den Vorrang eines Exempels geben? Ist das gerade nicht ausgeschlossen?' 1 Diese kritische Frage Husserls läßt sich zu einem Einwand verschärfen: Der Überstieg über das Hier und Jetzt kann nicht in einem ausgezeichneten Jetzt-Hier wurzeln, weil dieses den Überstieg selber nicht mehr begreifen läßt. Setzt doch die Suche nach dem Seienden, an welchem der Sinn von Sein abgelesen werden soll, und erst recht die Auszeichnung einer 'Seinsart', die 'total verschieden ist von der alles anderen Seienden', den vorgängigen Bezug zu allen anderen Seienden und darin die Unterscheidung, die doch dann Allgemeines ist, voraus. Insbesondere kann doch der Rückstieg in den Horizont der Wesen - Dies-da Auslegung nur in der Kraft der universalen Totalität - und das ist doch des Allgemeinen - sich vollziehen. Es muß in dieser Diskussion noch ein weiteres Moment beachtet werden, die kritische Abhebung der Husserlschen Philosophie von der Hegels. Husserl selber hat zwar kein Verhältnis zur Hegelschen Philosophie gewonnen; jedoch läßt sich in seinem Sinn wohl dieses sagen: Hegel fragt nach dem Überstieg des Da (und der Wesen - Dies-da Differenz) in der den Überstieg ermöglicherlden Vorzeichnung. Indem dieses Fragen als transzendentales Vernehmen mit der Vorzeichnung zu einem Moment der transzendentalen Konstitution, zu einem (obzwar in dieser Einheit sich differenzierend-einigenden) Leisten wird, ist doch die transzendentale Vorzeichnung, d.i. das transzendentale SichEröffnen, weggebracht. Folgt aber daraus, daß sich die transzendentale Eröffnung überhaupt gegen jegliche 'essentielle' Konstitution wenden, daß die Vorzeichnung zum Er-eignis, zum (transzendentalen) Geschick werden muß? Erzwingt nicht die aufgebrochene Frage, nach der Unterschiedenheit_von 'essentieller' Konstitution und Vorzeichnung als 'essentieller' Konsequenz zu fragen? 2 In welcher Weise muß sich aber dann das HegeIsche
1 2 3
Biemel, W., a.a.O., S. 274. Heidegger, M., Sein und Zeit, Tübingen 1953 s. Blemel, W., a.a.O., S. 274.
7,
S. 7.
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" Ms. K X (Heidegger I), S. 4. a Genau dieses Problem steht im Zentrum des Ninkschen Fragens (s. Nink, C., Ontologie, Freiburg 1952). Während Nink das Problem durch Zurücknahme der transzendentalen Reflexion in die Ontologie zu lösen versucht, versucht L. Landgrebe auf dem Boden der transzendentalen Phänomenologie, und zwar auf Grund der Veränderung und Weiterführung der Husserlschen Zeitkonstitution, der Philosophie neue Wege zu bahnen. (s. dazu die nach Abschluß dieses Manuskriptes noch nicht veröffentlichte, aber denmächst in der 'Philosophischen Rundschau' erscheinde Arbeit von L. Landgrebe: 'Husserls Abschied vom Cartesianismus').
ABSCHLUSS
Allgemeine verändern? Die Husserlsche Philosophie gibt keine positive Auskunft. Husserl intendiert zwar, weder die transzendentale Eröffnung gegen die 'essentielle' Konstitution noch umgekehrt diese gegen jene zu wenden, vielmehr beide Momente zu bewahren. Da er aber das transzendentale Vernehmen nur als Fixierung in den Blick bekommt, kann sein Denken nur zur Stimmigkeit kommen, wenn -es die Fixierung als Moment des Allgemeinen begreift, gegen die es sich aber im Namen der Transzendentalität wenden muß.1 Die Frage nach dem Allgemeinen kann hier nicht weiter verfolgt werden. Es wäre ein erneutes und tiefer dringendes Gespräch mit dem Fragen Heideggers vonnöten, was hier am Abschluß unserer Arbeit nicht mehr möglich ist. Es sollte hier nur erörtert werden, ob und auf welcher Basis die Phänomenologie Husserls sich von ihrem Widerspruch befreien und ohne Schädigung ihrer Grundintention zu einem positiven Aufbau kommen kann. Es zeigte sich, daß sich die transzendentale Phänomenologie nur behaupten kann, wenn es ihr gelingt, erneut und auf veränderter Basis ein (gegenüber der Tradition) verändertes Allgemeines.:zum tragenden Grund des menschlichen Denkens und Verhaltens zu machen. Die erneute Frage nach dem Allgemeinen gewinnt aber nur dann einen Boden, wenn der sachliche wie geschichtliche Horizont in den Blick kommt, dem gegenwärtiges Denken überantwortet ist. Nicht ohne Grund versuchten wir in der Einführung dieser Arbeit, das Apriori der Spannung von Lebenswelt und technischer Welt abzugewinnen. Nach der konkreten Bestimmung von eidetischer und transzendentaler epoche führte uns die Analyse zur Krise der Moderne zurück. Es gelang jedoch, diese Krise als Krise der Gesellschaft zu entlarven. Im Wirbel des Widerstreites des Husserlschen Denkens wird mehr denn bloßes Denken sichtbar. Im Taumel des Widerstreites werden wir seines geschichtlichen Kernes habhaft; in ihm bricht das Problem der bürgerlichen Gesellschaft auf, das in dieser Arbeit nicht in seiner theologischen Wurzel, sondern nur in der gesellschafts-politischen Hinsicht thematisch wurde. Die sich eröffnende und die leistende Transzendentalität - um die Terminologie der Einführung dieser 1 Das 'Slch-wenden-gegen' vollzieht sich bei Husserl in der Negation, der Beseitigung, Destruktion des Hegelschen Allgemeinen. - DestruktIon war in dieser Arbeit nicht im speziell Heideggerschen Sinn gemeint.
ABSCHLUSS
Arbeit aufzugreifen - sind nämlich die verborgenen Spannungsmomente unserer gegenwärtigen Gesellschaft. Gerade das Wesens-Allgemeine gibt Husserl den Blick frei für das Wesen der modernen Gesellschaft, wie im dritten Teil dieser Arbeit deutlich wurde. Welch ein Fortschritt gegenüber den Logischen Untersuchungen! Dort sollten die Wissenschaften ihre Begründung durch eine Wissenschaftstheorie finden. Die philosophische Reflexion einer objektiven Theorie (die Wissenschaftskritik) geht mit der mathematischen Behandlung eben dieser Theorie eine 'Arbeitsteilung' ein.1 Das Technische der objektiven Wissenschaften besteht entweder in 'denkökonomischen Abbreviaturen und Surrogaten von Begründungen' oder in 'Hilfsvorrichtungen'.2 In der Späte kommt Husser! zur Einsicht, daß die Wissenschaften selber Methode, technische Verfahren sind, so daß die philosophische Begründung keine Wissenschaftstheorie sein und damit keine Arbeitsteilung mit den exakten Wissenschaften eingehen kann. Die modemen objektiven Wissenschaften beherrschen vorweg schon ihr Universum, so zwar, daß die Leitung und Führung dieser Beherrschung die 'Verstandeslogik',. ,die Mathesis ist. Die Gesellschaft ist ja die Abstraktion der u;benswelt und damit der Transzendentalität. Die Logik ist Verstandeslogik, weil sie das Vorweg der den Verweisungszusammenhang im vorhinein ermöglichenden Transzendentalität zur Sprache brihgt, indem sie es nich t zur Sprache bringt. Ihre konstruktive Leistung besteht in der Fixierung ihrer eigenen ermö~chenden Vorzeichnung, die aber daher nicht der konstruktiven(K:ralt der ~ffexion überantwortet sein kann. Die Philosophie indes ist nicht Wissenschaftstheorie, sondern transzendentale Logik, die aber als Logik einem Totum zugehören muß, in dem das von der Gesellschaft Vetgessene '!tur Sprache kommen muß; Philosophie wird aber doch d:unit zut Theorie der Politik. Genau dahin weist die Husserlsche PhilOsophie, weIfn auch Husserl vor einer solchen Konkretion innner zurückschreckte und der für die neuere deutsche Philosophie typischen Abstinenz:, von der Politik verfiel. Hegel hatte sich zuvor schon in seiner Rechtsphilosophiediesem Problem gestellt. Er bestimmte die Gesellschaft als Ver1 I
Logische Untersuchungen, Bd. I, S. 252. ebd., S. 23.
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so daß auf diese Weise doch em Unterschied zwischen transzendentaler Logik und Logik gesetzt ist. Jedoch kann gerade diese Unterschiedenheit im Rahmen der HegeIschen Philosophie nicht zur vollen Entfaltung kommen. Im Blick auf den Duktus des Hegeischen Fragens zeigte sich doch folgendes: Hegel fragt nach dem Überstieg des Hier und Jetzt in seiner Vorzeichnung; diese ist Leitung und Führung seines Fragens. Indem aber bei ihm das transzendentale Vernehmen dem transzendentalen Sich-Eröffnen in der Weise vereignet wird, daß es zur Differenz-Einheit eines Leistens wird, wird die ständige Direktion des Fragens beseitigt, das Denken ausschließlich der Gesellschaft übereignet, sein progressiver Operationalismus zur Arbeit. Das Befragen des Hier und Jetzt besagt nach Hegel, daß ,der Geist schon zuvor 'sich diese Schranke und Endlichkeit giebt, und eben damit, daß er sich in sie hineinbildet, sie überwindet und darin sein objektives Daseyn gewinnt'.! Dieses Hineinbilden nennt Hegel 'harte Arbeit'.2 'Die Wissenschaft hat nur das Geschäft, diese eigene Arbeit der Vernunft der Sache zum Bewußtsein zu bringen.' 3 Der gesellschaftlichen Tätigkeit eignet als Verendlichung des Geistes Bildung, und zwar so sehr, daß genau wegen dieses Momentes die Arbeit selber die Versöhnung ist. 'Durch diese Arbeit der Bildung ist es aber, daß der subjektive Wille selbst in sich die Objektivität gewinnt, in der er seiner Seits allein würdig und fähig ist, die Wirklichkeit der Idee zu seyn.' 4 Die Logik der Gesellschaft ist damit doch schon als Logik transzendentale Logik. Die geschichtliche Konsequenz ~dieses Schrittes wird beim frühen Husserl deutlich: die transzendentale Logik kann sich der mathematischen nur in einer Arbeitsteilung erwehren. Diesen hier aufgezeigten Prozeß hat in der Gegenwart keiner so klar und deutlich gesehen wie Th. W. Adorno. 'Die Hegeische Selbstreflexion des Subjekts im philosophischen Bewußtsein ist in Wahrheit das dämmernde kritische Bewußtsein der Gesellschaft von sich selber.' 5' ... in ihm « = HegeI)) selbst kristallisiert
sich ein Begriff von Erfahrung, der über den absoluten Idealismus hinausweist. Es ist der der antagonistischen Totalität.' 1 Jedoch bekundet sich nach Th. W. Adorno in der Vergesellschaftung alles Verhaltens das Wahre der HegeIschen Philosophie; ihre Unwahrheit ist, daß sie noch im Horizont von Sein, im Horizont der Logik sich hält. Die Dialektik muß sich im Namen der Dialektik, d.h. nach Adorno im Namen der Gesellschaft, gegen die Transzendentalität wenden. Die Gesellschaft setzt aber doch damit ein Spekulatives als Bedingung der Möglichkeit voraus, in der Weise, daß sie das Spekulative negiert. Soll aber diese Negation nicht zur Beseitigung werden - dann wäre allerdings die Sicht Adornos grund- und bodenlos -, so muß doch diese Negation als definierendes Moment zur Gesellschaft hinzugehören. Damit wäre aber die Gesellschaft einseitig und abstrakt. Diese Entlarvung muß aber dann einen positiven Inhalt, einen Ort bekommen. Freilich gewinnt die Reflexion keinen Boden unter den Füßen, wenn sie die Transzendentalität im Namen der Transzendentalität gegen die Gesellschaft und zuvor gegen die 'essentielle' Konstitution ausspielt. Auf der Basis des Wesens erneut nach der sich eröffnenden Transzendentalität - ohne sich in eine reine Transzendentalität zu vergraben, noch sich in die Gesellschaft zu verlieren - zu fragen, vor dieses Problem sah Husserl sich gestellt. Die Transzendentalität kündet sich bei ihm im Widerstreit ihrer Momente an. Er bleibt aber im Kampf gegen die neuzeitliche Philosophie in ihrem Banne: alles und jedes kann nur in Fixierungen, Vergegenständlichungen zugänglich werden. Daß sein Beschreiben selber schon Fixierung ist, hat Husserl nicht gesehen. Von hier fällt auch ein neues Licht auf die Spannung von Psychologismus-Mathematizismus, vor die Husserl sich gestellt sah. Der Psychologismus mag in der neueren Logik überwunden sein. Jedoch treibt er in anderer Hinsicht sein Unwesen. Husserl bestimmte die exakte Logik als Idealisierung, als Verstandeslogik, wenn er auch diese mehr ahnte als begriff. Damit installiert sich eine Logik als Logik der Gesellschaft. Die modeme Gesellschaft wird in zunehmenden Maße, eben im Namen dieser Logik, mechanisiert und mathematisiert. Wird jedoch die Gesellschaft nicht als Gesellschaft begriffen, d.h. wird nicht verstanden, daß
~standesstaat,
Grundlinien der Philosophie des Rechts, § I87. ebd. 3 ebd., § 31. 4 ebd., § I87. 5 Adorno, Th. W., 'Erfahrungsgehalte der HegeIschen Philosophie', in: Archiv ,Philosophie, I959/60, 9, S. 79· 1
2
tUT
1
Adorno. Th. W., a.a.O., S. 82.
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ABSCHLUSS
zum Wesen der Gesellschaft die exakte Logik gehört, so daß dieser der transzendentale Logos abgerungen werden muß, der allererst menschenwürdiges Dasein möglich macht, so kannzwangsläufig das von der Gesellschaft ausgeklammerte spezifisch Menschliche nur noch als Komplex psychischer Verhaltungen, die in psychologisch-soziologischer Betrachtung, eben in Beschreibung. zugänglich werden, sein Dasein fristen. Daß aber die Beschreibung selber schon Fixierung - in der Weise der Zerstörung der transzendentalen Logik - ist, so daß das Denken ausschließlich der Gesellschaft überantwortet wird, dürfte der Widerstreit der Husserlschen Phänomenologie gezeigt haben. Nur so wird es verständlich, daß die doch zunächst harmlos erscheinende psychologisch-soziologische Beschreibung von psychischen Verhaltungen eine solche Macht über das gesellschaftliche Kollektiv gewinnt. Die Beschreibung ist selber schon als Fixierung gesellschaftliche Triebkraft. Um so mehr ist es Aufgabe der Vemunft. die exakte Logik von diesem Psychologismus zu befreien, d.h. dem Allgemeinen zum Siege zu verhelfen. Diese Arbeit versuchte, in der Reflexion von Wesen und Transzendentalität in der transzendentalen Phänomenologie - und zwar im Horizont der Krisis - auf jene Probleme hinzuweisen, denen sich die transzendentale Phänomenologie stellen sollte: nämlich einer emeuten Diskussion und Weiterführung der in Hegels Rechtsphilosophie so genial aufgeworfenen Fragen. In dieser Untersuchung konnte jedoch - außer einigen Andeutungen nur der Widerstreit der Husserlschen Phänomenologie gezeigt werden; positive Schritte zu einer Konstitution der Gesellschaft wurden nicht vorgetragen. In diesem abschließenden Kapitel wurde nur die Aufgabe einer weiteren Arbeit umrissen. Der Verfasser hofft in weiterer Zukunft, die Leitfäden einer Konstitution der Gesellschaft, und zwar auf Grund der Reflexion der neueren Logik, vorlegen zu können.
BIBLIOGRAPHIEl
I. DIE IN DER ARBEIT BENÜTZTEN WERKE HUSSERLS I.
Husserliana
Edmund Husserl, Gesammelte Werke. Auf Grund des Nachlasses veröffentlicht vom Husserl-Archiv (Louvain) unter Leitung von H. L. Van Breda, Haag 1950-1959. Band I bis VIII «wild fortgesetzt)). Bd.1 Cartesianische Meditationen und Pariser Vorträge. Hrsg. S. Strasser, Haag 1950. Bd.2 Die Idee der Phänomenologie. Fünf Vorlesungen. Hrsg. W. Biemel, Haag 1950; zweite Auflage 1958. Bd.3 Ideen zu einer reinen Phänomenologie undpkänomenologischenPhilosophie. Erstes Buch. Allgemeine Einführung in die reine Phänomenologie. Hrsg. W. Biemel, Haag 1950. (zitiert: Ideen I). Bd.4 Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie. Zweites Buch. Phänomenologische Untersuchungen zur Konstitution. Hrsg. M. Biemel, Haag 1952. (zitiert: Ideen II). Bd. 5 Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie. Drittes Buch. Die Phänomenologie und die Fundamente der Wissenschaften. Hrsg. M. Biemel, Haag 1952. (zitiert: Ideen III) (Darin: 'Nachwort' «zu den Ideen I», S. 138 ff.). Bd.6 Die 'Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie. Eine Einleitung in die phänomenologische Philosophie. Hrsg. W. Biemel, Haag 1954. (zitiert: Krisis). Bd.7 Erste Philosophie (I923/24). Erster Teil. Kritische Ideengeschichte. Hrsg. R. Boehm, Haag 1956. (zitiert: Erste Phil. I). Bd. 8 Erste Philosophie (I923/24). Zweiter Teil. Theorie der phänomenologischen Reduktion. Hrsg. R. Boehm, Haag 1959. (zitiert: Erste Phil. II). 2.
Die außerhalb der Husserliana veröffentlichten Werke
Logische Untersuchungen, Halle a.d.S. 19223 • (Drei Bände). Formale und transzendentale Logik. Versuch einer Kritik der logischen Vernunft, Halle a.d. S. 1929. Erfahrung und Urteil. Untersuchungen zur Genealogie der Logik. Redigiert und herausgegeben von L. Landgrebe, Hamburg 1954 2. 'Persönliche Aufzeichnungen', Hrsg. W. Biemel, in: PhilosoPhy and Phenomenological Research, 1956, XVI, 3, S. 293-302. 1 Eine vollständige Bibliographie der bis zum 30. Juni I959 veröffentlichten Schriften Edmund Husserls, zusammengestellt von H. L. Van Breda, s. in: Edmund Husserl, I859-I959. Hrsg. H. L. Van Breda und J. Taminiaux, Haag I959, S. 289 ff.
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BIBLIOGRAPHIE
BIBLIOGRAPHIE
3. Die unveröttentlichten Manuskripte
1
Die Manuskripte wurden nach den im Husserl-Archiv Louvain/Köln üblichen Signaturen zitiert. Die Seitenzahlen beziehen sich, sofern nicht anders vermerkt, auf die Seiten des Originalmanuskriptes, wiewohl die Transkriptionen des Husserl-Archives benützt wurden. Folgende Manuskripte wurden zitiert (chronologisch geordnet): Ms. F I 24 (1909-23) Formale Ethik und Probleme der ethischen Vernunft. Ms. K X (Heidegger I) (nach 1927) ((Bemerkungen und Notizen Husserls zu Heideggers Werk Sein und Zeit» Ms. A VI 15 (1929) Der Mensch als Thema, Seele, Geisteswissenschaft. Transzendentale Reduktion. Ms. B I 5 IX (1930) Probleme der Psychophysik. Ms. K III 2 (1930-36) Enthüllungsgang der universalen TeMs. E III 3 (1933/34) leologie als Gang der gesamten Konstitution von den Anfängen an. Zeitigung. Ms. C I (1934) ((nur in Auszügen transkribiert)) Ms. K III 6 (1934-36) Historische Geisteswissenschaft. Ms. K III 9 (1934-35) II. DIE IN DER ARBEIT BENÜTZTEN WERKE HEGELS
Es wurde benützt: Jubiläumsausgabe, Hrsg. H. Glockner, Stuttgart 1927 ff. Bd. I 'Differenz des Fichteschen und Schellingschen Systems der Philosophie in Beziehung auf Reinhold's Beiträge zur leichtern Uebersicht des Zustandes der Philosophie zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts, Istes Heft', in: Aufsätze aus dem kritischen Journal der Philosophie und andere Schriften aus der Jenenser Zeit. Bd. 2 Phänomenologie des Geistes. Bd. 4 Wissenschaft der Logik. Erster Teil. Die objektive Logik. Bd. 7 Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse. Bd. 8 System der Philosophie. Erster Teil. Die Logik. Bd. 15 Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Erster Band. III. BIBLIOGRAPHIEN ZU ARBEITEN ÜBER DIE PHÄNOMENOLOGIE HUSSERLS
PATOCKA, J., Bibliographie im Gedächtuisheft der Revue internationale de Philosophie, 1939, 2, S. 374-397. 2. RAES, J., Ergänzung und Erweiterung dieser Bibliographie, Revue internationale de Philosophie, 1950, 14, S. 469-475. I.
1 Die unveröffentlichten Manuskripte konnte ich mit freundlicher Genehmigung des Husserl-Archivs zu Louvain einsehen und zitieren. Dem Direktor des HusserlArchives zu Louvam, Prof. H. L. Van Breda, sei an dleser Stelle für seine wertvolle Hilfe gedankt.
145·
3. BREDA, H. L. VAN, Bibliographie, in: Institut International de Philoso-phie, la Philosophie au milieu du vingmme siede, ed. R. Klibansky,.. S.65-70 . . . 4. Einige Ergänzungen zur Bibliographie von J. RAES, s. Ze~tschnft fphilosophische Forschung, 1959, XIII, 2, S. 358-367 und XIII, 3, S. 475· IV. SEKUNDÄRLITERATUR
Es wird hier nur auf die Bücher und Aufsätze hingewiesen, die das von mir erörterte Problem des Apriori diskutieren und aus denen ich gelernt habe. I. ADoRNo, TH. W., Zur Metakritik der Erkenntnistheorie. Studien überHusserl und die phänomenologischen Antinomien, Stuttgart 1956 . 2. - - Aspekte der Hegeischen Philosophie, Berlin und Frankfurt 1957· 3. - - 'Erfahrungsgehalte der HegeIschen Philosophie', in: Archiv für Philosophie, 1959/60, 9, S. 67 ff. 4. BECKER, 0., 'Die Philosophie Edmund Husserls', in:Kant-Studien" 1930, XXXV, S. II9 ff. 5. BIEMEL, W., 'Husserls Encyclopaedia-Britannica-Artikel und Heideggers Anmerkungen dazu', in: Tijdschrift voor Philosophie, 1950 , 12, S. 146 ff. . . 6. BLUMENBERG, H., 'Philosophischer Ursprung und phllosophISche Kritik des Begriffs der wissenschaftlichen Methode', in: Studium Generale, 1952, V, S. 133 ff. 7. BREDA, H. L. VAN und TAMINAUX, J. (Hrsg.), Husserl und das D~nkew der Neuzeit (Akten des Zweiten Internationalen Phänomenolog~schen Kolloquiums, Krefeld I.-3. November I956), Haag 1959 (Phaenomenologica Bd. 2) 8. - - (Hrsg.), Edmund Husserl, I859-I959 (mit der Bibliog~aphie der Schriften und Briefe Husserls), Haag 1959 (PhaenomenologIca Bd. 4)· 9. CONRAD-MARTIUS, H., Vorwort zu Nr. 31 unserer Bibliographie. 10. DIEMER, A., Edmund Husserl. Versuch einer systematischen Darstellung seiner Phänomenologie, Meisenheim am Glan 1959· II. FINK, E., Einleitung zu 'E. Husserl, Entwurf einer "Vorrede" zu d~n "Logischen Untersuchungen" , (1913) in: Tijdschrift voor PhilosopMe,. 1939, I, S. 106 ff. .. . 12. - - 'Welt und Geschichte', in Nr. 7 unserer BlblIographle, S. 143 ff. 12a. - - 'Die Spätphilosophie Husserls in der Freiburger Zeit', in Nr. 8 unserer Bibliographie, S. 99 ff. 13. GURWITSCH, A., 'The last work of E. Husserl', Philosophy and Phenomenological Research, 1956, XVI, 3, S. 380 ff. 14. HARTMANN, N., Der Aufbau der realen Welt, Meisenheim am Glan 1949 2 • 15. HEIDEGGER, M., Sein und Zeit, Tübingen 1957 7. 16. - - Vom Wesen des Grundes (um ein 'Vorwort' erweiterte 3. Auf-lage), Frankfurt am Main 1949 3. 17. - - Zur Seinsfrage, Frankfurt 1956 . 18. - - Identität und Ditterenz, Pfullingen 1958 . 19. HÜLSMANN, H., Die Methode in der Philosophie Nicolai Hartmanns,~ Düsseldorf 1959.
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Nachtrag: Nach Abschluß des Manuskriptes wurde mir zugänglich: Hoeres, W., 'Zur Dialektik der Reflexion bei Husserl', in: Salzburger Jahrbuch für Philosophie und Psychologie, 1958, II, S. ZII-230. Auf diese Arbeit sei nachdrücklich hingewiesen. - Feruer erschien: Seebohm, Th., Die Be-
dingungen der Möglichkeit der Transzendental-Philosophie. Edmund Husserls Transzendental-Phänomenologischer Ansatz, dargestellt im Anschluß .an seine Kant-Kritik, Bonn 1962.