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Alois Kogler
Die Kunst der Höchstleistung Sportpsychologie, Coaching, Selbstmanagement
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Alois Kogler
Die Kunst der Höchstleistung Sportpsychologie, Coaching, Selbstmanagement
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Alois Kogler Graz, Österreich Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdruckes, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf photomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Buch berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen. © 2006 Springer-Verlag/Wien Printed in Germany Springer Wien New York ist ein Unternehmen von Springer Science + Business Media springer.at Produkthaftung: Sämtliche Angaben in diesem Fachbuch erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung und Kontrolle ohne Gewähr. Insbesondere Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall an Hand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Eine Haftung des Autors oder des Verlages aus dem Inhalt dieses Werkes ist ausgeschlossen. Umschlagbild: Getty Images/Low angle view of runners getting ready to start the race/altrendo images Satz und Layout: Composition & Design Services, Minsk, Belarus Druck: Strauss GmbH, 69509 Mörlenbach, Deutschland Abbildungen „Die Landkarte der Höchstleistung“: Martin Michael Gaal, Springer WienNewYork Gedruckt auf säurefreiem, chlorfrei gebleichtem Papier – TCF SPIN: 11509158 Mit 39 Abbildungen Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie, detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
ISBN-10 3-211-29129-6 Springer Wien New York ISBN-13 978-3-211-29129-0 Springer Wien New York
Für Mäni, Christian, Lydia, Tobias und Xenia
VORWORT Dieses Buch ist für Trainer, Sportler, Sport-Manager und Eltern geschrieben. Es verfolgt das Ziel, wissenschaftliche Grundlagen der Sportpsychologie mit praktischen Beispielen und psychologischen Trainingsmöglichkeiten zu verknüpfen. Seit zwanzig Jahren arbeite ich mit Sportlerinnen und Sportlern und entwickle mit Trainerinnen und Trainern psychologische Trainingsprogramme. Der intensive Geruch in Gymnastikhallen ist mir ebenso vertraut wie die herrlich frische Luft auf den Gletschern. Die Athleten kommen vom Basketball, Fußball, Tennis, Skifahren, Kanusport, Volleyball, Judo, von der Leichtathletik und anderen Sportarten.Viele Verbände integrierten die Psychologie für Sportlerinnen und Sportler mittlerweile in die Trainingsprogramme. Gleichzeitig aber brauchen Trainerinnen und Trainer neben der persönlichen Expertise und Verantwortung ein enormes Fingerspitzengefühl und großen Mut, wenn sie junge Menschen auf den spannenden Weg zur Weltspitze führen. Dieser Weg verlangt von Trainern bewusste Praxis, hochwertige Information, Verstehen der Persönlichkeit der Sportler, Vertrauen und Kontrolle und viele weitere Fähigkeiten. Ich halte den Einsatz dieser Fähigkeiten tatsächlich für eine „Kunst der Höchstleistung“. Die Sportpsychologie befindet sich in einer dynamischen und widersprüchlichen Entwicklungsphase. Die Zahl der wissenschaftlichen Theorien und die Komplexität der Erkenntnisse nehmen rasant zu. Über wissenschaftliche Grundlagen der Sportpsychologie gibt es im deutschen Sprachraum ebenso ausgezeichnete Bücher (z.B. Alfermann und Stoll, 2005) wie im Bereich des mentalen Trainings (Eberspächer, 2001; Frester und Wörz, 1997).
SELBSTMANAGEMENT Ein in anderen Bereichen der Psychologie erfolgreiches Konzept ist das Selbstmanagement, das der austro-amerikanische Psychologe Frederic Kanfer in den letzten Jahrzehnten entwickelte und mit den deutschen Psychologen Hans Reinecker und Dieter Schmelzer vertiefte (1991). Selbstmanagement bietet ein strukturiertes, klares und schrittweises Vorgehen für menschliche Veränderungsprozesse an. Die Selbstmanagementtheorie ist ein komplexes psychologisches Werkzeug, in das Forschungser-
gebnisse aus verschiedenen Disziplinen der Psychologie eingearbeitet sind: Sozialpsychologie, Gedächtnispsychologie, Motivation, Systemtheorie, Informationsverarbeitung, Diagnostik, Emotionspsychologie und andere mehr. Das Selbstmanagement stellt aber keine einheitliche Theorie dar, sondern liefert einen wissenschaftlich fundierten Rahmen für psychologische Interventionen. Kanfer versteht es als Modell für Problemlösungen, das pragmatisch und nützlich sein soll (Kanfer et al., 1991, S. 155). Für die Umsetzung von Erkenntnissen der Grundlagenforschung in die sportpsychologische Praxis bietet der Selbstmanagementansatz ein ideales Gerüst. Einzelne Elemente des sportpsychologischen Vorgehens im Selbstmanagement wurden parallel in der sogenannten kognitiven Psychologie entwickelt. Ein führender Vertreter der kognitiven Psychologie ist der Amerikaner Michael Mahoney. Er war Olympiateilnehmer im Gewichtheben und lieferte zahlreiche sportpsychologische Beiträge, die er vor allem mit US-Olympiateams erarbeitete (Mahoney 1995, 1989, 1986; Mahoney und Avener, 1977; Mahoney und Suinn, 1986; Mahoney et al., 1987).
DAS PSYCHOLOGISCHE QUADRAT: DENKEN, FÜHLEN, KÖRPER, HANDELN Das menschliche Verhalten kann aus Sicht der Psychologie auf vier Ebenen gesehen werden. (1) Die kognitiven Prozesse betreffen das Denken des Menschen, also Aufmerksamkeit, Wahrnehmen, Erinnern, Lernen, Verstehen und Problemlösen. Wir nehmen ständig Informationen auf, verarbeiten sie und handeln danach in vielfältiger Art (Wessels, 1990, S. 45). (2) Menschliches Handeln und insbesondere Sport ist ohne Emotionen nicht vorstellbar. Emotionen sind ein komplexes Muster von Veränderungen, das physiologische Erregung, kognitive Prozesse und Verhaltensweisen umfasst. Emotionen beeinflussen das Denken und den Körper (z.B. Zimbardo und Gerrig, 1999, S. 359). (3) Die körperlichen Reaktionen hängen eng mit Gefühls- und Gedankenprozessen zusammen (z.B. Pennebaker, 1982). Wir verspüren Herzklopfen bei freudiger Erwartung oder auch bei Angst. (4) Das menschliche Handeln (z.B. Gabler et al., 2000; Nitsch, 2000) ist in das System von Denken, Fühlen und Körper integriert. Jedes der vier Elemente beeinflusst das andere. In der Sportpsychologie ist diese Gliederung nützlich, denn sie vereinfacht und strukturiert den Blick auf das komplexe Verhalten von Sportlern. So-
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Vorwort
Abb. 1. Das psychologische Quadrat
wohl die psychologische Analyse als auch die Beratung und Intervention kann mit diesem Quadrat klarer gestaltet werden. Erkenntnisse aus der (sport-)psychologischen Handlungstheorie, der kognitiven Psychologie und der psychologischen Hypnose nehmen auf alle vier Seiten Bezug. Mit Hypnose kann ein guter Zugang zur Gefühlsund Vorstellungswelt gefunden werden, mit der aber auch das Denken, der Körper und das Handeln gut beeinflussbar sind. Die psychologische Handlungstheorie bietet reichhaltiges Wissen über die Parameter des sportlichen Handelns. Selbstmanagement kann also in diesem Sinn als ein Weg gesehen werden, sein Denken und Fühlen, den Körper und das Handeln zunehmend besser zu verstehen und immer effektiver einzusetzen.
PRAXIS, TOOLS UND LANDKARTEN DES SELBSTMANAGEMENTS Neben Theorie und praktischer Psychologie gebe ich Tipps und Anleitungen zu psychologischen Techniken. Sie ermöglichen schnelle Umsetzungen. Gleichzeitig ist klar, dass nicht jeder Tipp und jede Technik für jeden geeignet ist. Gleiches trifft auf Arbeitsblätter zu, die im Anhang beispielhaft angeführt werden. Sie sind auf die jeweilige Situation und Sportart zu adaptieren. Ich lade die Leserinnen und Leser ein, „Die Kunst der Höchstleistung“ als Werkzeug für die eigene Selbstentwicklung zu nützen. Ich schlage Übungen vor, in denen täglich kleine sportliche Ziele zu erreichen sind. Vorwort
IX
Das verlangt Selbstüberwindung, die aber Vergnügen bereiten kann, wenn sie mit einer Erkenntnis über sich selbst gepaart ist. Für Fragen, Meinungen, den Austausch von Erfahrungen und die Entwicklung von psychologischen Trainingsplänen stehe ich gerne zur Verfügung. Ich möchte Sie anregen, mit den angebotenen Werkzeugen und Übungen auf kreative und vergnügliche Weise selbst zu „Ihrer“ Höchstleistung zu gelangen. Wenn Sie wollen, entwickeln Sie sich mithilfe des Buches auch körperlich weiter. Erfahren Sie Selbstmanagement an sich. Am Ende jedes Kapitels fasse ich die essentiellen psychologischen Begriffe in der Landkarte der Höchstleistung zusammen, die von Kapitel zu Kapitel mehr werden. Sie zeigen die ungeheure Fülle an psychologischen Fertigkeiten, die auf dem Weg zur Höchstleistung notwendig sind. Sie sind ein Symbol für die Kunst der Höchstleistung. Im Text spreche ich die Leserinnen und Leser mit „Sie“ an. In den Übungen gehe ich zum sportlichen „du“ über, denn sowohl Sportler als auch Psychologe sind das gewohnt. Üblicherweise haben beide eine gute und tragfähige Arbeitsbeziehung und das „du“ ist die Ausdrucksweise dieser Beziehung. Wissenschaftliche Texte beinhalten auch eine persönliche Seite. Der Kommunikationsforscher Friedemann Schulz von Thun nennt diese „Selbstoffenbarung“ (1993, S. 148). Ich bringe dann und wann auch persönliche Bemerkungen vor, denn ich glaube, dass gerade ein Gebiet wie das psychologische Training – bei aller Wissenschaftlichkeit – sehr von der eigenen Persönlichkeit und ihrem Stil geprägt ist.
STORY Manche Themen untermale ich mit literarischen oder filmischen Beispielen, die nicht nur aus herkömmlichen Sportarten stammen. Extremtaucher oder Pororoca-Surfer sind ganz besondere Typen der Spezies „HöchstleistungsMensch“. Die Story dient dazu, das wissenschaftliche Feld auf eine journalistische Weise zu öffnen und die Komplexität des menschlichen Verhaltens zu zeigen. Mit der Story will ich Bilder im Kopf entstehen lassen. Die sportlichen Beispiele stammen großteils aus meiner sportpsychologischen Tätigkeit mit Leistungssportlern aus unterschiedlichen Disziplinen. Die Angaben über Athleten sind selbstverständlich anonymisiert. Aus dem Umgang mit Sportlern weiß ich, dass die „Seele ein weites Land“ ist und nicht auf die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse reduziert werden kann. Gleichzeitig aber muss bewusst sein, dass die Wissenschaft die Basis dafür bietet, dass „wir wissen, was wir tun“.
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Vorwort
DANK Ich danke vielen Menschen, die direkt oder indirekt an der Entwicklung dieses Buches beteiligt waren. Zuallererst sind es die Sportlerinnen und Sportler, mit denen ich in den letzten 20 Jahren gearbeitet habe. Mit vielen haben sich Freundschaften entwickelt. Wenn man gemeinsam auf Trainingslagern, bei Wettkämpfen oder einfach regelmäßig beim täglichen Training zusammen ist, entstehen enge Beziehungen, die oft über die Zeit der Zusammenarbeit hinausgehen. Atmosphärisch ist die sportlich kooperative Situation in der Steiermark, in der Spitzensportler wie Paris Open Sieger Thomas Muster oder „Speed Queen“ Renate Götschl groß geworden sind, für „Die Kunst der Höchstleistung“ mitverantwortlich. Die Präsidenten des Steirischen Skiverbandes und des Tennisverbandes Helmut Lexer und Hannes Zischka forcieren in ihrem Bereich die Sportpsychologie seit Jahren. Mit Willi Zechner, dem Headcoach des Steirischen Skiverbandes verbindet mich eine jahrelange Zusammenarbeit und Freundschaft. Ich habe das Vergnügen, Saison für Saison viele Trainingstage am Hintertuxer Gletscher in Tirol bzw. auf der Reiteralm in der Steiermark zu verbringen und auch bei Rennen teile ich Erfolge und Niederlagen des Steirischen Skiteams. Universitäten, Trainingszentren, sportliche Fachverbände und Institutionen arbeiten in der Steiermark ausgezeichnet zusammen. In der Landesregierung wurde die Expertenkommission Sportpsychologie etabliert. Die Rektoren der Universität Graz und der Technischen Universität Graz, Alfred Gutschelhofer und Hans Sünkel unterstützen den Sport in vieler Hinsicht, bauen die Infrastruktur dafür auf und stellen Einrichtungen zur Verfügung; an der Technischen Universität etwa Günter Brenn den Windkanal. Die Skihandelsschule Schladming hat Sportpsychologie in den Unterricht integriert. An den Instituten für Psychologie und Sportwissenschaften der Universität Graz führe ich die interdisziplinären (sport-)psychologischen Diskussionen mit Gerold Mikula, Wolfgang Kallus, Peter Hofmann, Karl Sudi und Martin Sust. An der Medizinischen Universität Graz ist Peter Schober ein hervorragender und kooperativer Experte. Mit Sepp Porta habe ich Studien über physiologische und psychologische Stressparameter beim Gletschertraining im Skisport durchgeführt. Die Zusammenarbeit zwischen Sportpsychologie, Sportmedizin und Sportwissenschaften hat in Graz eine gute Basis. Mit Gerhard Peinhaupt, dreifachem Weltmeister 1975 und 1977 in der Kanu Wildwasser-Regatta, habe ich ab Mitte der 80er Jahre die sportpsychologischen Aktivitäten strukturiert begonnen. Er gab mir den „letzten Kick“, mich im Sport dauerhaft zu engagieren. Ich bereitete, als er bereits den Nachwuchs trainierte, manche seiner „jungen Wilden“ psychologisch auf Weltmeisterschaften und Olympische Spiele vor. Vorwort
XI
Das Österreichische Bundesnetzwerk Sportpsychologie ÖBS, das die Kollegen Christopher Willis, Innsbruck, und Günther Amesberger, Salzburg, initiiert haben, stellt für die Sportpsychologie in Österreich einen Fortschritt dar. Viele Institutionen des österreichischen Sports, die Bundessportorganisation BSO, Topsport Austria, das Bundeskanzleramt und andere unterstützen das ÖBS. Christian Eigner (www.perspektivenmanagement.at) verdanke ich viele Anregungen. Er kennt nicht nur Pororoca-Surfer und Extremtaucher, sondern auch Spencer Brown und Karl Popper. Mit Christian sind das interdisziplinäre Gespräch und die Zusammenarbeit ein intellektuelles Vergnügen. Meine Tochter Lydia Kogler unterstützte mich im Lesen der Korrekturen und in der Verwaltung des Literaturarchivs. Alfreda Draxler redigierte den Schlusstext und fand immer noch bessere Formulierungen. In den Jahren meiner sportpsychologischen Tätigkeit baute ich sukzessive die Konzepte des Selbstmanagements, psychologischer Interventionsverfahren und der Hypnose in mein sportpsychologisches Handeln ein. Diese schrittweisen Weiterentwicklungen erarbeitete ich vor allem mit meiner Frau Mäni Kogler und mit Ilse Müller. Beide sind Lehrtherapeutinnen und Expertinnen für Selbstmanagement. Viele Ideen und Präzisierungen von Ideen und Methoden der Selbstmanagementpsychologie für den Sport stammen von ihnen. Ilse Müller hat mich bei der Umsetzung von Hypnosetechniken in verschiedene Sportdisziplinen unterstützt. Das Kapitel über Hypnose verfassten wir gemeinsam. Zu guter Letzt danke ich dem Verlag Springer, Renate Eichhorn und Judith Martiska für ihr Engagement, ihre Ausdauer, Geduld und die durchgehende Unterstützung. Es war eine wunderbare Zusammenarbeit. Graz, Juni 2006
XII
Vorwort
Handeln
G
le efü h Selbsterkenntnis
Denken Selbstmanagement
Selbstüberwindung Selbstoffenbarung Körper Kognitionen
Selbstentwicklung
Abb. 2. Die Landkarte der Höchstleistung (I)
Vorwort
XIII
INHALTSVERZEICHNIS Einführung ..............................................................................................1 Teil I Grundlagen des Selbstmanagements Kapitel 1 Das Ich-Labor ........................................................................ 11 1.1. Selbstdisziplinierung … ................................................................... 11 1.2. … oder Selbstentwicklung? ............................................................ 12 1.3. In sich sein ...................................................................................... 12 1.4. Mit dem Körper denken ................................................................. 13 1.5. Sinn finden ..................................................................................... 14 Kapitel 2 Was Selbstmanagement auszeichnet – und warum es kein „Alleinmanagement“ ist ......................................................................... 17 2.1. Million Dollar Baby ........................................................................ 18 2.2. Der Trainer als Katalysator ............................................................... 18 2.2.1. Selbstmanagement aus dem Bauch ................................................ 19 2.3. Transparenz und Wertschätzung........................................................ 20 2.4. Selbstwertstreben statt Geltungsstreben ............................................ 20 Kapitel 3 Die Formel für das „Ich-Labor“ .............................................. 23 3.1. Der Selbstmanagementprozess ......................................................... 23 3.1.1.Vom Phasenmodell zum Trichtermodell ........................................ 25 3.2. Psychologie Sport Wissenschaft........................................................ 28 3.3. Wie in der Wissenschaft ................................................................... 29 3.3.1. Das Natur-Labor .......................................................................... 30 3.3.2. Der Geist der Aufklärung ............................................................. 30 3.4. Die „Liebe zur Wahrheit“ im ICH-Labor ....................................... 31 Kapitel 4 Schritt für Schritt im Selbstmanagement ................................ 33 4.1. „Schritt eins“: Beziehung und günstige Ausgangsbedingungen schaffen ................................................................................................. 34 4.1.1. Ein Gesprächsprotokoll ................................................................. 35 4.1.2. Das Metamodell der Fragestellung ................................................ 36 4.1.3. Regeln und Techniken der Fragestellung....................................... 38
4.2. „Schritt zwei“: An der Motivation und den Zielen arbeiten ............ 39 4.3. „Schritt drei“: Die Verhaltensanalyse oder der „IST-Zustand“ ........... 42 4.4. „Schritt vier“:Vom IST zum SOLL ................................................ 43 4.5. „Schritt fünf“: Die Planung, die Auswahl und der Einsatz von Methoden ...................................................................................... 44 4.6. „Schritt sechs“: Evaluation der Fortschritte ...................................... 45 4.7. „Schritt sieben“: Erfolgsoptimierung und Transfer ............................ 47 4.8. Ihre persönliche Bewertung ............................................................ 49 Übung I Selbsttest: Der „Dreh“ ............................................................. 53 Teil II Entwicklungsfelder auf dem Weg zur Höchstleistung Kapitel 5 „Erkenne den Unterschied!“ ................................................... 61 5.1. Die „W-Fragen“ ............................................................................. 62 5.2. Dosierte Diskrepanzerlebnisse.......................................................... 63 5.3. Regel „Triff eine Unterscheidung“ ................................................. 64 5.4. Regel „Stelle die Frage“ .................................................................. 65 Kapitel 6 Die Magie des Talents ............................................................. 67 6.1. Das Talent der Talentlosen ................................................................ 67 6.2. Was ist Talent ................................................................................... 68 6.3. Entwicklung von Talent ................................................................... 69 6.4. Psychologische Elemente des Talents................................................ 70 6.5. Schlussfolgerungen aus der Talentforschung .................................... 71 Kapitel 7 Neugier und Interesse ............................................................. 75 Kapitel 8 Die „Innere Sprache“ und der Stress ....................................... 77 8.1. Regeln und Umsetzung des „Inneren Dialogs“................................ 78 8.2. Das „Innere Team“ .......................................................................... 79 8.3. Selbstbeobachtung und Reflexion der „Inneren Sprache“ ............... 80 Kapitel 9 Der „Innere Befehl“ ............................................................... 83 9.1. Gedanken und Innere Befehle ......................................................... 84 9.2. Die drei tragenden Elemente ........................................................... 84 9.3. Das B-A-B – Schema ...................................................................... 85 9.3.1. B-A-B und das Beispiel „Hoffentlich“ .......................................... 86 9.3.2. B-A-B als Rahmen für das Psychotraining .................................... 89
XVI
Inhaltsverzeichnis
Kapitel 10 Besondere Erklärungsmuster für Erfolg und Misserfolg .......... 91 10.1. Selbstschutz durch Zuschreibungen .............................................. 92 10.2. Kontrollierte Energetisierung......................................................... 93 Kapitel 11 Kontrafaktisches Denken oder der „Hättiwari“...................... 95 11.1. Hochmotiviert auf Platz 3 ............................................................. 96 Kapitel 12 Irrweg „Naive“ Theorien ..................................................... 99 Kapitel 13 Die Emotionen ................................................................... 103 13.1. Die Komponenten der Emotionen .............................................. 103 13.1.1. Die physiologische und endokrine Aktivierung ........................ 104 13.1.2. Die gedankliche Bewertung der Vorgänge ................................ 104 13.1.3. Mimik und Gestik, Körpersprache ........................................... 106 13.2. Die alte Kunst der Gefühlsregulation ........................................... 107 13.3. … und: Sport als Kunst ................................................................ 108 13.4. Emotionsmanagement ................................................................ 108 Übung II Vermitteln Sie Ihren „Dreh“! ............................................... 111 Kapitel 14 Selbstvertrauen und Selbstentwicklung ............................... 115 Kapitel 15 Das Momentum – Ihre persönliche Schwungkraft ............... 117 15.1. Die Chemie der Hemmung ......................................................... 118 Kapitel 16 Kommunikation ................................................................. 121 16.1. Das kommunikative Quadrat „Heute warst du gut“ ..................... 121 16.2. Missverständnisse in der Kommunikation..................................... 123 16.3. Weitere Regeln und Techniken der Gesprächsführung ................. 125 Teil III Wahrnehmung, Aufmerksamkeit und Konzentration Kapitel 17 Wahrnehmung .................................................................... 129 17.1. Orientierungsreaktion: Wir sehen, was wir sehen müssen ............. 129 17.2. Wir sehen, was wir sehen wollen .................................................. 130 17.3. Kino im Kopf .............................................................................. 130 17.4. Jacques Mayol auf Breitformat-Tunnelfahrt .................................. 131 17.5. Bildregie im Wahrnehmungskino ................................................. 131 17.6. Im Rausch der Tiefe .................................................................... 132 17.7. Der Apnoe-Wahnsinn .................................................................. 133 17.8. „Ganzheitliche Wahrnehmung“ als Erfolgsfaktor .......................... 133 Inhaltsverzeichnis
XVII
17.9. Das Einzelne und die „Wahrnehmungsgestalt“............................. 134 17.10. Die Angst und der Elfmeter ....................................................... 134 17.11. Der geniale Pass ......................................................................... 135 17.12. Gleitend zum Ziel ..................................................................... 136 17.13. Gestalt-Übungen (gegen Gestalt-Blindheit)................................ 137 17.14. Blick ins Nichts ......................................................................... 137 Kapitel 18 Aufmerksamkeit und Konzentration .................................... 139 18.1. Kognitives Codieren .................................................................... 139 18.2. Mit dem Körper „sehen“ ............................................................ 140 18.3. Jacques, der Delphin .................................................................... 140 18.4. Kinästhetisches Empfinden und „gespürtes Wissen“ ..................... 141 18.5. Zwischen Buckelpiste … ............................................................. 142 18.6. … und „Fetzenlaberl“ ................................................................. 142 18.7. Körper-Blindheit......................................................................... 143 18.8. Konzentrierte Blicke ................................................................... 144 18.9. Gute Gegenstandswahrnehmung ................................................ 144 18.10. Trainieren, trainieren, trainieren .................................................. 145 Kapitel 19 Umschalten zwischen Dokumentation, Cinemascope und Körper-Movie ............................................................................. 147 19.1. Sehen = Interpretieren = Wissen = Lernen.................................. 148 Übung III Regie am eigenen Körper ................................................... 151 Kapitel 20 Hemingways alter Fischer.................................................... 153 20.1. Der alte Mann und das Meer ....................................................... 153 20.1.1. Schauen, spüren ........................................................................ 153 20.1.2. Imaginieren, agieren ................................................................. 154 20.1.3. Sagen, befehlen ......................................................................... 154 20.2. Santiago – ein Bild fürs Leben ..................................................... 155 Kapitel 21 Die spielerische Entdeckung der Konzentration .................. 157 21.1. Das „Spiel der Neugierde“ .......................................................... 157 21.2. Spielen wie ein Gott.................................................................... 158 21.3. Denken als Form „körperlicher Bewegung“ ............................... 158 21.4. Die Jagd nach dem Flow.............................................................. 159 Kapitel 22 Konzentration, Aufmerksamkeit – oder einfach Wahrnehmung? ........................................................................ 161 22.1. Das allgemeine Training von Konzentration ................................. 162 XVIII
Inhaltsverzeichnis
22.1.1. Mui schaut ............................................................................... 162 22.1.2. Mui hört .................................................................................. 164 22.2.Von der Trainings- zur Wettkampfkonzentration ........................... 164 22.3.Vorbereitung der Konzentration .................................................. 165 22.4. Mit passenden Übungen zur Konzentration ................................. 165 Übung IV Zeitlupen-Liegestütz ........................................................... 167 Kapitel 23 Die negative Konzentration ................................................. 171 23.1. Fatale Fixierung auf Fehler .......................................................... 171 23.2. Peter durchbricht die Negativspirale ............................................ 172 23.2.1. Iris’ Selbstenergetisierung .......................................................... 172 23.2.2.Von der Irritation zum „Siegerblick“ ......................................... 174 23.3. Konzentrationszyklen .................................................................. 175 23.4. Wiederholen. Wiederholen und verdichten ................................. 176 Teil IV Motivation Kapitel 24 Billardfieber – 10.000 Dollar in einer Nacht ........................ 181 Kapitel 25 Die wahren Abenteuer sind im Kopf ................................... 187 25.1. Alles kann Motiv sein, auch das Geld .......................................... 188 Kapitel 26 Motivreduktionismus und Motivfülle ................................. 193 26.1. Motive tragen und tragen und tragen … ...................................... 193 26.2. Billardfieber: Du bist kein Verlierer ............................................... 194 26.3. Konzentrationsarbeit ist Motivarbeit ............................................ 195 26.4. Revanche .................................................................................... 195 Kapitel 27 Der persönliche Stil ............................................................ 199 27.1. Grenzerfahrungen ....................................................................... 200 Teil V Kurzinterventionen im Selbstmanagement Kapitel 28 Die „Einfachen Regeln“ des Denkens und Handelns .......... 206 Kapitel 29 Eine Kurzintervention......................................................... 209 29.1. Beispiel Läuferin F ...................................................................... 209
Inhaltsverzeichnis
XIX
Teil VI Techniken und Methoden Kapitel 30 Hypnose (Mitautorin: Ilse Müller) ....................................... 215 30.1. Klassische Hypnose...................................................................... 216 30.2. Wirkung der Trance ..................................................................... 217 30.3.Vorgehen in der Hypnose............................................................. 219 30.4. Ziele der Hypnose....................................................................... 220 30.4.1. Der Muskeltest ......................................................................... 222 30.5. Hypnose im Sport ....................................................................... 222 30.5.1. Orientierung auf Fehler ............................................................ 222 30.5.2. Aus dem Tief wieder an die Spitze ............................................ 224 30.5.3. Ausschalten von Ablenkungen .................................................. 225 30.5.4. Ich optimiere meine Leistung – Lernen durch Identifikation..... 226 30.5.5. Imaginieren einer perfekten Leistung: ....................................... 226 30.5.6. Entspannung – Erholung ......................................................... 227 30.5.7. Ressourcen finden ................................................................... 227 30.5.8. Die dynamische Position am Ski (Super-G) .............................. 228 30.5.9. Aktiv – Wachhypnose oder Dynamische Hypnose ..................... 229 Kapitel 31 Kognitive Methoden ........................................................... 231 31.1. Übungen zum Management von Gedanken ................................. 232 31.1.1. Kognitive Umstrukturierung .................................................... 232 31.1.2. Gedankenstopp (Auch vor Wettkampfbeginn) ........................... 232 31.1.3. Aufmerksamkeitslenkung .......................................................... 233 31.1.4. Die Vorstellungsübung zum Umgang mit Stress ......................... 233 31.1.5. Grübelalternativen ................................................................... 234 31.1.5.1. Imaginationsübungen für den Umgang mit Grübelgedanken ............................................................................ 235 31.1.6. Umgang mit Misserfolg ........................................................... 236 31.1.7. Niedergeschlagenheit – Entmutigung – Pessimismus ................ 236 31.1.8. Konzentration durch Denken in Bildern ................................... 237 31.1.9.Verankern ................................................................................. 238 31.1.10. Das vielseitige Denken ............................................................ 238 Kapitel 32 Methoden der Konzentration .............................................. 241 32.1. Allgemeine Konzentrationsübung ................................................ 241 32.2. Schule der Sinne ......................................................................... 241 32.2.1. Sehen ....................................................................................... 241 32.2.2. Hören ...................................................................................... 242 32.2.3. Riechen ................................................................................... 242 32.2.4. Tasten ....................................................................................... 242 XX
Inhaltsverzeichnis
32.2.5. Schmecken ............................................................................... 243 32.2.6. Die Blinzel-Übung .................................................................. 243 32.2.7. Gestern – Heute – Morgen ...................................................... 243 32.2.8. Phantasievorstellung.................................................................. 243 32.2.9. Die 2-Minuten Übung ............................................................. 244 Kapitel 33 Entspannungsmethoden ...................................................... 245 33.1 Entspannungsatmen ..................................................................... 245 33.2. Blitzentspannung ......................................................................... 246 33.3. Die Körperreise zur Entspannung ............................................... 246 33.4. Progressive Muskelentspannung (Kurzversion) 15 Minuten .......... 248 33.5. Schlüsselschlaf ............................................................................ 251 33.6. Abschirmen ................................................................................. 252 33.7. Musikentspannung ..................................................................... 252 33.8. Genusstraining ............................................................................. 252 33.9. Qi Gong ..................................................................................... 253 33.9.1. Methoden zur Regulierung des Körpers ................................... 253 Teil VII Praxisbeispiele Kapitel 34 Tipps und Regeln ............................................................... 257 34.1. Konzentration im Training ........................................................... 257 34.2. Entwickle deine Neugier und deine Ideenlandkarte..................... 257 34.3. Umgang mit dem Wetter ............................................................. 258 34.4. Du meinst, eine(r) ist besonders stark ........................................... 258 34.5.Vor dem Start............................................................................... 258 34.6. Umgang mit Sturheit................................................................... 259 34.7. Stärken und Schwächen............................................................... 259 34.8. Gute Kommunikation ................................................................. 259 34.9. Ich meine, heute ist „Nicht mein Tag“ ......................................... 260 34.10. Umgang mit Unsicherheit ......................................................... 260 34.11. Kurze Regeln ............................................................................ 260 34.12. Die zehn Todsünden von Tenniseltern ........................................ 261 Kapitel 35 Das psychologische Trainingsbuch ...................................... 263 A. Beispiele für allgemeine Informationen ............................................ 264 B. Der Innere Befehl – Das Prinzip B-A-B .......................................... 266 C. Meine Ziele .................................................................................... 269 D. Analyse meiner Stärken und Schwächen – Vom IST zum SOLL ....... 271 E. Das Wettkampfdrehbuch .................................................................. 273
Inhaltsverzeichnis
XXI
Teil VIII Selbstmanagement am Amazonas Eine endlose Welle ............................................................................... 277 Training unterhalb der Staumauer ........................................................ 279 Zurück auf der Pororoca ...................................................................... 287 Abspann – Das Abenteuer Selbstmanagement ....................................... 288 Literatur .............................................................................................. 289 Sachwortverzeichnis............................................................................. 299
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Inhaltsverzeichnis
EINFÜHRUNG Die talentierte Tennisspielerin war bisher extrem engagiert und kooperativ im Training. Plötzlich aber meint sie, dass sie mit anderen Trainingsmethoden und einem anderen Trainer schneller an die Spitze kommen werde. Der einst so zielsichere Eishockeyspieler versagt vor dem Tor jämmerlich und niemand kann das verstehen, am wenigsten er selbst. Die erfolgsgewohnte Trainerin hat das Gefühl, dass sie den Respekt der Spielerinnen verliert und sie hat kein Rezept dagegen. Vielleicht, so meint sie, habe sie zu wenig Distanz gehalten. Die Golferin ist ungeheuer sicher geworden. Plötzlich ist ihre Hand locker und das Putten geht wieder wie von selbst. Der Skispringer zieht seinen Sprung auch unter schlechten Bedingungen durch. Und er weiß eigentlich nicht, warum ihm das gelingt. Solche und ähnliche Situationen kennen Trainer, Manager und Sportler und deren Eltern. Das sind typische Beispiele, wo nach Sportpsychologen gerufen wird. Man erwartet von ihnen typischerweise Angebote in Motivation und Zielorientierung, Konzentration oder in Entspannungsverfahren. Die Sportpsychologie bietet noch mehr: Sie hat Diagnosemöglichkeiten, die sich nicht nur auf Tests beschränken. Mit ihrer Hilfe kann man Stärken und Schwächen der Sportler präzis analysieren, die sonst unterschiedlich bewertet werden: Schwächen, die die Trainerin analysiert, werden von den Eltern bei ihrem Kind oft nicht gesehen. Die Psychologie kann hier zu einer objektiveren Sichtweise führen und damit das Verhältnis von Trainer und Eltern und auch zwischen Trainern und Sportlern entspannen. Teams und Gruppen spielen im Sport eine wesentliche Rolle. Zuschauer, Medien, Manager und Betreuer beeinflussen die Leistungsfähigkeit und die momentane Befindlichkeit der Athleten. Der Umgang mit Stresssituationen ist ein zentrales Kapitel des Weges zur Höchstleistung. Sportler lernen hier den Umgang mit ihren Gedanken, Gefühlen, inneren Bildern und der inneren Sprache. Die innere Sprache gibt Befehle, die das Verhalten beeinflussen. Es macht einen Unterschied, ob die Sportlerin denkt „Ich brate ihr ein’s rüber“ oder „Ich stelle mir meinen besten Wurf vor und den knalle ich hinaus“.
Die Zielorientierung von jungen Sportlern ist nicht immer klar. Auch Trainer oder Eltern können schwer voraussagen, wohin der Weg des Sportlers geht. Diese Elemente sind als Mosaiksteine der Persönlichkeitsentwicklung und Sportlerkarriere zu verstehen. In all den angeführten Punkten (und anderen mehr) ist die Psychologie als ein zusätzliches Werkzeug zu verstehen, das die Wahrscheinlichkeit von Verbesserungen und Erfolgen erhöht. Psychologen arbeiten daran, die Kräfte der Sportler zu entwickeln, ihnen zu Höchstleistungen zu verhelfen. Aber sie geben nicht nur Antworten, sondern sie stellen auch Fragen. Die Kunst der Höchstleistung wird unterstützt durch die Kunst richtige Fragen zu stellen. Denn dann kommen die richtigen Antworten und Taten. Auf diese Weise lernen die jungen Sportler und Sportlerinnen, ihre Grenzen zu erkennen und zu überschreiten.
HÖCHSTLEISTUNGEN UND DAS „EXTREMORGAN“ GEHIRN Die Kunst, Höchstleistungen zu erzielen, ist nicht auf den Sport beschränkt. Die menschliche Gattung hat seit jeher versucht, Grenzen zu überschreiten. Eine wesentliche „Grenzüberschreitung“ erfolgte mit der Entwicklung des aufrechten Ganges. Er war eine der Voraussetzungen der Menschwerdung (Riedl, 2000, S. 65). Dieser Prozess dauerte etwa fünf Millionen Jahre und war vor etwa eineinhalb Millionen Jahren beendet. Der aufrechte Gang prägt die menschliche Form der Fortbewegung und damit auch die Art, wie der Mensch seinen Bewegungsapparat einsetzt, also wie er Sport betreibt. Das Wachstum des Gehirns folgte. In nur eineinhalb Millionen Jahren wuchs es von einem halben Liter Volumen beim homo erectus auf zwei Liter beim Neandertaler. Bei unserer Gattung ist die Gehirnmasse kleiner und beträgt etwa 1,5 Liter. Die Handfertigkeit nahm zu, Stimmorgane und Sprache entwickelten sich. Das Gehirn expandierte und in diesem Prozess erwarb der Mensch immer mehr neue Fertigkeiten. Die Spezialisierung als besondere Fähigkeit des homo sapiens sapiens begann damals. Spezialisierung, Differenzierung und Expansion sind drei Charakteristika, die die menschlichen Vorfahren bereits vor Jahrmillionen erwarben. Unser Gehirn ist ein „Extremorgan“ (Riedl, 2000, S. 72). Kein anderes Organ der Affen verdreifachte sich in der Phase des Übergangs zum Menschen allein im Volumen. Keines passte sich derart an die Anforderungen der Umwelt an. Als einzige Gattung hat der Mensch die Möglichkeit, mithilfe des Gehirns und mit von ihm entwickelten Mitteln seine Geschwindigkeit (über Autos, Flugzeuge oder Sportgeräte) so zu erhöhen, dass sie den Körper zerstören können: „Kein Säugetier vermag sich so schnell zu bewegen, dass es an seiner Eigenbewegung zugrunde gehen könnte“.
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Das Extremorgan Gehirn trägt die antiken Prinzipien „fortius citius altius“ in sich. „Schneller, höher, weiter“ zu sein war für unsere Vorfahren bereits in den Steppen überlebensnotwendig. Der Leistungssport hat diese Prinzipien übernommen. Andere wichtige Organe und Funktionen für die Entwicklung zum Menschen waren z.B. die Greifhand mit dem gegenüberliegenden Daumen. Sie bildete sich – bereits bei den hochentwickelten Affen – als Resultat der Feinkoordination von Auge und Hand vor etwa 35 bis 22 Millionen Jahren (Klix, 1983, S. 23 ff.). Die Wechselwirkung zwischen Tiefensehen und Greifbewegung beim Hinfassen und Springen schuf eine neue Verhaltensleistung, die in völlig unterschiedlichen Situationen angewandt werden konnte. In Sekundenbruchteilen richtig sehen, hingreifen und sich elegant weiter bewegen: Die Ähnlichkeit mit Übungen in vielen Sportdisziplinen ist unverkennbar.
ICH DENKE, ALSO BIN ICH Der französische Philosoph, Mathematiker und Naturwissenschafter René Descartes (1596–1650) hat den für die europäische Kultur wichtigen Satz formuliert „cogito, ergo sum“, „ich denke, also bin ich“. Er meinte damit, dass der Zweifel und das stete Neuüberprüfen zu Wahrheit führe. Wahrheit werde aber nicht nur durch klare Anschauung und Vernunft, sondern auch durch Intuition gewonnen. In seiner Nachfolge betonten Wissenschaft und Philosophie die Vernunft und das Denken, nicht aber die Intuition und das Gefühl. Die europäische Kultur entwickelte sich in Richtung Vernunft. Gefühle erhielten dementsprechend einen „schlechten Ruf“: Sie seien die negativen Seiten des Menschen, seine Triebe verkörperten die Nähe zum Tier. Also gelte es, die Gefühle mit Vernunft im Zaum zu halten. Auch heute noch gelten Gefühle und Intuition bei vielen Menschen als Schwäche. Tatsächlich sind sie aber ein wichtiger Teil der Persönlichkeit, deren Nutzung für Höchstleistungen notwendig ist. Das neue Verständnis für den Einfluss der Gefühle soll die Wichtigkeit der Gedanken- und Willensprozesse nicht in den Hintergrund schieben. Im Gegenteil. Die meisten Psychologen schätzen die Kognitionen als zentral für die Emotionen ein, denn niemand würde emotional auf Reize reagieren, die als bedeutungslos oder irrelevant eingeschätzt werden (Ekman und Davidson, 1984). Aber man sollte sich keinen Illusionen hingeben. Auch die „Kognitionen“ sind – ähnlich wie die Emotionen – nicht immer logisch und rational. Wenn eine Sportlerin denkt „Oje, das werde ich nie schaffen“, ist sie vielleicht ebenso weit von der vorstellbaren Realität entfernt wie einer, der
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denkt „Ich werde der Beste der Welt“. Die Sportlerin leidet vielleicht an Selbstunterschätzung und die Expertinnen in ihrer Umgebung meinen, sie werde es schaffen, weil sie „Charakter“ hat. Der Sportler leidet vielleicht an Selbstüberschätzung, weil seine Vorstellungen und sein tatsächliches Können und Talent weit auseinander klaffen. An den Zielsetzungen wird deutlich, wie eng Gefühle und Gedanken zusammen spielen und wie stark sie einander beeinflussen. Gedanken können blockieren oder befreien. Sie können unsicher machen oder eine klare kraftvolle Richtung geben.
DENKEN UND SYMBOLE „Leben ist Problemlösen“ behauptet Karl Popper. Der Biologe und Theoretiker der Evolutionären Erkenntnistheorie Rupert Riedl fügt hinzu, dass Leben ebenso Probleme schaffen bedeutet. Im Sport schaffen sich Menschen mit Regeln und Weiterentwicklungen in den jeweiligen Sportarten Probleme, um sie dann zu lösen. Im Gehirn herrscht Stille, Bewegungslosigkeit und Dunkelheit. Und dennoch erleben wir eine Welt voller Bewegung, Farben und Töne. Das Gehirn ist offenbar imstande, über die Kunst der Symbolisierung mit anderen zu kommunizieren, andere zu verstehen, die Wahrnehmungen in ein Koordinatensystem einzubauen und auf ähnliche Weise zu interpretieren wie andere Wesen unserer Gattung (Bandura, 1989). Wir können einander mithilfe von Symbolen (Buchstaben, Sprachelemente, Zeichen, Bilder) verstehen. Wir verstehen sogar bestimmte Emotionen/Gefühlsausdrücke in allen Kulturen gleich. Wer den Arm jubelnd hochreißt, wird sowohl in China, auf Grönland und in Europa verstanden. Das Bewusstsein ermöglicht und verlangt von Menschen, sich Ziele zu setzen und gleichzeitig aber völlig „sinnlose“ Handlungen und Ideen zu gebären. In diesem Bereich der Utopien ist der Mensch wirklich „frei“ und ungesteuert. Es ist der Bereich der Tagträume, Phantasien, der Philosophie, Kunst, Wissenschaft und des Sports. Neugier (Berlyne, 1960), Expansion in immer neue Felder oder die Versuche, ungelöste Probleme zu lösen, sind Grundeigenschaften der Menschen. Die Expansion der menschlichen Art ging einher mit dem Erwerb neuer Fähigkeiten, die wiederum die Basis für neue Entwicklungen ergaben. Sport ist per se eine „Extremdisziplin“. Er reizt – vielleicht mehr als andere Bereiche menschlicher Höchstleistung – die Fähigkeiten aller psychischen und körperlichen Ebenen des menschlichen Organismus aus, die Emotionen, Gedanken und Verhaltensweisen ebenso wie die Systeme des Körpers. Deshalb kann die Sportpsychologie vielleicht besonders viel zum
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Verständnis des Wesens Mensch beitragen. Aus den Fähigkeiten und Begrenzungen der körperlichen Spitzenleister wird die Wissenschaft Rückschlüsse ziehen, woher wir kommen, aber auch wohin wir gehen.
ICH FÜHLE, ALSO BIN ICH Eine der spannenden und wichtigen Erkenntnisse der neueren Psychologie betrifft das Wechselspiel von Großhirn und limbischem System, dem „Gefühlsgehirn“ (siehe z.B. Roth, 2001; Damasio, 2000). Die Forschungsergebnisse zeigen die besondere Wichtigkeit des – lange unterschätzten – limbischen Systems. Das Denk- und Willenshirn steht offenbar in intensivem Kontakt mit dem (entwicklungsgeschichtlich) viel älteren System, in dem die Gefühle reguliert werden. Aus Forschungen in den letzten Dutzend Jahren geht hervor, wie wichtig die Gefühle für die Denk-, Willens- und Bewegungsprozesse des Menschen sind. Unsere Persönlichkeit wird wesentlich von Gefühlen bestimmt. Sportler spüren die Macht der Emotionen ganz besonders deutlich in grandiosen Triumphen, nach unerwarteten oder un“glück“lichen Niederlagen und selbstverständlich vor Wettkämpfen. In diesen Situationen versagt oft die Sprache. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll“, „Wahnsinn“, „unglaublich“, sind typische Aussagen für das, was der Verstand nicht versteht. Statt der Sprache tritt die Körpersprache als unmittelbarer Ausdruck der Gefühle in Aktion (Montagu, 1984, am Beispiel der Haut; Ekman und Rosenberg, 1998; Darwin, 2000): Sportler weinen, lachen, knien nieder, küssen den Boden, tänzeln vor Freude (aber auch für die Medien und die Selbstdarstellung) oder strecken die Zunge heraus. Fußballer zeigen oft typische Beckenbewegungen an der Outlinie. Viel häufiger aber sind Sportler im Trainingsalltag mit Gefühlen konfrontiert (Butler, 1996). Spaß, Freude, aber auch Ärger, Unlust, Gefühle der Unfähigkeit, des Versagens oder des „Nie-Erreichen-Werdens“ sind die „Trainingspartner“ auf der emotionalen Seite. Die moderne Psychologie sagt: „Ich fühle, also bin ich“ (Damasio, 2000). Gefühle verändern die Spannung der Muskulatur und die Aktivität der inneren Organe (Deci, 1980, S. 85), und auch deshalb ist das Management der Gefühle für Höchstleistungen unverzichtbar. Erfahrene Trainer gehen auf die Persönlichkeit und damit auf die Gefühlswelt ihrer Sportler ein. In der Sportpsychologie ist eine gute Basis an strukturiertem Wissen über den Umgang mit Emotionen vorhanden. Die Psychologie hat eine Vielzahl an gut erprobten und wissenschaftlich fundierten Interventionsverfahren (speziell in der Verhaltensmodifikation) entwickelt. Mit ihnen ist es möglich, die Gedankenwelt, die Gefühle, die Verhaltensweisen und den Kör-
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per zu beeinflussen. Auch die Hypnose stellt gut untersuchte und erprobte Interventionsmethoden für den Sport zur Verfügung. Entspannungstechniken unterschiedlicher Art helfen bei Erholungsprozessen ebenso wie bei der Beruhigung von Körper und Geist. Das Gefühlsmanagement nimmt in Wissenschaft, Wirtschaft und in der Sportpsychologie einen immer wichtigeren Platz ein. Die Neuropsychologie macht klar, dass Menschen ihr Potenzial dann am besten ausspielen können, wenn sie ihre Gefühlswelt entwickeln und einsetzen (Grawe, 2004; Rost, 2001).
ICH BEWEGE MICH, ALSO BIN ICH Die sensomotorische Koordination wird von Psychologen als Grundvoraussetzung für die gesamte Intelligenzentwicklung gesehen (Piaget, 1966). Das Zusammenspiel von Wahrnehmung, Denken und Bewegung scheint eng miteinander verbunden und für die Entwicklung des Menschen zentral zu sein. Welche Leistung Menschen bereits mit einem einfachen Bewegungsvorgang vollbringen, zeigt Rupert Riedl. Bei einem Bewegungsablauf, der mit einer Reihenfolge von nur 16 (!) Positionen funktioniert – das entspricht nicht einmal einem Handgriff zur Teetasse –, „sind … zwanzig Billionen Kombinationen möglich. Müsste die richtige Kombination durch Zufall gefunden werden, so wären, selbst bei einer Geschwindigkeit von tausend Entscheidungen pro Sekunde, tausend Jahre erforderlich. Ein Programm benötigt dagegen nur rund fünfzig Entscheidungen und schaltet dieselbe Bewegung in fünf Hundertstelsekunden“ (Riedl, 1989, S. 205). Bei sportlichen Aufgaben laufen im menschlichen Organismus eine Vielzahl solch evolutionär geprägter Programme gleichzeitig ab.
KOMPLEXITÄT UND MAXIMALE REDUKTION In einem einzigen Bewegungsablauf spiegelt sich die Entwicklung von Jahrmillionen. Sämtliche Regionen des Gehirns und alle Organe des menschlichen Körpers sind an ihr beteiligt. Das „Kunstwerk Mensch“ stellt sich im Sport besonders deutlich dar. Der Organismus wird ständig herausgefordert und zu neuen Höchstleistungen gebracht. Im Leistungssport stehen alle Zielsetzungen unter einem besonderen Zeitdruck. Wer über die effizientesten Trainingsmethoden auf allen Ebenen – von der Biomechanik über die Ernährung bis zur Psychologie – verfügt, hat eine höhere Chance, zu gewinnen. Über das menschliche Verhalten ist reichlich theoretisches und Anwendungswissen vorhanden. Deshalb ist in der Psychologie besonders auf ein ökonomisches, und damit zielorientiertes Vorgehen zu achten. Die Fülle des Wissens muss auf die praktisch anwendbare Menge reduziert wer-
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den. Das „Prinzip der minimalen Intervention“ (Kanfer et al., 1991, S. 37) gilt ganz besonders im Höchstleistungsbereich.
Er h o l u n g s p roze s s e Beruhigung
Grenzüberschreitung Zielorien
Entspannung
Motivation
tieru
ng Konzentration
Stärken Schwächen Diagnose
Abb. 3. Die Landkarte der Höchstleistung (II)
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TEIL I GRUNDLAGEN DES SELBSTMANAGEMENTS „Angriffspunkt ist der Körper, aber Ziel der ganze Mensch. Die menschliche Reife ist das oberste Ziel. Die Spitzenleistung ist die reife Frucht davon.“ Baldur Preiml über den Olympiasieger und Weltmeister im Skisprung Toni Innauer (Innauer, 1992, S.11).
Kapitel 1
DAS ICH-LABOR ODER: WIESO HÖCHSTLEISTUNG UND SELBSTENTWICKLUNG ZUSAMMENGEHÖREN Die mediale Berichterstattung präsentiert ganz besondere Sportwesen. Diese funktionieren wie Halbautomaten und Körpermaschinen, die in Leistungszentren und Kraftkammern herangebildet werden. Topathleten erscheinen wie Kunstprodukte aus den Labors der großen Sportverbände, in denen sie einen „Super-Body“ designt bekommen. In Wirklichkeit aber ist alles ganz anders: Das einzige Labor, das Sportler tatsächlich weiterbringt, ist das Ich-Labor. Und in dem wird vor allem eines gestaltet – die Persönlichkeit.
1.1. SELBSTDISZIPLINIERUNG … Diomedon, auch Philippides oder Pheidippides genannt, rannte sich vor knapp 2.500 Jahren die Seele aus dem Leib. Ohne Unterbrechung und ohne Schutz vor der gnadenlosen Sonne soll er aus der Ebene von Marathon nach Athen gelaufen sein, um den Sieg über die Perser zu melden. Das entspricht der Strecke von gut 40 Kilometern! Der Preis für diese gnadenlose Schinderei war bekanntlich hoch. Nachdem Diomedon die Nachricht vom Sieg überbracht hatte, verstarb er sofort. Er war ausgepumpt, erschöpft und ohne weitere Lebenskraft – vermutlich nicht nur wegen der körperlichen Überforderung, sondern auch wegen der emotionalen Intensität dieses unglaublichen Tages. Zuerst der Sieg über die übermächtige Armee der Perser und dann der zu sein, der diese Nachricht überbringt! Diomedon wird gespürt haben, wie sehr die Männer und Frauen von Athen auf diese Meldung warteten. Wie auch immer: Das Bild des laufenden Diomedon hat sich in unseren Köpfen festgesetzt. Und wirkt dort kräftig weiter. Die alten und modernen Medien trugen und tragen das ihre dazu bei. Der coole „Iceman“ unserer Zeit und der „Metallmensch“ der alten chinesischen Medizin zeigen die zwei Seiten derselben Selbstdisziplinierungsmedaille. Hochleistungssport, so ist die Botschaft, verlangt extreme Selbstüberwindung und autistische Selbstbezogenheit. Er ist Selbstdisziplinierung und
ein über Jahre gehender Gewaltakt, mit dem wir Herr über unseren Körper werden, an dem wir mit Übungen so lange basteln und schrauben, bis sich die exzeptionelle Performance einstellt.
1.2. … ODER SELBSTENTWICKLUNG? Man kann die Welt des Hochleistungssports aber auch völlig anders sehen und dem Bild der Reduktion auf Muskelpakete und mentale Kampfmaschinen das zweite ebenso wichtige hinzufügen, nämlich das der Persönlichkeitsentfaltung. Dieses entspricht wohl eher den Entwicklungen des 21. Jahrhunderts. Was ist das Ziel von Höchstleistung? To do your best when you need it most. Dann sein Bestes geben, wenn man dessen am meisten bedarf. Das kann nur eine Persönlichkeit, die ihre Fähigkeiten auf vielen Ebenen entwickelt hat. Dieses Medienbild wurde um den legendären Formel 1-Weltmeister Ayrton Senna aufgebaut. Er war kein großer Redner und wurde immer ganz still, wenn es um Leistung und Fragen des Könnens ging. Nie sprach er von Techniken und Methoden, die man anwenden müsse, um erfolgreich zu sein. Stattdessen war von Ästhetik die Rede, von den wunderbaren Gefühlen, die sich einstellten, wenn er im Cockpit saß; von der Einheit, zu der er mit der Rennmaschine verschmolz. Aber Ayrton Senna sagte nach der „Pole Position“ in Monaco 1998: „Ich realisierte plötzlich, dass ich das Auto nicht mehr bewusst lenkte. Ich fuhr es mit einer Art Instinkt, nur dass ich in einer anderen Dimension war … ich fuhr und fuhr, mehr und mehr und mehr und mehr … es machte mir Angst, weil ich weit jenseits meines bewussten Verstandes war“ (zit. in Moran, 1996, S. 74).
1.3. IN SICH SEIN Im Formel 1-Boliden, so hatte man den Eindruck, war er ganz in sich selbst, und das spornte ihn zu immer neuen Grenzüberschreitungen an. Dazu passt auch sein berühmtes Statement, mit dem er einmal sein Verhältnis zum Rennsport zu beschreiben versuchte: „12 Stunden am Tag beschäftige ich mich mit meinem Auto, die restlichen 12 denke ich darüber nach“. Dieses Zitat beschreibt einerseits eine der wichtigsten Voraussetzungen für Höchstleistung, nämlich die völlige Fokussierung des gesamten Lebens auf ein Ziel. Die Aussage könnte aber auch missverstanden werden, nämlich dann, wenn Nachdenken mit der negativen Technik des Grübelns verwechselt wird. Grübeln ist ziellos, Denken sollte immer mit Zielen verbunden sein. Senna zeigte einen spannenden Zugang zum Thema Höchst-Wirksamkeit, den, wenn man so will, hoch konzentrativ „ästhetischen“, den man
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Kapitel 1
auch als kognitiv-emotionalen sehen kann. Unabhängig von der kulturellen und medialen Zubereitung des Menüs „Grenzüberschreitung“ brauchen Top-Sportlerinnen von beidem etwas: von der Selbstdisziplinierung ebenso wie von der Selbstentwicklung. Der Sportpsychologe – und gleichzeitig einer der Revolutionäre der modernen Psychologie – Michael Mahoney (1989) bemerkte dazu, dass Spitzensportler eine außergewöhnliche Konzentrationsfähigkeit entwickeln, die zu ihrer Sportart passt. Spitzenleistungen geschehen dort, wo so etwas wie „Selbsterfahrung“ passiert ist. Wo wieder und wieder ein ganz spezifisches Gefühl von Schönheit erlebt werden kann, das sich nur dann einstellt, wenn man ganz bei der Sache ist. Und zwar deshalb, weil einem die Sache wirklich viel bedeutet – weil sie eine Herzenssache ist. Allerdings ist es nicht immer einfach herauszufinden, wofür das Herz denn nun schlägt. Wer rasch und prägnant sagen kann, was ihn antreibt, hat meist schon viel über sich gelernt. Mitunter sogar soviel, dass er für neue Aufgaben eine große Begeisterung entwickeln kann – und diese Aufgaben wieder zu einer Herzenssache zu machen versteht.
1.4. MIT DEM KÖRPER DENKEN Ein junger Nordischer Langläufer sagte mir, es mache ihm unglaublich viel Spaß, eine neue Technik oder eine neue Trainingsmethode auszuprobieren. Er könne sich dann im Training „mit Vergnügen quälen“. Er höre dann völlig auf seinen Körper und die Bewegungsabläufe. In dieser Situation denke er mit dem Körper. Es ist fast logisch, dass dieser junge „Körperdenker“ regelmäßig der Beste seines Jahrganges war. Und eine weitere Facette: Er wurde von seinen Klassenkameraden als „Streber“ gehänselt. Seine Kollegen hatten die wesentliche Erfahrung noch nicht gemacht, dass die Kombination von Hören auf den Körper, Denken mit dem Körper, Neugier und Lust am steten Überschreiten der bisherigen Grenzen diese Selbstentwicklung in Gang setzt. Reinhold Messner beschreibt das Phänomen ähnlich. Auch er dachte „mit den Beinen … Das Gehen schließt den ganzen Körper mit ein. Und den Geist“. Auch er ließ sich von der Neugierde leiten (Messner, 1993, S. 199). Umgekehrt könnte man – nicht nur für den Sport – formulieren „Spüre Deine Muskeln und Du kennst die Kraft Deines Gehirns“. Für den in der Persönlichkeit noch nicht so weit fortgeschrittenen Sportler ist bis dahin die Strecke noch weit. Sie erfolgreich zurückzulegen
Das Ich-Labor
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setzt voraus, dass er sich auf das Abenteuer Selbstentwicklung einlässt. Die radikale Selbstentwicklung bleibt nie stehen sondern geht immer weiter. Sie spürt konsequent Wünsche, Wohlgefühle, Denkweisen und vieles mehr auf, aber hinterfragt sie auch, um sie gegebenenfalls zu verändern.
1.5. SINN FINDEN „Klettern ist wie Sehen und Gehen ist wie Leben. Für den, der es gelernt hat, geschieht es ohne Stolpern und ohne Willensanstrengung. Ich gebe mir die Erlaubnis zu gehen. Will ich aber sehr weit dabei kommen, muss ich meinem Ziel einen Sinn geben“, schreibt Reinhold Messner (1993, S. 85). Eine talentierte Tennisspielerin wollte mit 15 Jahren ihre Karriere beenden. Der Grund war, dass sie über längere Zeit sportlich auf der Stelle trat und zeitweise sogar Rückschritte machte. Sie verlor unter Stress die Konzentration, den Spielüberblick (die „weite“ Wahrnehmung) und vergaß ihre taktischen Vorgaben. Besonders auffällig war, dass sie in diesen Situationen den Schlag nicht vollständig durchzog und ihn damit unterbrach. In einem ersten Versuch diesem Problem zu begegnen, arbeitete sie mit der Trainerin daran, den Schlag zu verbessern, also ihn durchzuziehen. Dieses Vorgehen erwies sich nur bedingt als erfolgreich. Es zeigte sich bei einer späteren Analyse, dass ihre bisherigen Ziele nicht mehr stimmten und sie die neuen erst suchte. Ihre gesamte Persönlichkeit war verunsichert. Sie steckte in einer Identitätskrise und war sich ihrer Bedürfnisse nicht mehr bewusst. Deshalb machten ihr auch Erfolge keine besondere Freude. In der psychologischen Arbeit ging es darum, neue Ziele zu entwickeln. Mit neuen Zielen kam neue Motivation und die Athletin fand im sportlichen Handeln wieder einen Sinn. Damit konnte sie in ihrer Persönlichkeitsentwicklung den nächsten Schritt machen. Bei Jugendlichen ändern sich Wünsche und Motive schneller als in späteren Entwicklungsphasen. Deshalb ist es besonders schwierig, diese oft raschen Veränderungen zu erkennen und auf sie einzugehen. Die Selbstentwicklung wird unterstützt und beschleunigt, wenn die Athleten um den Sinn ihrer täglichen Anstrengungen wissen.
SPORTLICHE HÖCHSTLEISTUNGEN SIND DAS ERGEBNIS MAXIMALER SELBSTENTWICKLUNG! Spitzensport besteht nicht nur aus Selbstverleugnung und kompromisslosem Leistungsdenken. Er besteht nicht aus roboterhaften Persönlichkeiten, die wie ein „Metallmensch“ ihre Emotionen ignorieren und Kilometer um Kilometer ihr Trainingsprogramm herunterspulen, das auf der Basis der neu14
Kapitel 1
esten Erkenntnisse aus Medizin und physiologischer Forschung speziell für sie zusammengestellt wurde. Es ist so: Sportliche Höchstleistungen sind das Ergebnis maximaler Selbstentwicklung!
SELBSTMANAGEMENT IST DER STÄNDIGE TANZ AM LIMIT Wo Selbstmanagement in Richtung Höchstleistung gelingt, werden Emotionen, Kognitionen und Verhalten durch Reflexion und Lernen aufeinander abgestimmt. Das sportliche Handeln, Denken und Fühlen bewegt sich ständig an der Grenze des Möglichen. Manchmal wird man das Limit überschreiten und sich überfordern. Manchmal wird man es überschreiten und spüren, „es geht“. Manchmal wird man darunter liegen und spüren, „das ist zu wenig“. Manchmal wird man die eigene Grenze unterschreiten und sich trotzdem überfordert fühlen. Alle vier Typen von Grenzerfahrungen erlebt jeder Spitzensportler. Alle vier sind nötig, um sich in der Grenzsituation besser kennen zu lernen. Im Training fordere ich Sportler dann und wann auf, in der Phase der Übermüdung noch einmal alles zu geben. Sie erfahren damit, dass sie auch im Extrem noch zusätzliche Kräfte mobilisieren können. Wer seinen sportlichen Kontinent besser kennen lernen will, muss die Grenzen von innen und von außen erleben. Genau hinsehen, im Spiel und im Wettkampf Freude empfinden, über die richtigen Techniken und Materialien verfügen, Erfahrung aufbauen: Das ist Selbstmanagement im Sport, dazu führt Selbstmanagement im Sport! Damit legt man die beste Grundlage für hohe Konzentration, vielleicht sogar für den Flow und letztlich für den Selbstwert.
Das Ich-Labor
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Symbolisierung
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Zielorientierung
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Neugier
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Wahrnehmung
Gehirn Extremorgan
Körpersprache
Minimalinterventionen
Abb. 4. Die Landkarte der Höchstleistung (III.1)
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Kapitel 1
Kapitel 2
WAS SELBSTMANAGEMENT AUSZEICHNET – UND WARUM ES KEIN „ALLEINMANAGEMENT“ IST Selbstmanagement besteht aus nur wenigen Schritten. Wobei jeder der Schritte zu einer anderen Art der Selbstreflexion anhält: Selbstmanagement ist vom Prinzip her einfach. Doch gerade weil es so einfach ist und dennoch eine Strukturierung der Selbstentwicklung ermöglicht, ist es ein äußerst wirkungsvolles Verfahren. Allerdings nur dann, wenn man es so nutzt, wie es seine Erfinder vorgesehen hatten. Nämlich mit einem Partner oder Coach, der als Katalysator fungiert. Wie das in der Praxis aussieht, wird in diesem Kapitel dargestellt. In der Filmstory von „Million Dollar Baby“ werden Elemente des Selbstmanagements ersichtlich. Das Drehbuch des Films stellt deshalb eine ideale Vorbereitung und Einführung in das Thema dar.
„TOUGH AIN’T ENOUGH“ Maggie Fitzgerald weiß schon längst, dass Boxen „ihr Ding“ ist.Wie sie auch nur zu gut verstanden hat, dass es Leistungstraining ohne Ende bedeutet, wenn sie es in diesem Sport zu etwas bringen will. Dementsprechend ist sie bereit, jede Quälerei auf sich zu nehmen, wenn es dem Fortkommen dient. Allerdings hat sie auch schon etwas anderes begriffen, nämlich, dass „ToughSein“ allein nicht ausreicht (tough = hart, hartnäckig). „Tough ain’t enough“: Frankie Dunn hatte es nach einem ihrer ersten Kämpfe zu ihr gesagt; Frankie Dunn, dieser nicht ganz unbekannte, sich aber aus allem ShowBiz heraushaltende Trainer. Er war mit einem seiner Schützlinge im Umkleidetrakt gewesen, als Maggie von ihrem Kampf zurückkam. „Mädel, tough reicht nicht“, hatte er sie wissen lassen – weshalb Maggie sich nun, gut zwei Jahre später, auf die Suche nach diesem Frankie Dunn macht: Weil er Recht hat, will sie mit ihm reden. Weil sie einen Trainer braucht, der ihr hilft, sich zu entwickeln. Weil genau er dieser Trainer sein soll. Doch die Sache hat einen Haken: Frankie Dunn trainiert keine Frauen. Maggie muss ihn daher regelrecht „belagern“, bis er auf ihr Ansinnen eingeht: Täglich
erscheint sie in seinem „Gym“ in Los Angeles und rackert sich ab. Immer wieder versucht sie, seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und ihn dazu zu bringen, ihr den einen oder anderen Tipp zu geben. Mit Erfolg. Ihre Sturheit und „Toughness“ überzeugen ihn schließlich und er willigt ein, sie zu trainieren. Allerdings nur unter einer Bedingung: „Hier ist mein Angebot“, erklärt ihr Frankie. „Du machst, was ich sage. Ich mache nicht, was du sagst“. Und weiter: „Wenn ich dir was zeige und du kannst es nicht, ist das okay. Aber wenn ich dir was zeige, das du machen kannst, aber nicht willst, ist das nicht okay“. Frankie Dunn formuliert eine der wichtigsten Komponenten der Höchstleistung: ICH WILL.
2.1. MILLION DOLLAR BABY Diese Abmachung ist bezeichnend für die Beziehung, die wie folgt beginnt. Frankie Dunn will harte Arbeit sehen, aber er ist kein Schinder. Vielmehr soll Maggie entdecken, was in ihr steckt. Sie soll selbst sehen, was sie kann und was nicht; er wird, so macht er von Anfang an klar, lediglich Impulse liefern, ihr das Mögliche zeigen. Ob das Mögliche für Maggie das Machbare ist, muss sie von sich aus herausfinden, um es dann allerdings, so die unmissverständliche Nachricht, bedingungslos zu trainieren. Maggie weiß dieses Angebot zu schätzen und zu nutzen: Sie lernt, wie man die richtige Balance hält. Oder wie sie ihren Schlägen vom rechten Zeh aus Wucht verleiht. Sie kann entdecken und einüben, wie man der Geraden eine Doppel- und Dreifachkombination folgen lässt. Und sie hat nach einiger Zeit auch ein Gefühl dafür, wie sie einem gegnerischen Schlag ausweicht und eine schnelle Rechte pariert. So viel und schnell lernt sie, dass schon bald jede ihrer Sparring-Partnerinnen die Flucht ergreift, wenn Maggie ihren Rhythmus gefunden hat. Das eröffnet den Weg zu den ersten Preiskämpfen, die Maggie souverän gewinnt. Und zwar so souverän, dass sie nach rund zwei Jahren in den Medien als „Million Dollar Baby“ gehandelt wird; d.h. als erste Frau, die möglicherweise eine Million Dollar Preisgeld für einen Kampf erhält. Maggie hat es dank Frankie Dunn geschafft: Sie ist ein Star.
2.2. DER TRAINER ALS KATALYSATOR F. X. Tooles Short Story „Million Dollar Baby“ (2005) gibt nicht nur einen guten Filmstoff ab. Sie illustriert auch auf wunderbare Weise, was man ohnedies weiß, was aber häufig vergessen wird. Gute Trainerinnen und Trainer sind so etwas wie Katalysatoren der Persönlichkeitsentwicklung und des Selbstmanagements.
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Kapitel 2
Und zwar im besten Sinn des Wortes: Gute Trainer setzen Entwicklungen in Gang, die jeder Sportler oder jede Sportlerin ganz für sich allein durchlaufen muss – und die ohne Trainerin oder ohne Trainer doch nicht möglich wäre: Letztere stecken den Rahmen ab, in dem man sich als Sportler zu bewegen hat. Sie überwachen geradezu, was von immenser Bedeutung ist, seine Einhaltung – akzeptieren aber den völlig individuellen Weg, auf dem der oder die Einzelne dieses „Rahmenprogramm“ realisiert.
SELBSTENTWICKLUNG IST EIN „SOLO FÜR ZWEI“ Viel zu schnell verheddern wir uns in unserem Denken und drehen uns im Kreis statt uns zu entwickeln. Es bedarf immer eines anderen, damit es klappt. Der Andere symbolisiert „die Welt“ und ermöglicht dadurch, dass wir uns selbst entfalten. Deshalb ist Selbstentwicklung auf dem Weg zur Höchstleistung immer ein „Solo für zwei“.
2.2.1. SELBSTMANAGEMENT AUS DEM BAUCH Insofern, so darf man behaupten, sind wohl die meisten guten Trainer von sich aus Verfechter einer Selbstmanagement-Philosophie oder eines Selbstmanagement-Ansatzes. Denn hier ist der Coach, Supervisor oder Trainer stets ein Katalysator, der etwas in eine bestimmte Richtung in Gang bringen, aber nicht „rigide“ steuern möchte. Der reife, entwickelte Selbstmanagement-Ansatz eines Frederick H. Kanfer stellt ein strukturiertes Verfahren dar, mit dem sich eine ganz bestimmte Selbstentwicklung anstoßen lässt. Je nach Umstand und Möglichkeit ist es sinnvoll, das gesamte Verfahren durchzuziehen. Ein andermal wird man es als roten Faden verwenden. Manchmal wird sogar ein intuitives und spontanes Arbeiten mit Selbstmanagement-Elementen hilfreich sein, das lediglich punktuelle Akzente setzt. Wenn Frankie Dunn Maggie erklärt, weshalb bei einer stehenden Boxerin der Abstand zwischen den Beinen niemals die Schulterbreite übersteigen sollte, weil das unbeweglich macht, so ist das ein Stück Selbstmanagement. Denn er gibt nicht nur eine Praxis weiter, sondern macht diese auch verständlich. Das bringt Maggie einen Wissenszuwachs. Wissen, die richtigen Informationen zu haben, ist für ein gelingendes Selbstmanagement von essentieller Bedeutung. Probleme entstehen häufig durch Informations- oder Wissensdefizite. Jedoch hat Maggie damit noch kein Konzept in der Hand, das ihr in einem umfassenden Sinne eine Selbstentwicklung erlauben würde.
Was Selbstmanagement auszeichnet
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2.3. TRANSPARENZ UND WERTSCHÄTZUNG Und doch machen diese Akzente schon deutlich, was eine Rahmensteuerung inkludieren muss, wenn sie eine Selbstentwicklung ermöglichen, ein Selbstmanagement initiieren soll: Die Weitergabe der richtigen Informationen ist äußerst wichtig. Nicht umsonst sorgt Frankie immer wieder für Transparenz und erläutert ihr, weshalb er das eine Kampfangebot für sie ablehnt, während er das andere annimmt: Er will keine Geheimnisse oder Mythen; weder seine Person noch den Sport betreffend. Und schon gar nicht will er, dass Maggie im Kopf Mythen aufbaut und ihr eigenes Tun nicht versteht oder als „großes Geheimnis“ betrachtet. Ebenso wichtig ist die tiefe Wertschätzung, die Frankie Maggie zukommen lässt. Diese äußert sich in einem Stück Distanz, das er stets einhält, während er sie zugleich „Macushla“ vom irischen „mo cuishle“ („mein Herzblatt“) nennt. Das ist auch der Name, mit dem er sie gegen ihre Gegnerinnen antreten lässt. Die Person oder die Persönlichkeit wird auf diese Weise gestützt, ja sogar betont und zum Zentrum der ganzen sportlichen Aktivitäten gemacht.
2.4. SELBSTWERTSTREBEN STATT GELTUNGSSTREBEN Überhaupt ist Frankie in seiner Rolle als Katalysator stets bestrebt, das Selbstwertstreben anstelle des Geltungsstrebens anzustacheln. Beispielsweise dann, als es dazu kommt, dass Maggie alle ihre weiblichen Sparringpartnerinnen ausgeknockt hat und die einzigen noch herauszufordernden Gegner junge Männer sind. Als schließlich auch einer von diesen k.o. geht und sich von einem seiner Kollegen ein hämisches „Hey, Mann! Du lässt dich von einem Mädchen umnieten?“ anhören muss, sagt Frankie einfach: „Das ist kein Mädchen, das ist eine Boxerin“. Damit soll einerseits in Richtung der Männer gesagt sein, dass es keine Schande ist, k.o. zu gehen. Andererseits wird Maggie signalisiert, dass sie etwas ganz eigenes geworden ist; eine Boxerin eben, worauf sie mehr als nur stolz sein kann. Vorsichtig aber doch arbeitet Frankie so auch an der Persönlichkeit Maggies, wenn er sie trainiert. Er versucht ihre Eigenständigkeit zu fördern, was sich u.a. darin zeigt, dass er ihr zwar bei der Lösung von Problemen hilft, ihr diese aber nicht abnimmt. Und ihr von Anfang an auch klar macht, dass er keine Abhängigkeitsverhältnisse will. „Wenn du nicht mehr mit mir arbeiten willst, kündige mir jederzeit und Schwamm drüber“, erklärt er ihr deshalb zu Beginn ihres Arbeitsverhältnisses, und „wenn ich nicht mehr mit dir arbeiten will, kündige ich dir jederzeit und Schwamm drüber“. 20
Kapitel 2
Frankie entwickelt, würden Psychologen formulieren, die intrinsische Motivation und damit das Streben nach Selbstwert statt nach Geltung. Bereits der Erfolgstrainer des berühmten Deutschland-Achters in den 60er Jahren, Karl Adam sah das Streben nach Selbstwert als Erfolgsfaktor für Trainer und Sportler. Die Ratzeburger Boote errangen sieben Titel bei Welt- und Europameisterschaften, sowie zwei Goldmedaillen bei den Olympischen Spielen in Rom 1960 und in Mexiko 1968. Adam hielt es für wichtig, den Sportlern den nötigen Entwicklungsspielraum zu geben. Dazu brauchen die Athleten alle für ihre Leistungsentwicklungen wichtigen Informationen. Deshalb ist auch der intensive Informationsaustausch mit den Sportlern wichtig, „ohne ihnen auf der Pelle zu sitzen“. Adam formulierte weitere Prinzipien, die auch im Selbstmanagement gültig sind, nämlich „mache die Athleten möglichst selbständig und unabhängig, auch von dir“. Dazu zählen auch seine Aufforderungen an Trainer, den Sportlern ihre Probleme nicht abzunehmen, sondern sie bei der Lösung der Probleme zu unterstützen. Trainer sollten das Selbstvertrauen und das Selbstbewusstsein der Athleten aufbauen und sie zu breiten Interessen außerhalb des Sports ermutigen (Adam, 1978). Selbstmanagement und sportliche Professionalität bis in die Haarspitze bilden zwei Seiten einer Medaille.
Selbstwert
Persönlichkeitsentfaltung
Information
Selbstdisziplin
Sinn
Wissen
Trainer als Kataly sator
Herzenssache
Super-B
bor
b Sel Ich-La
Zielfokussierung
ody
ste r
fahr
ung
ische Motivat Intrins ion Rahmensteuerung
Körperdenken
Abb. 5. Die Landkarte der Höchstleistung (III.2)
Was Selbstmanagement auszeichnet
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Kapitel 3
DIE FORMEL FÜR DAS „ICH-LABOR“ Die bekannteste und auch wichtigste „Formel“ für das „Ich-Labor“ stammt von Frederick H. Kanfer (Kanfer et al., 1991). Er entwickelte einen mehrstufigen „Selbstmanagement-Prozess“, der solche Wege der Selbstentwicklung ermöglichen soll. Und zwar nicht im „Alleingang“, sondern in Zusammenarbeit mit einem Trainer oder Psychologen, der als Katalysator, als „Verwalter“ und auch als „Repräsentant“ dieses Rahmenwerks dient.
Kanfer leitete sein Vorgehen aus vielen Erkenntnissen der Psychologie für Interventionen in der Selbstmanagement-Therapie ab. Er verarbeitete das umfangreiche psychologische Wissen über Motivation, über Aufmerksamkeit und Wahrnehmung, die Informationsverarbeitung, das Gedächtnis, über Strategien der Problemlösung, über Ziele und Werte der Menschen in sein Modell. Deshalb sind die Grundlagen und das daraus entwickelte Vorgehen besonders für schwierige und uneindeutige Situationen, wie sie im Hochleistungssektor üblich sind, geeignet und: das Modell bietet wegen seiner grundlegenden Evaluierung auf vielen Ebenen einen hohen Grad an Sicherheit für Psychologen, Trainer und Sportler.
3.1. DER SELBSTMANAGEMENTPROZESS Der Prozess vom ersten Kontakt zwischen Sportler und Psychologe über die gemeinsame Abklärung der Themen und Möglichkeiten des Einsatzes psychologischer Verfahren wird in Phasen beschrieben (Kanfer et al., 1991, S. 150 ff). „Phase 1“ wird „Schaffung günstiger Ausgangsbedingungen und Beziehungsaufbau“ genannt. Hier geht es um den Vertrauensaufbau zwischen Psychologe und Athlet, und um das Verstehen der Probleme, mit denen der Sportler zum Psychologen kommt. Und schließlich geht es auch noch darum, zu erfassen, was der Sportler vom Psychologen oder der Psychologin erwartet. In „Phase 2“ geht es um den „Aufbau der Änderungsmotivation und die vorläufige Auswahl von Änderungsbereichen“. Wie der Name schon andeutet, wird in diesem Stadium der Arbeit versucht, den Sportler aus seiner Problemorientierung zu holen. Es kann sein, dass bestimmte negative
Denkmuster den Sportler oder die Sportlerin einschränken, es kann sein, dass ein Sportler als hoch talentiert angesehen wird, er aber sein Talent nicht in Arbeit und Selbstüberwindung umsetzt. Der Sportler soll verstehen, in welchem Bereich des „psychologischen Quadrats“ er sich am günstigsten verändern soll, und wie er das Zusammenspiel von Emotion, Denken und Handeln neu gestalten will. Deshalb wird er u.a. dazu angehalten, über die positiven Aspekte einer Veränderung und den Abbau von problematischen Verhaltensweisen nachzudenken. Das wiederum kann helfen, persönliche „Lebens- und Wertziele“ zu definieren. Lebensziele und Werte sind der (oft nicht bewusste) Motor der Persönlichkeitsentwicklung. In „Phase 3“ wird eine „Verhaltensanalyse“ über den IST-Zustand vorgenommen und das so genannte „funktionale Bedingungsmodell“ erstellt. In der „kontextuellen Verhaltensanalyse“ wird hinterfragt, welche Gedankenwelten, d.h. welche übergeordneten Pläne, Ziele und Regeln mit dem Verhalten einhergehen. Kurz: Das Zusammenspiel von Fühlen, Denken und Tun wird minutiös untersucht. An diese Durchleuchtung des Verhaltens schließt als „Phase 4“, das „Vereinbaren psychologischer Ziele“, also der SOLL-Zustand, an. Jetzt wird definitiv festgelegt, woran und wohin Psychologe und Sportler gemeinsam arbeiten werden. „Phase 5“ ist der „Planung, Auswahl und Durchführung spezieller Methoden“ gewidmet. Hier wird, auf der Basis der Schritte 1 bis 4, ein „maßgeschneidertes psychologisches Training“ zusammengestellt. Gleichzeitig werden Vorbereitungen für die Erfolgsüberprüfung getroffen. Zu letzterer kommt es dann auch umgehend in „Phase 6“, der „Evaluation psychologischer Fortschritte“. Sie sorgt dafür, dass es zu einer fortlaufenden Überprüfung des psychologischen Prozesses kommt. Es wird also „gecheckt“, ob die ausgewählten Methoden „greifen“ und notfalls eine Korrektur vorgeschlagen. Die Korrektur kann allerdings auch weiter zurückgehen; sogar bis zum „hypothetischen Bedingungsmodell“, das gegebenenfalls ebenso einer Neuausrichtung bedarf. Insofern ist Phase 6 von fundamentaler Bedeutung: Hier wird das Arbeiten mit Feedback und Feedbackschleifen als Struktur verankert; dies ist für jegliches Selbstmanagement und für jegliche Selbstentwicklung fundamental. Die siebente Phase – die „Endphase“ – hat die „Erfolgsoptimierung und den Abschluss des Psycho-Trainings“ zum Inhalt. Hat der Sportler einmal die Phasen 1 bis 6 durchlaufen, so hat er auch schon gelernt, mit Problemen auf eine ganz bestimmte Weise umzugehen. Diese „eigenständige Problemlösungskompetenz“ soll abschließend vertieft und gefestigt werden; u.a. dadurch, dass der Sportler erlernt, selbständig die erworbenen Problemlösungs- oder Selbstmanagementkompetenzen anzuwenden. 24
Kapitel 3
Das Phasenmodell kann so flexibel gehandhabt werden, dass es gut an die Anforderungen und zeitlichen Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen Sportler und Psychologe und an den Entwicklungsstand des Sportlers angepasst werden kann. Wenn möglich, ist es sinnvoll, die Phasen in ihrer Abfolge zu beachten. In der praktischen Arbeit mit Sportlern greifen die Phasen ineinander über. Ich habe häufig erlebt, dass man den „psychologischen Weg“ auf der Basis der Phasen sehr präzise und abgekürzt gestalten kann. Ich habe die Phasen und die Struktur aber immer als hilfreichen roten Faden im Hinterkopf.
3.1.1. VOM PHASENMODELL ZUM TRICHTERMODELL Im Laufe der sportpsychologischen Arbeit wird man immer spezifischer auf die Persönlichkeit der Sportlerin und des Sportlers eingehen.Von der Fülle an möglichen Interventionen wird man diese einsetzen, die für die Situation und die Person am besten geeignet sind. Mit „Trichter“ ist gemeint, dass die Verfahren immer besser auf die Sportlerin zugespitzt werden. Das Trichtermodell wird an die jeweilige Arbeitssituation und an die Ziele (Phase zwei) angepasst. Für eine Kurzzeitintervention wird man bestimmte Einzelelemente und Techniken nehmen. Bei einer längerfristigen Zusammenarbeit gibt es die Möglichkeit, die Athleten umfassender zu betreuen. In den Phasen eins und zwei werden zusätzlich Informationen über die Zusammenhänge von Psyche und Körper angeboten. Diese sind Elemente der Kooperation und des Beziehungsaufbaus. Der Stress stellt eine gute Möglichkeit dar, das komplexe Gefüge von Emotionen, Gedanken, Körper und Aktivitäten deutlich zu machen. Wettkampfstress, Anforderungen des Trainings, das Wechselspiel von Erholung und Belastung, Überbeanspruchung oder Unterforderung, die Auswirkungen des Grübelns und negativer aber auch positiver Gedanken, die Körpersprache und das innere Sprechen können anhand von Stressmustern gut dargestellt werden. Die Information über diese Themen ermöglicht ein Verständnis für die Abläufe im Körper. Alle Interventionen sind mit diesem Wissen leichter zu verstehen und werden für die Athleten einsichtiger. Die Informationsdichte muss inhaltlich und sprachlich an das Alter und die Entwicklung der Sportler angepasst werden. Diese allgemeinen Informationen können der gesamten Mannschaft oder dem Team angeboten werden. Damit bekommen alle Teammitglieder ein Gefühl dafür, was Psychologie ist und wie Psychologen arbeiten. Anhand des Stressmodells kann bereits auf typische schwierige Situationen eingegangen werden. Wenn der Sportler schildert, wie er mit dem Stress vor dem Wettkampf umgeht, was er körperlich und emotional spürt,
Die Formel für das „Ich-Labor“
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wie er denkt und welche Aktivitäten er setzt, dann verwendet dies die Psychologin gleichzeitig als erstes Element der Diagnose.
Abb. 6. Das „Phasen- und Trichtermodell“ der Höchstleistung
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Die Informationen über Möglichkeiten der Sportpsychologie, über Zielfindung und Motivation, über Selbstwert und Selbstwirksamkeit oder über die Zusammenarbeit mit Eltern und das Verhältnis Eltern – Sportler – Trainer könnten in weiteren Informationsblöcken vermittelt werden. Für Athleten, die der Sportpsychologie skeptisch gegenüber stehen, senken die Informationen die Schwelle gegenüber der Psychologie. Nach den ersten Diagnoseelementen (im Modell Diagnose I) und der Verhaltensanalyse (Phase drei IST-Analyse) können die Ziele der Sportlerin bereits konkret gefasst werden (Phase vier SOLL-Zustand). Für die Erreichung bietet die Psychologin verschiedene Methoden und Techniken (Phase fünf Methoden) an, die auf die Ziele und die Sportlerin zugeschnitten sind. Diese werden geübt und im täglichen Trainingsprozess umgesetzt. Das können Entspannungsverfahren, Selbsthypnose, Konzentrations- und Visualisierungsübungen oder kognitive Verfahren (Techniken I und Techniken II) sein. Im Detail werden Techniken im Teil VI,Techniken und Methoden, beschrieben. Häufig wird die Sportlerin einen Mix aus diesen Methoden anwenden, je nachdem, was die Analyse des psychologischen Quadrats ergibt. Die Sportlerin führt die Übungen durch und setzt sie im Training, im wettkampfnahen Training und in Wettkämpfen ein. Der Erfolg wird überprüft (Phase sechs Evaluation). Erweisen sich die Techniken als praktikabel und nützen sie der Sportlerin, werden sie verfeinert und können im weiteren Lernprozess meist kürzer und rationeller gestaltet werden. Kommt die Sportlerin mit ihnen nicht zurecht, werden neue angeboten oder die Motivlage der Sportlerin neu analysiert (Phase sieben Erfolgsoptimierung). Der Prozess beginnt wieder bei Phase drei oder vier, allerdings auf höherer Ebene, denn die Sportlerin hat mittlerweile eine Reihe neuer Erfahrungen unter kontrollierter Praxis gemacht und kann diese für die nächsten Schritte nutzen. Wie in einem Trichter werden die Methoden und Techniken immer genauer an die Bedürfnisse der Sportlerin angepasst. Ich halte dieses – auf den ersten Blick aufwendige – Vorgehen im Bereich der Höchstleistung für äußerst zweckmäßig und rentabel. Die Abbruch- und Ausfallsquoten von Spitzensportlern in Leistungszentren und Olympiastützpunkten sind hoch. Die Ausfälle könnten auf die zu geringe Beachtung der psychologischen Aspekte auf dem Weg zur Höchstleistung zurückgeführt werden.
Die Formel für das „Ich-Labor“
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3.2. PSYCHOLOGIE SPORT WISSENSCHAFT Selbstmanagement unterstützt die Sportler in mehreren Aspekten: – Sie lernen, das eigene Verhalten in speziellen Situationen in Richtung der persönlichen Ziele zu steuern; – Sie lernen, bestimmte physiologische Erregungsmuster und Emotionen zu erkennen und zu beeinflussen („Denken mit dem Körper“); – Sie lernen, mit gedanklichen Prozessen (z.B. Selbstabwertung „ich bin dazu nicht imstande, die anderen können das besser“) zielführender umzugehen und die eigene Gedankenwelt in Einklang mit den Zielvorstellungen zu bringen; – Sie lernen, zukunftsorientiert zu denken. Die Analyse der Probleme ist die Voraussetzung für deren Lösung (Kanfer et al., 1991, S. 37 ff). Die psychologischen Argumente für die menschliche Selbstentwicklung lassen sich nach Kanfer et al. (1991, S. 38 ff) folgendermaßen zusammenfassen: (a) Wahrgenommene Kontrolle erhöht die Motivation Wenn ein Mensch an der Zielbestimmung und der Kontrolle der Lebensbedingungen stärker beteiligt wird, investiert er mehr Energie in die Zielerreichung; gleichzeitig erscheinen ihm die Ziele attraktiver. (b) Wer selbst gesteckte Ziele verfolgt, erhöht die eigene Motivation Sportlerinnen mit erhöhter Motivation werden mehr Versuche als andere machen, ihre Grenzen zu überschreiten und Neues auszuprobieren. Mit hoch Motivierten ist es nicht immer einfach zusammen zu arbeiten, aber sie sind das Salz des Hochleistungssports. (c) Selbstmanagement verringert Widerstand und Gegenkontrolle Wer in die Veränderungsprozesse eingebunden wird, wehrt sich weniger dagegen. Das erhöht die Beteiligung der Sportlerinnen und Sportler am Training und am Mitdenken. (d) Die Wahrnehmung von Kontrolle erhöht die Selbsteffizienz Wer das Gefühl hat, dass er sein Leben und die Umstände mitgestalten (kontrollieren) kann, der wird immer effektiver handeln („self-efficacy“, Bandura 1977) und erhöht sein Selbstvertrauen; wenn eine Tennisspielerin oft die Erfahrung macht, dass sie selbst es ist, die eine Verbesserung zustande bringt, dann wird sie eher versuchen, die Qualität ihres Spiels effizienter zu gestalten. Selbst-Effizienz bringt schnelleren Fortschritt. (e) Die Selbstattribution – eine Folge der Selbstregulation – verstärkt unabhängige Handlungen Der psychologische Terminus Attribution bedeutet „Zuschreibung“. Wer sich einen Erfolg selbst zuschreibt, unterscheidet sich in der lang28
Kapitel 3
fristigen Entwicklung von jemandem, der seinen Erfolg anderen (der Trainerin, den Eltern, dem Umfeld, dem Zufall, den Bedingungen etc.) zuschreibt. Wer spürt, dass er selbst mit seinem Handeln die positiven Veränderungen hervorruft, erhöht die Risikobereitschaft und handelt immer selbständiger. (f) Durch Selbstmanagement werden soziale und ethische Werte gewährleistet Wer in Entscheidungsprozesse eingebunden wird, bekommt mehr Rechte und eine erhöhte Eigenverantwortung. Die Frage der „Rechte des Sportlers“ (z.B.Weitergabe von psychologischen oder medizinischen Daten) ist unter dem Aspekt des Selbstmanagements in ethisch verantwortbarer Weise gewährleistet. (g) Selbstmanagement erleichtert die Generalisierung der psychologischen Lernprozesse Wer erkennt, dass er mit den eigenen Interventionen („ich ziehe mein Spiel durch“) erfolgreich ist, wird diese auch auf andere Bereiche übertragen können (Transfer von Fähigkeiten). Damit verringert sich die Abhängigkeit von anderen Personen und erhöht sich das „Selbstwissen“. Selbstmanagement erhöht das Commitment, die Selbstverpflichtung der Sportlerinnen und Sportler.
3.3. WIE IN DER WISSENSCHAFT Eine mit Fragen und Denkanstößen arbeitende Rahmensteuerung lässt sich auch „formalisieren“, das heißt: Sie lässt sich auch etwas „rezeptartiger“ darstellen. Was Frederic Kanfer mit Hans Reinecker und Dieter Schmelzer entwickelt hat, steht in einer langen Denk-Tradition darüber, wie wissenschaftlich gearbeitet werden soll. In den meisten Forschungsarbeiten wird zu Beginn eine (a) Problemanalyse oder –beschreibung gemacht, und danach werden (b) jene Ziele bestimmt, die man im Rahmen der Forschung verfolgen will. In weiterer Folge werden (c) Methoden ausgearbeitet und angewandt, mit denen die definierten Ziele erreicht werden sollen. Dabei werden „Hypothesen“ und „Theorien“ gebildet. Zu diesen drei Hauptschritten kommen schließlich hinzu (d) die Evaluierung oder „Messung“ der Fortschritte bezüglich der Zielerreichung und (e) der Sprung zurück zu den Stufen a, b oder c, falls sich eine der Methoden oder auch ein Ziel als unzulänglich oder unpassend erwiesen hat. Die Formel für das „Ich-Labor“
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3.3.1. DAS NATUR-LABOR Der Philosoph Karl R. Popper (1994) beschreibt die „wissenschaftliche Methode“ mit einem „vierstufigen Schema“, wie er es nannte. Demnach steht am Beginn der wissenschaftlichen Forschung „Das ältere Problem“ (= Stufe 1), dem mit „versuchsweiser Theoriebildung“ (= Stufe 2) begegnet wird. Diese werden auf Stufe 3 „Eliminationsversuchen (von „eliminieren“, „rauskicken“) durch kritische Diskussion einschließlich experimenteller Prüfung“ unterzogen, was dazu führt, dass „die neuen Probleme“ entstehen, „die aus der kritischen Diskussion unserer Theorien entspringen“ (= Stufe 4). Dieses Schema, dessen Ähnlichkeit mit den in den Punkten a bis d skizzierten Abläufen unverkennbar ist, wurde von Karl Popper primär für die naturwissenschaftlichen Labors (das „Natur-Labor“) erfunden, in dem physikalische oder bio-chemische Phänomene erforscht werden. Doch es gibt solche Schemata auch für die „Ich-Labors“, in denen man nicht die Welt, sondern sich selbst erforscht. Um so, im Zusammenspiel mit seinem „Sparring-Partner“, zum „Wissenschafter seiner selbst“, zum Selbstmanager zu werden. Allerdings ist Wissenschaft etwas anderes als Training, das sportliche Höchstleistung als Focus hat. Dennoch sind diese Prozesse sehr ähnlich: In beiden Fällen geht es um ein Denken in Zielen und Methoden, mit denen sich diese Ziele erreichen lassen. In beiden Fällen sollen Motivationen geweckt und Verhaltensweisen verändert werden und zwar durch eine Mischung aus Training und Reflexion, die Selbstentwicklungsprozesse in Gang bringt. In beiden Fällen spielt das psychologische Quadrat von Denken, Fühlen, Körper und Handeln eine zentrale Rolle.
3.3.2. DER GEIST DER AUFKLÄRUNG Kann JEDER ALLES lernen? Wer Lernen als Arbeit am eigenen Stil betrachtet, nimmt eine Werthaltung ein. Das Entwicklungsziel „persönlicher Stil“ verlangt das Plädoyer für persönliche Freiheit, sich so und nur so zu entwickeln, wie es zu den eigenen Grenzen passt. Dies entspricht der Idee der liberalen Gesellschaft, wie sie im Europa des 17. und 18. Jahrhunderts entworfen wurde. Man entwickelte gesellschaftliche Strukturen, die jedem Menschen Freiheit geben sollten und so gestaltet sind, dass das Ausleben der Freiheit des einen nicht zum „Gefängnis“ des anderen wird. Es ist der „Geist der Aufklärung“. 30
Kapitel 3
Karl Popper formulierte die ethischen Momente der Wissenschaft: Kritische Vernunft, Bescheidenheit, Intellektuelle Redlichkeit, Toleranz und Verantwortung. Die kritische Vernunft erfindet Problemlösungen und hinterfragt diese. Gleichzeitig ist man nur einer unter vielen Wissenschaftern, der Theorien entwickelt und das bedingt laut Popper Bescheidenheit. Sie hält die Wissenschaft mit ständigem Nachfragen und Neuformulieren in Schwung. Je stärker die Wissenschafter mit Theorien und Projekten um Auftragsgelder in Konkurrenz stehen, desto notwendiger wird die intellektuelle Redlichkeit. Wissenschafter, die mit diesen Kriterien arbeiten, entwickeln die „Liebe zur Wahrheit“.
3.4. DIE „LIEBE ZUR WAHRHEIT“ IM ICH-LABOR Die fünf Säulen der wissenschaftlichen Methode finden sich auch im Selbstmanagement. Die „Liebe zur Wahrheit“ zeigt sich im Zuhören und Eingehen auf die Sportler und in der Suche nach den passenden Problemlösungen. Sie beginnt mit der Analyse der Ziele und Motivationen in Phase zwei und endet in Phase sieben des Vorgehens im Selbstmanagement. Die kritische Vernunft findet sich in den Phasen fünf und sechs mit der Auswahl der Methoden und der Evaluation der Fortschritte. Die Problemanalyse verlangt intellektuelle Redlichkeit in Reinkultur. Auf intellektuelle Bescheidenheit wird großer Wert gelegt: Die Arbeit des Trainers und des Psychologen wird nicht durch Allmachtsphantasien sondern durch kluge kreative Lösungen bestimmt. Toleranz und Dialog sind selbstverständliche Bestandteile dieses Vorgehens. Meine Erfahrungen mit Trainerinnen und Trainern entsprechen diesem „wissenschaftlichen Ansatz“. Die Gespräche nach den Trainings, die Analysen sind geprägt von hoher Verantwortung für die Jugendlichen und der ständigen Suche nach Lösungen für deren Weiterentwicklung. Auf andere Weise zeigt sich die Wirkung des Selbstmanagement-Ansatzes in Mannschaften. Immer wieder kommt es vor, dass ein Team mit dem Rücken zur Wand steht und bereits auf der Verliererstrasse zu sein scheint. Wenn die Mannschaft dann nicht mehr taktisch und pragmatisch spielt, sondern auf Moral setzt, kommt eine plötzliche Umkehrung des Spielverlaufs zustande. Das Team, das eben noch mit 0:2 im Rückstand lag, geht 10 Minuten später mit 3:2 in Führung. Nichts verunsichert eine gegnerische Mannschaft mehr als wenn diese „urtümliche Kraft der Moral“ und der mit ihr verbundene Antrieb spürbar werden.
Die Formel für das „Ich-Labor“
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Eigenverantwortung
Abb. 7. Die Landkarte der Höchstleistung (III.3)
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Kapitel 3
Kapitel 4
SCHRITT FÜR SCHRITT IM SELBSTMANAGEMENT „Man muss immer den nächsten Schritt vor Augen haben. Wo will ich hinkommen, wo soll der Weg hingehen? Ich glaube, man muss sehr viele kleine Ziele aneinander ketten, um ein großes zu erreichen. Die Dimension, die Nummer eins zu sein, hat sich in meinem Kopf erst viel später festgesetzt.“ Thomas Muster, 1996 Tennis Weltranglistenerster.
Wie gehen Sie jetzt als Sportlerin oder Trainer mit diesem siebenstufigen Rahmenwerk um? -Und zwar so, dass es etwas „Kunstvolles“ hat? Damit es nicht zu einem sturen „Herunterbeten“ von Formeln und Schritten wird, die „sklavenhaft“ befolgt werden müssen? Damit wirklich so etwas wie Selbstentwicklung, wie Lernen passiert? Rahmenwerke liefern Orientierungspunkte. Sie sollen dazu anhalten, in einer ganz bestimmten Reihenfolge über etwas nachzudenken. Das gilt auch für den Selbstmanagement-Ansatz; ja, für diesen erst recht. Schließlich will er ja, wie sein Name schon sagt, helfen, sich selbst zu „managen“ oder zu „organisieren“. Sie finden beispielsweise heraus, was Ihnen emotional wirklich wichtig ist und wie Sie den „richtigen Dreh“ für sich entdecken. Insofern geht es im Selbstmanagement in erster Linie darum, permanent aber dabei doch logisch geordnet Fragen zu stellen und daraus Lösungen zu erarbeiten. Ich präsentiere den Prozess des Selbstmanagements vorläufig als ein System von Fragen, die den Zweck haben, die Selbstreflexion der Sportler zu unterstützen. Über die Selbstreflexion führt der Weg zu extrem individuellen Lösungen. Mir ist wichtig klarzustellen, dass Sie nicht unbedingt genau diese Fragen stellen müssen. Sie sollen nur eine Richtung vorgeben und zeigen, wann und in welchen Situationen welche Art von Fragen günstig ist. Wenn für Ihre Sportart und Ihre Athletinnen in den einzelnen Selbstmanagement-Phasen ganz andere Fragen zählen, ist das auch in Ordnung. Das gilt auch dann, wenn Sie nicht als Sportlerin oder Sportler, sondern als Trainerin oder Trainer dieses siebenstufige Rahmenwerk nutzen. Oder wenn, was am wahrscheinlichsten ist, Sie zu zweit, das heißt in einer TrainerSportler-Beziehung miteinander arbeiten. Folgendes „Frage-Spiel“ könnte sich dann zwischen ihnen abspielen:
4.1. „SCHRITT EINS“: BEZIEHUNG UND GÜNSTIGE AUSGANGSBEDINGUNGEN SCHAFFEN Am Anfang geht es vor allem darum, eine tragfähige Beziehung zwischen Sportler und Trainer aufzubauen. In der „Warm Up“-Phase kommt man miteinander ins Gespräch und redet möglichst offen miteinander.Wie das in der Praxis aussieht und welche Fragen das inkludiert, möchte ich am Beispiel von Peter und Iris schildern. Iris war bereits 17, als sie zu Peter ins Tennis-Training kam. Der Grund dafür waren ihre, wie sie fand, „regelmäßigen Konzentrationseinbrüche“, mit denen sie spätestens nach drei oder vier gut gespielten Games zu kämpfen hatte. Nach einigen Bemerkungen über den Tennissport wurde Peter bald konkreter. „Was stellst Du Dir vor: Wohin soll Dich unsere gemeinsame Arbeit führen?“, wollte er zu Beginn wissen. Iris sagte, sie habe gehört, dass er gut sei und deshalb wolle sie mit ihm arbeiten. Peter meinte, andere Trainer seien auch gut. Und er begann die Erwartungen, die Iris an die gemeinsame Arbeit hatte, abzuklären. Als Iris sehr vage blieb, hakte er nach: „Mir wäre es wichtig, dass du mir genau beschreibst, was ich für dich tun soll. Was meinst du damit, wenn du sagst, dass du ‚mehr Erfolg’ erhoffst?“ „Dass ich in Zukunft diese Matches gewinne, die ich von meinem Können her gewinnen kann“, sagte Iris. Ein lockeres, aber doch fokussiertes Gespräch kam zustande, in dem Iris zweifellos im Zentrum stand und spürte, die „Fordernde“ zu sein. Das erleichterte ihr das Reden. Iris kam schließlich an den Punkt, an dem sie meinte, es sei ihr Ziel, die Konzentration ein ganzes Spiel lang halten zu können. Hier hakte Peter erneut nach: „Glaubst du, dass diese Erwartungen an mich realistisch sind?“, fragte Peter. Das führte zu einem längeren gemeinsamen Nachdenken darüber, was er wirklich tun könne – und was er sich umgekehrt von Iris erwarte. Peter ging ähnlich vor wie Frankie Dunn in Million Dollar Baby. Schritt für Schritt, oder besser: Frage für Frage arbeiteten sich die beiden so weit vor, bis ein erstes grobes Bild davon gezeichnet war, wie denn das gemeinsame Training aussehen würde. Eine erste Basis war damit geschaffen und es war klargestellt, dass die beiden miteinander arbeiten würden.
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Kapitel 4
Aus diesem Grund ließ Peter Iris ihre Probleme ausführlich darlegen. Er wollte einen „Gesamtüberblick“ haben, wie er es formulierte; auch deshalb, um evaluieren zu können, was das Training gebracht hat, respektive um einen „Vorher-Nachher-Vergleich“ anstellen zu können.
4.1.1. EIN GESPRÄCHSPROTOKOLL Nachdem sie zu erzählen begonnen hatte, richtete Peter weitere Fragen an Iris: (1) Du meinst also, dass du im Spiel permanent konzentriert sein musst? Glaubst du, dass das möglich ist? Ja natürlich, alle sind es, nur ich nicht. (2) Kannst du mir genauer beschreiben, wie du dir deine ideale Spielleistung vorstellst? Ich möchte jede Sekunde hoch konzentriert sein. (3) Welche Versuche hast du schon unternommen, diese Konzentrationseinbrüche zu verhindern? Ich habe mir vor Beginn fest vorgenommen, mich das ganze Spiel hindurch zu konzentrieren. Aber es ist mir noch nie gelungen. Vor allem, wenn ich in Führung bin, ist die Konzentration weg. (4) Der Einbruch kommt also immer dann, wenn du drei, vier gute Games gespielt hast? Ja, das ist häufig so. (5) Erinnere dich an dein letztes Match, in dem es dir so ergangen ist. Was ist dir durch den Kopf gegangen? Gar nichts am Anfang, als ich in Führung lag. Irgendwann habe ich dann gespürt, dass ich anders spiele als vorher, nicht mehr so direkt auf den Winner, ich habe spielerisch gespielt. Also zum Beispiel einmal einen unnötigen Stopp-Ball, der ins Netz gegangen ist, und dann machte ich ähnliche unsinnige Fehler, statt dass ich so weiter gespielt hätte wie vorher. Und die Gegnerin machte Punkt um Punkt und kam mir dann immer näher. Und dann war bei mir die Konzentration weg. Ich wusste nicht mehr, wie ich spielen sollte. Und plötzlich hatte ich auch keine Kraft mehr im Körper. Ich dachte mir, jetzt geht es mir sicher wieder so wie beim vorigen Match gegen XX. Und dann habe ich das Match tatsächlich verloren. (6) Passiert dir das wirklich immer oder nur manchmal? In letzter Zeit fast immer. Schritt für Schritt im Selbstmanagement
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(7) Als es dir nicht passiert ist, was hast du da gemacht.Was war anders? Ich habe so weiter gespielt wie vorher. Ich hatte eine ziemliche Wut auf die Gegnerin, und dachte mir, der zeige ich es. Da dachte ich an nichts anderes. (8) Kannst du nicht immer so mit Wut und Aggressivität spielen? Das will ich nicht. Ich will auch Spaß beim Tennis haben. (9) Passen Spaß und Erfolg in diesen Situationen zusammen? Ich müsste nur besser konzentriert sein. (10) Ist es wirklich die Konzentration? (Denkt nach).Vielleicht, ich weiß nicht. (11) Wenn ich das bisherige Gespräch Revue passieren lasse, ist die Konzentration das Problem oder nicht doch etwas anderes? Ja, es kann schon sein, dass ich falsch denke und dann falsch spiele. (12) Wenn das so ist, was müsstest du tun, damit du gewinnst? Ich müsste mein Spiel durchziehen. (13) Wenn ich dir eine Skala von null bis zehn vorgebe: als wie stark würdest du dein Problem einschätzen. Angenommen, null bedeutet „katastrophal“ und zehn bedeutet „ich habe überhaupt kein Problem damit“, wo würdest du derzeit liegen? So bei drei ungefähr. (14) Wo möchtest du hin auf der Skala? Ich will das Problem weghaben. (15) Also, wo möchtest du hin? Ja, auf 10 natürlich. (16) Das ist gut. Aber ich schlage vor, mach es Schritt für Schritt.Was müsste geschehen, dass du auf die nächste Stufe, also auf vier kommst?
4.1.2. DAS METAMODELL DER FRAGESTELLUNG Das Gespräch ging noch weiter, aber einige typische Elemente des Beziehungsaufbaus und der Informationsgewinnung sind im bisherigen Ablauf bereits zu erkennen. Die Fragen dienten dem besseren Verständnis und der Informationsgewinnung (Frage 1), der Konkretisierung des Problems (Fragen 2, 4, 5), dem Nachdenken über Alternativen (Frage 7 und 8) oder der Suche nach Regelmäßigkeiten im Denken und Verhalten von Iris (Frage 6). In Frage 5 sind auch die vier Seiten des psychologischen Quadrats angesprochen. Peter sagte zwar allgemein „was ging dir durch den Kopf“, aber er meinte Gedanken, Gefühle, Körper und Handeln. Iris antwortete denn auch mit „Handeln und Spüren“ (ich merke, ich spiele anders), mit Körper 36
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(keine Kraft mehr), mit Denken und Erwartungen (es wird so sein wie im vorigen Match). Interessant ist, dass bei Iris der Weg zur Niederlage automatisiert beginnt: „Ich spiele dann verspielt und merke es anfangs nicht“. Im späteren Teil des Gesprächs behandelte Peter diesen Vorgang. Er arbeitete mit Iris Signale heraus, mit denen sie den automatisierten Prozess im Spiel erkennen, erspüren und schließlich unterbrechen lernte. Peter sprach weiters „eigene Lösungsversuche“ der Spielerin an (Frage 3). Das ist eine wichtige Frage, denn sie weist auf die bisherigen eigenen Bemühungen der Sportlerin hin. Damit kann er ihr einerseits vermitteln, dass sie viel unternommen hat, also selbst aktiv war und sich nicht ihrem Schicksal ergeben hat. Gleichzeitig erkennen beide aus dem Misserfolg dieses Versuchs, dass eine andere Strategie notwendig ist. Er führt damit die Regel „Triff eine Unterscheidung“ ein (siehe 5.3.). Die Zukunftsorientierung sprach Peter mit der Frage zwölf an. Diese Frage erweckt Optimismus und Motivation. Ein weiteres typisches Element ist, dass Peter immer wieder zum Kernthema (Konzentration) zurückkehrt. Nach dem „Umweg“ über Denken, Fühlen, Handeln und Körper (Frage 4) und dem Hinterfragen der Denkmuster von Iris (Fragen sieben bis elf) ist er wieder beim Thema Konzentration (Fragen 10 und 11). Ein derartiges Gespräch verläuft typischerweise in Schleifen und Rückkoppelungen. Ein anderer Fragenkomplex sollte die Ressourcen und psychischen Kräfte der Sportlerin ansprechen. Peter tat dies im weiteren Verlauf des ersten Gesprächs. Ich halte es nach Steve de Shazer (2003) für sinnvoll, die Fragen mit Skalen zu verbinden (Fragen 13 bis 16). Das ermöglicht eine subjektive Konkretisierung, einen Maßstab und die angepeilte Veränderung wird damit konkret fassbar und subjektiv messbar. Die Fragen waren erste Versuche, Iris eine andere Problemsicht zu vermitteln und ihr zu verdeutlichen, dass das Problem kein „Schicksal“, sondern bei entsprechendem Einsatz zu bewältigen ist (etwa durch die Fragen 8 und 9). Der Verlauf war so, dass Iris die Antworten gab und sie selbst es war, die die Ideen zum Erfolg formulierte. Damit übernahm sie Verantwortung. Denn wer seine selbst gewählten Lösungen und Ziele ausspricht, gibt sich selbst den Befehl, diese auch umzusetzen. Die Kunst des Trainers war es, die Fragen so zu stellen, dass Iris lösungsorientierte Antworten fand. Das Fragenpaket ist als Diagnose- und Veränderungsinstrument zu sehen. Peter nutzte Iris’ Problemdarstellung für „Interventionen auf FragenBasis“, die in Gang bringen sollte, worum es im Selbstmanagement letztlich geht: eine umfassende Selbstreflexion und Selbstentwicklung! Schritt für Schritt im Selbstmanagement
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4.1.3. REGELN UND TECHNIKEN DER FRAGESTELLUNG Die Technik des Fragens hat in Strukturen, in denen das Zeitbudget gering und das Bedürfnis nach klaren Vorgaben hoch ist, nicht das Image von Erfolgsunterstützung. „Wer viel fragt, geht viel irr“, sagt der Volksmund. Sowohl im Sport als auch in der Wirtschaft ist das Bedürfnis nach guten Ratschlägen und schnellen Tipps groß. Einfache Techniken und präzise Regeln sind natürlich wichtig und auch in diesem Buch wird mit Regeln und Tipps gearbeitet. Regeln können dann angewendet werden, wenn die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für ihre Anwendung klar sind. Gleichzeitig aber erkennt man immer mehr, dass „Führung durch Fragen“ in komplexen Situationen ein wichtiges Element der Veränderung und Neuorientierung ist.Vor allem dann, wenn es darum geht, das gesamte Potenzial der „Mannschaft“ zu entwickeln. Diese Fragetechniken beziehen sich auf komplexe Situationen und Umstände, in denen die Gründe des Problems und die Antriebskräfte der Person nicht klar sind. Die Regeln, die im vorigen Gesprächsprotokoll zur Anwendung kamen: – Stellen Sie die Fragen so, dass Sie möglichst viele Informationen gewinnen. – Bleiben Sie mit den Fragen beim wesentlichen Thema. Kehren Sie immer wieder zum Thema zurück. – Stellen Sie die Fragen konkret. – Stellen Sie die Fragen auf den vier psychologischen Ebenen: Denken, Fühlen, Handeln, Körper. – Denken Sie bei Ihren Fragen an automatisierte Vorgänge, also solche, die dem Sportler nicht bewusst sind. – Sprechen Sie mit den Fragen bisherige Lösungsversuche des Sportlers an. – Ermöglichen Sie mit den Fragen das Denken in Alternativen. – Fragen Sie nach Regelmäßigkeiten im Verhalten, Denken und Fühlen (eingefahrene Denkmuster). – Fragen sie nach „Brüchen“ oder Unregelmäßigkeiten im Denken und Verhalten. – Ermöglichen Sie mit den Fragen, dass die Regel „Triff eine Unterscheidung“ vom Sportler immer automatisierter angewendet wird. – Sprechen Sie mit den Fragen die Kompetenzen und Ressourcen der Sportler an. – Sprechen Sie die Zukunftsorientierung der Jugendlichen an. – Vermitteln Sie mit den Fragen Zuversicht und eigene Gestaltungsmöglichkeit.
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Kapitel 4
– Klären Sie die Zeitperspektive („bis wann möchtest du das erreichen?“). – Klären Sie damit auch die Reihenfolge der Schritte des Vorgehens. – Stellen Sie Fragen nach der Intensität des Problems und führen Sie eine subjektive Skala von null bis zehn (oder null bis hundert) ein.
4.2. „SCHRITT ZWEI“: AN DER MOTIVATION UND DEN ZIELEN ARBEITEN Als Trainerin oder Trainer haben Sie in der „Phase 1“ Informationen über die Probleme der Athletin erhalten. Und als Sportlerin oder Sportler wissen Sie bereits, dass Sie sich auf eine Beziehung eingelassen haben, die Arbeit bedeutet – eigenständige Arbeit an SICH selbst. Wohin diese Arbeit führen soll, ist aber erst grob umrissen. Freilich: Über Alternativen ist schon nachgedacht worden – aber welche wollen Sie nun als Sportlerin wirklich verfolgen? Was genau wollen Sie erreichen? Ist es, um beim Beispiel von Peter und Iris zu bleiben, wirklich die „totale Konzentration“ über ein Tennismatch hinweg? Oder muss es vielmehr darum gehen, zu lernen, in „Konzentrations-Zyklen“ zu denken? – Das würde bedeuten, dass man ganz gezielt für eine bestimmte Zeit lang, z.B. für zwei Games, die Konzentration zurücknimmt, um danach konzentrationsmäßig umso „effektiver“ zu sein. Diese „Zielbestimmung“ erfolgt in „Phase 2“, wobei es durchaus verschiedene Ziele geben kann; Leistungsziele beispielsweise, die darin bestehen, den Aufschlag oder die Rückhand zu verbessern. Ebenso können und sollen in dieser Phase auch psychologische Ziele definiert werden – also Ziele, die mit Emotionen und Denken zusammenhängen. Motivationen sind das zweite große Thema dieser Phase. Im Normaloder Erfolgszustand sind leistungsorientierte Menschen natürlich ziel- und zukunftsorientiert. Aber im Misserfolg oder bei persönlichen Krisen verschwindet die Motivation häufig. Bei allen Erwartungen, mit denen Sie als Sportler oder Sportlerin an den Trainer herangegangen sind, und bei all dem Verständnis und dem Interesse, das umgekehrt Sie als Trainer oder Trainerin für Ihren „Schützling“ gezeigt haben: Dass es deswegen tatsächlich zu einer Veränderung, zu einem Aufbruch kommt, ist nicht gesagt. „Kurbeln“ Sie daher die vorhandenen Tendenzen zu einer Lust auf Veränderung „an“ und schaffen Sie „Änderungsmotivation“! Die Psychologie hat bisher erst wenige Theorien und Werkzeuge für die „Motivationsdiagnostik“ entwickelt (Kanfer et al., 1991, S. 61). Wir können kaum vorhersagen, ob oder wie stark eine Persönlichkeit in einem Jahr mo-
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tiviert sein wird. Gleichzeitig aber bietet das Selbstmanagement-Modell ein prozessorientiertes Vorgehen an, mit dem Motive und Motivation pragmatisch gut definiert und doch auch immer besser gemessen (z.B. Rheinberg, 2004) werden können. Erneut möchte ich in diesem Zusammenhang von Peter und Iris erzählen: Weil die Motivation umso größer ausfällt, je größer der Grad der Eigenverantwortung für das Tun ist (siehe Abschnitt 3.2.), hatte Peter von Anfang an versucht, Iris mit seinen Fragen nur Impulse zu geben: Sie sollte selbst erkennen, wo sie hin wollte und welche Schritte zu setzen sie bereit war. Nun fragte er ganz gezielt danach, wie sie sich ihr Tennisspiel am Ende ihrer Zusammenarbeit mit ihm vorstellte: „Was glaubst du: Wie wird deine Matchbilanz aussehen, wenn wir deine Probleme erfolgreich bearbeitet haben?“, wollte er z.B. von ihr wissen. Oder er streute ganz plötzlich, wenn sie mitten in der Arbeit waren, ein „Sag mir:Was wird sein, wenn du alle Deine Ziele erreicht hast?“ in das Gespräch ein. Den größten Effekt hatte es jedoch, wenn Peter die Frage „Und wen wirst du dann endlich regelmäßig schlagen können?“ stellte. Einer der Hauptanreize für Iris bestand nämlich darin, ihre Dauerkonkurrentin Renate, mit der sie in ihrem Verband um die „Vorherrschaft“ kämpfte, deutlich in die Schranken weisen zu können. Und zwar um ein deutliches Zeichen dafür zu setzen, dass sie jetzt endlich in die Profiliga aufgestiegen wäre. Immerhin war Renate bisher die einzige Landesmeisterin, die der Verband hervorgebracht hatte. Eine Siegesserie gegen Renate würde Iris „adeln“. Diese Strategie erwies sich als ausgesprochen effektiv. Immer wieder führte Peter Iris auf diese Weise zu ihren „Herzenswünschen“ zurück, was einige Motivationsschübe auslöste. Wollte er diese noch in Richtung Euphorie steigern, stellte er regelmäßig seine Lieblingsfrage, die einfach „Wofür brennst du?“ lautete. Auf diese Weise kam es zu einer „radikalen Emotionalisierung“ der Anreize, die Iris ihre Ziele umso genauer sehen ließ. Dieses Moment nützte Peter, um zu einer klaren Definition der Trainingsziele zu gelangen: Er begann in der Regel mit der Zielfindung, indem er mit Iris folgende Fragenblöcke diskutierte:
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Kapitel 4
(1) Du hast also dieses Konzentrationsproblem: Bitte formuliere für dich jetzt noch einmal ganz genau, was du dir – unter Berücksichtigung der Überlegungen, die du oben schon angestellt hast – von unserer gemeinsamen Arbeit erwartest:Wo geht es hin? (→ Konkretisierung des Ziels) (2) Ist dieses Ziel in der Tat realistisch? Hält es einer nochmaligen Überprüfung durch dich selbst stand? (→ Überprüfung des Ziels) (3) Welche Ressourcen und Kapazitäten brauchst du, um dieses Ziel zu erreichen? (→ Ressourcen-Analyse) (4) Über welche dieser Ressourcen verfügst du, welche fehlen dir, und noch allgemeiner: Welche hemmenden Faktoren stehen einer Zielerreichung im Weg? (→ Stärken-Schwächen-Analyse) (5) „Kannst du noch weitere Ressourcen mobilisieren, die dich diesen Zielen vom perfekten Spiel näher bringen? Welche hast du bisher schon aktiviert?“ (→ Zukunftsorientierung) (6) „Bis wann möchtest du das Ziel erreicht haben?“ (→ Zielorientierung) Nach Peters Fragen war sich Iris sicher, dass sie nun wusste, wohin sie wollte: Es ging ihr nicht mehr darum, die „perfekte Konzentrationsfähigkeit“ zu erreichen, sondern den richtigen Wechsel von Konzentration und Nicht-Konzentration während eines Matches zu schaffen. Zudem wollte sie lernen, ihre Ängste und Unsicherheiten abzubauen, die sich immer dann einstellten, wenn sie in Rückstand geriet. Nicht zuletzt deshalb hatte sie ja die Phantasie von der „Superkonzentration“ entwickelt, mit der sie das Übel bei der Wurzel zu packen können meinte. Doch Peters Fragen, ob diese „Superkonzentration“ denn realistisch sei und ob es nicht eine alternative Lösung gäbe, hatten sie zu der Idee geführt, die Angst und den Konzentrationseinbruch als voneinander unabhängige Probleme zu betrachten, die getrennt zu bearbeiten sind. Mit der Frage „Wer soll in unserer Zusammenarbeit welchen Part übernehmen?“ leitete Peter zur Diskussion über die Zielerreichung über, in der sich die beiden die jeweiligen Rechte und Pflichten aushandelten. Mit der Frage danach, „bis wann denn nun die beiden Ziele erreicht sein müssten“, klärte Peter schließlich auch noch das Thema „Zielumsetzung“ ab, das für ihn, wie er es formulierte, „an das Ende jeder sinnvollen Zielklärung gehört“. Und noch etwas: So wichtig das Fragen-Stellen auch ist – speziell wenn Sie als Trainerin oder Trainer agieren, so wichtig sind auch Antworten und Feedback. Denn erst dieses Feedback ermöglicht es dem Sportler oder der Sportlerin eine andere Frage zu stellen oder eine bisherige Ansicht zu revidieren. Das Feedback gibt letztlich emotionale Unterstützung und signalisiert, „die Trainerin ist für mich da“. Und gleichzeitig treibt es das weiter, Schritt für Schritt im Selbstmanagement
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worum es im „Ich-Labor“ immer wieder geht: Forschend sich kennen zu lernen und weiter zu treiben.
4.3. „SCHRITT DREI“: DIE VERHALTENSANALYSE ODER DER „IST-ZUSTAND“ Die funktionale Analyse ist von grundlegender Bedeutung. Sie macht erfahrungsgemäß meist nach relativ kurzer Zeit deutlich, dass die Angaben aus der Sicht des Sportlers,Trainers oder Managements unterschiedlich sind. Selbstbild und Fremdbild stimmen naturgemäß nur selten überein. Das zeigt das Beispiel der Judokämpferin Maria. „Sie macht Fehler immer zu Beginn“, sagte die Betreuerin. Ihre Theorie, also ihr hypothetisches Bedingungsmodell sah so aus, dass Maria möglicherweise den Fehler brauche, um die Spannung abzulegen. Auch Maria selbst war dieser Meinung. Die Analyse mit Video, Wettkampfaufzeichnungen und Erinnerungen der Sportlerin, also die Realitätsüberprüfung, ergab, dass die Angabe „zu Beginn immer Fehler“ nicht stimmte. Im Gegenteil: die Sportlerin beging die Fehler durchgehend. Die Fehler zu Beginn waren am auffälligsten. Die präzise Beschreibung des Verhaltens legte die Basis für Veränderungen. Für effektive psychologische Veränderungen waren weitere Analysen nötig: Welche Gedanken und Vorstellungen, welche Gefühle und Empfindungen hatte Maria vor, bei und nach dem Fehler, welche Verhaltensweisen und welche physiologischen Symptome zeigte sie vor, während und nach der Fehlersituation. Die Zielanalyse leitete sich aus der Realitätsüberprüfung ab. Maria hatte, so zeigte sich, zu Beginn der Kämpfe sehr wohl ein Motivationsproblem und erst mit der entsprechenden Kampfdauer kam sie zu ihrer Stärke. Das Motivationsproblem hing mit Erwartung, Angst, Vorsicht und schwankendem Selbstwert zusammen. Die Erwartung ging immer mit etwas Angst vor dem ersten Fehler einher. Es war ihr einmal passiert, so schilderte sie, dass sie in der Intensität des Kampfes und dem „herrlichen Körpergefühl“ auf die taktischen Vorgaben der Trainerin vergessen und dementsprechend schnell eine Wertung bekommen hatte. Diese konnte sie während des gesamten Kampfes nicht mehr aufholen. Sie hatte deshalb Angst vor ihrer Unbekümmertheit und ihrer Freude am Kampf, denn beides war in ihrer Gefühlswelt mit einer Niederlage gekoppelt.Vorsicht wurde zum zentralen Thema ihres Denkens und Handelns im Training und im Wettkampf. Ein weiteres Element war ihr schwankender Selbstwert. Sie hatte Tage, an denen sie vor Selbstbewusstsein strotzte und dann wieder Tage, an denen sie den Gegnerinnen „kaum in die Augen zu sehen“ wagte, dies allerdings gut zu verbergen wusste.
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Die Analyse des Verhaltens zeigte weiters, dass Maria an Tagen mit niedrigem Selbstbewusstsein ähnliche Ergebnisse brachte wie an Tagen mit gutem. Das war eine wichtige Erkenntnis, denn bisher war sie der Meinung, dass sie an Tagen, an denen sie „mit dem linken Fuß“ aufgestanden war, eine schlechtere Leistung brachte als an Tagen hoher Selbstsicherheit. Maria empfand nach diesem ersten Gespräch eine deutliche Erleichterung. Viele Studien zeigen, dass häufig bereits die gute Analyse und Interpretation der problematischen Situation helfen, eine eigene neue Sichtweise der Dinge zu gewinnen. Deshalb braucht die Sportlerin Zeit, über ihre Probleme möglichst breit zu erzählen (siehe Kanfer et al., 1991, S. 187). Hilfreich ist die genaue Beobachtung und Einschätzung der problematischen Situation durch die Trainerin. Häufig kommt dabei eine unterschiedliche Sichtweise über dasselbe Problem zum Vorschein. Die Diskussion zwischen Trainerin und Sportlerin über die verschiedenen Auslegungen ermöglicht, das Problem „tiefer“ zu verstehen und entsprechend präzisere Lösungen zu finden. Mit diesem „Trichtern“ und Zuspitzen schaffen sich Trainerin und Athletin einen Überblick und eine sichere Basis für den Veränderungsweg vom IST zum SOLL. Die Sportlerin festigt die Einsichten über ihre Beobachtungen und die der Trainerin mit schriftlichen Aufzeichnungen. Das psychologische Trainingsbuch erhöht die Effizienz des sportpsychologischen Managements. DieVerhaltensanalyse macht den IST-Zustand deutlich:Wo befindet sich die Sportlerin mit ihrem Verhalten, Denken, Körper und Fühlen und welche Motive treiben sie an. Selbstmanagement bedeutet immer den Weg vom IST zum SOLL. Die nächsten Schritte führen zum SOLL.
4.4. „SCHRITT VIER“: VOM IST ZUM SOLL Was ist aus der Analyse des IST-Zustandes bekannt? Iris weiß nun, dass sie nach einigen erfolgreichen Games eine Reihe von schlechten spielt. Sie weiß, dass sie in diesen Situationen häufig denkt, dass sie das Match verlieren wird. Im Rückstand spürt sie eine körperliche Schwäche. Wenn sie nicht so denkt und wie in den ersten Games weiterspielt, ist sie erfolgreich. Auch diese Matches gibt es. Sie will beim Tennis Spaß haben und nicht aggressiv spielen. Sie akzeptiert, dass sie das Problem nur Schritt für Schritt lösen kann. Sie weiß, dass sie die „Superkonzentration“ nicht ein ganzes Match hindurch halten kann. Sie weiß, dass ihr Spielstil nicht „Schicksal“ ist, sondern dass sie ihn selbst in die Hand nehmen kann. Sie will Ängste und Unsicherheiten abbauen. Sie versteht, dass Ängste und Konzentrationseinbrüche nicht in direktem Zusammenhang stehen. Sie weiß, dass sie die Hauptarbeit
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leisten muss und nicht ihr Trainer Peter. Sie spürt (und weiß es aber noch nicht genau), dass sie selbst Fragen stellen muss. Aus diesen Überlegungen entwickeln Iris und Peter die Zielbereiche für den SOLL-Zustand. Die Gedanken sollen bei der „Aufgabe, erfolgreich zu sein“ bleiben und wenn sie zum „Misserfolg“ wandern, wird sie sie wieder „zurückholen“. Iris wird Konzentrationseinbrüche akzeptieren mit dem Wissen, dass sie wieder „zurückkommt“. Das Wissen macht sie stark. Wenn im Rückstand die Ängste hochkommen, das Match zu verlieren, denkt sie daran, dass sie eine gute Spielerin und Wettkämpferin ist und schon oft gewonnen hat. Sie erinnert sich ihrer Ressourcen. Als Hauptziel will sie ihre Konkurrentin und Gegnerin schlagen. Bis wann sie diese Veränderungen umsetzen will, ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar, wird aber in den nächsten drei Wochen festgelegt. In dieser Phase werden auch Erwartungen und Motivationen aufgegriffen, und bei Bedarf durch Denkanstöße und Phantasieanregungen ergänzt. Man kann auch eine „Zeitprogression“ in Trance durchführen (siehe Teil VI, Kapitel 30), in der die Ziele in der bildlichen Vorstellung gesehen und körperlich und emotional gut gespürt werden.
4.5. „SCHRITT FÜNF“: DIE PLANUNG, DIE AUSWAHL UND DER EINSATZ VON METHODEN Welche Methoden eingesetzt werden, um den SOLL-Zustand zu erreichen, hängt von dreierlei ab: a. Von den bestimmten Zielen und ihren konkreten Inhalten, b. vom vorhandenen Methodenwissen, und c. von dem „guten“ oder auch „schlechten“ Gefühl, das Sie als Sportler haben, wenn bestimmte Methoden eingesetzt werden. Das Gefühl sorgt dafür, dass Sie bestimmte Methoden akzeptieren und andere wieder ablehnen. „Welche Methode passt zu unserem Ziel und gleichzeitig auch zu uns?“ ist deshalb das Grundthema, um das es in „Phase fünf“ geht und das Trainer und Sportler beantworten. Die Frage lässt sich „verfeinern“, indem sie gleichsam „überprüfend“ oder „optional“ gestellt wird. Was das bedeutet, lässt sich erneut an Peter und Iris illustrieren. Peter erarbeitete gemeinsam mit Iris die Vorgangsweise zum Abbau ihrer Ängste. „Wäre es für dich denkbar, dass du mit jemandem hypnotherapeutisch arbeitest?“, fragte er seine „Schülerin“, die damit nicht sonderlich viel anfangen konnte. 44
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Peter und Iris gingen verschiedene Methoden durch: Vom einfachen Gespräch über die Arbeit mit Entspannungsverfahren bis hin zum komplexen Angstbewältigungstraining – Peter zählte sein komplettes Methodenwissen auf, wozu er neben Fragen auch Praxis-Berichte und Videos nutzte, die das mit einem einzelnen Verfahren verbundene Vorgehen illustrierten. Schließlich beschlossen die beiden, mit hypnotherapeutischen Ansätzen zu arbeiten. Und falls diese für Iris doch nicht „passten“, käme ein Entspannungstraining zum Einsatz, das Iris zudem auch im Match, z.B. während des Seitenwechsels, anwenden könnte. Weitere Optionen wollten sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht festlegen. In „Phase fünf“ werden auch Methoden ausgewählt, die mehr „technischer“ als psychologischer Natur sind, z.B. spezielle Muskelaufbautrainings, falls das zur Erreichung eines bestimmten Leistungsziels notwendig ist. Was hier zur Option steht, wird davon abhängen, was Sie sich als Trainer oder Trainerin im Laufe Ihrer Berufslaufbahn an Wissen angeeignet haben, welche Fachleute Ihnen zur Verfügung stehen und was auf der anderen Seite dem Sportler oder der Sportlerin zusagt. Peter beschäftigte sich seit Jahren intensiv mit psychologischen Techniken und verfügt deshalb über eine überdurchschnittliche Expertise in diesem Bereich. Deshalb konnte er diese Möglichkeiten vorschlagen. Wenn Trainer dieses Wissen nicht haben, ist die Zusammenarbeit mit psychologischen Experten sinnvoll. Für die Arbeit mit den Misserfolgsgedanken sind kognitive Verfahren zu nützen (Teil VI, Kapitel 31). Sind die Methoden einmal ausgewählt, kann ihr Einsatz beginnen. Als Trainer sind Sie gut beraten, erneut „günstige Ausgangsbedingungen“ für den Einsatz der Methoden zu schaffen und kleine Etappenziele mit Ihrem „Schützling“ zu erarbeiten, damit nicht nur die Gesamtmotivation, sondern auch die „Teilmotivation“ stimmt.
4.6. „SCHRITT SECHS“: EVALUATION DER FORTSCHRITTE Was hier kommt, liegt auf der Hand. Es ist die Bewertung, ob das SOLL erreicht wurde. Gefordert ist die Überprüfung folgender Schritte (Kanfer et al., 1991, S. 109): – Die Festlegung der Ziele der Evaluierung: was wird überprüft, wie, wann und unter welchen Umständen wird es überprüft. – Das Feststellen der tatsächlichen Veränderungen, die aufgrund der sportpsychologischen Interventionen eingetreten sind. Bei Iris und Peter würden die Fragen so aussehen: Schritt für Schritt im Selbstmanagement
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„Sind die gewählten Verfahren erfolgreich?“ „Wo sind sie erfolgreich und wo nicht?“ „Hat sich die Anzahl der Aufschläge, die ‚sitzen’, seit Beginn des Trainings erhöht?“ „Ist die Unsicherheit, gemessen an einer ‚Unsicherheitsskala’, die von 0 bis 10 reicht, zurückgegangen?“ Solche Fragen werden „Phase sechs“ kennzeichnen. Und sie werden nicht irgendwann, sondern bald nach Start von Phase fünf gestellt werden müssen. Sollten Sie diese Fragen übrigens mit „nein“ beantworten, wird es notwendig sein, neue Methoden auszuwählen. Und an den Start von „Phase fünf“ zurückzugehen. Folgende Fragenkomplexe sind jetzt sinnvoll: – „Wurde nicht ausreichend ‚Änderungsmotivation’ geschaffen?“ – „Gab es Schwachpunkte bei der Problemanalyse wie auch bei der Zielvereinbarung?“ Diese Fragen führen Sie eventuell an den Start der Arbeit zurück. Erfahrungsgemäß kommt das gar nicht selten vor. Allerdings haben Sie in der Zwischenzeit einige nützliche Erfahrungen gemacht. Die Evaluation geschieht im Rahmen der kontrollierten Praxis, wie dies Kanfer, Reinecker und Schmelzer (1991, S. 108) bezeichnen. Evaluation beinhaltet die Erfassung von Veränderungen und darüber hinaus deren Bewertungen unter dem Aspekt der Ziele. Nur auf der Grundlage einer „zielorientierten Evaluation“ mit kontinuierlichen Aufzeichnungen können Psychologin,Trainer und Sportlerin abschätzen, ob eine Annäherung an die Ziele erreicht wurde. Die Evaluierung sollte dem Prinzip der „relativen Exaktheit“ genügen, der wichtiger ist „als der Versuch, krampfhaft strengste methodische Erfordernisse aus der psychologisch-experimentellen Grundlagenforschung in den Bereich der klinischen Praxis und Evaluation herüberzuretten“ (Kanfer et al., 1991, S. 111). Was Kanfer für den klinischen Bereich beschreibt, ist in gleichem Maße auf die ebenso komplexe sportpsychologische Praxis übertragbar. Beispiele für die „relative Exaktheit“ der Datenerhebung bilden das psychologische Trainingsbuch (siehe Teil VIII Praxisbeispiele), die Methoden der Selbstbeobachtung, der Selbstbewertung und der Trainerbeurteilung. Die Selbstbewertung unterstützt gleichzeitig den Prozess des Selbstmanagements. Tests, Fragebögen und Checks (z.B. zur räumlichen Vorstellung oder zur Bewegungsvorstellung) verbessern die relative Exaktheit weiterhin. Die kontrollierte Praxis mit der „relativen Exaktheit“ stellt einen gangbaren Weg und Kompromiss zwischen den wissenschaftlichen Ansprüchen und den praktischen Möglichkeiten im Sport dar. 46
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4.7. „SCHRITT SIEBEN“: ERFOLGSOPTIMIERUNG UND TRANSFER Was in den Schritten eins bis sechs passiert, könnte man als den Großen Lernprozess beschreiben: → Ein Selbstreflexions- und Selbstveränderungsprozess wird eingeleitet. → In diesem werden Probleme, Wünsche, Anliegen, Gedanken,Verhaltensweisen, das Zusammenspiel zwischen diesen Faktoren und vieles mehr erforscht. → Auf dieser Basis werden Entwicklungsziele gesetzt, und → „Maßnahmen“ ergriffen, um diese Entwicklungsziele zu erreichen. Wobei die „Ausführung“ der Maßnahmen mit Feedbackschleifen gekoppelt ist, um Lerneffekte sicherzustellen. In den Schritten eins bis sechs wird immer auch eine allgemeine Problemlösungskompetenz trainiert, die nicht nur für das Problem interessant ist, an dem Sie gerade arbeiten: So gut wie alle Probleme lassen sich nach diesem Schema lösen – weit über den Sport hinaus. Wenn Sie als Sportler dieses Modell außerhalb des Sports einsetzen wollen, können Sie diese eingeübte Kompetenz einmal abgelöst vom aktuellen Ziel oder Zielbündel, das Sie mit Ihrem Trainer gegenwärtig verfolgen, betrachten. Das heißt nur als „Struktur“, mit der man generell an Probleme oder Themen herangehen kann, wenn man sie auf eine „rationale“ oder „professionelle“ Weise lösen will. Langfristig wird aus dem „Solo für zwei“, das Sie gerade hinlegen, ein Solo für Sie als Sportler oder Sportlerin allein. In „Phase sieben“ erfolgt aus dieser Perspektive betrachtet die „Verallgemeinerung“ der Stufen eins bis sechs. Dabei kann es hilfreich sein, folgende Fragen zu stellen: – Wie bin ich an mein Problem herangegangen? Welche Fragen zu stellen war für mich wichtig? – Woran zu denken hat mich ungemein motiviert? – Worauf will ich bei der Klärung und Definition der Ziele besonders achten? – Nach welchen Kriterien sollte ich die Methoden wählen, mit denen ich meine Ziele zu erreichen versuche? – Was habe ich zu tun, wenn sich diese Methoden nicht bewähren? Arbeitet man mit diesen Fragen, kommt man nicht nur zu Antworten, die die „Eckpfeiler“ des Selbstmanagements enthalten: Auch die Fragen selbst sind so etwas wie „Basisbausteine“ desselben. Denn bereits wenn man diese Fragen stellt, kann man sich durch die verschiedensten Situationen hindurch navigieSchritt für Schritt im Selbstmanagement
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ren. Etwa, dass man sich angesichts von Schwierigkeiten fragt: „Wie bin ich denn unter vergleichbaren Umständen an Probleme herangegangen und welche der dort gemachten Erfahrungen kann ich hier anwenden?“ Das führt direkt in eine Problemanalyse, in eine Selbstbeobachtung und in eine „Erinnerungsarbeit“ hinein – und mithin in das, was am Beginn jedes Selbstmanagementprozesses steht. Zusammen mit dem Erfahrungsschatz, den Sie über Jahre hinweg gewonnen haben, werden Ihnen diese Fragen helfen, sich vor dem Hintergrund verschiedenster Herausforderungen selbst zu managen. Nach dem „Großen Lernprozess“ und der Evaluierung werden etwaige Misserfolge bearbeitet. Diese können darin bestehen, dass der Aufschlag noch immer nicht „sitzt“, obwohl bereits ein umfassendes Aufschlagtraining abgespult wurde – unter Einbeziehung der unterschiedlichsten Feedbackschleifen, die sich im Rahmen der gemeinsamen Arbeit zwischen Trainer und Sportler ergeben haben. In Misserfolgssituationen wird es schwierig sein, die Motivation aufrecht zu erhalten. Eine Möglichkeit, sie wieder zu gewinnen, besteht darin, statt des „Solos für zwei“ die Gruppe zu nützen. Ähnlich wie bei Iris und Peter, als Iris nicht und nicht an ihre Wunschziele herankam: Iris hatte sowohl bezüglich ihrer Konzentrationseinbrüche als auch hinsichtlich ihrer Unsicherheit Fortschritte gemacht – der Erfolg gegen Renate hatte sich aber dennoch nicht eingestellt. Das „Schicksalsmatch“, von dem Iris immer wieder gesprochen hatte (es war das dritte Spiel einer Serie gewesen, die die beiden binnen einer Woche spielten), ging sogar äußerst eindeutig verloren. Dieses „Schicksalsmatch“ hatte Peter per Video aufgezeichnet mit dem Ziel, Iris das Spiel anschließend analysieren zu lassen. Im Zuge des Trainings hatte sich nämlich herausgestellt, dass sie nicht nur Konzentrationseinbrüche hatte. Sie neigte auch häufig dazu, Bälle eine Spur zu früh und deshalb vor dem Körper anzunehmen; häufig dann, wenn sie sich zum Netz bewegte, um von dort aus ein aggressives Angriffstennis zu spielen. Iris behauptete, dass diese zu frühe Annahme nicht ihr Problem sei: „Ich habe kein Technik-Problem, ich habe ein Konzentrationsproblem“, wies sie Peters Hinweise und Kritik immer wieder zurück. Der Videofilm bestätigte das Gegenteil. „Sag mir: Wie würdest du deine Bewegung beschreiben?“, fragte er Iris, als sie das Video mit anderen Vereinsmitgliedern zusammen ansahen. Sequenz für Sequenz ließ er Iris sich selbst analysieren. „Schau genau hin: Was machst du da gerade?“ Bis ins kleinste Detail wurden die Bewegungs- und Verhaltensmuster analysiert, wobei der Input der Gruppe sie dazu anstachelte, immer selbst48
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kritischer zu werden. Sie wollte jetzt einfach eine kritische Sichtweise des Problems gewinnen. Peter war zufrieden: Durch das genaue „Zerlegen“ der Bewegung kam der Gedanke gar nicht auf, dass diese nicht veränderbar wäre. Das motivierte Iris – und entlastete Peter. Aus der Rolle des Kritikers kam er in die Rolle des Supervisors, der von der Gruppe bestätigt wurde. Die „Öffentlichkeit“, die die Mannschaftsmitglieder darstellten, hatte Iris in Bewegung gebracht. Ihr Problem war gewissermaßen „öffentlich“ geworden und konnte nun nicht länger negiert werden. Iris wurde durch diesen dezenten „öffentlichen Druck“ dazu motiviert – erneut (!) dazu motiviert –, wieder an sich zu arbeiten: Sie ging – auf höherem Niveau – an den Start zurück. In „Phase sieben“ wird also zum nochmaligen Hinschauen und zum Durcharbeiten des eigenen Handelns aufgefordert. Vielleicht führt das an den Anfang zurück! Aber so ist es, wenn man mit Rückkoppelungen arbeitet. Lernen und Entwicklung sind nur so möglich!
4.8. IHRE PERSÖNLICHE BEWERTUNG Der Selbstmanagement-Prozess, mit dem Iris und Peter arbeiteten und die Frage-Toolbox, derer sie sich bedienten, ist ein Rahmen, aber kein starres Verfahren. Das Vorgehen wird je nach Sportart, aktueller Situation und nach den Anforderungen des „psychologischen Quadrats“ des Sportlers unterschiedlich sein. Trainerin und Sportlerin haben innerhalb dieses Rahmens viel Platz für zielgerichtete Kreativität und insofern hat Sporttraining mit „Kunstproduktion“ zu tun (siehe z.B. Roth et al., 1997). Als Sportlerin und Sportler können Sie Ihre persönliche Selbstentwicklung erkennen und erspüren. → Denn alles, was Sie tun, wird der Situation sowie den Emotionen, Wünschen und Verhaltensweisen entsprechen, die Sie als Sportler oder Sportlerin schon mitgebracht oder durch „Selbst-Modulation“ erreicht haben. Sie holen sich – psychologisch gesprochen – dort ab, wo Sie sich befinden. → Es wird Ihre Lösung, Ihr „Dreh“ sein, zu dem Sie sich zusammen mit Ihrem Trainer und mit Hilfe des siebenstufigen Selbstmanagement-Prozesses hingearbeitet haben. → Es wird Ihr Solo sein, das Sie am Ende „hinlegen“, auch wenn Sie eines Trainers, eines „Katalysators“, eines „Fragenstellers“ bedurften, um es zu meistern. Allerdings, und das soll hier noch einmal ausdrücklich betont sein, reden wir hier nicht von einem „Glanzauftritt“: Schritt für Schritt im Selbstmanagement
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→ Hier ist die Rede von einer Höchstleistung, deren Möglichkeit Sie zwar immer schon „intuitiv gespürt“ haben, die aber erst am Ende eines langen Selbstentwicklungsprozesses steht; eines Selbstentwicklungsprozesses, in dessen Verlauf Sie nicht bloß ein Problem mit Hilfe des siebenstufigen Selbstmanagement-Verfahrens durcharbeiten, sondern wahrscheinlich unzählige. → Sie werden folglich nicht nur, um beim Thema Tennis zu bleiben, etwaige Konzentrationsprobleme und Unsicherheiten abgebaut haben, sondern auch Ihr „Return-Verhalten“, Ihr „Aufschlag-Verhalten“, Ihr „Grundlinien-Verhalten“ und sogar Ihre „Grundstimmigkeit“, Ihr Denken und Ihre Gefühle sehr genau angeschaut und letztlich verändert haben. Sie werden also das Beste geben, was Sie haben – weil Sie es SIND. Sie werden Ihre persönliche Höchstleistung erbringen. Wenn Sie wirklich hart trainiert haben, wird es auch – das zeigt meine Erfahrung – eine fantastische Wettkampfleistung sein. Voraussetzung dafür ist eine ganze Reihe von Dingen, die zum Selbstmanagement-Prozess gehören, aber nicht in dieser Toolbox stecken. Die nächsten Kapitel geben darüber Auskunft. Machen Sie aber vorher in der folgenden Übung Ihre eigenen Erfahrungen zum Selbstmanagement. Stellen Sie Ihre Fragen, sehen Sie das Zusammenspiel Ihres psychologischen Quadrats und geben Sie Ihre Antworten! Lernen Sie durch Tun!
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Kapitel 4
ken
Informationen gewinnen
Probleme konkretisieren re n
Änderungsmotivation
Konzentratio
Kernthema
nszyklen
S
Ressourcen Leistungsziele Zeitperspektive
Selbs
Erinnerungsarbeit
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Fre
Psychische Ziele ulat
ion
Zukunftsorientierung
Lösungen suchen
l
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P ro b l
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In Alternative
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Fragen stellen
md
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Autom atisiere n
Problemanalyse
Lernen
Selbstbeobachtung Entwicklun
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G
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tim
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Abb. 8. Die Landkarte der Höchstleistung (III.4)
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Übung I
SELBSTTEST: DER „DREH“ ENTWICKELN SIE IHR PERSÖNLICHES SETUP FÜR KÖRPER UND GEIST Ich schlage etwas vor, was ich in diesem Buch noch öfter machen werde: Ich lade Sie – Leserinnen und Leser, Eltern, Helfer auf dem Weg zur Spitzenleistung und Sportbegeisterte, Manager, Trainer – zu einem Selbsttest ein. All das, was ich hier erzähle und darstelle, soll nicht „graue Theorie“ bleiben, sondern für Sie erfahrbar werden. Sie bekommen die Möglichkeit, Selbstentwicklung quasi am eigenen Leib zu erleben und Ihr eigenes mentales Setup zu gestalten.
Sie befinden sich damit in der guten Tradition der psychologischen Seite der Höchstleistung. Mahoney (1986) entwickelte ein standardisiertes Vorgehen für das psychologische Training der Olympiaauswahl der US-Gewichtheber. Er offerierte kognitiv-behaviorale Methoden für das Training des Selbstvertrauens, der Gedankenkontrolle und der Konzentration. Kognitiv-behavioral bedeutet gedanklich-verhaltensmäßig, umschreibt die vier Seiten des Psychologischen Quadrats, und bildet eine der theoretischen Grundlagen für das Selbstmanagement-Modell. Die Athleten erhielten Instruktionen für die Gestaltung ihrer „Inneren Sprache“ (self-talk), ihrer Erwartungen und ihrer Selbst-Wirkung (selfreactions) während des Trainings und in aktuellen oder simulierten Wettkämpfen. Selbst-Zweifel und das damit verbundene „Gedanken-Karussell“ („mind-chatter“) werden von den Sportlern als allgemeine Erfahrungen geschildert. Dieses Modell zielt besonders darauf ab, (a) dass die Sportler lernen, jede ihrer spezifischen Leistungen und deren persönliche Bedeutung zu trennen und dass sie (b) Selbst-Kontroll- und Konzentrationsfertigkeiten anwenden, um einen durchgehenden Fokus auf die Aufgaben zu gewinnen. Als Konzentrationsübungen für die Gewichtheber wurden Dehnungs- und Balanceübungen mit zunehmender Schwierigkeit erfunden (Mahoney und Suinn, 1986, S. 66). Für die Golferinnen zitiere ich eine Studie von McCaffrey und Orlick (1989), in der sie Spitzengolfer über ihre Gedanken und Gefühle befragten, die sie während ihrer besten Leistungen hatten. Einer dieser Golfer berich-
tete: „In meinen besten Runden konzentrierte ich mich nur auf den Schlag, so wie ich ihn jeden Tag treffe. – Nichts anderes. – Nichts anderes war in meinem Kopf, kein einziger Gedanke“. Auch die Kanadier tun es. Zu Beginn der letzten 80er Jahre entwickelten Psychologen ein geeignetes kognitives „Set“ für die Mitglieder der kanadischen Olympia Auswahl 1984. Orlick und Partington (1988) zeigten, wie wichtig diese Vorbereitungen waren. Es ging dabei vorrangig um mentale Vorbereitungsstrategien für die Wettbewerbe. Erst als für die Sportler „die Fähigkeiten sich zu fokussieren, verfeinert wurden, konnten ihre Träume Realität werden“. Es geht also in diesem Kapitel um Verfeinerung der körperlichen und geistigen Fähigkeiten. Um das „Tuning“, den „Dreh“ an den Fertigkeiten. Für die Entwicklung Ihres mentalen Setups brauchen Sie Lockerheit und Spannung, Konzentration und die Fähigkeit zu träumen, Zeit nachzudenken und Zeit, nicht zu denken, ein gutes Maß an Selbstbeobachtung, einen starken Willen und ein Ziel, für das Sie arbeiten wollen. Auch wenn Sie nur Selbsterkenntnis anstreben und keine Höchstleistung. Ich schlage als Übungsinstrument für Männer Liegestütz vor und für Frauen Bauch-Beine-Po-Übungen. Selbstverständlich können Sie diese Übung wählen, die Sie bevorzugen. Machen Sie im nächsten Monat diese Übungen und versuchen Sie sich dabei kräftig zu verbessern. Sie könnten sich auch vornehmen, Ihr Programm im Fitnessstudio psychologisch zu professionalisieren oder nach einem vorgegebenen Programm zu arbeiten. Es gibt zahlreiche ausgezeichnete Bücher dazu. Für Ihre Fitness zum Beispiel „Fit in 100 Tagen“ von Heinrich Bergmüller und Knut Okresek (2005), und für Ihren perfekten Lauf das Buch BodyRunning von Wim Luijpers und Heimo Lercher (2005).
MACHEN SIE IHREN CHECK! JETZT! – Überprüfen Sie: Ist Ihr Körper gewohnt, regelmäßig ans Limit zu gehen oder haben Sie schon lange nichts mehr in dieser Hinsicht getan? – Machen Sie, wenn nötig, einen sportmedizinischen Check! – Überprüfen Sie Ihre Grundstimmigkeit! – Checken Sie: Haben Sie Lust für die Übungen oder nicht? – Checken Sie: Fühlen Sie sich fit oder eher kraftlos? – Passen Sie die Übungsintensität Ihrer Fitness an! – Beginnen Sie von dieser Basis aus mit Ihrer Höchstleistung! – Beginnen Sie also mit Ihrer Übung und in Ihrer Intensität! – Suchen Sie sich Ihren Zeitpunkt, zu dem Sie die Übungen machen wollen!
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Übung I
– Führen Sie die Übungen immer zum gleichen Zeitpunkt durch, unabhängig davon, ob Sie sich gut in Form fühlen oder nicht, ob Sie gut oder schlecht geschlafen haben, oder ob Sie sich stark gestresst oder erholt fühlen! Auf diese Weise können Sie nachempfinden, wie sich tägliches Training anfühlt. – Geben Sie sich einen Zeitraum, in dem Sie ihre Übungen zum Selbstmanagement durchführen wollen! Er kann eine Woche sein, ein Monat oder länger. – Bleiben Sie realistisch und bedenken Sie das Machbare!
DIE ÜBUNG BEGINNT Starten Sie die nächsten Tage damit, Ihre Übungen zu machen. Am ersten Tag beginnen Sie beispielsweise mit zehn Einheiten, am nächsten kommen fünf oder auch weniger hinzu; je nach dem, wie viele Sie schaffen. Sie können und sollen sich ihr Ziel selbst stecken. So geht es Tag für Tag, bis Sie z.B. 100 Einheiten am Stück schaffen. Wenn Sie dabei konsequent sind und sich an „Spielregeln“ halten, also beispielsweise bei den Liegestütz nicht Unterleib oder Beine durchhängen lassen, werden Sie rasch bemerken, dass es um mehr als um reines Körpertraining geht. Ein Freund erzählte mir seine Entwicklungsgeschichte mit den Liegestütz. „Bei mir war es so, dass ich nach sieben Tagen einen ersten Einbruch hatte. Meine Arme fühlten sich richtig ‚schwer‘ an und schon die ersten zehn Liegestütz, die ich anfangs problemlos geschafft hatte, bereiteten mir ungemeine Mühen. Ebenso ließ meine Motivation nach: War am Anfang mein – zugegebenermaßen sehr radikales – Ziel, täglich fünf Einheiten mehr zu machen, eine Herausforderung für den Kopf gewesen, weil es die richtige Technik zu entdecken und zu erarbeiten galt, hatte dieses Ziel nun schon etwas von ‚’Eh-klar-wie-das-geht’ bekommen. Und auch emotional machten sich nach einer Woche erste Abstumpfungen bemerkbar: Der Neuwert war dahin, Momente von Langeweile blitzten auf. Es blieb nicht bei diesem ersten Einbruch. Der zwölfte Tag war für mich besonders heikel: Zu den ursprünglichen zehn Einheiten waren bereits fünf mal zehn zusätzliche hinzugekommen; an diesem Tag sollte dementsprechend der Sprung von 60 auf 65 Liegestütz erfolgen. Doch weil die Übung mittlerweile noch langweiliger war als am siebenten Tag, ging so gut wie gar nichts. Schon die ersten 40 Einheiten waren ein Graus, mein Wunsch, die 50 oder gar die 65 zu erreichen, war gleich Null. Das war eine sehr wichtige Erfahrung. Weil sie mir eines wieder einmal verdeutlichte: Nicht der Körper, sondern der Kopf macht einem in der Regel einen Strich durch die Rechnung! Denn es war ja ganz klar, dass ich
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kein Kraftproblem hatte. Aufgrund der Übungen der letzten Tage zogen die Muskeln in den Armen und im Brustbereich zwar stark, ich spürte aber, dass ich an Kraft eher zugelegt hatte als dass es mir an ihr fehlte.
NIEDERLAGE UND NEUGIER Auf jeden Fall war ich an diesem Tag so demotiviert und angeödet, dass ich nach 40 Einheiten tatsächlich einfach aufhörte. Ohne mich groß darüber zu ärgern, aber auch ohne große Vorsätze. Ich war mit dem Kopf an dieser Übung gescheitert, ohne genau sagen zu können, was mich so blockierte. Ich wurde neugierig und wollte es so schnell wie möglich herausfinden. Mein Ehrgeiz war angestachelt. Ich dachte nicht mehr nur an meinen Körper und begab mich in die Welt der Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen. Vier Tage später, urplötzlich, überkam es mich – und ich entschloss mich spontan 50 Liegestütz zu machen. Einfach so. Was mir souverän gelang. Ein wahrer Motivationsschub wurde dadurch ausgelöst, der dafür sorgte, dass ich am nächsten Morgen gleich von 50 Einheiten auf 65 sprang! Fast schon spielerisch begann ich meine Grenzen und Limits zu überschreiten. Befreit vom Zwang ging es auf einmal ganz hervorragend. Das war auch der Punkt: Der Zwang hatte mich blockiert. Diese sture ‚Jeden-Tag-fünf-Einheiten-mehr‘-Regel! Als ich diese aufgebrochen hatte, ging es plötzlich wieder. Ich hatte den Dreh heraußen! Gleichzeitig machte die Erkenntnis die Übungsserie auch für den Kopf wieder interessant, was die Gesamtmotivation weiter verstärkte. Denn es stellte sich mir die Frage, wie ich zukünftig den ‚Zwangscharakter‘ abmindern und die Begeisterung am Leben erhalten könnte. Was mich zu der Idee führte, mit zum Teil sehr stark variierenden Leistungszielen zu arbeiten: Ich beschloss, dass es Tage geben dürfe, an denen auch Rückschritte okay sind. So wie am zwölften Tag, als ich bei 40 Liegestütz einfach abbrach. Denn offensichtlich kann es sich langfristig auszahlen, kurzfristig schlechter zu werden. Eine wertvolle Erkenntnis, weit über meine Liegestütz-Übung hinaus ….
KOPF UND KÖRPER Natürlich machte ich in erster Linie ein Körpertraining, keine Frage. Aber wirklich meistern ließ mich die Übung etwas anderes: ein Stück Selbstentwicklung! Ohne dass ich es gleich registriert hatte, war ich in der Selbstentwicklung gelandet. An die Stelle eines sturen, mechanischen Abspulens meines Krafttrainings war das Arbeiten mit Rückkoppelungen getreten: Ich hatte
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Übung I
begonnen, genau darauf zu achten, welches Ziel was bei mir bewirkte. Ich war bereit, angesichts bestimmter Erfahrungen meine Vorgangsweise zu revidieren und neue Strategien aufzusetzen. Oder um es so zu formulieren: Weil ‚Denkhaltung’, Emotionen und konkretes Handeln offensichtlich eng miteinander verwoben sind, begann ich an diesem ‚Mini-System’ zu schrauben und zu drehen. Zuerst an den Emotionen – Re-Motivation durch eine Pause –, dann an den Gedanken (Arbeit mit variierenden Zielen). Bis sich auf diesem Weg ein neues ‚Verhalten’ einstellte – bis ich, wie ich schon sagte, den ‚Dreh’ heraußen hatte. – Und mich richtig gut selbst regulieren konnte.“ Soweit die Schilderung meines Freundes. Er erkannte in seiner Selbstbeobachtung, wie eng Gedanken, Gefühle und Handlungen zusammenhängen. Die ersten Schritte zum persönlichen Setup waren getan. Aber ein Element – vielleicht das wichtigste – verriet er nicht: Warum er die Liegestütz macht. Die Zielsetzung gibt die dahinter liegende Kraft, den Motor für sein „Gesamtprojekt Liegestütz“. Jedenfalls macht er seine Liegestütz noch immer. Mittlerweile mit einer langen Erfahrung und weiterhin mit Freude.
ENTWICKELN SIE IHR EIGENES SETUP! JETZT! Was lässt sich zu Ihrem „Mini-System“ aus Emotionen, Gedanken, Körper und sportlicher Handlung sagen? Welche Fragen könnten Sie bei Ihren Übungen stellen und welche Unterschiede bemerken Sie? Worauf müssen Sie achten, wenn Sie daran „schrauben“ und „drehen“ wollen, worauf werden Sie ein Auge haben müssen? Und: Welches Zusammenspiel werden Sie entdecken? Sehen Sie ihre „Grundstimmigkeit“ genau an, und jene grundlegenden Emotionen, die mit Bewegung generell oder mit bestimmten Bewegungsweisen verbunden sind. Wem es überhaupt nicht behagt, kräftige Druckbewegungen mit den Armen durchzuführen, wird mit Liegestütz, um bei diesem Beispiel zu bleiben, definitiv den falschen Übungstypus gewählt haben. Überprüfen Sie durch Ausprobieren, woran Sie Spaß und Freude haben. Davon ausgehend konzipieren Sie Übungen. Quälen Sie sich nicht mit Gewalt und Selbstverleugnung durch Dutzende als unangenehm empfundene Liegestütz. Analysieren Sie, welche Phantasien und Gedanken Sie mit den Bewegungen, die Freude machen, verbinden. Empfinden Sie diese einfach nur als angenehm oder haben Sie den Wunsch oder besser gesagt: geradezu ein Bedürfnis, diese Bewegungen zu entwickeln und zu perfektionieren? Und wenn ja: Wie stellen Sie sich diese Entwicklung vor? Welche Ziele haben
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sich schon im Kopf festgesetzt, ohne dass Sie bereits ernsthaft über Ziele nachgedacht hätten? Was könnte diese etablierten Ziele eventuell behindern, wenn sie unreflektiert stehen bleiben? Wer laufen möchte und das von Anfang an mit Marathonlaufen identifiziert hat, blockiert möglicherweise seine größeren Talente, weil diese in Wirklichkeit im Country-Cross liegen.
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Erwartungen Mentales Setup
Innere Sprache Fitness
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„Dreh“ und Tuning
Abb. 9. Die Landkarte der Höchstleistung (III.5)
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Übung I
TEIL II ENTWICKLUNGSFELDER AUF DEM WEG ZUR HÖCHSTLEISTUNG „Ich bin ein sehr extremer Mensch. Ich genieße es, etwas zu produzieren, an dem andere Freude haben. Sport ist ja nichts anderes als Unterhaltung.“ Thomas Muster
Selbstmanagement ist extreme ICH-Entwicklung. Der Antrieb zur Höchstleistung kommt aus vielen Quellen. Oft kommt er nur teilweise aus dem Sport. Aber der Sport bietet die Möglichkeit, an die eigene Spitze zu kommen. In den vorigen Abschnitten beschrieb ich anhand des Vorgehens im Selbstmanagement einige Faktoren, die die Sportlerinnen auf dem Weg zur Höchstleistung brauchen. In diesem zweiten Teil führe ich weitere Elemente an.
Immer steht die Entwicklung der Persönlichkeit der Sportlerin im Vordergrund. Damit sie zu ihrer Höchstleistung kommt, muss sie Bescheid wissen über Stärken und Schwächen, über den Umgang mit Training und den äußeren Rahmenbedingungen, über Kommunikation, Selbstwert, Gedankenkontrolle und Emotionsmanagement, über ihr Talent, ihr „Momentum“ – kurz über ihr persönliches Setup.
Kapitel 5
„ERKENNE DEN UNTERSCHIED!“ In der Übung zu Ihrem „Dreh“ steht ein für das Selbstmanagement wichtiger Satz: „Ich hatte begonnen, genau darauf zu achten, welches Ziel was bei mir bewirkte. Ich war bereit, angesichts bestimmter Erfahrungen meine Vorgangsweise zu revidieren und neue Strategien aufzusetzen.“
Mit dieser Selbsterkenntnis wird ein zentrales Prinzip der Psychologie formuliert, das im Sport besonders wichtig ist: das Lernen von Unterschieden (Smedslund, 1988, S. 84). Wer zu unterscheiden lernt, gewinnt Sicherheit und Selbstvertrauen. Wer im Training oftmals die Erfahrung macht, dass seine Handlungen zu erfolgreichen und gewünschten Veränderungen führen, gewinnt auch Zukunftsvertrauen. Er kann seine Erfahrungen aus dem Training auf andere Situationen (z.B. Wettkämpfe) übertragen. Diese Erkenntnis mag trivial klingen. Sie ist es aber ganz und gar nicht. Denn wer unterscheiden lernt,
kennt – psychologisch ausgedrückt – die „relevanten diskriminativen Hinweisreize“ (Smedslund, 1988). In der Komplexität der Geschehnisse vor Training und Wettkampf kann man von Sportlern Aussagen wie die folgende hören: „Ich weiß vorher nicht, was anders ist, wenn ich gut bin und wann nicht.“ Diese Feststellung ist psychologisch durchaus verständlich, weil Sportler in jeder Disziplin gleichzeitig eine derartige Fülle an Handlungen zu bewältigen und Informationen umzusetzen haben, die das Gehirn nicht alle verarbeiten kann. Auch hier zeigt sich, dass die Einteilung in die vier Seiten des psychologischen Quadrats nützlich ist. Der Sportler kann und soll sehen, welche der vier Seiten den Unterschied ausmacht. Sind es die Gedanken („ich spiele hochkonzentriert“), die Gefühle („heute macht mir das Spiel Spaß“; „es ärgert mich, wenn meine Gegnerin ständig an der Grundlinie bleibt“), ist es mein Körper („die Muskeln sind langsam und schwer“; „die Beine sind spritzig“) oder mein Handeln („ich zieh’ mein Ritual durch“)? Ericsson et al. (1993) zeigten, dass Verbesserungen bei Hochleistungssportlern vor allem dann eintraten, wenn sie genau definierte Aufgaben mit angepasstem Schwierigkeitsgrad und informativem Feedback ausführen konnten. Zusätzlich waren noch wichtig die Möglichkeiten Fehler zu korrigieren und entsprechende Abläufe zu wiederholen. Genau definierte Aufgaben, angepasster Schwierigkeitsgrad, Möglichkeiten der Fehlerkorrektur und informatives Feedback bilden die Rahmenbedingungen für das Erkennen von Unterschieden.
5.1. DIE „W-FRAGEN“ Mit den „W-Fragen“ können die Veränderungen gecheckt werden. Die WFragen stammen aus den Recherche-Standards im Journalismus. Ich frage Sportlerinnen nach jeder Trainingseinheit, welche Veränderung in ihrem Verhalten zu welchem Ergebnis (Erfolg oder Misserfolg) geführt hat. „Was hast du dir vorgenommen, warum hast du es dir vorgenommen, wie hast du es umgesetzt, wann hast du eine Veränderung gespürt, wo (im Körper, gedanklich, emotional, im Verhalten) hast du sie gespürt, weshalb ist sie eingetreten und was war das Ergebnis?“ Die Fragen beziehen sich je nach Trainingsplanung auf eine der Seiten des psychologischen Quadrats, also den Körper, das Denken, die Gefühlswelt oder das Handeln. Die Fragen unterstützen letztlich die Langzeit-Konzentration der Sportlerinnen auf ihr Ziel, einen durchgehenden Aufgaben-Fokus aufrecht zu erhalten („to maintain an ever-current task focus“, Mahoney und Suinn, 1986, S. 66). Auf diese Weise gewöhnen sich die jungen Sportler daran, Situationen und Verhaltensweisen bewusst zu unterscheiden. Und sie können daraus
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Kapitel 5
auch für später Schritte ableiten, wie sie sich auf eine neue oder kritische Situation einstellen (auch eine Bezeichnung für „drehen“) müssen, wenn sie nicht recht wissen, warum es nicht geht. Nicht nur Spitzensportlerinnen müssen Unterschiede erkennen und entsprechende Handlungen setzen. Die weltberühmte Geigerin Anne-Sophie Mutter sagte, sie sei ungeduldig und übe nicht sehr viel. Aber die Ungeduld zwinge sie zum Nachdenken darüber, was sie verändern müsse, damit die Töne so kommen, wie sie es wolle. „Ich bin ungeduldig. Wenn es nicht schnell geht, wird mir langweilig. Aber meistens geht es schnell voran. Ich war aber keine massive Überin – es kommt auf die Konzentration an. Dieses Wiederholen eines Problems löst es nicht. Man muss sich fragen, warum funktioniert etwas nicht. Das braucht Analyse.“ (In: Der Standard, 23. Dezember 2005). In diesem Interview wird wieder das enge Zusammenspiel von Gefühl und Analyse deutlich. Ungeduld und Unlust führen zum Nachdenken. Und das Nachdenken braucht Konzentration, wenn es zu erfolgreichem Handeln führen soll. „Triff eine Unterscheidung“ – „draw a distinction“ ist auch in der Philosophie eine berühmte Formel, um die herum George Spencer-Brown (1997) sein philosophisches System der „Gesetze der Form“ aufgebaut hat.
5.2. DOSIERTE DISKREPANZERLEBNISSE Ein Sportler steht kurz vor Ende der Saison und hat viele Wettkämpfe verloren. Wir analysierten die eigenen Erwartungen und die des Trainers. Der Plan vor der Saison lautete „mit den Besten mehr als mithalten“. Aber nach sieben verlorenen Matches ließ sich diese Erwartung in dieser Saison nicht mehr erfüllen. Gleichzeitig wollte der Sportler endlich mal wieder ein Erfolgserlebnis spüren. Es konnte aber nicht erwartet werden, den bisher größten Erfolg aus der letzten Saison zu wiederholen. In solchen Situationen kann es dem Sportler helfen, „dosierte Diskrepanzerlebnisse“ (Heckhausen, 1987) zu schaffen, um kleine Erfolge als tatsächliche Erfolge zu sehen und darauf für die nächsten Wettkämpfe aufzubauen. „Was willst Du heute verändern?“ ist die passende Frage für diese Situation. Eine Antwort wäre „das tun, was heute möglich ist“. Was aber war – heute – nach diesen vielen Misserfolgserlebnissen ein sinnvoll erstrebenswertes Ziel? Technisch gut zu spielen? Und das letzte Risiko draußen zu lassen? Was sagte der Körper? Die Erwartungen an die aktuellen Möglichkeiten anpassen? Zurück gehen an den Start? Aber wie? Für die (Selbst-) Intervention legte sich der Sportler einen Übersichtsplan zurecht. Darauf standen seine Analyse der Niederlagen und die Mei-
„Erkenne den Unterschied!“
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nungen der Trainer. Die Analyse ergab eine komplexe Mindmap von mehr als 20 Schwachpunkten. Zwanzig Elemente können nicht gleichzeitig verändert werden. Wer zwanzig „Stück“ auf der Liste stehen hat, kann leicht in Depression geraten. Die Selbstzweifel waren ohnedies schon stark. Allerdings umfasste die Mindmap auch wenigstens 20 Stärken. Er wählte von diesen zwanzig Schwächen eine einzige aus, an der er fürs Erste arbeiten wollte. Er wusste ja, dass er das Spielen und Wettkämpfen nicht verlernt hatte. Nur darauf wollte er sich im nächsten Training konzentrieren. Er wollte wieder spüren, wie es ist, wenn er sich nur auf einen Schlag konzentrieren musste. Er wollte zurück zum einfachen Spiel. Nach seiner Analyse war die Hauptschwäche, dass er ständig alles – sein gesamtes spielerisches Arsenal – zeigen wollte und darüber vergaß, seinen Stil zu spielen und zu entwickeln. Der Schlüssel hierzu war sein stärkster Schlag, Backhand Cross und Longline, mit dem er sein Spiel wieder aufbauen wollte. Die Verbesserung seines stärksten Schlages: Damit konnte er die Diskrepanz, den Unterschied zwischen den Schlägen, am besten spüren, wenn er Tempo und Präzision erhöhte. Er wusste nach einer Trainingswoche wieder, womit er eine „dosierte Verbesserung“ seines Schlages zustande bringen konnte. Das gab ihm Mut und verringerte seine Selbstzweifel. Er wisse, so sagte er, nach dem Intensivtraining seines starken Schlages wieder, wie er ihn auch in schwierigen Situationen noch gut spielen und zu seiner Waffe machen könnte. Er würde sich für alle Zeiten merken, sich auf seine Stärke zu konzentrieren. Die dosierten Diskrepanzerlebnisse hatten ihn – nach der Analyse und Orientierung auf ein Problem – wieder Schritt für Schritt auf den Weg gebracht, sodass er zum Abschluss der Saison doch noch einige gute Ergebnisse erzielte.
5.3. REGEL „TRIFF EINE UNTERSCHEIDUNG“ Ähnlich sollte die Sprinterin jeden Tag wissen, wo und warum sie „ihren“ Fortschritt machte.Warum es jetzt besser ging als vorher. Die Tennisspielerin sollte erkunden, was sie gegen ihr mentales Tief tun muss oder wie sie ihre Schnelligkeit verbessern kann. Wenn sie weiß, wo die Schwäche liegt und mit welchen Stärken sie diese überwinden kann, hat sie für ihre Selbstentwicklung mehr getan als wenn sie stur und monoton ihr Training abspult. „Triff eine Unterscheidung“ ist eine kreative Herausforderung für Sportler und Trainer! Es ist die erste Regel, die auf dem Weg zur Höchstleistung eingehalten werden muss. Täglich und manchmal sogar stündlich!
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Kapitel 5
5.4. REGEL „STELLE DIE FRAGE“ Die Umsetzung der Regel „Stelle die Frage“ kann auf sehr unterschiedlichem Niveau erfolgen. Die Frage kann extrem konkret sein und unmittelbare sportliche Handlungen betreffen, z.B. im Tennis „was ist schuld, dass ich zu spät zum Ball komme“. Gerade bei konkreten Fragen kann es viele Antworten geben. Ist es meine Grundgeschwindigkeit, meine Kondition, mein spätes Ausholen, meine Unaufmerksamkeit oder Unkonzentriertheit, mein Stellungsspiel, mein vieles Denken und Grübeln beim Spielen, mein Nicht-Antizipieren, meine Unmotiviertheit, meine mangelnde Aufmerksamkeit auf den Ball? Ein anderer Fragentypus bezieht sich auf allgemeine Motive, wie z.B. „Welches Ziel will ich in dieser Saison erreichen?“ Hier ist die Zahl der möglichen Antworten eher eingeschränkt. Es ist nicht sinnvoll, 10 Ziele in der Saison erreichen zu wollen. Denn auch im Sport gilt das Sprichwort aus der Wirtschaft: „Wer zu viele Bälle in der Luft hat, wird alle verlieren.“
Was
Warum
W-Fragen
Erfolge
Wie
nisse
Welche
hei
du
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D o s i e r t e D i s k re p a n z e r l e b
Lernen von Unterschieden
Triff
ein
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Wohin Wofür Weshalb
Stelle die Frage
Wann
Wo
Abb. 10. Die Landkarte der Höchstleistung (IV.1)
„Erkenne den Unterschied!“
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Kapitel 6
DIE MAGIE DES TALENTS „Du bist nur dann gut, wenn du jeden Tag besser wirst.“
„Sie hat ein unglaubliches Bewegungsgefühl“, „Er kann sich quälen wie kein anderer“, „So jemand Mutigen gibt es kein zweites Mal“: Charakterisierungen wie diese weisen auf Talent hin. Dieses wird meist als „angeborene“ Fähigkeit angesehen, exzellente Leistungen zu erbringen. Über „Talent“ sprechen viele. Eltern, Trainer, Bekannte, Verwandte … Talent spricht sich herum. Es kann junge Sportlerinnen besonders motivieren, aber es kann sie und Trainer durchaus mit hohen Erwartungen belasten.
Talent ist ein Wort mit vielen Bedeutungen und Interpretationsmöglichkeiten. Jedenfalls gilt es als Voraussetzung für Höchstleistung. Talentescouts sind überall auf der Welt unterwegs, um Sportler mit den besten Voraussetzungen zu finden. In den ehemaligen sozialistischen Staaten Osteuropas wurden vor allem in der DDR und in der Sowjetunion die Jugendlichen systematisch nach Talent gesichtet und entwickelt. Aber es gibt zahlreiche gegenteilige Überlegungen, dass Höchstleistung eher das Ergebnis eines besonderen Aufwands an hochwertiger Praxis ist und das angeborene Element eher eine geringe Rolle spielt (Howe et al., 1998; Ericsson und Charness, 1994).
6.1. DAS TALENT DER TALENTLOSEN Die Erfahrung zeigt, dass „Hochtalentierte“ häufig von durchschnittlich talentierten aber sehr konsequenten und willensstarken Persönlichkeiten übertrumpft werden. Als typisches Beispiel für den „harten Arbeiter“ gilt in Österreich Thomas Muster, der in seiner Jugend immer als „untalentiert“ bezeichnete wurde. Er war 1995 Sieger des Paris Open und 1996 die Nummer Eins der Tenniswelt. Ein unverschuldeter schwerer Verkehrsunfall hat seiner Karriere 1989 praktisch schon ein Ende gesetzt. Er aber kämpfte sich wieder zurück an die Weltspitze. Sein Talent war ein besonderes: „Ich war immer ein praxisbezogener Mensch und habe mit Theorie wenig anfangen können. Sehr vieles von dem, was ich heute weiß, habe ich in der Praxis gelernt. Ich hab’ darüber nachgedacht, wie ich besser werden kann als die anderen, die schon zufrieden waren. Das ist ein Denkprozess, der ein Handeln
nach sich zieht, und das Handeln war eben dann, dass ich wesentlich mehr gearbeitet habe als die anderen und dadurch das Manko an Schlagtechnik in kürzester Zeit aufgeholt habe“ (Ringhofer und Kogler, 2005, S. 37f). Muster ist eine Ermunterung für Trainerinnen und Sportler, das „wirkliche Talent“ auf dem Weg zur Höchstleistung zu suchen und zu forcieren.
6.2. WAS IST TALENT Howe et al. (1998) beschreiben die Charakteristika für Talent, die in der wissenschaftlichen Gemeinschaft als typisch angesehen werden. (1) Talent kommt aus genetisch vermittelten Strukturen und ist wenigstens teilweise angeboren. (2) Die vollen Wirkungen des Talents müssen nicht unbedingt in frühen Stadien sichtbar sein. Aber es gibt Hinweise, die es Fachleuten erlauben, dasVorhandensein von Talent bereits vor der Darstellung der Höchstleistung zu sehen. (3) Diese frühen Kennzeichen ermöglichen eine Vorhersage darüber, wer wahrscheinlich exzellente Leistungen bringen wird. (4) Nur eine Minderheit ist talentiert. Wären alle Kinder mit Talent gesegnet, würde es keinen Weg geben, den Erfolg vorherzusagen oder Unterschiede zwischen Persönlichkeiten zu erkennen. (5) Talent ist meist spezifisch auf eine Disziplin bezogen. Es gibt eine lange Tradition der Entwicklung von Talente-EntdeckungsVerfahren (siehe Durand-Bush und Salmela, 2001). Gimbel (1976) schlug vor, Talent unter drei Aspekten zu sehen: (1) Physiologische und morphologische Variablen, (2) Trainierbarkeit und (3) Motivation. Talent wurde in interne Faktoren (Genetik) und externe Faktoren (Umwelt) geteilt. Nach Gimbel sind die genetischen Faktoren wesentlich für die Entwicklung einer Expertenleistung, aber die Leistung wurde schlechter, wenn die Umgebungsbedingungen nicht günstig waren. Weitere Entwicklungen der Talent-Detektoren zeigten, dass typische Anforderungsprofile für bestimmte Sportarten, sogenannte „Sportogramme“, nicht ausreichend für eine gute Vorhersage der Leistung waren (Geron, 1978). Ein Überblick über Modelle der Talent-Ermittlung zeigt, dass TalentEntdeckung auf wissenschaftlicher Basis ein mühsamer Prozess ist (DurandBush und Salmela, 2001, S. 272). Die involvierten Themen sind so zahlreich, dass sich mehr und mehr Fragen ergeben, die die Machbarkeit der TalentErmittlung insgesamt in Frage stellen. Bartmus et al. (1987) machten eine Langzeitstudie mit 100 Tennisspielern und kamen zum Ergebnis: „Es gibt keine einheitliche Fähigkeit der Tennis-Leistung: Defizite in einem Leistungsbereich können durch ein hohes Niveau in anderen Leistungsbereichen kompensiert werden“ (S.415).
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Kapitel 6
Diese Ergebnisse implizieren, dass Talent-Erkennung nicht nur auf einem einzigen Satz vermuteter Voraussetzungen für Hochleistung beruhen darf. Das Urteil qualifizierter Coaches, die ein „Auge“ für Talent haben, scheint ein guter Indikator für das Erkennen von Talenten zu sein. Trainer erkennen gut, wenn junge Sportler eine bessere Arbeitsauffassung haben und besser trainieren als andere. Das scheinen zwei Merkmale für Talent zu sein, die wichtiger sind als Schnelligkeit oder Koordination (Thomas und Thomas, 1999). Die Urteile von Coaches und Sportlern sind aber häufig nicht deckungsgleich. Grove und Hanrahan (1988) befragten Sportler, in welchen von sechs mentalen Bereichen sie sich am besten und in welchen sie sich am schlechtesten einschätzen würden. Es waren dies: Konzentration, Emotionskontrolle, Selbstvertrauen, Kontrolle der Nervosität und der Spannung, bildhafte Vorstellungsübungen und mentale Planung bzw. Analyse. Die Sportler bewerteten die Kontrolle der Nervosität und der Spannung und die Konzentration als ihre besten mentalen Qualitäten. Die Nutzung der bildhaften Vorstellungsübungen und das Selbstvertrauen bezeichneten sie als ihre schlechtesten. Die Trainer äußerten exakt die gegenteilige Meinung. Sie meinten, dass die Athleten am besten darin wären, ihr Selbstvertrauen aufrecht zu erhalten und am schlechtesten in der Kontrolle der Nervosität. Unterschiede zwischen Sportler- und Trainereinschätzung sind häufig zu finden. Deshalb ist es in der prozessorientierten Diagnostik sinnvoll, eine Selbst- und Fremdbewertung vorzunehmen (siehe unter Teil VIII Praxisbeispiele, „Trainingsbuch“).
6.3. ENTWICKLUNG VON TALENT In Stufenmodellen der Talententwicklung beschreiben die Autoren meist drei Phasen. Bloom (1985) unterscheidet die frühen Jahre mit der Stufe der Initiation (vorrangig mit Spaß und Spielfreude), die mittleren Jahre mit der Stufe der Entwicklung (die Jugendlichen sind „gepackt“ von ihrer spezifischen Aktivität und verfolgen ihre Ziele mit Ernsthaftigkeit) und drittens die späten Jahre mit der Stufe der Perfektion. Erst in dieser letzten werden die Individuen „besessen“ und zu Experten ihrer Disziplin. In dieser Phase nimmt die Praxis stark zu. Die Leistungsträger werden extrem autonom und kenntnisreich. Bloom sagt aber gleichzeitig, dass die Stufen nur Markierungspunkte auf einem langen und kontinuierlichen Lernprozess sind. Unabhängig davon, „wie frühreif man mit zehn oder elf Jahren schon ist, wenn man am Prozess der Talententwicklung in den nächsten Jahren nicht dran bleibt, wird man bald von jenen hinter sich gelassen, die kontinuierlich arbeiten“ (Bloom, 1985, S. 538). Ähnlich beschreibt Côté (1999) drei Phasen:
Die Magie des Talents
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Die Jahre des Ausprobierens, des Spezialisierens (ab 13) und des Investierens (ab 15 Jahren). Er fügt noch eine vierte an, die des Erholungs-Sports, in die die Jugendlichen aus jeder Phase wechseln können (und damit den Weg zur Spitzenleistung aufgeben). – Die Entwicklung von Talent braucht Jahre der Selbstverpflichtung (commitment) für Lernen. Entscheidend ist der Aufwand und die Qualität der Unterstützung und der Instruktionen, die die Kinder von Eltern, Lehrern oder Trainern erhalten. Oft sind die Eltern verantwortlich für die erste Lust am Sport (Côté, 1999). – In jeder Phase gibt es Sportler, die in die nächsthöhere wechseln, den Sport aufgeben (drop out) oder in den Freizeitsport gehen (Côté, 1999). In den Jahren der Spezialisierung (etwa ab 13 Jahren) nähern sich die jungen Sportler immer mehr ihrer Disziplin an und diese Entscheidung wird von Gleichaltrigen, älteren Geschwistern, Eltern und Trainern unterstützt. Freude und Spaß ist in diesem Alter wichtig, wenngleich die Praxis stärker strukturiert wird. Gerade in dieser Phase der angehenden Spezialisierung ist es wichtig, für die Jugendlichen eine Mischung aus bewusstem Spiel und hochwertiger Praxis zu finden. – Hohes Talent zu haben, bedeutet nicht zwangsläufig, ein guter Wettkämpfer zu werden. Es bedarf eines zusätzlichen Talents für die Wettkampf-Qualität. – Hochleister verbringen wenigstens 10 Jahre lang oder 10.000 Stunden in hochwertiger und bewusster Praxis. Die 10-Jahres-Regel ist eine notwendige aber nicht hinreichende Bedingung für sportliche Expertenschaft. – Hochwertige Praxis bedeutet (Ericsson et al., 1993): jede hoch strukturierte, zielorientierte Aktivität, die ausschließlich darauf abzielt, die Leistung zu verbessern. Diese Aktivitäten haben nichts zu tun mit Erholung oder spontanem Spiel, Wettkampf, Arbeit und anderen Formen von Erfahrung. Weil sie mühevoll ist, ist sie allgemein auch nicht unmittelbar motivierend oder angenehm.
6.4. PSYCHOLOGISCHE ELEMENTE DES TALENTS Orlick und Partington (1988) untersuchten 235 Olympiateilnehmer aus Kanada. Von den drei Feldern der Vorbereitung, dem technischen, physischen und mentalen Bereich, konnte nur der mentale Bereich als Vorhersagevariable für Olympiaplatzierungen genutzt werden. Diese Studie belegte auch das Talent der Talentlosen. Denn es waren weniger die Charakterzüge der Persönlichkeit entscheidend, sondern vielmehr die psychologischen Fertigkeiten, mit denen erfolgreiche von erfolglosen Athleten unterschieden
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werden konnten. Dazu gehörten die Selbstverpflichtung, das hochwertige Training, tägliche Übungen in Bildvorstellung (innere Bilder) und in Zielsetzung und in der Simulation von Trainingsabläufen. Weitere Erfolgselemente waren die mentale Wettkampfvorbereitung, die Entwicklung von Plänen für den Wettkampf-Fokus, und von Plänen für die Neukonzentration sowie für die Bewertung nach dem Wettkampf. Die Planung des mentalen Wettkampfmanagements war ein entscheidender Erfolgsfaktor. Eine Studie von Mahoney et al. (1987) mit Olympiateilnehmern weist in die gleiche Richtung. Der Umgang mit Konzentration, das Angst-Management, Selbstvertrauen, die mentale Vorbereitung und die Motivation unterscheiden Spitzenathleten von weniger erfolgreichen. Die Kontrolle von Stress und Angst, der bewusste Umgang mit Entspannung, Erholung und Aktivierung sind ebenfalls für die exzellente Ausübung des Sports wichtig. Manche Autoren halten Konzentration und die Fähigkeit, sie nach Ablenkung wiederherzustellen, für den wichtigsten Faktor der sportlichen Höchstleistung. Interessanterweise wird diese Fertigkeit von Athleten oft am wenigsten praktiziert (Orlick, 1996). Das mentale Training (Eberspächer, 2001; Igel, 2001) gilt als weitere wertvolle Fertigkeit, um ausgezeichnete Ergebnisse zu erzielen. Für ähnlich wichtig wird das bildhafte Vorstellungstraining gehalten.
6.5. SCHLUSSFOLGERUNGEN AUS DER TALENTFORSCHUNG Aus den Untersuchungen über Talent ergeben sich folgende Anwendungen für den hochwertigen Trainingsprozess: – Es ist sinnvoll, vor allem die Stärken der Sportlerinnen zu entwickeln, denn sie können Schwächen in anderen Bereichen kompensieren. – Wer die Stärken der Sportler entwickelt, unterstützt deren Selbstvertrauen, Selbstsicherheit und tendenziell auch die Selbstverpflichtung (commitment). Diese Eigenschaften gelten als die wichtigsten mentalen Kräfte für exzellente Leistungen. – Die grundlegenden körperlichen Kriterien sind Voraussetzung für Exzellenz in jeder Sportart. Sie sind aber nicht ausreichend für den Erfolg. Wenn die körperlichen und technischen Voraussetzungen gegeben sind, entscheiden die psychologischen Fertigkeiten. Diese sind allerdings wiederum wichtig für die möglichst präzise Aneignung des technischen Könnens und für die Gestaltung eines hochwertigen Trainings. Zwischen Talent und psychologischen Fertigkeiten besteht eine enge Wechselbeziehung.
Die Magie des Talents
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– Man könnte deshalb von „zwei Talenten“ sprechen: vom angeborenen oder ererbten und vom gelernten oder erworbenen Talent. Für beide gibt es Befunde. Personen mit einem hohen Anteil an langsamen Muskelfasern sind geeigneter für Ausdauersportarten, und solche mit mehr schnellen Fasern eher für Sprintdisziplinen. Diese genetische Voraussetzung kann durch noch so effiziente psychologische Fertigkeiten nicht kompensiert werden. Sehr wohl aber kann der Anteil der schnellen und langsamen Fasern durch Training verändert werden. – Psychologische Fertigkeiten sind erlernbar. Sie sind aber ebenfalls von der Genetik beeinflusst. Eysenck (1976) schätzte diesen Anteil bei Neurotizismus, Extra- und Introversion sogar bis auf 80%. Saudino (1997) kam zum Schluss, dass bis zu 50% der Persönlichkeitseigenschaften wie Aggressivität, Neurotizismus und Extraversion auf genetische Faktoren zurückzuführen sind. – Talent kann sich ohne hochwertige Praxis nicht entwickeln. – Talent ist verknüpft mit der Fähigkeit, Unterschiede zu erkennen. – Talent kann harte Arbeit nicht ersetzen. Die Trainingsprogramme sind wissenschaftlich fundiert und mit den Erholungs- und Belastungsphasen „durchkomponiert“, sodass gutes Bewegungsgefühl (Körper) allein oder die „Kunst des Selbstquälens (Psyche) allein nicht mehr ausreichen, um an die Spitze zu gelangen. – Das psychologische Können der Sportler sollte sich bereits möglichst früh (in der Spezialisierungsphase ab dem 13. Lebensjahr) entwickeln, damit sie es für die Intensivierung und Präzisierung des Trainingsprozesses nutzen können. – Die Punzierung als „hochtalentiert“ ist für den Sport dann kontraproduktiv, wenn sie „Nichttalentierte“ von der Unterstützung ausschließt. – Die Informationen über Talent sind sinnvoll. Sie können „talentierte“ Sportlerinnen dazu anregen, ihr Talent als zweites Standbein neben der harten Arbeit zu nutzen. Sie können „untalentierten“ Sportlerinnen den Mut und das Selbstvertrauen vermitteln, dass sie es dank kontinuierlicher Arbeit auch mit weniger Talent schaffen können, wenn sie „ihre“ Stärken und Fertigkeiten entwickeln.
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Talent Selbstverpflichtung Stärken kom
en wäch en Sch pensier
Abb. 11. Die Landkarte der Höchstleistung (IV.2)
Die Magie des Talents
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NEUGIER UND INTERESSE Es gibt jugendliche Sportler mit einem hohen Interesse, das weit über die unmittelbare Sportausübung hinausgeht. Sie kümmern sich um ihr Material, sehen sich ihre Vorbilder immer und immer wieder auf Video an, versuchen die für sie passenden psychologischen Methoden zu finden und setzen ihre Erkenntnisse möglichst schnell um. Diese Gruppe der „Forscher“ hat langfristig eine bessere Chance ihr gesamtes Potenzial auszuschöpfen als Andere, die zum Training kommen und kaum einen Plan haben. Sie glauben, dass ihr körperlicher Einsatz reicht, um an die Spitze zu kommen. Den Unterschied zwischen diesen beiden Gruppen machen die Neugier und das Interesse aus.
Neugier ist ein biologisches Grundbedürfnis. Sie ist so wichtig für den Menschen wie Schlaf, Hunger oder Durst (Berlyne, 1960). Unter Neugierverhalten wird eine kurzfristige Zuwendung zu neuen Gegenständen verstanden. Interessen zeigen eine langfristige Dimension und können als in die Persönlichkeit hineingewachsene Neugier verstanden werden. Neugier und Interesse beinhalten – wie das psychologische Quadrat – mehrere psychologische Aspekte: – Die Motivation, sich Neuem zuzuwenden und die gedankliche Komponente der Suche nach Neuem und dieses – wie in einem Suchbild – aus bekannten Wahrnehmungsinhalten herauszulösen. – Die Emotionen des Interesses sind der Wert und die persönliche Wichtigkeit des Gegenstandes. Die Neigung zu einem Gegenstand bindet die Person an ihn. Im Satz „Ich bin eine Hochspringerin“ kann so viel Emotion enthalten sein wie im Ausspruch des amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy „Ich bin ein Berliner“. – Den Handlungsaspekt – er betrifft die Aktivitäten, die nötig sind, um den „Gegenstand“ – z.B. den Hochsprung – entsprechend auszuüben und täglich mit der eigenen Persönlichkeit zu verbinden. Neugier, Angst und Problemlösen hängen eng zusammen (Holodynski und Oerter, 2002, S. 559 f). Sind die Reize in der Umgebung immer gleich, dann entsteht Langeweile. Es kann sich kein Bedürfnis entwickeln, Probleme zu lösen. Sind die Reize extrem ungewohnt und fremd, dann entsteht Angst.
Um das Neugierverhalten optimal zu gestalten, muss auf allen Trainingsebenen ein gutes Mittelmaß an Neuem angeboten werden. Die größten Fortschritte im Training sind dann zu erzielen, wenn die neuen Anforderungen an das Fertigkeitsniveau der Sportler angepasst sind und deren Lust an der Bewältigung herausfordern. Der zweite wichtige Aspekt der Trainingsgestaltung ist das wertschätzende korrigierende Feedback. Hohe Angst ist dann kein hinderlicher Faktor für das Problemlöseverhalten, wenn die Neugier hoch ist. Manche Persönlichkeiten entwickeln ihre Interessen bereits in frühem Alter. „Ich wollte schon als kleines Kind Formel-1 Fahrer werden.“ Lang anhaltende Interessen geben Sinn. Es kann aber auch sein, dass Interessen erst aufgrund einer regelmäßigen Tätigkeit in einem bestimmten Bereich entstehen. Beide Entwicklungen sind in den Karrieren von Spitzensportlerinnen zu beobachten.
Gedanken
Nei
gung
Emotionen
Interesse Handlungsaspekt
Abb. 12. Die Landkarte der Höchstleistung (IV.3)
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DIE „INNERE SPRACHE“ UND DER STRESS Wir denken nicht immer, bevor wir handeln. Die meisten unserer Verhaltensweisen laufen auf der Grundlage von Gewohnheiten und erlernten Ritualen ab, ganz besonders aber werden sie von der „Inneren Sprache“ gelenkt. Die Sprache steuert das Verhalten. Noch nachhaltiger tut das die „Innere Sprache“. Sie ist Ausdruck des Abwägens von Argumenten und des Treffens von Entscheidungen. Das Abwägen besteht häufig aus pro und kontra. Das innere Argument „ich muss noch mein Material vorbereiten“ widerspricht dem inneren Wunsch „ich möchte mich endlich entspannen“. Die Innere Sprache hat eine zweite Besonderheit. Sie verläuft unter Stress meist automatisch und ziemlich schnell. Die Gedanken sind nicht mehr das Ergebnis von Überlegungen und Begründungen, sondern meist das Ergebnis früherer (negativ erlebter) Situationen. Die Schritte haben keine logische Abfolge wie beim zielorientierten Denken oder Problemlösen (Lückert 1994, S. 222).
Die Art der Reaktion auf Stress wird zum Großteil dadurch beeinflusst, wie die Sportlerin die Stresssituation einschätzt und wie sie ihre Fähigkeit beurteilt, damit fertig zu werden. Die inneren Dialoge beeinflussen die Aufmerksamkeits- und Beurteilungsprozesse des Sportlers und auch die physiologische Erregung. Wer die Erregung als Angst interpretiert, steigert sie und blockiert Denken, Handeln und den Bewegungsablauf. Wer die Erregung als Leistungsmobilisierung interpretiert, wird sich besser mit seiner Aufgabe auseinander setzen können. Nicht die Erregung selbst ist das beeinträchtigende Moment, sondern das, was die Sportlerin über die Erregung denkt. Die gedankliche (kognitive) Bewertung ist nicht ein zusätzlicher Vorläufer des Gefühlserlebens sondern ein integraler Bestandteil der Emotionen. Es ist sinnvoll, bei Selbstgesprächen nicht nur vom inneren Monolog, sondern vom Dialog zu sprechen, denn es gehört auch das innere Zuhören dazu. Der Dialog mit sich selbst beeinflusst das Verhalten. Der innere Dialog wirkt sich auf die gesamte kognitive Struktur aus, also auf die Vorstellungen, Pläne, Schemata, die eigene Rolle und das Kontrollsystem. Meichenbaum vergleicht die kognitive Struktur mit einem Drehbuch, das den Entwurf des Denkens festhält (Meichenbaum 1979, S. 211ff.).
Im psychologischen Training wird die innere Sprache bewusst gemacht und neu strukturiert. Über Veränderungen des inneren Dialogs kann das Verhalten geändert werden: Der Weg geht von Problemsätzen („Ich kann bei schlechtem Wetter nicht.“) über Analysesätze („Ich habe auch bei schlechtem Wetter gute Ergebnisse gebracht.“) im nächsten Schritt zu Lösungssätzen („Ich werde mich heuer bei schlechtem Wetter an die Verhältnisse anpassen und mein Bestes geben.“). Die kognitive Auseinandersetzung, das Zwischenstück der Analyse, ist wichtig, damit der Sportler das Selbstmanagement forcieren kann. Denn Selbstmanagement funktioniert nur, wenn Erkenntnis („Ich habe auch bei schlechtem Wetter …“) und Gefühl („Das freut mich, denn ich habe auch unter solchen Bedingungen eine Chance.“) zusammen passen.
8.1. REGELN UND UMSETZUNG DES „INNEREN DIALOGS“ (ANHAND EINES BEISPIELS)
– Die Sportlerin analysiert mit der Psychologin die inneren Sätze und deren Auswirkungen auf das psychologische Quadrat. Der Problemsatz „ich kann bei schlechtem Wetter nicht mein Bestes bringen“ ist mit Vorstellungen, Gefühlen und körperlichen Reaktionen verbunden. – Häufig ist es so, dass durch „gemeinsames Nachdenken“ mit der Psychologin die unpassenden Vorannahmen deutlich werden und sich falsche Überzeugungsstrukturen auflösen. – Die Athletin erkennt, dass sie in kritischen Situationen Unsicherheit, Angst und weitere Erregung produziert und dann Gefühle der Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit entwickelt („Ich weiß überhaupt nicht, was los ist, es hat überhaupt keinen Sinn.“). – Sie versucht, ihre Vor-Annahmen („Hoffentlich mache ich nicht wieder den gleichen Fehler …“) zu verändern. Die Psychologin unterstützt mit Fragen und zielorientiertem Nachdenken darüber, welche Faktoren eine Rolle spielen, wenn es „nicht läuft“. – Die Frage der Psychologin, „Was wird sein, wenn du dein Ziel nicht erreichst“, nimmt die Angst der Sportlerin auf und damit wird es überhaupt erst möglich, die meist komplexen Gefühlspakete zu bearbeiten. Denn neben Angst treten gleichzeitig häufig Gefühle der Kleinheit, der Wut auf sich selbst oder des Zorns auf andere auf. – Das Wissen über die eigenen „Kraftquellen“ und die damit verbundenen Gefühle (sind aus dem Trainingsbuch bekannt) wird nun eingesetzt, um die bisherigen negativen Gedanken und Bilder durch positive, kräfti-
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gende Bilder zu ersetzen. Dieser Vorgang muss im „Trockentraining“ geübt und im Training angewendet werden. Die Selbstgespräche, die inneren Bilder, die kognitiven Strukturen und das Verhalten werden so verändert, damit die Athletin optimale Leistungen erzielen kann.
8.2. DAS „INNERE TEAM“ Schulz von Thun (1998) spricht nicht nur von einem Dialog von zwei „inneren Personen“, sondern sogar von einem „Inneren Team“, das die einzelnen Seiten der Persönlichkeit widerspiegelt. Das Innere Team ist ein Bild, eine Metapher für die unterschiedlichen und oft widersprüchlichen Urheber innerer Botschaften (S. 29 ff). Das innere Team eines Sportlers könnte wie folgt aussehen. Der innere Kritiker macht dem Sportler konstant Vorschriften und droht mit Strafe, wenn er gegen diese verstößt. Der innere Kritiker vergleicht ihn mit anderen und lässt ihn dabei immer schlechter als den anderen aussehen. Der innere Kritiker ist bösartig, hält ihm ständig Fehler und Misserfolge vor und verhindert den Blick auf Erfolge oder entwertet diese. Er sagt „Ach Gott, bin ich blöd“ und entmutigt den Athleten. Der innere Antreiber ist der Partner des inneren Kritikers. Er sagt, „Reiß dich zusammen!“ oder „Sei perfekt!“ oder „Das musst du noch machen“. Er ist für hochleistungsorientierte Menschen ein wichtiger innerer Partner. Gleichzeitig aber ist er für Überforderung, Burnout oder psychisches Übertraining verantwortlich und treibt den Sportler gesetzmäßig in die Krise, wenn nicht andere Mitglieder des Inneren Teams dagegen steuern. Sportler – und andere Menschen auch – haben häufig innere Feinde. Diese Quälgeister sagen „das schaffst du nie“ oder „du wirst im zweiten Durchgang wie schon die letzten Male versagen“. Der innere Freund stellt den verletzlichen und gefühlvollen Anteil des Sportlers dar. Er sagt „versuche es, du kannst es“, oder „genieße dein Leben“. Aber er sagt auch „du darfst schwach sein.“ Er stellt den Gegenspieler des inneren Antreibers oder Kritikers dar und verhindert, dass die beiden übermächtig werden und die Weiterentwicklung des Athleten blockieren. Das Innere Team hat meist noch mehrere Mitglieder, die sich mit unterschiedlicher Lautstärke Gehör verschaffen. Wie in jeder Mannschaft gibt es einen Kapitän, der besonders viel Einfluss hat, und andere, die eher im Hintergrund aktiv sind. Die Identifikation des Inneren Teams ist ein wichtiger Teil der psychologischen Arbeit. Die W-Fragen sind hier hilfreich. Die „Innere Sprache“ und der Stress
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8.3. SELBSTBEOBACHTUNG UND REFLEXION DER „INNEREN SPRACHE“ Wer seine „Innere Sprache“ beobachtet, beobachtet sich selbst. Aber ist es überhaupt möglich, etwas zu erleben und sich gleichzeitig zu beobachten? Verändert die Selbstbeobachtung nicht das Erleben? Kann eine 100-m Läuferin mit voller Energie laufen und gleichzeitig ihre Gedanken, Gefühle und das Funktionieren ihres Körpers beobachten und diesen gleichzeitig zur Höchstleistung treiben? Ja, sie kann. Während eines Wettkampfs gehen den Athletinnen tausend Dinge durch den Kopf, die sie positiv oder negativ beeinflussen und die sie in der nachfolgenden Analyse rekapitulieren können. Dazu ein Beispiel, wie die innere Sprache mit dem Körper zusammenhängt: Eine Skiläuferin stürzt an einer Stelle, an der schon mehrere gestürzt sind. Nach dem Rennen frage ich sie, was unmittelbar vor dem Sturz in ihr vorgegangen ist. Sie denkt nach und sagt: „Ich habe an der eisigen Stelle gespürt, wie gut ich am Ski stehe und mir gedacht, ‚Fein, ich fahre so perfekt, da kann ich locker sein’, und in diesem Moment bin ich schon ausgerutscht“. Meine nächste Frage war, was ihr Körper bei diesem Gedanken machte. „Ich glaube, ich habe auch den Druck gelockert und bin in dem Moment nicht mehr so präzis am Ski gestanden wie vor dem Gedanken.“ Der nächste Schritt im psychologischen Training war, den Lauf in guter Entspannung durchzugehen und sich einige Schlüsselstellen ganz besonders unter dem Aspekt des Zusammenspiels des psychologischen Quadrats anzusehen: Was denkt die Sportlerin an dieser Stelle, wie das Gefühl ist und wie der Körper agiert. Muss der Körper die Spannung verlieren, wenn sie denkt „locker lassen“? Oder kann sie die Spannung halten, aber innerlich trotzdem locker bleiben und mit Freude fahren? Das ist eine Übung, für die die Trance und der tiefe Entspannungszustand gut geeignet sind. Aber auch mit dem Muskel-Biofeedback EMG sind gute Ergebnisse zu beobachten. Die Innere Sprache ist ein wertvolles Diagnose- und Veränderungsinstrument. Die Athletin stellt fest, was sie in Schlüsselsituationen erlebt, hält diese Beobachtung fest, speichert sie und erinnert sich später daran. Die Kenntnis der Inneren Sprache gibt nicht nur Aufschluss über aktuelle Gefühle und Erwartungen, sondern auch über – bisher vielleicht – unbewusste Lebensziele und lebensleitende Ideen. Sobald das Innere Team identifiziert ist, wird man eruieren, woher denn der innere Antreiber oder der innere Freund kommen. Der nächste Schritt besteht darin, den Umgang mit ihnen zu verbessern. Denn mit einer Operation herausschneiden kann man den inneren Antreiber nicht. Auch Selbsthypnose, die im vorigen Bei80
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spiel zur Eruierung des psychologischen Quadrats hilfreich war, führt nur zu einem begrenzten Erfolg. Positive Selbstsuggestionen, so zeigt Tönnies (1994, S. 201), sind hier nicht hilfreicher als Entspannungsverfahren. Im Selbstmanagement-Ansatz geht man davon aus, die Rolle zu verstehen, die der Freund und der Antreiber im Wirkungsgefüge des gesamten Teams spielen. Vielleicht sind beide notwendig und ergänzen einander? Wenn der Antreiber sagt, „Sei perfekt!“, und der Freund „Steh zu dir!“, dann ist es wie in einem wirklichen Team sinnvoll, den Antreiber zu akzeptieren und beide zu integrieren. „Was nützt er mir und wie gehört er zu mir. Und stellt er das Einzige dar, was ich bin oder habe ich nicht andere Teile in mir, die ich ebenfalls nützen kann?“ Die Schritte im Selbstmanagementprozess sind: Erkennen der inneren Spieler, ihren Wirkungszusammenhang und die Folgen für das Verhalten feststellen, sie akzeptieren und nicht abwehren (Abwehr schafft innere Blockaden), und ihr Zusammenspiel neu organisieren.
Inneres Zuhören
Problemsätze Analysesätze
Innerer Dialog
Lösungssätze Selbstgespräche
rer Inne Innere Bilder
Krit
Innerer Antreiber iker
Innerer Feind
Innerer Freund
Abb. 13. Die Landkarte der Höchstleistung (IV.4)
Die „Innere Sprache“ und der Stress
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DER „INNERE BEFEHL“ Die Information über den Zusammenhang von Gedanken, Gefühlen, körperlichen Reaktionen und Verhaltensweisen fasse ich unter dem Schlagwort „Innerer Befehl“ (IB) zusammen. Die Bewältigung von Belastungen hängt u.a. davon ab, wie und mit welchen Instrumenten die Organisation des Willensbildungsprozesses in der Person vor sich geht (Stoll 1996, 140). Ein wesentliches Moment, mit dem ein Mensch kulturelle oder natürliche Reize aktiv verändert und zur persönlichen Selbstregulation einsetzt, dürfte die „innere Sprache“ sein. Wörter erlauben es, weitere Reize zu hemmen und das eigene Handeln zu modifizieren, wenn unvorhergesehene Ereignisse (z.B. kritische Situationen im Wettkampf) auftreten.
Diese sprachlichen Rückmeldungen bzw. Selbstgespräche erfolgen oft in kurzen Selbstinstruktionen. Im Selbstmanagement und in der kognitiven Therapie sind die Selbstinstruktionen als effektive Interventionsverfahren nachgewiesen. Hindel und Krohne (1988), Stoll (1995, 1996) und Schlicht, Meyer und Janssen (1990) untersuchten die Rolle des „inneren Gesprächs“ in verschiedenen Sportarten. In der Hypnose wird eine Art des bildhaften „inneren Gesprächs“ erfolgreich genutzt. Ähnlich effizient sind die Vornahmen, die Beckmann (2002), Szymanski et al. (2004) und andere Autoren untersucht haben. Vornahmen können als Selbstinstruktionen verstanden werden. Der Innere Befehl ist anders als die innere Sprache ein bewusster psychischer Akt, mit dem sich Sportler bestimmte Aufgaben auf den vier Ebenen des psychologischen Quadrats vornehmen. Der Innere Befehl als Weiterführung des „inneren Gesprächs“ (im Detail siehe unten) wird auch in der unmittelbaren Wettkampfvorbereitung eingesetzt. Der „Innere Befehl“ ermöglicht die Konzentration auf die wichtigste Aufgabe und die persönliche Mobilisierung von Körper, Gedanken, Gefühlen und Verhalten (von sportlichen Handlungen im Training und im Wettkampf).
9.1. GEDANKEN UND INNERE BEFEHLE Gedanken verzerren, wie am Beispiel der inneren Sprache gezeigt, oft die Realität. Diese Zuschreibungen funktionieren wunderbar und haben zweifellos ihre Motivationskraft. Doch sie haben auch etwas „Unechtes“ an sich. Ein wenig wirken sie wie Selbstillusionierungswerkzeuge. Ganz anders hingegen die „kognitiven Codes“. Sie verknüpfen eine energetisierende Situation oder Erfahrung mit einem Begriff, der schließlich selbst die Fähigkeit erhält, energetisierend und motivierend zu wirken. Bei „Inneren Befehlen“ hat man den Eindruck, dass hier nichts „beschönigt“ oder „umgedeutet“ wird. Vielmehr wird der Körper einfach an seine Fähigkeiten und Kräfte erinnert: Das, was da ist, wird in Hochgeschwindigkeit aktiviert. Das ist auch der Clou „Innerer Befehle“: Wie Stromschläge schießen sie durch den Körper; sie werfen richtiggehend Bewegungsmuster an und machen Lust auf diese. Bei guter und wiederholter Übung des richtigen „Inneren Befehls“ ist die Tennisspielerin „sofort im Spiel“ – und nicht erst nach fünf Games.
9.2. DIE DREI TRAGENDEN ELEMENTE „Innere Befehle“ bestehen aus dem Zusammenspiel von drei Elementen, die im Training aufeinander abgestimmt werden. Im Zentrum steht dabei die so genannte „Repräsentation der Bewegungsvorstellung“ (B).Viele Sportler haben das Problem, nicht „schnell genug in die Gänge“ zu kommen und brauchen lange, bis sie im Spiel sind. Die Übung und der Auftrag an sich selbst ist, die „Kernbewegung“ zu verinnerlichen. Wer von Beginn an in den Rhythmus und Bewegungsablauf kommen will, versucht diesen Bewegungsablauf im Kopf zu „repräsentieren“. Dazu muss er ihn im Training wieder und wieder ausführen und ihn im Kopf durchgehen – so lange, bis dieser wie ein Film abläuft; wie ein Film, den man mit jeder Faser seines Körpers spürt. Damit diese Vorstellung nun auch tatsächlich die Kraft hat, die Sportlerin so richtig in Schwung zu bringen, soll sie die Form eines „schönen Bildes“ (B) haben. Das heißt, die Bewegung soll „verkörpert“ sein, jederzeit in Gedanken durchgegangen werden können, und „wohltuend“ wirken. Sie erinnert z.B. an den strahlenden Wintertag, an dem das einwöchige Gletschertraining mit einem stressfreien, aber doch voll gefahrenen Torlauf beendet wurde. Das lässt sich mit einer Bewegungsvorstellung erreichen, die mit einem solchen „Wintertag-Bild“ gekoppelt wurde. Das Bild/die Vorstellung weist die richtige Balance aus Spannung und Konzentration auf, und blockiert die
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Bewegungsvorstellung nicht. Ist es wohltuend und spannungsgeladen, bildet es das zweite Element des „Inneren Befehls“. Das dritte Element ist die „Aktivierung von Aggression und das Zurückdrängen von Ärger und Angst“ (A). Wenn die Sportlerin den inneren Film abspielt und den zentralen Bewegungsablauf im Kopf „sieht“ und ihn zugleich mit dem ganzen Körper in Form eines „Drängens“ „spürt“, und wenn noch dazu das wohltuende Bild des Wintertages dazu kommt, dann fließt eine „Energiewelle“ durch den Körper, die die Angriffslust weckt und ihn wie einen Bogen spannt. Diese Aktivierung der Aggression hat einen Rückkoppelungseffekt auf die Bewegungsvorstellung und intensiviert diese weiter und macht sie „dichter“.
9.3. DAS B-A-B – SCHEMA In diesem Arbeitsmodell fasse ich die Seiten und Vorgänge des psychologischen Quadrats, die innere Sprache und die inneren Bilder zu einer strukturierten und didaktischen Vorgehensweise zusammen. Es soll die Athleten auf einfache Weise und schnell zu ihren jeweiligen psychologischen Aufgaben führen. Das Schema besteht aus den Elementen Bewegungsvorstellung, Bild und Aggression und daraus leitet sich die Bezeichnung B-A-B – Schema ab. Die Sportlerinnen setzen den Befehl in unterschiedlichen Situationen und auf differenzierte Weise ein. Im Training orientiert der Befehl auf die jeweilige unmittelbar bevorstehende Aufgabe. Je nach sportlicher Disziplin geht es um Genauigkeit in der Durchführung der Übung, das Gewinnen extremer Schnelligkeit, das Entwickeln hoher Konzentration, den Umgang mit dem Gegner, die Vorstellung des Bewegungsablaufs und andere Aufgaben. Der Innere Befehl wird mit der Sportlerin aufgabenspezifisch erarbeitet. Der psychologische Zugang zum inneren Befehl beginnt mit Fragen. Wenn die Athletin sagt, „Ich bin total nervös.“, dann orientiert die Psychologin sie auf die vier Seiten des Quadrats. Die Fragen sind vom Typus „Bist du gedanklich nervös, spürst du die Nervosität hauptsächlich im Körper, ist eine emotionale Verunsicherung da oder bist du handlungsunsicher?“ Je nach der Gewichtung der vier Seiten des psychologischen Quadrats der Sportlerin wird man im Inneren Befehl Techniken und Vornahmen für körperliche, emotionale, gedankliche oder Aktivitäts-Übungen gemeinsam entwickeln.
Der „Innere Befehl“
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Abb. 14. Das B-A-B – Schema
9.3.1. B-A-B UND DAS BEISPIEL „HOFFENTLICH“ Eine Sportlerin spielt beim letzten Training vor einem Turnier meist miserabel Tennis. Ihre Trainerin ermunterte sie und forderte sie manchmal auch sehr ausdrucksstark auf, sich mehr zu bemühen. In manchen Situationen meinte sie sogar, wenn sie im Match so miserabel spiele wie jetzt, dann würde sie nie erfolgreich nach oben kommen. Die junge Spielerin steckte diese negative Motivation durch die Trainerin normalerweise gut weg. Sie erledigte das Thema gedanklich einfach unter dem Motto „eine schlechte Generalprobe ergibt eine gute Premiere“. Sie hielt sich für eine typische Wettkämpferin, die erst im Wettkampf ihr volles Können erreicht. Nach einigen Misserfolgen allerdings machte sich zunehmend ein Gefühl der Verunsicherung breit. Gedanken wie „vielleicht hat die Trainerin doch recht“ wurden häufiger. Vor dem Turnier kamen die Gedanken immer stärker durch. Sie äußerten sich in der inneren Sprache „hoffentlich schaffe ich es heute“. Das Wort „hoffentlich“ ist im Sport das Codewort für Selbstzweifel. Im ersten Schritt suchten Psychologin und Sportlerin nach Fakten und schafften Klarheit über den Zusammenhang zwischen Leistung im letzten 86
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Vorbereitungsmatch und Ergebnis im Turnier. Diese Analyse ergab keinen eindeutigen Zusammenhang. Manchmal spielte sie nach schlechter Vorbereitung schlecht, meistens aber gut. Auf die Frage nach dem Typus und Ort der Gefühle wusste sie keine rechte Antwort. Junge Sportler brauchen bei der Frage nach Gefühlen oft eine klärende Hilfestellung. Viele antworten mit gedanklichen Einschätzungen. Im zweiten Schritt erarbeiteten die beiden den Zusammenhang zwischen Gedanken, Gefühlen und Körper. Die zunehmende Häufigkeit der „Hoffentlich“ – Gedanken lenkte sie von ihrer Konzentration auf ihre Aufgaben ab. Statt sich gedanklich und emotional mit dem bevorstehenden Match auseinanderzusetzen und ihren Körper darauf einzustellen, drängten sich die Selbstzweifel über die Innere Sprache immer mehr in den Vordergrund. Die Spielerin gab sich die körperliche Spannung nicht mehr in vollem Ausmaß und der gedankliche Fokus lag weniger in den bevorstehenden taktischen und spielerischen Aufgaben als viel stärker bei ihrer Unsicherheit, „hoffentlich verliere ich nicht, sonst falle ich in der Rangliste zurück“. Emotional trat bei ihr wie bei vielen jugendlichen Sportlerinnen ein nicht bewusstes Gefühlspaket der ängstlichen Kleinheit auf. Diese Vorgänge kulminieren in der Aussage: „Ich bin total nervös“. Aus der Analyse dieser psychologischen Abläufe gelangten Psychologin und Sportlerin zu einer neuen Ordnungsstruktur für das weitere Vorgehen. Der nächste Schritt bestand aus einem Komplex von mehreren Fragen, wobei eine nach der anderen durchgedacht, von der Sportlerin durchgespürt und auf seine Anwendbarkeit überprüft wurde: „Du kennst nun den Zusammenhang zwischen Turniervorbereitung, der Entwicklung deiner Gedanken und Gefühle, der körperlichen Verunsicherung und deiner Nervosität. Wo glaubst du, kannst du am besten ansetzen, um dein Problem zu lösen? Möchtest du im Vorbereitungsmatch aktiver sein und würde dich das gedanklich beruhigen? Ist es dir wichtiger vor dem Wettkampf deine Gedanken stärker zu ordnen und dir auf diese Weise Sicherheit zu geben? Glaubst du, dass du dir mithilfe deines Körpers Abhilfe schaffst, indem du ihm wieder die gewohnten richtigen Befehle gibst?“ In dieser Situation bestand der Innere Befehl aus mehreren Teilen. Für das Vorbereitungsmatch wollte sie bei ihrem Motto bleiben. Sie würde sich weiterhin darauf konzentrieren und ihr Bestes geben, aber es würde für sie keine Katastrophe bedeuten, wenn sie in der Vorbereitung nicht optimal spielte. Für die Gedanken vor dem Wettkampf würde sie einerseits auf ihre bisherigen Erfolge zurückgreifen („Ich hab in der heurigen Saison schon sehr gute Leistungen erbracht“) und das würde ihr ein gutes Gefühl geben. Andrerseits würde sie – mit dieser emotionalen Aufmunterung im HinterDer „Innere Befehl“
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grund – ihre Gedanken wieder gezielter auf ihre Aufgaben lenken. Damit würde auch ihre Nervosität geringer werden. Die junge Sportlerin meinte auch, dass sie – jetzt gegen Ende der Saison – nicht müde sei und noch großen Spaß am Tennis habe. Die Lust am Tennis sei auch deshalb da, weil es ihr Vergnügen bereite, dem Publikum eine gute Show zu bieten. Es gab also weitere Ressourcen und Motive. Die Inneren Befehle lauteten für die verschiedenen Situationen folgendermaßen: „Im Vorbereitungsmatch bemühe ich mich so gut ich kann. Wenn es nicht gut gelingt, ist es auch keine Katastrophe“. Für den Wettkampf formulierte sie: „Ich habe heuer schon sehr gute Leistungen erbracht. Ich weiß, dass ich es auch heute kann. Ich konzentriere mich auf meine Aufgaben. Besonders wichtig ist mir, sofort im Spiel zu sein. Ich achte vom Aufstehen bis zum Match auf die Rituale meiner Vorbereitung.“ Die Psychologin übte mit der Sportlerin für die Umsetzung dieser Vornahmen die Techniken des Gedankenstopps und der Wahrnehmungsumlenkung (siehe Teil VI Methoden Kap. 31.1.2 und 31.1.3). Sukzessive verkürzte die Spielerin die Inneren Befehle durch ein einziges Wort. „Generalprobe“ wurde zu einem Anker, der nach einiger Zeit wieder ein gutes Gefühl auslöste. „Sofort im Spiel“ löste bei ihr eine Kaskade von Selbstaufforderungen aus, die bei ihr von der Konzentration auf die taktischen Vorgaben bis zur körperlichen Aktivierung reichte. Das Wörtchen „hoffentlich“ verlor seinen Platz in ihrer Gedankenwelt. Die Nervosität wurde nach Selbsteinschätzung der Sportlerin und nach Einschätzung der Trainerin deutlich geringer. In der Folge kamen auch wieder die Erfolge. In Situationen wiederum, in denen bestimmte Vorgaben zu erfüllen sind, besteht der Innere Befehl nur aus diesem einzigen Aspekt. Wenn eine Tennisspielerin konstant den Ball zu spät annimmt, wäre ein Innerer Befehl „Ich gehe durch den Ball“. Mit diesem Befehl wird auf das Abschätzen der Flugbahn, des Dralls und der Geschwindigkeit des Balles orientiert. Dahinter steckt Wahrnehmungsschulung, Reaktionsschulung, die Selbstaufforderung zu „schnellen Beinen“, zu Mut und (häufig) zu Aggressivität. Der B-A-B – Prozess hilft jungen Sportlern, ihre Lösungen zu finden, die mit ihren Gedanken und Gefühlen kompatibel sind. Er macht sie langfristig unabhängiger und selbstbewusster.
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Kapitel 9
9.3.2. B-A-B ALS RAHMEN FÜR DAS PSYCHOTRAINING Die Umsetzung des B-A-B Modells verlangt von den Sportlern trotz der klaren Struktur intensives Training. So ist es sinnvoll, die Bewegungen, die für den Wettkampf wichtig sind, im psychologischen Training immer wieder auszuführen und mit den „neuen“ Gedanken und Gefühlen zu koppeln. Wird diesem Schema noch eine Phrase hinzugefügt und im Training geübt, so kann nach einiger Zeit die (am besten laut ausgesprochene) Phrase allein dieses Schema aktivieren. Spricht man sie dann z.B. vor dem Start aus, reagiert der Körper tatsächlich wie auf Befehl – und „fällt“ in die notwendige Bewegung. Das Training der Vorstellung von inneren Bildern und Bewegungsabläufen bildet eine weitere Facette des psychologischen Trainings. Bilder und Vorstellungen wirken bei manchen Sportlern sehr gut, bei anderen hingegen sind sie nicht so erfolgreich. Wie gut Sportlerinnen innere Bilder und Vorstellungen nützen können, sollte diagnostiziert werden. Eine Möglichkeit der Diagnose sind Tests zur räumlichen Vorstellung, ein einfacher Check ist die Übung „Konzentration durch Denken in Bildern“ (siehe Teil VI, Kap. 31.1.8.).Wie gut Sportler innere Bilder nützen können, ergibt der Praxistest anhand einfacher Imaginationsübungen (siehe Teil VI, Kap. 30.5.6. „Entspannung-Erholung“). Tests sollten ein selbstverständliches Instrument für die Diagnose und laufende Evaluierung sein. Wäre die Tennisspielerin sich ihrer Spielfreude und Motivation nicht so sicher und – im Gegenteil – überfordert gewesen, hätte die Psychologin den EBF-Sport von Kellmann und Kallus (2000) eingesetzt. Der Erholungs-Belastungsfragebogen für Sportler erlaubt, „eine aktuelle Erholungs-Beanspruchungsbilanz der Athleten zu erstellen und zeichnet ein differenziertes Bild über den gegenwärtigen Grad der Beanspruchung, also den Beanspruchungszustand einer Person“ (Kellman und Kallus, 2000, S. 7). Das „Psychotraining“ wird im Rahmen des täglichen Trainings umgesetzt und geübt, geübt und wieder geübt. Auf diese Weise lernen die Sportlerinnen „ihre“ Schemata, in denen sich das Zusammenspiel aus Spüren, Denken und Tun wie eine Gewohnheit festsetzt. Für die Umsetzung des Schemas sind viele Techniken förderlich: Entspannung, Visualisierung, Aktivierung, Wahrnehmungsumlenkung, Umstrukturierung der Gedanken, Stresskontrolle und Atemtechniken. Mit dem B-A-B – Schema wird im Training das Verhalten für den Wettkampf vorbereitet.
Der „Innere Befehl“
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Aktivierung von Aggression Abwehr von Angst
Innerer Befehl
Selbstzweifel
tellu gsvors Bewegun
Angriffslust
ng
Tests EBF-Sport
Abb. 15. Die Landkarte der Höchstleistung (IV.5)
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Kapitel 10
BESONDERE ERKLÄRUNGSMUSTER FÜR ERFOLG UND MISSERFOLG SCHULD SIND DIE ANDEREN – UND GEWINNEN TU NUR ICH Attributionen sind Zuschreibungen ganz besonderer Art. Sie erklären, warum ein bestimmter Erfolg oder Misserfolg eingetreten ist. Am bekanntesten sind Attributionen wahrscheinlich aus der Sportberichterstattung. Wenn der Trainer oder Kapitän der Fußballmannschaft erklärt, dass der Rasen einfach unbespielbar war und dass das Spiel deshalb verloren gegangen ist, ist das der typische Fall einer Zuschreibung. Denn was hier erzählt wird, hört sich ganz logisch und plausibel an und könnte beinahe so etwas wie eine kausale, „naturwissenschaftliche“ Erklärung für das Vorgefallene sein (das Gras war zu lang, auf langem Gras kann man nicht gut spielen, das Spiel ging deshalb verloren). Doch es ist eben keine solche Erklärung, weil schließlich eine andere Mannschaft auch auf dem Feld war und das Spiel gewonnen hat, was gegen die „These“ des unbespielbaren Rasens spricht. Zuschreibungen tun also so, als ob sie „Wissenschaft“ wären und erklären wie diese Sieg und Niederlage mit den Eigenschaften der Situation oder denen der beteiligten Personen. Tatsache ist aber, dass sie nur mit diesen Eigenschaften „spielen“ und auf das Aufzeigen echter (kausaler) Zusammenhänge verzichten.
Doch genau diese Mischung macht sie interessant. Weil sie dadurch einerseits etwas ungemein Überzeugendes haben und sich wie schwergewichtiges Erklärungswissen anhören, mit dem man bestimmte Probleme zu lösen im Stande ist. Andererseits bieten sie aber auch die Möglichkeit, genau das sagen zu können, was man gerade sagen will; z.B. „Wir haben nur deshalb verloren, weil der Rasen in einem katastrophalen Zustand war.“ Was heißen soll: Die Mannschaft hat „eigentlich“ super gespielt und ist nur aufgrund der schwierigen Umstände „untergegangen“. Mit dieser Denkstrategie können etwaige Schäden am Selbstwert erfolgreich abgewehrt werden.
Attributionen dienen auch dem Einzelsportler dazu, alles Schlechte und Misslungene so zu erklären, dass er selbst nichts damit zu tun hat und sich beruhigt schlafen legen kann. Umgekehrt, wenn alles glatt ging und der Sieg hoch ausfiel, kann er alles sich zuschreiben, ganz nach dem Motto: „Das ist der Lohn für mein jahrelanges hartes Training“. Dass vielleicht auch noch andere Fakten wie z.B. die richtigen Anweisungen des Trainers im richtigen Augenblick oder die leichte Zerrung, die der Gegner an diesem Tag hatte, eine Rolle gespielt haben, wird im „Erklärungsmodell“ dann kurzerhand ausgeblendet. Attributionen sind insofern Motivationswerkzeuge. Wo die Motivation offensichtlich gut ist, bauen Sportlerinnen sie weiter aus nach dem Motto: „All die Trainingsmühen lohnen sich doch“. Wo sie – aus guten Gründen – „zusammenbrechen“ könnte, wird diese verteidigt: „Mit den Schuhen hat heute etwas nicht gestimmt“.
10.1. SELBSTSCHUTZ DURCH ZUSCHREIBUNGEN Zwei Muster von Zuschreibungen werden unterschieden. Auf der einen Seite gibt es selbstwertdienliche Muster, mit denen die Erfolge immer den eigenen Eigenschaften oder „internalen Ursachenfaktoren“ wie dem konstanten Training oder der Begabung zugeschrieben werden. Auf der anderen Seite stehen die selbstwertschützenden Muster, die alle Misserfolge über „externale Ursachenfaktoren“ wie Regenwetter, fehlende Motorenleistungen oder störendes Publikum erklären. Die Attributionsforschung beschäftigt sich u.a. mit den „internalen“ und „externalen“ Ursachefaktoren in den Attributionsmustern. Sie zeigt, dass sowohl „internale“ als auch „externale“ Ursachefaktoren stabil oder variabel sein können. Von einem „internal stabilen Ursachefaktor“ ist im Rahmen eines selbstwertdienlichen Attributionsmusters dann die Rede, wenn ein Sportler oder eine Sportlerin bei der „Erklärung“ des Erfolgs ihre Begabung oder die konstante Trainingsarbeit ins Spiel bringt, mithin etwas, das über die Tagesverfassung hinaus besteht. Zu den „internal variablen Ursachefaktoren“ gehören hingegen all die Zuschreibungen, die eine einmalige Leistung betonen: „Heute habe ich mich auch wirklich ganz besonders angestrengt“, ist z.B. eine solche Attribution, die mit einem „internal variablen Ursachenfaktor“ arbeitet. Die gleiche Unterscheidung kann freilich auch für externale Ursachefaktoren getroffen werden. („Die anderen sind einfach dank der konsequenten
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Aufbauarbeit ihres Vereins viel besser trainiert!“: ist ein typisches Beispiel für „external stabile Ursachefaktoren“; „Sie kamen heute einfach besser mit diesen ungewöhnlichen Wetterverhältnissen zurecht“ – ein Musterbeispiel für „external variable Ursachefaktoren“). Ich präzisiere die anfangs genannten Attributionsmuster. Zwar gilt weiterhin, dass Erfolge grundsätzlich „internal“ und Misserfolge prinzipiell „external“ erklärt werden; genauer betrachtet zeigt sich jedoch, dass zur Erklärung von Misserfolgen auch „internal variable Ursachefaktoren“ herangezogen werden können – was auch geschieht. Das ist dann der Fall, wenn ein Sportler feststellt, dass er „heute nicht in Form war“. Dies ist besonders dann wichtig, wenn sich keine äußeren Gründe für das Verlieren des Matches finden lassen. Auf diese Weise entsteht ein spezielles Attributionsmuster, das – wenn es genau zu dieser Mischung „Erfolg: internale Ursachefaktoren“, „Misserfolg: externale bzw. internal variable Ursachefaktoren“ kommt – als „self-serving bias“ bezeichnet wird, also als ein „Vorurteil, das einem selber dient“. De facto wird man durch dieses unangreifbar gemacht, sind im Falle des Versagens doch ganz klar „die anderen“ schuld – oder schlimmstenfalls die miserable Tagesverfassung.
10.2. KONTROLLIERTE ENERGETISIERUNG Ein anderes Attributionsmuster ist das „Akteur-Beobachter-Gefälle“ (actorobserver bias). Dieses ist dann zu beobachten, wenn die Fans einer Mannschaft die Ursache für das desaströse Spiel in internalen Faktoren sehen („Diese ewigen Trainerwechsel machen die Mannschaft einfach kaputt!“), während die Spieler die europäische Reife und Erfahrung des Gegners zur „Erklärung“ der Niederlage anführen, ergo „external“ attribuieren. Doch egal, um welches Vorurteil es sich handelt und welches Attributionsmuster zum Einsatz kommt: Der Sinn des Attribuierens besteht immer darin, als betroffener Sportler ein gutes Selbstbild aufrecht zu erhalten. Attributionen haben insofern immer etwas Energetisierendes. Sie erzeugen ein positives Moment, das „Lust auf Weitermachen“ schafft. Deshalb können sie als zeitlich begrenzte Motivationswerkzeuge dienen. Denn so sinnvoll es sein kann, nach der ersten, schlecht verlaufenen Halbzeit den Selbstwert auf der Basis eines selbstdienlichen Vorurteils (selfserving bias) zu stützen, um einen „energetisierenden Ruck“ durch die Mannschaft gehen zu lassen, so desaströs wäre es, auch noch fünf Tage nach dem – trotz energetisierenden Rucks – verloren gegangenen Spiel mit diesen Attributionsmustern zu arbeiten.
Besondere Erklärungsmuster für Erfolg
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Denn das Muster könnte sich dann rasch zu einer „naiven Theorie“ (siehe Kap. 12) auswachsen und mit Pseudozusammenhängen erklären, was bei genauer Analyse andere Ursachen aufweist. Deshalb ist die Rolle der Zuschreibungen nicht zu unterschätzen und sollte von Trainern und Psychologen regelmäßig beachtet werden.
Selbstwertdienliche Muster
Motivationswerkzeug
Attributionen
Selbstwertschützende Muster
selfserving bias
actorobserver bias
Abb. 16. Die Landkarte der Höchstleistung (IV.6)
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Kapitel 10
Kapitel 11
KONTRAFAKTISCHES DENKEN ODER DER „HÄTTIWARI“ Die österreichische Sprache ist manchmal unübertroffen in ihrer Präzision. Wiener Kabarettisten haben ein wunderbares Wort für bestimmte Sportpersönlichkeiten erfunden, den „Hättiwari“. Übersetzt bedeutet es „Hätte ich nur dies oder das getan, dann wäre ich Erster geworden“. „Hätte ich – wäre ich“ (oder umgekehrt): Nach Niederlagen oder „weggeworfenen“ Siegen ist es fast so etwas wie ein Ritual, dass sich ein Sportler in Selbstanalysen ergeht, die dieser Logik folgen: „Hätte ich nicht diesen Fehler zu Beginn des Spiels gemacht, wäre das ganze Match anders verlaufen“. „Wäre ich gleich, als man es mir anbot, zu Williams gegangen, wäre ich sicher Formel 1-Weltmeister geworden“. So zu denken und zu reden hört sich auf den ersten Blick wie das vorhin präsentierte „Attribuieren“ oder „Zuschreiben“ an. In der modernen psychologischen Forschung wird die „hätte ich – wäre ich“ – Logik aber doch als eigenständiges Phänomen betrachtet: Es handelt sich um das so genannte „kontrafaktische Denken“ (counterfactuals).
Es heißt deshalb so, weil derjenige, der solche Logiken benutzt, sich nicht mit den Fakten des Spiels oder Rennens beschäftigt. Stattdessen wird darüber „philosophiert“, welche Bedingungen erfüllt sein hätten müssen, damit ein anderes als das eingetretene Ergebnis zustande gekommen wäre. Es ist eben ein Denken gegen die Fakten, ein kontrafaktisches Denken, das sich auf (vermeintliche) „Kernbedingungen“ des Geschehens konzentriert. Kontrafaktisches Denken kann dabei zwei Formen annehmen. Entweder ist es „aufwärts“ gerichtet (upward counterfactuals) oder es ist nach „unten“ orientiert (downward counterfactuals).Von „aufwärts“ gerichteten kontrafaktischen Gedanken spricht man dann, wenn all das Versäumte und deshalb zukünftig besser zu Erledigende ins Zentrum des Denkens rückt – und folglich Aussagen wie „Hätte ich noch intensiver Liegestütz trainiert, wären die 50 Stück in 20% weniger Zeit durchaus zu bewältigen gewesen“ fallen. Nach „unten“ gerichtete kontrafaktische Gedanken hingegen fokussieren auf die vorgefundenen Bedingungen so, dass sie zu einer Basis oder einem Fundament werden. „Downward counterfactuals“ manifestieren sich deshalb in Statements der Art: „Wäre nicht die neue Zeitauflage hinzu-
gekommen, hätte ich niemals all die Liegestütz geschafft, die ich nun in 3 Minuten 20 gemacht habe.“
11.1. HOCHMOTIVIERT AUF PLATZ 3 Beide Formen kontrafaktischen Denkens entstehen offensichtlich von selbst. Untersuchungen zeigen, dass z.B. Silbermedaillengewinner bei olympischen Spielen dazu neigen, „upward counterfactuals“ auszubilden. Die Gewinner der Bronzemedaille dagegen entwickeln in der Regel „downward counterfactuals“ und sind mithin, anders als die meist enttäuschten Zweitplatzierten, äußerst positiv gestimmt. Man kann auch gezielt und bewusst kontrafaktische Gedanken entwickeln. Dies ist für die Motivationsarbeit interessant. Denn wie schon das Olympia-Beispiel andeutet, sind mit den beiden Typen von kontrafaktischen Gedanken bestimmte emotionale Effekte verbunden. Nach oben gerichtete counterfactuals lösen mit ihrer Konzentration auf das Versäumte und zukünftig besser zu Erledigende negative Gefühle aus, „schüren“ sie doch die Unzufriedenheit. Ganz anders die nach unten gerichteten Kontrafakten: Weil sie letztlich die Niederlage in einen Sieg verwandeln („Dank all der Schufterei doch noch Dritter!“) erzeugen sie positive Gefühle und wirken aufbauend und motivierend. Mit dem gezielten Einsatz von nach unten gerichteten Kontrafakten lässt sich Motivationsarbeit betreiben. Wer etwa nach einem verlorenen Satz die Bedingungen „analysiert“, die notwendig gewesen wären, um nicht in eine „Katastrophe“ abzuschlittern, sondern stattdessen für sich feststellt, dass es ohne den geradezu heldenhaften Einsatz noch schlimmer hätte kommen können, stabilisiert sich nicht nur psychisch: Es kommt sogar zu einer Energetisierung, da sich das Kämpfen ja offensichtlich lohnt. Klug eingesetzt sind counterfactuals deshalb ein brauchbares Motivationswerkzeug. Dabei gilt jedoch das gleiche wie für Attributionen: Es darf nie so weit kommen, dass sie z.B. die genaue Analyse der Hintergründe eines Satzverlustes ersetzen. Denn dann hören sie auf, Motivationstreiber zu sein – und werden stattdessen zu „naiven Theorien“, die auf falsche Fährten locken.
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Kapitel 11
Hätte ich
Motivationstreiber
„Hätti-wari“
Wäre ich
Kontrafakten
Abb. 17. Die Landkarte der Höchstleistung (IV.7)
Kontrafaktisches Denken oder der „Hättiwari“
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Kapitel 12
IRRWEG „NAIVE“ THEORIEN In komplexen Systemen, wie es der Sport eines ist, hat man manchmal das Gefühl, dass bestimmte Abläufe undurchschaubar und unkontrollierbar sind. „Regellosigkeit“ und „Chaos“ wären durchaus verständliche Beschreibungen dafür. Dementsprechend suchen Sportler, Trainer oder Eltern passende Erklärungsmuster für die Analyse von Erfolg oder Niederlage.
Mit Leidenschaft wird etwa auf das Glück verwiesen, wenn es darum geht, die Hintergründe der eigenen Leistungsfähigkeit zu charakterisieren: „Ich hatte in der letzten Zeit so viel Glück. Jetzt wird es einmal vorbei sein“, sagte mir eine 17-jährige Basketballerin. Oder es werden geheimnisvolle, magische Emotionen ins Spiel gebracht, die nicht einmal benannt werden und zu Aussagen wie „Ich brauche nur ein gutes Gefühl am Ski“ führen. Ausdauersportler verwenden „naive Strategien“ für die Überwindung kritischer Situationen (Seiler et al., 1996). „Naiv“ sind diese Erklärungsmuster insofern, als in ihnen ein „Körnchen Wahrheit“ steckt. Ob ein Aufschlag sitzt oder der Return perfekt gelingt, wird mit undefinierbaren „Allerweltskräften“ verknüpft, die sich nicht weiter beschreiben oder analysieren lassen. Hingegen werden psychologische, wissenschaftlich genau darstellbare Momente wie Konzentrationsfähigkeit oder Fragen der Strategie – wann setze ich wie viel Kraft ein? – erst gar nicht als relevant in Betracht gezogen. Es ist, um es mit dem Philosophen Karl Popper zu formulieren, der unreflektierte Alltagsverstand, der hier „an der Arbeit“ ist. Ohne viel nachzudenken überträgt er sein naives, von unspezifizierbaren Zusammenhängen gekennzeichnetes Konzept von Welt auf das Tun von Sportlern. Die Folge ist, dass mit den produzierten „Erklärungen“ in Wirklichkeit nichts erklärt werden kann. Laucken (1974) nennt diese Allerweltserklärungen „naive Verhaltenstheorien“ (siehe auch Laucken und Mees, 1996). Diese Denkweise sollte aber nicht abgewertet werden, sondern in ihr zeige sich, dass das Umgangswissen „überaus reich an Möglichkeiten, menschliches Leben zu artikulieren und zu strukturieren (die Dichtung gibt dafür beredte Beispiele), reicher als jede existierende psychologische, soziologische oder biologische Theorie“ ist (Schmitt et al., 2001). Psychologen sollen sehen, was hinter dieser Denkform steckt und daraus Schlüsse ziehen.
Eine Aussage wie „Wenn es läuft, dann läuft es“ hat psychologische Folgen. Sie kann, wenn es „nicht läuft“, je nach Persönlichkeitstyp unterschiedliche Stimmungen hervorrufen. Eine Person, die annimmt, ihr Leben würde eher vom Zufall als von anderen Faktoren bestimmt sein, denkt sich „Ich brauche keine Hilfe, weil der Erfolg ohnedies vom Zufall abhängt. Ich habe alles Mögliche versucht – manchmal hat es funktioniert, und manchmal nicht“. Eine Sportlerin, die erwartet, dass sie ihr Umfeld beeinflusst und Erfolge von ihr abhängen, wird optimistisch denken „Ich muss einfach durchtauchen und dann geht es wieder“. Bei einer anderen Person wird die Aussage Fatalismus und depressive Stimmungen hervorrufen „es sind ohnedies alle Bemühungen umsonst“. Die erste Person bezeichnet man nach Rotter (1966) als „external“ und zufallsorientiert, die zweite als Persönlichkeit mit „internaler Kontrollerwartung“, und die dritte ist ebenfalls wieder eine mit externaler (fatalistischer) Kontrollerwartung. Diese Annahmen über uns selbst sind uns meist nicht bewusst, sie können aber von Psychologen relativ einfach deutlich gemacht werden. Mit jeder dieser drei Persönlichkeiten wird man psychologisch unterschiedlich arbeiten. Naive Theorien bieten keine Begründungen für Erfolg oder Misserfolg an. Mit der „naiven Einschätzung“ weiß der Sportler nicht mehr als ohne sie. Er bekommt durch sie keine Anregung für Lösungen. Diese „naiven Theorien“, die auch zum einfachen Erklärungsstil der Medien passen, haben nicht unwesentlich daran Anteil, dass Selbstentwicklung chaotisch und regellos erscheinen muss, bzw. nicht steuerbar wirkt. Schlussfolgerungen für sportpsychologisches Handeln in Bezug auf „naive Verhaltenstheorien“ sind: – Hinterfragen Sie Ziele oder legen Sie diese neu fest, sofern sie nicht klar sind. – Operationalisieren Sie die Schritte des Vorgehens. – Machen Sie die einzelnen Schritte des Vorgehens kontrollierbar. – Schaffen Sie möglichst viel Klarheit im Vorgehen und in den Zielen. – Unterstützen sie die Individualität der Spieler/Sportler.
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Alltagsverstand Glaube an Glück Klarheit der Ziele Umgang mit Chaos
internale externale Kontrollerwartung
Glaube an Zufall Glaube an sich
Abb. 18. Die Landkarte der Höchstleistung (IV.8)
Irrweg „Naive“ Theorien
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Kapitel 13
DIE EMOTIONEN „Zuwenig Angst macht faul, zuviel Angst macht dumm.“
Gefühle sind persönliche Erlebnisse, die in bestimmten Situationen von verschiedenen Personen in ähnlicher Weise verspürt werden. Den Sieg vor Augen, die letzten Meter vor der Ziellinie, der entscheidende Drei-PunktWurf im Basketball … die Freude, über sich hinausgegangen zu sein und sich selbst besiegt zu haben … aber auch die Niedergeschlagenheit im Training, der Ärger über Trainer oder Trainingspartner … Wenn Extrovertierte triumphieren, reißen sie die Arme hoch und brüllen sich die Freude aus der Seele. Introvertierte zeigen nach einem Wimbledonsieg gerade mal ein kurzes Lächeln.
Emotionen sind ein entscheidendes, vielleicht sogar das wichtigste Element für die sportliche Höchstleistung. Regelmäßige Unlust im Training wird die Wahrscheinlichkeit des Erfolges und damit die Motivation verringern. Ärger über Fehler kann motivieren, über die Ursachen nachzudenken und Fehler zu vermindern. Aber er kann auch zu Jammern und Kleinlichkeit führen und damit die Motivation verringern und die Fehlerquote erhöhen. Gefühle sind wissenschaftlich äußerst schwierig zu untersuchen. Es gibt dafür mehrere Gründe. Emotionale Phänomene verändern sich im Zeitverlauf, und zwar manchmal sehr langsam und unbemerkt, dann aber wieder eruptiv und unvorhersagbar. Gerade die Spontaneität der Emotionen macht den Forschern zu schaffen, denn in einem Untersuchungslabor und unter kontrollierten Bedingungen ist es schwer, spontan zu sein. Will man Emotionen hingegen im Lebensalltag oder gar während der sportlichen Aktivitäten messen, ergeben sich Probleme bei der Beobachtung und Messung der Gefühle. Deshalb war die Wissenschaft bei der Erforschung der Emotionen immer zurückhaltend.
13.1. DIE KOMPONENTEN DER EMOTIONEN Emotionen und Gedanken sind eng miteinander verwoben. Gedanken beeinflussen Gefühle und Gefühle beeinflussen Gedanken und beide hängen eng mit körperlichen Reaktionen zusammen. Der Begriff „Emotionale Intelligenz“ drückt diese enge Verbindung von Gefühlen und Gedanken aus.
13.1.1. DIE PHYSIOLOGISCHE UND ENDOKRINE AKTIVIERUNG Eine Person, die empört ist, kann rote Flecken bekommen, und eine frustrierte Person wird vielleicht blass. Biochemische Messungen zeigen psychophysiologische Veränderungen je nach Situation (z.B. Frankenhaeuser und Rissler, 1970) und Emotion (Levenson et al., 1990, Levenson, 1992). Die Forschergruppe um Levenson konnte eindrucksvoll zeigen, dass Herzfrequenz, Fingertemperatur, Hautleitwert (elektrodermale Aktivität) und Muskelspannung während der primären Emotionen Ärger, Angst, Trauer, Ekel, Freude und Überraschung unterschiedlich ausgeprägt sind. Mithilfe der Herzrate und der elektrodermalen Aktivität kann man die sechs Emotionen am besten unterscheiden. Die Ergebnisse zeigen, dass „vermutlich alle Emotionen spezifische Auswirkungen auf die körperlichen Vorgänge“ haben (Traue, 1998, S. 119). Unter extremem Stress und Situationen der Ausweglosigkeit (Hilflosigkeit) scheint die Fehlregulierung von Katecholaminen ein typisches Zeichen zu sein. In diesen Situationen kann die – unter normalem Stress übliche – besonders intensive Ausschüttung der Katecholamine nicht durch Neubildung ausgeglichen werden, sodass im Gehirn ein Abfall von Noradrenalin, Dopamin und Serotonin erfolgt (Melia et al., 1991). Mittlerweile gibt es hinreichend viele wissenschaftliche Belege dafür, dass die Aktivität von Hormonen unter extremem Stress anders abläuft als bei durchschnittlich starker Belastung (Traue, 1998). Untersucht werden die wechselseitigen Zusammenhänge zwischen Verhalten und Erleben einerseits und endokrinen Funktionen andererseits in der Forschungsdisziplin Psychoneuroendokrinologie (siehe z.B. Heim und Meinlschmidt, 2003).
13.1.2. DIE GEDANKLICHE BEWERTUNG DER VORGÄNGE Damit sind mehrere Abläufe gemeint. Die „inneren Situationen“ betreffen den Organismus, z.B. werden Schwitzen, Anspannung, Herzklopfen oder Erregung bewertet („ich bin absolut nervös“ oder „heute spüre ich, dass was gehen kann“). Die „inneren Situationen“ können aber auch Phantasien, Vorstellungen oder Erinnerungen sein, die eine Handlungsbereitschaft auslösen (Frijda, 1988). Die Erinnerung an einen erfolgreichen Wettkampf kann nach einer Serie von Niederlagen unterschiedliche Handlungstendenzen bewirken. Sportler A will sich vielleicht völlig zurückziehen, hat an nichts mehr Interesse und verliert immer mehr an Handlungsspielraum. Sportlerin B beginnt beim Gedanken daran sich zu ärgern und wieder an sich zu arbeiten und zu kämpfen. Eine Emotion (z.B. Ärger) kann Personen zu Objekten oder Handlungen hinführen (Sportlerin B), eine andere Emotion
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(z.B. Angst) kann davon wegführen (Sportler A). Eine Landhockey-Spielerin, die nach mehreren Fehlpässen verzweifelt und durcheinander ist, wird sich nicht für weitere Anspiele anbieten, um zu verhindern, dass sie weitere Fehler macht (Jones, 2003, S. 474). Eine andere wiederum wird „jetzt erst recht“ versuchen, angespielt zu werden. „Äußere Situationen“ können z.B. in der Umwelt liegen. Für manche Sportler ist das Wetter wichtig und sie bewerten es entsprechend („endlich schönes Wetter“ oder „schön, bei Regen steigen meine Chancen“) für andere spielt die Beschaffenheit des Platzes („der Belag ist mir zu schnell“) in der Bewertung eine wichtige Rolle. Zur „äußeren Situation“ können aber auch Trainer, Trainingskollegen oder Eltern gezählt werden. Alle rufen beim Sportler immer wieder Emotionen hervor. Menschliche Motivationsprozesse erfolgen in mehreren Bewertungsstufen. Die erste Bewertung betrifft den Stellenwert des Reizes für das eigene Wohlbefinden unter dem Aspekt der Ziele. Emotionen treten dann auf, wenn ein Mensch ein (sportliches) Ereignis als positiv oder negativ für die Zielerreichung sieht. Sportpsychologisch interessant ist die Wichtigkeit des Ziels („was steht auf dem Spiel“), die Übereinstimmung des Ziels mit dem Bedürfnis („ist es nützlich oder schadet es mir“) und der Inhalt des Ziels („fördert das, was auf dem Spiel steht, meinen Selbstwert“). Je wichtiger ein Athlet die Ziele einschätzt, desto stärker sind die Emotionen. Deshalb können Sportler bei einem wichtigen Wettkampf, für den sie 10 Jahre oder länger trainierten, nicht denken, er wäre unwichtig. Der bekannte amerikanische Psychologe Lazarus (2000) bezieht in sein Motivationsmodell neben den Motivationen und Bewertungen auch die Methoden mit ein, mit denen Menschen ihre Ziele zu erreichen versuchen. Die Athletin fragt sich emotional, ohne sich dessen unbedingt bewusst zu sein, nützt oder schadet es, ist es zu schaffen oder nicht, und werden sich damit die Dinge verschlechtern oder verbessern. Jones (2003, S. 473) veranschaulicht dieses Modell an einem 800-m Lauf. Wenn eine Läuferin von ihrer Gegnerin gerempelt wird, dann wird sie dem Rempeln eine Bedeutung zuschreiben. Bewertet sie die Attacke als abwertenden Angriff auf ihre Persönlichkeit (Inhalt des Ziels), die sie mit einem körperbetonten Lauf bewältigen kann, dann wird dieser Vorfall sie zornig machen. Der „abwertende Angriff“ wird umgewandelt in Zorn gegen die stoßende Athletin, die für das Rempeln verantwortlich ist. Eine andere Athletin könnte dem Rempeln ebenfalls eine bestimmte Bedeutung für ihr Ziel (gewinnen) und für den Zielinhalt (Bedrohung der Ich-Identität) zuschreiben. Die Athletin könnte aber glauben, dass es allgemein ein körperbetontes Rennen wird, und sie gibt keiner anderen Läuferin eine spezifische Schuld. Wenn die Sportlerin in dieser Situation nicht an ihre Kräfte glaubt, ein körperbetontes hartes Die Emotionen
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Rennen zu schaffen (Bewältigungspotential niedrig) und deshalb verunsichert ist, ob sie gut laufen werde (Zukunftserwartung niedrig), dann wird sie Angst verspüren. Sie wird dann „einer unsicheren und existenziellen Bedrohung ausgesetzt“ sein. Das Beispiel zeigt die individuellen Unterschiede, wie sie in emotionalen Prozessen auftreten können.Verkompliziert wird der Emotionsprozess dadurch, dass dieselbe Herausforderung mehrere Emotionen gleichzeitig hervorrufen kann und dass die gleiche Person auf ähnliche Ereignisse emotional unterschiedlich reagieren kann. Die Reaktion ist abhängig von der aktuellen Bedeutung, die dem spezifischen Ereignis beigemessen wird.
13.1.3. MIMIK UND GESTIK, KÖRPERSPRACHE Das sind Elemente mit denen man sich, aber auch der Konkurrenz Signale gibt. Wenn ein Sportler bei einem großen Triumph mit seiner Körpersprache zeigt, dass er wirklich keine oder kaum Freude empfindet, kann dies ein Zeichen dafür sein, dass seine Gedanken und Gefühle nicht beim Triumph sind. Der großartige Schlagmann des deutschen Gold-Achters bei den Olympischen Spielen von Seoul 1988, Bahne Rabe, zeigte bei der Siegerehrung keinerlei äußerliche emotionale Regung. Dies fiel während der Ehrung niemandem auf, denn Bahne war immer so. Erst die Analyse der Fernsehbilder nach dem tragischen Tod Rabes im Jahr 2001 zeigte, dass er völlig abwesend dastand, während alle Kameraden enthusiastisch feierten. Nach dem Olympiasieg sagte Rabe „ich fühle mich so leer“ (FAZ, 2001). Bahne Rabe litt unter anderem an Magersucht, oft war auch Alkohol im Spiel. Seine Gefühle waren beim Rudern, der Sport war seine Welt. Aber er zeigte die Gefühle nie und seine Gedanken sprach er selten aus. Anders reagierte Roger Federer nach dem Sieg des Australian Open am 29. Jänner 2006. Er konnte seine Tränen kaum zurück halten. Es kam „alles heraus“, sagte der Grand Slam Gewinner, was er bei diesem Turnier durchgemacht hatte. Oder Hermann Maier nach seinem ersten Sieg in Kitzbühel nach seinem Unfall: Der sonst so coole Iceman schlug mit seinen schweren Skischuhen ein Rad seitwärts. Ein wunderbarer Ausdruck von höchstem Glück. Emotionen sind vor allem dann als Signale zu verstehen, wenn sie nicht klar sind! Es lohnt sich, über die Unlust im Training nachzudenken und auch darüber, wie Sie mit Ihrem Ärger umgehen. Die Unlust kann eine Folge des monotonen Trainings sein. Sprechen Sie mit Ihrem Trainer darüber.Wenn er meint, das Training müsse so sein und er werde es nicht ändern, dann schlage ich vor, machen Sie das Beste daraus. Sagen Sie zum Beispiel innerlich, „ich
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nutze das Training trotzdem optimal und lerne nebenbei mit negativen Gefühlen wie Ärger umzugehen. Ich will ja mein Ziel unter allen Umständen erreichen!“ Herbert Prohaska, einer der besten österreichischen Fussballer, sagte zu diesem Thema: „Es gibt viele Trainer, alle sind wichtig, sogar die schlechten Trainer. Von denen lernt man,… was man nicht macht“ (Ringhofer und Kogler, 2005, S. 169). Herbert Prohaska übernahm Verantwortung für sein Handeln, auch wenn die Umstände nicht günstig waren.
13.2. DIE ALTE KUNST DER GEFÜHLSREGULATION Selbstentwicklung ist die Heimstätte der Psychologie, jener Ort, an dem sie ihren Anfang nahm: Schon in der Antike wurde danach gefragt, wie sich beispielsweise starke Emotionen wie Lust und Begehren „regulieren“ lassen. Wobei mit „Regulation“ auch wirklich „Regulation“ gemeint war: Nicht ein Negieren oder Verbieten der Lust wurde angestrebt, sondern ein kluger Umgang mit ihr, der durch einen Mittelweg zwischen Exzess und moralisierender Enthaltsamkeit gekennzeichnet sein sollte. Die Entwicklung dieses Weges erfolgte allerdings nicht durch Psychologen, sondern durch Philosophen, die jedoch als deren Vorläufer betrachtet werden können. Ihre Theorien sind heute noch von Interesse. Es ging eben nicht darum, den „Eros“ – wie später im Christentum – zu tabuisieren und zu knebeln. Daher wurden von ihnen keine Regeln oder Gesetze aufgestellt, die genau angaben, was man zu tun oder zu lassen hatte. Stattdessen war man bestrebt, eine „Selbsttechnik“ zu „designen“: Sie sollte einen vor der „Versklavung“ durch eine übermächtige sexuelle Lust bewahren, deren Drängen auf Befriedigung man nicht standzuhalten können fürchtete: Die „Selbsttechnik“ sollte einem die Freiheit geben, selbst bestimmen zu können, wie, mit wem und vor allem wann das Begehren befriedigt wird. Aus diesem Grund beschränkte man sich auch auf das Notwendigste: Anstelle von konkreten Handlungsanweisungen, wie sie z.B. Verbote oder Gebote darstellen, formulierten die antiken Philosophen so etwas wie „Anhaltspunkte“ oder „Fragestellungen“, die einem dabei helfen sollten, die richtige Entscheidung zu treffen. Wer diese „Selbsttechnik“ anwendete, fragte beispielsweise danach, ob jetzt der richtige Zeitpunkt für den „Gebrauch der Lüste“ gegeben und ob der Ort, an dem man sich gerade befand, geeignet oder passend sei. Die „Selbsttechnik“ bestand also in einer Art Selbstüberprüfung, deren Ergebnis von Fall zu Fall anders ausfallen konnte. Was gerade passend war – für einen selbst wie für die gesamte Situation – musste jeder für sich selbst herausfinden.
Die Emotionen
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13.3. … UND: SPORT ALS KUNST Damit findet sich im griechischen Denken aber nicht nur eine Philosophie der individuellen „Selbstverwaltung“ und Selbstentwicklung. Die alten Griechen zeigten bereits, wie man diese Selbstentwicklung steuern kann: Nicht durch „Gebrauchsanweisungen“ oder andere formelhafte Gebote, sondern durch Strategien, die einen Rahmen abstecken und dazu animieren, bestimmte Zusammenhänge und Fragen zu bedenken. Ähnlich verhält es sich in der Kunst, die ebenfalls nur mit groben Orientierungen arbeitet und dadurch jenen Freiraum bietet, in dem kreative Leistung und Entwicklung entstehen. Selbstentwicklung ist eine Kunst, die eine gestaltete und damit „ästhetische“ Existenz hervorbringt. Das führt zu dem Schluss, dass eine Höchstleistung, die auf Selbstentwicklung setzt, ebenfalls eine Kunst ist und Sport zu Kunst macht. Diese ist im Sport jederzeit möglich. „Weg von der Körpermechanik!“ lautet die Devise. An deren Stelle tritt das Bild eines Sportlers, der Lust, aber auch die Fähigkeit hat, sich als eine Art Labor zu betrachten; als ein Ich-Labor, in dem im Sinn von Feedbackschleifen permanent überprüft und abgecheckt wird, wie das Zusammenspiel von Kognition, Emotion, Körper und Verhalten aussieht. Die Gestaltung der Persönlichkeit steht im Mittelpunkt.Wohin das führt, kann von vornherein nicht gesagt werden.Vielleicht kommt bei dieser Entwicklung erst recht der „Metallmensch“ heraus. Es ist ein Unterschied, ob dieser gelebt wird, weil er einfach am besten zur Persönlichkeit passt, am meisten Lust bereitet, oder als eine Art „Methode“ vertreten wird, der man sich unterzuordnen hat. In ersterem Fall kann der „Metallmensch“ Erfolg bedeuten, in zweiterem Niederlage.
13.4. EMOTIONSMANAGEMENT Sportler brauchen ein breites Instrumentarium, um mit ihren Emotionen umgehen und sie nützen zu können. Die Kontrolle und das Hervorrufen der „richtigen“ Emotionen sind zentral für erfolgreiche Sportausübung. Emotionen rufen Veränderungen im physiologischen Erregungsniveau hervor und deshalb spielen umgekehrt Techniken der Erregungskontrolle eine wichtige Rolle für die emotionale Kontrolle (Butler, 1996). Strategien der Emotionskontrolle helfen Denkmuster zu verändern, um eine passende emotionale Reaktion hervorzurufen oder – bei häufig überstarken Emotionen – die Intensität der Emotionen zu verringern und unfunktionelle Verhaltensweisen in den Hintergrund treten zu lassen. Letztlich dienen alle bisher angeführten und in den nächsten Abschnitten präsentierten Methoden und Felder der Selbstentwicklung der Emo-
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Kapitel 13
tionskontrolle (zusammengefasst in Teil VI, Techniken und Methoden). In allen in diesem Buch angeführten Verfahren sind gleichzeitig mehrere Techniken enthalten: Problemlösemethoden, Selbstaussagen, Vornahmen, Imaginationen, korrigierende Erfahrungen, Modelllernen, Selbstanalyse, vergleichende Bilder und Geschichten herstellen (Metaphern und Storytelling), neue Sichtweisen entwickeln (Reframing), paradoxe Methoden oder die Möglichkeit, dass Sportler lernen, indem sie selbst lehren. Hypnotische Verfahren unterstützen das Emotionsmanagement ebenso wie Konzentrationstechniken. Für das Feld der Emotionen erweist sich das siebenstufige Vorgehen im Selbstmanagementprozess als besonders hilfreich. Denn er macht es möglich, die Ziele und persönlichen Bewertungen deutlich herauszuarbeiten. Der Zusammenhang von Gedanken, Gefühlen und körperlichen Reaktionen wird im B-A-B – Modell deutlich gemacht und die daraus abgeleiteten Verfahren im psychologischen Trainingsbuch festgehalten.
Körpersprache
Selbsttechnik
innere Situation
Abb. 19. Die Landkarte der Höchstleistung (IV.9)
Die Emotionen
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Übung II
VERMITTELN SIE IHREN „DREH“! Bei den einfachen Übungen, wie Liegestütz oder den Bauch – Bein – Po – Übungen werden Sie in Ihrem ersten Selbsttest eine Reihe von Zusammenhängen entdeckt haben. Die Neugierde und der Wunsch, die optimale Technik herauszufinden, motiviert die Übenden und steigert die Gesamtleistung. Dementsprechend ist es sehr effektvoll, eine einfache Übung wie Liegestütz immer wieder zu durchleuchten: Müssen tatsächlich immer die Arme und Schultern die gesamte Last tragen? Was passiert, wenn die Bauchmuskulatur mitgenutzt wird, wenn man sich also nicht nur mit den Armen nach oben drückt, sondern auch die Bauchmuskulatur während der Hebebewegungen anspannt? Auf diese Weise werden Sie vielleicht nicht nur neue Techniken entwickelt haben – Ihre Fragen haben die Übung auch „intellektuell“ interessant gehalten. Und hoffentlich Lust darauf gemacht, die Übung – ganz gegen etwaige übliche Gewohnheiten – jeden Tag aufs Neue anzugehen.
Im Idealfall haben Sie gelernt, sich mitsamt Ihrem Denken, Fühlen und Tun zu modulieren oder zu variieren. Sie werden möglicherweise festgestellt haben, dass es alles andere als einfach ist, diese Zusammenhänge alleine zu entdecken. Angenehmer wäre es vermutlich, wenn Ihnen jemand von Beginn an geholfen hätte; wenn Sie gleich gewusst hätten, wo Sie beim Denken ansetzen, um eine emotionale Blockade abzubauen.
SPIEL DEN COACH! Versuchen Sie deshalb als nächstes, den Coach zu spielen: Fragen Sie einen Freund oder eine Freundin, ob er oder sie nicht auch „Ihre“ Übung machen möchte. – Am besten mit Ihnen zusammen, wobei es keine Rolle spielt, dass Sie bereits einen gewissen Vorsprung haben. Ihre Aufgabe besteht nun darin, dem Partner oder der Partnerin dabei zu helfen, sich einige der Umwege zu ersparen, die Sie in den ersten Wochen haben gehen müssen. Ihren „Dreh“ zu vermitteln – genau darum geht es! Allerdings so, dass Ihre Partnerin nicht zu einer Kopie Ihrer selbst wird: Ihre Vermittlung muss so erfolgen, dass sie den zu ihr passenden „Dreh“ entwickeln kann – eben den „persönlichen Dreh“!
DER START: BEZIEHUNGSARBEIT Mein Freund Tobias hatte sich von mir „anstecken“ lassen und sich dazu entschlossen, regelmäßig Liegestütz zu machen. Er begann mit einem geradezu wahnwitzigen Kraftakt: Aus dem Nichts heraus machte er 34 Einheiten! Das hatte nicht nur zur Folge, dass er nach dieser erstaunlichen Energie- und Willensleistung beinahe kollabierte und sich am nächsten Tag kaum bewegen konnte: Er hatte auch seine Begeisterung mit einem Mal nahezu „verheizt“. Nach vier Tagen fand er „das ganze Gepumpe“ völlig unattraktiv und meinte, dass Liegestütz für seinen Körper nichts wären und er – wenn überhaupt – ganz andere sportliche Betätigungen brauche. Auf die Idee, dass das Problem vielleicht an seinem Zugang zur Übung läge, kam er nicht; auch der Gedanke, dass sich dieser Zugang verändern lässt, kam ihm nicht einmal ansatzweise in den Sinn. Für Tobias war klar, dass er an die Grenze seiner Natur gestoßen war, an eine unüberschreitbare Grenze. Anders besehen war Tobias, ähnlich wie ich nach einiger Zeit, lediglich in einer Blockade „gelandet“. Ich nahm mir deshalb vor, ihn zuerst aus dieser Blockade herauszuführen, um ihm dann zu zeigen, wie man sich solchen Übungen „wirklich“ annähert. Zu diesem Zweck tat ich vorerst – gar nichts. Da er selbst den einfachsten Vorschlag als „Drängelei“ empfunden hätte, beschränkte ich mich auf lockere Gespräche, die mitunter nicht mehr als das Bier, das wir miteinander tranken, zum Thema hatten. Gerade diese Lockerheit und das entspannte Nachdenken über Bier, Gott und die Welt ermöglichte es aber nach einiger Zeit, andere Themen anzuschneiden – etwa das Verhalten von Tobias.
VERHALTENSPROBLEME WERDEN REFLEKTIERT … „Du tust immer so, als ob alles veränderbar wäre. Es gibt aber einiges an mir, das sich nicht verändern lässt“, erklärte mir mein Freund am Ende eines langen Gesprächs über die Flexibilität, die die heutige Welt einem abverlangt. Alles an ihm, gab ich ihm zur Antwort, sei nicht veränderbar, da habe er schon Recht. „Einige Verhaltensweisen sind es aber sehr wohl“. Tatsächlich setzte sich Tobias daraufhin mit der Vorstellung auseinander, dass Liegestütz zu machen einfach ein Verhalten, eine Praxis ist, die man, wie jede andere Praxis, variieren kann. Schnell fiel ihm aber ein Gegenargument ein: „Ob ich lache oder nicht, wenn jemandem ein Missgeschick passiert – das ist eine Verhaltensweise. Eine Sportübung ist schon was anderes“. Denn in ersterem Fall ginge es um etwas, das mit Erziehung zu tun habe, in zweiterem hingegen um eine Sa-
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Übung II
che, die mit seinem Körper und „folglich mit meiner Natur, mit etwas ganz Ursprünglichem, verbunden ist“. Ich erinnerte Tobias nun daran, dass er selbst in Bezug auf die Liegestütz immer wieder von einer „Übung“ reden würde. Für diese brauchte er zwar offensichtlich seinen Körper; letztlich blieben die Liegestütz jedoch etwas, wie er richtig sagte, das er einzuüben habe – ein Verhalten eben, das nicht von selbst da war. Tobias ließ sich in der Folge darauf ein, seine Liegestütz als eine Praxis zu betrachten, die man auch ganz anders angehen und realisieren könnte. Ich schlug ihm vor, sich einfach ein paar Alternativen auszudenken; Varianten der Übung, die ihm vielleicht mehr Spaß bereiten würden. Und er solle überdenken, was ihn sich an sein „Verhalten“ klammern lasse. Wie er schließlich auch noch überlegen sollte, welche Mühen er bereit sei, auf sich zu nehmen, damit er jene Leistungssteigerung erreichen könnte, die ihm am Anfang vorgeschwebt war (er hatte von „mindesten 100 Einheiten“ am Stück gesprochen). De facto hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt nichts anderes gemacht, als eine Stimmung aufgebaut, die ein „offenes, zwangloses miteinander Reden“ erlaubte, und dieses zwanglose Miteinander-Reden dazu genutzt, um eine Selbstreflexion und Selbstanalyse anzuregen, die die anstehenden Verhaltensprobleme ins Zentrum rückte. Mich selbst hatte ich dabei im Hintergrund zu halten versucht – ganz so wie Frankie Dunn das im „Million Dollar Baby“ tut.
… UND „ÄNDERUNGSMOTIVATION“ INITIIERT Als Nächstes ging es nun darum, Tobias dazu zu bringen, auch tatsächlich etwas zu tun, d.h. etwas Neues auszuprobieren. Es musste eine „Änderungsmotivation“ initiiert werden, wozu ich auf Motivationsfragen zurückgriff: „Wirst du dich gut fühlen, wenn du einmal bei deinen 100 angestrebten Einheiten angekommen bist?“, wollte ich von Tobias beispielsweise wissen. Was ihm doch ein Grinsen und ein „Aber ganz sicher!!!“ entlockte. Ich setzte deshalb gleich nach und fragte ihn, was er konkret ändern werde, damit er sein Leistungsziel auch wirklich erreiche. Die positive Phantasie – der Triumph, schließlich bei den 100 Einheiten angekommen zu sein – veranlasste Tobias tatsächlich dazu, mir einige technische Ziele zu nennen („Ich muss die Beinarbeit verbessern“), um dann aber rasch zu etwas ganz anderem überzugehen: „Ich muss vor allem schauen, dass mein Denken flexibel bleibt und ich nicht wieder in mein altes ‚Ich bin halt so‘ zurückfalle“, gab mein Freund zur Antwort – womit er sein großes Leistungsziel um ein technisches und „psychologisches“ „Än-
Vermitteln Sie Ihren „Dreh“!
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derungsziel“ ergänzt hatte. Ebenso wollte er aber weit einfachere Dinge verändern; z.B. seine Vorstellung davon, wie es das „Endziel“ – 100 Liegestütz am Stück – zu erreichen gilt. „Was du mir von dir erzählt hast, gefällt mir gut“, erklärte er mir etwa, „ich werde nun, so wie du, auch Rückschritte zwischendurch einkalkulieren, statt stur an dem Bild festzuhalten, dass es täglich unbedingt fünf Liegestütz mehr geben muss“.
ANS ZIEL KOMMEN Schließlich wollte ich von ihm noch wissen, mit welchen Methoden er alle seine Ziele und speziell die „psychologischen Änderungsziele“ zu erreichen gedenke. Nach einer langen Diskussion, bei der er mit mir Für und Wider abklärte, entschied er sich hinsichtlich letzterer für etwas sehr einfaches – nämlich für das Gespräch. Er bat mich, ob ich ihm dabei als Gesprächspartner zur Verfügung stehen würde. „Denn ich glaube, sich im Gespräch anzuschauen, wo sich in meinem Kopf vielleicht schon wieder ein ‚Ich bin halt so‘ eingeschlichen hat, ist wahrscheinlich am fruchtbarsten“. Gerne sagte ich ihm zu und schlug auch vor, ihn regelmäßig darauf anzusprechen, welchen Fortschritt er denn mache. Und ob er seine psychologischen, aber auch technischen Ziele erreiche. Wenn sich dabei zeigen würde, dass die „Zielerreichung“ so nicht klappe, könnten wir uns ja erneut länger zusammensetzen, um zu analysieren, was denn schief laufe; auf der Ebene der generellen Leistungsziele ebenso wie auf jener der Detailziele, die sich aus den Leistungszielen ergaben. Wir würden diese auch neu formulieren, wenn es notwendig wäre. Der letzte Schritt, die Neuformulierung, war aber nie notwendig.Tobias kam gut weiter, weil er sehr unverkrampft an die Sache heranging und auch einmal drei Tage pausierte, wenn gar nichts mehr ging. Gleichzeitig verhinderten die Gespräche mit mir, dass er sich in irgendwelchen Detailschritten „festfraß“ und sich zu entwickeln aufhörte. Kurz: Ich hatte ihn entdecken lassen, dass sein Tun als ein Verhalten betrachtet werden kann, das eng mit seinem Denken und Fühlen verknüpft ist und deshalb moduliert werden kann. Das ersparte ihm den einen oder anderen Umweg.
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Übung II
Kapitel 14
SELBSTVERTRAUEN UND SELBSTENTWICKLUNG Zwischen Selbstvertrauen und Leistungsmotivation (bzw. Interesse und Neugier) bestehen enge Wechselbeziehungen. Leistungsmotivation scheint in der Evolution erst beim Menschen aufzutreten. Bereits im ersten Lebensjahr sehen Eltern die „Freude am Effekt“ und das „Selbermachenwollen“. Die Eltern sind die wichtigsten Helfer, damit sich Neugier und Selbstvertrauen gut entwickeln. Zuwendung, Lob, Unterstützung und wertschätzende Führung sind in diesen ersten Lebensjahren besonders wichtig, damit eine gute Bindung und Selbstvertrauen entsteht (Holodynsky und Oerter, 2002).
Kinder erkennen ab etwa fünf Jahren Wettbewerbssituationen. Sie schreiben eigene Erfolge der eigenen Tüchtigkeit zu und Misserfolge dem Mangel an Tüchtigkeit. Mit Wettbewerb ist immer der soziale Vergleich einhergehend. Der soziale Vergleich hat eine herausfordernde Wirkung, kann aber auch zum Abbau des Selbstbewusstseins beitragen. Im Sport ist der soziale Vergleich mit den Ergebnissen, Punkten und Zeitnehmungen messbar geworden und in Regelwerke eingebunden. Selbstvertrauen verlangt den Aufbau persönlicher SelbstwirksamkeitsÜberzeugungen, die für die Leistungsmotivation und für das Handeln allgemein relevant sind. Wer die Umgebung beeinflusst, erlebt Kompetenz. Wer sich als abhängig von der Umgebung empfindet, fühlt sich unterlegen und minderwertig. Der Selbstmanagementansatz (siehe Kapitel 3.2.) fördert die Entwicklung desVertrauens in die eigenen Fähigkeiten. Die Wahrnehmung von Kontrolle erhöht die Selbst-Effizienz und verstärkt unabhängige Handlungen. Damit wächst das Selbstvertrauen, das als entscheidend für sportliche Höchstleistungen angesehen wird (siehe auch Kapitel 6, Die Magie des Talents). Für die Entwicklung der Persönlichkeit sind Selbstvertrauen, Vertrauen in Andere und Zukunftsvertrauen wichtige Faktoren. Die Selbstwirksamkeit (das Wissen um den Einsatz und die Wirkung der eigenen Fähigkeiten) wirkt bei Veränderungen sehr unterstützend, wenn folgendes berücksichtigt wird: – die Fähigkeit der Person und die Aufgabenschwierigkeit. – die Wahrscheinlichkeit, ein Ergebnis zu erreichen, und die Wahrscheinlichkeit, die notwendige Handlung auch ausführen zu können.
Umgelegt auf die Trainingsgestaltung bedeutet dies, den Sportlerinnen solche Übungen und Aufgaben zu geben, die an ihr aktuelles Können angepasst sind und dieses herausfordern. Zu leichte Übungen unterfordern, zu schwere führen zu Misserfolgserlebnissen. In solchen Trainingssituationen wird die innere Sprache sagen „es war schwer, aber ich habe es geschafft“. Gefühle des Stolzes und der Freude werden wachsen. Und der soziale Vergleich sagt „ich war wenigstens gleich gut oder vielleicht sogar besser.“ Der Körper wird stolz aufgerichtet sein, das Gesicht strahlt, und an die Kolleginnen gerichtet sagt die Sportlerin (vielleicht um abzulenken): „Hab ich einen Hunger!“ Präzise Rückmeldungen durch die Trainerin unterstützen den Prozess der Selbstentwicklung und das Selbstbewusstsein.
Selbstvertrauen Selbstbewusstsein
Vertrauen in andere
Selbstentwicklung
Selbstwirksamkeit
Zukunftsvertrauen
Abb. 20. Die Landkarte der Höchstleistung (IV.10)
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Kapitel 14
Kapitel 15
DAS MOMENTUM – IHRE PERSÖNLICHE SCHWUNGKRAFT Der Begriff Momentum kommt aus dem Englischen. Weil ich im Deutschen keinen gleichwertigen Begriff gefunden habe, der den Inhalt in der gleichen Kürze und Präzision beschreibt, bleibe ich beim englischen Ausdruck. Im Terminus „Drehmoment oder Trägheitsmoment“ ist er auch im Deutschen vorhanden. Momentum beschreibt in der Physik das Produkt aus Masse x Geschwindigkeit. Um das Momentum zu erhalten, bedarf es keines zusätzlichen Kraftaufwandes. Jeder Antrieb führt zu einer Änderung des Impulses. Im Zustand der Schwerelosigkeit bleibt der Schwung unendlich lang erhalten. Ein Schwungrad würde laufen und laufen und laufen. Sportpsychologisch zielt man darauf ab, den Zustand des „Schwunges“ zu erreichen und ihn im weiteren auszunützen.
Ich verwende Momentum in vierfacher Hinsicht: (1) auf der Ebene der körperlichen Energie; (2 und 3) auf der Ebene des Denkens und Handelns; und (4) auf der Ebene des Gefühls. Über das körperliche Momentum braucht der Sportler nicht nachzudenken. Er spürt, wann es da ist. Der Körper ist locker, die Bewegungselemente sind optimal koordiniert, alles passt, man ist voller Energie und zielgerichtet. Momentum könnte in körperlicher Hinsicht als Vorstufe des Flow oder als Übergang dorthin gesehen werden. In solchen Momenten befindet sich der Sportler körperlich und mental auf seinem optimalen Level. Kognition, Motivation, Emotion und Körpergefühl sind in einem maximalen Gleichgewicht. Der Athlet braucht kaum weitere Energie, um auf diesem Niveau zu bleiben und weiterzumachen. Anders ist das geistig-gedankliche Momentum zu verstehen. Ideen und Gedanken können enormen Schwung verleihen, wenn sie erfolgreich umgesetzt werden. Auch wenn die Umsetzung nicht den gewünschten Erfolg bringt, hat man dennoch einen Lerneffekt und Erfahrung gewonnen. Man ist also einen Schritt weiter gegangen. Wer eine als wichtig eingeschätzte Idee nicht umsetzt, den verfolgt sie und das führt zu Verdrängung und im Weiteren zur Selbstblockade. Nicht erfüllte Aufgaben bleiben länger im Gedächtnis als erledigte. Diese Erkenntnis nennt man nach der Psychologin Bluma Zeigarnik (1927) den „Zeigarnik-Effekt“.
15.1. DIE CHEMIE DER HEMMUNG Prozesse der Hemmung des Verhaltens, also Nichtnützen des Momentums, gehen mit einer Stimulierung und Mehrproduktion von Glukokortikoiden und Noradrenalin einher. „Glukokortikoide behindern das Immunsystem. Es kann dann zu mikrobiellen Infektionen oder Zellveränderungen kommen, die normalerweise durch das Immunsystem kontrolliert werden. Eine Episode mit Infektion oder Zellveränderung kann die Folge sein … Auch psychische Beeinträchtigungen können mit Verhaltenshemmung einhergehen. Angst und andere neurotische Störungen können die Folge des Konflikts zwischen Handlungsimpuls und Verhaltenshemmung sein …“ (Laborit, 1993, zit. in Traue, 1998, S. 126). Diese und andere Studien weisen auf die negativen körperlichen Auswirkungen von Hemmungsprozessen, also nicht ausgeführten Gedanken oder Handlungen, hin. Auch die emotionale Hemmung ist psychologisch gut untersucht. Interessanterweise reagieren Personen mit repressiver (unterdrückter) Emotionsverarbeitung physiologisch stärker mit der linken Gesichtshälfte auf emotionale Stimuli als Vergleichspersonen. „Ihre linke Gesichtsseite zeigt größere muskuläre Verspannungen und größere Temperaturänderungen“ (Traue, 1998, S.141). Wenn Personen den emotionalen Inhalt eines gehörten Wortes unterdrücken, ignorieren, vermeiden oder verdrängen, dann sind die physiologischen Reaktionen größer, als wenn dieser Inhalt sprachlich umgesetzt wird. Wer negative Emotionen unterdrückt, muss sich mental anstrengen und das zeigt sich als physiologische Erregung (Wexler et al., 1986, zit. in Traue, 1998, S.141). Das Aussprechen emotionaler Botschaften hilft dem Immunsystem und den Muskeln. Übermäßige Ausschüttung von Glukokortikoiden mobilisiert sehr hohe Zuckermengen aus Muskeln und Leber und führt daher zu Müdigkeit und Schlaffheit der Muskeln. Die Energieversorgung des gesamten Organismus ist dadurch beeinträchtigt. Die Ausschüttung von Glukokortikoiden passiert im Rahmen einer normalen Stressreaktion. In diesem Fall wird sie aber durch emotionale Hemmungsprozesse ausgelöst. Emotionale Hemmung wirkt wie ein zusätzlicher Stressfaktor. Emotionen unterliegen dem Gewöhnungseffekt. Mit dem Ausnützen des Momentums wirkt der Sportler dem emotionalen Hemmungsprozess entgegen und trägt zur inneren Entspannung bei. Frijda (1988, S. 354) schätzt das emotionale Momentum und seine Aufrechterhaltung als grundlegend für emotionale Prozesse ein. Wer seine persönliche Schwungkraft öfter einzusetzen lernt, gewinnt Selbstvertrauen. Je mehr Ideen und Gedanken umgesetzt werden, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, erfolgreiche Handlungen zu setzen. Nichts ist erfolgreicher als der Erfolg. 118
Kapitel 15
Die sprachlichen Ausdrucksformen des Momentums sind vielfältig. „Sie hat die Gelegenheit beim Schopf gepackt“, „Sie nützt ihre Chance“, „Es geht wie von selbst, ich lass’ es laufen und zieh’ es bis zum Ende durch“, „Sie hat den Instinkt der Siegerin zum Durchbruch kommen lassen“. Training bedeutet, immer wieder auf das Momentum hinzuarbeiten und es als psychologisches Instrument zu nutzen. Wer sein Momentum findet, empfindet Freude, Freiheit und Selbstbestätigung.
Handlungsimpuls
Hemmung
G
um um ent ent om om erm sM e Körp h c nkli geda eistig-
Verhaltenshemmung
Abb. 21. Die Landkarte der Höchstleistung (IV.11)
Das Momentum – Ihre persönliche Schwungkraft
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Kapitel 16
KOMMUNIKATION Sportler verstehen die Trainer nicht und Trainer verstehen die Sportler nicht, könnte man überspitzt formulieren. Allgemeiner ausgedrückt: Menschen verstehen einander nicht. Manche Studien weisen darauf hin, dass Kommunikation nicht Probleme löst, sondern eher Probleme schafft. Einen Beleg dafür liefert Frester (1991) in seiner Analyse der Bewegungswahrnehmung in Schnellkraftsportarten. Sportler erhalten Informationen, die sie nur zu einem geringen Teil für ihre eigenen Bewegungswahrnehmungen, Bewegungsvorstellungen und Bewegungserfahrungen nützen können. Sie setzen nicht mehr als ein Viertel dieser Informationen in richtige Bewegungsabfolgen um. Nur etwa 20% der Informationen, die der Sportler aus Wahrnehmungen über seinen Bewegungsablauf aufnimmt, werden für Korrekturfindungen genutzt. Das, so Frester, reicht nicht aus, um die Qualität der Bewegungsregulation entscheidend zu verbessern.
Die Lücke zwischen gegebener Information von außen und Verarbeitung der Information ist kommunikationstheoretisch nicht nur im Sport zu erwarten. Sie ist ein allgemeines Kommunikationsphänomen. Der Kommunikationsforscher Friedemann Schulz von Thun analysiert und beschreibt die unterschiedlichen Ebenen der Kommunikation und die zahlreichen Möglichkeiten von „Fehlern“ (Schulz von Thun, 1998, 1993, 1992) und die jeweiligen Lösungen. (Seine Bücher zählen zum Besten auf dem Sektor Kommunikation).
16.1. DAS KOMMUNIKATIVE QUADRAT „HEUTE WARST DU GUT“ Eine der Ursachen für Kommunikationsprobleme ist, dass sogar die einfachste „Nachricht“, die eine Person an die andere sendet, gleichzeitig wenigstens vier unterschiedliche Ebenen hat: die sachliche Seite (das, worüber ich informiere), die Seite der Selbstoffenbarung (das, was ich von mir zeige), die Seite des Appells, der Manipulation und des Ausdrückens von Wünschen (das, wozu ich dich veranlassen möchte) und die Seite der Beziehungsgestaltung (das, was ich von dir halte und wie wir zueinander stehen). Wenn eine Trainerin zu ihrer Sportlerin sagt „Heute warst du gut!“, dann sind in der Aussage folgende Botschaften enthalten. Gesagt werden
nur die Worte „Heute warst du gut“, zu hören sind aber – je nach Ausdruck der Stimme, der Körpersprache und der Stimmungslage – viele weitere Botschaften. Sie könnten etwa folgendermaßen klingen. (1) Der Inhalt der Nachricht ist sachlich „Heute warst du gut“. Trainerin und Sportlerin wissen, was damit gemeint ist. Die Sachbotschaft wendet sich an den Verstand. (2) Die Seite der Selbstoffenbarung der Trainerin ist: „Ich bin froh, dass es gut läuft“. (3) Die Seite des Appells besagt: „Es wäre schön, wenn du immer so gut wärest“. (4) Die Seite der Beziehung: „Ich sage dir das als eine, die es gut mit dir meint“. Die Sportlerin denkt sich unterbewusst möglicherweise „Was meint die Trainerin?“ und fühlt, dass sie eben doch nicht gut genug ist, sondern erst gut werden muss. Die Trainerin könnte stattdessen auch mitteilen „mit dir arbeite ich gerne“. Die Sportlerin würde dann vielleicht denken „Toll, ein Lob von der Trainerin“, und wird sich darüber freuen.
Abb. 22. Das kommunikative Quadrat (nach Schulz von Thun, 1993)
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Kapitel 16
Die Beziehungsbotschaft wendet sich direkt an das Gefühl und beeinflusst das Selbstkonzept der Angesprochenen (Schulz von Thun, 1993, S. 193ff). Die Abläufe bei der Kommunikation sind aber noch komplexer. Nicht nur der Absender der Botschaft sendet vier unterschiedliche „Nachrichten“, sondern auch der Empfänger hört üblicherweise vier Seiten. Die Nachrichten können, müssen aber nicht deckungsgleich sein. Schulz von Thun spricht von den „vier Ohren“, mit denen wir hören. Wird der sachliche Inhalt auch sachlich gehört, dann verstehen sich Trainerin und Athletin. „Heute warst du gut“. Beide, Athletin und Trainerin, sind der gleichen Meinung. Wenn beide auch auf der Beziehungsebene gleich geschaltet sind (Trainerin: „Ich arbeite gerne mit dir“; Athletin: „Toll, ein Lob von der Trainerin“), werden beide ähnliche Gefühle empfinden.
16.2. MISSVERSTÄNDNISSE IN DER KOMMUNIKATION Es kann sein, dass die Trainerin mit der Aussage „Heute warst du gut“ bei der Sportlerin einen Appell hervorruft und diese die Aussage hört, „Siehst du, du kannst, wenn du nur willst, und wenn du dich in Zukunft mehr anstrengst, dann wird was aus dir“. Die Trainerin muss aber diese Aussage gar nicht gemeint haben. Die Beziehungsbotschaft geht nicht nur auf die aktuelle Gefühlslage und den weiteren Gesprächsverlauf ein, sondern kann eine erhebliche Langzeitwirkung haben. Im zitierten Fall kann die Sportlerin die Information heraus lesen, „Ich bin noch immer nicht gut genug und werde das wohl nie werden“. Die positive Botschaft der Trainerin kann bei der Sportlerin als erneuter Beleg ihrer „Mangelhaftigkeit“ ankommen. Aus diesem Gefühl der Mangelhaftigkeit kann langfristig ein negativer Kreislauf entstehen. Die Sportlerin interpretiert, dass sie – technisch oder sonst wie – nicht gut genug ist. Sie zieht sich, vielleicht nicht sofort, aber doch immer wieder, zurück und die selbst erfüllende Prophezeiung des Selbstkonzeptes hat ihre Wirkung getan. Die Athletin meidet das völlige aus sich Herausgehen im Training, sie gerät in Trainingsrückstand, erhält dadurch wieder die Bestätigung, dass sie nicht gut genug ist und das verringert ihren Selbstwert. Personen mit niedrigem Selbstwertgefühl hören ankommende Nachrichten mit einem überempfindlichen Beziehungsohr und interpretieren in „unschuldige“ Aussagen eine Kritik oder Herabsetzung ihrer Person hinein. Dieses Beispiel zeigt eine Möglichkeit, warum es zu Missverständnissen in der Kommunikation kommt. Nicht nur die abgehende Nachricht hat vier Seiten, sondern wir hören auch mit „vier Ohren“. Das verkompliziert die Möglichkeiten des Verste-
Kommunikation
123
hens oder Nicht-Verstehens weiter. Deshalb ist auf die Art, Qualität und Vermittlung der „Botschaften“ zwischen Trainern und Sportlern besonders zu achten. Die einfachen Regeln von Frederic Kanfer (siehe Kapitel Kurzinterventionen) sind für diese Situationen sehr hilfreich. Zusammengefasst bedeuten sie: – Kommunizieren Sie konkret! – Gehen Sie im Gespräch vom aktuellen Zustand aus! Tabelle 1. Techniken und Ziele der Gesprächsführung Strategie
Beispiel
Ziel
Spiegeln
Du meinst also …, Du spürst …, Das ist dein Ziel …
Akzeptieren,Verstehen
Konkretisieren
Kannst du genauer beVom allgemeinen zum schreiben, was du meinst? Konkreten
Alternativen suchen
Eingefahrene Denk- und Was wäre sonst noch möglich? Wie machen das Verhaltensmuster auflösen andere?
Kontrollmöglichkeiten der Sportlerin über bestimmte Ereignisse erhöhen
Was kannst du dazu beitragen, dass das eintritt/ oder verhindert wird?
Gegenüberstellung Ist/ Soll – Zustand
Wie weit bist du noch Beurteilung der Ist/Soll von deinem Ziel entfernt? Diskrepanz
Kompetenzen und Ressourcen klären
Kannst du das schaffen? Reicht die Zeit dazu?
Eigene Kontrolle über Verhalten ermöglichen
Beurteilung des Verhaltensrepertoires und der Hilfsmittel, die zur Zielerreichung notwendig sind
Motivation zur Zielerrei- Was wirst du an Mühen Klärung der Motivation, an chung klären auf dich nehmen, dass du einem bestimmtem Ziel zu das erreichst? Unter wel- arbeiten chen Bedingungen wirst du auf das … verzichten? Zeitperspektive klären
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Wie lange soll es dauern Klärung der vorgesehenen bis …? Wann willst du mit Zeitspanne bis zur Zielerdeinem ersten Schritt be- reichung ginnen? Was möchtest du dabei als erstes erreichen?
Kapitel 16
– Sprechen Sie Lösungen an! – Nehmen Sie Bezug auf die körperlichen Reaktionen des Sportlers! – Formulieren Sie das Positive der jeweiligen Aktivität. Damit sprechen Sie die Stärken des Sportlers an! – Richten Sie die Gedanken auf die nächsten kleinen Schritte. Damit fordern Sie den Ehrgeiz auf das Machbare heraus! – Bleiben Sie in Ihren Gesprächen flexibel und offen! – Orientieren Sie die Athletin auf die nächsten Aufgaben! – Knüpfen Sie an die Freuden und Fähigkeiten der Athletin an!
16.3. WEITERE REGELN UND TECHNIKEN DER GESPRÄCHSFÜHRUNG Die Regeln (nach Kanfer et al., 1991, S. 382) dienen dazu, der Sportlerin das Zusammenspiel von Kognitionen, Emotionen und neuen Verhaltensmustern zu verdeutlichen. Der Trainerin dienen sie als Hilfe, problematische Verhaltensweisen der Sportler leichter in eine Veränderungsstruktur zu bringen. Tipps, um Sportler zur Selbstreflexion zu ermuntern: – Setzen Sie positive Rückmeldungen ein! – Verstärken Sie die präzise Selbstreflexion durch einfühlende und akzeptierende Aussagen! – Versuchen Sie solange beim Thema zu bleiben, bis Sie genügend Informationen haben! – Fragen Sie den Sportler nach seinen Vermutungen über Änderungsmöglichkeiten!
Kommunikation
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Warum
Was
W-Fragen
Erfolge
D o s i e r t e D i s k re p a n z e r l e b
Wie
nisse
hei d
un g
Welche
ine Triff e
Wofür Weshalb
Wann
Lernen von Unterschieden
Ent sc
Wohin
Wo
Stelle die Frage
Talent
gung
Emotionen Inneres Zuhören
Nei
Selbstverpflichtung
Gedanken
en wäch en Sch pensier Stärken kom
Innerer Dialog
Interesse Handlungsaspekt
Inne
Selbstzweifel
Innerer Befehl
Aktivierung von Aggression
ng tellu gsvors Bewegun
Lösungssätze Selbstgespräche
rer
Innerer Antreiber
Krit
iker
Tests
Angriffslust
Abwehr von Angst
Problemsätze Analysesätze
Innerer Feind
Innerer Freund
EBF-Sport
Alltagsverstand Glaube an Glück Hätte ich
Selbstwertdienliche Muster
Motivationswerkzeug
Attributionen
Selbstwertschützende Muster
selfserving bias
actorobserver bias
Klarheit der Ziele
Motivationstreiber Umgang mit Chaos
„Hätti-wari“
Wäre ich
Kontrafakten
Glaube an sich
hes
Selbstwirksamkeit
Selbsttechnik
innere Situation
Handlungsimpuls
Vertrauen in andere
Selbstentwicklung
Körpersprache
Glaube an Zufall
Selbstvertrauen Selbstbewusstsein
internale externale Kontrollerwartung
Mo
me
ntu
Zukunftsvertrauen Sachebene
Verhaltenshemmung Beziehungsebene
Sender Empfänger
Selbsterfüllende Prophezeiung
Selbstoffen- Appellebene barungsebene Vier Ohren Selbstkonzept
Abb. 23. Die Landkarte der Höchstleistung (IV.12)
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Kapitel 16
TEIL III WAHRNEHMUNG, AUFMERKSAMKEIT UND KONZENTRATION „Tritt einen Schritt zurück und du siehst mehr.“
Kapitel 17
WAHRNEHMUNG Wahrnehmung und der kreative Umgang mit ihr spielt in den meisten Sportarten eine fundamentale Rolle. Wahrnehmung ist kein passiver Akt. Was wir sehen, hängt unter anderem von unserem Wissen und unseren Erwartungen, aber auch von unserer Befindlichkeit ab. In einer herausfordernden und belastenden sportlichen Situation spürt der Athlet gewöhnlich die schwindenden Kräfte, den Substanzverlust und er richtet die Aufmerksamkeit auf den Pulsschlag. Die Wahrnehmungsorgane sind die propriozeptiven Rezeptoren. Die Gedanken wandern möglicherweise in Richtung Angst und Sorge. Es kann aber auch sein, dass der Athlet die Wahrnehmungssignale anders bewertet und den Substanzverlust so einschätzt, dass er in diesen Situationen noch immer zusätzliche Kräfte mobilisieren kann. Wahrnehmung und persönliche Bewertung laufen gemeinsam ab. Es liegt an einem selbst, ob man am Fußballfeld nur Chaos oder einen Angriff sieht, der im Mittelfeld gerade aufgebaut wird. Im eigenen Kopf „Bildregie“ führen zu können, ist deshalb mehr als wichtig. „Spitzenregisseure“ können variieren, wie sie sehen. Im Idealfall scheinen dann das Spielfeld oder der Tennisplatz zu einem riesigen Organismus zu werden, mit dem man verwachsen ist, sodass alles irgendwie automatisch passiert und fast jeder Pass oder Schlag sitzt.
17.1. ORIENTIERUNGSREAKTION: WIR SEHEN, WAS WIR SEHEN MÜSSEN Kein Selbstmanagement ohne Selbst- oder Weltbeobachtung. Das bedeutet, dass man dieses „genaue Hinsehen“ auch beherrschen muss. Ja, man muss darin sogar richtig gut sein. Das hört sich seltsamer und merkwürdiger an, als es ist. „Hinsehen“ ist keineswegs die einfachste und selbstverständlichste Sache der Welt, denn die Formen des Sehens sind äußerst vielfältig. Die den Menschen zwingende Form des Sehens resultiert aus der biologischen Orientierungsreaktion, die Iwan Pawlow erstmals 1927 beschrieben hat. Unsere Augen und Ohren wenden sich instinktiv jedem plötzlichen Reiz zu. Die Reaktion ist Teil unseres evolutionären Erbes. Sie wirkt wie ein eingebauter Sensor für überraschende Bewegungen und mögliche räuberische Gefahren. Die Orientierungsreaktion ist Ursache für ein oft peinliches Phä-
nomen. Man ist zu Besuch bei Nachbarn und muss immer wieder auf einen in der Ecke stehenden eingeschalteten Fernseher sehen. Man ist wie gebannt hingezogen, und wendet den Kopf immer wieder zum bewegten Fernsehbild, obwohl man es gar nicht will. Das ist die Folge der biologischen Orientierungsreaktion. Bei einer typischen Orientierungsreaktion erweitern sich die zum Herz führenden Blutgefäße, das Herz schlägt langsamer. Blutgefäße, die große Muskelgruppen versorgen, ziehen sich zusammen. Das Gehirn konzentriert sich auf die Aufnahme zusätzlicher Informationen, während der restliche Körper ruht.
17.2. WIR SEHEN, WAS WIR SEHEN WOLLEN Wer „hinsieht“ und etwas sehen will, muss wissen, dass man zugleich auf Details und auf das Umfeld achten muss. Man muss dem inneren Drang widerstehen, sich mit ein paar schnellen Eindrücken zu begnügen. Das ist zwar „ökonomisch“ und vielleicht im Menschen angelegt, aber nicht zielführend, wenn man sich oder andere wirklich beobachten will. „Beobachten“ ist so besehen eine „Technik“, eine besondere Fertigkeit. Daraus folgt, dass es keine neutrale Wahrnehmung gibt: Wir nehmen die Welt nicht wie eine Kamera auf, die – im Rahmen des technisch Möglichen – genau das festhält, was sich an Gegenständen vor ihrem Objektiv befindet. Wir interpretieren vom ersten Blick an; und zwar auf die unterschiedlichsten Weisen. Wenn wir uns bei einem Tennisspiel ganz auf den Ball konzentrieren und nur diesen im Blick haben, wird die von uns wahrgenommene Welt nach einiger Zeit auf die Elemente „Ball“, „Gegner“ und „Netz“ reduziert. Wir sehen neben der Bewegung dann auch seine Form und seine Farbe. Gleichzeitig nehmen wir dabei auch den Raum wahr. Kommt der Ball hoch? Wird er in’s Out gehen? Bleibt er noch im Feld? Für alles andere, was nichts mit dem Ball zu tun hat, wird man regelrecht „blind“; es kommt in unserem Bild nicht mehr vor: Was wir nicht erwarten, sehen wir auch nicht.
17.3. KINO IM KOPF Wir sind immer unsere eigenen „Regisseure“. Regisseure der „Film- und Bildwelten“, in denen wir buchstäblich leben. Wir können auch „Regieanweisungen“ geben, die interessante Effekte nach sich ziehen und die noch dazu sportlich äußerst fruchtbar sind. Wenn wir unsere Wahrnehmung zu „dehnen“ beginnen und die Welt vor uns zu einem riesigen Panorama-Bild machen, werden wir, um beim
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Kapitel 17
Beispiel Tennis zu bleiben, sicherer spielen. Denn zum Panorama-Bild-Effekt gehört auch, dass wir in diesem Bild drinnen zu stehen meinen. Wir haben den Eindruck, ein Teil des Ganzen zu sein, das heißt mit all dem Rest um uns herum einen Organismus zu bilden. Tennis zu spielen bekommt dadurch etwas vom Spielen einer Melodie, die der Organismus vorgibt und in die wir genau dann einstimmen, wenn es passt und stimmig ist. Im Folgenden werden wir uns mit dem genauen Hinsehen beschäftigen und damit, wie man visuell Weiten und organische Ganzheiten erzeugt. Wir setzen uns mit dem Sehen, das unser Körper praktiziert, auseinander. Um all das leisten zu können, werden wir vorerst in den Ozean abtauchen und einen wunderbaren Film, den „Rausch der Tiefe“, erleben.
17.4. JACQUES MAYOL AUF BREITFORMAT-TUNNELFAHRT Wie ein Buddha meditiert der junge Taucher, der nur seinen Swimsuit trägt, in der engen Kajüte. Die Beine sind im Lotossitz überkreuzt. Die eine Hand ist bis auf Brusthöhe angehoben. Nichts an Jacques Mayol ist in Bewegung. Er wirkt ruhig, rund und elegant, ganz so wie die Finger der angehobenen Hand, die grazil eine Meditationsfigur formen. „Es geht los.“ Der Mann, der eben den Kopf bei der Kajütentür hereingestreckt hat, grinst verlegen. Seine Worte erreichen Jacques, doch sie klingen für ihn fern; fast so, als ob sie nicht in der Kajüte, sondern in einem Nebenraum und an jemand anderen adressiert gesprochen worden wären. Überhaupt wirkt der Mann „weit weg“ und seltsam unwirklich. Für Jacques hat er etwas von einer Traumfigur, die einem gerade im Moment des Aufwachens erscheint und etwas zuruft, um sich dann im Bruchteil einer Sekunde in Nichts aufzulösen. Jacques Mayol steht auf und geht hinaus. Draußen wartet schon Johana, seine Freundin. Sie lacht, winkt ihm zu. Ebenso wie der Mediziner, für den er gelegentlich arbeitet und der die medizinischen Folgen des Tauchens untersucht. Beide scheinen, obwohl ganz nah, doch Lichtjahre entfernt zu sein. Die andere Welt ist angehalten. Auch Johana hat etwas von einer Traumgestalt, von einem Geist, neben dem eine Reihe anderer Geister stehen, die alle lächeln, alle eigenartig langsam sind und Jacques – mit aus der Ferne kommenden Stimmen – Glück wünschen.
17.5. BILDREGIE IM WAHRNEHMUNGSKINO Mit jedem Schritt mehr hat Jacques den Eindruck, durch einen Tunnel zu schreiten. Paradoxerweise ist der jedoch nicht eng, sondern unendlich weit
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und breit und trotz all des Geistervolks, das ihn bewohnt, unendlich klar und real. Jacques hat die Welt angehalten. Er ist zum Regisseur eines CinemascopeMovies, seines ganz privaten Breitformat-Films, geworden. Fast schwebend und in einem zeitlupenähnlichen Gang bewegt er sich durch dieses Panorama-Bild auf den schwimmenden Steg zu, an dem das kleine, fischerkahnartige Boot einige hundert Meter weit vor der sizilianischen Küste angelegt hat. Ja, Jacques fließt förmlich dahin, gleitet durch seinen Tunnel, in dem die Welt etwas von einem riesigen Ozean hat, dessen Wellen einen vorsichtig umspülen und tragen. Schließlich ist er am Steg und bewegt sich auf den Tauchschlitten zu, dessen oberer Teil aus dem Wasser ragt – und der ihn gleich zig Meter in die Tiefe ziehen wird. Kurze, schnelle Atemzüge wechseln sich mit langen tiefen ab, als er vor dem Gerät sitzt und seine Lungen mit Sauerstoff „bepackt“. Spätestens jetzt ist die Welt nur noch ein einziger großer „vibrierender Organismus“, der kein Innen und kein Außen, kein Ich oder Du mehr kennt. Als Jacques sich nach einem letzten tiefen Atemzug ohne Tauchermaske oder Pressluftflasche vom Schlitten nach unten in den Ozean reißen lässt, springt er deshalb irgendwie bloß in sich selbst.
17.6. IM RAUSCH DER TIEFE Mit fast schon spielerischer Leichtigkeit fährt er nach unten. Problemlos passiert er den „medical check“ auf 60 Meter, wo sein Herzschlag überprüft wird. Ebenso selbstsicher gleitet er an den Tauchern vorüber, die zu seiner Sicherheit in 90 Meter Tiefe positioniert wurden. Bei 110 Metern ist seine Fahrt schließlich zu Ende: Er drückt die Plakette aus der Apparatur am Ende des Leitseils, die belegt, dass er in dieser Tiefe war. Ein paar Sekunden später geht es schon wieder nach oben. Ein Ballon zieht ihn; zuerst durch tiefschwarzes Wasser, dann durch nachtblaues. Weiterhin ist Jacques in seinem Cinemascope – Tunnel, der nun Meter um Meter, immer heller zu leuchten beginnt – bis er sich schließlich zu einem grün-weißen Lichtraum wandelt. An der Oberfläche schnellt Jacques förmlich aus dem Wasser. In diesem Moment „platzt“ der „Super-Organismus“ und der Tunnel fällt in sich zusammen. Mit einem Schlag sind alle wieder ganz nah und laut. Die Freundin, die lacht und jubelt, der Wettkampfleiter, die Neugierigen, die sich auf dem kleinen Kutter tummeln. Die Welt ist jetzt einfach wieder die Welt, voll mit Gegenständen und Personen, die ihm nahe kommen und ihn beschlagnah-
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men können. Jacques lässt es gerne zu: Der Buddha ist verschwunden und der lachende junge Mann, der Jacques auch sein kann, ist zurück. Zumindest bis zum nächsten Tauchgang.
17.7. DER APNOE-WAHNSINN Längst hat die Wirklichkeit Luc Bessons Filmvisionen übertroffen, die er in „The Big Blue – Im Rausch der Tiefe“ entwickelt hat. Apnoe- oder Freitauchen, also Tauchen, das „ohne Atmen“ auskommt (alt-griechisch, „apnoe“), ist im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts zur Kultsportart geworden. In der Kategorie „No Limits“ wird seither für Rekorde ohne Ende gesorgt. Galt 1988, als „Im Rausch der Tiefe“ entstand, eine Rekordmarke von 120 Metern de facto als utopisch, ist heute die 200 Meter-Marke nicht mehr undenkbar: 2002 tauchte die Amerikanerin Tanya Streeter mit dem Schlitten auf unfassbare 160 Meter hinab; eine Grenze ist ihrer Aussage zufolge damit aber noch lange nicht erreicht. Denn für die 160 Meter brauchte sie – hin und zurück – lediglich 3 Minuten und 26 Sekunden; Luft hat Streeter mittlerweile aber für gut 6 Minuten. Allerdings ist beim Freitauchen nicht die Luft das Problem: Kritisch ist vielmehr, dass das Herz in dieser Tiefe nur mehr 40 Mal pro Minute schlägt und dass es durch den herrschenden Druck von rund 17 bar die Lunge auf die Größe eines Apfels komprimiert wird. Dementsprechend können nur noch Herz und Gehirn mit Sauerstoff versorgt werden; wie lange das gut geht und was in noch größerer Tiefe passiert, kann allerdings niemand vorhersagen. Doch um genau das herauszufinden, tauchen Extremisten wie Streeter oder der Franzose Loic Leferme immer wieder in die Tiefe. Letzterer ist übrigens der neue Weltrekordinhaber der Kategorie „No Limits“: Im Oktober 2004 überbot er Streeters Marke noch einmal um 11 Meter und blieb mit seinem Tauchschlitten erst bei 171 Metern stehen.
17.8. „GANZHEITLICHE WAHRNEHMUNG“ ALS ERFOLGSFAKTOR Die Welt zu einem Cinemascope-Film zu machen ist aber nicht nur im Apnoe-Tauchen nützlich. Egal ob es um Tennis, Formel 1 oder Golf geht: Jede dieser Sportarten wird besser gelingen, wenn man wenigstens phasenweise in den besagten „Tunnel“ tritt und sich als Person oder „Ich“ gleichsam „aufzulösen“ beginnt. Fast alle Spitzensportler berichten von solchen ganzheitlichen Erlebnissen. Tennisspieler sprechen davon, dass während des Matches die Hand mit dem Schläger verwachsen war, oder dass sie den Ball geradezu auf sich zukommen fühlten.
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In der Formel 1 werden, wenn man einigen Piloten glauben darf, die Boliden erst auf der Basis einer solchen ganzheitlichen Wahrnehmung fahrbar. Man muss den Kurs im Kopf haben, ihn aber auch „spüren“ und mit ihm eins werden. Bei diesen Geschwindigkeiten, so formulierte es der Weltmeister von 1996, Damon Hill, einmal, sieht man einfach nichts mehr und würde folglich mit einer „normalen“ Wahrnehmung nicht weit kommen.
17.9. DAS EINZELNE UND DIE „WAHRNEHMUNGSGESTALT“ Im Begriff „Gestalt“ ist kein Hauch an Esoterik enthalten. Früher wurden solche Wahrnehmungsberichte als Märchen oder als Reste eines vorwissenschaftlichen Denkens abgetan. Heute werden sie systematisch erforscht und ernst genommen. Die Auseinandersetzung mit der ganzheitlichen Wahrnehmung begann im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts in der Gestaltpsychologie. In deren Zentrum stand die Auseinandersetzung mit der Wahrnehmungsgestalt: Wenn wir ein Fußballspiel verfolgen, können wir beispielsweise das Hauptaugenmerk auf einen bestimmten Spieler legen. Permanent schauen wir, was dieser tut, wohin er läuft, wie seine Ballannahme in verschiedensten Situationen aussieht oder wie stark (oder wie schwach) er im Zweikampf ist. Psychologisch spricht man von external-enger Aufmerksamkeit. Wir können aber auch auf das Spiel im Ganzen, also auf seine Dramaturgie achten, darauf, wie sich das Spiel entwickelt, welche Dynamiken sich wann und wo entfalten. In diesem Fall richten wir den Blick nicht auf einzelne Spieler, sondern auf das Feld. Dann sehen wir mehr als die Summe der Einzelbewegungen der Spieler. Wir können eine Gesamtbewegung wahrnehmen, die zwar von den einzelnen Spielern gebildet wird, in ihrer Gesamtheit aber etwas Eigenes, Selbständiges ist, das wir auch sehen. Das ist die external-weite Aufmerksamkeit. Sobald das Spiel Gestalt angenommen hat, wird die Form der Dramaturgie sichtbar. Sie bleibt es auch, wenn einzelne Spieler ausgetauscht werden oder plötzlich alle Spieler ganz wo anders stehen als zwei Minuten zuvor. Dieses System-Moment ist gemeint, wenn von der Wahrnehmungsgestalt die Rede ist.
17.10. DIE ANGST UND DER ELFMETER Das Sehen ist der komplexeste, am weitesten entwickelte und wichtigste aller Sinne des Menschen (Zimbardo und Gerrig, 1999, S. 122). Der Gesichtssinn erlaubt dem Menschen, Änderungen in der Umwelt sofort zu registrieren und das Handeln darauf einzustellen. Sportliche Höchstleistungen sind
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immer auch mit einem hoch entwickelten Zusammenspiel von Sehsinn, Schlussfolgerung und Handeln verbunden. Eines der Gesetze der Wahrnehmungsorganisation ist das Gesetz von Figur und Grund: Umgelegt auf den Sport beschreibt dieses Gesetz folgenden Umstand: Man kann einen Tormann als Person betrachten und das Tor, in oder vor dem er steht, als einen Gegenstand. Der Mensch hat immer die Tendenz, Figuren vor einem Hintergrund zu sehen, auch wenn sie mit dem Hintergrund auf gleicher Höhe sind.Wenn man etwas als vorne seiend wahrnimmt, bekommt es automatisch mehr Bedeutung. Der Tormann wird größer. In diesem Fall ginge es psychologisch darum, den Tormann nicht zu treffen. Ein schweres Unterfangen, denn etwas nicht zu tun ist äußerst schwer, weil damit noch lange nicht klar ist, was man tun soll. Man müsste erst in einem zweiten Schritt über die Richtung und Art des Handelns nachdenken. Es ist aber auch möglich, die beiden – so wie vorhin das Treiben am Fußballfeld – als eine Gestalt wahrzunehmen; als eine Einheit, die ein starres und ein dynamisches Element aufweist. Ja, besser noch: Tormann und Tor können als „Figur und Grund“ gesehen werden. Elfmeter-Schützen machen sich das zu Nutze. Sie schauen weder nur auf den Tormann noch nur auf das Tor, sondern versuchen beides zugleich in Form einer Gestalt im Auge zu haben. Die Kunst besteht dann darin, an der – in diesem Fall – kleiner wirkenden Figur vorbei den Grund zu treffen. Das Kleine wirkt psychologisch weniger bedeutend und macht deshalb weniger Angst. Man konzentriert sich deshalb nicht auf die Figur, sondern auf die große Fläche und den Punkt, wohin man den Ball befördern will. Damit kann eine klare Handlungsorientierung erfolgen. Der Schütze nimmt sich den Schuss vor und er braucht nicht viel zu denken: Schon gar nicht daran, was er nicht tun darf. Das Denken an die Aufgabe reduziert auch die Angst vor dem Schuss.
17.11. DER GENIALE PASS Ein anderes Gestalt-Gesetz, das für das Zuspiel von Bedeutung ist, ist das Gesetz von Ähnlichkeit und Gleichartigkeit. Seine Wirkungsweise besteht darin, dass man als Kicker die Spieler zu imaginierten Kleingruppen „clustert“. Sie werden zu „Bewohnern“ temporärer „Bezirke“, die man als „Blöcke“ und „Einheiten“ wahrnimmt. Damit wird das „Gesetz von Ähnlichkeit und Gleichartigkeit“ zum Fundament jenes genialen Passes, der vielleicht spielentscheidend ist. Denn ein genialer Pass gelingt dort, wo Starre und Dynamik aufeinander treffen; das heißt, wo ein Spieler ein Moment von „Unflexibilität“ und
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„Verharrung“ bei der gegnerischen Mannschaft erkennt und mit einem „Bewegungselement“ darauf reagiert, das für diese Mannschaft in ihrer „Erstarrung“ nicht „zu verarbeiten“, also nicht zu stoppen ist. Genau diese „Unflexibilitäten“ macht das „Gesetz von Ähnlichkeit und Gleichartigkeit“ sichtbar – weil es eben zu besagter Clusterbildung kommt und so immer auch deutlich wird, wo Starre herrscht und wo man folglich mit Dynamik reagieren kann. Wo andere gespannt wartende Gegenspieler zu sehen meinen, sieht man dank des „Ähnlichkeits-Gesetzes“, was diese Spieler tatsächlich sind: eine kleine Gruppe, in der jeder darauf wartet, dass der andere etwas tut. Und die deshalb als Gruppe nicht mehr als ein erstarrter Block und damit ungefährlich ist.
17.12. GLEITEND ZUM ZIEL Das Gesetz von der Tendenz zur Geschlossenheit ermöglicht, dass man auch jenen Mitspieler zu einem „Bezirksbewohner“ macht, der von den vier anderen, die man rasch als eine Gruppe betrachtet, etwas weiter weg steht und noch dazu von einem Gegenspieler halb verdeckt wird. Das Gesetz der gemeinsamen Bewegung ist dafür verantwortlich, dass man überhaupt so etwas wie einen Spielfluss wahrnimmt, wenn der Ball plötzlich 50 Meter weiter links ist und eine ganz andere Gruppe von Spielern und Gegenspielern das „Ballmanagement“ übernommen hat. Das Zusammenwirken dieser Gestaltgesetze sorgt nun auch dafür, dass es zu einer Wahrnehmung wie bei Jacques Mayol kommt, in der die gesamte Welt zu einer „riesigen Gestalt“ mutiert; zu einer Gestalt, in der alles nur noch „Grund“ ist, der aber (wohl) dank des „Gesetzes der gemeinsamen Bewegung“ wie ein großer Organismus wirkt, in dem „alles fließt“. Der Vorteil einer solchen Gestalt-Wahrnehmung besteht, wie es die Gestaltpsychologie formuliert, im „zielsicheren Verhalten“. Dort, wo, um noch einmal auf das Beispiel von vorhin zurückzukommen, „Erstarrungen“ sichtbar werden, lässt sich eben ein perfekter Pass spielen; ganz selbstverständlich und so, als ob man den Ball durch eine Röhre schießt, die genau dort endet, wo der Ball landen soll. Man hat den Eindruck, „geführt“ zu werden – und macht in weiterer Folge Spielzüge, die genau so wirken. Wer Konstellationen aus „Erstarrung“ und „Dynamik“ frühzeitig wahrnimmt – also die „Lücke“ oder den „Raum“ schon aufgehen sieht, bevor sie oder er wirklich da ist, trägt die Gestaltgesetze in sich. Gute Mittelfeldspieler, die den Ball nach vor bringen sollen, nutzen sie ebenso wie Formel 1 Piloten, die beim Start plötzlich fünf Autos überholen und wie auf Schienen durch einen Pulk von Wagen hindurch fahren. „Genial“ sein ist oft „nicht mehr“ als „Gestalt sehen“.
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17.13. GESTALT-ÜBUNGEN (GEGEN GESTALT-BLINDHEIT) Wir haben alle eine funktionierende Gestalt-Wahrnehmung. Sie wird in den ersten Lebenswochen und -monaten durch individuelles Lernen erworben. Gestalten wahrzunehmen ist die normalste Sache der Welt und erfolgt automatisch. Wir neigen dazu, diese Gestalt-Wahrnehmung unter Stress zu blockieren. Wir starren auf einzelne Objekte und übersehen dann größere Gestalten (wie den Gesamtspielverlauf). Auch in diesen Situationen ist die GestaltWahrnehmung „an der Arbeit“ und sorgt dafür, dass wir das angestarrte Objekt überhaupt in seiner Ganzheit sehen. De facto sind wir in diesem Fall gestaltblind geworden. Am häufigsten stellt sich „Gestalt-Blindheit“ in Stresssituationen ein. Statt des „Breitformat-Tunnels“, der Jacques Mayol trägt und leitet, tut sich dann ein extrem enger Tunnel auf: einer, in dem man völlig auf eine Sache – vielleicht auch nur eine Idee – fixiert ist. Beispielsweise auf den Gegner, den man jagt und um jeden Preis einholen will, weil sonst vielleicht nicht nur der Sieg, sondern die Weltmeisterschaft verloren ist. Solche „Tunnelfahrten“ enden nicht selten mit Unfällen, wie sie in der Formel 1 zu beobachten sind: Ein Pilot versucht sich am anderen, der gar nicht sein Hauptgegner ist, mit aller Gewalt „vorbeizuzwängen“, um möglichst rasch nach vor zu kommen – obwohl ganz offensichtlich kein Platz für dieses Manöver ist. “Gestalt sehen“ muss deshalb geübt werden: Holen Sie sich das verlorene Gestalt sehen wieder, wenn es stressbedingt abhanden gekommen ist.
17.14. BLICK INS NICHTS Das allgemeine Üben geht relativ einfach. Das Problem ist die Fixierung auf eine Sache oder einen Gegenstand. Die Lösung ist: Den „engen Tunnel“ zu einem weiten zu machen. Das macht es notwendig „ins Nichts“ zu blicken. Wer schon einmal durch einen langen Straßentunnel gefahren ist, wird möglicherweise entdeckt haben, dass man umso sicherer fährt, je weiter man nach vorne blickt und nicht an den Rücklichtern des Vordermanns klebt. Wenn man weit nach vor sieht und gleichsam einen „imaginären Punkt“ irgendwo gegen Ende des Tunnels fixiert, bekommt man einen wunderbaren Überblick über das Geschehen. Man sieht mit einem Blick, was sich vor einem tut, kann in den Augenwinkeln verfolgen, was auf der Gegenspur passiert und hat zudem dank der Außenspiegel das Geschehen hinter einem im Blickfeld. Das gibt Sicherheit und macht den Tunnel „weit“.
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Es gibt einen simplen Trick, um die Gestalt-Wahrnehmung zu aktivieren: Suchen Sie einen winzigen Punkt in der Ferne, fixieren Sie ihn – und schon beginnen Sie in „Gestalt“-Bildern zu sehen!
n Ge
au
hins
ehen Details Bewegung
Form
Gesetz von der Tendenz Gesetz von zur Geschlossenheit Gesetz von Ähnlichkeit und Figur und Grund Gleichartigkeit Gesetz von der gemeinsamen Orientierungsreaktion Bewegung
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Umfeld Breitformatfilm
Raum Sehen mit dem Körper
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Abb. 24. Die Landkarte der Höchstleistung (V.1)
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AUFMERKSAMKEIT UND KONZENTRATION Die Bilder und psychischen Welten im „Rausch der Tiefe“ betreffen Wahrnehmung, Konzentration, Aufmerksamkeit und weitere psychische Prozesse der Persönlichkeit von Jacques Mayol in einem ständigen Wechsel der Intensität. Aufmerksamkeit ist ein psychisches Element, das mit vielen anderen verwoben ist und mit diesen in Wechselwirkung steht. In reiner Form unterscheiden Psychologen vier Formen der Aufmerksamkeit. Menschen können die Aufmerksamkeit auf den Körper (internal) oder nach außen (external) richten. Sie können die Aufmerksamkeit auf einen Bereich fokussieren (eng) oder sie auf mehrere Ebenen richten (weit).
Wenn sie nur den Atemrhythmus spüren, dann ist die Aufmerksamkeit internal-eng, wenn sie den Puls, den Atem und die Muskelfunktion kontrollieren, dann ist die Aufmerksamkeit internal-weit. External-eng ist im Tennis die Analyse des Aufschlagverhaltens des Gegners, oder im Basketball die Konzentration auf den Korb beim Wurf. External-weit ist der Überblick über das Geschehen am Basketball- oder Fußballfeld (Nideffer, 1976; Nideffer und Sagal, 2002; Eberspächer, 2001). Die Unterscheidung in eng-weit und internal-external hat praktische Konsequenzen. Beim Langstreckenlauf schalten Läufer zwischen den verschiedenen Modi der Aufmerksamkeit hin und her. Es macht die Qualität guter Läufer aus, dass sie den Wechsel von einem zum anderen Modus schnell zustande bringen und bewusst steuern. Man kann aber während des Laufens nicht durch alle vier Aufmerksamkeitsprozesse gleichzeitig wechseln. Wie alle psychischen Prozesse braucht auch Aufmerksamkeit Energie (Alfermann und Stoll, 2005, S. 35) und deshalb sollte man sie möglichst automatisieren und damit Energie sparen.
18.1. KOGNITIVES CODIEREN In Stresssituationen, wie sie Fußballspiele darstellen, ist es unmöglich, kurz stehen zu bleiben, um einen Punkt in der Ferne zu fixieren. Das kann man in anderen Situationen zu Übungszwecken machen, sicherlich aber nicht in einer Wettkampfsituation. Das „Wieder-Holen“ des verlorenen „Gestalt – Sehens“ muss deshalb anders erfolgen – und zwar durch „kognitives Codieren“. Wer gelernt hat, wie man durch Fixierung eines weit entfernten
Punktes den „Gestalt-Modus“ aktiviert, wird das Ergebnis der Aktivierung auch in Form von inneren „Bildern“ in sich tragen. Das heißt, es wird zumindest ein Bild geben, das so intensiv ist, dass es nicht nur intellektuell, sondern mit dem ganzen Körper erinnert wird; ein Bild, das den Wechsel in den „Gestalt-Modus“ verkörpert, spürbar macht und auch „wiederbringt“ oder „auslöst“, wenn man nur daran denkt. Dieses Bild – z.B. ein kleines Haus, das auf der Kuppe einer weit entfernten Hügelkette steht – kann man nun „kognitiv codieren“. Das bedeutet, dass man sich das Bild im Kopf oder auch in der Realität immer wieder vor Augen führt und dabei auch benennt. Und zwar so lange, bis sein Name – z.B. „Hügelhaus“ – ausreicht, um das Bild mitsamt seinen Effekten wiederkehren zu lassen. Damit hat man einen kognitiven Code gegeben, der prinzipiell im Denken angesiedelt ist, aber letztlich ein ganzes inneres Universum aus Spüren, Erleben und Sehen in Gang bringt. Weil dieser Code aber im Denken angesiedelt ist, lässt er sich mit einem Wort oder Ausdruck gut verwalten. Im „Inneren Befehl“ wird der Code für die schnelle Erzeugung eines bestimmten Gefühls oder Bildes herangezogen.
18.2. MIT DEM KÖRPER „SEHEN“ Nicht nur die ganzheitliche Wahrnehmung spielt im Sport eine wichtige Rolle: Ebenso bedeutend ist das kinästhetische Empfinden, die Bewegungsempfindung, also die Fähigkeit, mit dem Körper zu „sehen“. In diesem Fall führt man in einem ganz anderen, wahrscheinlich noch seltsameren Film Regie als zuvor – wenn man überhaupt davon sprechen kann, dass jemand Regie führt. Denn diese Art der Wahrnehmung ist etwas höchst Merkwürdiges, weil sie irgendwie „ohne uns“ stattfindet. Trotzdem beherrscht Jacques Mayol auch sie geradezu perfekt.
18.3. JACQUES, DER DELPHIN Die 110 Meter haben zum Weltrekord und zum Weltmeistertitel gereicht. Dennoch verläuft die Nacht nach dem WM-Sieg unruhig. Jacques treibt es aus dem Zimmer, in dem er und seine Freundin Johana schlafen. Draußen ist es klar und mondhell; das Meer, das keine 50 Meter vom Haus entfernt beginnt, ist glatt. Jacques sieht auf das Wasser. Sein Blick hat etwas Sehnsüchtiges: Er, der die letzten 21 Jahre vor allem im Meer verbracht hat, ist von seinem Element getrennt. Sogar jetzt, mitten in der Nacht, fehlen ihm der Ozean und die Tiefe; das Schwimmen im und unter Wasser. Und es fehlt ihm seine „Familie“ – die Delphine.
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Nach ein, zwei Minuten des Schauens geht es ganz rasch: Jacques packt seine Flossen und geht zum Meer. Er gleitet hinein, taucht ein – und schon ist der erste Delphin da. Jacques gibt ihm einen Kuss auf den Schnabel, fährt ihm liebevoll über den Kopf, lässt sich – noch über Wasser – von dem Tier im Kreis ziehen. Was dann folgt ist ein Paarlauf, in dem der junge Mann selbst zum Delphin wird: Wie sein Spielgefährte beginnt Jacques ab- und wieder aufzutauchen; harmonisch beginnen sie nebeneinander Kreise zu ziehen, wie ein eingespieltes Team, das sich seit Jahrzehnten kennt. Schließlich taucht der Delphin ab und Jacques mit ihm. Das eine Mal hält er sich an einer der Seitenflossen fest und lässt sich die Küste entlang ziehen, dann schwimmt er wieder selbst; im Stil eines Delphins, mit vorgestreckten Armen. Immer passiert alles ganz automatisch und ohne Denken. Jacques ist vollständig auf seinen Gefährten eingestimmt und reagiert blitzschnell auf dessen „Einfälle“, um dann wieder gelegentlich selbst den „Spielverlauf“ vorzugeben. So leicht funktioniert das Spiel, dass Jacques gar nicht merkt, wie die Stunden vergehen. Als er wieder ans Ufer kommt, liegt Johana zusammengekauert am Strand. Müde, ärgerlich, irritiert und besorgt zugleich fährt sie Jacques an: „Wo bist Du gewesen?“ „Schwimmen“, gibt er daraufhin zur Antwort, was sie nur mit einer ungläubigen Frage quittieren kann: „Die ganze Nacht?“ „Ja“, antwortet Jacques, als ob es die selbstverständlichste Sache der Welt wäre.
18.4. KINÄSTHETISCHES EMPFINDEN UND „GESPÜRTES WISSEN“ Die Bewegung durchzuführen, die gerade ansteht, und zwar ohne viel nachzudenken – das verweist auf ein ausgeprägtes, gut funktionierendes kinästhetisches Empfinden. Wenn Jacques spontan das Abtauchen des Delphins mitmachen kann, so deshalb, weil er mit dem Körper „sieht“; weil es ihm leicht fällt, abzuschätzen, wie tief und wie lang es jetzt hinunter geht; ob Gleiten oder kräftiges Schwimmen ansteht. All diese Dinge hat er „im Gefühl“. Das bedeutet nichts anderes, als dass er seine Bewegung nicht mit den Augen und auf der Basis permanenter Anpassungen und Korrekturen steuert, sondern sein gespürtes oder stilles Wissen nutzt: So wie jemand, der Radfahren gelernt hat und deshalb ohne großes Reflektieren und Analysieren Radfahren kann, gebraucht auch Jacques all das, was sein Körper dank Erfahrung über das
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Abtauchen an „stillem Wissen“ gespeichert hat, wenn er seinem Spielgefährten in die Tiefe folgt. Sein Bewegungsempfinden oder kinästhetisches Empfinden ist dadurch gekennzeichnet, dass er nach dem Abschätzen einiger weniger Faktoren – Abtauchwinkel, Haltung des Tieres, Wassertiefe und dergleichen – automatisch sofort das Richtige tut, das heißt das notwendige „gespürte Wissen“ in einer Art „Reflex“ aktiviert.
18.5. ZWISCHEN BUCKELPISTE … Wie das kinästhetische Empfinden oder dieses Körper-Movie genau zustande kommt, ist nach wie vor nicht ganz geklärt. Sicher ist nur, dass es trainiert werden kann, und dass wir wahrscheinlich weitaus mehr „stilles“ oder „gespürtes Wissen“ in uns tragen als in Worten formuliertes. Nicht zuletzt der Erwerb dieses Wissens und der kinästhetischen Empfindung ist der Sinn jedes Trainings. Kein Turmspringer könnte seine komplexen Schraubbewegungen durch Schauen, Denken, Korrigieren und Optimieren steuern; er muss ein Gefühl und einen „Reflex“ dafür haben, was mit den Füssen zu passieren hat, wenn der Kopf nach unten geht. Je breiter das Training dabei ausfällt, desto breiter werden auch das „gespürte Wissen“ und das kinästhetische Empfinden sein. Zu den besten Schifahrern gehören deshalb noch immer jene, die sich über Jahre hinweg spielerisch-entdeckend auf so gut wie jedes Gelände eingelassen haben. Schwieriges Gelände meistert man nur, wenn man durch das probierende Tun all jene unzähligen feinen, kleinen Bewegungen in Form von „stillem Wissen“ erlernt hat, die für die Bewältigung dieses Geländes notwendig sind – Bewegungen, die der beste Trainer nicht vermitteln kann, weil er selbst sie noch nie bewusst wahrgenommen hat. Diese vielen kleinen, feinen Bewegungen sind im Wettkampf dafür ausschlaggebend, dass man noch ein Stück näher an die Slalomstangen heranfährt – und jene Sekundenbruchteile herausfährt, die den Sieg bedeuten.
18.6. … UND „FETZENLABERL“ Das Gleiche gilt auch für andere Sportarten; z.B. für den Fußball. Die spielerische Brillanz vieler südamerikanischer Fußballer ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass sie auf irgendwelchen löchrigen Hinterhof-Plätzen Fußballspielen lernten. Mit Bällen, die schlecht und „abgetreten“ waren – und sich auf den unebenen Plätzen doppelt versprangen. Die jungen Enthusiasten lernten diese Bälle trotzdem zu spielen und gewannen einen Schatz an „gespürtem Wissen“ für die kompliziertesten Situationen. Dieser Wissensschatz ist später das Fundament der Ballkunst, die
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viele brasilianische Spieler aufweisen. Kein noch so intensives Techniktraining kann diese Kunst hervorbringen. In Österreich existiert der Begriff „Fetzenlaberl-Spiel“ – womit das Spiel mit einem Fußball gemeint ist, der aus alten Stofffetzen zusammengedreht wird. Es ist bezeichnend, dass die Mitglieder des österreichischen „Wunderteams“, das in den Dreißigern des letzten Jahrhunderts zu den besten Mannschaften der Welt gehörte, mit solchen „Fetzenlaberln“ groß geworden sind.
18.7. KÖRPER-BLINDHEIT Das „Körper-Movie“, das letztlich „bildlos“ bleibt und trotzdem mit einem geradezu bombastischen, jahrelangen Regieaufwand verbunden ist, wird in seiner Bedeutung für den Sport nach wie vor unterschätzt. Das zeigt der Kult um „Spezialtrainings“ und „Spezialtechniken“. Gespürtes Wissen ist mehr als Technik und braucht immer eine Auseinandersetzung mit Sport, die – wie das Geländefahren im Schisport – keine Trennung zwischen Training, Abenteuer, Entdeckungsreise, Spaß und Alltag kennt. Dass es zu dieser Unterschätzung kommt, liegt aber nicht nur am Sport und seinen Selbstbildern: Generell ist das gespürte Wissen in unserer (westlichen) Kultur unterbewertet. Erst im 21. Jahrhundert hat es als Begriff, Idee und Erfahrung in das westliche Denken Einzug gehalten. Der österreichische Philosoph Ludwig Wittgenstein stellt in einer seiner Schriften die schöne Frage „Warum klingt Mozart nach Mozart?“. Nur wer „stilles Wissen“ ins Spiel bringt, wird diese Frage zufriedenstellend beantworten können. Wie wichtig kinästhetisches Empfinden ist, merken Sportler dann, wenn ihnen diese Empfindung abhanden gekommen ist. Golfsportler wissen, dass der Schwung plötzlich nicht mehr sitzt und der Ball nicht mehr getroffen wird. Hier ist eine Art „Kollaps“ des „Sehens mit dem Körper“ passiert. Möglicherweise deshalb, weil man die Bewegung mit dem Kopf zu steuern versucht. Oder weil man für eine andere Sportart eine ähnliche Schwungbewegung gelernt hat, die in dieser Situation irrtümlicherweise aktiviert wird. In diesem Fall raten Trainer: Zurück an den Start und das kinästhetische Empfinden neu aufbauen. Man muss zum „Fetzenlaberl“ zurück, wenn man die „Körper-Blindheit“ überwinden will. Denn alles Verstehen, Reflektieren und Trainieren von Details hilft nicht weiter: Gespürtes Wissen lässt sich nur im „Erspüren“ gewinnen. Und beim „Erspüren“ lässt sich kein Weg abkürzen: Stilles Wissen muss wachsen – „Fetzenlaberl“ für „Fetzenlaberl“, wie man sagen könnte.
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18.8. KONZENTRIERTE BLICKE Wir blicken zurück: Noch einmal „Im Rausch der Tiefe“, noch einmal Jacques Mayol, doch diesmal 21 Jahre früher. 1965: Irgendwo an der griechischen Küste in einem kleinen Fischerdorf steht Jacques mit zwei seiner Freunde am Rand des Hafenbeckens. Sie haben ihn geholt, weil sie im Wasser, in einigen Metern Tiefe, eine Münze glitzern sahen. Nur kurz blickt der kleine, noch nicht zehnjährige Jacques hin; wie um sich zu überzeugen, dass sich seine Freunde nicht getäuscht haben. Er konzentriert sich auf den glitzernden Punkt, blendet alles andere aus, macht ein paar kurze Atemzüge, setzt schon zum Sprung an – und wird jäh unterbrochen. „Der kleine Franzose will sich einmischen“. Enzo, jetzt wie später im Erwachsenenleben sein Dauerkonkurrent, steht mit seiner Clique hinter ihm. Der kleine Italiener ist deutlich größer und breiter als Jacques und vor allem deutlich selbstbewusster. „Es stört dich doch nicht, wenn ich die Münze heraustauche“. Enzo macht klar, wer hier das Sagen hat. Und er geht schnell und zügig vor: Auch er wirft einen Blick auf das Wasser, auch er sieht das Glänzen, auch er macht ein paar schnelle Atemzüge. Dann schon sein Sprung: Es geht hinunter in die Tiefe, es folgt der Griff nach der Münze – und sofort ist er wieder an der Oberfläche. Enzo steigt aus dem Wasser, fragt mit einem Fingerschnippen die Tauchzeit ab – „Wie lange?“ – und nimmt das Lob seiner Clique entgegen. Er ist völlig fokussiert, sieht, was gesehen werden muss und ist für alles andere blind. Was die Filmbilder auf wunderbare Weise illustrieren: Sie sind in dieser Szene starr und ohne Bewegung; keine Kamera fährt oder zoomt. Eine Einstellung folgt auf die andere, in jeder gibt es ein klares Zentrum, das einen eindeutigen Inhalt schafft. Nichts ist von der Weite zu sehen, die später, wenn Jacques seinen ersten Weltrekord aufstellen wird, die Grenzen zwischen ihm und der Welt zum Verschwinden bringen wird: Hier gibt es nur Objekte und Handlungen. Und es gibt kleine Jungen, die genau auf diese Objekte und Handlungen achten.
18.9. GUTE GEGENSTANDSWAHRNEHMUNG Die hohe Kunst bei der Gegenstandswahrnehmung ist: Das genaue Hinsehen. Nur wer genau hinsieht, wird ausmachen können, ob der Ball, der in diesem Moment via Steilpass auf einen zukommt, einen Drall hat oder nicht. Oder ob der Spieler, den man im nächsten Moment überlaufen möchte,
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eben zu einem Haken ansetzt. Kleine Details wie ein angespannter Oberschenkelmuskel können das verraten; mithin etwas, das man beim flüchtigen Hinschauen nicht entdeckt. Hier sind nicht nur bewusste Prozesse „im Spiel“. Viele der angesprochenen kleinen Details werden unbewusst verarbeitet und sprechen uns vor allem emotional an. Mimiken etwa, die wir bei der Beobachtung des Tormanns vor dem Elfmeter wahrnehmen und die uns Mut oder auch umgekehrt Angst machen. Wir sehen eine Kälte und Härte in seinem Gesicht, die in unserem Hinterkopf die Botschaft „unbezwingbar“ hinterlässt – und uns dazu bringt, unseren „Schussplan“ noch einmal zu überdenken. Das kann positive Folgen haben – aber auch negative. Trotzdem darf man ob all dieser Betonung der Genauigkeit nicht vergessen, seiner Wahrnehmung eine gewisse Breite oder einen gewissen Umfang zu geben. Der kleine Jacques hatte z.B. völlig übersehen, dass Enzo hinter ihm stand; zu sehr hatte er die Münze fokussiert. Er vergaß das periphere Sehen – was sich im Umfeld tat.Verteidiger übersehen aus diesem Grund den zweiten Stürmer, der auf sie zukommt. Sie können im Stress nicht umschalten. Wahrnehmungsgenauigkeit, Wahrnehmungsumfang sowie „Umschaltfähigkeit“ bzw. Flexibilität sind deshalb die drei Größen, die die Qualität der eigenen Gegenstandswahrnehmung bestimmen.
18.10. TRAINIEREN, TRAINIEREN, TRAINIEREN Diese Qualitäten sind bei vielen Athleten in der Regel nicht gegeben. Wer seine privaten „Reportage-Bilder und -Blicke“ im Kopf hervorbringen will, muss wieder üben und trainieren. Das ist jedoch meist einfacher als ein Gestalt-Training oder das Erlernen einer Bewegungsempfindung. → Genau hinzusehen lässt sich dadurch üben, dass man sich vor die VideoAufzeichnung eines Fußballspiels setzt und ausführlich beschreibt, was man sieht: Wer steht zu Beginn des Spiels im inneren Kreis? Wer macht den Anstoß? Welche Pose oder Haltung nimmt dieser dabei ein? Wie steht sein Gegenüber da? Welche Bewegungen und Dynamiken entwickeln sich nach den ersten zehn Sekunden am Spielfeld? Wie alles im Leben, das oft genug gemacht wird, geht auch dieses exakte Beobachten früher oder später „in Fleisch und Blut“ über, wird also zu einem „Automatismus“, der in bestimmten Situationen von selbst abläuft. → Der Wahrnehmungsumfang lässt sich durch Computerspiele schulen: Ein Formel-1-Rennen am Rechner zu gewinnen setzt einerseits ein breites Wahrnehmungsfeld voraus, andererseits das Hin- und Hersprin-
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gen zwischen einem fixierten Objekt und seinem Umfeld. So lassen sich Überholmanöver realisieren. x-Boxes und Playstations schulen die Umschaltfähigkeit oder Flexibilität der Wahrnehmung. Allerdings fehlt dabei das körperliche Moment, und deshalb sind Computerspiele nur die Hälfte der Miete.
Kinästhetisches Empfinden Kognitiver Code
Flexibil
ität
Wahrnehmungsgenauigkeit Gespürtes Wissen
Wahrnehmungsumfang Umschaltfähigkeit
Peripheres Sehen Gegenstandswahrnehmung
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Kapitel 19
UMSCHALTEN ZWISCHEN DOKUMENTATION, CINEMASCOPE UND KÖRPER-MOVIE Jetzt wissen Sie, was Sie mit Ihrer Wahrnehmung zustande bringen, wenn Sie regelmäßig üben und sich auf ein „Spiel“ mit ihr einlassen. Im Selbstmanagement können Sie jede der aufgezeigten Wahrnehmungsweisen brauchen:
– Die Gegenstandswahrnehmung spielt in Schritt sieben des Selbstmanagement-Prozesses eine wichtige Rolle, wenn die Gründe für einen etwaigen Misserfolg gesucht werden. In diesem Fall müssen Sie analysieren, welche Bewegungskoordination oder Technik bei Ihnen den einen oder anderen Schwachpunkt aufweist – ein typischer Fall von „dokumentarischem Blick“. – Ohne Gegenstandswahrnehmung werden Sie auch nicht in Schritt fünf des Selbstmanagement-Prozesses auskommen, wenn es um die Anwendung jener Methoden geht, die Sie mit Partner oder Coach zur Zielerreichung ausgewählt haben. Stellen Sie sich vor, Sie nehmen den Ball – wie Iris – stets zu früh an, wann immer Sie Angriffstennis spielen und zum Netz gehen: Egal, mit welcher Methode Sie dieses Problem zu beheben versuchen – sie wird immer etwas mit genauer Ballbeobachtung zu tun haben. Zumindest bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Annahme automatisch erfolgt, also zu einem kinästhetischen Empfinden geworden ist. – Ihre Gestalt-Wahrnehmung benötigen Sie in Schritt vier des Selbstmanagement-Verfahrens. Es wird Ihr Ziel sein, nicht nur den Ball sehr genau zu sehen, sondern auch den Gegner oder die Gegnerin im Auge zu behalten. Das gelingt dann am besten, wenn die Gestaltregel von „Figur und Grund“ – unbewusst – zum Einsatz kommt. Auch in Schritt sechs, bei der Vertiefung der Selbstmanagement-Fähigkeiten, werden Sie auf die Gestaltwahrnehmung zurückgreifen, wenn Sie etwas Gelerntes von einer Situation A auf eine Situation B zu übertragen versuchen. Ihre Offensiv-Ballannahme am Netz für eine bestimmte Defensiv-Position zu nutzen wird besser möglich sein, wenn Sie sie als „inneres Bild“ präsent haben und damit nicht ihre einzelnen Bruchstücke aufrufen und im Kopf zusammensetzen müssen.
19.1. SEHEN = INTERPRETIEREN = WISSEN = LERNEN Wie wir sehen und auch was wir sehen, steuern wir also – wenn auch nicht immer bewusst – zu einem guten Teil selbst. Mehr noch als bewusste „Switches“ oder persönliche Einstellungen steuern Erfahrungen und angelernte Muster, die einfach da sind, unser „Wahrnehmungsverhalten“. Also jene „Anteile“ und „Strukturen“ unserer Persönlichkeit, die meist als „natürlich“ betrachtet werden, obwohl sie in Wirklichkeit über die Jahre hinweg in uns durch Erlebnisse, Beziehungen und vieles andere mehr entstanden sind. Deshalb merken wir auch dann nicht, dass wir selbst bestimmen, was in unser Blickfeld gerät und was nicht. Wer am Land aufgewachsen ist, hat (möglicherweise) ein (besseres) Auge für die unzähligen Grüntöne, die die Natur im Frühjahr und Sommer zu bieten hat, als jemand, der weniger „Grün-Erfahrungen“ in sich gespeichert hat. Diese Erfahrungen bleiben oft unreflektiert; nichts desto Trotz sind sie aber prägende Erfahrungen und bestimmen als ein Stück „wir selbst“ was wir sehen. Wir können also mit Hilfe gezielt gemachter Erfahrungen unsere Wahrnehmung verändern.Wir lernen beispielsweise, beim Elfmeter nicht auf den Tormann zu starren, sondern die „Gesamt-Gestalt“ – Figur und Grund – im Auge zu haben. Oder wir eignen uns das Wissen an, das notwendig ist, um erkennen zu können, dass bestimmte Bewegungen eines Gegners Unsicherheit ausdrücken, obwohl er offiziell „große Sprüche klopft“. An seiner Wahrnehmung zu arbeiten und sie dann kreativ zu nutzen kann wesentlich dazu beitragen, „Exzellenz“ zu erreichen. Das heißt: jene sportlichen Höchstleistungen zu erbringen, um die es in jedem Wettkampf geht.
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Kapitel 19
Bewegungskoordination
Einstellungen Angriffstennis
Abb. 26. Die Landkarte der Höchstleistung (V.3)
Umschalten zwischen Dokumentation, Cinemascope und Körper-Movie
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Übung III
REGIE AM EIGENEN KÖRPER Mittlerweile sind Sie ein echter Liegestütz-Profi und eine Bauch-Bein-PoExpertin geworden. Sie können deshalb bei Ihren Übungen einen neuen Weg gehen und den Wahrnehmungs-Switch testen. Beginnen Sie dazu wie immer. Wenn Sie jedoch die ersten zehn Einheiten gemacht haben, ziehen Sie ihr Kinn ganz eng zur Brust und schauen unter sich selbst hindurch: Was tut sich in Ihrem Brust- und Bauchbereich, wenn Ihr Körper nach oben und wieder nach unten geht? Welche Muskeln sind angespannt? Welche Bereiche hängen eher durch und wirken lasch? Was hat es für Folgen, wenn Sie diese Bereiche gezielt zu aktivieren versuchen, indem Sie beim Nachoben-Drücken die Kraft aus den Armen zu ihnen wegverlagern?
Beobachten Sie sich genau und beschreiben Sie das, was Sie entdecken, mit Worten. Das kann, auch wenn Sie es leise und nur für sich machen, den Effekt haben, dass Ihr Schauen konzentrierter ist – und Sie darüber hinaus ihre Beobachtungen besser im Gedächtnis behalten. Wenn Sie diese Übung 30 Einheiten lang gemacht haben – keine Sorge, Sie schaffen es schon, genau hinzuschauen und dabei im Hinterkopf auch noch mitzuzählen –, wechseln Sie plötzlich den Blick und machen den „Switch“: Blicken Sie jetzt gerade vor sich auf den Boden und versuchen gleichzeitig, Ihre Hände und Arme ebenfalls im Auge zu behalten. Das heißt, „betrachten“ Sie das Gesamtbild, das sich vor Ihnen ergibt und Ihr gesamtes Wahrnehmungsfeld umfasst. Es kann in diesem Zusammenhang helfen, wenn Sie Ihre Augen nicht auf einen Gegenstand oder ein Muster am Boden richten, sondern konzentriert auf einen – imaginären – Punkt blicken, der inhaltsleer ist. Spätestens nach zehn, fünfzehn Einheiten werden Sie merken, wie Ihre Wahrnehmung „aufgeht“ und Sie die Gestalt zu sehen beginnen, die Sie zusammen mit dem Boden bilden; diese „Annäherungs- und wieder AbkehrBewegung“, die etwas Pulsierendes hat und Sie zu einer Art „dynamischen Bodenerhebung“ macht. Wenn Sie nach den nächsten zehn Einheiten noch die Kraft zum Weitermachen haben, „switchen“ Sie wieder und gehen zurück in den „Dokumentarfilm-Modus“. Diesmal beobachten Sie aber nicht Ihre Bauch- und Brustmuskulatur, sondern Ihre Oberarmmuskeln: Sie achten darauf, wie
der Bizeps Druck erzeugt und wieder in den Entspannungszustand zurückgeht. Schon nach fünf Einheiten „switchen“ Sie aber noch einmal. Jetzt versuchen Sie gar nichts zu denken; Sie schauen auch nicht und lassen stattdessen den Körper tun, was er von selber macht. Achten Sie auf gar nichts, hören Sie nur Ihr Atmen – und schließen Sie nach einiger Zeit die Augen. Automatisch hebt und senkt sich Ihr Körper, Sie spüren – noch bevor Ihr Körper den Boden berührt –, dass Sie „gleich wieder unten“ sein werden. Sie erleben kinästhetisches Wahrnehmen in seiner reinsten Form. Auch wenn Sie Laufsport betreiben, wird Ihnen dieses Umschalten helfen. Denn große Distanzen lassen sich nur bewältigen, wenn Sie einmal Ihre Wahrnehmung öffnen, dann wieder den Körper allein agieren lassen, um ein drittes Mal schließlich sehr genau hinzusehen, wie das Gelände vor ihnen aussieht.
AKTIVIEREN DURCH UMSCHALTEN Je länger Sie üben, Ihre Wahrnehmung der Umgebung zu verändern, desto leichter werden Sie diese Umschalt-Technik im Training oder Wettkampf anwenden können. Sie werden Bälle leichter treffen und den Gesamtüberblick besser wahren. Mit dem Umschalten setzen Sie einen bewusst aktiven Schritt, es hält Ihren Geist auf Trab – und verhindert, dass Sie müde werden oder sich langweilen. Davon berichten Radrennfahrer, die ohne Sichtkontakt zum Vorderoder Hintermann ihre Strecke abspulen. Das Ausbleiben neuer Informationen, die sie wachrütteln, wird auf diese Weise durch einen „Blickwechsel“ kompensiert: die Perspektivenverschiebung macht aus alten Informationen neue. Ein weiterer Vorteil der Umschalttechnik ist, dass Sie konzentriert bleiben oder Ihre Konzentration wieder neu aufbauen können. Das ist speziell dann hilfreich, wenn ein Wettkampf oder ein Spiel zu erlahmen beginnt und der berühmte „Durchhänger“ kommt.
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Übung III
Kapitel 20
HEMINGWAYS ALTER FISCHER In einer der großen Erzählungen der Weltliteratur „Der alte Mann und das Meer“ von Ernest Hemingway wird die Beziehung von Höchstleistung, über die eigenen Grenzen gehen und Konzentration wunderbar beschrieben. Hemingway hat immer wieder über Sport und Grenzerfahrungen geschrieben. Seine Beschreibungen zeugen von hohem Wissen und Einfühlungsvermögen in diesem Bereich.
20.1. DER ALTE MANN UND DAS MEER 84 Tage lang war der alte Santiago glücklos gewesen. Jeden Tag war er mit seinem kleinen Boot hinausgefahren; jeden Tag war er ohne Fang zurückgekommen. Doch heute, so ist er überzeugt, wird alles anders sein. Denn er wird weiter hinausfahren als sonst; mitten hinein in die Strömung, die von weit draußen aus dem Ozean hereinkommt. Schon nach einigen Stunden macht sich sein Risiko bezahlt. Ein Fisch hat angebissen; ein riesiger Fisch, wie sich bald herausstellt: Santiago kann nur Leine geben und all sein Können einsetzen, um ein Reißen der Leine zu verhindern. Der Fisch hat das Kommando übernommen und zieht das Boot aufs Meer hinaus.
20.1.1. SCHAUEN, SPÜREN Ein tagelanger Kampf beginnt. Santiago muss den Fisch ermüden, ihm so lange Leine geben und wieder abzunehmen versuchen, bis er erschöpft an die Oberfläche kommt.Wenn der Fisch aus dem Wasser springt, hat Santiago gewonnen. Es befüllen sich dann seine Luftsäcke und er kann nicht mehr tauchen. Meter für Meter würde der alte Mann in der Folge den wahrscheinlich um das Boot kreisenden Fisch an sich heranziehen, bis er ihn schließlich mit der Harpune töten könnte. Doch dieser Moment ist noch nicht erreicht. Unermüdlich zieht der Fisch, bald 24 Stunden lang. Alles, was Santiago tun kann, ist weiter mit dem Fisch um Leine zu ringen. Zu starkem Zug gibt er einfach nach, um sich die verlorenen Zentimeter und Meter dann Stück für Stück wiederzuholen. Dazu hat er die Leine über die Schulter gelegt; auch deshalb, um die
Spannung mit dem Körper ausgleichen zu können, falls der Zug des Fisches wieder zunimmt, er aber keine Leine zurück ins Meer lassen will. Das alles erfordert höchste Konzentration. Permanent muss er auf die Leine achten, die ihm gleichsam „erzählt“, was der Fisch tut oder vor hat. Nur einmal lässt er sich ablenken, als ein kleiner Vogel, ein Baumschlüpfer, um das Boot fliegt und auf der Leine landet. Santiago übersieht, dass der Zug wieder zunimmt und wird vom Fisch zu Boden gerissen. Doch von nun an ist er ganz bei der Leine. Er „spürt hin“; wiederholt sieht er hin und achtet auf jedes Detail. Beispielsweise darauf, ob sich der Leine entlang Tropfen bilden und das Wasser aus ihr herausgewrungen wird. Das wäre ein Zeichen, dass der Zug eindeutig zu groß wird und er ihn mit seinem Körper nicht mehr ausgleichen kann. Zusätzlich achtet er auf die Geschwindigkeit des Bootes. Sie allein gibt ihm Auskunft darüber, ob der Fisch allmählich erschöpft ist. Und ob er folglich etwas Leine zu gewinnen versuchen kann.
20.1.2. IMAGINIEREN, AGIEREN Nahezu drei Tage kämpfen Santiago und der Fisch miteinander. Längst haben sich die Hände des alten Mannes verkrampft, längst spürt er seinen Rücken nicht mehr. Und doch, weiß Santiago, steht ihm das Schlimmste erst bevor: Es wird der entscheidende Moment kommen, in dem er den erschöpften Fisch an das Boot herangezogen haben wird. Dann gilt es ihn nicht nur zu töten; er muss dann auch am Boot festgemacht werden. Angesichts des Gewichts, das die Kraft des Fisches erwarten lässt, wird das an die Grenze des Menschenmöglichen gehen. Santiago versucht sich deshalb auf diese entscheidende Phase vorzubereiten. Im Kopf geht er genau die Handgriffe durch, die es zu tun gelten wird; die Arbeit mit der Harpune, das Befestigen von Schlingen am Bootsrand, das Festzurren des Fisches mit diesen Schlingen. Und er beginnt diese Handgriffe auch zu tun; zumindest in Ansätzen und in dem Maße, in dem es die Leine auf der Schulter zulässt. Mit nur einer Hand beginnt er die Schlingen zu binden, die er benötigen wird; auch um zu testen, was sich mit einer Hand machen lässt. Denn die zweite wird er später ohnedies noch immer dafür brauchen, die Leine und damit den Fisch zu halten.
20.1.3. SAGEN, BEFEHLEN Zu Beginn des dritten Tages ist der alte Mann völlig erschöpft. Er kann den Drehungen und Tauchmanövern des Fisches kaum noch standhalten und
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Kapitel 20
droht immer wieder ohnmächtig zu werden. Seine Gedanken schweifen ab, er ist nicht mehr bei der Sache, nicht mehr bei der Leine, nicht mehr bei dem Fisch. Doch Santiago findet immer wieder zurück. „Fisch, ich werde Dich töten“, sagt er vor sich hin, wenn er meint, bald selbst vor Erschöpfung sterben zu müssen. Das reißt ihn wieder aus seinen Erinnerungen und Phantasien und gibt ihm wieder Kraft. In immer neuen Varianten spricht er deshalb den Satz, seine „Formel“, aus; auch in dem Moment, als der Fisch endlich nahe am Boot ist und ein letztes Mal eine Seitenwendung macht: „Fisch, du musst sowieso sterben. Musst du mich auch töten?“, fragt Santiago laut, als er den Fisch ein letztes Mal abdrehen lässt, bevor er ihn schließlich endgültig harpuniert.
20.2. SANTIAGO – EIN BILD FÜRS LEBEN Santiago, die Hauptfigur in Ernest Hemingways berühmter Geschichte „Der alte Mann und das Meer“, verliert am Ende alles. Sein mächtiger Fang wird von Haien gefressen. Santiago hat eine Niederlage erlitten und dennoch einen großen Sieg errungen. Von Santiago kann man lernen, was Konzentration in Extremsituationen bedeutet. „Der alte Mann und das Meer“ ist letztlich ein Buch über konzentriertes Handeln, in dem die drei wesentlichen Konzentrations-Elemente zum Ausdruck kommen. Santiago muss auf alle drei zentralen Elemente der Konzentrationsarbeit zurückgreifen, um zum Erfolg zu gelangen: – auf die Neugier, d.h. das allgemeine Trainieren und Anwenden von Konzentration durch genaues Hinschauen und Hinspüren, – auf das Üben, wie sie das Schlingen-Binden mit einer Hand darstellt, durch Imaginieren, Testen und Agieren, und – auf die Nutzung eines kognitiven Codes („Fisch, ich werde Dich töten“) durch Denken, Inneren Befehl und Aussprechen des Befehls. Der alte Santiago befindet sich in der gleichen Situation wie jeder moderne Spitzensportler; egal, ob dieser gerade im Rahmen der Tour de France eine Alpenetappe fährt oder die letzten Kilometer eines Triathlons vor sich hat. Immer ist es das Zusammenspiel der drei Konzentrations-Elemente, die eine optimale Wettkampfkonzentration entstehen lassen. Ein „Weniger“ oder ein „Nur-ein-bisschen-davon“ gibt es nicht. Das nächste Kapitel ist diesen drei Elementen und ihrem IneinanderGreifen gewidmet. Am Anfang steht die Auseinandersetzung mit einem Hemingways alter Fischer
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Phänomen, das auf den ersten Blick nichts mit Konzentration zu tun hat, aber doch viele Aufschlüsse über diese liefert: Es ist die Neugier, die das „Wesen“ konzentrierten Handelns verständlich macht.
Wahrnehmungsswitch Imaginieren Schauen und Spüren
Sagen und Befehlen
Testen Agieren
Abb. 27. Die Landkarte der Höchstleistung (V.4)
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Kapitel 20
Kapitel 21
DIE SPIELERISCHE ENTDECKUNG DER KONZENTRATION Irgendwo liegt ein Ball, irgendwer schießt ihn weg, irgendjemand fängt ihn auf. Das Spiel hat begonnen. Und mit ihm der Sport. Wir machen unsere ersten sportlichen Erfahrungen auf ganz spielerische Weise. Als kleine Kinder, denen die Eltern einen Plastikball zurollen, auf dass wir ihm entgegenlaufen und wieder zurückspielen. Oder als Teil der Kindergartengruppe, in der sich der Ball schon schneller bewegt und in der aus dem schlichten Hin- und Herschießen bereits ein Spiel mit System und einfachen Regeln geworden ist.
21.1. DAS „SPIEL DER NEUGIERDE“ Diese Regeln sind nicht starr. Wo Kinder spielen, bleibt alles in Bewegung. Das Spiel will nicht nur gespielt werden; es dient auch dazu, die Möglichkeiten, die ein Ball bietet, auszuloten. Spiel ist deshalb immer auch Spielentwicklung. Das wird dann deutlich, wenn zwei Gruppen zum ersten Mal miteinander spielen. „Habt ihr es schon einmal so probiert?“ heißt es dann, oder „Lasst es uns doch auf diese Weise versuchen!“. Neue Spielzüge entstehen dadurch, mit denen wieder neue Bewegungsformen einhergehen. Und neue Arten der Kommunikation und Organisation. So besehen ist Spielen folglich nicht nur Spiel und Spielentwicklung, sondern – viel wichtiger – auch Weltentdeckung. Es ist gelebte Neugier, ein neugieriges Einlassen auf das, was sich gerade an Optionen aufgetan hat: „Was passiert, wenn ich den Ball weit nach vor schieße?“, lautet eine der – unbewussten – Fragen, die gleich im Ausprobieren beantwortet wird, „Was bewirkt eineVeränderung des Winkels, mit der mein Fuß den Ball trifft?“ eine andere, „Komme ich leichter an meinem Gegenspieler vorbei, wenn ich den Ball weit vor mir her spiele oder ganz nah am Fuß führe?“ eine dritte. Diese fröhliche, unbekümmerte Neugier sorgt auch dafür, dass es Kindern nie langweilig wird. Stundenlang können sie die Möglichkeiten testen, die sie mit ihren Einfällen hervorgebracht haben. Selbstvergessen wollen sie wissen, was auf dieser Welt geht und was nicht. Dementsprechend bleiben uns die Spiele unserer Kindheit schließlich auch im Gedächtnis haften: Noch nach Jahrzehnten erinnern wir sie vor
allem als Erleben ungebremster Neugier, als jenes glückliche Versinken in der Welt, das nur das neugierige Spielen, das „Spiel der Neugierde“, verschenkt.
21.2. SPIELEN WIE EIN GOTT Wenn wir von uns selbst weggeführt werden, sind wir uns selbst am nächsten. Das ist das Paradoxon der Neugier. Sie sorgt dafür, dass wir nach außen schauen und uns dem Neuen zuwenden. Uns interessiert dann vor allem der Ball und sein Aufspringen; sein Wegfliegen und seine Geschwindigkeit. Es fasziniert uns, was er uns abverlangt; an Bewegungen, aber auch an allgemeinen Verhaltensweisen – beispielsweise der Gruppe gegenüber. Doch weil wir nach außen schauen, sind wir unserer selbst so sicher wie sonst nicht oft im Leben. Wir sind zwar vielleicht skeptisch und kritisch – „Sollen wir das wirklich so machen?“ –, aber wir grübeln nicht. Wir stellen uns nicht selbst in Frage, sondern suchen Wege und Lösungen. Unbewusst und blitzartig testen wir Optionen statt nach Schuldigen für Misslungenes zu suchen. Wenn uns die Neugierde wirklich gepackt hat, spielen wir „wie Götter“. Mag sein, dass die Techniken, auf die wir im Spiel zurückgreifen, noch zu wünschen übrig lassen. Und dass die Spielzüge und –strategien noch viel komplexer ausfallen könnten. Dennoch: Gefangen vom Neuen lassen wir uns von ihm führen.Wir lernen, ohne es bewusst zu registrieren, in Hochgeschwindigkeit und geben in jedem Moment buchstäblich unser Bestes. Wir sind zwar oft noch nicht perfekt, aber doch sicher: Wir sind im Neuen und deshalb auch in uns selbst zu Hause. Jeder Schuss oder Schlag zeigt es uns.
21.3. DENKEN ALS FORM „KÖRPERLICHER BEWEGUNG“ Wo (Tiefen-)Konzentration erlernbar sein soll, muss sie verstanden werden. Denn es ist keineswegs selbstverständlich, dass Konzentration geübt und Denken wie eine physische, trainierbare Fertigkeit gesehen werden kann. Interessanterweise trainieren Sportler diese Fähigkeit noch immer am wenigsten (siehe Kapitel 6.4). Das Phänomen Flow, die „absolute Tiefenkonzentration“, die ZOF (zone of optimal functioning) oder „being in the zone“ wird für viele Lebensbereiche und nicht nur für den Sport interessant. In der Wirtschaft erwartet man sich von Mitarbeitern im Flow eine höhere Produktivität. Den Flow-Hype ausgelöst hat der amerikanische Psychologe Mihalyi Csikszentmihalyi (1990, dt. 1992). Er untersuchte, was Bergsteiger, Schachspieler, Chirurgen oder Rocktänzer gemeinsam haben, die ganz in ihrer
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Kapitel 21
Sache aufgehen. Csikszentmihalyi erforschte, was notwendig ist, damit man wie ein neugieriges, spielendes Kind völlig auf eine Tätigkeit fixiert sein kann, dass darüber alles andere unwichtig wird.
21.4. DIE JAGD NACH DEM FLOW Flow-Erleben bedeutet, dass die auszuführende Tätigkeit eine Herausforderung darstellt, aber keinen Stress bereitet. Sie ist „technisch“ gut oder zumindest potenziell beherrschbar, aber nicht einfach durchzuführen. Wirklich wichtig ist der Weg, das Tun selbst. Die Bergwand, so berichten Flow-Kenner, wird nicht deshalb hochgeklettert, um zum Gipfel zu gelangen, sondern weil es ein großartiges Gefühl ist, in der Wand zu sein. Allein das reicht als Motivation aus. Dass für den Gipfelsieg vielleicht auch noch Weltruhm und Sponsorgelder winken, ist bei allem Siegeswillen zweitrangig. Bergsteiger, die auf solche Weise „intrinsisch“, d.h. ganz aus sich selbst heraus, motiviert sind, steigen auch dann in die Wand, wenn es um nichts als die Freude an der Sache geht. Das verlangt Training und Übung und deshalb werden sie immer besser und professioneller. Es eröffnet ihnen die Möglichkeit immer komplexere Herausforderungen anzunehmen. „Die Motivation wächst mit der Begeisterung. Wenn ich das, was ich tue, mit Begeisterung tue, wenn es meinem Wesen entspricht, bin ich stark. Die Intensität der Auseinandersetzung entscheidet. Ohne Fanatismus sind extrem schwierige Ziele nicht zu erreichen“, schreibt Reinhold Messner (1993, S. 13) über seine Erfahrungen. Beim Flow geht es nicht nur um Schönheit. Das ideale Zusammenspiel von perfektem Können und komplexen Handlungsabläufen fokussiert die Sportler auf ihre Tätigkeit. In der totalen Konzentration entsteht ein Gefühl des Verschmelzens von Denken und Tun. Man lässt alle Unsicherheiten und störenden Gedanken hinter sich. Es kommt zu jenem konzentrierten Versinken in der Welt, das für den Zustand der Neugierde typisch ist. Die ZeitDimension hebt sich auf, es gibt nur mehr ein „Hier und Jetzt“. Was man tut, wird fließend und leicht, man gleitet von einem Bewegungsablauf in den anderen. Man ist im Flow, im „Fließen“, im „fließenden Werden“. Der Flow kann nicht angestrebt werden, er ergibt sich aus dem Zusammenspiel von Können, Konzentration, starkem Interesse und hohen Anforderungen.Vorbereitet wird er durch hochwertige Praxis und klare Zielvorstellungen.
Die spielerische Entdeckung der Konzentration
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Fanatismus Begeisterung
Abb. 28. Die Landkarte der Höchstleistung (V.5)
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Kapitel 21
Kapitel 22
KONZENTRATION, AUFMERKSAMKEIT – ODER EINFACH WAHRNEHMUNG? Fließend und leicht fühlte sich aber auch Jacques Mayol, wenn er nach seiner Meditation in die Tiefe tauchte. War er vielleicht gar nicht in einem „Breitformat-Wahrnehmungstunnel“, sondern einfach – im konzentrativen Flow? Die Ähnlichkeiten zwischen den Wahrnehmungswelten, die vorhin beschrieben wurden, und den Konzentrationserlebnissen des Flow sind nicht zu übersehen. Manche Wissenschafter vertreten den Standpunkt, dass es Konzentration als eigenständiges Phänomen nicht gibt. Sie sehen in der Konzentration nur „einen Aspekt des Wahrnehmungsgeschehens“, das beim genauen Beobachten von Dingen oder Prozessen auftritt, das aber keine separate psychische Funktion darstellt. Manche vertreten die „Theorie von der Nicht-Existenz der Konzentration“ oder sprechen lieber von einem „aufmerksamen Verhalten“ als von „Konzentration“.
Diese Thesen sind nicht unberechtigt, weil wir uns immer auf etwas konzentrieren, auf das wir zugleich schauen, hören oder greifen. Das spricht zumindest für eine enge Verwobenheit von Konzentration und Aufmerksamkeit. Nicht zufällig werden außerdem im Sport „Konzentration“ und „Aufmerksamkeit“ so verwendet, dass ein Wort jederzeit das andere ersetzen kann. Und das, obwohl es sich bei „Aufmerksamkeit“ um einen „Wahrnehmungsbegriff“ handelt, das heißt um einen Begriff, der mehr noch als „Konzentration“ mit Tätigkeiten wie „Hinschauen“ oder „Hinhören“ verknüpft ist.
K WIE KONZENTRATION In der Forschung ist man deshalb dazu übergegangen, Konzentration als eine gesteigerte Form von Aufmerksamkeit zu betrachten. Die Aufmerksamkeit ihrerseits ist wiederum ein besonderes Gerichtet-Sein auf Gegenstände oder Abläufe aller Art, psychische Momente und Ideen inklusive. Aufmerksamkeit stellt in dieser Sichtweise eine eingegrenzte Wahrnehmung dar, ein Fokussieren, das in der Konzentration oder Tiefenkonzentration – im Flow – auf die Spitze getrieben wird.
Jacques Mayol’s „Rausch der Tiefe“ war so besehen wohl doch kein konzentrativer Flow. Sein „Tunnel-Erlebnis“ ist etwas anderes. Während in Mayols „Cinemascope-Tunnel“ die Welt zu einem großen pulsierenden Organismus wird, mit dem auch er selbst verschmolzen ist, bleiben im Flow die Dinge selbständig – nur dass man ihnen „ganz nah“ kommt und die Zeit vergisst. Konzentration ist ein gewollter Akt, wird gezielt angestrebt und mit vollem Bewusstsein genutzt. Jacques Mayol hingegen agierte wie in Trance.
22.1. DAS ALLGEMEINE TRAINING VON KONZENTRATION Die Wahrnehmung lässt sich nicht auf Knopfdruck eingrenzen. Aber man kann Wahrnehmung trainieren. Am einfachsten ist es, wenn man sich auf das „Spiel der Sinne“ (siehe Teil VI, Genusstraining, Kapitel 33.8) einlässt: Auf ein Schauen, Tasten, Riechen und Hören, das lustvoll und spielerisch zugleich die Welt erforscht, dabei allerdings sehr genau hinsieht oder hinhört – und so jenes „Eingrenzen der Wahrnehmung“ einleitet, das Konzentration ist (siehe Teil VI, Schule der Sinne, Kapitel 32.2).
MUI UND DAS „SPIEL DER SINNE“ Wer dieses Spiel ganz vorzüglich beherrscht, ist die kleine Mui. Sie ist die zentrale Figur eines Klassikers der jüngeren Filmgeschichte. „Der Duft der grünen Papaya“ entstand 1992 in Frankreich als Regiedebüt des jungen vietnamesischen Regisseurs Tran Anh Hung. Im Saigon der frühen 50er und 60er Jahre des 20. Jahrhunderts angesiedelt, zeigt der Film, wie die kleine, zehnjährige Mui vom Land in die Stadt kommt, um bei einer Stoffhändler-Familie zu arbeiten. Das Mädchen wird schließlich von der Familie als „Ersatz“ der verstorbenen Tochter betrachtet. Es ist ihr Fleiß, besonders aber ihre Stille und Ruhe, die dazu beiträgt. Mui ist eine Meisterin des Schauens, Hörens und Spürens. Sie macht aus dem Krabbeln der Ameisen vor ihr am Boden oder aus dem weißen Saft, der vom Papayabaum tropft, Konzentrationsbilder; Konzentrationsbilder, die sie ganz nahe an die Welt und ihre Gegenstände heranführen.
22.1.1. MUI SCHAUT Eine Grille zirpt monoton, eine Straßenlaterne wirft ein schwaches Licht. Der Gassenboden ist sandig, der eigene Schritt nicht zu hören. Ein schla-
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Kapitel 22
fender Mann dreht sich unter seinem Moskitonetz; ein Fahrradrahmen schimmert dahinter matt. Die Holzfassade am Haus gegenüber ist unten abgesplittert, die anschließende Gartenmauer weiß und ocker gefärbt. Ein Tor unterbricht weiter hinten die Mauer, ein kindergroßer Tonkrug ist neben ihm aufgestellt. Am Ende der Gasse steht ein Rollstuhl; ein hagerer Mann liegt darin. Der linke Fuß ist hochgelagert, der Hut bis zum Hals heruntergezogen. Das Tor in der Gartenmauer knarrt als es sich öffnet und eine Frau durch den Spalt blickt. Was Mui hier macht, ist nichts Besonderes. Es ist wiederholtes „Genauigkeitsverhalten“. Sie wendet keine gefinkelte Technik oder dergleichen an. Sie achtet lediglich sehr bewusst auf Details. Und geht deshalb zu dem seltsamen kopflosen Mann im Rollstuhl hin, um zu sehen, wie das mit dem Hut, dem Kopf und dem Hals geht. Die Welt vor ihr wird so zum Bild, zur Bühne, die sie studiert. Ein „Ausdifferenzierungsprozess“ kommt dadurch zustande, also ein Sehen von Unterschieden und damit von unterschiedlichen Gegenständen, die sonst von unserer Wahrnehmung – ganz im Sinne der Gestaltgesetze – einfach zu Blöcken zusammengefasst und folglich als Einzelgegenstände übersehen werden. Die Wahrnehmung einzugrenzen bedeutet folglich, sie auf Einzelheiten auszurichten; das aber nicht nur einmal, sondern immer wieder und immer wieder aufs Neue. Mui sieht die Fassade sehr genau an; sie sieht das abgesplitterte Holz, aber auch die Färbung der anschließenden Mauer. Und sie „sieht dann gleichsam weiter“, betrachtet das Tor und den Krug daneben. Konzentration entsteht durch ein wiederholtes, immer neue Details aufgreifendes Schauen – und fällt umso stärker aus, je länger und bewusster dieses „Genauigkeitsverhalten“ praktiziert wird. Der Kopf macht aktiv mit und beschreibt die Szenerie immer genauer: „Was ist da neben dem Tor? Ein Krug. Und dort weiter hinten?“ Je ausführlicher das passiert, desto präziser wird wahrgenommen, was einen umgibt. Ein detailliertes Schauen kommt in Gang, das sich schließlich zu verselbständigen beginnt. Aus dem „Genauigkeitsverhalten“ wird ein „Genauigkeitsmodus“, ein länger anhaltender Zustand: Konzentration ist entstanden; die Wahrnehmung wurde eingegrenzt. Will man die erreichte Konzentration zusätzlich stabilisieren und festigen, wiederholt man das Gesehene in der Vorstellung. Schauen, differenzieren, wiederholen des Gesehenen, genauer schauen: so stellt sich Konzentration ein.
Konzentration, Aufmerksamkeit – oder einfach Wahrnehmung?
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22.1.2. MUI HÖRT Eine aufdringliche Stille; ein Geräusch gemächlichen Schwimmens. Dann, für einen kurzen Augenblick: ruhiges, unaufgeregtes Geplätscher, ein beiläufiges Quaken. Dann noch eines, und noch eines. Schließlich wieder Stille; Vogelgesang im Hintergrund. Bis plötzlich etwas zirpt: einmal. Zweimal. Das Zirpen drängt sich in den Vordergrund, kommt von links, aus dem Tonkrug, der neben dem kleinen Bassin mit den Fröschen steht. Zwei Grillen sitzen an seinem Grund und versuchen den Rand nach oben zu krabbeln.
ICH HÖRE, DASS ICH NICHTS HÖRE Beim Hören ist es nicht anders als beim Sehen: Auf die Unterschiede kommt es an! Darauf, dass man sehr genau sagen kann, was im Hintergrund, was im Vordergrund, was links und was rechts zu hören ist. Die Geräuschkulisse wird „seziert“: wo kommt welcher Laut her. Auch die zeitliche Dimension spielt eine Rolle: Wie groß ist der Abstand zwischen dem ersten und dem zweiten Quaken? Wie viel Zeit liegt zwischen dem Quaken und dem Zirpen? Hinhören – so wie Hinsehen – verlangt Aktivität, ein „aktives Fragen und Beschreiben“. Wieder ist das Bewusstsein im Spiel, ein „GerichtetSein“, das die Welt in ihre Mosaiksteinchen, aus denen sie besteht, zerlegt. Konzentration wird durch das Hören von Stille gefördert. Der Zustand „ich höre, dass ich nichts höre“ hat etwas Paradoxes an sich. Gewöhnlich ist der Mensch auf das Gegenteil ausgerichtet. Deshalb sind wir besonders wach und konzentriert, wenn wir Stille wahrnehmen oder wahrzunehmen versuchen. Über alle möglichen Sinnestätigkeiten ließe sich ähnliches erzählen. Und auch über Mui, die sich ebenso gut auf das „sezierende“ Berühren oder Spüren versteht; z.B. dann, wenn sie eine grüne Papaya aufschneidet und mit ihren Fingern spielerisch tastend durch die weißen, perlenartigen Samen fährt, die den großen Innenraum der Frucht ausfüllen. Das „Spiel der Sinne“ und damit die Konzentration kann auf unzählige Weisen gespielt werden.
22.2. VON DER TRAININGS- ZUR WETTKAMPFKONZENTRATION Sich Einzeleindrücke zu merken und sie im Kopf zu einem Gesamtbild zusammenzubauen fördert das grundsätzliche Konzentrationsvermögen. Allerdings sind diesen Sinnes- und Phantasieübungen auch klare Grenzen gesetzt. 164
Kapitel 22
Bei Konzentrationseinbrüchen während eines Tennismatches kann man zwar versuchen, den Seitenwechsel für eine Sinnes-Übung zu nutzen, doch ist diese für die Wettkampf-Situation ungeeignet. Es fehlt die Zeit, um ein detailreiches Bild im Kopf aufzubauen, das in den „Modus der Konzentration“ führt. Im Wettkampf ist man mit spezifischen Konzentrationsproblemen konfrontiert, denen man mit entsprechenden Trainingsformen begegnen muss. Dennoch: Die „Trockenübungen“ sind die Basis für alle weiteren Übungen.
22.3. VORBEREITUNG DER KONZENTRATION So „sportfern“ das „Spiel der Sinne“ auf den ersten Blick aussehen mag: Nur Übung macht den Meister der Konzentration. Bei Ihren Liegestütz und Bauch-Bein-Po-Übungen erlebten Sie unterschiedliche Konzentrationstiefen. Sie wurden vielleicht zu einer „Dynamischen Bodenerhebung“ oder sind im Zustand des Flow konzentriert mit Ihren Hebe- und Senkbewegungen mitgegangen. Vielleicht waren Sie so konzentriert, dass Sie nichts anderes mehr registrierten: kein Geräusch, keine Gegenstände und erschraken, wenn jemand hinter Ihnen in den Raum trat. Möglicherweise ist Ihnen der Flow aber noch fremd. Vielleicht ist Ihnen eher das Abgelenkt-Sein vertraut, und Sie müssen sich permanent zu Ihren Übungen zwingen. Das kostet Kraft und macht das Tun mühsam und schwierig. Wenn es so ist: dann üben Sie. Sie werden verstehen, warum Sportler sich mit Konzentration so schwer tun. Sie werden aufgrund Ihrer eigenen Erfahrungen Methoden finden, wie Sie mit Ihren Schützlingen Konzentration üben.
22.4. MIT PASSENDEN ÜBUNGEN ZUR KONZENTRATION Einfache Konzentrationsübungen sind eine Vorbedingung für eine „gelingende Konzentrationsarbeit“. Die zweite ist, dass die Aufgabe zwar anspruchsvoll, aber nicht überfordernd ist. Für Ihre Liegestütz-Übung und die Bauch-Bein-Po-Übungen bedeutet das, weiterhin sorgfältig an den Leistungs- und Motivationszielen zu arbeiten. Finden Sie mit Versuch und Irrtum heraus, welches Leistungsvolumen Ihnen passt und welche Steigerungsstufen möglich sind. Überprüfen Sie Ihre Motivation und das Zusammenspiel von Kognition und Emotion. Es kann sein, dass der Kopf schon längst „nein“ zur Übung sagt, weil sie langweilig geworden ist oder die Ziele zu starr – 120 Einheiten, min-
Konzentration, Aufmerksamkeit – oder einfach Wahrnehmung?
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destens (!) – gesetzt sind. Nur, wer die Signale des Körpers und des Geistes wahrnimmt und dementsprechend auf sie reagiert und an seiner Leistung feilt, wird den Flow erleben. Dieser setzt voraus, dass die Tätigkeit lustvoll und den Fähigkeiten angepasst ist. Aber wie gesagt, nur hohe Konzentration kann das Ziel sein, nicht aber der Flow.
Genauigkeitsverhalten Aufmerksamkeit
Hören von Stille
Abb. 29. Die Landkarte der Höchstleistung (V.6)
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Kapitel 22
Übung IV
ZEITLUPEN-LIEGESTÜTZ Wenn Ihre Motivations- und Leistungsziele an ihr Können und Ihre Fähigkeiten angepasst sind, kann die nächsthöhere Konzentrationsstufe folgen, nämlich Simulationsübungen. Das sind Vorbereitungsübungen, die bei vielen Sportlerinnen und Sportlern zu beobachten sind. Tennisspielerinnen und Tennisspieler machen vor einem Match Aufschlagübungen oder simulieren ohne Ball einen Vorhand- oder Rückhand-Return.
Eine solche „Vorübung“ können auch Sie versuchen. Nehmen Sie die Liegestütz-Position ein. Beginnen Sie nicht gleich zu „pumpen“, sondern halten Sie zuerst den Körper mit durchgestreckten Armen. Bleiben Sie solange in dieser Haltung, bis Sie zu zittern beginnen. Dann geben Sie dem Druck in den Oberarmen nach und gehen nach unten, bis Sie mit der Nasenspitze beinahe am Boden ankommen. Statt sich aber gleich wieder nach oben zu drücken, bleiben Sie in dieser Position ebenfalls so lange wie möglich. Sie halten es länger aus, wenn Sie Oberschenkel- und Gesäßmuskulatur nutzen, also sie anspannen und so Ihre Arme entlasten. Nach dem Ausgehen der Kraft drücken Sie sich nach oben und stehen auf. Machen Sie eine Pause von drei bis vier Minuten und wiederholen Sie die ganze Übung zwei Mal. Im Anschluss daran analysieren Sie, was diese „Zeitlupen-Liegestütz“ mit Ihnen gemacht haben. – Wie fühlten sich die Arme an, welche Spannung spürten Sie im Körper? – Welche Gedanken beschäftigten Sie? Hat sich das Denken in der Zeit verändert? – Wie war die Motivation? War sie bei der ersten Übung anders als bei der dritten? – Spüren Sie noch etwas? Wie sind die Muskeln, wie der Kreislauf?
VERBESSERUNG DER KONZENTRATION DURCH WETTKAMPFPLANUNG Mit dieser Vorbereitungsübung wird das Grundmuster oder auch die Grundbewegung Ihres Liegestütz-Trainings zeitlich gedehnt. Deshalb werden Sie
diese Grundbewegung besonders bewusst erleben und erfahren. Sie werden sie spüren, obwohl Sie schon längst wieder stehen. Und Sie werden merken, dass Sie gedanklich wie von Ihrem „energetischen Empfinden“ her auf diese Bewegung ausgerichtet sind. Das heißt, Sie werden nicht nur an die Bewegung und an die kommende Übung denken, Sie werden auch einen Antrieb verspüren, sie auszuführen. Die Bewegung „fließt“ noch durch Sie hindurch und drängt Sie zum Weitermachen. Kurz: Die Vorübung hat Sie eingestimmt und einen Prozess der Fokussierung in Gang gebracht. Sie sind im Kopf auf die kommende LiegestützEinheit ausgerichtet und spüren bereits die Bewegungen, die mit ihr einhergehen werden. Das motiviert Sie und leitet einen Konzentrationsprozess ein. Das ist der Sinn jeder Vorübung, die man vor jedem Einsatz am besten zu einem Ritual macht. Es erfolgt eine Zuwendung zum Wettkampf, in deren Verlauf man für die Bewegungsabläufe ein „Gespür“ entwickelt. Genauso relevant ist, dass Sie noch einmal die Bewegungen auf der kognitiven Ebene durchdenken. Sie fokussieren sich auf sie und schauen sie noch einmal in der Vorstellung an. Sie können sich zu einer Variation des Bewegungsablaufs und zu einem praktischen Test der Variation entschließen, wenn Sie den Eindruck haben, dass die Vorübung irgendwelche Probleme und Schwachpunkte aufgezeigt hat. Das wird bei Ihrem Liegestütz-Training freilich nicht unbedingt das Thema sein, wohl aber z.B. beim Tennis. Dort kann man im Rahmen der Vorübung zu der Erkenntnis gelangen, dass die Rückhand nicht wie gewohnt funktioniert. Nach dem ersten Ärger und einer leichten Verunsicherung denkt man an die Alternativen, die man bereits vorher entwickelt haben sollte. Mit „Plan eins“ würde man versuchen, die Schwachstellen des Gegners mit der Vorhand anzuspielen. Mit „Plan zwei“ würde man die Rückhand weniger einsetzen. Mit „Plan drei“ würde man formulieren, die eigene Schwäche nicht zu zeigen usw. Konzentration und Wettkampfplanung sollen eine Einheit bilden. Je besser die Pläne mitsamt den Alternativen für den Wettkampf sind, desto leichter wird man sich konzentrieren können.
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Übung IV
We t t k a m p f ko n ze nt rat i o n
Tra i n i n g s ko n ze nt rat i o n
Simulationsübungen
Konzentrationsübungen
Abb. 30. Die Landkarte der Höchstleistung (V.7)
Zeitlupen-Liegestütz
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Kapitel 23
DIE NEGATIVE KONZENTRATION Sportlerinnen und Sportler haben oft mit Konzentrationseinbrüchen zu kämpfen, aus denen es kein Entkommen zu geben scheint. Oder es gelingt ihnen nicht, ihre Konzentration schnell genug zu aktivieren. In Sportarten, in denen Sekundenbruchteile über Sieg oder Niederlage entscheiden, ist das fatal. Es gehört zu den „Standardproblemen“, dass Sportler über eben gemachte Fehler nachgrübeln anstelle sich auf den nächsten Aufschlag zu konzentrieren. Das ist die negative Konzentration. Speziell Iris hatte unter solchen negativen Konzentrationen zu leiden. Deshalb begann Peter gezielt mir ihr zu arbeiten. Er zeigte ihr dabei, wie sie die zusammengebrochene Konzentration wiedererlangen konnte – und wie die „Blitz-Aktivierung“ von Konzentration gelingt.
23.1. FATALE FIXIERUNG AUF FEHLER Erinnern wir uns zurück. Iris, die Tennisspielerin, kam zu Peter, ihrem Coach, weil sie einerseits das Problem hatte, beim Angriffstennis am Netz den Ball zu weit vorne und nicht seitlich des Körpers anzunehmen – was zu völlig verschlagenen Bällen führte. Andererseits hatte sie auch ein Konzentrationsproblem: Spätestens nach drei oder vier gewonnenen Games brach die Konzentration zusammen, was sie regelmäßig völlig verunsicherte. Peter hatte Iris daraufhin zu einer umfassenden Selbstanalyse angehalten, in der sie darüber nachdachte, wo sie sich hinentwickeln wollte, was ihre Motivation war und welches Bild sie von Konzentration und speziell von einer „gelingenden Konzentration“ hatte. Schließlich arbeitete Peter hypnotherapeutisch mit ihr, was – zumindest vorübergehend – zu einer Verbesserung ihrer Konzentration führte. Das war nicht das einzige Verfahren, das Peter im Laufe ihrer langen Zusammenarbeit anwandte, um an Iris’ Konzentrationsproblemen zu arbeiten. Bereits in den ersten Monaten hatte er festgestellt, dass Iris nach den drei oder vier gewonnenen Games keineswegs in eine Art Blackout fiel und mit der völligen Auflösung ihrer Konzentration zu kämpfen hatte. Im Gegenteil: Sie war auch dann noch sehr konzentriert – allerdings auf das Falsche! In der Regel beendete ein Fehler Iris’ Konzentrationsphase: ein misslungener Aufschlag, beispielsweise. Oder ein nicht mehr erlaufener Ball, den zu erreichen
noch im Bereich des Möglichen gewesen wäre. An diesen Fehlern blieb Iris gedanklich und emotional hängen. Sie fixierte sich auf sie und baute eine „negative Konzentration“ auf. Denn es blieb ja nicht dabei, dass Iris bloß überlegte, „warum der letzte Ball nicht funktionierte“. Davon ausgehend begann sie ihre negativen Überlegungen auszudehnen und auf alle möglichen Aspekte und Dimensionen des Spiels zu übertragen: „Was, wenn mir mein Aufschlag auch noch misslingt?“, war eine der Folgefragen, die sie sich stellte, was zu der Frage „und wenn ich den ganzen Satz verliere?“ weiterführte. Ein umfassendes Netzwerk negativer Gedanken kam zustande, das sich wie ein Flächenbrand immer weiter ausbreitete und immer stärker zur fast fixen Idee wurde, ich MUSS es doch schaffen.
23.2. PETER DURCHBRICHT DIE NEGATIVSPIRALE Wo die negative Konzentration wirksam wird, geht der Blick für das wirklich Relevante – nämlich den Spielverlauf – verloren. Negative Konzentration bedeutet, dass es zu einer Konzentration auf so genannte aufgabenirrelevante Kognitionen kommt. Man denkt an wahrgenommene, „erkannte“ Faktoren, die den realen Spielverlauf jedoch nicht mehr beeinflussen. Denn der verschlagene Ball war zwar in einer bestimmten Situation entscheidend, er ist es aber nicht mehr jetzt, wo Iris vielleicht selbst serviert und andere Aufgaben vor ihr stehen. Beispielsweise die, ob es taktisch klug ist, ein riskantes Ass zu spielen (was nur gelingen kann, wenn es hunderte Male im Training geübt wurde) oder ob es nicht besser wäre, mit einem eher überraschenden langsamen Aufschlag ein kräfteraubendes Grundlinienduell einzuleiten, das der ohnedies schon angeschlagenen Gegnerin weiter zusetzt. Peters erstes Ziel bestand deshalb darin, diese kognitive Negativspirale zu durchbrechen, die auch negative Gefühle erzeugte, die die Reste an verbliebener Konzentration weiter dezimierten. Manchmal schlugen die Emotionen bei Iris in blinde Angst um. Zur Erreichung dieses Ziels setzte Peter auf ein gedankliches Signal, den kognitiven Code.
23.2.1. IRIS’ SELBSTENERGETISIERUNG Iris erzählte Peter von einer Vorübung, die sie selbst erfunden hatte. Sie bestand darin, dass sie an der Grundlinie stand, in ihrer Rechten den Schläger hielt und mit der Linken den Ball wieder und wieder auf den Boden tippte. Dabei fixierte sie zugleich die hintere Grundlinie auf der gegenüberlie-
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Kapitel 23
ICH MUSS
Der Gedanke „ich muss“ ist oft eine Folge der Fixierung auf Fehler, durch die eine gedankliche und gefühlsmäßige Negativspirale in Gang gesetzt wird. Dieses „ich muss“ erzeugt Druck und Stress. Fehler sind damit vorprogrammiert. „Ich muss“ kann aber auch mit einem guten Gefühl verbunden werden. Wer seine Trainingseinheiten täglich herunterspulen „muss“, der kann sich die Selbstaufforderung geben „ich muss einfach“. Damit bekommt „ich muss“ einen hohen Grad an Freiwilligkeit und Selbstbestimmung. Und es kann der Gedanke weiter tragen, „die spannenden Dinge kommen auch wieder“.
genden Platzseite und versuchte, diese Grundlinie mit der oberen Netzkante in Deckung zu bringen. Diese Aufgabe löste in Iris, wie sie sagte, „eine ungemeine Spannung aus“, weil es fast unmöglich war, die Deckung der beiden „Linien“ herzustellen: Es scheiterte schon daran, dass das Netz etwas durchhing. Diese Spannung fühlte sie im ganzen Körper, der dadurch kribbelig und energetisch wurde und in Iris ein heftiges Bedürfnis nach Veränderung der Situation und damit nach Aufschlagen, Retournieren und Angreifen weckte. Diese Vorübung stimmte sie positiv auf das Spiel ein, ließ zugleich aber auch, wie das jede gute Vorübung macht, Bewegungsmuster und –abläufe aufblitzen, die im Spiel notwendig und relevant waren.
23.2.2. VON DER IRRITATION ZUM „SIEGERBLICK“ All das machte sich Peter zu Nutze. Iris erzeugte eine Wahrnehmungsirritation oder Wahrnehmungsdissonanz, die eine solche Spannung bewirkte, dass sie einfach etwas tun musste. Ohne es bewusst zu verfolgen, griff Iris auf ein Grundprinzip des Motivationsaufbaus zurück. Denn Motivation entsteht u.a. dann, wenn eine „kognitive Dissonanz“ vorliegt. Jede Wahrnehmungsdissonanz ist auch eine „kognitive Dissonanz“, da „Welt wahrnehmen“ und „Welt erkennen“ immer zusammengehören. Eine solche Dissonanz entsteht dabei etwa dann, wenn eine Absicht (die Erzeugung eines Deckungsbildes) nicht zum wahrgenommenen Ergebnis passt (das Bild kommt nicht zustande); wenn also zwei Kognitionen oder „Denkmomente“ zueinander im Widerspruch stehen. In der Irritation konzentrieren wir uns nicht nur auf die Sache, um die es geht, sondern beginnen auch Maßnahmen zur Auflösung der Dissonanz zu treffen. Iris’ Maßnahme war dabei ein kraftvoller Aufschlag, mit dem sie das spannungserzeugende Bild vor ihren Augen gewissermaßen „zerschlug“ und der sich in kraft- wie lustvollen Returns „fortpflanzte“. Peter versuchte dementsprechend, diese Erfahrung mit Iris zusammen in einen „kognitiven Code“ zu verwandeln und dieses Erlebnis der Dissonanz und ihrer Auflösung mit einem Begriff zu koppeln. Dieser sollte das positivenergetische der Vorübungs-Situation auslösen, wenn sie an ihn dachte oder still für sich aussprach. Mit dieser Vorübung baute sie Wettkampfkonzentration auf. Zusätzlich holte sie sich durch das Spiel mit der Wahrnehmungsdissonanz eine „zweite Dosis“ Konzentration, die durch hohe „Dichte“ und „Situationsgebundenheit“ gekennzeichnet war. Durch besagte „Spannung“ konzentrierte sich
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Kapitel 23
Iris ganz auf den Augenblick und das Hier und Jetzt. Diese zweite Dosis Konzentration war das, was Iris in ihrer „Negativspirale“ brauchte. Der Begriff oder Code, den Iris nach längeren Gesprächen mit Peter letztlich wählte, lautete „Siegerblick“. Iris wollte sich selbst und den Gegnerinnen zeigen, dass sie ein Match entscheiden konnte.Wieder und wieder forderte Peter seine „Schülerin“ deshalb auf, ihre Vorübung zu machen und „den Siegerblick zu trainieren“. Am Ende der Übung schlug Iris dann stets einige Bälle; ein Ritual, das sie für sich mit der Formel „Und jetzt nutz’ den Siegerblick!“ einleitete. Nach einiger Zeit war die angestrebte Koppelung gelungen, so dass sich die Energetisierung und Konzentration bereits einstellte, wenn Iris an den „Siegerblick“ dachte oder ihren „inneren Befehl“ „Nutz’ den Siegerblick!“ aussprach. Die zweite Dosis Konzentration ließe sich auch auf andere Weise erzeugen – z.B. durch einen Schreikrampf des Trainers. Manchmal helfen Schreiattacken tatsächlich kurzfristig. Aber sie bringen die Sportlerin langfristig nicht weiter. Das unterscheidet ein herkömmliches Training von einem Training, das nach dem Selbstmanagement-Ansatz aufgebaut ist. In ersterem erfolgt das – mitunter notwendige – Wachrütteln mit einem „Schlag ins Gesicht“, in zweiterem wird die Sportlerin angeregt, selbst zu entdecken, wie sie sich wachrütteln kann. Langfristig ist dies die erfolgreichere Vorgehensweise. Was man selbst entwickelt, akzeptiert man eher und setzt es leichter um. Kommunikationsprobleme und unterschiedliche Interpretationen der Wünsche und Meinungen des Trainers können nicht entstehen. Die Spielerin weiß, was ihr gut tut.
23.3. KONZENTRATIONSZYKLEN Die Anwendung eines kognitiven Codes im Wettkampf erwies sich als äußerst fruchtbar. Iris gelang es auf diese Weise immer besser, ihre „negative Konzentration“ abzubauen und durch eine positive zu ersetzen. Sie lernte auch, mit der „Siegerblick“-Formel eine eingebrochene Konzentration wieder in Schwung zu bringen. Oder blitzartig konzentriert zu sein, wenn sie nach einer Spielunterbrechung neu starten musste. Oder zu Beginn des ersten Satzes, der sich immer wieder als Schwachstelle im Spiel erwiesen hatte: Schon im ersten Game war sie dank der „Blitz-Aktivierung“ der Konzentration mittels kognitiven Codes voll da. Wesentlich war bei all dem, dass Peter parallel zur „Entwicklung“ des kognitiven Codes mit Iris’ die Vorstellung von einer guten, gelingenden Wettkampfkonzentration bearbeitete. Iris war ja davon überzeugt, dass ihre Konzentration das ganze Spiel hindurch anhalten sollte. Das war ein falsches
Die negative Konzentration
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Verständnis von Konzentration. Peter erklärte ihr – im Sinne der Weitergabe „relevanter Informationen“ – dass sie zwischen einer unwillkürlichen und einer willkürlichen Aufmerksamkeit unterscheiden müsste. Mit willkürlicher, bewusster Aufmerksamkeit meinen wir Konzentration. Diese kann nur eine bestimmte Zeit lang anhalten. Eine stundenlang stabil bleibende willkürliche Aufmerksamkeit, so Peter weiter, sei allein schon deshalb nicht möglich, weil sie zu viel Energie benötigen und den Organismus völlig „auspumpen“ würde. Dasselbe gelte für die unwillkürliche Aufmerksamkeit, die dann auftritt, wenn wir etwas Neues entdecken und von ihm gefangen genommen werden. Auch dieses Moment der Neugierde verlange uns körperlich einiges ab und sei deshalb zeitlich begrenzt. Vom Standpunkt der Theorie aus, fuhr Peter fort, bliebe deshalb nur eines über: „Versuche in Konzentrationszyklen zu denken“, sagte er zu Iris. Sie könne davon ausgehen, dass auf jede Phase der „vertieften Aufmerksamkeit“ eine eher „flache“ folgen würde. Es sei daher wichtig, dass sie dieser „nicht entgegenzuarbeiten“ versuche, sondern sie am besten als „Verschnaufpause“ betrachte, die sie dann aktiv mit einem gezielten Konzentrationsaufbau beenden sollte. „Du meinst also, dass ich es riskieren kann, ein wenig zu verlieren?“, fragte Iris daraufhin. „Ich würde es so formulieren: Lass den Einbruch ruhig kommen. Halte ihn aus und versuche ihn zu ‚durchtauchen’, d.h. versuche trotzdem so gut wie möglich konzentriert und vor allem bei der Sache, beim Spiel zu bleiben. Dann gib dir den Kick mit deinem kognitiven Code um wieder volle Konzentration zu erreichen“, gab Peter ihr zur Antwort. „Das gilt im Übrigen auch für deine Aufschläge und Returns: Es kann nicht jeder funktionieren.Verschlagene Bälle sind normal. Nicht normal ist hingegen, wenn Du über diese verschlagenen Bälle während des Spiels herum zu philosophieren beginnst. Oder wenn Du glaubst, dass jeder Ball perfekt sein muss: Wenn Du auf diese Weise mit Dir zu hadern beginnst, wird es Zeit, wieder an den Ball zu denken. Der Ball muss in das gegnerische Feld!“
23.4. WIEDERHOLEN. WIEDERHOLEN UND VERDICHTEN Die Arbeit zeigte Wirkung. Iris verfügte nun über ein Werkzeug, mit dem sie in Konzentrationskrisen zielorientiert arbeiten konnte. Das tat sie mit Erfolg. Sie baute die grundlegende Überzeugung auf, dass eine erfolgreiche Arbeit an der Wettkampfkonzentration aus einem ganzen Bündel von Maßnahmen bestehen muss.
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Kapitel 23
– Aus dem Wissen über Konzentration und wie sie funktioniert. – Aus allgemeinen Konzentrationsübungen. – Aus Vorübungen, die auf die im Wettkampf benötigten Bewegungsabläufe einstimmen und die Wettkampfkonzentration in Gang bringen. – Aus kognitiven Codes, die die positiven Effekte der Vorübung mit einem Wort abrufbar machen. Konzentration besteht aus Wiederholen und Verdichten. Sinnes- und Vorübungen müssen wiederholt werden. Erfahrungen, Emotionen und auch Reflexe, die mit diesen Übungen einhergehen, müssen in Worten wie „Siegerblick“ zu einem Inneren Befehl komprimiert werden. „Wiederholen und verdichten“ ist das Grundprinzip jeglicher Konzentrationsarbeit.
Die negative Konzentration
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Ge
nau
hins
ehen
Details
Gesetz von der Tendenz Gesetz von zur Geschlossenheit Gesetz von Ähnlichkeit und Figur und Grund Gleichartigkeit Gesetz von der gemeinsamen Orientierungsreaktion Bewegung
Bewegung
Form
Wahrnehmung
Umfeld Breitformatfilm
Raum Wahrnehmungsgestalt
Sehen mit dem Körper
Bewegungskoordination
Kinästhetisches Empfinden Kognitiver Code
Flexibil
ität
Wahrnehmungsgenauigkeit Gespürtes Wissen
Einstellungen
Wahrnehmungsumfang
Angriffstennis
Umschaltfähigkeit
Peripheres Sehen Gegenstandswahrnehmung
Nach außen schauen
Wahrnehmungsswitch Imaginieren Schauen und Spüren
Sagen und Befehlen G rü b S p ie l
Testen
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Agieren Genauigkeitsverhalten Aufmerksamkeit
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Flow O rg a n i s at i o n
Kommunikation
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Weltentdeckung
Selbstvergessenheit
Fanatismus Begeisterung
Negative Konzentration We t t k a m p f ko n ze nt rat i o n
Hören von Stille
Tra i n i n g s ko n ze nt rat i o n
Simulationsübungen
Konzentrationsübungen
Kognitive Dissonanz Aufgaben irrelevante Kognitionen Wahrnehmungsirritation Wahrnehmungsdissonanz Fixierung auf Fehler Konzentrationszyklen
Zweite Dosis der Konzentration
Abb. 31. Die Landkarte der Höchstleistung (V.8)
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Kapitel 23
TEIL IV MOTIVATION „Alles beginnt mit einem Tagtraum. Daraus wächst eine Idee. Indem ich mich auf sie konzentriere und an ihr arbeite – wochenlang, monatelang, jahrelang – entsteht ein Ziel. Jeder Aufstieg beginnt im Kopf.“ Reinhold Messner (1993, S. 12) entwickelte seine Ziele langfristig und mit Konzentration auf sie.
Athleten brauchen psychologische Stärke, wenn sie all die Herausforderungen, die ihnen im Lauf der Karriere begegnen, meistern und wenn sie ihren Drang zur Spitzenleistung im Sport beibehalten wollen. In der Zielarbeit geht es darum, das persönliche „Setup“ weiterzuentwickeln, mit dem Sportlerinnen gezielt an ihren Emotionen, Gedanken und Ihrem Körper arbeiten.
WILLE UND LEIDENSCHAFT Wenn junge Athleten „ihre“ Bewegungsform und „ihre“ Sportart gefunden haben, ist erst ein Schritt getan. Die bloße Leidenschaft für Tennis oder einen anderen Sport führt üblicherweise nicht an die Spitze und zur persönlichen Höchstleistung. Talent allein reicht ebenfalls nicht. Zusätzlich nötig ist der tägliche Wille, etwas Neues an sich zu entdecken, eine Unterscheidung zu sehen und zu spüren. Wochenlang, monatelang, jahrelang „an der Idee arbeiten“ verlangt die völlige Konzentration auf das Lebensthema. Wer ein Motiv hat, hat ein Ziel. Und etwas, das ihn treibt. Wer seinen „persönlichen Stil“ findet und deshalb, von jedem Spielverlauf unbeirrt, „sein Ding“ durchzieht und das für ihn typische und mögliche Spiel spielt, verfügt über die stärkste Motivation. Er wird dann zum „Helden“ seiner selbst – und damit zu einem Felsen, an dem man als Gegner nicht unbedingt zerschellen muss, aber doch nur allzu schnell zerschellen kann.
Kapitel 24
BILLARDFIEBER – 10.000 DOLLAR IN EINER NACHT Eddie und Charly gingen die Treppe nach oben. Sie drückten die verglaste, zweiteilige Schwingtür auf und traten in den Saal. Zwischen den mächtigen, quadratischen Säulen links und rechts von ihnen standen Billardtische; mindestens zwölf auf jeder Seite. Die Tische waren in Zweierreihen angeordnet und alle mit drei Lampen versehen, die über ihnen von der Decke baumelten. In den Reihen an den Fenstern begann das Personal des „Ames“ damit,
die Schutztücher von den Tischen zu ziehen, was ein sanftes Geräusch wie beim Glattstreichen eines frisch gemachten Bettes machte.
„Still hier“, sagte Charly. „Ja. Wie in einer Kirche. Eine Kirche für Glücksjäger.“ Eddie zündete sich eine Zigarette an und ging nach vor zur Kassa: „Kann ich einen Tisch haben?“ „Ja, können Sie haben“, antwortete der bullige Mann hinter den Gitterstäben und reichte Eddie eine weiße Kugel durch die Öffnung über dem Kassapult. Eddie wählte einen Tisch neben dem Fenster. Er strich mit dem Handrücken über das Tuch und ließ die weiße Kugel zwei, drei mal rasch über den Tisch gleiten. „Jetzt können wir anfangen, Charly. Wieviel soll ich heute gewinnen?“ Charly blickte von Eddie weg und begann an seiner Zigarette zu ziehen. „10.000 Dollar. Ich mache heute 10.000 in einer Nacht! Wer kann mich noch schlagen?“, protzte Eddie, während er die Spitze seines Queue kreidete. „Na komm schon, Charly. Ich bin unschlagbar!“ Charly konnte es nicht leiden, wenn Eddie großspurig wurde und dabei sein arrogantes Grinsen eines Spätteenagers aufsetzte. „Jetzt geht’s los, niemand kann dich schlagen“, gab er deshalb formelhaft zur Antwort, immer noch von Eddie weggedreht. „Wo gibt es in Amerika noch Spielcasinos, wo man in einer Nacht 10.000 kassieren kann? Weißt du noch, Charly, früher hab ich höchstens für 20 Cent gespielt“. Einer der drei Männer vom Nachbartisch kam langsam auf Eddie zu. „Sie geben ja ganz nett an. Suchen Sie einen Partner?“ „Machen Sie vielleicht mit?“, fragte Eddie. „Nein, ich denke nicht daran. Sie sind Eddie Felson. Sind Sie ins ‚Ames’ gekommen, um mit Minnesota Fats zu spielen?“ „Ja, genau“. „Verschwinden Sie besser. Fats ist der beste Spieler des Landes und nicht zu schlagen. Aber wenn Sie Ihr Geld unbedingt loswerden wollen: Er kommt jeden Abend um 8 Uhr hierher“. „Danke für den Tipp“, sagte Eddie, drehte sich weg, und setzte zu einem Stoß an.
DER TÄNZER Minnesota Fats marschierte direkt zur Garderobe.Während er seinen langen, dunklen Mantel ablegte, seinen Hut abnahm und mit seinen massigen Fin182
Kapitel 24
gern die Blume an seinem Anzug zurecht rückte, sah er Eddie zu. Mit einem Effetstoß ließ dieser gerade die weiße Kugel die kurze Seite des Tisches entlang gleiten. Fats zündete sich eine Zigarette an und schlenderte auf ihn zu. „Das war gut, alle Achtung!“ „Danke.“ Eddie richtete sich auf, steckte seine linke Hand in die Hosentasche und lachte den schweren, voluminösen Mann arrogant und zugleich spitzbübisch an, der nun vor ihm stand. „Sie sind Minnesota Fats.“ Fats nickte und schaute Eddie an: „Woher kommen Sie?“ – „Aus Kalifornien“. „Sind Sie Eddie Felson? Ich habe gehört, dass Sie mit mir spielen wollen. Sie wollen um Geld spielen und etwas verdienen“. „Ich möchte furchtbar gerne einmal mit Ihnen spielen“, platzte Eddie wie ein Schuljunge heraus. „Spielen Sie gerne Pool?“ „Ich spiele alles gerne. 100 Dollar pro Spiel?“ „Sagen wir 200. Sie sind schließlich ein Billard-König“. Eddie eröffnete. Das Rack blieb durch den Anstoß unverändert. Zwei Kugeln rollten weg, eine davon aber nur kurz. Schon nach wenigen Sekunden kullerte sie wie von einem Magneten angezogen in das Dreieck zurück. Die weiße Kugel schlitterte in eine Ecke und blieb knapp am Rande der Tasche liegen. „Damit können Sie nicht viel anfangen“, stellt Eddie grinsend fest. „Mal sehen.“ Fats ging behände um den Tisch. „Sechs Ecke rechts“, sagte er knapp. Nach dem Stoß flog das Dreieck auseinander, die Sechser-Kugel landete in der angekündigten Tasche. Die Männer um den Tisch applaudierten. „15 Ecke links. Eins Mitte links. Zehn“. Elegant und konzentriert wechselte Fats wieder auf die andere Seite des Tisches. „Mann, ist der gut“, flüsterte Eddie Charly zu. „Sieh dir das an, er bewegt sich wie ein Tänzer. Er hat Finger wie ein Metzger. Aber er ist flink und beweglich, als ob er Violine spielen würde. Unglaublich!“. „125. Das ist Spiel“, tönte es im Hintergrund. „Eddie, wir hören auf“ „Wir verlieren wieder“. Eddie fuhr hoch, als er Charlys Stimme hörte. Durch den Ruck fiel die Whiskey-Flasche auf den Boden, die neben ihm auf dem Sessel stand. „Eddie, los, aufwachen“. Charlys Stimme hatte etwas Grobes. Doch Eddie saß schon wieder auf der Sesselkante, die Füße von sich gestreckt. Der Kopf lag oben auf der Rückenlehne, die Augen waren geschlossen. „Gute 25 Stunden ist es her, dass du diese Spielhalle betreten hast. Und seit über 13 Stunden spielst du gegen Fats. Um Geld zu machen.Viel Geld. Und um zu zeigen, dass du der beste Spieler bist. Der beste Spieler auf der ganzen Welt.“ – Eddies Gedanken kreisten. Billardfieber – 10.000 Dollar in einer Nacht
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Bruchstückhaft tauchten Erinnerungen an die letzte Nacht auf. Gegen 2 Uhr morgens war Fats zum ersten Mal eingebrochen. „Ich weiß nicht, ich habe das Gefühl, dass Ihre Glückssträhne jetzt vorbei ist“, hatte Eddie mit einem Grinsen gesagt, das Charly wieder den Kopf von ihm hatte wegdrehen lassen. Um 4 Uhr war der Einsatz auf 1.000 Dollar pro Spiel geklettert, um 8 Uhr hatte Eddie elfeinhalbtausend Dollar gewonnen gehabt. „Ich dachte, du kommst jetzt mit und wir frühstücken im Hotel!“, war Charly ihn angefahren, als Eddie mit müden Augen und schlaffen Wangen Eier bestellte statt aufzuhören. „Du verstehst nicht. Ich bin extra wegen ihm hergekommen. Ich werde ihn auspressen wie eine Zitrone! Vorbei ist es erst, wenn er es sagt! Eddie war wütend geworden und hatte große Töne gespuckt. „Ich bin der beste Spieler auf der Welt. Ich bin nicht mehr zu schlagen. Sogar wenn ich verliere, bleibe ich der Beste!“ Fats hatte keine Sekunde lang seine Ruhe verloren. Er war mit gelockerter Krawatte und nur im Jackett dagesessen und hatte seinen Kaffee getrunken. Er sprach kein Wort. Nicht einmal als sein Manager Bert Gordon ihm halblaut „Nicht aufhören, er ist ein Verlierer“ zuflüsterte, war etwas von ihm zu hören gewesen. Eddie hingegen hatte Bert Gordons Rat an Fats die Sprache verschlagen und zu einem ungläubigen Lächeln veranlasst. Eine Stunde später war der Gewinn auf 18.000 Dollar gestiegen, doch dann hatte Eddie umzufallen begonnen. Der Whiskey hatte ihn zuerst müde und dann gleichgültig gemacht. Irgendwie war ihm alles egal geworden; das Spiel, Charly, er selbst. Und jetzt, um zehn Uhr, hatte er gerade noch 200 Dollar in der Tasche. Dennoch konnte er nicht anders. Er zwang sich hoch und torkelte auf Fats zu. „Hier hab ich noch 200 Dollar“, lallte er. „Eddie, wir hören auf“. Fats’ Antwort war knapp und bestimmt. „Wie Sie sehen, hab ich hier noch 200 Dollar“. „Ein ander’ Mal“. „Na Fats, komm doch…“ Wortlos streifte sich Minnesota Fats seinen Mantel über und setzte den Hut auf. Er war bereits halb zur Tür hinaus, als Eddie „Hey, Fatty!“ rufend an die Kante eines Billardtisches streifte, stolperte und hart auf dem Boden aufschlug.
MIT MOTIV, ABER OHNE CHARAKTER Eddie Felson, die Hauptfigur aus Robert Rossens Billard-Film „Haie der Großstadt“ von 1961, hat ein Motiv für das, was er tut: Er will Geld machen. Und als der beste Billardspieler schlechthin gelten. Dieses Motiv treibt ihn. So sehr, dass er ein immer besserer Spieler wird. Schließlich kann er es sogar wagen, gegen den Landesmeister Minnesota
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Kapitel 24
ICH KANN
Eddie Felson kann alles im Billard. Er ist hoch talentiert. Er ist cool. Er besiegt jeden. Er ist von sich überzeugt und selbstbewusst. Er sagt über sich: „Ich bin unschlagbar.“ Aber er hat nicht die Moral und er schätzt seine Gegner nicht. Diese Schwächen führen ihn in die Niederlage. „Ich kann“ allein ist zu wenig, um an die Spitze zu kommen. Der Umgang mit „Ich kann“ ist ein wesentliches Element der Kunst der Höchstleistung.
Fats anzutreten. Es kommt zu einer wahren „Schlacht“ zwischen den beiden, bei der ihm sein Motiv ganz wunderbare Dienste leistet: Es dauert zwar, aber schließlich spielt Eddie, getrieben von seiner „10.000-Dollar-in-einerNacht“-Vision groß auf. Ein Vermögen hat er nach 12 Stunden in der Tasche – bis der große Einbruch kommt. Irgendwie reicht es auf einmal nicht mehr, „abzocken“ zu wollen. Am Ende der Kraft, wenn es an die „Essenz“ geht, ist es offensichtlich nicht genug, ein Motiv zu haben: dessen Antriebskräfte beginnen an diesem Punkt zu versagen. Was dann benötigt wird, ist Charakter, wie es Minnesota Fats’ Manager Bert Gordon später im Film formulieren wird. Werte und Haltungen, die die Stelle jener Leere einnehmen, die Müdigkeit und Whiskey zu Tage treten hatten lassen. Die Haltung gibt auch dann noch Kraft und Motivation, wenn es „eigentlich“ keinen Grund mehr dafür gibt. Aber langsam. Bevor wir von „Charakter“ oder „persönlichem Stil“ oder „Souveränität“ sprechen, müssen wir noch Einiges über Motive klären.
Herausforderungen meistern
Wille Werte
Leidenschaft
Charakter Haltung
Abb. 32. Die Landkarte der Höchstleistung (VI.1)
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Kapitel 24
Kapitel 25
DIE WAHREN ABENTEUER SIND IM KOPF Wer wirklich siegen will, fragt nach keinem „Warum“. Der Antrieb, danach zu streben, ist einfach da – so wie am Morgen die Sonne aufgeht. Der Wunsch, Erster oder Weltmeister zu sein, wird als natürlich empfunden, dem man sich nicht entziehen kann. Man wird von diesem Bild oder Gedanken getrieben, im Extremfall bis zur Besessenheit. Das ist das Kennzeichen echter Motive. Von ihnen geht eine Antriebskraft aus, die aus sich selbst zu entstehen scheint. Sie müssen nicht mit Begründungen und dergleichen gefüttert werden: Sind Sie einmal da, wirken sie auch. Motive haben etwas von Überzeugungen und Bekenntnissen, die für sich selbst stehen.
Mag sein, dass sie ursprünglich einmal aus einer Überlegung entstanden sind und anfangs vielleicht nicht mehr als eine Mischung aus rationalem Ziel und Zielbegründung waren, die man verfolgte. „Ich schwamm schon in der Volksschule gerne. Vielleicht sollte ich es einmal mit Leistungsschwimmen versuchen“. Doch wenn wir von Motiven und nicht mehr von Zielen sprechen, ist ein wichtiges Element hinzugekommen: ein Moment der Emotionalisierung, ein „Stück Leidenschaft“, wenn man so will. Von einem „Motiv“ zu sprechen, bedeutet deshalb, dass unsere „Grundziele“ (Weltmeister zu werden) von Emotionen getragen werden und damit „in Fleisch und Blut“ übergegangen sind. Das macht Motive so stark. Ist ein Ziel erst einmal emotional verankert, hat es etwas von einer „Lebensnotwendigkeit“: Es will realisiert werden – fast um jeden Preis. An dieser „Triebkraft“ erkennt man schnell, ob jemand wirklich ein Motiv hat oder bloß einem Gedanken oder einer „hübschen“ Phantasie folgt. Letztere lassen einen zwar eine Sache beginnen und sie „ein wenig“ verfolgen. Sie haben aber vorrangig „ästhetischen“ Charakter und verlieren rasch an Antriebskraft, wenn der Reiz des Neuen vorbei ist und die wirkliche Arbeit beginnt. Motive hingegen sind so stark an Emotionen gebunden, dass sie ihre „Besitzer“ in wahre Abenteuer stürzen. Man besucht dann die Rennfahrerschule nicht nur dreimal, bis der erste Crash passiert ist und der Schulbetreiber einem freundlich nahe legt, es vielleicht doch mit einer anderen Sportart zu versuchen. Stattdessen kommt man auch dann noch wieder, wenn die Rückschläge den Reiz des Neuen und die hübschen Phantasien längst zunichte machten.
Aus diesem Grund spielt im Selbstmanagement-Prozess die Motivarbeit eine so große Rolle. Es muss geklärt werden, ob die Motive des Sportlers oder der Sportlerin wirklich Motive sind – oder schöne Träume, kleine „Verliebtheiten“, die mit dem nächsten interessanten Neuen wieder verschwunden sind.
25.1. ALLES KANN MOTIV SEIN, AUCH DAS GELD Weil bei Motiven Emotionen im Spiel sind, entfalten sie eine Antriebskraft, die aus sich selbst gespeist zu werden scheint. Welchen Inhalt ein Motiv hat, spielt dabei keine Rolle. Alles kann zum Motiv werden; der Wunsch, von 80.000 Zuschauern nach dem Torschuss bejubelt zu werden, ebenso wie das Anliegen, in einer Extremsportart den Flow oder die absolute Konzentration – und damit etwas beinahe schon „Autistisches“ – erleben zu können. Natürlich kann es auch einfach – wie bei Eddie Felson in den „Haien der Großstadt“ – um das große Geld gehen. Wichtig ist allein, dass der Antrieb stimmt. Der Rest ist zweitrangig. Es spielt keine Rolle, ob es um Anerkennung, Ehre oder Geld geht. Solange sie „echte Motive“ in obigem Sinne sind, funktionieren alle diese „Gründe“ und/oder Ziele von ihrer Antriebskraft her ausgezeichnet. Sind sie hingegen Phantasien, wird auch die Ehre – sportlich besehen – nichts taugen.
EXKURS IN DEN BERGEN: MOTIV-CLUSTER (ORT, ZEIT UND NAMEN DES EXKURSES SIND FIKTIV GEWÄHLT)
Im Winter 2003 arbeitete ich mit dem Jugendkader eines Skiteams in den Tiroler Bergen. An den beiden ersten Tagen schien die Sonne, doch dann trübte es ein und in den unteren Ausläufern des Gletschers, wo die jungen Läuferinnen und Läufer trainierten, setzte sich dichter Nebel fest. Am dritten Tag brach wieder die Sonne durch, doch als wir den Gletscher erreicht hatten, begannen sich erneut Wolken über den Bergrücken hinunter auf die Trainingsstrecke zu ergießen. Wie Dampf flossen sie die Hänge herab und füllten binnen einer halben Stunde die Gletscherzunge und Piste mit dichtem Nebel auf. „Das wird nichts mehr“, sagte mir die Slalomtrainerin der Damenmannschaft, „fahren wir ins Hotel zurück“. „Gibt es ein Alternativprogramm?“ – „Fürs Erste nicht“. Wir trafen uns im Raum neben dem Speisesaal. Auch die Burschen waren da.Vier Tische standen darin. In jeder der Ecken einer. Die Tische waren aus schwerem Holz und noch dunkler als die Holzvertäfelung, die an den 188
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Wänden bis kurz unter die Decke reichte. Gegenüber der Tür, genau in der Mitte der anderen Längsseite des Raums, befand sich ein offener Kamin, der unbeheizt war. Ich ging zum Tisch in der linken hinteren Ecke und setzte mich zu Wolfgang auf die Bank, die an der Wand stand. „Ich kann das Wetter nicht leiden“, sagte Wolfgang zur Begrüßung, „die ganze Konzentrationsarbeit vom Morgen war umsonst“. „Nicht ganz“, erwiderte ich ihm. Doch er schimpfte weiter. „So hab ich mir das nicht vorgestellt“. „Wie hast du es dir denn vorgestellt?“, fragte Sabine, die ihm gegenüber auf einem der Stühle saß. „Ich habe erwartet, täglich ein paar Stunden am Gletscher zu sein. Ich will fahren!“ „Und was sonst noch?“ Sabines Stimme klang amüsiert. „Wie meinst du das?“ „Was kommt denn diesmal wieder?“, mischte sich Oliver ein, der links von Wolfgang saß. „Ich will wissen, ob du nur fahren willst. Oder willst du auch gewinnen?“ „Sehr witzig“, murrte Wolfgang. „Ich kann der Frage schon etwas abgewinnen“. Anke saß mit Franziska zusammen an der kurzen Seite des Tisches rechts neben mir. „Ich auch“, stellte Judith fest, die neben mir ihren Tee rührte. „Warum sind wir denn überhaupt hier? Warum fahren wir überhaupt Schi?“ „Ich sagte schon, ich will fahren. Und damit meine ich wirklich die Bewegung selbst. Skifahren ist etwas ganz eigenes. Ich mag das. Wie ich es überhaupt mag, mich zu bewegen. „Und der Erfolg?“, hakte ich nach. „Der ist wichtig. Aber er ist nicht das, was mich treibt. Die Bewegung, das Bewegenwollen auf Schiern – dafür tue ich das alles“, präzisierte Wolfgang. „Das versteh ich gut“, fügte Anke hinzu. „Bei mir ist es allerdings nicht die Bewegung, die mich antreibt, sondern die Möglichkeit, mich sehr intensiv zu spüren. Die Kraft meines Körpers wird mir nach jeder Abfahrt bewusst“. „Die Kraft deines Körpers? Ich dachte immer, Abfahrten sind für dich immer eine Selbstüberwindung, verbunden mit einem ‚Triumph des Kopfes’. Das hast du mir in den vergangenen zwei Jahren zumindest 20 Mal erzählt, wann immer wir gemeinsam in einem Zimmer geschlafen haben“, merkte Franziska an. „Ja, es ist eine Selbstüberwindung. Aber wenn die geschafft ist und der Körper dann von sich aus weiß, was er wann zu tun hat – das ist einfach cool.“ Die wahren Abenteuer sind im Kopf
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„Leute, ich sag es euch ehrlich, mir geht es allein um Anerkennung und Prestige“. Der amüsierte Tonfall war aus Sabines Stimme gewichen. Dafür klang sie laut und selbstbewusst. „Es ist einfach großartig, wenn am Ende Leute applaudieren und einem sagen, wie gut man ist.“ „Mir ist Bestätigung auch wichtig“, fiel ihr Oliver ins Wort, „aber ich brauche nicht das ‚Hurra, mir jubeln 2.000 Menschen zu.’“ „Der nächste Philosoph und Heilige …“. Sabine klang wieder amüsiert und aufmüpfig. „Quatsch, es reicht mir einfach, wenn ich sehe, dass ich besser werde, meine Zeiten in bestimmten Bereichen immer schneller sind. Und dass ein paar Techniken funktionieren, die im Vorjahr noch nicht so gut liefen. Natürlich freut es mich dann auch noch, wenn die Gruppe das gut findet. Aber wirklich in Schwung bringt mich, dass ich für mich immer besser werden will“. „Und bei dir, Sabine, ist es wirklich nur der Wunsch nach Prestige und Macht, der dich treibt?“, fragte Judith nach. „Ja – und doch auch nein. Mir ist es schon auch wichtig, euch mit meinen kleinen Statements zum Tag ein wenig zu necken. Und ich bin schlichtweg einfach gerne mich euch zusammen!“ „Du bist auf jeden Fall immer sehr auf das Publikum, auf die Gruppe, einfach: auf die Leute bezogen. Auf dieser Ebene treffen wir beide uns immer wieder. Ich finde am Schisport ja auch die Auseinandersetzung mit der Gruppe als auch die Auseinandersetzung mit den Gegnern am spannendsten“, stimmte ihr Judith zu. „Bei mir ist es von allem etwas“. „Auskunftsreich und detailliert wie immer, unsere liebe Franziska“, merkte Anke zu Franziskas kurzer Bemerkung an. „Okay, ich mag Schnee, Kälte, Eis, die Natur in ihrer Härte. Das fasziniert mich. Zufrieden?“ Ich erinnerte mich an ein ähnliches Gespräch ein paar Wochen zuvor. Es war eine andere Mannschaft einer anderen Sportart gewesen, doch die aufgezählten Motive glichen einander: Immer ging es entweder um die Lust an der sportlichen Tätigkeit selbst und an den körperlichen Effekten (Wolfgangs Lust an der Bewegung), oder es drehte sich alles um den Sport und die sozialen Momente, die damit einhergingen (Judiths Lust an der Auseinandersetzung). So war es auch schon in früheren Gesprächen gewesen. „Was schaust du so, Alois?“, wollte Wolfgang wissen. Ich erzählte ihm, dass ich unlängst eine vergleichbare Diskussion verfolgt hatte. Und dass mir diese Diskussion überhaupt sehr vertraut wäre. 190
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„Heißt das, dass letztlich im Sport immer in etwa die gleichen Motive auftauchen?“, fragte Judith nach. „Vermutlich ja“, gab ich zur Antwort. „Dann hätten wir das ja auch geklärt“, murrte Wolfgang vor sich hin. Um gleich darauf noch ein „Weißt du vielleicht auch, wie das Wetter wird?“ in meine Richtung zu ätzen.
Ehre Träume
Besessenheit Antriebskraft Selbstüberwindung
Prestige Anerkennung
Geld
Abb. 33. Die Landkarte der Höchstleistung (VI.2)
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MOTIVREDUKTIONISMUS UND MOTIVFÜLLE Es gibt keine falschen Motive. Und es gibt nie nur ein Motiv. Bei jedem jugendlichen Sportler kommen wenigstens zwei oder drei der möglichen Anreize und Grob-Ziele vor, die ein Motivcluster aufzuweisen hat. Manchmal durchmischen sich die Motivcluster wie bei Sabine und die Erfolgslust, die „Fremdbestätigung“, wie es psychologisch heißt, wird zusammen mit dem Erleben der Gruppe zum Motor des Tuns.
Alle Kinder und Jugendlichen sind von mehreren Motiven getrieben. Eltern sollten dies erkennen und der Fülle der Motive Rechnung tragen. Wenn sie das Leben ihres Kindes nur auf Sport und Sieg abstimmen und allein der Erfolg zählt, dann schneiden sie ihr Kind von anderen Lebensmotiven (wie z.B. die Selbstbestätigung durch Leistungssteigerung) ab. Sportlicher Erfolg wird zum einzigen Lebensmotiv, das nichts anderes neben sich zulässt. Eltern, die auf diese Art vorgehen, werden ihre Kinder regelmäßig ans körperliche Limit treiben und immer mehr von ihnen verlangen. Auch nach dem Training wird weiter über Sport geredet – Sport bestimmt den gesamten Alltag. Alle anderen Aufgaben werden dem Kind abgenommen, damit es sich völlig auf Tennis oder Fußball konzentrieren kann. Mit Konzentration meinen sie die totale Konzentration (siehe Kap. 34.12, Die Todsünden von Tenniseltern).
26.1. MOTIVE TRAGEN UND TRAGEN UND TRAGEN … Junge Sportler glauben häufig, dass es reicht ein „echtes“ Motiv zu haben – dann würden sie alles erreichen. Eddie Felson in den „Haien der Großstadt“ ist ein typisches Opfer dieser Theorie. Sein Ziel, Geld zu verdienen und Minnesota Fats zu schlagen, hat tatsächlich eine unfassbare Kraft. Doch dieses Motiv schafft es nicht, ihn durch die Leere zu tragen, die sich in der vierzehnten Spielstunde auftut. Eddie steht deshalb so gut wie nackt da, als der Zusammenbruch kommt: Er hat nichts in der Hand, keine Technik, keine Kompetenz, sich selbst zu motivieren, um sich aus dem Tief wieder herauszuziehen. Seine Vorstellung, dass ein Motiv treibt und treibt und treibt, bietet ihm für diese Situation nichts. Im Gegenteil: Sie wird zu einer Falle, in der er festsitzt. Das einzige, das Eddie dementsprechend einfällt, ist
stur weiterzumachen. Deshalb läuft er Fats auch noch mit Dollarscheinen nach, als dieser schon zur Tür hinausgeht. Diese Motivtheorie ist so falsch wie sie beliebt ist. Beliebt ist sie auf jeden Fall. Das wird deutlich an den Erklärungen der Erfolge von Sportlerinnen und Sportlern. Zeitungsberichten zufolge könnte man meinen, dass Lance Armstrong nur deshalb eine so eindrucksvolle Karriere schaffte, weil er noch einmal zeigen wollte, nach seiner Krebserkrankung zurück an die Spitze zu kommen. Ein Motiv hat ihn getrieben und erfolgreich gemacht – was bestenfalls in dem Sinn stimmt, dass das „noch einmal“ sein Grundmotiv war und für seinen Basisantrieb sorgte. Grundmotive stecken lediglich Rahmen ab. Auf den Wegen zur Höchstleistung brauchen Sportler bedeutend mehr Kräfte.
26.2. BILLARDFIEBER: DU BIST KEIN VERLIERER Zwanzig Gehminuten von ihrer Wohnung entfernt, schon außerhalb der Stadt, lag ein kleines Plateau. Früher dürfte es die Veranda eines Hauses gewesen sein, das längst geschleift worden war. An seinem vorderen Rand waren noch Geländerreste zu erkennen; dünne Steinsäulen, die keinen Meter hoch waren und zwischen denen hohes Gras wuchs. Hinter der ehemaligen Brüstung fiel der Hügel sanft bis zum Wald ab. Hohe alte Fichten standen dicht aneinander bis zum Fluss hinunter, der an dieser Stelle eine Kurve machte und sich vom Plateau wegdrehte. Eddie hatte eine Decke ausgebreitet. Er setzte sich, lehnte sich nach hinten auf seinen linken Ellbogen und sah Sarah an, die gerade ein Brot aus dem Picknick-Korb nahm. „Sarah, hältst du mich für einen Verlierer?“ „Ich? Wieso denn?“ Sarah sah Eddie fragend an. Sie war neben dem Korb gekniet und setzte sich jetzt auf ihre Unterschenkel nach hinten. Sie legte ihre Hände und das Brot in ihren Schoß. „Ich habe wieder Burt Gordon getroffen, Minnesota Fats’ Manager. Er sagte, ich wäre der geborene Verlierer.“ „Hat er was gegen dich?“ „Ich weiß es nicht, schon möglich. Er sagt, es gibt Leute, die wollen im Grunde verlieren und suchen hinterher nach einer Entschuldigung dafür.“ „Gibst du viel auf das, was er sagt?“ „Ja, ich denke viel darüber nach. Ich hätte bei ‚Ames’ gegen Fats gewinnen können; so hoch ich wollte, so oft ich wollte. Ich hätte es ihm zeigen sollen. Ich hätte ihm zeigen sollen, was für ein wunderbares Spiel Billard ist – wenn es nur richtig gespielt wird.“ Eddie setzte sich auf.
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„Wenn ich spiele, komme ich derart großartig in Schwung; das ist so wie bei einem Jockey, wenn er im Sattel sitzt und die Kraft und die Schnelligkeit des Pferdes unter sich spürt. Es wird immer schneller und der Endspurt fängt an und er fühlt genau, wann es so weit ist, dass Pferd und Reiter gewinnen. Dann kann ihm keiner mehr gefährlich werden. Der Sieg ist ihm sicher. Das ist schon was Wunderbares, Sarah, das kann man überhaupt nicht beschreiben, dieses Gefühl – man hat es richtig gemacht. Es konzentriert sich hier in meinem Arm. Das Queue ist fast wie eine Hand. Du fühlst, wie es auf einmal anfängt zu denken und selber spielt als wäre es lebendig. Du hörst das Klicken der Bälle und du weißt schon vorher, dass du gewinnen wirst. Du machst einen Stoß, dem noch keiner vorher gelungen ist. Du spielst so, als wärst du in Trance. Du brauchst beinah gar nicht mehr hinzusehen.“ Sarah sah Eddie an. Dann kniete sie sich wieder hin und suchte im Korb nach einem Messer, um das Brot aufschneiden zu können. „Eddie, jetzt weiß ich, dass du kein Verlierer bist“, sagte sie dabei, „sonst würdest du nicht so davon sprechen“.
26.3. KONZENTRATIONSARBEIT IST MOTIVARBEIT Eddie kennt den Flow und er liebt ihn. Letztlich spielt er deswegen Billard. Es ist ein wunderbares Gefühl, wenn er mit dem Queue eins wird und jeder Stoß etwas Perfektes hat. So gesehen hatte Eddie bei seiner „Schlacht“ gegen Fats wohl nicht nur ein Motiv. Wenn er, wie man annehmen darf, zumindest zeitweise im Flow war, so war er bei „Ames“ auch „intrinsisch motiviert“, also von seinem Tun gefangen und derart konzentriert, dass er auf sich selbst vergaß und gleichsam zum Spiel wurde. Denn Flow und intrinsische Motivation gehören zusammen. Die vielleicht stärkste Art der Motivation, die genau besehen ein „Antrieb jenseits der Motivation“ ist, ist mithin eine Folge von Konzentrationsarbeit. Das bedeutet, dass eine auf das Erreichen von Flow abzielende Konzentrationsarbeit immer auch Motivationsarbeit ist und damit eine Motivationstechnik.
26.4. REVANCHE Es wurde still, als Eddie bei der Schwingtüre hereinkam. Minnesota Fats saß gleich rechts von ihm. Er hatte der Tür den Rücken zugewandt und las in der Zeitung. Als Bert Gordon, der in Fats’ Blickfeld am vergitterten Kassenraum lehnte, mit seinen Pokerwürfeln zu spielen aufhörte, sah Fats auf und blickte zur Tür nach hinten. Eddie ging einige Schritte auf ihn zu.
Motivreduktionismus und Motivfülle
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„Ich möchte mit Ihnen spielen, Fats“. Minnesota Fats drehte sich zu Bert Gordon, der ihm zunickte. „Wie Sie wollen“, gab Fats Eddie zur Antwort. „1.000 Dollar das Spiel?“ „Sagen wir lieber 3.000 Dollar“. Fats stutzte. „Na, was ist los?! 3.000 Dollar, so viel hab ich mir dafür zusammengespart. Was ist los, Fatty? Wenn Sie Glück haben und mich auf Anhieb schlagen, fahre ich sofort wieder nach Oakland zurück“. Fats zögerte weiter. „Na gut“, stimmte er schließlich mit einem Schulterzucken zu. Minnesota Fats eröffnete mit dem gleichen Stoß, den Eddie bei ihrer ersten Begegnung gemacht hatte. Das Dreieck mit den Kugeln blieb so gut wie unverändert liegen, die weiße Kugle kam am Rand einer der Taschen zu liegen. Ruhig ging Eddie um den Tisch. Er blickte auf die weiße Kugel, dann wieder auf das Dreieck und sagte zu Gordon, ohne sich nach ihm umzudrehen: „Wie soll ich diesmal spielen, Bert? Auf die sichere Tour? Das haben Sie mir doch immer geraten. Ich soll immer an meinen Anteil denken.“ Eddie beugte sich nach vor und richtete den Queue auf die weiße Kugel. „So. Jetzt aber los. Erster Ball Ecke rechts.“ Die Kugeln wirbelten auseinander, die Einser-Kugel, die zwischen sich und ihrem Ziel gerade noch alle anderen Bälle gehabt hatte, rollte auf die genannte Ecke zu und landete in der Tasche. Die Männer, die um den Tisch standen, applaudierten. „Ball 12“. Wieder landete die Kugel in der Tasche, wieder gab es Applaus. „Wie kann ich jetzt noch verlieren? Sie hatten nämlich Recht, Bert. Es reicht noch lange nicht aus, wenn jemand Talent hat. Man muss auch Charakter haben. Ja, und jetzt habe ich Charakter, seit einer gewissen Nacht in einem Hotel in Louisville.“ Eddie visierte die weiße Kugel an, hielt aber einen Moment inne. Er sah Sarah vor sich, wie sie mit ihm wegen Bert stritt. Dass Bert ihn nach seiner Niederlage bei „Ames“ Schritt für Schritt zu ködern versucht hätte, wollte sie ihm verdeutlichen. Aber nicht, weil er Eddie helfen wollte. „Bert will dich brechen“, hatte sie gesagt, „und von sich abhängig machen, um dein Talent ausbeuten zu können“. Immer wieder war dieser Streit eskaliert; besonders in Louisville, bei den großen Billardmeisterschaften, für die Eddie sich endgültig an Bert verkauft hatte. Und bei denen er genauso spielte, wie Bert es wollte. „Siehst du nicht, wie er dich erniedrigt?“, war sie Eddie heulend angefahren. Er hatte ihr daraufhin zischend gesagt, dass sie verschwinden solle. Wie einen Hund hatte er sie weggejagt. Daran zerbrach Sarah vor seinen Augen. An den Rest wollte er jetzt lieber nicht denken. 196
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ICH WILL
Der innere Befehl „ich will“ beinhaltet den Kern der psychologischen Höchstleistung. Sportlerinnen wissen: Es sind nicht die Eltern, nicht die Trainer oder Lehrer, die für die sportliche Karriere verantwortlich sind. Jede und jeder ist für sich verantwortlich und hat sich selbst auf den Weg zur Höchstleistung begeben. Das innere Gespräch zwischen „ich kann“ und „ich muss einfach“ wird auf diesem Weg immer wieder stattfinden und behilflich sein. Denn manchmal – und das ist nicht selten – gilt es die Zähne zusammen zu beißen und durchzuhalten. Aber besonders dann, wenn sich alles gegen einen verschworen hat, hilft die Selbstaufforderung „ich will“.
„Wir haben sie ganz schön behandelt, nicht wahr Bert?“, sagte Eddie, ohne die Kugel aus den Augen zu lassen. „Aber letztlich war es meine Schuld, was an diesem Abend passierte.“ „Sie sollten lieber spielen, Eddie.“ Fats hatte sich ganz in seine Nähe gestellt. „Immer mit der Ruhe, Fatty. Sie verlieren noch früh genug. Ball 5. Ball 14“. Um 6 Uhr morgens hatte Minnesota Fats genug. „Ich gebe auf, Eddie, ich kann Sie nicht mehr schlagen“. „Donnerwetter, ist das ein Spieler“, fügte er gleich hinzu. „Finch, gib ihm den Einsatz“. „Holen Sie mir meine Jacke“, sagte Eddie bloß zu einem der Angestellten und zog sich wortlos an. Mit unmissverständlichem Blick und einer unmissverständlichen Körpersprache signalisierte Eddie Bert und seinen Leuten, dass er besser nicht versuchen sollte, irgendwelche Anteile oder sonst was einzufordern. Es dauerte einige Augenblicke, bis Bert begriff, was Fats bereits erfahren musste: dass er gegen Eddie keine Chance mehr hatte.
Eltern
Erfolg Pe r fe kt io n Limit
Abb. 34. Die Landkarte der Höchstleistung (VI.3)
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Kapitel 26
Kapitel 27
DER PERSÖNLICHE STIL In der Tat: Eddie hatte jetzt Charakter. Sarah oder besser gesagt: die „Sache mit Sarah“ hatte ihn aufgeweckt. Er hatte sich unmöglich benommen, war schuldig geworden, hatte viel nachgedacht und wusste jetzt, was er vom Leben wollte: Er war nun nicht primär ins „Ames“ gekommen, um 10.000 Dollar zu gewinnen oder um zu beweisen, dass er Fats schlagen konnte. Natürlich wollte er das alles auch, aber Eddie war vor allem da, weil er Billard spielen wollte. Weil das sein Leben war. Weil er identisch mit Billard war. Eddie hatte jetzt nicht mehr bloß Talent. Billard zu spielen war so etwas wie ein „innerer Wert“ geworden. Etwas, über das er nicht nachzudenken brauchte; etwas, das zu ihm gehörte wie atmen. Eddie hatte jetzt Stil. Er war es, der spielte.
Dadurch war Eddie souverän geworden. Es existierte kein Loch mehr, das die Müdigkeit, der Alkohol oder ein spielerischer Einbruch hätte freilegen können. Eddie war fest geworden und dementsprechend stark. Natürlich garantierte das nicht automatisch den Sieg. Aber er machte ihn wahrscheinlicher, weil diese Art von Stärke jeden Gegner verunsichert, oder ihn zumindest dazu veranlasst, mehr Fehler als sonst zu machen. Wer souverän ist, ist auch motiviert. Er ist wie derjenige, der gerade den „Flow“ erlebt, jenseits jeglicher herkömmlicher Motivation angekommen. An die Stelle der Motivation ist ein „Ich kann nicht anders“ getreten, ein Leben des eigenen Stils, das keine Alternative offen lässt. Eddie ist Billardspieler und so wie er atmen muss, muss er deshalb auch Billard spielen. Er muss nicht erst zu seinem Spiel motiviert werden: Der Antrieb dazu ist da, ganz von selbst. Und es ist der stärkste Antrieb, den er in seinem Leben hat. Sportlerinnen unterscheiden sich je nach Persönlichkeit und Karrierephase in ihren Stilen enorm. Der Golfer Vijay Singh perfektioniert sein Spiel auch nach einer erfolgreichen Turnierrunde noch zwei, drei Stunden auf der Driving Range. In den Anfängen der Karriere ist es zumutbar und notwendig, das Zimmer mit einem Konkurrenten und dem eigenen und dessen Caddy zu teilen, um die Kosten niedrig zu halten. Der Tennisspieler Thomas Muster nächtigte zu Beginn seiner Karriere in armseligen Hotels in Afrika. Andere Sportler mit anderen Stilen haben eher „Luxusprobleme“. Sie stehen vor der Entscheidung, die Anzahl der Partys einzuschränken und ihr Leben völlig auf den Sport auszurichten. Es gibt Spieler, die tagelang
ziellos bleiben, nur weil sie das Wochenprogramm ihres Coaches verloren haben und nicht imstande sind oder sein wollen, mit ihm darüber Kontakt aufzunehmen (NZZ, 23. Juni 2005, S. 39). Persönlicher Stil oder Charakter sind nicht gleich bedeutend mit Unbesiegbarkeit. Der eigene Stil bewahrt nicht vor Einbrüchen im Spiel und verhindert nicht Motivationsdurchhänger. Aber er trägt einen durch alle Höhen und Tiefen. Der eigene Stil, das eigene Siegel, der Abdruck, der Fingerprint, die Fußspur, das Merkmal, die Prägung, das Zeichen der Bewegung: jeder Trainer kennt seine Sportler auf hunderte Meter Entfernung an der Art ihrer Bewegung. Sie selbst sind nicht mehr erkennbar. Bei einem meiner ersten Aufenthalte mit dem Skiteam auf dem Hintertuxer Gletscher war ich verwundert, wie der Trainer des steirischen Skiteams Willi Zechner vom Gegenhang aus wusste, wer denn gerade den Slalom fuhr. Von den Läufern war nicht viel mehr zu sehen als ein Punkt, und dennoch waren sie unterscheidbar. Das Bewegungsmuster ist untrüglich. So wie die menschliche Stimme.
27.1. GRENZERFAHRUNGEN Wie findet man aber zu seinem „persönlichen Stil“? Wie wird man souverän? Indem man entdeckt, was einem wirklich wichtig ist. Das erfährt man, wenn man an die eigenen Grenzen geht. Das kann man auf die „harte Tour“ machen wie Eddie, der in dieser Hinsicht das Inbild eines Sportlers ist, wählen doch viele diesen Weg. Oder man geht vorsichtiger vor und führt die Selbstentwicklung mithilfe des Selbstmanagement-Prozesses unter „kontrollierten Bedingungen“ durch. Selbstmanagement zielt darauf ab, die eigenen Grenzen kennen zu lernen. Denn wo das Abstimmen von Denken, Fühlen und Tun im Zentrum steht, wird man notgedrungen öfters an den Punkt kommen, wo „nichts mehr geht“. Vielleicht besteht das ganze Bestreben der Sportlerinnen nur darin, ihren unverwechselbaren, ganz persönlichen Stil zu entwickeln? Den geheimen Namenszug, den Ernst Bloch (1964, S. 40) in den Gemälden von van Gogh oder Cézanne findet? Vielleicht ist das Streben vergleichbar einem Selbstbildnis in Öl, an dem der Sportler jahrelang gestaltet. In dessen vielen (oft überdeckten) Schichten die Träume der Jugend, die Qualen des Alltags, die Beständigkeit im Training, die Ausdauer, die Überraschungen, Niederlagen und Siege eingearbeitet sind? Vielleicht ist die Höchst-Leistung in der Kunst nicht so weit entfernt von der Höchst-Leistung im Sport? Und vielleicht sollte im Wort Leistung
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Kapitel 27
nicht nur die 100stel Sekunde Vorsprung gehört werden, sondern der Weg eines Menschen zur absoluten Selbst-Wirksamkeit. Der Stil ist der ganze Mensch „Le style est l’homme même“, sagte Buffon 1753 in einer berühmten Rede vor der Academie française. Mit Stil meine ich nicht Lifestyle. Mit Stil meine ich die Art, wie Künstlerinnen oder Sportler ihre Welt erfahren und entschlüsseln. Irgendwann finden sie ihr „Körperwissen“, das ihnen absolut den Weg weist oder mit dem sie die Dinge so und nicht anders sehen. Am Ende der Karriere fallen nicht wenige der Erfolgreichen in ein tiefes Loch. Es ist deshalb, weil sie spüren, dass sie ihren Stil nicht mehr pflegen und damit ihre extrem persönlichen Erfahrungen mit dieser Welt nie mehr machen werden. Die persönlichen und unverwechselbaren Charaktere, die den Sport gestalten: sie haben Stil. Sie sind deshalb stark, weil sie ihren Stil entwickelt haben. Stil hat mit Gestaltung zu tun. Der Wille zum Stil: Das ist der Wille zur Selbst-Wirksamkeit. Der Weg dazu führt über das Selbstmanagement. Der Selbstmanagement-Prozess führt an eine Reihe von Grenzen, die insgesamt so etwas wie die persönlichen Entwicklungsgrenzen darstellen, und die ans Licht bringen, wer man „wirklich“ ist: – Die Zielanalyse zeigt vielleicht, dass man tatsächlich mit Leidenschaft sowie Leib und Seele Tennis spielt. Sie kann umgekehrt deutlich machen, dass man zwar hochtalentiert, aber letztlich nicht wirklich am Tennis interessiert ist und sich nur ein wenig in das Neue verliebt hat. – Die Stärken-Schwächen-Analyse belegt eventuell, dass es neben der Leidenschaft auch den passenden Körperbau gibt, oder aber, dass es nie zur absoluten Weltspitze reichen wird, aber durchaus für ein sehr hohes Niveau. – Der Selbstmanagement-Prozess bezüglich des persönlichen Stils ist gelungen, wenn man am Ende weiß, wofür man „brennt“. Er war ein Erfolg, wenn man sagen kann, was man tun will und was man tun kann.
Der persönliche Stil
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Ehre Träume Herausforderungen meistern Besessenheit Antriebskraft
Wille
Selbstüberwindung
Werte
Prestige Leidenschaft
Anerkennung
Charakter
Geld
Haltung
Eltern Grenzerfahrung Erfolg Pe r f e k t i o n Limit
Persönlicher Stil
Abb. 35. Die Landkarte der Höchstleistung (VI.4)
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Kapitel 27
TEIL V KURZINTERVENTIONEN IM SELBSTMANAGEMENT
Sportpsychologen arbeiten in unterschiedlichen Situationen und Umständen. Manchmal können sie ein Team über Jahre begleiten. Das gibt ihnen die Möglichkeit, kontinuierlich das Selbstmanagement der Athleten zu entwickeln und eine Fülle an Informationen und Methoden zu vermitteln. Das können Informationen über Stress in Extremsituationen, Techniken der Entspannung oder der Gedankenlenkung sein. Die Stärke der Wissenschaft Psychologie liegt darin, ihr Wissen „nicht nur den Studierenden, sondern der Öffentlichkeit weiterzugeben“ (Miller, 1969, S. 1067). Man wird Fragebögen für die Diagnostik einsetzen. Man wird sich – wenn nötig und immer in Absprache und Kooperation mit den Trainern – um den Teamgeist kümmern. Man kann einzelne Elemente des Vorgehens wissenschaftlich begleiten. Aber häufig werden Sportpsychologen gerufen, um ein akutes Problem möglichst schnell zu lösen. Kurzinterventionen sind eine probate Form des sportpsychologischen Methodeninventars.
Auch wer nach dem beschriebenen Selbstmanagement vorgeht, wird nicht immer alle Werkzeuge auspacken, sondern nur einzelne Tools und diese oft nur kurzzeitig einsetzen. Einige Sportpsychologen sind der Meinung, dass Interventionen während des Wettkampfs oder kurz vorher vermieden werden sollten (Henschen, 1991), aber unter definierten Bedingungen sind diese sehr wohl für die Sportler nützlich. Es ist ideal, wenn der Sportler zwei Stunden Zeit hat und diese mit dem Psychologen auch intensiv nutzen kann. Häufig ist das Team jedoch unterwegs. Aufgrund der zahlreichen Reisen von Spitzensportlern finden viele sportpsychologische Beratungen via Email, Telefon oder über regelmäßigen Schriftkontakt statt. Oder man sitzt in der Hotelhalle – das Umgehen mit den Wartezeiten ist ja eine der wichtigen Fähigkeiten von Sportlern –, und hat einige Minuten hier und einige dort Zeit, ein Gespräch zu führen. Diese Minuten können gut genützt werden und dem Sportler eine Menge bringen. „Kurze“ Interventionen, die unmittelbar am Geschehen stattfinden, müssen zeitlich begrenzt sein, auf die aktuelle Situation des Sportlers eingehen, und seine Handlungsorientierung unterstützen. Meist geht es darum, die Ressourcen des Sportlers zu aktivieren. Kurzfristige Interventionen sind in der Regel auf eine Verbesserung der momentanen sportlichen Leistung ausgerichtet und nicht auf psychologische Analysen (Giges, 1998).
Kapitel 28
DIE „EINFACHEN REGELN“ DES DENKENS UND HANDELNS Jeder Sportler und jede Athletin bildet eine neue Herausforderung für Trainer und Psychologen. Manche zeigen sich offen, sympathisch, vertrauensund erwartungsvoll, aber auch fordernd und zielgerichtet. Andere wiederum sind zurückhaltend, skeptisch, abwehrend und vorsichtig. Trainer müssen sich auf unterschiedlichste Persönlichkeiten einstellen. Ein Element, die Motive und Denkweisen der Athletinnen und Sportler gut und zielorientiert kennen zu lernen, liegt in der Kunst der Fragestellung.
Frederic Kanfer informierte in seinen Selbstmanagementworkshops über „einfache Regeln des Denkens“ und darüber, wie man mit Menschen, die Beratung wollen, die vier Ebenen des psychologischen Quadrats bearbeitet. Das ermöglicht, „die Menschen dort abzuholen, wo sie sind“. Denn diese befinden sich in ihrem Leben, in ihren Denkmustern und Bildern und in ihrer Sprache. Diese Regeln ermöglichen auch, dass die Betroffenen die Antworten selbst finden. Und dies ist ein Kern der Selbstentwicklung.Wer Antworten selbst findet, kann sich nicht mehr zu bestimmten Aktivitäten gedrängt fühlen. Diese von mir so genannten „einfachen Regeln“ formulierte Frederic Kanfer folgendermaßen (zit. in: Kogler und Kogler, 2005, S. 17) 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Denken Sie verhaltensnah! Denken Sie lösungsorientiert! Denken Sie positiv! Denken Sie in kleinen Schritten! Denken Sie flexibel! Denken Sie zukunftsorientiert!
Für Kurzinterventionen erweiterten wir die sechs Regeln von Frederic Kanfer etwas, denn in diesen Situationen muss man zusätzlich besonders auf die Körpersprache achten, muss explizit auf die aktuelle psychische und körperliche Struktur des Sportlers eingehen. Man muss auf ihre Sprache achten, um vielleicht Signalpunkte zu finden, die einen Zugang zu ihren aktuellen Gefühlen, unausgesprochenen Wünschen oder Erwartungen zeigen: 1. Denken, fragen und handeln Sie verhaltensnah! 2. Denken, fragen und handeln Sie ausgehend vom aktuellen Zustand („hier und jetzt“)!
3. Denken, fragen und handeln Sie lösungsorientiert (und nicht „warum“)! 4. Denken, fragen und handeln Sie körpernah! 5. Denken, fragen und handeln Sie positiv (die Verantwortung des Sportlers unterstützen)! 6. Denken, fragen und handeln Sie in kleinen Schritten! 7. Denken, fragen und handeln Sie flexibel! 8. Denken, fragen und handeln Sie zukunftsorientiert! 9. Denken, fragen und handeln Sie ressourcenorientiert! In Situationen der Kurzintervention sind Sportler meist nervös, verunsichert und können ihre Gedanken nicht ordnen. Deshalb beziehen sich die Interventionen in der Regel auf ein Problem, sie nutzen die Stärken und Ressourcen des Sportlers und sie sind gegenwartsorientiert und lösungsorientiert. Die Interventionen folgen einer einzigen wesentlichen Vorgabe, nämlich den Interessen und Bedürfnissen des Sportlers und worauf einzugehen er bereit ist (Orlick, 1989). Ähnlich wie Kanfer illustriert Hoyt (1995, S. 84) den Prozess der Kurzintervention für eine Neuentscheidung mit seinem Beispiel „What are you willing to change today?”. Er nimmt dabei jedes Wort als eigenen Fragebereich. Was betrifft die Genauigkeit, das Ziel und den Fokus des Sportlers. Wollen verlangt aktive Verben und die Gegenwartsform. Sie meint die Persönlichkeit des Sportlers. Heute beschreibt die aktuelle Situation und diesen Moment. Verändern meint wirklich verändern, also handeln und nicht nur versuchen oder erkunden. Das Fragezeichen beschreibt ein offenes Feld, das Trainer und Sportler weiter beschreiten können. Hoyt bezieht sich auf die Neu-Entscheidungs-Therapie von Goulding and Goulding (1979). Dieser Theorie liegen Erkenntnisse aus der Angewandten Psychologie, der Gestaltpsychologie und der Kognitiven Therapie zugrunde. Aus der Angewandten Psychologie stammen Konzepte darüber, wie neue Stärken und Fähigkeiten wachsen und sich entwickeln, wie sich der Klient Herausforderungen stellt und – umgelegt auf den Sport – wie er im Wettkampf damit umgeht (Sexton und Whiston, 1994).
Die „Einfachen Regeln“ des Denkens und Handelns
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Positiv Verhaltensnah
Zukunftsorientiert
Antworten selbst finden Lösungsorientiert
Signalpunkte
Kleine Schritte
Flexibel
Abb. 36. Die Landkarte der Höchstleistung (VII.1)
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Kapitel 28
Kapitel 29
EINE KURZINTERVENTION Der Trainer oder Psychologe verfolgt die Ziele des Sportlers und verwendet auch dessen Sprache. Es geht in der Kurzintervention darum, kleine Veränderungen in der Wahrnehmung des Sportlers herbeizuführen, die zu einer Leistungssteigerung führen. Das Ziel ist es, die Wahrnehmung des Sportlers minimal zu verändern, so dass sich daraus neue Erfahrungen/ Sichtweisen entwickeln, psychologische Barrieren abgebaut werden und sportliche Leistungen verbessert werden können.
Ich zitiere ein Fallbeispiel aus Giges und Petitpas (2000), die dieses Modell an mehreren Beispielen ausführlich dokumentieren. Es handelt sich um Interventionen, die vor Beginn des Wettkampfes stattfanden und die etwa 15– 20 Minuten dauerten. Der Autor und Psychologe kennt die Sportler und es besteht eine längere und gefestigte Beziehung zwischen den beiden. Er hatte sie sowohl im Training als auch im Wettkampf beobachtet und daraus Eindrücke gewonnen, „wie die Sportler funktionieren“. Die Beispiele von Giges & Petitpas zeigen, dass es unter bestimmten Umständen für Sportler unterstützend ist, unmittelbar vor oder während eines wichtigen Wettkampfs Kurzkontakt-Interventionen zu machen.
29.1. BEISPIEL LÄUFERIN F (ÜBERSETZUNG A.K.)
F ist eine junge Frau, die seit mehreren Jahren an Wettkämpfen teilnimmt. Für sie war es immer wichtig, gute Zeiten zu laufen, denn das bedeutete für sie, stark zu sein, auch wenn sie nicht gewann. Früher waren alle ihre Läufe outdoor. Dem Coach war bewusst, dass ihr erster indoor-Lauf eine große Herausforderung für sie war und dass sie Angst hatte, nicht gut abzuschneiden. Deshalb schlug er vor, ich solle mit ihr sprechen. Als sie nicht von ihren Teamkolleginnen umgeben war, ging ich zu ihr. (B = Burt Giges). B: F: B: F:
Hallo, wie geht es Ihnen? Ich bin heute sehr nervös. Möchten Sie darüber sprechen? Ich weiß nicht. Ja, ich glaube schon.
B: Also, um was geht’s denn? F: Heute ist mein erster indoor-Lauf. Ich hab Angst, dass ich da in der Halle eingehen werde. In einem längeren Gespräch hätte ich sie noch genauer nach ihren Gefühlen gefragt. Bei diesem kurzen Kontakt dachte ich, es wäre sinnvoll, ihre Aufmerksamkeit auf Dinge zu lenken, die sie selbst kontrollieren konnte. B: Wie glauben Sie, könnte das passieren? F: Ich kenne mich. Wenn ich nicht gut bin bei einem Rennen, gebe ich glaube ich auf. B: Was wäre wenn Sie aufgeben würden? F: Ich habe das schon einmal gemacht. Ich hasse es, wenn ich nicht gut bin. B: Was macht es so schlimm, wenn Sie heute nicht gut abschneiden würden? F: Weiß ich nicht. Oder doch. Ich würde zeigen, dass ich nicht gut bin. In dieser kurzen Arbeit vor dem Lauf legte ich keinen Wert darauf, beispielsweise an einem verminderten Selbstwertgefühl zu arbeiten, ich konzentrierte mich auf das, was sie im Moment kontrollieren konnte. B: Gut zu sein, hat das mit dem zu tun, was Sie selber tun, oder was andere tun? F: Darüber habe ich noch nie nachgedacht. Ich glaube es hat eher damit zu tun, was ich tue. B: Was würde es denn brauchen, damit Sie gut wären? F: Wenn ich den Lauf hier zu Ende bringen würde, wenn ich nicht aufgeben würde, dann wäre das für mich ok. B: Können Sie das schaffen? F: Weiß ich nicht… Ja, ich denke schon. Outdoor schaff ’ ich es fast immer. B: Wie machen Sie das? F: Wie? Keine Ahnung. Ich glaube, ich gebe einfach nicht auf… ich glaube an mich selbst, ich mach weiter, ich schaff es. B: Meinen Sie, indoor ist das so anders? F: Wahrscheinlich nicht. Sollte es nicht, auch wenn es mein erster indoorLauf ist. Nein, ich glaube es ändert daran nichts. Ich bemerkte eine Veränderung ihrer Gefühle in Bezug auf sich selbst. Ich wollte überprüfen, ob das auch ihre Wahrnehmung war. 210
Kapitel 29
B: Wie fühlen Sie sich im Moment? F: Ich bin noch immer ziemlich nervös, aber ich denke, ich werde den Lauf ins Ziel bringen. B: Möchten Sie weiter darüber sprechen? F: Nein, danke. Ich werde Ihnen nach dem Lauf berichten. B: Bis später. Sie beendete den Lauf. Was in unserem Gespräch geschah, war genug, um ihre Wahrnehmung zu verändern. Sie erlaubte sich selbst, mit Angst zu laufen und die Zeit nicht so wichtig zu nehmen. Diese Kurzkontakt-Intervention wäre nicht ausreichend gewesen, wenn tiefer liegende Probleme vorhanden gewesen wären (Giges und Petitpas, 2000, S. 179–184). Kurzzeit-Interventionen in der Sportpsychologie funktionieren nur mit einer guten Arbeitsbeziehung zwischen Athlet und Psychologen. Sportpsychologische Berater, die zu ihren Athleten einen guten Rapport aufgebaut und ein gutes Verständnis über die Natur und Geschichte ihrer Leistungsprobleme haben, sind in der besten Position.
Kurz-Intervention Negativ denken An sich glauben Angst
Positiv
Plan umsetzen
Verhaltensnah
Zukunftsorientiert
Antworten selbst finden
Versagen Nicht aufgeben
Signalpunkte
Rapport
Alles geben I n n e re
Lösungsorientiert
Kleine Schritte
Flexibel
B a r r i e re n a
bbauen
ve rm in Se lb stw erde rte s tg ef üh l
Abb. 37. Die Landkarte der Höchstleistung (VII.2)
Eine Kurzintervention
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TEIL VI TECHNIKEN UND METHODEN
Die in diesem Teil vorgestellten Techniken sind in unterschiedlichen sportlichen Situationen anwendbar und wirken auf alle Seiten des psychologischen Quadrats. Sie stellen wirksame psychologische „Medizinen“ dar und haben neben den Wirkungen naturgemäß auch eine Reihe von unerwünschten Nebenwirkungen. Deshalb empfehle ich ein behutsames Vorgehen im Umgang mit Techniken und Methoden. Entspannungsverfahren sind nützlich, aber sie können auch Angst machen und das Gegenteil von Ruhe und Entspannung hervorrufen. Ähnliches gilt für die Methoden der Hypnose. Die angeführten Hypnoseübungen können mit den Anweisungen nicht unmittelbar übernommen werden und sind stark von der Person und der Situation abhängig. Hypnose- und Tranceverfahren brauchen den psychologischen „Partner“, damit sie für das Selbstmanagement nutzbar gemacht werden können. Sie sollten deshalb nur mit Psychologen, Medizinern und Fachleuten geübt werden, die eine Ausbildung in Hypnotherapie haben. Der Schlüsselschlaf hingegen wird keine großen Nebenwirkungen haben, außer dass man vielleicht verschläft und zu spät kommt oder müde ist.
Kapitel 30
HYPNOSE
(Mitautorin: Ilse Müller) Hypnose unterstützt Sportler ihre Techniken zu verbessern und ihre Konzentrationsfähigkeit, ihr Selbstvertrauen und ihre Willenskraft zu entwickeln. In günstigen Fällen verkürzt sie auch die Regenerationsphase. Hypnose kann das Immunsystem stärken und ist gerade in intensiven Belastungsphasen eine Hilfe für Körper und Geist.
Das psychologische Quadrat verdeutlicht, dass sportliche Höchstleistungen durch bewusst – willkürliche Prozesse allein nicht zu erbringen sind. Innere Vorstellungen, die Innere Sprache und Gefühle sind ebenso wichtig. Sie werden durch hypnotherapeutische Methoden aktiviert, weil die Fokussierung der Aufmerksamkeit erhöht wird. Störende Reize der Umgebung werden ausgeblendet und Stressreaktionen unterdrückt.
Wettkämpfe erfordern automatisierte Bewegungen und intuitive Entscheidungen. Diese Prozesse laufen durch die Vorbereitung mit Hypnose als unbewusste, autonome Handlungen ab. Alle hier genannten Aspekte sind für das Erreichen maximaler Leistungen wichtig. Hypnose fördert weiters die Entspannung, erhöht die Fähigkeit zu fokussieren und unterstützt die Suggestibilität (Liggett, 2004, S.36). Trance ist ein Zustand, „der sich durch ein Denken in Bildern bzw. Vorstellungen auszeichnet, die als real erlebt werden und von Gefühlen und Erfahrungen mit entsprechenden körperlichen Reaktionen begleitet sind“ (Bongartz & Bongartz, 1998, S. 40). In Trance aktivieren Menschen ihre Vorstellungen und inneren Bilder. Ein junger Slalomkünstler erinnert sich in Trance an seinen besten Lauf in jüngster Zeit: Er sieht sich in den Toren vor dem Ziel, er spürt, er kommt als Sieger durch, er hört das Publikum applaudieren. – Er sieht die Szene in Zeitlupe. – Allein die Erinnerung lässt ihn „eine Gänsehaut vor Freude und Glück“ bekommen. In Trance setzt er alle Sinneswahrnehmungen ein: Die Vorstellungen sind sehr realitätsnah, intensiv und „genau erlebbar“. Die Trance wurde durchgeführt, damit der Sportler die Bilder seines größten Erfolges neu aktivieren konnte, wenn er verzagt und verunsichert war. Innere Bilder sind besonders dann gut wieder abrufbar, wenn sie mit allen Sinnen wahrgenommen und verankert worden sind. Der junge Athlet nützte diese Fähigkeit um sich – wenn es nötig war – vor Wettkämpfen „emotional einzustellen“. Die Trance unterstützte seine Motivationsprozesse mit inneren Bildern: Wer „über sich hinauswächst“ verfügt über ein inneres Vorstellungsbild von sich selbst, in dem er sich größer oder kräftiger als gewohnt erlebt. Diese sprachlichen Beschreibungen sind der Schlüssel zum inneren Erleben des Sportlers (Bartl, 2001, S. 400).
30.1. KLASSISCHE HYPNOSE Hypnose ist eine Methode, Menschen in den Trancezustand zu versetzen; einen entspannten Wachzustand, in dem die langsamen Gehirnwellen in den Vordergrund treten. In Trance ist der Körper hoch entspannt, der Geist aber wach und hell. Menschen in Trance behalten die Kontrolle über ihr Denken und Verhalten: sie sagen unter Hypnose nur das, was sie sagen wollen. Hypnose arbeitet mit alten Erinnerungen, Fähigkeiten und Lebenserfahrungen; durch Hypnose werden diese Fähigkeiten in Form von Bildern sichtbar und spürbar. 216
Kapitel 30
Die positive Wirkung der Hypnose ist wissenschaftlich gut untersucht. Grawe (1994, S. 633–637) bezeichnet sie als eine in einigen Bereichen effiziente und langfristig wirkende Interventionsmethode. Hypnotische Trance ist ein Alltagsphänomen. Wir können beim Fernsehen und auch bei intensiver Sportausübung („sie spielt, läuft, klettert wie in Trance“) in Trance geraten. Wenn Menschen lesen, gehen sie oft völlig in der Welt des Buches auf und nehmen rund um sich nichts wahr. Ähnliche Effekte treten beim Musikhören oder Tanzen auf; auch beim Tagträumen werden die langsamen Gehirnwellen aktiv. Die bekannte Hypnoseforscherin und Psychologin Helen Crawford (2001a) beschreibt den Zustand der Hypnose folgendermaßen: „Damit man hypnotisiert werden kann, muss man bestimmte Dinge in der Umgebung ignorieren, und die Aufmerksamkeit auf andere Dinge richten. Es ist wie das Festhalten an einem Punkt, einem Focus. Es ist wie das Lesen einer schönen Geschichte, in die man völlig hineinlebt, dass man überhaupt nicht mehr hört, dass jemand zu einem spricht. Das heißt aber nicht, dass man die Umgebung nicht mehr wahrnimmt. Denn wenn das Telefon läutet oder ein Feueralarm kommt, dann würde man sofort zu lesen aufhören oder aus der Hypnose herausgehen. Die Leute glauben, dass Hypnose bedeutet, außer Kontrolle zu sein. Jemand anderer übernimmt über einen die Kontrolle, aber das ist absolut falsch. Man hat sich unter Hypnose wirklich selbst unter Kontrolle. Personen hören auf, analytisch zu sein, sie werden im Denken viel ganzheitlicher, sie haben mehr Bilder im Kopf, sie hören auf eine bestimmte Weise auf, die Wirklichkeit zu überprüfen. Der Zustand ist vergleichbar mit dem Gefühl, wie wenn man sich mit einer Person in einem schönen Roman identifiziert. Hypnose ist also nicht so ungewöhnlich. Die Leute glauben, dass Hypnose ein magischer Zustand ist, das ist er aber nicht.“ Das Wort „Hypnose“ wurde um 1850 von dem englischen Arzt James Braid eingeführt und leitet sich von dem griechischen Wort „hypnos“ (=Schlaf) ab. Obwohl die Etymologie den Vergleich geradezu herausfordert, kann Hypnose keineswegs mit dem Schlaf verglichen werden. Aus der Erforschung der Hirnströme weiß man, dass Hypnose, Entspannung, autogenes Training und Meditation für das Gehirn einen entspannten Wachzustand darstellen und ein kurzwelliges EEG (Elektroenzephalogramm) aufweisen (Revenstorf, 1994, S. 21).
30.2. WIRKUNG DER TRANCE Helen Crawford (2001) belegt anhand zahlreicher Studien, wie hypnotische Interventionen wirken: Hypnose beinhaltet eine Verstärkung fokussierter Aufmerksamkeit zu oder weg von einem internalen oder externalen Ereignis.
Hypnose
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Hochsuggestible Personen (diese sind leicht in Trance zu versetzen) haben die Fähigkeit für länger dauernde Aufmerksamkeit und sie erreichen einen tieferen Trancezustand als niedrigsuggestible Personen. Studien zeigen, dass der Neurotransmitter Dopamin den Frontallappen aktiviert, was eine Voraussetzung für hypnotische Konzentration ist. Der Hirnstoffwechsel ist bei hochsuggestiblen Personen insgesamt höher als bei niedrigsuggestiblen Personen. Hypnose ist eine der bestuntersuchten Interventionen zur Kontrolle von akutem und chronischem Schmerz bei Kindern und Erwachsenen. Sie kann sowohl die körperlichen Schmerzen hemmen, als auch den Stoffwechsel und die Durchblutung sowie die nervliche Aktivität im limbischen System (Gefühlsgehirn) drosseln; letzteres ist dafür verantwortlich, dass der quälende Schmerz ins Bewusstsein gelangt (Rainville et al.,1997). DieTrance bewirkt eine Einengung der Aufmerksamkeit,Veränderungen in der Körperwahrnehmung und eine veränderte Zeitwahrnehmung. Manche Personen sind nach einer einstündigen Trance davon überzeugt, dass diese nur 10 Minuten gedauert habe (Bongartz und Bongartz, 1998, S. 16). Unter Trance wird die Schmerzempfindlichkeit geringer (Analgesie), der Muskeltonus und die Muskelsteifheit werden erhöht (Katalepsie). Physiologisch betrachtet nimmt die Theta-Aktivität im Gehirn zu. Diese hängt mit dem Schlafzustand (Lindsley, 1960) und der Ausblendung äußerer Reize zusammen (Bongartz und Bongartz, 1998, S. 19). Trance trägt zur Abnahme der Katecholamine Adrenalin und Noradrenalin bei (Bongartz, Lyncker und Kossmann, 1987). Sie beeinflusst das Autoimmunsystem und dämpft das sympathische Erregungsniveau mit Atemrate, Blutdruck und Temperatur (im Überblick Bongartz und Bongartz, 1998, S. 22; Crawford, 2001, S.62 ff). Diese Effekte sind auch im Sport nutzbar. Hypnose wirkt auf drei miteinander verknüpften Ebenen: Über das vegetative Nervensystem, das Immunsystem und über die gedankliche (kognitive) Ebene. Die Wirkung über das vegetative Nervensystem setzt meist rasch ein. Durch Hypnose werden das körperliche Erregungsniveau des Herz – Kreislaufsystems, des Magen – Darmsystems und anderer Funktionssysteme abgesenkt. Dadurch können chronisch hohe Erregungszustände des sympathischen Nervensystems, die durch lang andauernde Belastungen festgefahren sind, wieder gelöst werden. Eine Erholungsreaktion des Körpers setzt ein. Über das Immunsystem wirkt die Hypnose, indem sie durch die allgemeine Senkung des körperlichen Erregungsniveaus den Stresshormonspiegel absenkt. Dieser beeinflusst die Aktivität der weißen Blutkörperchen, die an allergischen und entzündlichen Reaktionen beteiligt sind. Man kennt Mechanismen, die 218
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es ermöglichen, gedankliche Vorgänge in Informationen umzusetzen, die vom Immunsystem genutzt werden können (Ballieux, 1992). Eine erhöhte Immunabwehr ist gerade im Höchstleistungsbereich von essentieller Bedeutung. Die kognitive Ebene ist bei der Hypnose immer miteinbezogen. Die hypnotherapeutische Fokussierung der Aufmerksamkeit auf die „innere“ Realität nutzt die Vorstellungstätigkeit des Sportlers. Sie hilft, eine positive „innere“ Wahrnehmung aufzubauen und kognitive Schemata zu verändern. Auf diese Weise kann der Mensch Traumata wie etwa sportliche Niederlagen bearbeiten, Kraftquellen zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit aktivieren oder Schmerzen durch „Umdeutung“ der von „außen“ kommenden Schmerzreize aufheben (Orne, 1972).
30.3. VORGEHEN IN DER HYPNOSE Zu Beginn steht das Erlernen einer Selbsthypnosetechnik. Sie bewirkt einen geistig-körperlichen Zustand, in dem weitaus intensiver auf Suggestionen reagiert wird als unter „normalen“ Bedingungen. In der Selbsthypnose ist der Sportler „stark nach innen orientiert“ (Alman, 2001, S.312). Dieser Zustand dient – – – – – – –
dem Erlernen von Tiefenentspannung in allen Situationen der Steigerung der Konzentrationsfähigkeit der Intensivierung von Erinnerungen dem Gewinn von Sicherheit und Selbstvertrauen der Stressbewältigung der Optimierung sportlicher Leistungen der Schmerzkontrolle.
Eine Atemtechnik ist die effektivste Methode, um in Entspannung zu gehen. In der Lernphase sollte täglich geübt werden, es sind etwa 15 bis 20 Minuten Zeit dazu nötig. Die Aufmerksamkeit während der Übung liegt bei der Ausatmung. Folgende Methode kann empfohlen werden: Zähle beim Einatmen bis drei; halte die Luft – zähle wiederum bis drei; atme langsam aus und zähle bis sechs; es folgt eine Atempause, in der bis vier gezählt wird. Im Anschluss sucht sich der Übende entweder ein Ruhebild, es folgen Eigensuggestionen oder posthypnotische Aufträge, zum Beispiel: „Immer dann, wenn ich meine Selbsthypnose mache, verknüpfe ich das mit Ausruhen, dem Befreien von Sorgen und mit Genießen.“ Um in Trance zu kommen, wird eine vier-stufige Methode angewandt. Sie führt in der Vorstellung von außen nach innen, und zwar mit den Sin-
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nesmodalitäten Sehen, Hören und Spüren. Die Aufmerksamkeit wird von außen Schritt für Schritt in die Innenwelt gelenkt. Im Folgenden das Beispiel einer Anweisung: 1. „Setze dich bequem hin und fixiere während der Übung einen Punkt im Raum“. 2. „Benenne für dich – jeweils drei Gegenstände, die du mit geöffneten Augen siehst (z.B. ein Bild, eine Vase); – drei Geräusche, die du hörst (z.B. Straßenlärm, Kirchenglocken); – drei Wahrnehmungen, die du mit deinem Körper spürst (z.B. Rückenschmerzen, Hosenbund)“. 3. „Benenne für dich zwei Objekte, die du mit geöffneten Augen siehst (das könnten auch zwei der vorigen Beispiele sein). Dann schließe die Augen und benenne etwas, was du mit geschlossenen Augen als inneres Bild vor dir hast – z.B. eine Farbe.“ „Wiederhole die Übung mit Hören. Benenne für dich zwei akustische Wahrnehmungen, z.B. das Ticken der Uhr oder den Straßenlärm (von vorhin), oder wähle zwei neue Reize. Nun benenne, was du innerlich hörst; das kann beispielsweise das Magenknurren sein“. Derselbe Vorgang gilt auch für das Spüren. 4. „Benenne einen Gegenstand, den du mit geöffneten Augen siehst und zwei Dinge, die du mit geschlossenen Augen als innere Bilder siehst.“ Dieselbe Anweisung gilt im gleichen Sinn für Hören und Spüren. 5. „Benenne drei Dinge, die du mit geschlossenen Augen als innere Bilder siehst. Lass dir Zeit. Alles was kommt, ist richtig. Wenn du nur ein Bild oder zwei hast, ist es auch in Ordnung.“ In gleichem Sinne erfolgen die Anweisungen für Hören und Spüren. „Lass diese Bilder und Empfindungen kommen und auf dich wirken“. Nach Beendigung dieser Schritte, befindet man sich in einem äußerst entspannten Zustand. Die Übung ist indiziert, wenn Sportler längere Zeit hindurch nervös oder unkonzentriert sind. Sie ist außerdem empfehlenswert, wenn das Grübeln überhand nimmt.
30.4. ZIELE DER HYPNOSE 1. Aktivierung der Vorstellung Wie oben ausgeführt, lösen visuelle, akustische und sensorische Vorstellungen Prozesse aus, die im Rahmen des Leistungssports nutzbar gemacht werden können. 220
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2. Veränderung physiologischer Prozesse Studien zeigen, dass die Zahl der weißen Blutkörperchen allein durch Vorstellungskraft erhöht wird (Bongartz, 1993). Durch Vorstellungsprozesse wird die Durchblutung von Armen und Beinen aktiviert, was zu einer Veränderung des Muskeltonus oder der Kreislauffunktion führt. Im Golf treten häufig Verspannungen des Unterarmes auf, die zu Verkrampfungen und dementsprechenden Fehlleistungen führen. Mit Hypnose werden diese Verspannungen gelöst. Die Anpassung des Stresshormon-Levels an die Wettkampfsituation ist individuell, kann aber mit Hypnose beeinflusst werden: Mancher Sportler braucht mehr Dynamik, andere zeigen in der Stressreaktion zu große Nervosität. 3. Veränderungen der Sensorik und der Zeit Trancezustände können das Schmerzgeschehen in seiner Qualität und Dauer subjektiv verändern und damit den erlebten Schmerz reduzieren. 4. Nutzbarmachung von Ressourcen Mithilfe der Hypnose können in Phasen eines Leistungstiefs die positiven Erfahrungen, die für die Bewältigung dieser Problemsituation nützlich sind, zugänglich gemacht werden. 5. Suchprozesse anregen Im Trancezustand sind kreative Lösungen wahrscheinlicher, da hier der gewohnte Denkrahmen überschritten wird und so manchmal sehr einfach zu neuem Verhalten führt. 6. Unterbrechung gewohnter Schemata Denk-,Wahrnehmungs- und motorische Gewohnheiten können an kritischen Stellen unterbrochen werden (z.B. „steife“ Beine beim Tennis; der Gegner liegt 2 Games vorne: der automatische Gedanke: „Oh je, wie werde ich das Match noch gewinnen können“ kann gestoppt werden). 7. Dissoziation und Assoziation Erfahrungsdetails, die hinderlich sind, können durch Selbsthypnose abgeschwächt werden (z.B. die Lautstärke einer Stimme) und fehlende Erfahrungen hinzuphantasiert werden (z.B. Worte oder Gedanken einer dritten Person).
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8. Reframing Die subjektive Bedeutung einer Erfahrung kann so umfunktioniert werden, dass sie für den Sportler sinnvoll wird (z.B. Abwertung als Aufmerksamkeit deuten, Versagen als Hinweis auf eine neue Orientierung sehen).
30.4.1. DER MUSKELTEST Ein einfacher Muskeltest zeigt, wie stark die Innere Sprache den Menschen beeinflusst: Der Sportler streckt im Stehen seinen dominanten Arm zur Seite und erhält die Anweisung, gegen den Druck einer zweiten Person den ausgestreckten Arm dagegen zu halten. Mit der nächsten Anweisung soll der Athlet an eine Situation denken, in der es für ihn „schlecht gelaufen“ ist; die zweite Person drückt wieder gegen den ausgestreckten Arm. Das Ergebnis ist allzu „vorhersagbar“: der Arm wird (wahrscheinlich) hinunter gedrückt. Aufgrund der dritten Anweisung denkt der Athlet an eine Situation, in der „alles optimal gelaufen ist“ und es wird wieder gegen seinen Arm gedrückt; in den meisten Fällen wird hier der Arm oben bleiben. Der Muskeltest zeigt sehr klar, wie stark Gedanken, Gefühle und Körper zusammenhängen.
30.5. HYPNOSE IM SPORT 30.5.1. ORIENTIERUNG AUF FEHLER Häufig werden Fehler mit einer bestimmten Situation verknüpft. Nach einer Niederlage folgt „automatisch“: „Oh Gott, eine Katastrophe“.Vor dem nächsten Wettkampf tauchen Gedanken auf wie: „Hoffentlich passiert das nicht noch einmal“. – Es wird in die Zukunft projiziert, was nicht geklappt hat. Erfolgreicher ist, wer sich auf das Ziel orientiert. Wer eine Niederlage erleidet, sollte versuchen, sie zu akzeptieren und zu denken: „Jetzt will ich so fighten wie bei meinem letzten Erfolg“. So kann der Plan im Kopf Realität werden. Beispiel einer Intervention: Der Trainer fragt den Sportler, wie der optimale Zustand für seinen Erfolg aussieht. Wie ist der Zustand, wo es so richtig gut läuft? Womit kann man das vergleichen?
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„Ich gleite wie ein Delphin über die Wasserfläche.“ Was gilt vor der optimalen Wettkampfsituation, um in diesen Zustand zu kommen? „Indem ich mich auf meinen letzten Sieg konzentriere.“ Kurz bevor es losgeht, gibt es da noch etwas, was dir hilft? „Ich brauche Ruhe.“ Anschließend an diese Fragen erfolgt eine Tranceinduktion. Anleitung: „Schließ die Augen, nutze deine Fähigkeiten, dich auf dich selbst zu besinnen. Konzentriere dich auf die guten Seiten und erlaube dir, Schritt für Schritt mehr zu dir zu kommen. Nimm dir mehr Zeit zu spüren, wie der Stuhl dich hält. Nimm wahr, wie dein Körper sich anfühlt, diese gute symmetrische Haltung, der gute Kontakt, die Füße auf dem Boden und so wie du meine Stimme hören kannst als Begleiter, erinnere dich an den optimalen Wettkampf, die Vorbereitungszeit. Konzentriere dich mehr und mehr darauf. Damit du beginnst, alles andere mehr und mehr zur Seite zu schieben. Nur du bist wichtig, nur das ist wichtig, was man erreichen will. Erinnere dich an diese Fähigkeiten, 100 Prozent konzentriert in den Wettkampf zu gehen und alles andere beiseite zu schieben. Alles andere ist völlig uninteressant. Wenn man unter dieser guten Hochspannung ist, erreicht man genau das, was man will: diese konzentrierte kraftvolle Bewegung. So selbstverständlich, das geht wie von selbst. Du brauchst nicht zu wissen, wie das geschieht, wie du mehr und mehr alles beiseite schiebst und 100 Prozent konzentriert bist. Diese gute Aufgeregtheit, diese Vibration kurz vor dem Start erinnert dich an all die guten Erfahrungen. Es geht wie von selbst. Die Fähigkeit, alles beiseite zu schieben, auf den Punkt genau, dieses kraftvolle DaranDenken, wie funktioniert es denn? Erinnere dich noch einmal, was ein guter Schwimmer können muss. (Geben Sie eine Minute Zeit, damit der Athlet dieses Gefühl gut spürt). Dann kannst du es einfach so lassen, dir Zeit nehmen und zurückkommen, langsam Schritt für Schritt.“ (Modifiziert nach Ortwin Meiss). Hilfreich ist auch, wenn der Sportler eine Metapher (Bild, gleichnishafte Vorstellung) für seinen optimalen Wettkampfzustand entwickelt: „Der Ball zieht mich magnetisch an.“ – „Ich sehe den Aufschlag in Zeitlupe.“ – „Ich spiele gleichmäßig wie ein Uhrwerk.“ – „Ich gleite wie ein Delphin.“ Metaphern so eingesetzt dienen dazu, den Gefühlszustand noch besser zu spüren, da sie Vorstellungen in der rechten Gehirnhälfte erzeugen und somit „automatische“ und „lockere“ Bewegungsabläufe bewirken können.
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30.5.2. AUS DEM TIEF WIEDER AN DIE SPITZE Um aus einer Phase der Niederlage wieder an die Spitze zu gelangen, wird der Sportler/die Mannschaft auf den Prozess der Zielerreichung hin orientiert. Dementsprechend sind Äußerungen wie die folgende kontraproduktiv: „Ihr müsst endlich ein Spiel gewinnen. Ihr müsst versuchen, positiv zu denken. Wenn ihr wieder solche Fehler macht, dann hat das Konsequenzen.“ Erfolgversprechender sind Anweisungen, die so oder ähnlich lauten: „Ich erwarte, dass ihr alles tut, um das Spiel zu gewinnen. Ich will, dass ihr zu jedem Zeitpunkt die optimale Einstellung zeigt. Ich will sehen, dass ihr ruhig und konzentriert spielt. Ich will, dass jeder den anderen unterstützt. Wenn etwas nicht so läuft, wie es soll, erwarte ich, dass ihr das abhakt und euch auf eure nächste Chance konzentriert. Kämpft und verhaltet euch wie richtige Profis, dann bin ich zufrieden.“ Intervention: Der Psychologe führt mit dem Athleten eine „Zeitprogression“ durch, d.h. er geht mit ihm gedanklich in eine Zukunft, wenn dieser seine Formkrise überwunden hat. Ausgehend von diesem Zielzustand führt er den Sportler von diesem zurück in die Gegenwart – durch die verschiedenen Stadien des Wettkampfes. Anleitung: Zu Beginn erfolgt eine Tranceinduktion wie oben beschrieben. Anschließend wird der Sportler angeleitet sich vorzustellen, er habe die Formkrise überstanden und die Phase des Misserfolgs „hinter sich“. „Nehmen wir an, du hast den Wettkampf hinter dir und alles ist optimal gelaufen.“ Hier sind folgende Fragen hilfreich: Wie wirst du dich fühlen und wo in deinem Körper wirst du das besonders spüren? Wie fühlt sich dein Körper an? Wie verändern sich der Atem, die Schultern, die Kopfhaltung, der Gang? Was nimmst du wahr? Was tust du gerade? Wenn du auf deine Formkrise zurückschaust, was hat dir geholfen, dass du so weit gekommen bist, wie du jetzt bist. Der Trainer wird jetzt den Sportler durch die verschiedenen Phasen des Wettkampfes führen: 224
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a) Der Moment, wo der Wettkampf zu Ende ist – wird mit der Frage begleitet, „Wie fühlst du dich da?“ b) Kurz bevor er es geschafft hat – „Wie fühlst du dich da?“ c) Wo gespürt wird, dass es genau in die richtige Richtung läuft – „Wie fühlst du dich da?“ d) Wo der Sportler „mitten drin ist“ und alle Ressourcen aktiviert – „Wie fühlst du dich da?“ e) Wo er „gut in den Wettkampf hineingekommen ist“ – „Wie fühlst du dich da?“ f) Der Wettkampf startet – „Wie fühlst du dich da?“ Anschließend ist zu erkunden, in welchen Situationen sich der Sportler beraten lässt bzw. sind positive Zukunftsziele zu erarbeiten.
30.5.3. AUSSCHALTEN VON ABLENKUNGEN Weite Wahrnehmung ist nicht in jeder Sportart gleich von Bedeutung. Ein Basketballspieler muss alle Spieler im Auge haben. Wenn er jedoch in den Korb werfen möchte, soll nur mehr der Korb in seinem Blickfeld sein. Mit einem weiten und außenorientierten Fokus beobachtet ein Sportler seine Umgebung, mit einem weiten und innenorientierten Blick bezieht der Sportler sein Denken und Handeln mit ein. Weinberg und Gould (1999) sind der Meinung, dass zwischen Fokusweite und Erregungsgrad eine enge Beziehung besteht. Der optimale Fokus wird bei mittelstarker Anspannung erreicht. Drei Aspekte sind dabei äußerst förderlich: 1. Gib dein Bestes (Körper)! 2. Analysiere deine Leistung (Gedanken)! 3. Genieße, was du tust (Gefühle)! Anleitung: In Trance visualisiert die Sportlerin diese drei Aspekte und nimmt sie gefühlsmäßig wahr. Dazu ist es notwendig, dass sie sich zu Punkt 1 eine oder mehrere Situationen vorstellt, in denen sie ihr Bestes gab und entsprechende Erfolge hatte. Punkt 2, die Leistung zu analysieren, stellt hohe Anforderungen, die jedoch in Trance ungleich leichter zu bewerkstelligen sind: Die Vorstellung darüber sollte in Zeitlupe erfolgen, denn so werden Fehler deutlicher erkannt. Bei Punkt 3 besteht die Möglichkeit, dass die Athletin glaubt, nur mehr ihre Pflichten erfüllt zu haben und keine Freude mehr am Wettkampf zu empfinden. Wenn sie in ihrer Vorstellung zu einem Wettkampf zurück-
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geht, in dem sie Lust und Freude empfand, nimmt sie diese Gefühle wieder wahr und lernt, sie wieder „hervorzurufen“, indem sie aktuelle Wettkämpfe mit diesem freudigen Gefühl verbindet.
30.5.4. ICH OPTIMIERE MEINE LEISTUNG – LERNEN DURCH IDENTIFIKATION Leistungsoptimierung gelingt, wenn erfolgreiche Spitzensportler als Vorbild herangezogen werden. Das Lernen über Identifikation entwickelt sich, wenn der Sportler in einem ersten Schritt das Verhalten seines Vorbildes aus der Außenperspektive betrachtet. Die nächsten Lernschritte bestehen darin, seinem Vorbild räumlich näher zu kommen, um sich dann sukzessive der Innenfigur seines Vorbildes anzunähern. Das funktioniert, wenn mental mit dem Vorbild gespielt wird (im Tennis beispielsweise mit Roger Federer), der Heranwachsende sich von seinem Idol die optimale Bewegungsausführung zeigen lässt oder einfach hinter ihm steht und beobachtete Bewegungsabläufe mental imitiert. Weitere Schritte sind, sich so in die Innenwahrnehmung der Vorbildfigur zu begeben, dass der Sportler „fühlt wie sie“. Intervention (für Trainer): Orientiere den Sportler auf seine Erfahrungen, die er von Vorbildern oder mit Vorbildern gelernt hat. Führe ihn in Trance und lasse ihn diese Lernerfahrungen sehen und spüren. Frage den Sportler, was er genau sieht und was er genau spürt, wenn er diese Bewegungen macht. Lasse dann den Sportler in eine Beobachterposition zu seinem Vorbild gehen und ganz genau beschreiben, was er sieht. Führe ihn dann näher an sein Vorbild heran, sodass er es von der Nähe aus beobachten kann. Sage ihm, dass er vor allem die Bewegungsmuster genau im Blick haben soll. Du kannst die Bilder auch auf Zeitlupe verlangsamen. Anschließend soll der Übende so nahe an sein Vorbild herangehen, dass ein gemeinsames Spielen oder Trainieren möglich wird. Lasse ihn in sein Vorbild hineinschlüpfen und ihn beschreiben, wie er das Training oder den Wettkampf aus der Sicht seines Vorbildes sieht, hört, fühlt. Führe ihn dann aus der Trance heraus und besprich mit ihm, was er davon in seinen eigenen Sportalltag umsetzen kann.
30.5.5. IMAGINIEREN EINER PERFEKTEN LEISTUNG: Anleitung: „Forme mit Daumen und Zeigefinger einen Kreis und halte ihn wie einen Ring fest, während jemand anderer versucht, deinen Daumen und Zeigefin226
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ger auseinander zu ziehen. Das gelingt immer. Dann stelle dir vor, dass sich in dem aus Daumen und Zeigefinger geformten Kreis ein Stahlring befindet, der die beiden Finger zusammenhält. Es wird der anderen Person kaum gelingen, die Finger auseinander zu bringen. Hier wird wiederum deutlich, wie stark die Vorstellung den Körper beeinflusst.“ Tranceinduktion: „Stelle dir den optimalen Zustand vor, den du brauchst, um eine optimale Leistung zu erbringen. Beschreibe diesen Zustand ganz genau – wie spürst du ihn – wo bist du da gerade? Wenn du diesen Zustand gut spüren kannst, genieße ihn und stelle dir jetzt die Situation vor, in der du dich optimal fühlst – beschreibe, wie das ist – wenn du diesen Zustand gut spüren kannst, genieße ihn solange du kannst (ca. 5 Minuten lang). Dein Unbewusstes wird sich diesen Zustand merken und immer dann, wenn du diesen Zustand brauchst, wird sich dein Unbewusstes an dieses Gefühl erinnern und du wirst es spüren und deine Bestleistung bringen.“
30.5.6. ENTSPANNUNG – ERHOLUNG Anleitung: „Setze dich hin und entspanne alle Muskelgruppen, so gut du kannst – gehe jetzt in deiner Vorstellung an einen angenehmen Ort, wahrscheinlich irgendwo in freier Natur. – Achte bei jedem Atemzug, wie dein Körper sich mehr und mehr entspannt. Deine Beine sind so entspannt, dass du dein Gewicht auf der Sitzfläche des Sessels spürst. Du schaust zum Himmel hinauf und siehst, er ist wunderbar blau und vereinzelte Wolken ziehen vorüber. Vielleicht hörst du von irgendwoher angenehme Geräusche, etwa von einem leichten Wind in den Bäumen oder vom Wasser. Die Sonne fühlt sich auf deinem Rücken angenehm und warm an. Du kannst sprechen, ohne deinen erholsamen Ort verlassen zu müssen. Ich möchte, dass du mir jetzt von deinem erholsamen Ort erzählst. Wo bist du? Was siehst du? Achte auf die Geräusche und ihre entspannende Wirkung, achte auf die Bilder und Vorstellungen, genieße und erhole dich.“
30.5.7. RESSOURCEN FINDEN „Du weißt ja schon, wie du dich gut entspannen kannst … und du weißt selbst am besten, wie es ist, wenn man die innere Kraft und Energie spürt, die sich ausbreitet – wenn alle Körperteile und alle Gewebe damit gefüllt werden … Nimm dir Zeit, sie gut wahrzunehmen … und es gibt viele Wege ein Ziel zu erreichen … Manchmal ist es eben notwendig, konsequent zu
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bleiben, sich mit dem Ski verwurzelt zu fühlen und alle Kraft, Energie und Konzentration zu bündeln, um einen optimalen Lauf zu machen … Manchmal ist es einfach so, dass sich Bewegungen selbst koordinieren. Sich dem anzuvertrauen, was in der Tiefe gespürt wird … Einfach sich vertrauen … und langsam darfst du dich wieder hierher zurück orientieren. Atme dreimal tief ein und aus; recke und strecke dich und sei einfach wieder frisch und munter da.“
30.5.8. DIE DYNAMISCHE POSITION AM SKI (SUPER-G) „Entspanne dich mit der Technik des Entspannungsatmens. Bist du gut entspannt, stelle dir vor, du bist der beste Super-G-Läufer … und spüre deine Kraft und Energie und Lust auf den Lauf … und spüre jeden deiner Muskeln, die Oberschenkel … die Unterschenkel … ihre Kraft … und gib ihnen eine Farbe.Welche Farbe passt zu deinen Muskeln und ihrer Kraft? Mach dir ein Bild, wie du auf einem steilen, eisigen Hang optimal am Ski stehst … du stehst zentral am Ski … du stehst gut über dem Ski … deine Skiführung ist breit … die Knie sind elastisch … der Oberkörper ist über den Skiern. Die Arme ziehen dich nach vor … der Schwung gelingt dir meisterhaft … du fährst wie Hermann Maier … und du leitest sofort den nächsten Schwung ein … du spürst, wie du die Atemspannung hältst … stelle dir vor, du drückst beim Schwungaufbau mit deinem Außenski auf einen Blasbalg … du drückst immer stärker … bis du ihn auf Torhöhe völlig ausgepresst hast … und nun spüre deine Oberschenkel … erinnere dich an das Bild mit dem Blasbalg … in einem Zug und ohne Absetzen drückst du ihn mit dem Außenski nieder. Hole dir das Bild von deiner Kraftfarbe … und halte dieses Bild fest … und in der Entlastung presst er dich wie von selbst nach vor und beschleunigt dich, und du baust den nächsten Schwung auf … und drückst mit dem Blasbalg den Außenski fest auf den Kanten. Fahre ein paar solcher Schwünge … und fahre sie immer schneller … und behalte deine Haltung bei … dein Unbewusstes merkt sich diese Bilder. Spüre nun den Druck auf den Fußsohlen … ist er eher vorne oder eher weiter hinten … ist er bei den Zehen oder bei der Ferse … wo muss der Druck sein, damit du richtig auf dem Ski stehst? Finde deine optimale Position und spüre sie gut … und finde deine richtige Position und spüre sie ganz gut … gehe weiter zu den Unterschenkeln … spüre den Druck des Schienbeins an den Schuhlaschen … ist er fest … oder eher locker … oder ist der Druck am hinteren Schuhrand? Sei neugierig, wie dein Körper die richtige Position findet … nimm dir Zeit dafür … und wenn deine Beine die richtige Balance gefunden haben … dann halte dieses Gefühl fest und spüre es ganz genau! Dein Körper
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kennt die richtige Haltung … er kennt sie ganz genau … gehe nun weiter zu den Knien … spüre, wo sie sind und wie elastisch sie sind … vergleiche sie mit einer starken Spiralfeder … sie sind stabil und fest und gleichzeitig hoch beweglich … die Knie bewegen sich wie ein Teleskop nach oben und unten und vorwärts und seitwärts … und sie klappen nach innen, so wie es der Hang und der Schwung verlangen … du spürst den Druck der Kanten … und wie der Außenski greift und du dem Ski Richtung gibst … richte dein Augenmerk wie ein Blitzlicht auf deine Beckenhaltung … wenn Unterschenkel Knie und Becken richtig sind, dann beleuchte diese Position wie mit einem Scheinwerfer und mache dir ein Foto davon … es bleibt in deinem Kopf. Gehe nun weiter zu deinem Oberkörper. Ruhig steht er wie ein Fels in der Brandung … er trotzt allen Hindernissen … komme was wolle … wie ein Riese schiebt er alle Hindernisse beiseite… und er weiß genau, wie er seine Aufgabe am besten bewältigt. Und nun bist du im Ziel … die Menschen jubeln dir zu … du schaust auf die Zeitnehmung und siehst deine weltmeisterliche Zeit! Und nun kommst du wieder zurück in diesen Raum – atmest dreimal kräftig aus und ein … streckst dich durch … öffnest langsam deine Augen … und bist frisch und munter wieder da.“
30.5.9. AKTIV – WACHHYPNOSE ODER DYNAMISCHE HYPNOSE Die Dynamische Hypnose, ab 1974 von Eva Banyai entwickelt, ist für den Einsatz im Sport besonders gut geeignet. Die Vorgehensweise dieser Methode überrascht sogar Hypnosekundige, weil „Hypnose am Hometrainer“ auf den ersten Blick ungewöhnlich erscheint. Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass auch beim Laufen oder anderen intensiv ausgeführten Aktivitäten Trancezustände eintreten können. In der Aktivwachhypnose wird der veränderte Bewusstseinszustand im Unterschied zur klassischen Hypnose durch gesteigerte motorische Aktivität hervorgerufen. Die zu hypnotisierende Person setzt sich auf ein Ergometer, stellt einen ziemlich hohen Widerstand ein und beginnt anschließend mit geöffneten Augen zu treten. Während dieser Tätigkeit erhält die Person von der Psychologin verbale Anleitungen (Suggestionen), die das Gefühl einer immer stärker werdenden Frische, Lebendigkeit und Aufmerksamkeit betonen. Der Trancezustand kommt nicht durch Entspannung zustande, sondern durch die Kombination aus motorischer Aktivität und den mit Suggestionen hervorgerufenen Gefühlen. Der veränderte Bewusstseinszustand ohne
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Entspannungstechniken kann nur mit Aktivitätssteigerung erreicht werden. Dazu ist neben der Intensivierung der körperlichen Aktivität eine aktivwachhypnotische Induktion nötig. Wissenschaftliche Untersuchungen (Bányai, 1976; Bányai und Hilgard, 1976) zeigen Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen der klassischen Hypnose und dem Dynamischen Hypnosezustand. Beide Tranceformen führen zu einem veränderten Bewusstseinszustand, zu einer erhöhten Reaktion auf Suggestionen, zu Gefühlen, die Planungsfunktion des Selbst loszulassen, zu verringerter Realitätssicht und zu einem Gefühl, dass die Wahrnehmung hoch fokussiert ist. Im Gehirn kommt es zu einer Unterstützung rechtshemisphärischer Prozesse (Cikurel und Gruzelier, 1990). Diese bewirken, so nehmen Neuropsychologen an, ein Zurückgehen der allgemeinen Realitätsorientierung und eine Erhöhung der Imaginationsfähigkeit. Die Unterschiede sind erheblich: Während die traditionelle Induktion einen schläfrigen, passiven Zustand hervorruft, bewirkt die dynamische Induktion ein aufgeputschtes oftmals ekstaseähnliches Erlebnis. Personen zeigen in der aktiv-wachen Trance eine erhöhte Wachsamkeit, eine Verstärkung des positiv emotionalen Tonus und sie entwickeln weiters das Gefühl, aktivere Teilnehmer des Prozesses gewesen zu sein als bei einer „normalen“ Hypnose (Bányai und Hilgard, 1976). Die Dynamische Hypnose erlaubt Personen, die Selbstkontrolle über sich beizubehalten und kreative Energien freizulegen, die bislang blockiert waren. Die Fokussierung der Aufmerksamkeit wird durch die Konzentration auf die physiologischen Vorgänge wie Atembeschleunigung, Pulserhöhung, stärkere Muskelspannung oder Schwitzen erreicht. Die suggestive Induktion dient dazu, die eigene Anstrengung zu erhöhen. Das Besondere an dieser Vorgehensweise ist die Leichtigkeit der Bewegung. Die aktiv-wache Trance kann den Prozess in Richtung ICH- Stärke unterstützen.
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KOGNITIVE METHODEN Wer versteht, was Bilder im Kopf körperlich und im Gefühlsbereich auslösen, wird seine Gedanken, Vorstellungen und Bilder möglichst gut beobachten und beeinflussen wollen. Die nachfolgende Übung verdeutlicht dieses Zusammenspiel auf einfache Weise.
ZITRONENÜBUNG: VERSTEHE DEN ZUSAMMENHANG ZWISCHEN GEDANKEN, GEFÜHLEN UND KÖRPER Anweisung zum Vorstellungsbild „Zitrone“ „Versuche einmal, dir einen weißen Teller vorzustellen, auf dem eine Zitrone liegt. Schaue genau auf das kräftige Gelb der Zitronenschale, wie es sich von dem weißen Porzellanteller abhebt. Schaue dir die Beschaffenheit der Schale, ihre Poren an und wie sie frisch und gelb glänzt. Stelle dir vor, dass neben dem Teller mit dieser Zitrone ein Obstmesser liegt, das du nun zur Hand nimmst. Mit der anderen Hand ergreifst du die Zitrone.Vielleicht fühlst du die Kühle der Schale in deiner Hand, die unregelmäßige Beschaffenheit ihrer Oberfläche. Schneide nun mit dem Messer, das du in deiner Hand hältst, diese Zitrone auseinander. Du spürst, wie das Messer durch die Schale bis hinunter zum Teller dringt. Während dieses scharfe Messer die Zitrone durchschneidet, rinnt der Saft heraus. Du spürst ihn auf deinen Fingern, siehst ihn auf den Teller fließen. Gleichzeitig nimmst du auch den Geruch der Zitrone wahr, er kann frisch und sauber sein, vielleicht schön säuerlich, oder auch ganz lecker und angenehm. Nun nimmst du eine der Hälften, fühlst den Saft an der Schale und schneidest mit dem Messer ein kleines Stück von dieser Hälfte ab. Du führst dieses Zitronenstück zu deinem Mund und berührst es mit deiner Zunge, ganz sanft. Du schmeckst den säuerlichen Zitronengeschmack, fühlst, wie der Saft sich auf deiner Zunge verbreitet und bemerkst, wie das Wasser in deinem Mund zusammenläuft. Spüre ganz intensiv den sauren Geschmack der Zitrone.“ Überprüfe nach der Übung und stelle die Fragen: „Was hast du gespürt, wie intensiv waren deine Wahrnehmungen, wo in deinem Körper war das „Saure“ zu bemerken?“
31.1. ÜBUNGEN ZUM MANAGEMENT VON GEDANKEN 31.1.1. KOGNITIVE UMSTRUKTURIERUNG Wir kennen es seit unserer Kindheit: gerade das Verbotene reizt. Bemerkungen wie: „Tu das nicht!“, „Mach dich nicht schmutzig!“, „Betreten verboten!“, „Sei nicht so schlampig!“, „Werde nicht frech!“ sind Killerphrasen, die in uns einen Widerstand auslösen. Widerstand jedoch schafft eine Form von Anspannung, die die Fehleranfälligkeit erhöht. Bei negativen Formulierungen weiß der Sportler nicht, wie er handeln soll. Er erhält keine Handlungsanweisung. Die folgende Kurzübung demonstriert die Rolle und Wirkung der „negativen Vorstellungen“. Anleitung: „Schließe die Augen, konzentriere dich kurz und nun: „Denk nicht an einen rosa Elefanten. – Und schon gar nicht an einen rosa Elefanten mit grünen Streifen“. Stelle die Frage nach der Übung: Was hast du gesehen?
31.1.2. GEDANKENSTOPP (AUCH VOR WETTKAMPFBEGINN)
Gedankenstopp wird dann eingesetzt, wenn du merkst, dass ein Gedanke in bestimmten Situationen häufiger auftaucht und dich stört. Mache dir in einem ersten Schritt klar, in welchen Situationen welche Gedanken stören. Sage zu dir im Folgenden selbst „STOPP“, lasse vor deinem inneren Auge ein Stoppschild auftauchen, und schlage dir auf den Oberschenkel – du kannst stattdessen auch mit den Fingern schnipsen oder die Hand zur Faust ballen – und unterbrich damit die störende Gedankenkette. Wiederhole das Wort „Stopp“ so oft, bis die Gedankenkette vollständig unterbrochen ist. Atme anschließend tief durch und richte bei der Ausatmung die Aufmerksamkeit wieder auf die im Moment auszuführende Handlung. Setze nun diese Handlung fort, indem du zu dir sagst: „Ich bin gut vorbereitet und ich gebe heute mein Bestes“. Die meisten Übungen, sogar die einfachsten, enthalten mehrere psychologische Elemente. Der Gedankenstopp ist ein Paradebeispiel dafür. Er gibt ein Ziel vor, enthält eine Selbstaufforderung („stopp“) oder eine Visualisierungsübung (Stoppschild), eine Kurzentspannung (durchatmen), verankert diese mit einer zweiten Sinnesmodalität (auf den Oberschenkel schlagen oder Hand zur Faust ballen), und eine kognitive Umstrukturierung.
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31.1.3. AUFMERKSAMKEITSLENKUNG Aufmerksamkeitslenkung ist speziell bei negativen Gedanken oder Grübeln anzuraten. Anleitung: „Nimm eine bequeme Haltung im Sitzen oder Liegen ein. Atme langsam und ruhig. Konzentriere dich auf einen Punkt im Raum und halte diesen Punkt während der ganzen Übung fest. Sage dir leise drei Gegenstände, die du rund um diesen Punkt siehst. Sage dir drei Geräusche, die du hörst. Sage dir drei Wahrnehmungen, die du mit deinem Körper spürst. Wiederhole diese drei Sinnesübungen, indem du immer ein Ding weniger benennst, also zwei Sehen, Hören, Spüren, dann ein Sehen, Hören, Spüren. Dann schließe die Augen und nimm innerlich wahr, was du siehst, hörst und spürst.“
31.1.4. DIE VORSTELLUNGSÜBUNG ZUM UMGANG MIT STRESS Anleitung: „Angenommen, du bist schlecht drauf, mache es dir bequem, setze oder lege dich ganz bequem hin und achte auf deinen Körper. Achte darauf, wie dein Kopf die Unterlage berührt, achte darauf, wie deine Schultern mit der Unterlage in Kontakt sind, achte darauf, wie dein Rücken die Unterlage berührt … wie dein Gesäß mit der Unterlage in Kontakt ist und achte darauf, wie deine Beine und Füße liegen, ob ein Bein stärkeren Druck hat als das andere. Achte auf deine Atmung, wie beim Einatmen die Bauchdecke sich hebt und sie sich beim Ausatmen wieder senkt. Und gehe an einen Ort wo du dich wohl fühlst und beobachte dort genau was du siehst, was deinem Auge gut tut, was du hörst, was du riechst, ob du irgend etwas schmecken kannst und ob es etwas gibt, was du gerne angreifen möchtest. Und hat nicht jeder seine angenehmen Erinnerungen, an die er gerne denkt … Vielleicht an diesen angenehmen Ort, wo sich angenehme Gefühle ausbreiten … und diese Vorstellung taucht auf: dort zu sein, sich umzuschauen, die Temperatur auf der Haut zu spüren oder einfach Ruhe. Während dieses Gefühl von Ruhe oder Geborgenheit sich ausbreitet, vielleicht im Bauch, in den Händen, vielleicht auch um die Augen, die Wangen, übers Gesicht sich ausbreitet, Hals, Schultern, Oberkörper, Unterkörper, Beine bis zu den Zehen. Und während dieses inneren Sehens, Hörens, Fühlens, Riechens, Schmeckens, – kannst du sehen, wo du bist, was du wahrnimmst? Bleibe dort und spüre genau hin, wie gut du dich fühlst. Je intensiver du dieses Gefühl von Ruhe spürst, desto besser kann sich dein Unbewusstes das einprägen. Und
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wenn du das Gefühl gut spüren kannst, dann drücke den Zeigefinger einer Hand gegen den Daumen, halte kurz an, spüre dieses Gefühl und lasse dann wieder los. Du kannst das zwei oder drei Mal ausprobieren, indem du die Finger wie einen Schalter benutzt und dir das angenehme Vorstellungsbild durch Drücken der Finger holst, bzw. kannst du es ausschalten, indem du die Finger wieder voneinander löst. Jetzt stelle dir eine Stresssituation vor, die dich sehr belastet und schaue dabei wieder genau, was du siehst … was du hörst … was du riechst … was du schmeckst … was du spürst … und bleibe bei diesem Gefühl … der Unruhe oder Anspannung … und achte auf die Gedanken, die diese Unruhe hervorrufen. Du kannst deine Gedanken und Vorstellungen wahrnehmen, die hinter dieser Unruhe stecken. Schaue, welcher Gedanke hilfreich für dich wäre und denke ihn einfach und schaue, was sich dabei verändert. Erlebe, wie die belastenden Gedanken immer mehr zurückgehen und die anderen immer mehr auftauchen. Vielleicht wie eine angenehme Stimme, die dich an die neuen, hilfreichen Ideen erinnert … und stelle fest, was sich dabei verändert. Jetzt wechsle mit Hilfe des Fingerdruckes zum angenehmen Ort und genieße ihn … Wenn du das Gefühl von Ruhe wieder spürst, dann bleibe ein bisschen dort … und gehe dann langsam wieder hierher zurück in diesen Raum, in diesen Sessel, öffne deine Augen und sei wieder frisch und munter.“ Nach mehreren Übungsdurchgängen kannst du im Alltag und im Training „wie mit einem Schalter“ von der stressigen Szene in die angenehme Vorstellung wechseln. Du kannst dich damit in belastenden Situationen stärken.
31.1.5. GRÜBELALTERNATIVEN Grübeln heißt, immer wieder dieselben „Sorgengedanken“ denken. Grübeln über einen Misserfolg beeinträchtigt das Selbstvertrauen. Da hilft es nicht, sich vorzunehmen, diese Gedanken nicht mehr zu denken, denn dann werden sie umso stärker. (Beispiel: „Denk nicht an einen rosa Elefanten.“) Drei gedankliche Aspekte sind in dieser Hinsicht förderlich. Denke selbst-motivierend, analysierend und genießerisch: – „Ich bringe heute die beste Leistung, die ich bringen kann.“ – „Nach einer Spitzenleistung analysiere ich, warum die Leistung heute so gut war.“ – „Ich genieße, was ich tu!“ Da Denkprozesse für das Zustandekommen einer Leistung eine wichtige Rolle spielen, solltest du folgende Gedanken vermeiden. 234
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„In Wettkämpfen schaff ich es nie, gute Leistungen zu erbringen“ (verallgemeinernde Selbstabwertung). Besser ist: „Heute war ich einfach nicht in der Lage, eine gute Leistung zu erbringen.“ Schlecht: „ Ich bin nie gut, wenn es schneit.“ (Verallgemeinernd) Besser: „Im Slalom habe ich noch bestimmte Probleme“. Schlecht: „ Mir ging es heute einfach nicht gut“. (Persönlich) Besser: „ Der Lauf war heute wirklich sehr hart“ (erinnere dich an die Kapitel über Attribuierungen/Zuschreibungen).
31.1.5.1. IMAGINATIONSÜBUNGEN FÜR DEN UMGANG MIT GRÜBELGEDANKEN 1. Die Gedankenablage Lagere deine Gedanken so lange ab, bis du sie selbst wieder hervorholen willst. Als „Lagerplatz“ wähle einen verschließbaren Behälter, zum Beispiel eine Truhe. Stelle dir die Truhe jetzt vor. Nun lasse diese Gedanken, die du im Augenblick als störend empfindest, in diesen Behälter strömen. Wenn du alle hineingepackt hast, verschließe sie. Du kannst sie noch zusätzlich sichern, damit die Gedanken sicher gebändigt in der Truhe sind. Dann suche einen schönen Platz für die Truhe und lagere sie dort ab, bis du sie wieder benötigst und dich mit den Gedanken beschäftigen willst. Dann hole sie hervor und öffne sie wieder. Manchen Gedanken kannst du in diesem Behälter lassen und vergessen. 2. Distanz regulieren Sollten dir am Abend, wenn du im Bett liegst, störende Gedanken durch den Kopf gehen, dann stelle dir eine Leinwand vor, auf der dir ein Film vorgespielt wird. Dieser hat deine Sorgen zum Inhalt. Mit einer imaginären Fernbedienung bist du wie bei deinem Fernseher in der Lage, Bild und Ton zu steuern. Du regelst dann den Ton hinunter, bis dieser nicht mehr wahrzunehmen ist. Anschließend verdunkelst du das Bild, bis es ebenfalls verschwindet. 3. Suche deinen sorgenfreien Ort Setze oder lege dich entspannt hin und schließe die Augen. Stelle dir vor, du befindest dich auf einer Reise. Du bist auf dem Weg zu deinem ganz persönlichen Ort, an dem du vor allen Anforderungen des Alltags Ruhe hast. Sieh dir auf deiner Reise zu und betrachte die Landschaften, die an dir vorüberziehen.Vielleicht findest du schnell einen Platz an dem du dich wohl fühlst, vielleicht dauert es aber länger. Lass dir Zeit. Sollten Kognitive Methoden
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dir störende Gedanken folgen, stelle dir vor, sie sind wie eine Wolke, die hinter dir herfliegt, ein Windstoß erfasst sie und weht sie weg. Du kannst deine Gedanken auch in einen Rucksack packen, den du zu Beginn der Reise noch mit dir trägst. Wird er schwerer, suche einen Platz, wo du ihn zwischenlagerst.Wenn du willst, nimm ihn auf dem Rückweg wieder mit. Genieße es, wie leicht und federnd du dich ohne Rucksack fühlst. Suche weiter deinen Ort. Denke an Strände, Wiesen, Seen, geschützte Höhlen oder eine Lichtung im Wald. Wenn du einen Ort gefunden hast, lasse dich dort nieder.Tauche mit all deinen Sinnen ein. Nimm die Farben, Gerüche und Geräusche wahr. Achte auf die Temperaturempfindungen auf der Haut. Was machst du jetzt dort? Wie bewegst du dich? Nimm das wohlige körperliche und seelische Gefühl wahr. Wie könntest du es noch angenehmer machen? Bleibe ruhig einige Zeit dort und genieße die Ruhe. Überlege dir ein Zeichen oder ein Symbol, das dich an diesen Ort erinnert, bevor du wieder in die Gegenwart zurückkehrst. In Gedanken kannst du diesen Ort immer wieder aufsuchen. Je öfter du das tust, desto leichter lässt er sich wieder finden.
31.1.6. UMGANG MIT MISSERFOLG Günstig ist, jeden Misserfolg als Chance zu verstehen und daraus zu lernen. Übung: „Entspanne dich gut, wie du es schon kennst … stelle dir das letzte Match, in dem du wenig erfolgreich warst, noch einmal vor … mit allen Fehlern und vergleiche es mit einem optimalen Match.Was war im optimalen Match besser? Beschreibe das ganz genau.“ Schließe die Übung mit einem der folgenden Sätze: „Nach dem nächsten Match beachte ich nur das, was ich besser gemacht habe.“ „Mit meinen Fehlern kann ich mich auch nach dem Match beschäftigen.“ „Meine Fehler überlass ich dem Trainer“.
31.1.7. NIEDERGESCHLAGENHEIT – ENTMUTIGUNG – PESSIMISMUS Nach einer Serie von Misserfolgen können Niedergeschlagenheit, Entmutigung und Pessimismus auftreten. Die Ursache dafür liegt zumeist in der 236
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Zuschreibung: Der Misserfolg wird persönlich, dauerhaft und allgemein gesehen, z.B. „Ich schaff es einfach nie bei einem Wettkampf gut zu sein“. So wird Misserfolg zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Er wirkt auf pessimistische Sportler entmutigend, weil sie ihn ihrem persönlichen Mangel und permanenten und generell gültigen Faktoren der Umgebung zuschreiben. Eine Niederlage schädigt so auch die Zukunftsperspektive. Abhilfe schaffen kann die Analyse der wahren Ursachen des Misserfolgs mithilfe der ABCDE-Methode von Ellis: A = Aktivierendes Ereignis, z.B. verlorenes Match. B = Gedanken, die durch die Situation entstehen sind oft negativ, z.B. „Ich hab schon wieder alles verhaut – heute ist es schief gelaufen“. Orientiere dich auf den Gedanken: „Das nächste Mal mach ich es so wie sonst immer“. C = Gefühle, die entstehen z.B. Wut, Ärger, Niedergeschlagenheit. Orientiere dich darauf, die Gefühle zu akzeptieren und sie anders zu bewerten. Dann kannst du den Ärger für Wettkampfaggressivität nutzen, die Niedergeschlagenheit reflektieren und daraus eine Neuorientierung machen. D = Hinterfragen der Zuschreibung der entstandenen Situation, z.B. „ist ja klar, der Belag war nicht der meine“. Besser orientierst du dich auf den Gedanken: „Ich habe schon öfter auf einem ungünstigen Belag gut gespielt.“ E = Ergebnis, z.B. Energie zuführen – ich spür wieder Kraft.
31.1.8. KONZENTRATION DURCH DENKEN IN BILDERN Anleitung: (a) „Schließe die Augen und stelle dir 5 Billardkugeln vor, die du vor dich hinlegst. Eine grüne legst du in die Mitte, eine gelbe links von der grünen, eine rote rechts von der grünen, eine blaue zwischen die grüne und die rote und links neben die gelbe eine weiße Kugel. Wenn du fertig bist, zähle die Reihenfolge der Farben der Kugeln von links nach rechts auf.“ (b) „Schließe die Augen und stelle dir eine rote Tafel vor, die in der Mitte ein Loch hat. Gib einen Würfel mit den sechs Seiten und den jeweiligen Punkten darauf hinein und gib dem Würfel eine Farbe. Der Würfel beginnt sich zu drehen. Zuerst im Uhrzeigersinn – langsam, schneller und dann wieder langsamer. – Stopp – Dann dreht er sich gegen den Uhrzeigersinn. – Stopp – Nimm dann den Würfel heraus und klebe ihn in die linke obere Ecke. Jetzt gib in die Vertiefung in der Mitte eine Pyramide.
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Gib ihr eine Farbe. Wieder dreht sie sich in beide Richtungen, schneller, langsamer. Stopp: Nimm sie heraus und klebe sie in die rechte untere Ecke.“ Wie gut konntest du dir die Bewegungen der beiden geometrischen Körper vorstellen?
31.1.9. VERANKERN Jedes Erleben setzt sich aus unterschiedlichen Sinnesmodalitäten, wie Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Fühlen zusammen. Der Begriff Verankern bezieht sich darauf, erlebte Situationen mithilfe dieser Sinne zu reaktivieren. Du hast sicher schon einmal erlebt, dass du irgendwo einen bestimmten Geruch in der Nase hattest und schon war eine Erinnerung an eine Situation da, die mit diesem Geruch in Zusammenhang stand. Der Geruch ist also ein Anker. Auch ein Lied oder eine Melodie können Anker sein für frühere Erinnerungen. Man kann auch körperliche Anker setzen für gute Gefühle, die man in Wettkampfsituationen braucht. Es kann z.B. das Schnipsen der Finger bedeuten, dass du dir jetzt das Gefühl holst, das du in einer Trance für einen Wettkampf gespürt hast.
31.1.10. DAS VIELSEITIGE DENKEN 1. Kinderspiel für Erwachsene Du streichst dir kreisförmig über den Bauch und klopfst mit der anderen Hand zugleich auf den Kopf. Nachdem du das einige Male praktiziert hast, kehrst du den Vorgang um und streichst dir mit der einen Hand über den Kopf und klopfst dir gleichzeitig auf den Bauch. In dieser einfachen Übung liegt der Schlüssel zur Koordination von Bewegungsabläufen. Es werden dadurch Funktionen des Gehirns aktiviert und andere neu geordnet. 2. Multikoordination Suche dir einen Platz, wo du dich frei bewegen kannst. Lass deinen Kopf und deine Schultern gleichzeitig nach links und rechts schwingen. Wenn du das beherrscht, lasse deinen Kopf und deine Schultern gegengleich schwingen. Während dein Kopf nach rechts schwingt, schwingen deine Schultern nach links und umgekehrt. Wenn Du das einige Male gemacht und gekonnt hast, lass Kopf und Schultern wieder miteinander schwingen, nach einigen Malen wieder gegeneinander. Führe diese
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Bewegungen so lange aus, bis du das Gefühl hast, es gelingt dir gut. Als Abschluss machst du wieder die Gegenbewegungen und pfeifst oder singst dazu ein Lied. 3. Überkreuzübung Stelle dich aufrecht hin, lass deine Arme nach vorne hängen und drehe deine Hände und Füße nach außen. Dann drehe Hände und Füße gleichzeitig nach innen und wechsle die Bewegungen mit Drehen nach außen und innen mehrere Male ab.Wenn Du das beherrscht, bewegst du Hände und Füße gegengleich, d.h. während du die Hände nach außen gibst, drehst du die Füße nach innen und umgekehrt. Das machst du so lange, bis du merkst, es geht von selbst.
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METHODEN DER KONZENTRATION In den meisten hier angeführten Methoden sind mehrere Elemente enthalten: Wahrnehmung, Denken, Bildvorstellung, Aufmerksamkeit, Entspannung und Konzentration sind kaum zu trennen.
32.1. ALLGEMEINE KONZENTRATIONSÜBUNG Anleitung: „Schließe entspannt die Augen.Vor deinen Augen entsteht jetzt eine große dunkle Fläche. Betrachte diese Fläche, nichts darf sich auf ihr bewegen. Schiebe alles, was sich aufdrängen möchte, zur Seite. Es wird dir nur jeweils einige Sekunden gelingen, die Fläche vollkommen frei zu bekommen. Immer wieder musst du rotierende Scheiben oder Wellenlinien beiseite schieben. Bleibe konzentriert bei der dunklen Fläche. Wenn dir das eine Minute lang gelingt, ist es eine gute Ausgangsleistung. Ziel ist es, fünf Minuten zu schaffen. Schließe bewusst entspannt die Augen. Konzentriere dich auf das Einatmen. Die Luft streicht durch die Nase. Du spürst es ganz deutlich. Es wird dir bewusst, du registrierst: ich atme bewusst und spürbar ein. Nun atme bewusst aus. Du spürst die Luft durch den leicht geöffneten Mund leicht zwischen Lippen und Zähnen entweichen.“
32.2. SCHULE DER SINNE Konzentration kann zwar nicht erzwungen werden, aber die Schulung der Sinne kann große Konzentrationsfähigkeit freimachen.
32.2.1. SEHEN (a) Betrachte bewusst die Mitmenschen deiner näheren Umgebung; wie sind ihre Gesichtsform, die Augen, wie die Farbe der Haare. Vergleiche das Ergebnis deiner Gedankenarbeit mit der Wirklichkeit. Mache dir richtige und falsche Ergebnisse bewusst. (b) Schließe die Augen, wende deinen Kopf in eine ganz bestimmte Richtung. Blicke nun einen Sekundenbruchteil ganz kurz auf, werde dir
dabei bewusst, was du gesehen hast. Mach dasselbe noch einmal. Was kommt an Gesehenem hinzu? Wiederhole das, bis du glaubst, das gesamte Bild deines Blickfeldes erkannt zu haben. Prüfe danach, ob du die wesentlichen Dinge erkannt hast. Nach mehrmaligem Üben kommst du mit immer weniger Aufblendungen aus, um dein Blickfeld im Detail zu erfassen.
32.2.2. HÖREN (a) Stelle bewusst das Radio oder Fernsehgerät bei gesprochenen Sendungen leiser und bemühe dich, trotzdem alles zu verstehen. (b) Lausche konzentriert auf die Geräusche der Natur (Blätterrauschen, Säuseln des Windes, Rauschen des Baches, Wellenschlag am Seeufer, Tierstimmen, Insektensummen, Zirpen von Grillen) oder auf Geräusche an der belebten Straßenkreuzung. (c) Achte auf Sprechgewohnheiten deiner Gesprächspartner (Stimmhöhe, Sprechgeschwindigkeit, Deutlichkeit, Dialektfärbung, Flüssigkeit).
32.2.3. RIECHEN (a) Nimm die Duftnuancen von Speisen bewusst wahr; wähle dabei treffende Ausdrücke wie würzig, verbrannt, faulig. (b) Nimm die Duftnuancen von Getränken bewusst wahr; wähle treffende Ausdrücke wie blumig, aromatisch. (c) Nimm bewusst die Gerüche in der Straße einer Stadt auf (Benzin, Öl, Abgase, Abwässer, Rauch).
32.2.4. TASTEN (a) Betaste mit den Fingern bei geschlossenen Augen verschiedene Gegenstände, die dir von jemandem gereicht werden und beschreibe Form, Material, Festigkeit, Oberflächenbeschaffenheit, Gewicht. (b) Nimm mit deinen bloßen Zehen die Bodenbeschaffenheit wahr. Wie fühlt sich der Boden an? Ist er steinig, sandig, sumpfig, weich, handelt es sich um Erde, Stein, Kies, Holz, Asphalt? (c) Spüre bewusst, wie der Wind dein Gesicht umspielt. Konzentriere dich ausschließlich auf dieses Gefühl. Der Eindruck wird intensiver, wenn du dabei die Augen schließt.
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32.2.5. SCHMECKEN (a) Genieße Speisen bewusst. Beurteile das, was du schmeckst, so treffend wie möglich. Beschränke dich nicht auf allgemeine Urteile, wie es schmeckt: gut, ausgezeichnet, schlecht. Wähle differenzierte Ausdrücke, wie zuckersüß, honigsüß, salzig, bitter, gesalzen, mild, stark, gepfeffert, saftig, zart, zäh, knusprig. (b) Genieße bewusst Getränke. Urteile auch hier möglichst treffend wie spritzig, aromatisch, zart, dünn, hopfig, malzig, feurig, rassig, füllig, gehaltvoll. (c) Partnerübung: Dein Partner bietet dir mehrere Sorten Getränke (Speisen) an. Diese solltest du mit verbundenen Augen bestimmen.
32.2.6. DIE BLINZEL-ÜBUNG Ist einfach: Man setzt sich an den Computer, macht eine Website auf, schließt aber gleich wieder die Augen und öffnet sie erst nach 20 Sekunden wieder – allerdings nur für einen klitzekleinen Moment. Sobald die Augen erneut geschlossen sind, versucht man im Kopf zu beschreiben, was man in diesem kurzen Moment auf dem Bildschirm gesehen hat. Dieses „Blinzeln“ wiederholt man in der Folge so lange, bis man die gesamte Website beschreiben kann. Das verlangt einem, wie man rasch feststellen wird, einiges an Konzentrations- und Erinnerungsvermögen ab.
32.2.7. GESTERN – HEUTE – MORGEN (a) Lasse das Tagesgeschehen von früh bis abends noch einmal im Geiste an dir vorüberziehen. Diese Übung wird in späteren Durchgängen dadurch erschwert, dass der umgekehrte Weg gewählt wird, also vom Jetzt zum Vergangenen. (b) Lasse den vermutlich morgigen Tagesablauf gedanklich an dir vorüberziehen. Gehe in Gedanken Wege, die du oft zurücklegst. Registriere dabei alle wichtigen Stationen, wie Fußgängerübergänge, Geschäfte, Ämter, Parkplätze, Haltestellen.
32.2.8. PHANTASIEVORSTELLUNG Stelle dir möglichst phantasievoll das Leben und die Probleme einer im Meer schwimmenden Stadt, einer Stadt unter dem Meeresspiegel oder einer fliegenden Stadt vor. Konzentriere dich längere Zeit auf diese Aufgabe.
Methoden der Konzentration
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Wie wird unser Leben (Gesundheit, Erholung, Arbeits- Berufsleben, Freizeit, Ernährung) in 30 Jahren aussehen? Was könnte geschehen, a) b) c) d)
wenn jeder Mensch genau 100 Jahre alt würde? wenn jeweils ein Jahr Sommer und ein Jahr Winter wäre? wenn es keinen Wind mehr gäbe? wenn es keine Nacht mehr gäbe?
32.2.9. DIE 2-MINUTEN ÜBUNG Setze dich vor eine Uhr, die einen Sekundenzeiger hat. Entspanne dich einige Augenblicke, sammle deine Aufmerksamkeit und konzentriere dich, sobald du bereit bist, auf die Bewegung des Sekundenzeigers. Achte zwei Minuten lang nur auf die Bewegung des Sekundenzeigers, als ob nichts anderes auf der Welt existierte. Wenn du den Faden verlierst, weil du über etwas anderes nachgedacht hast oder weil du einfach geistig weggetreten warst, halte inne, sammle deine Aufmerksamkeit und beginne von vorne. Versuche, zwei Minuten lang konzentriert zu bleiben. Höre nun auf zu lesen, nimm eine Uhr und führe die Übung aus. Beginne jetzt. Um die Grundübung ein wenig interessanter zu machen, kannst du auch folgende Variation ausprobieren: Lege die Uhr direkt vor den Fernseher, während gerade ein Krimi läuft, Nachrichten oder Werbung gezeigt werden. Versuche genau zwei Minuten lang nur auf den Sekundenzeiger zu schauen. Erlaube dem Fernseher nicht, das Zentrum deiner Aufmerksamkeit zu werden. Konzentriere dich halb auf die Bewegung des Sekundenzeigers und halb auf deine Hände. Teile deine Aufmerksamkeit genau in der Mitte. Richte deine Aufmerksamkeit halb auf die Bewegung des Zeigers und halb auf eine Zahlenreihe. Sage im Geiste die Zahlen 2, 4, 6, 8, 10, 8, 6, 4, 2, 4, 6, 8 auf und behalte beides im Kopf. Sobald du merkst, dass du auch über etwas anderes nachdenkst oder den Faden verloren hast, fange wieder von vorne an. Halte wenigstens 2 Minuten lang durch.
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Kapitel 33
ENTSPANNUNGSMETHODEN Suche dir Techniken, die zu dir passen. Es gibt dem psychologischen Quadrat entsprechend Techniken für den Körper, für das Denken und für die Gefühle. Auch die vierte Seite, das Verhalten und die Aktivitäten, kann mit bestimmten Techniken sehr positiv beeinflusst werden. Entspannung kann aktivierend oder beruhigend sein, sie muss jedoch ausführlich trainiert werden. Ohne Übung ist in den Stresssituationen des Wettkampfs keine Wirkung zu erzielen. Und auch für die Entspannung nach Belastungssituationen ist häufiges Üben vonnöten. Mache deine Übungen überall: in der Halle, am Berg, als Beifahrer im Auto, in den Pausen während der Sportausübung, im Wohnzimmer. Nutze die Zeit während der Fahrt zum Training! Entspanne dich in allen Lebenslagen, sitzend, liegend, stehend. Deine Übungen sind in jeder Haltung und Situation möglich; entweder nur für kurze Momente, einige Minuten oder auch länger!
33.1 ENTSPANNUNGSATMEN Entspannungsatmen ist ein „Allheilmittel“ – es wirkt generell in allen Situationen.Weil der Körper dadurch gut durchblutet und erwärmt wird, eignet es sich auch für Schlechtwettersituationen. Es kann bis spätestens eine halbe Stunde vor dem Start durchgeführt werden. Anleitung: „Lege oder setze dich bequem hin. Nimm dir fünf Minuten Zeit. Wenn du willst, schließe die Augen und konzentriere dich auf das Atmen. Atme ein, und zähle bis drei. Eins … zwei … drei. Dann atme aus und zähle bis vier. Warte kurz, und atme erneut ein. Eins, zwei, drei. Atme aus. Eins … zwei … drei … vier. Warte kurz, und atme wieder ein. Eins, zwei, drei. Atme aus. Eins … zwei … drei … vier. Wähle deinen eigenen Rhythmus. Wenn er bis drei nicht passt, zähle bis zwei oder bis fünf. Wie du willst.
Lass deine Schultern hängen, und lockere deinen ganzen Körper so gut es dir gelingt. Betone das Ausatmen. Atme länger aus als ein. Tiefes Einatmen aktiviert, ausatmen entspannt. Atme, wenn möglich, durch die Nase ein und durch den Mund aus. Spüre, wie die Luft beim Einatmen an den Nasenschleimhäuten vorbei in die Luftröhre fließt und die Lungen füllt. Stelle dir jetzt vor, dass die Luft die Lungenspitzen erreicht und weiter nach unten bis zum Zwerchfell fließt. Atme aus und sage innerlich bei jedem Ausatmen das Wort „Loslassen“. Atme wieder locker ein und kräftig aus. Das Ausatmen kann mit einem Geräusch verbunden sein. Lasse den Atem bis in den Bauch hinunter fließen. Beobachte, wie sich die Bauchdecke beim Einatmen hebt und beim Ausatmen senkt. Du kannst deinen Atem auf seinem Weg durch den Körper begleiten. Dadurch richtest du die Aufmerksamkeit auf den Körper. Du spürst immer besser, wo im Körper Spannungen sind und wie diese lockerer werden. Komme nun aus der Konzentration auf das Atmen heraus. Atme dreimal kräftig ein und aus. Mache seine Hände zur Faust, öffne die Hände wieder und auch langsam die Augen.“
33.2. BLITZENTSPANNUNG Diese ist bis kurz vor Wettkampfbeginn einsetzbar und schnell erlernt. Anleitung: „Nimm eine bequeme und aufrechte Haltung im Sitzen oder im Stehen ein. Spanne alle Muskeln so fest du kannst an. Halte die Spannung sieben Sekunden. Stell dir vor, du bist eine Marionette, die an mehreren Fäden aufgehängt ist. Deine angespannten Arme und Hände, dein Nacken, deine Beine und Füße hängen an diesen Fäden. Nun kommt jemand mit einer Riesenschere und schneidet alle Fäden mit einem schnellen Schnitt durch. Du lässt blitzartig alles hängen und atmest gleichzeitig aus. Deine gesamte Muskulatur ist jetzt von Kopf bis Fuß locker und entspannt. Genieße diesen Moment.“
33.3. DIE KÖRPERREISE ZUR ENTSPANNUNG Für diese Übung solltest du dir ausreichend Zeit nehmen und einen ruhigen Ort wählen. Sie ist besonders geeignet für nachhaltige körperliche und geistige Erholung und wird deshalb in lang andauernden Belastungssituationen besonders nützlich sein. Man gelangt damit früher in die Erholungsphase und die Erholung wird intensiver.
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Anleitung: „Mache es dir bequem … finde eine Position, in der du dich wohl fühlst … in der du bequem sitzt oder liegst … Gehe deinen Körper in Gedanken vom Kopf bis zu den Zehenspitzen durch und bleibe dort stehen wo du ein angenehmes Gefühl empfindest … Beginne mit dem Kopf … und gehe weiter über den Hals … zu den Schultern … Schaue, ob die Schultern gut in Kontakt mit der Lehne sind, an der du anlehnst … und gehe weiter über den Rücken … und den Oberkörper … zum Bauchbereich … und von dort weiter zum Becken … und über die Oberschenkel … und Unterschenkel … bis zu den Füßen … und Zehen … und Zehenspitzen … Wenn du irgendwo im Körper ein angenehmes Gefühl feststellst, dann bleibe dort … sowohl mit deinen Gedanken … als auch mit dem Gefühl selbst … und versuche dieses Gefühl so wahrzunehmen, dass du schaust, welche Farbe zu diesem Gefühl passt … und dass du hörst, ob irgendwelche Stimmen, Melodien oder Töne dazu passen … und dass du riechst, ob du einen Geruch findest, der zu diesem angenehmen Gefühl passt … und wenn du dieses Gefühl so wahrnehmen kannst, dass es dir ganz wohl tut … dann schaue nach, ob es ein Gefühl ist, das eher warm ist … oder eher kalt ist … und dieses angenehme positive Gefühl kann sich von diesem Ort, wo du es jetzt wahrnimmst, auch in andere Teile des Körpers ausbreiten … Nimm es jetzt, es kann auch stärker werden … Konzentriere dich gut darauf und sei neugierig, wohin sich dieses Gefühl ausbreitet … ob es so bleibt in seiner Qualität … oder ob es sich verändert … dein Unbewusstes weiß genau was das für ein Gefühl ist … lasse dir einfach Zeit … und wenn du dir jetzt einen Ort vorstellst, der mit angenehmen Erinnerungen verbunden ist … an den du gerne zurückdenkst … dann kann sich dieses angenehme Gefühl ausbreiten … einfach Ruhe und Geborgenheit … vielleicht im Bauch … in den Händen … vielleicht auch um die Augen … die Wangen … übers Gesicht sich ausbreiten … den Hals … Schultern … immer tiefer … Oberkörper … Unterkörper … und während dieses inneren Sehens … Hörens … Spürens … kannst du sicher auch sehen, wo du bist … was du wahrnimmst … wo du jetzt mit deiner Wahrnehmung bist … Dieses Bild sollst du auf dich wirken lassen … ganz dabei sein … ganz dort sein, wo du jetzt bist … Und diese Erfahrung kannst du, wann immer du es willst, wieder erleben, indem du jetzt deinen Daumen und den Zeigefinger zusammendrückst … und ganz gut dieses Gefühl spürst … Diese Erfahrung von Ruhe … Und während du langsam in diesen Raum zurückkehrst … kann dein Unbewusstes überprüfen, wo es dir möglich ist, diese Erfahrung in deinen Alltag einzubauen … so dass du wie nach einem Miniurlaub einfach Erholung und Frische weiterspürst … In diesem Raum, in dieser Zeit und wenn du jetzt tief einatmest … und zwei mal, drei mal so richtig auch tief ausatmest und Entspannungsmethoden
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deine Arme ein bisschen wegstreckst, dann kannst du wieder ganz frisch und munter da sein.“
33.4. PROGRESSIVE MUSKELENTSPANNUNG (KURZVERSION) 15 MINUTEN Die Jacobson-Muskelentspannung (1938) ist zur Aktivierung des Körpers und des Geistes geeignet. Sie empfiehlt sich, wenn Verspannungen bestimmter Muskelgruppen häufiger auftreten, weil die An- und Entspannung gezielt auf bestimmte Muskelgruppen konzentriert wird; ebenso ist sie sehr wirksam bei innerer Unruhe. Muskelentspannung ist sehr schnell erlernbar, weil der Wechsel zwischen Anspannung und Entspannung gut spürbar ist. Grundsätzlich sollte auf Folgendes geachtet werden: Versuche gezielt nur jene Muskelregion anzuspannen, die du anspannen willst. Achte darauf, die benachbarten Muskelbereiche locker zu halten. 1. Entspannung der Arme und Hände „Setze dich möglichst bequem auf dem Stuhl zurecht, lasse deine Muskeln locker … Schließe jetzt deine Hand zur Faust und spanne die Muskeln immer fester an (wähle die dominante Hand zuerst) und achte auf die Spannung in deiner Faust und in deinem Unterarm … halte die Spannung fünf bis sieben Sekunden an… und nun lasse ganz locker, achte auf den Entspannungszustand deiner Hand und deines Unterarms. Versuche, die Finger deiner Hand immer mehr zu entspannen. Schließe deine rechte (linke) Hand noch einmal fest zusammen, spanne wie zuvor die Handmuskeln immer fester an … halte die Spannung und beobachte sie … gib jetzt nach und achte auf den Übergang von der Spannung zur Entspannung. Es kommt darauf an, dass du die verschiedenen Empfindungen, die bei der Anspannung und Entspannung entstehen, genau beobachtest. Wiederhole diese Übungen mit der anderen Hand. Spanne nun beide Hände und beide Unterarme an … und entspanne. Achte wieder auf den Übergang von Anspannung und Entspannung. Als Nächstes spanne nun den rechten (linken) Oberarm an. Winkle den Ellbogen an und spanne die Oberarmmuskeln fest an. Achte auf die Spannung und lasse jetzt locker … Du spürst wieder den Übergang von Anspannung zu Entspannung. Lasse den Oberarm ganz locker und achte auf die Empfindungen der Entspannung. Wiederhole noch einmal die Anspannung der Oberarmmuskeln, halte die Spannung und lasse jetzt den Arm wieder sinken. Entspanne und achte wieder auf den Unter-
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schied; strecke den Arm nun so weit, dass du die Anspannung, die dabei entsteht, intensiv an der Rückseite des Armes spürst. Achte auf die Spannung … und entspanne. Lege den Arm wieder bequem auf. Entspanne noch weiter. Du spürst, dass der Unterarm und die Hand jetzt mit dem ganzen Gewicht auf der Lehne des Stuhls aufruhen. 2. Entspannung der Gesichtsregion einschließlich Hals, Schultern und oberer Rücken. Setze dich bequem wieder in den Stuhl. Achte auf deine Stirn und ziehe die Stirnmuskeln fest nach oben, so dass horizontal auf der Stirn Falten entstehen. Halte die Spannung und beobachte die Spannungsempfindungen an der Stirn. Entspanne jetzt und lasse die Stirn wieder glatt werden. Du spürst, wie sich die Stirn immer mehr entspannt – Du spürst, wie mit der Entspannung der Stirn die ganze Kopfhaut locker wird … Wiederhole die Anspannung und allmähliche Entspannung der Stirn. Jetzt ziehe deine Augenbrauen zusammen, so dass an der Stirn über den Augen senkrechte Falten entstehen. Achte wieder auf die Spannung und lasse locker. Du spürst wieder den Übergang von Anspannung zur Entspannung. Und nun versuche auf der Stirn Querfalten und Längsfalten gleichzeitig zu bilden. Die Stirn ist jetzt ganz verspannt. – Halte die Spannung … und jetzt lasse locker. Achte wieder auf den Übergang von Spannung zur angenehmen Entspannung. Lasse die Stirnmuskeln ganz locker werden. Schließe jetzt fest die Augen, spüre die Spannung in der Augenpartie … und entspanne. Halte deine Augen leicht geschlossen und achte auf die Entspannung. Als nächstes rümpfe deine Nase; so dass du die Spannung an der Nase deutlich spürst… und lasse wieder locker. Du spürst jetzt, dass deine Nase, deine Nasenflügel entspannt sind. Jetzt presse deine Kiefer zusammen und spüre, wie deine Zähne aufeinander beißen. Achte auf die Spannung in der gesamten Kieferpartie. Entspanne jetzt wieder. Lasse dabei deine Lippen und Wangen ganz locker. Drücke jetzt die Zunge gegen den Gaumen, achte auf die Anspannung … und lasse nun die Zunge wieder in eine lockere Stellung zurückkommen. Presse jetzt die Lippen aufeinander, halte die Spannung und spüre, wie dabei die Lippen und die Wangen angespannt sind. Lasse jetzt locker und achte wieder auf den Gegensatz zwischen Spannung und Entspannung. Entspanne nun dein ganzes Gesicht, die Stirn und die Kopfdecke, die Augen, die Nase, die Lippen und die Wangen, den Unterkiefer und das Kinn. Lasse den Unterkiefer und das Kinn ganz locker herabhängen. Entspannungsmethoden
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Jetzt drücke den Kopf zurück, so dass du die Spannung in deinem Nacken spürst, drehe den Kopf nach rechts herüber und achte genau auf dieVeränderung der Spannung. Rolle den Kopf nach links. Achte auf die Spannung und hebe wieder den Kopf; dabei verschwindet die Spannung im Nacken. Lasse nun den Kopf nach vorn fallen. So dass das Kinn gegen das Brustbein drückt … Achte auf die Spannung im Hals und im Nacken und bewege den Kopf wieder nach oben. Du spürst wie die Entspannung eintritt. Balanciere den Kopf zwischen den vier Möglichkeiten: vorn – hinten – seitlich links- und rechts – so aus, dass die Spannung im Hals und im Nacken verschwindet. Jetzt ziehe deine Schultern in die Höhe, achte auf die Spannung, die dabei entsteht … und jetzt lasse die Schultern fallen und spüre die angenehme Entspannung …. Spanne die Schultern noch einmal an. Achte dabei auf die Empfindungen der Anspannung. Der ganze obere Rückenteil ist angespannt … Lasse nun locker. Achte auf die Entspannung, indem du immer mehr locker lässt. Du spürst, wie die Entspannung bis in die Rückenmuskeln hineinstrahlt. Lasse jetzt auch den Nacken, den Hals, den Kiefer und das Gesicht ganz locker. 3. Entspannung von Brust und Rücken Lasse deinen ganzen Körper locker. Achte auf deinen Atem, wie die Luft ein- und ausströmt … Halte nach dem Einatmen die Luft für kurze Zeit an, und achte dabei auf die Spannung in deiner Brust … Lasse die Luft wieder aus und achte, wie beim Ausatmen die Brust angenehm entspannt ist. Wiederhole das Einatmen, achte wieder auf die Spannung der Brust und genieße die Entspannung beim langsamen Ausatmen. Nun richte deine Aufmerksamkeit auf deine Bauchpartie. Spanne deine Bauchmuskeln an und beobachte die Anspannung deines Bauches … Entspanne die Bauchmuskeln und spüre dabei den Übergang von Anspannung und Entspannung. Wiederhole das Anspannen und Entspannen des Bauches. Ziehe deinen Bauch nun ganz ein, du spürst dabei die Muskelspannung … Lasse jetzt locker. Achte wieder auf die Empfindungen der Entspannung des Bauches. Richte deine Aufmerksamkeit wieder auf deinen Atem und spüre, wie jedes Ein- und Ausatmen, die Brust und den Bauch ein wenig anspannt und dann wieder entspannt. Lasse jetzt deine Aufmerksamkeit zum unteren Teil deines Rückens wandern. Krümme deinen Rücken nach vorn, spüre dabei die Spannung 250
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entlang der Wirbelsäule. Entspanne den Rücken, indem du dich ganz locker in den Stuhl fallen lässt. Entspanne dabei den ganzen Rücken. Lasse die Entspannung der Rückenmuskulatur nach vorn ausstrahlen zur Brust, zum Bauch, zu den Schultern, den Armen und dem Gesicht … Wiederhole die Anspannung und Entspannung des Rückens. 4. Entspannung der Sitzmuskel, der Beine, der Füße und der Zehen. Spanne deinen ganzen Körper an, und entspanne ihn. Achte nun auf deine Sitzmuskeln, Oberschenkel und Unterschenkel. Presse deine Fersen jetzt fest gegen den Boden, deine Zehenspitzen sind gegen dein Gesicht gerichtet. Spanne dabei deine Unterschenkel, Oberschenkel und Sitzmuskeln fest an. Halte die Spannung … und lasse locker. Achte wieder auf den Gegensatz von Anspannung und Entspannung. Presse deine Fersen noch einmal gegen den Boden. Deine Zehenspitzen sind nun aber von deinem Gesicht abgewandt. Achte wieder auf die Spannung deiner Unterschenkel, Oberschenkel und Sitzmuskel … Du spürst, wie die Spannung sich von den Füßen hinaufzieht zu den Unterschenkeln, Oberschenkeln und Sitzmuskeln … Entspanne dich wieder … Lasse die Muskeln ganz locker werden und spüre, wie die Entspannung von den Füßen und Beinen hinaufströmt zum Rücken, vor zur Brust und zum Bauch, zu den Schultern, den Armen und Händen. Entspanne auch deinen Nacken und dein Gesicht. Lasse deinen ganzen Körper locker und entspannt werden. Du spürst jetzt, dass du mit deinem ganzen Gewicht auf dem Stuhl ausruhst.“ (Nach Wolfgang Tunner)
33.5. SCHLÜSSELSCHLAF Alle hier angeführten Übungen sind in vielen Lebenslagen einsetzbar. Im Sinn der Übersicht sind hier besonders passende Übungen für die spezielle Situation des Hochleistungssports ausgewählt und dargestellt. Der Schlüsselschlaf ist hilfreich, wenn du vor einem Wettkampf in einer Halle lange auf den Start warten musst, wenn über längere Zeit „nichts passiert“. Anleitung: „Setz dich irgendwo hin, nimm etwas (z.B. einen Schlüssel) in die Hand. Konzentriere dich auf den Schlüssel oder auf deinen Atem. Du nimmst den Lärm rund um dich wahr, aber er ist nicht wirklich wichtig und du hörst ihn weit weg.“
Entspannungsmethoden
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33.6. ABSCHIRMEN Durch eine ruhige Körperbewegung – ein „langsames Wegdrehen“ – baust du die Vorstellung auf, dass du einen Schutzwall um dich herum errichtest, der dich vor Lärm und Nervosität abschirmt. Das bewusste Wegdrehen gibt dir das Signal, dass du jetzt geschützt bist.
33.7. MUSIKENTSPANNUNG Anleitung für eine wettkampfferne Situation: Nimm dir zum Wettkampf „deine Musik“ mit und setze ca. eine halbe Stunde vor dem Wettkampf die Kopfhörer auf und stelle die Musik an. Stelle dir gleichzeitig vor deinem inneren Auge eine Kerze vor. Lass die Flamme der Kerze immer heller und dann wieder schwächer werden. Wechsle eine zeitlang zwischen heller und dunkler. Dann gib der Flamme immer mehr Licht, bis sie so hell ist, dass alles vor deinem inneren Auge erleuchtet ist und lass es dann langsam wieder dunkler werden. Anleitung für eine wettkampfnahe Situation: Nimm deine Musik, die dich unterstützt. Wenn du Aktivierung vor dem Wettkampf brauchst, greif zur aktivierenden, wenn du beruhigende brauchst, wähle eine beruhigende Nummer. Zwischen die Musikstücke sprich deine Selbstaufforderung! Sie kann auf der Ebene der körperlichen-muskulären Aktivität liegen: „Ich gehe mit sicherem Schritt auf den Platz“. Sie kann aber auch die autonom-vegetative Seite des Körpers ansprechen: „Mein Herzklopfen ist ok., das Schwitzen ist ein Zeichen für meinen guten Aktivierungslevel. Die Nerven dürfen jetzt flattern. Wenn ich am Platz bin, weiß ich, dass ich nur mehr ans Spiel denke.“ Die Selbstaufforderung kann gedanklich-motivationaler Natur sein: „Heute gebe ich alles. Komme was wolle.“ Sie kann gedanklich-zielorientiert sein: „Meine Schwäche ist der Beginn. Ich brauche lange, bis ich warm werde. Ich habe in letzter Zeit daran gearbeitet, sofort in Schwung zu sein. Bereits beim ersten Aufschlag bin ich hellwach und schnell auf den Beinen.“ Du kannst mit dem inneren Befehl auch die Gefühle ansprechen: „Es ist ein wichtiger Tag. Ich freue mich auf das Spiel.“
33.8. GENUSSTRAINING (NACH KOPPENHÖFER, 2004) Das Ziel ist das Ausweiten und Stabilisieren von „gesunden Fähigkeiten“. Der Zugang zu Genüssen muss oft erst gelernt werden. (Genuss zu verordnen wäre der falsche Weg.) 252
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1. Genuss braucht Zeit: Wo kann ich mir die Zeit nehmen, um Genuss zu lernen. Oft sind es nur Augenblicke wie der Blick aus dem Fenster, eine schöne Aussicht, ein blühender Baum. 2. Genuss muss erlaubt sein – das ist die zentralste Regel. 3. Genuss erfordert Aufmerksamkeit und Konzentration auf sich selbst. 4. Genuss ist Geschmackssache. Wie empfinde ich? Was tut mir gut? 5. Weniger ist mehr… 6. Ohne Erfahrung gibt es keinen Genuss: Genüsse muss man ausprobieren! 7. Genuss ist alltäglich: Genuss soll nicht auf den Urlaub „verschoben“, sondern in den Alltag eingebaut werden.
33.9. QI GONG Qi Gong bedeutet „Energiearbeit“ und wird seit ca. drei Jahrtausenden in China praktiziert, um Krankheiten (sowohl physischer als auch psychischer Natur) zu behandeln und das psychophysische Gleichgewicht wiederherzustellen. Qi wird als eine feinstoffliche Energieform, eine Art Vital- und Lebensenergie verstanden, die alle Lebensfunktionen aufrechterhält und reguliert. Diese Energie zirkuliert in den Leitbahnen („Meridianen“) durch den ganzen Körper und versorgt alle Organsysteme, damit diese ihre Funktionen wahrnehmen können. Durch die Regulierung der Vorstellungskraft im Qi Gong soll die geistige Aktivität gebündelt und auf die Übungen orientiert werden.
33.9.1. METHODEN ZUR REGULIERUNG DES KÖRPERS DIE HÄNDE TRAGEN Nimm eine aufrechte Haltung ein, atme ruhig, dein Geist und die Muskeln sind entspannt. Verschränke die Hände vor dem Körper und führe sie beim Atmen nach oben. Die Handflächen zeigen nach oben, vor dem Kopf werden die Hände gedreht und über dem Kopf verschränkt (die Handflächen nach oben). Die Augen blicken auf die Handrücken. Bleibe in dieser Position, bis sich ein Wärmegefühl an den Außenseiten der Arme und im Oberkörper ausbreitet. Alle Gelenke bleiben gelöst, die Muskeln sind entspannt, die Übung findet ohne Kraftaufwand statt, die Atmung bleibt natürlich. Funktion: Die Dehnfähigkeit wird verbessert, die Leitbahnen im Oberkörper werden stimuliert und öffnen sich.
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DER AFFE ZIEHT SEINEN KÖRPER ZUSAMMEN Die Knie werden gebeugt und das Gesäß sinkt in Richtung der Fersen ab. Die Hände bleiben auf dem Boden und man sinkt in die sitzende Position. Die Knie bleiben geschlossen, die Fersen werden nicht vom Boden gehoben, dein Blick geht schräg nach unten in die Ferne. Atme lang und intensiv aus, die Sitzposition kann auch höher gewählt werden, wichtig ist, dass die Fersen auf dem Boden bleiben. Funktion: Ausatmen der „trüben“ Luft, um die Lunge zu reinigen und das schlechte Qi aus der Lunge zu pressen. Ein Überblick über Entspannungsverfahren ist in Seiler und Stock (1994) und die theoretischen Grundlagen sind in Vaitl und Petermann (1993) bzw. in Petermann und Vaitl (1994) zu finden.
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TEIL VII PRAXISBEISPIELE „Was uns Probleme macht, sind nicht die Dinge an sich, sondern die Meinungen, die wir über die Dinge haben.“ Epiktet, griechischer Philosoph „Trenne die Meinungen von den Fakten.“ Journalistische Grundregel
Kapitel 34
TIPPS UND REGELN 34.1. KONZENTRATION IM TRAINING – Aktiviere und konzentriere dich vor jeder Trainingseinheit. – Je intensiver und überlegter du trainierst, desto besser sind die Voraussetzungen für die Wettkampfsaison. – Nütze jede Trainingsminute und jede Minipause: für Ideen, körperliche Aktivitäten oder Entspannung und Erholung. Das hilft dir in den schwierigen Situationen während der Rennen/Wettkämpfe. Also nütze die kleinsten Pausen! – Rechne dir aus, wie viele Trainingstage du insgesamt verlierst, wenn du täglich nur eine einzige Trainingseinheit unkonzentriert ausführst. – Jede unkonzentriert durchgeführte Einheit ist sinnlos! – Die Pausen zwischen den Trainingseinheiten sind sehr wichtig.Verstehe die Pausen als Teil des Trainings! Nütze sie für Regeneration und Entspannung. Geh gedanklich weg vom Grübeln, entspanne dich muskulär, baue dich gefühlsmäßig auf, plaudere mit anderen. Die Techniken Gedankenstopp und Aufmerksamkeitslenkung helfen dir dabei (siehe Techniken). – Besprich die letzte Trainingseinheit und ziehe entsprechende Schlussfolgerungen daraus. – Erkenne die Unterschiede, wenn du eine Übung anders gestaltest. Was ist anders in der Körperhaltung, und was ist der Effekt? Was tut sich in dir, wenn du mit einem anderen Gedanken in die Übung hinein gehst? – Baue bereits in dein Training mentale Pläne für den Wettkampf ein. – Beobachte andere in deinem Team. Was machen sie gut und was kannst du davon lernen? – Mache dich nicht lustig über die Fehler anderer.
34.2. ENTWICKLE DEINE NEUGIER UND DEINE IDEENLANDKARTE – Stelle dir die Frage: „Was braucht eine Sportlerin, um ihr persönliches Höchstleistungsniveau zu erreichen?“ – Gestalte deine eigene Ideenlandkarte: „Was brauche ich, um an die Spitze zu kommen?“
– Analysiere: „Welche Bereiche sind mir besonders wichtig?“ – Analysiere: „Wo bin ich neugierig, wo liegen meine Interessen.“ – Analysiere: „Wie sehr gehe ich auf Fragen der Konzentration, der Wahrnehmung, allgemein der psychologischen Faktoren ein?“ – Analysiere: „Wie setze ich meine Ideen um?“ – Besprich diese Bereiche mit der Trainerin. Ist sie der gleichen Meinung oder hat sie zusätzliche Ideen. Sind deine Stärken und Schwächen auf ihrer Ideenlandkarte zu sehen?
34.3. UMGANG MIT DEM WETTER Grundsätzlich ist das schlechte Wetter für alle gleich. Es ärgert (fast) alle, aber einige gehen professioneller damit um. – Konzentriere dich auf deine Aufgabe. – Stelle dich schnell um auf die neue Situation. – Finde bereits in der Trainingsphase ein Wort, einen Spruch, einen Satz, oder eine Selbstaufforderung. Im Wettkampf ist es zu spät.
34.4. DU MEINST, EINE(R) IST BESONDERS STARK – Wenn eine(r) ganz stark spielt, und du glaubst, der/die ist wahnsinnig stark, dann konzentriere dich auf deinen Job. – Denke, der/die spielt zwar stark, aber ich muss mein Spiel spielen. „Ich gebe alles, was ich kann, und was gestern war oder morgen ist, ist egal. Ich mache meine Aufgaben, die ich im Training gelernt habe. Ich konzentriere mich völlig auf sie. Ich versuche gleich zu Beginn in den Rhythmus zu kommen, denke und fühle in den Muskeln, wie es zu Beginn bewegungsmäßig los geht und spüre die Bewegungen.“ – Du hast einen „zweiten Plan“, wenn der erste nicht aufgeht.
34.5. VOR DEM START Wenn die Angst „direkt über die Wirbelsäule“ mitfährt und die Gedanken und Muskeln wie gelähmt sind: – Konzentriere dich auf deinen Job! – Wenn die Gefühlslähmung, die Angst und die Gedanken aufkommen „wenn ich den Lauf nicht schaffe“, oder „den muss ich schlagen“, dann atme durch und denke stattdessen „das ist mein Lauf und ich imaginiere meine oftmals geübten inneren Bilder und Befehle“.
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Kapitel 34
– Baue für jeden Lauf eine energetische Freude auf, und zwar unter allen, auch den schlechtesten Bedingungen. Du hast das immer wieder im Training geübt. – Du hast im Training bereits deine Entspannungs- und Konzentrationsübung gelernt: setze sie jetzt besonders konzentriert ein!
34.6. UMGANG MIT STURHEIT Sturheit kann Stärke und Schwäche zugleich sein. Wenn du sie einsetzt, um Ziele zu verfolgen und zu erreichen, dann ist sie Stärke. Wenn du stur nichts Neues lernen willst, dann bist du schwach. Sturheit kann Eintönigkeit erzeugen. Wer stur immer das Gleiche trainiert, verliert Konzentration, Aufmerksamkeit und Spritzigkeit.
34.7. STÄRKEN UND SCHWÄCHEN Häufige Gedanken sind „Wenn ich Stress habe und hudeln (= mich beeilen) muss, dann komme ich hinten und vorne nicht mehr zusammen.“ „Ich bin in der Ausdauer schlecht, das ist auch eine Schwäche von mir.“ – Beobachte, was du brauchen kannst und was nicht. – Verschiebe deine Gedanken dorthin, wo du gut bist, zum Training, zu den Zeitläufen. – Wenn es im Training nicht gut geht, dann kannst du nicht darauf zurückgreifen. Warum ist Nachdenken über Stärken und Schwächen wichtig? – Auf die Stärken kannst du dich verlassen, sie sind es, die du im Rennen brauchst, die dir etwas bringen, bei der Vorbereitung, beim Start. – Wenn die Gedanken nur mehr im Kreis gehen, wenn du nur mehr denkst, „hoffentlich gewinne ich heute“, „den muss ich schlagen“, dann musst du dich besonders auf deine Stärken besinnen. „Moment, ich habe heuer gut trainiert, die Läufe waren ok, und meine Stärken sind diese und auf diese baue ich auf!“
34.8. GUTE KOMMUNIKATION Viele Gespräche sind für den anderen abwertend. Du sollst dich daran gewöhnen, das Können des anderen zu sehen und zu würdigen und nicht
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ständig die Schwächen herauszuarbeiten. Wer an den anderen nur Schwächen sieht, denkt auch bei sich nur an Schwächen.
34.9. ICH MEINE, HEUTE IST „NICHT MEIN TAG“ Wenn es zwischen den Toren nicht läuft, versucht man häufig auf „HoRuck“ zu fahren. Man hofft, gerade dann einen Superlauf zustande zu bringen. Es gibt aber keinen Grund dafür, dass ein Superlauf gelingt, wenn du dich körperlich und geistig (Unsicherheit, Zweifel, …) schwach fühlst. Die Erfahrung zeigt, dass ein sehr guter Lauf nur gelingt, wenn Körper und Psyche für den Wettkampf gut aufeinander abgestimmt und in Form sind. – Erwarte nicht, dass du gerade dann, wenn es nicht läuft, den Superlauf zustande bringst. – Zeige das, was du kannst. Passe dich an die Bedingungen an: Sowohl an die Verhältnisse als auch an deine körperlichen und geistigen Fähigkeiten an diesem Tag. – Nimm den letzten Lauf (Wettkampf) als „Anker“. Denke nach, was du besser machen wirst. Der „innere Befehl“ ist in dieser Situation besonders wichtig.
34.10. UMGANG MIT UNSICHERHEIT – – – – – –
Aktiviere deinen Atem. Gehe in Gedanken zum besten Wettkampf zurück. Mache dir deine Stärken bewusst. Sag dir, „Ich bin ein Rennläufer. Ich beherrsche die Technik“. Schau dir vor dem Rennen zu, wie du die Piste hinunter fährst. Mache den „Fünf Minuten Deal“. Tu die nächsten fünf Minuten so, als ob du Hermann Maier, Bode Miller oder Benni Raich wärest. (Gilt für Skifahrer).
34.11. KURZE REGELN Je nach Sportart: – Richte deine Aufmerksamkeit nach innen auf den Körper. Beobachte ihn nach passiv („mein Atem geht ruhig“) oder aktiv („bleib locker und entspanne dich“). Dies ist eine Aufmerksamkeitslenkung des assoziativen Typus (Morgan und Pollock, 1977) mit passiver oder aktiver Strategie (Smith et al., 1995) und wird in Ausdauersportarten eingesetzt. 260
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– Richte deine Aufmerksamkeit auf innere Bilder, löse mathematische Aufgaben, sieh deine schönste Vorstellung vor dir (Aufmerksamkeitslenkung; dissoziativer Typus nach Morgan und Pollock, 1977). – Richte deine Aufmerksamkeit nach außen (Aufmerksamkeitslenkung). – Schlafe mit attraktiven Zielvorstellungen ein. – Visualisiere immer wieder realistische Utopien. – Lerne durch direkte Erfahrungen und aus Schlussfolgerungen. – Halte deine Erfahrungen und Schlussfolgerungen im Trainingsbuch schriftlich fest und übe die Umsetzungen dieser Erfahrungen sofort am nächsten Tag. – Stelle dir geplante Veränderungen im entspannten Zustand vor. – Schule deine Konzentration. Denn dein Leben wird mehr durch deinen Geist geformt als durch die Umstände. Schau dir eine Blume an: 20 Sekunden lang, 1 Minute lang. Erfasse sie in jedem Detail, in ihrer Form, ihrem Geruch, ihrer Farbe. – Habe ein Ohr für den anderen. Nichts ist so wichtig, dass es das Gespräch stören könnte. – Erkenne das positive Denken als Kraftspeicher. Durch Übung kann es automatisiert und zur Gewohnheit werden. – Lege systematische Pausen ein. – Deine Frustrationstoleranz wird größer, wenn du gelernt hast, mit Lästigem – vor allem im Training – selbstverständlich umzugehen. – Genieße deinen Erfolg, aber vergiss nicht, rechtzeitig die Erfolgsanalyse zu stellen. Der Erfolg muss täglich neu erarbeitet werden. – Akzeptiere, dass es Zufälle gibt. Klammere dich nicht an den Erfolg. – Leben ist Lernen. Gib dein Bestes. – Sei offen, interessiere dich für das Fremde und habe Respekt davor. – Schaffe dir ein Klima aus Spannung und Entspannung.
34.12. DIE ZEHN TODSÜNDEN VON TENNISELTERN DIE SICHERSTEN METHODEN, KINDERN DIE FREUDE AM SPORT AUSZUTREIBEN 1. Treibe dein Kind an, bis es nicht mehr kann. Nur die Harten kommen durch. 2. Bringe deinem Kind einzig Tennis bei und sonst gar nichts. Nur Superspezialisten schaffen es an die Weltspitze. 3. Verlange von deinem Kind immer mehr. Nur wer Grenzen überschreitet, ist zum Spitzensportler geboren. Tipps und Regeln
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4. Halte deinem Kind immer die besten Spieler der Welt als Beispiel vor. Nur große Vorbilder schaffen Begeisterung. 5. Mach deinem Kind nach jedem Training klar, dass es mehr hätte leisten können. Nur mit ständiger Kritik sind große Ziele zu erreichen. 6. Gib dich nicht mit Wissenschaft und Trainingslehren ab. Nur du spürst, was dein Kind braucht. 7. Nimm deinem Kind alle Aufgaben ab. Nur die totale Konzentration auf Tennis bringt den Erfolg. 8. Sprich mit deinem Kind über Tennis und sonst gar nichts. Nur so wird es besessen vom Sport. 9. Lebe deinem Kind vor und zeige überall, wie überlegen ihr den anderen seid. Nur so lernt es seinen Wert kennen. 10. Gib deinem Kind immer Tipps. Nur du mit deiner Erfahrung weißt, was das Beste für dein Kind ist.
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DAS PSYCHOLOGISCHE TRAININGSBUCH Das psychologische Trainingsbuch dient mehreren Zwecken. Es ist ein Instrument der Trainingsplanung und -kontrolle. Es bietet eine Grundlage für strukturierte Gespräche zwischen Trainerin und Sportlern über Motive und Ziele, Zeitperspektiven, Stärken und Schwächen, die präzise Formulierung und Umsetzung des „inneren Befehls“ und – je nach Notwendigkeit – weitere Bereiche. Das psychologische Trainingsbuch ist auf die Bedürfnisse der Sportlerinnen abgestimmt. In das Buch sollten die jeweiligen Methoden für die Umsetzung geschrieben werden. Sportlerspezifische Tipps ergänzen das Buch. In allen Teilen sind Beispiele angeführt. Für ihr Trainingsbuch wählen die Trainerinnen mit ihren Sportlern ihre eigenen Vorgaben und Tipps aus.
Je nach sportlicher Disziplin wird es unterschiedliche Gewichtungen geben. Bei der Schnelligkeit wird die allgemeine Schnelligkeit gemeint sein oder spezifischer die Bein- oder Armschnelligkeit. Ein Beispiel: es kann sein, dass ein Sportler in einer spezifischen Schnelligkeitsart sich im IST nur auf „vier“ einschätzt und dennoch im SOLL den gleichen Wert angibt, weil im aktuellen Trainingsplan diese spezifische Schnelligkeit nicht zu trainieren ist. Die Koordinationsfähigkeit mit den jeweiligen Differenzierungen könnte als weiterer Punkt hinzugefügt werden. Für Ausdauerwerte gilt dieselbe sportartspezifische Differenzierung. Zu den Selbst- und Fremdbewertungen: Als Vergleichsbasis lassen sich mehrere Werte heranziehen. Der erste Bezugswert ist die Sportart. Jede hat ihre Anforderungen an Schnelligkeit, Ausdauer oder Standfestigkeit. Die notwendigen Ausdauerwerte sind bei Fußballern andere als bei Mittelstreckenläufern oder Tennisspielern. Die Bewertungen erfolgen also sportartspezifisch. Der zweite Bezugswert ist die Athletin selbst. Sie gibt an, wie sie die von den Trainingsplänen vorgegebenen Daten erfüllt oder nicht erfüllt. Bei Nichterfüllung ist das Gespräch und die neue Zielsetzung besonders angebracht. Der dritte Bezugswert könnten die anderen Vereins- oder Verbandsmitglieder sein. Ein nächster die nationale Konkurrenz und später die internationalen Mitbewerber. Die Bewertung kann von null bis zehn oder von null bis hundert gehen. Die Schätzungen stellen ein subjektives Ausgangsmaß für Veränderungen dar. Wenn die Selbstbewertung der Sportlerin und die Fremdbeurteilung durch die Trainerin sehr unterschiedlich ausfallen,
dann ist das Gespräch über die Gründe der unterschiedlichen Bewertungen besonders notwendig. Das Gespräch sollte nach den Kommunikationsregeln erfolgen und nicht bewertend, sondern analytisch ablaufen. Mit diesem Typus des psychologischen Trainingsbuches können Trainer und Trainerinnen die sportlichen Aufgaben mit den psychologischen Übungen verknüpfen.
A. BEISPIELE FÜR ALLGEMEINE INFORMATIONEN Das Trainingsbuch hilft dir deine Ziele besser und schneller zu erreichen. Zielfindung, Zielerreichung, Motivation, Stärken – Schwächen – Profile, Konzentration, Entspannung – Anspannung, Umgang mit Stress, Erholung – Belastung, Lernen aus Fehlern, Wille und Gefühle, Wettkampfvorbereitung und andere Techniken bilden den Schwerpunkt des Trainings. Wir legen ein Schwergewicht auf die „Inneren Befehle“ (IB). Sie helfen dir, die aktuell wichtigsten Aufgaben für die nächste Zeit in einem Wort zusammenzufassen. Damit konzentrierst du dich besser. Zum IB gehören auch die Bewegungsvorstellung und Bewegungsausführung (in den Pausen zwischen den Trainingseinheiten). Führe die vorgegebenen Aufgaben und Korrekturen mithilfe des IB in den Pausen in der Vorstellung und als Bewegungsablauf durch. Es ist notwendig, dass du dir die Bewegungsabläufe konkret vorstellst und die für dich wichtigen Bewegungen durchspielst. Es sollte ein gewohntes Bild gerade im Training werden, dass du Bewegungen durchführst und Imaginations- und Konzentrationsübungen machst. Denke am Beispiel Stress daran, dass jeder Sportler auf seine Weise auf anstrengende oder schwierige Situationen reagiert. Der eine wird übernervös und total aktiv, die andere wird müde und bekommt schwere Beine. Gleichzeitig aber ist Stress eine Reaktion, die bei jedem Menschen auftritt. Die von mir empfohlenen psychologischen Übungen sind einerseits Regeln, die sich in vielen Sportarten bewährt haben, andererseits aber wirst du deinen eigenen Stil finden, diese Regeln anzuwenden. Du kannst täglich in kleinen Situationen außerhalb der Trainingszeiten üben, wie du mit Stress, Ärger und Belastungen aller Art umgehst. Beobachte dich, wie du auf alltägliche Stressoren reagierst. Die Psychologie ersetzt nicht Schwächen im Training (und schon gar nicht Faulheit). Sie kann aber ein Kraftfutter sein, das dich stärker macht.
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GEDANKENARBEIT Bis die Gedanken in Aktivität und Bewegung umgesetzt werden, braucht es ebenso viel Zeit und Aufwand, wie einen neuen Bewegungsablauf zu lernen. Was nicht formuliert ist, kommt nicht ins Hirn und kann dann nicht umgesetzt werden. Nur was du in der Trainingszeit lernst und mindestens 1000 Mal umsetzt, kannst du im Wettkampf nützen.
VOM MUND ÜBER DAS GEHIRN IN DEN KÖRPER Es ist effektiver, wenn du deine inneren Befehle laut formulierst und aussprichst. Denke positiv also handlungsorientiert! Die Inneren Befehle müssen im Gehirn so verankert sein, dass sie ohne weitere Denkschritte umgesetzt werden können. Deshalb ist es notwendig, in Richtung der Aktivität zu denken. Falsch: „Ich lasse mich vom Gegner nicht unterkriegen“. Richtiges Beispiel (jede Sportlerin wählt ihren Befehl): „Ich werde vorher bereits mit meiner Körpersprache zeigen, wie selbstbewusst ich bin“. (Wenn die Sportlerin in dieser Hinsicht ein Manko hat, dann sollte sie ihre Körpersprache im „Trockentraining“ vor dem Spiegel und mit der Trainerin üben).
NEGATIVE GEDANKEN UND GEFÜHLE Negative Gedanken und Gefühle sind häufig Ursachen für schlechte Leistungen. Sie beeinträchtigen die Konzentration und verspannen den Körper. Die Fehleranfälligkeit steigt. Unsicherheit, Angst oder Selbstzweifel erhöhen den Stress. Ein Übermaß an Stress blockiert die Leitfähigkeit zwischen den Nervenzellen. Deshalb vergisst man manchmal vor einem Rennen alles, was man kann (das ist wie das berühmte Blackout vor Prüfungen) und man fährt wie kopflos. Die folgende Grafik veranschaulicht die Zusammenhänge (Beispiel Ski):
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Abb. 38. Negative Gedanken und Gefühle
B. DER INNERE BEFEHL – DAS PRINZIP B-A-B Der „Innere Befehl“ hilft dir, die aktuell wichtigsten Aufgaben vor dem Lauf in einem Wort zusammenzufassen. Er ist eine Kurzformel, die den letzten und wichtigsten Kick vor dem Start gibt. Er erfüllt mehrere Zwecke: ⇒ ⇒ ⇒ ⇒ ⇒ ⇒
Konzentration auf die wichtigste Aufgabe Motivation und Aktivität Aggressivität Hilfe zur Beseitigung von typischen und häufigen Fehlern Vorstellung der Bewegung Ausführung der Bewegung
Trage deine eigenen IB in das Trainingsbuch ein und spiele sie vor allem im „Training ohne Gerät“ mental durch. Regel: Sprich die IB laut aus.Was du laut sagst, bleibt besser im Gehirn als das, was du nur denkst. Auch was du aufschreibst, merkst du dir um eine Stufe besser. Und wenn du dir für die einzelnen Befehle zusätzlich noch Bilder vorstellst, hast du fast schon gewonnen. Es geht dabei um Begriffe wie „Becken“, „Außenski“, „Außenhand“, „Innenhand“, „über’m Schi“, „zentral über’m Ski“, „rund fahren“ („von hinten 266
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kommen“, „hoch anfahren“), „Konzentration“, „Druck am Schi“, „(kurzer) Schwung“, „Aktivität“, „Energie“ (im ganzen Lauf) und ähnliche mehr. Bewegungsvorstellung und Bewegungsausführung sollen in den Pausen zwischen den Trainingsläufen durchgedacht und auch als Bewegungsablauf geübt werden. Das Innere Bild (B) enthält eine wohltuende Vorstellung, die dein Können, dein Selbstvertrauen und deine Freude am Skifahren widerspiegelt. Du sollst es im entspannten (selbsthypnotischen) Zustand „finden“ und üben. (Siehe Selbsthypnose). Knapp vor dem Rennen ist es zu spät. Die Aktivierung und Aggressivität besteht aus einem körperlichen Element (Muskeln anspannen und aktivieren, atmen, bewegen), einem gedanklichen Element (Angriff) und dem positiven Gefühl (Lust auf Geschwindigkeit, Rhythmus). Die folgende Grafik dient der Veranschaulichung des inneren Befehls. Du siehst, er besteht aus mehreren Elementen: dem Befehl für die Bewegungs-
Abb. 39. Der Innere Befehl
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vorstellung (B), dem Inneren Bild (B) für die Balance von Spannung und Konzentration, und der Aktivierung und Aggressivität (A). Der Innere Befehl umschreibt alle dynamischen Vorgänge während des Vorstartzustandes, der bei jedem Läufer anders ist. Ein Beispiel für die Dynamik von B-A-B: die 800 m-Läuferin steht am Start, hochkonzentriert auf ihren Lauf. Fehlstart; die Konzentration muss zurückgenommen werden; negative Gedanken („oh je, das passiert immer mir“) und Gefühle (Ärger) kommen, die wieder mit dem inneren Bild zurückgedrängt werden. Der Befehl für die Bewegungsvorstellung unterstützt die Aktivierung und das Zurückdrängen des Ärgers. In der Grafik sind allgemeine Beispiele angeführt. Deine Gedanken, Gefühle und Bilder unterscheiden sich aber von denen anderer. Mach Dir deinen eigenen Inneren Befehl! Mein Befehl Bewegungsvorstellung: .................................................................................................................. .................................................................................................................. .................................................................................................................. Mein Inneres Bild: .................................................................................................................. .................................................................................................................. .................................................................................................................. Meine Aktivierung und Angriffslust: .................................................................................................................. .................................................................................................................. .................................................................................................................. Meine „Betriebstemperatur“: Das optimale Erregungsniveau, also deine „Betriebstemperatur“ entscheidet über den Erfolg. Sie ist abhängig vom „Tag“, von der Situation, von der persönlichen Einschätzung und der Wichtigkeit des Bewerbs. Je wichtiger der Wettkampf, desto wichtiger die richtige „Temperatur“. Im Training kann diese Temperatur nicht erzeugt werden, denn Training ist nicht Wettkampf. Die Intensität der Gefühle hängt mit der Wichtigkeit des Ereignisses zusammen.Training ist emotional weniger wichtig als der Wettbewerb. Dennoch gibt es auch im Training viele Möglichkeiten, diesen Zustand der „richtigen Betriebstemperatur im wettkampfnahen Training zu simulieren: z.B. das „Als-Ob“ Training und das „Jetzt ist Wettkampf“ Training und die spielerischen Zwischenwettkämpfe. Aber nicht nur im wettkampfnahen 268
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Training kannst du üben, wie du deine Betriebstemperatur erreichst. Es gibt tägliche Trainingssituationen, in denen du deine Betriebstemperatur testen kannst. Nütze sie. Auch im Training wird dein Körper nicht immer voll da sein. Das sind ideale Tage, an denen du deine Techniken finden kannst, deinen Gesamtzustand zu optimieren, also deine richtige Betriebstemperatur zu finden. Mein „Betriebsthermometer“: 100° 90° 80° 70° 60° Checke einige Wochen deine optimale Betriebstemperatur und trage sie in die Skala des Thermometers ein. Das Thermometer gibt dir das Maß dafür, wie weit du deinen idealen Leistungszustand erreichst. Checke die Muskeln, die körperliche Erregung, die körperliche Müdigkeit, die Gedanken (sind sie zielgerichtet oder wandern sie umher), die Gefühle, also deine „Betriebstemperatur“. Mache bereits im Training tägliche Minitests, um deinen „Betriebszustand“ zu verändern. Wärme mehr oder weniger auf, beobachte die Auswirkungen und wie du dein Aufwärmen beeinflussen kannst. Hilft dir das Aufwärmen, deine Gedanken mehr zu fokussieren oder Unlustgefühle zu verändern? Trage deine Beobachtungen ins Trainingsbuch ein. .................................................................................................................. ..................................................................................................................
C. MEINE ZIELE Mein wichtigstes Ziel für diese Saison: .................................................................................................................. .................................................................................................................. .................................................................................................................. Weitere Ziele: .................................................................................................................. .................................................................................................................. ..................................................................................................................
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Meine wichtigsten Vornahmen, um mein Saisonziel zu erreichen: Technik: .................................................................................................................. .................................................................................................................. In Grundlagenausdauer, Kraft, Koordination und Schnelligkeit (sportartspezifisch formulieren!): .................................................................................................................. .................................................................................................................. In der psychologischen Arbeit/gedanklich: .................................................................................................................. .................................................................................................................. In der psychologischen Arbeit/Gefühle: .................................................................................................................. .................................................................................................................. In der psychologischen Arbeit/alltägliches Verhalten: .................................................................................................................. .................................................................................................................. Wo muss ich mich im Training (im Wettkampf) am ehesten überwinden? .................................................................................................................. .................................................................................................................. Was fällt mir im Training (im Wettkampf) leicht? .................................................................................................................. .................................................................................................................. Muss oder will ich mehr/besser trainieren als die anderen? .................................................................................................................. .................................................................................................................. Wenn ja, was oder wie will ich mehr/besser trainieren? .................................................................................................................. .................................................................................................................. In welchem Bereich muss ich derzeit am meisten tun, um mein Saisonziel zu erreichen? .................................................................................................................. .................................................................................................................. Was könnte mich daran hindern, mein Saisonziel zu erreichen? .................................................................................................................. .................................................................................................................. Mein längerfristiges Ziel für die nächsten drei Jahre: .................................................................................................................. ..................................................................................................................
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Das ganz Besondere an mir: .................................................................................................................. .................................................................................................................. “Mein Geheimnis“: .................................................................................................................. ..................................................................................................................
D. ANALYSE MEINER STÄRKEN UND SCHWÄCHEN – VOM IST ZUM SOLL Die Analyse erfolgt mehrmals während der Saison: (1) Zu Beginn des Trainings, (2) in der Mitte der Trainingsphase, (3) zu Beginn der Wettkampfsaison, (4) in der Mitte der Wettkampfsaison, (5) zu Saisonende. In der Tabelle stehen die IST-Werte. Legende: SE = Selbsteinschätzung; TE = Trainereinschätzung; Meine Grundlagenausdauer GA, Meine Kraft K, Meine Schnelligkeit S, Meine Konzentration im Training KT, Meine Konzentration im Wettkampf KW, Stärke und Nutzung meiner Gedanken und Gefühle im Wettkampf SGGW, Ernsthaftigkeit, Zielgerichtetheit und Lebensfreude im Alltag EZL, technisches Können T (Die Werte im Vergleich zu den wichtigsten Konkurrenten/innen meiner Altersklasse: 0 = der/die schlechteste in meiner Altersklasse, 10 = der/die beste). Tabelle: IST-Werte Stärkefelder
SE
Bewertung
(1)
TE (2)
(3)
(4)
(1)
(2)
(3)
(4)
GA K S KT KW SGGW EZL T
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Die Schwächen ergeben sich aus der Analyse der Stärken. Meine Schwächen im Detail: .................................................................................................................. .................................................................................................................. .................................................................................................................. Tabelle: Wo will ich hin = SOLL-Werte. Stärkefelder
SE
Bewertung wann
(1)
(2)
(3)
(4)
GA K S KT KW SGG EZL T
In welchen Bereichen (siehe Tabelle oben) müssten meine Ziele vorrangig liegen? .................................................................................................................. Was muss ich tun, um meine Ziele = SOLL zu erreichen? 1. .............................................................................................................. 2. .............................................................................................................. 3. .............................................................................................................. 4. .............................................................................................................. 5. .............................................................................................................. 6. .............................................................................................................. Was hat mich bisher gehindert, meine Ziele zu erreichen? .................................................................................................................. .................................................................................................................. Wie schätzen meine Kolleginnen ein, dass ich mein Ziel erreichen werde? .................................................................................................................. ..................................................................................................................
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Wie werden meine Teamkolleginnen das sehen, dass ich mein Ziel erreicht habe? .................................................................................................................. .................................................................................................................. Wie würden meine Kolleginnen es mir rückmelden? ..................................................................................................................
MEINE STÄRKEN UND SCHWÄCHEN Ich beschäftige mich noch eine Stufe genauer mit meinen Stärken und Schwächen: Stärken: ..................................................................................................... .................................................................................................................. .................................................................................................................. Schwächen (Meine wichtigsten Fehler sind derzeit): .................................. .................................................................................................................. .................................................................................................................. Wie setze ich die Schwächen in Stärken um: ............................................. .................................................................................................................. .................................................................................................................. Bis wann werde ich die Schwächen zu Stärken machen: ............................ .................................................................................................................. ..................................................................................................................
PRINZIP: ICH STÄRKE MEINE STÄRKEN. E. DAS WETTKAMPFDREHBUCH (Das Wettkampfdrehbuch wird von Sportart zu Sportart sehr unterschiedlich sein. Ich führe einige Kernpunkte an. Das Wettkampfdrehbuch ist zentral für die erfolgreiche Vorbereitung und Absolvierung der Bewerbe. Je besser Sportler auf alle Eventualitäten vorbereitet sind, desto weniger kann sie überraschen). Der Ablauf meines Rituals: ........................................................................ Die Ernährung: ......................................................................................... Der Schlaf: ................................................................................................
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Das Material: ............................................................................................ Das Aufwärmen: ....................................................................................... Die Gedanken: .......................................................................................... Die Gefühle: ............................................................................................. Der Körper: .............................................................................................. Meine Kräfte, Stärken und Ressourcen: ..................................................... Die Konzentration auf den wichtigste(n) Aufgabe(n): ................................. Mein inneres Gespräch: ............................................................................. Der Umgang mit den Kontrahenten: ......................................................... Meine Körpersprache: ............................................................................... Mein B-A-B-Modell: ................................................................................ Ich erreiche meine „Betriebstemperatur“: ................................................. Die Zeit des Wartens (vor dem Bewerb, Pausen): ....................................... Das detaillierte Drehbuch für den Wettkampf: ........................................... Die Knotenpunkte des Vorgehens: ............................................................. Die Taktik: ................................................................................................ Der Alternativplan („Plan B“): .................................................................. Die Umwelt: ............................................................................................. Die Medien: .............................................................................................
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TEIL VIII SELBSTMANAGEMENT AM AMAZONAS
Mit dem richtigen Mix aus Konzentrationsarbeit, Wahrnehmungsübungen und der Analyse irrationaler Gedankengänge lassen sich emotionale Belastungen überwinden. Speziell dann, wenn gerade die längste Welle der Welt auf einen zurast. Die „Logik emotionaler Belastungen“ ist am Amazonas nicht anders als in einem Stadion mit 80.000 Zusehern. Am Ende des Buches illustriere ich diese Logik mit einer Geschichte, die noch einmal den Selbstmanagement-Prozess präsentiert, emotionale Belastungen thematisiert und dabei die neue Herausforderung der Surfer-Community in den Mittelpunkt rückt: Die Pororoca, die große Amazonas-Welle.
EINE ENDLOSE WELLE Sie hatten Macapá am Vormittag mit dem Boot Richtung Nordosten verlassen. Bis zum Abend wollten sie jene Stelle erreichen, an welcher der Amazonas fast 6 Kilometer breit wird und an diesigen Tagen einem Ozean gleicht. Im Vorjahr hatten sie dort eine Bucht entdeckt; gut versteckt hinter einer Landzunge, die wie ein flussaufwärts zeigender Finger in den Amazonas hineinragt. Das Boot, die „Rosita Rosa“, sollte dort vor der großen Welle sicher sein, die sie für den nächsten Morgen erwarteten. Doch es war erst später Nachmittag und es würde zwei weitere Stunden Fahrt benötigen, bis die Bucht in Sicht käme. Roberto hatte sich im Mittelteil der „Rosita Rosa“ mit einem Sessel an die Reling gesetzt und seine Füße auf die mittlere der drei Leinen gelegt, aus denen das Geländer bestand. Zusammen mit dem Sonnenzelt, das zwischen der verbauten Brücke vorne und der Kombüse am Schiffsende aufgespannt war, machten die Wasserspritzer, die nun seine Füße trafen, die Hitze erträglich, welche ihm um diese Zeit am größten zu sein schien. Roberto klemmte seine Hände hinter den Nacken und sah auf das Wasser hinaus, das in der Nachmittagssonne sein Glitzern verloren hatte und wieder voller und schwerer wirkte. „Hast du Angst?“ Jorges Plastiksandalen machten ein flappendes Geräusch, als er die Treppe hochkam und auf Roberto zuging. Er griff nach einem der Holzstühle, stellte ihn mit dem Rücken zu Roberto an die Reling und ließ sich darauf fallen. „Nicht, dass du so wirken würdest…“, sagte er, während er seine Arme oben auf die Rückenlehne legte und sich auf sie lümmelte.
„Ich habe auch keine Angst“, antwortete Roberto, „ich weiß, was mich erwartet“. „Aber die Pororoca ist etwas anderes als eine von deinen Stauseewellen“. „Bist du sicher?“ „Die Wucht ist eine andere“. „Die Wucht macht nicht den Unterschied. Es ist die Länge. Das hier ist die längste Welle der Welt“. Roberto dachte daran, wie er zum ersten Mal von der Pororoca gehört hatte. Es war 1997 gewesen, in einem der Science-Kanäle im Pay-TV. Der Bericht handelte von einem Naturspektakel, das nur einmal pro Jahr am Amazonas stattfindet, wie es hieß: Durch den geringen Wasserstand des Stroms am Ende der Trockenzeit ergießt sich das Meer in den Fluss hinein. Genauer gesagt wird im Frühling bei Voll- und Neumond das Meer von den Gravitationskräften so weit angehoben, dass eine gut 5 Meter hohe Welle hunderte Kilometer weit den Amazonas flussaufwärts läuft – mit Geschwindigkeiten von bis zu 30 Kilometern in der Stunde. Die Bilder, die Roberto damals im Fernsehen gesehen hatte, faszinierten ihn. Wie ein Tsunami rollte die Welle mit den ihr folgenden kleinen Wellenbergen dahin, riss und zerrte am Ufer und dröhnte so laut, dass ihr die Indianer den Namen „Pororoca“, „das große Dröhnen“, gegeben hatten. Roberto war auf eine immer weiter laufende Welle gestoßen; auf etwas, von dem er träumte, seit er 18 gewesen war. Zwei Jahre später, kurz nach seinem 30. Geburtstag, war er dann erstmals mit drei seiner Surf-Freunde von Macapà aus aufgebrochen, um auf der Amazonas-Welle zu fahren. „Ihr werdet sterben“, hatte ihnen eine IndioFrau prophezeit, als sie 25 Kilometer nordwestlich der großen AmazonasStadt auf ihre Jetskis stiegen und auf die Welle zusteuerten. Tatsächlich wäre es auch für Crack, den strohblonden Amerikaner, fast schlimm ausgegangen, als er stürzte und nach dem zweiten Wellenberg in einen Strudel kam, der ihn nach unten riss. Doch Jorge war mit seinem Jetski rasch bei ihm gewesen und hatte ihn herausgezogen. „Woher weißt du, dass dein Rücken mitspielen wird? Du fährst nicht nur ein paar Sekunden lang wie auf deinen Stauseewellen“. „Lass es gut sein. Wir haben jetzt mindestens zehnmal darüber gesprochen.“. Roberto sah weiter auf den Strom hinaus und fixierte ein Fischerboot, das in den Wellen schaukelte, die ein anderes Schiff in der Größe der „Rosita Rosa“ aufgebracht hatte. „Ich werde dich rausbringen und neben dir bleiben“. „Du oder Nelsino, es macht keinen Unterschied“. „Ich bin besser im Tauchen“. 278
Teil VIII
„Das wird heuer hoffentlich nicht nötig sein“. 2003, in ihrem fünften Pororoca-Jahr, war es bitter nötig gewesen, dass Jorge mit dem Jetski tauchen konnte wie kein zweiter. Roberto war sieben Meter vor der Welle vom Begleitboot abgesprungen und hatte sich paddelnd so zur ihr gedreht, dass sie ihn hochhob. Der Take-Off, das Aufstehen, war problemlos gelungen und er hatte oben auf der 4-Meter-Wand zu floaten begonnen. Als er gerade einen Step nach vor getan hatte, um das Board schneller zu machen, drehte sich plötzlich unter ihm ein Baumstumpf aus dem Wasser. Er hatte noch gespürt, wie er mit seinem Kreuz auf dem Stumpf aufschlug, doch dann waren seine Beine gefühllos geworden und er war abgesunken wie ein Stein. Zuerst waren die Füße noch unter ihm im Wasser gewesen, doch als Jorge nach ihm griff, war sein Oberkörper schon tiefer im Amazonas als die Beine, die am Leash, an der Leine, des Boards hingen, das in einem der Wellentäler trieb. „Ihr Kreuz ist gebrochen“, hatte der Arzt später zu ihm im Spital gesagt, als sich das rechte Bein weiterhin kraftlos, aber nicht taub anfühlte. „L5 hat einiges abgekriegt“. Noch später hatte ihm der Arzt erklärt, dass der Bruch eines Lendenwirbels zwar äußerst schmerzhaft wäre, er sich aber keine größeren Sorgen machen müsste. „In vier Monaten können sie wieder einigermaßen gut laufen“, hatte der Arzt gesagt. „Ich passe trotzdem auf dich auf. Ich passe auf jeden von euch auf“. Jorge lümmelte weiter auf seinen Armen und folgte Robertos Blick zu dem Fischerboot hinaus. „Irgendetwas passiert doch jedes Jahr“.
TRAINING UNTERHALB DER STAUMAUER Kurz vor Morgengrauen waren sie alle aufgestanden. Dutzende Vogelschwärme waren von Südosten kommend stromaufwärts ins Landesinnere geflogen, was die Luft mit einem feinen, fremdartigen Surrgeräusch erfüllt und die Nacht beendet hatte. Roberto wusch sich das Gesicht und schlüpfte in seinen Neoprenanzug. Er mochte ihn nicht, doch er war wegen der Schlangen im Wasser wichtig. Und wegen der kleinen Fische, die jedes Tröpfchen Urin rochen und in die Geschlechtsteile einzudringen versuchten. Dann sprang er von Bord und watete zu den Jetskis, die am Ende der Bucht schon im knietiefen Wasser lagen. „Ich werde mit dir fahren, Nelsino“, sagte er, ohne sich weiter um Jorge zu kümmern, der am Motor schraubte. Crack fuhr mit Phil langsam aus der Bucht hinaus; Eliseo, der im Vorjahr 28 Minuten auf der Pororoca gesurft hatte, und Rubens Gonzales folgten ihnen. Dann kamen Nelsino und Roberto, knapp vor Jorge und Tonio, dem neuen, erst 22jährigen Superstar der Szene, der zuletzt die australischen
Selbstmanagement am Amazonas
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Surfmeisterschaften gewonnen hatte. Nach einem halben Kilometer Fahrt hielten sie an. Noch war nichts zu sehen, doch der endlose Vogelzug hatte aufgehört. An die Stelle des Surrens und Flappens war ein Stampfen getreten, das von weit her zu kommen schien. „20 Minuten noch.Vielleicht auch nur 15“, sagte Rubens Gonzales. Roberto begann im Kopf durchzugehen, was er in einer knappen Viertelstunde zu tun haben würde. Er würde diesmal versuchen, direkt in die Welle hineinzugehen. Er würde das Board an sich pressen, vom Jetski springen und gleich den Take-Off versuchen; so, wie er es mit Tim monatelang trainiert hatte. Sobald du merkst, dass die Welle dich hebt, gehst du mit deinen Armen in die Liegestütz-Haltung, streckst den Hintern nach oben und springst auf, dachte er sich. Erinnere dich an Tim und an das, was er dir wieder und wieder gesagt hat: Geh das Take-Off vorher im Kopf durch, stell es dir vor und mach einzelne Bewegungen tatsächlich. Roberto ließ das Board ins Wasser gleiten, um beide Hände freizuhaben. Dann streckte er die Arme durch und zog sie langsam und mit angespannten Bizeps’ zu sich; so, als ob er eine unsichtbare Wand aufhalten wollte. Gleichzeitig zog er die Beine an und versuchte das Gesäß nach hinten zu strecken. Echter Take-Off ist es keiner, aber es sind die richtigen Bewegungen. Deshalb los, mach weiter. Noch einmal. Und noch einmal. Und jetzt denk an diesen einen Tag, an dem du endlich den Take-Off wieder geschafft hast. Denk an das gute Gefühl, das du dabei hattest. Komm, mach weiter. Roberto erinnerte sich an Tim und wie er grinste, als Roberto den Take-Off schaffte und mit der Springflut nach unten fuhr, die jeden zweiten Tag unterhalb der Staumauer entstand, als der Abfluss des Kraftwerks für 15 Minuten weiter als sonst geöffnet wurde. Es war Tims Idee gewesen, bei dem neuen E-Werk in Nord-Brasilien mit dem Training zu beginnen. Pünktlich um 3 Uhr Nachmittags hatte sich das 15-Meter-Rinnsal alle 48 Stunden in einen Fluss verwandelt, der einen halben Kilometer unterhalb der Staumauer 40 Meter Breite erreichte. An dieser Stelle war von den Betreibern des E-Werks ein künstliches Gefälle eingebaut worden, an dem das Wasser zwei Meter nach unten fiel. Kam die Springflut, füllte sie das Flussbett binnen weniger Minuten mit einer solchen Wassermasse, dass das Gefälle als solches verschwand. Als Verwerfung im Flussbett erzeugte es jedoch ein Wellental, aus dem das Wasser als zwei Meter hohe Welle herauskam, die über 150 Meter hinweg langsam auslief. Roberto hatte sie gleich an die Pororoca erinnert. Auch die Geschwindigkeit war in etwa dieselbe, nur dass es hier ungefährlicher war, ergoss sich die Springflut doch ungefähr 300 Meter weiter in Flussrichtung in einen 280
Teil VIII
kleinen See. In diesen konnte man sich im Falle eines Sturzes treiben lassen. „Probier die Welle von hinten zu nehmen“, hatte Tim ihm vorgeschlagen. „Lass dich in das Wellental hineintragen. Und wenn es dich auf die Welle hebt, versuchst du den Take-Off“. Da er jeden zweiten Tag nur einen Versuch hatte, hatte Roberto 52 Tage oder 26 Versuche gebraucht, bis er schnell genug am Brett stand, um wenigstens einige Meter auf der Flusswelle mitfahren zu können. Wobei seine Rückenverletzung das kleinere Problem gewesen war: Was Roberto nach sieben Wochen Bettruhe und sechs Monaten Korsett am meisten erschreckt hatte, war nicht die Tatsache gewesen, dass er seinen rechten Fuß noch immer nachschleppte und manchmal den Eindruck hatte, alle Kraft aus seinen Füßen zu verlieren. Denn das, so hatte ihm der Arzt gesagt, „gehört noch für einige Zeit dazu“. Schlimmer war gewesen, dass er Angst vor dem Wasser hatte. Die Vorstellung, auf die Amazonas-Welle zupaddeln zu müssen, erschreckte ihn. Die Pororoca war keine Welle mehr, sondern eine Wasserwalze, die ihn zu verschlingen drohte. „Könnte es nicht sein, dass sie immer eine Wasserwalze war, dass du das aber nicht gesehen hast?“, hatte Tim ihn mit der ihm eigenen Ruhe und Gelassenheit gefragt, als sie sich in Sao Paolo zum ersten Mal getroffen hatten. Es war im „Sheraton“ gewesen, in dem Tim immer abstieg, wenn er nach Sao Paolo kam. Roberto hatte nicht gewusst, was er Tim antworten sollte. Doch er hatte ja gesagt, als Tim anbot, ihm dabei zu helfen, „wieder blind“ für die Wasserwalze zu werden. Einen Monat hatte Tim dann nichts von sich hören lassen. Doch plötzlich war er bei Roberto in der Wohnung gestanden und hatte ihn zum Abendessen eingeladen. Die halbe Nacht waren sie durch Sao Paolo gezogen und hatten stundenlang über Raumfahrt, Frauen, Sex und Landvermessung geredet; speziell über letzteres, weil die Landvermessung, wie Roberto erfuhr, Tim vor zwölf Jahren erstmals nach Brasilien geführt hatte. Am Ende hatte Tim unvermittelt zu ihm gesagt, dass, wenn es für ihn passen würde, morgen das Training losginge und er packen müsse. Um 7 Uhr waren sie im Taxi gesessen, um ½ 9 ins Flugzeug gestiegen und ungefähr sechs Stunden später hatte sie ein Shuttle-Bus in Manaus in ein Hotel gebracht, das Tim offensichtlich gut kannte und in dem er mit „Senhor Falkner“ angesprochen wurde. Am nächsten Morgen waren sie mit einem überfüllten und überladenen Bus nach Norden gefahren. Irgendjemand hatte Tim von einem Wasserkraftwerk erzählt gehabt, das erst vor wenigen Monaten den Betrieb aufgenommen hatte und dessen Abfluss als 400 Meter breite Schneise durch den Dschungel verlief. Gegen Abend waren sie in einem winzigen, namenlosen Dorf angekommen, das an einer Selbstmanagement am Amazonas
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unasphaltierten Straße lag und das voll mit streunenden Hunden war, die Abfallhäufen nach Nahrungsresten durchwühlten. Von dem Gasthaus, in dem sie nach langem Verhandeln ein Hinterzimmer als Wohnung mieten konnten, gingen sie 30 Minuten zur Staustufe, was ihnen die Möglichkeit zu langen Gesprächen bot. Roberto und Tim kannten einander seit mindestens sieben Jahren und Roberto wusste, dass Tim gute 10 Jahre älter war, Extrem-Surfen liebte und offensichtlich einmal die verrückte Idee gehabt hatte, auf den Spuren Alexander von Humboldts eine Karte des Gebiets zwischen Rio Negro und Orinoco zu erstellen. Doch in Wirklichkeit wusste er nichts über ihn; nicht, dass er in Kalifornien aufgewachsen war, und auch nicht, dass er das „Big Wave“-Surfing mit erfunden hatte; also das Heranfahren mit Jetskis an Monsterwellen, an die man paddelnd nie herankommen würde. Einmal war Roberto auf einem dieser Märsche zusammengebrochen, als sein rechtes Bein wieder versagte. Tim hatte ihn daraufhin zum Rinnsal hoch geschleppt. „Wird schon wieder“, hatte er bloß gesagt, ohne auch nur zu erwägen, das Training abzubrechen. Das hatte Roberto Mut gemacht und sein Vertrauen zu Tim weiter gestärkt. Weshalb es ihn auch nicht weiter verunsicherte, als Tim ihn, noch bevor er das erste Mal auf das Surfbrett gestiegen war, nach seinen Erwartungen fragte. Er hatte wissen wollen, was für Roberto das realistische Ziel des Trainings wäre. „Ich will wieder aufs Board steigen können. Und ich möchte diese Angst wegbekommen, die mich daran hindert, es auch nur zu versuchen“, war Robertos Antwort gewesen. „Ist das alles?“, hatte Tim ihn daraufhin gefragt. „Das ist wohl mehr als genug“. „Und da ist sonst nichts?“ „Ich will nächstes Jahr wieder in Macapá dabei sein, wenn du das meinst“. „Bist du dir sicher?“ „Ich denke schon …“ „Fein. Und bist du dir wirklich sicher?“ In diesem Moment hatte Roberto zum ersten Mal bemerkt, wie unklar er sich hinsichtlich seiner Zukunft war. Zielstrebig hatte er nach seiner Entlassung aus dem Spital damit begonnen gehabt, seinen Körper und seine Fitness zu trainieren. Er hatte sich in ein Korsett gezwängt, das die Lendenwirbel wie ein Gipsverband stabilisierte, und er war mit Krücken ins Fitnessstudio gehinkt, um seine Armmuskulatur wieder aufzubauen. Roberto hatte einfach weitergemacht. So, als ob es ganz natürlich wäre, automatisch und wie eine Maschine weiterzumachen. Tim hatte ihn nun dazu gebracht, das in Frage zu stellen. Plötzlich war sich Roberto nicht mehr sicher gewesen, 282
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ob das, was er gerade tat, wirklich das war, was er wollte. Die restliche Strecke war er neben Tim einfach hergegangen, ohne ihm Antwort zu geben. Er hatte in Gedanken seinen Ängsten nachgegeben – und das Board für immer weggelegt. Roberto hatte im Kopf die Möglichkeit zugelassen, zukünftig ohne Surfen zu leben. Als Board-Designer vielleicht, der an Nasenformen und Finnentypen tüfteln würde, um Surfbretter noch schneller und wendiger zu machen. Oder als Leiter der eigenen Surfschule. Er hatte sich in ein ganz anderes Leben hinein imaginiert, verliebte sich dabei in die Idee, das perfekte Board zu bauen, sah sich auf Präsentationen und Meetings, ließ sich von dieser Vorstellung in eine eigene Welt wegtragen – und begriff plötzlich, dass er diese andere Welt tatsächlich nur „dachte“. All das war im Kopf und als Phantasie interessant, aber es war nicht so in ihm da wie der Wunsch zu surfen. Den spürte er einfach, er musste sich nichts ausmalen. „Ich will wirklich“, hatte Roberto deshalb Tim schließlich geantwortet; allerdings erst am Rückweg und auch da erst, als sie schon fast wieder im Dorf angekommen gewesen waren. „Und du glaubst, das ist realistisch?“, hatte Tim umgehend zu ihm gesagt und ihm damit das nächste Denkrätsel aufgegeben. Roberto war daraufhin wieder in Schweigen verfallen; er wusste die Antwort einfach nicht. Was Tim aber nicht weiter irritiert hatte. „Wir werden es schon sehen, lassen wir es für heute gut sein“. Am übernächsten Morgen war Tim gleich beim Frühstück zur Sache gekommen. „Wo du hin willst, ist vorgestern doch recht klar geworden. Wie realistisch dein Ziel ist, ist eine andere Frage. Und ob wir es erreichen, hängt nicht unwesentlich davon ab, wie dein Problem im Detail aussieht.Wie ist es dir vorgestern ergangen, als du das Wasser hast ansteigen sehen und sich das Wellental ausgebildet hat?“ Roberto hatte in seinem Frühstück herumgestochert und das unangenehme Befinden des Vortags wieder hochsteigen gefühlt. „Es war belastend“. „Inwiefern?“ „Einen Moment lang war mir übel. Und als ich auf die Welle sah, hatte ich ein kurzes Blackout. Ich bin mir nicht sicher, ob ich am Freitag auf den Fluss hinaus will. Ich hab das Surfen irgendwie verlernt. “ „Genau deshalb ist schon das Hinschauen belastend. Weil du dir selbst eine schlechte Prognose gibst“. „Wundert dich das wirklich?“ „Nein. Aber vergisst du dabei nicht etwas?“ „Was?“ „Wird die Prognose immer schlecht sein müssen?“ Selbstmanagement am Amazonas
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Roberto hatte seine Gabel weggelegt, seine Hände vor der Brust verschränkt und Tim angesehen. „Ich weiß nicht genau, was du meinst“. „Es gibt doch auch so etwas wie Veränderung und Entwicklung“. Roberto hatte Tim lange angesehen. „Und du meinst, ich vergesse darauf, dass ich mich entwickeln werde. Dass das der Sinn von Training ist. Ich blende die kommende Veränderung in meiner Prognoseerstellung aus“. „Das ist der Punkt. Du hinkst zwar, aber es wird besser. Und es wird noch viel besser werden. Das lässt du bei deinen Prognosen aus. Es ist nicht dein Fuß, es ist deine Einschätzung der Gesamtsituation, die die Welle zu einer Bedrohung macht. Und deine Einschätzung fällt deshalb negativ aus, weil du ausblendest, dass du trainieren und dich entwickeln wirst; körperlich wie mental“. „Und weiter?“ „Die negative Einschätzung führt nicht nur dazu, dass du das Surfen auf dem Fluss nicht als Herausforderung sondern als Bedrohung erlebst. Sie gibt dir auch den Eindruck, keine Kontrolle zu haben, was dich weiter verschreckt.“ „Und weiter?“ „Das ist die Logik, die hinter dem Stress steht, den du dir machst“. „Diese Logik funktioniert bei mir so gut, dass ich Freitag zwar zum ersten Mal versuchen werde, mit der Springflut zu fahren. Aber ich werde mich derart an das Board klammern, dass ich unten im See sein werde, bevor ich auch nur ein Take-Off versucht habe. Ich werde am Surfbrett liegend dahinfahren“. „So wird es sein, ja.“ „Du gibst mir einfach Recht?“ „Es ist tatsächlich wahrscheinlich. Es ist das Ergebnis, das zu deiner Prognose und zu deinem Eindruck von Kontrollverlust passt. Weshalb es allerdings auch völlig gleichgültig sein wird, dass du direkt in den See hinunter fährst.“ „Warum?“ „Warum wohl?“ „Vielleicht weil es nichts mehr schlimmer machen kann?“ „Dein Handeln kann dir emotional nicht mehr schaden. Es kann höchstens positiv wirken, wenn du die Fahrt witzig findest. Das reduziert dann möglicherweise den Druck und die Belastung sogar ein wenig“. „Sehr unwahrscheinlich …“ „Lass es auf dich zukommen. Letztlich wird es völlig gleichgültig sein, wie die Fahrt ausgeht“. 284
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„Glaubst du?“ „Ja. Weil du ein Spitzensurfer bist und tief drinnen weißt, dass du es kannst. Auch wenn es vorübergehend Probleme gibt“. Das Gespräch hatte Roberto verändert. Natürlich glaubte er an sich; natürlich konnte er weiterhin fühlen, auf welche Bewegungen es beim Surfen ankam. Im Trockentraining war er wieder richtig gut. Auch wenn er am Freitag eine lächerliche Figur abgeben würde – er stand erst am Anfang seiner Aufbauarbeit und es wäre deshalb okay. Dieser Gedanke hatte Roberto entspannt.Tim musste das gespürt haben, weil er im Aufstehen Roberto auf die Schulter klopfte und „so ist das mit unseren Gefühlen; sie haben viel mehr mit unserem Kopf zu tun, als wir wahrhaben wollen“ sagte. „Was“, wie er ergänzend hinzufügte, „auch unsere Chance für Veränderungen ist“. Später am Weg zur Staumauer hatte Tim das Gespräch wieder aufgenommen und festgestellt, dass Robertos Problem nun viel klarer wäre. Dass er nicht einfach nur Angst hätte, sondern sich mit seinen „verkürzten Gedanken“, wie es Tim nannte, „emotional selbst belaste“. Daran würden sie deshalb arbeiten müssen, „an deinen irrationalen und vereinfachenden Bildern, die du im Kopf hast und die unter anderem dadurch gekennzeichnet sind, dass du Entwicklungsmöglichkeiten ausblendest“. Insgesamt würde er Robertos Chancen gut bewerten, bald wieder „geistig fitt“ zu sein, „weil ich davon ausgehe, dass du es souverän verarbeiten wirst, dass am Anfang nicht alles gelingt. Du wirst dem keine große Bedeutung beimessen“. Diese „geringe Bedeutungsvalenz“, wie es Tim nannte, wäre eine gute Basis, die „Belastungslogik, die wir heute durchgegangen sind, zu durchbrechen“. Roberto fühlte sich motiviert, als sie kurz nach 3 Uhr zusahen, wie sich das Rinnsal zum Fluss verwandelte. Zwei Tage zuvor waren sie knapp unterhalb der Staumauer gestanden, die an die 40 Meter hoch und gute 100 Meter breit war. Heute waren sie einen halben Kilometer weiter unten geblieben, am kleinen Gefälle, das in den Wassermassen verschwunden war und jetzt einen Wellenberg produzierte. „Dort oben wirst du in das Wasser steigen“, hatte Tim gesagt und auf einen Felsen gedeutet, der 100 Meter weiter oben 10 Meter vom Ufer entfernt aus dem Fluss ragte und wie eine Schanze flach in ihre Richtung abfiel. „Dein idealer Startpunkt. Fünf Minuten vor 3 Uhr setzt du dich oben drauf, zehn Minuten später kannst du ins Wasser gleiten und auf dem Board liegend auf das Wellental zufahren“. Das nächste Frühstück hatte Tim erneut dazu genutzt, um „analytische Arbeit“ zu machen. Er hatte gewollt, dass Roberto seine „konkreten Arbeits- und Motivationsziele“ formulierte, „und zwar auf der Basis der Überlegungen und Erfahrungen, die wir gestern gemeinsam angestellt und gemacht haben“. Selbstmanagement am Amazonas
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Roberto hatte Tim daraufhin erzählt, dass am Abend seine Ängste wieder gekommen waren, er aber diesmal sehr genau hingeschaut hätte, was zugleich in seinem Kopf passierte. Irgendwie hätte er plötzlich die Idee gehabt, dass vielleicht keine Entwicklung erfolgen würde und er kein Vertrauen mehr zu sich fände. Allerdings hätte ihn das auch in dem bestärkt, was Tim am Vortag angedeutet hatte, nämlich dass es – neben allen körperlichen Übungen – an seinen Gedankenmustern zu arbeiten gälte. „Das ist nun schon so etwas wie ein Ziel, auch wenn ich noch nicht sicher bin, ob es das einzige ist“, hatte er deshalb Tim erklärt. „Und da ich gestern ziemlich motiviert war, nachdem ich begriffen hatte, wie ich mich mit meinem Denken selbst blockiere, erwarte ich mir von der Arbeit an diesen Zielen auch einiges an Motivation“.Was auch heißen sollte, dass er vorerst keine eigenen Motivationsziele formulieren wollte. Tim hatte daraufhin einfach mit der Arbeit begonnen. „Ich werde so vorgehen wie immer. Ich werde analysieren und dich mit Hilfe von Fragestellungen zur Selbstanalyse veranlassen“, war seine knappe Beschreibung dessen gewesen, was er in den nächsten Tagen und Wochen vorhätte. „Eine Frage brennt mir schon auf der Zunge: Wann hast du dich zum letzten Mal nicht weiterentwickelt? Hat es das in deinem Leben schon überhaupt je einmal gegeben?“ Roberto hatte sich schnell mit Tims Vorgehensweise anfreunden können und entdeckte bei ihren gemeinsamen „Frühstücksgesprächen“, dass er sich stetig entwickelte und dass es keinen Stillstand gab; höchstens eine Entwicklung in eine unerwünschte Richtung. Ebenso konnte er für sich herausarbeiten, dass er zwar im Kopf Schwierigkeiten hatte, sich bestimmte Surf-Bewegungen vorzustellen, dass sein Körper diese aber automatisch aktivierte und ablaufen ließ, wenn der entsprechende Kontext gegeben war – und dass deshalb seine Vorstellung, er hätte vieles seit seinem Unfall verlernt, ebenfalls nicht mehr als eine falsche, voreilige Schlussfolgerung darstellte. Als Roberto nach 20 Tagen und 10 Fahrten zwar einige Take-Off-Versuche gemacht hatte, aber stets gescheitert war und sich, bei aller Motivation, auf dem Wasser unwohl fühlte, hatten sie die Trainingsmethode abgeändert. Tim beschränkte seine Arbeit nicht länger auf eine Auseinandersetzung mit Robertos Denkgewohnheiten. „Du musst die Welle auch wieder anders sehen lernen“, hatte er resümierend festgestellt, „jetzt ist sie eine Wasserwalze, der du gegenüberstehst. Du bist hier und sie ist dort. Ihr gehört nicht zusammen“. Vor jeder Fahrt hatte Roberto sich daraufhin für 20 Minuten auf den Rücken legen und den blauen Himmel beobachten müssen. „Fixier einen Punkt irgendwo im Blauen; such dir einen imaginären Punkt, den du anstarrst“, war ihm von Tim beim ersten Mal erklärt worden. Er hatte Hände 286
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und Füße von sich gestreckt und in den Himmel gestarrt, bis er den Eindruck hatte, dass es zwischen ihm und dem Himmel keinen Abstand mehr gab und das Blau vor ihm zu vibrieren und zittern begann. Wenn er sich dann aufrichtete und zum Fluss sah, war dieser kein Fluss mehr gewesen, sondern ein braun-grüner Streifen in einem Landschaftsbild, das aus lauter verschiedenfärbigen Flächenzonen bestand und Roberto harmonisch komponiert erschien. Vor ihm tat sich ein Ganzes auf, in das er mit nur einem Schritt hinein steigen konnte. Als er zum ersten Mal in diesem Zustand auf das Wellental und den dahinter liegenden Wellenberg zugefahren war, hatte er schon Meter davor gespürt, wie er ins Tal hinunter gleiten würde, was ihn mit einer solchen Lust und Freude am Wasser erfüllt hatte, dass er sich auf dem Wellenberg vom Board drehte und sich nicht wie bei den Versuchen zuvor wegspülen, sondern zum See hinunter tragen ließ. Weitere 20 Tage später hatte er es zum ersten Mal fast geschafft gehabt und nach noch einmal 12 Tagen stand er wirklich am Board. Einzig der Rücken hatte ihm noch Schwierigkeiten bereitet, doch das, so wusste er, war eine Frage der Übung und der Zeit.
ZURÜCK AUF DER POROROCA Noch jetzt, fast ein Jahr später, sah Roberto die Welle unter der Staumauer vor sich. „Nimm dir das Bild mit“, hatte ihm Tim damals gesagt, „Und lass dich von ihm elektrisieren, wenn es nötig ist“. Aus dem Stampfen, das aus der Ferne kam, war mittlerweile ein Dröhnen geworden und vom Ufer her hörte Roberto das Knacken und Splittern der Bäume, die die Welle in den Amazonas riss. Nelsino drehte jetzt den Jetski und begann flussaufwärts zu fahren. Roberto blickte nach hinten und sah, wie die Pororoca näher kam. Eine 5-Meter-Wand war 50 oder 60 Jetski-Längen hinter ihm. „Du bist zu langsam, die Welle ist schneller“, brüllte er Nelsino ins Ohr. Der Jetski legte an Geschwindigkeit zu. „Das ist wieder zu schnell … So passt es … Und jetzt lass sie herankommen!“ Nelsino fuhr nun so, dass er den Abstand genau kontrollieren konnte. Nach zwei Minuten war die Pororoca dicht hinter ihnen, höchstens noch fünf Meter entfernt. Denk an das Wellental, spür, wie es dich hebt, wie du aufspringst, sagte Roberto vor sich hin. Das Wasser, das die Welle vor sich her drückte, erreichte den Jetski und ließ ihn schaukeln. Gleich darauf hob der vordere Teil der Welle den Jetski an.
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„Ich geh jetzt rein“, brüllte Roberto Nelsino ins Ohr, der konzentriert nach vor blickte. Er setzte sich seitlich auf den Jet, richtete das Board vor sich auf, lehnte sich dagegen und katapultierte sich und das Brett an den Rand der Schaumkronen, die die Welle vor ihm erzeugte. Noch während Nelsino Gas gab, um von der Welle wegzukommen, drückte sich Roberto vom Board hoch, spürte, wie es zu gleiten begann, hockte sich hin, stand auf und fuhr schräg die Wellenwand entlang aus den Schaumkronen hinaus. Zurück an jene Stelle, wo gerade noch der Jetski gefahren war. Sein rechter Unterschenkel schmerzte ein wenig, doch das hinderte ihn an nichts. Problemlos konnte er zum Pumping übergehen: In kurzen Kurven fuhr er auf Crack und Tonio zu, die sich 20 Meter von ihm entfernt in Richtung Ufer von der Pororoca tragen ließen. Tonio schrie ihm irgendwas von „30 Minuten“ zu und ließ sich dann hinter den ersten und höchsten Wellenberg zurückfallen. „35“ brüllte Roberto zurück, während er einen Haken schlug und in die Gischt zurückfuhr. In Wirklichkeit war es ihm egal, wie lange er auf der Welle fahren und ob ihn die Pororoca fünf oder zehn Kilometer stromaufwärts tragen würde. Denn dass es seine beste Pororoca-Fahrt war, war jetzt schon klar.
ABSPANN – DAS ABENTEUER SELBSTMANAGEMENT Pororoca-Surfer existieren tatsächlich. Das Video „Pororoca – Surfing the Amazon“ zeigt den Tanz auf der längsten Welle der Welt. Es gibt Surfer, die sich auf der Amazonas-Welle den Rücken brechen – und die dennoch zwei Jahre später erneut dabei sind. Um dann die wahrscheinlich großartigste Fahrt ihres Lebens zu erleben. Die Pororoca ist „die beste Welle, die Gott auf diesen Planeten gesetzt hat“, formuliert es Picuruta Salazar, einer der Superstars des Pororoca-Surfens. Dieses „Comeback“ ist Höchstleistung pur und für diejenigen, die es schaffen, ein wahrer Triumph. Surfen auf Amazonaswellen ist ein Abenteuer, das den Surfern alles abverlangt. Selbstmanagement ist es auch und das lebenslang. Wer einmal davon gekostet hat, wird es immer weiter treiben. Selbstmanagement bedeutet „existenziell“ zu lernen. Es stellt eine permanente Eigenveränderung im Fühlen, Denken und Handeln dar. In diesem Sinne ist Höchstleistung eine Kunst. Sie gibt die innere Freiheit, die Landkarten des Kontinents der eigenen Psyche immer weiter und weiter selbst zu gestalten.
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SACHWORTVERZEICHNIS Actor-observer bias 93 Aktiv-Wachhypnose 229 Aktivierung 71, 85, 88, 89, 104, 140, 171, 175, 220, 248, 252, 267, 268 Aktivierung durch Umschalten 152 Alltagsverstand 99 Analgesie 218 Analyse IX, 14, 27, 28, 31, 41–43, 63, 64, 69, 78, 80, 87, 94, 96, 99, 106, 121, 139, 201, 205, 237, 271, 272, 277 Analysesätze 78 Änderungsmotivation 23, 39, 46, 113 Angriffslust 85, 268 Angriffstennis 48, 147, 171 Angstmanagement 71 Antriebskraft 187, 188 Appellebene 121–123 Assoziation 221 Attributionen 91–93, 96 Aufmerksamkeit VIII, 18, 23, 65, 77, 127, 129, 134, 139, 161, 176, 210, 215, 217–220, 222, 229, 230, 232, 241, 244, 246, 250, 253, 259–261 Aufmerksamkeitslenkung 260, 261 Ausdifferenzierungsprozess 163 Ausgangsbedingungen 23, 34, 45 automatisieren 139 B B-A-B – Schema 85, 86, 89 Begeisterung 13, 56, 112, 159, 262 Bescheidenheit 31 Bewegung 4, 6, 48, 49, 57, 84, 89, 129–131, 136, 141–145, 148, 151, 157, 158, 168, 189, 190, 200, 216, 223, 226, 228, 230, 238, 239, 244, 258, 264–266, 280, 285, 286
Bewegungskoordination 147 Bewegungsprozesse 5 Bewegungsvorstellung 46, 84, 85, 121, 264, 267, 268 Bewertungsstufen 105 Beziehungsaufbau 23, 25, 36 Beziehungsebene 123 Beziehungsgestaltung 121 Breitformatfilm 132 C Charakter 4, 184, 186, 187, 196, 199– 201 Commitment 29, 70, 71 Counterfactuals 95, 96 D Denken VIII, IX, 3, 4, 6, 12, 13, 15, 19, 24, 28, 30, 36–39, 42, 43, 47, 50, 54, 62, 65, 77, 89, 95, 96, 100, 105, 108, 111, 113, 114, 117, 122, 134, 135, 140–143, 152, 155, 158, 159, 167, 168, 176, 195, 196, 200, 206, 207, 216, 217, 222–225, 234, 237, 238, 241, 245, 261, 265, 286, 288 Diskrepanzerlebnisse 63, 64 Dissoziation 221 Dopamin 104, 218 Downward counterfactuals 95, 96 Dynamische Hypnose 229, 230 E EBF-Sport – Erholungs-Belastungsfragebogen für Sportler 89 EEG 217 Eigenverantwortung 29, 40 Einstellung 144, 148, 224 Elektrodermale Aktivität 104 Eliminationsversuche 30
Emotion VIII, 3–5, 14, 15, 24, 25, 28, 39, 49, 57, 75, 77, 99, 103, 104, 106–109, 117, 118, 125, 165, 172, 177, 181, 187, 188 Emotionale Intelligenz 103 Empfänger 123 Entspannung 71, 80, 89, 118, 205, 215–217, 219, 227, 229, 241, 245, 246, 248–251, 257, 259, 261, 264 Entspannungsatmen 228, 245 Entspannungsmethoden 245 Entwicklung X, XI, 2–4, 6, 12, 19, 25, 29, 49, 54, 57, 61, 68–71, 76, 87, 107, 108, 115, 175, 284, 286 Erfolge XI, 2, 14, 63, 79, 87, 88, 92, 93, 100, 103, 115, 194, 216, 225 Erfolgsoptimierung 24, 27, 47 Erinnerungsarbeit 48 Erkenntnistheorie 4 Erklärungswissen 91 Erwartungen 34, 37, 39, 44, 53, 63, 67, 80, 129, 206, 282 Evaluation 24, 27, 31, 45, 46 Externale Ursachenfaktoren 92 Extraversion 72 F Fanatismus 159 Fatalistische Kontrollerwartung 100 Feedback 24, 41, 62, 76 Feedbackschleifen 24, 47, 48, 108 Fitness 54, 282 flexibel 25, 113, 125, 206, 207 Flow 15, 117, 158, 159, 161, 162, 165, 166, 188, 195, 199 Form 2, 55, 63, 84, 85, 93, 129, 130, 134, 135, 139, 140, 142, 152, 158, 161, 205, 216, 226, 232, 242, 260, 261 Frage-Toolbox 49 Fremdbewertung 69, 263 Fremdbild 42 G Gedanken 1, 3, 4, 25, 36, 42, 44, 47, 53, 56, 57, 62, 77, 78, 80, 83, 84, 86–89,
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95, 96, 103, 104, 106, 109, 117, 118, 125, 129, 155, 159, 167, 172, 181, 183, 187, 207, 221, 222, 225, 231–237, 243, 247, 257–260, 265, 266, 268, 269, 271, 274, 283, 285 Gedankenkarussell 53 Gedankenstopp 88, 232, 257 Gefühle 1, 3–5, 12, 36, 42, 50, 53, 56, 57, 62, 78, 80, 83, 87–89, 96, 103, 106, 107, 109, 116, 123, 172, 206, 210, 215, 216, 222, 225, 226, 229–231, 233, 237, 238, 245, 252, 264–266, 268–271, 274, 285 Gefühlsmanagement 6 Gefühlsregulation 107 Gegenstandswahrnehmung 144, 145, 147 Genauigkeitsverhalten 163 Genusstraining 162, 252 Gesamt-Gestalt 148 Gespürtes Wissen 141–143 Gestalt-Gesetz 135 Glück 5, 99, 106, 131, 196, 216 Glukokortikoide 118 Greifbewegung 3 Grenzerfahrungen 15, 153, 200 Grenzüberschreitung 2, 12, 13 Grübeln 12, 25, 65, 158, 220, 233, 234, 257 Grundstimmigkeit 50, 54, 57 H Haltung 142, 145, 167, 186, 223, 228, 229, 233, 245, 246, 253, 280 Handeln VIII, IX, XII, 14, 15, 24, 28–30, 36–38, 42, 49, 57, 62, 63, 67, 68, 77, 83, 100, 107, 115, 117, 134, 135, 155, 156, 206, 207, 225, 232, 284, 288 Handlungsaspekt 75 Höchstleistung VII, IX–XI, XIII, 1–7, 11, 12, 14–16, 18, 19, 21, 26, 27, 30, 32, 50, 51, 53, 54, 58, 59, 61, 64, 65, 67, 68, 71, 73, 76, 80, 81, 90, 94, 97, 101, 103, 108, 109, 115, 116, 119, 126, 134, 138, 146, 148, 149, 153, 156,
Sachwortverzeichnis
160, 166, 169, 178, 181, 185, 186, 191, 194, 197, 198, 202, 208, 211, 215, 288 Homo erectus 2 Homo sapiens sapiens 2 Hören von Stille 164 Hypnose IX, XII, 6, 83, 215–222, 229, 230 I Ich-Labor 11, 23, 30, 31, 42, 108 Imaginationsübung 89, 235 imaginieren 154, 155, 226 Immunsystem 118, 215, 218, 219 Innere Bilder 71, 89, 216, 220, 261 Innerer Antreiber 79, 80 Innerer Befehl 83, 84, 88 Innerer Dialog 77 Innerer Feind 79 Innerer Freund 79, 80 Innerer Kritiker 79 Innere Sprache 1, 77, 78, 80, 83, 85, 87, 116, 215, 222 Inneres Team 79, 80 Inneres Zuhören 77 Instinkt 12, 119 Intellektuelle Redlichkeit 31 Interesse 21, 39, 75, 76, 104, 107, 115, 159, 207, 258 Internale Kontrollerwartung 100 Internale Ursachenfaktoren 92, 93 Intervention VIII, IX, 7, 23, 25, 29, 37, 45, 63, 205, 207, 209, 211, 217, 218, 222, 224, 226 Intrinsische Motivation 21, 195 Introversion 72 Intuition 3 IST-Analyse 27 K Katalepsie 218 Katecholamine 104, 218 Kernbedingungen 95 Kernthema 37 Kinästhetisch 140–143, 147, 152
Sachwortverzeichnis
Kinästhetische Empfindung 140, 142, 143 Kognitionen 3, 15, 125, 172, 174 kognitiver Code 84, 139, 140, 155, 172, 174–177 Kognitive Umstrukturierung 232 Kommunikation 61, 121, 123, 157, 259 Kontrafakten 96 Kontrafaktisches Denken 95 Konzentration 1, 14, 15, 27, 34–37, 39, 41, 53, 54, 62, 63, 69, 71, 83–85, 87–89, 96, 127, 139, 152–159, 161– 168, 171, 172, 174–177, 179, 181, 188, 193, 218, 228, 230, 237, 241, 243, 246, 253, 257–259, 261, 262, 264–268, 271, 274 Konzentrationseinbrüche 34, 35, 43, 44, 48, 165, 171 Konzentrationsübungen 53, 165, 177, 264 Konzentrationszyklen 175, 176 Körper VIII, IX, 2, 4–6, 9, 12, 13, 25, 28, 30, 35–38, 43, 48, 53–57, 62, 63, 72, 80, 83–85, 87, 89, 108, 112, 113, 116, 117, 130, 131, 139–143, 147, 151, 152, 154, 166, 167, 171, 174, 181, 189, 215, 216, 218, 220, 222–225, 227, 228, 231, 233, 238, 245–248, 250–254, 260, 265, 269, 274, 282, 286 Körperdenken 13 Körperreise 246 Körpersprache 5, 25, 106, 122, 198, 206, 265, 274 Kritische Vernunft 31 Kurzinterventionen 124, 203, 205, 206 L Lebensziele 24, 80 Leidenschaft 99, 181, 187, 201 Leistungsoptimierung 226 Leistungsziele 39, 56, 114, 167 Lernen VIII, 1, 2, 15, 28, 30, 33, 39, 41, 42, 49, 50, 53, 61, 70, 89, 109, 137,
301
148, 155, 158, 200, 206, 226, 236, 253, 257, 259, 261, 264, 265, 286, 288 Limbisches System 5, 218 Lösungsorientiert 37, 206, 207 Lösungssätze 78 Lust 13, 39, 54, 70, 76, 84, 88, 93, 107, 108, 111, 190, 226, 228, 267, 287 M Mentales Setup 53 Metallmensch 11, 14, 108 Metamodell 36 Methoden XII, 12, 24, 27, 29–31, 44–47, 53, 75, 88, 105, 108, 109, 114, 147, 165, 205, 213, 215, 231, 241, 253, 261, 263 Mind-chatter 53 Mindmap 64 Minimalintervention 7 Misserfolgserlebnisse 63, 116 Momentum 61, 117–119 Motivation VIII, 1, 14, 21, 23, 27, 28, 30, 31, 37, 39, 40, 44, 48, 55, 57, 68, 71, 75, 86, 89, 92, 103, 105, 117, 124, 159, 165, 167, 171, 174, 179, 181, 186, 195, 199, 264, 266, 286 Motivationswerkzeug 92, 93, 96 Motivreduktionismus 193 Muskeltonus 218, 221 N Naive Theorien 100 Naive Verhaltenstheorien 99, 100 Natur-Labor 30 Neandertaler 2 Neigung 75 Neu-Entscheidungs-Therapie 207 Neuformulierung 114 Neugier 4, 13, 56, 75, 76, 115, 155–158, 257 Neugierde 13, 111, 157–159, 176 Neurotizismus 72 Noradrenalin 104, 118, 218 O
302
Organisation 83, 157 Orientierungsreaktion 129, 130 P Paradoxon der Neugier 158 Persönlicher Stil 30, 200 Persönliches Set-up 53, 57, 61, 181 Persönlichkeitsentfaltung 12 Perspektivenverschiebung 152 Phasenmodell 25 Pläne 24, 71, 77, 168, 257 positiv 24, 25, 29, 78, 80, 81, 93, 96, 105, 113, 123, 125, 145, 174, 175, 177, 206, 207, 217, 219, 221, 224, 225, 230, 245, 247, 261, 265, 267, 284 Problemanalyse 29, 31, 46, 48 Problemlösen VIII, 4, 75, 77 Problemsätze 78 Progressive Muskelentspannung 248 Propriozeptive Rezeptoren 129 Psychische Ziele 24, 39 Psychologisches Quadrat VIII, IX, 30, 75, 78, 215 Psychophysiologische Veränderungen 104 Q Qi Gong 253 R Raum 130, 136, 165, 188, 189, 220, 229, 233, 234, 247 Reaktionsschulung 88 Reframing 109, 222 Regeln 4, 24, 38, 78, 107, 124, 125, 157, 206, 257, 260, 264 Regisseur 130, 132, 162 Reize 3, 75, 83, 105, 215, 218, 220 Ressourcen 37, 38, 41, 44, 88, 124, 205, 207, 221, 225, 227, 274 Ressourcen-Analyse 41 Roter Faden 19, 25 S Schwächen 1, 41, 61, 64, 71, 185, 201, 258–260, 263, 264, 271–273 Selbstanalyse 95, 109, 113, 171, 286
Sachwortverzeichnis
Selbstattribution 28 Selbstbeobachtung 46, 48, 54, 57, 80 Selbstbewertung 46, 263 Selbstbild 42, 93, 143, 200 Selbstdisziplin 11, 13 Selbsteffizienz 28 Selbstentwicklung IX, 11–15, 17, 19, 20, 23, 24, 28, 33, 37, 49, 53, 56, 64, 100, 107, 108, 115, 116, 200, 206 Selbsterfahrung 13 Selbsterfüllende Prophezeiung 123, 237 Selbsterkenntnis 54, 61 Selbstgespräche 77, 79, 83 Selbsthypnose 27, 80, 219, 221, 267 Selbstillusionierungswerkzeug 84 Selbstinstruktionen 83 Selbstkontrolle 230 Selbstkonzept 123 Selbstmanagement VII–X, XII, 9, 15, 17–21, 23, 24, 28, 29, 31, 33, 37, 40, 43, 46, 47, 49, 50, 53, 55, 61, 78, 81, 83, 129, 147, 175, 188, 200, 201, 203, 205, 215, 275, 277, 288 Selbstmanagement-Ansatz 19, 31, 33, 81, 175 Selbstmanagement-Modell 40, 53 Selbstmanagement-Prozess 23, 49, 50, 147, 188, 200, 201, 277 Selbstoffenbarung X, 121, 122 Selbstreflexion 17, 33, 37, 47, 113, 125 Selbstüberschätzung 4 Selbstüberwindung X, 11, 24, 189 Selbstunterschätzung 4 Selbstverpflichtung 29, 70, 71 Selbstvertrauen 21, 28, 53, 61, 69, 71, 72, 115, 118, 215, 219, 234, 267 Selbstwert 15, 21, 27, 42, 61, 91, 93, 105, 123 Selbstwertdienliche Attributionsmuster 92 Selbstwertschützende Muster 92 Selbstwissen 29 Selbstzweifel 64, 86, 87, 265
Sachwortverzeichnis
Self-reaction 53 Self-serving bias 93 Self-talk 53 Serotonin 104 Signalpunkte 206 Simulationsübungen 167 Sinn IX, 14, 19, 76, 78, 93, 108, 112, 134, 142, 162–165, 168, 176, 177, 188, 194, 216, 220, 236, 238, 241, 251, 284, 288 SOLL-Zustand 24, 27, 44 Stärken 1, 41, 61, 64, 71, 72, 125, 201, 207, 215, 234, 258–260, 263, 264, 271–274 Stärken-Schwächen-Analyse 41, 201 Stimuli 118 Suchprozess 221 Suggestibel 216 Super-Body 11 Symbole 4 Symbolisierung 4 System-Moment 134 T Tagesverfassung 92, 93 Talent 4, 24, 58, 61, 67–72, 115, 181, 196, 199 Talentescout 67 Theta-Aktivität 218 Tiefensehen 3 Todsünden 193, 261 Toleranz 31 Trainingsbuch 43, 46, 69, 78, 109, 261, 263, 264, 266, 269 Trance 44, 80, 162, 195, 216–219, 225, 226, 230, 238 Tranceinduktion 223, 224, 227 Transfer 29, 47 Trichtermodell 25, 26 Tuning 54 U Überkreuzübung 239 Umfeld 29, 100, 130, 145, 146 Umschaltfähigkeit 145, 146
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Unterscheidung 37, 38, 63, 64, 92, 139, 181 Upward counterfactuals 95, 96 V Veränderung VIII, 14, 24, 29, 37–39, 42, 44–46, 61, 62, 78, 104, 108, 115, 157, 174, 209, 210, 218, 221, 250, 261, 263, 284, 285 Verankern 238 Verantwortung VII, 31, 37, 107, 207 Verhaltensanalyse 24, 27, 42, 43 Verhaltensnah 206 Vernunft 3, 31 Vertrauen VII, 115, 206, 282, 286 Vertrauen in Andere 115 Visualisierung 89 Vor-Annahme 78 W Wahrnehmung 4, 6, 14, 23, 28, 115, 121, 127, 129, 130, 133, 134, 136–140, 145–148, 151, 152, 161–163, 209–211, 219–221, 225, 230, 231, 233, 241, 247, 258 Wahrnehmungs – Switch 151 Wahrnehmungsdissonanz 174
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Wahrnehmungsgenauigkeit 145 Wahrnehmungsgestalt 134 Wahrnehmungsschulung 88 Wahrnehmungsumlenkung 88, 89 Warm-up 34 Weltentdeckung 157 Werte 23, 24, 29, 186, 263, 271, 272 Wettkampfdrehbuch 273 Wettkampfkonzentration 155, 164, 174–177 Widerstand 28, 229, 232 Wille 5, 54, 181, 201, 264 Willensbildungsprozess 83 Wissensdefizit 19 Z Zeigarnik-Effekt 117 Zeitperspektive 39, 124, 263 Zielbestimmung 28, 39 Zielfindung 27, 40, 264 Zielorientierung 1, 2, 41 Zone of optimal functioning 158 zukunftsorientiert 28, 39, 206, 207 Zukunftsorientierung 37, 38, 41 Zukunftsvertrauen 61, 115 Zuschreibung 28, 84, 91, 92, 94, 235, 237
Sachwortverzeichnis