Gruselspannung pur!
Die letzten Stunden von Vineta
von C.W. Bach Dämonenjäger
Mark Hellmann In einer mondlosen, stür...
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Gruselspannung pur!
Die letzten Stunden von Vineta
von C.W. Bach Dämonenjäger
Mark Hellmann In einer mondlosen, stürmischen Winternacht wurde ich von Tessa Hayden brutal geweckt. »Wach endlich auf, Mark!« Sie rüttelte mich wie einen Apfelbaum. »Komm endlich zu dir, zum Kuckuck!« »Was ist denn los?« »Raus aus den Federn, verdammt!« »Tessa, um alles in der Welt, was ist in dich gefahren?« Meine Freundin stand im Nachthemd vor mir und zitterte. »Stell keine Fragen. Steh einfach auf und komm ins Bad.« Im nächsten Augenblick huschte sie schon zur Tür hinaus. Ich folgte ihr ins Badezimmer und sah sofort die Bescherung: Jemand hatte mit Blut ein Runenorakel auf den Spiegel geschrieben. Eine böse Prophezeiung… Mark Hellmann - die Gruselserie, die Maßstäbe setzt! 2
In kurzen Stößen blies der frische Nachtwind über den Weimarer Marktplatz. Es war viel zu mild für die Jahreszeit. Petra Martens war das gleichgültig. Hand in Hand schlenderte sie mit ihrem Lover die Straße entlang. Manchmal, wenn Mike etwas Nettes zu ihr sagte, schloß die Achtzehnjährige beglückt die Augen und lehnte den Kopf an seine starken Schultern. Irgendwann kam das Pärchen an einer hell erleuchteten Telefonzelle vorbei. Mike blieb stehen. Er zwinkerte Petra zu und spitzte seine Lippen wie zu einem Kuß. Der Wind peitschte seine langen, schwarzen Haare. Unter Petras Haut begann es zu kribbeln. Sie ahnte, was er mit ihr vorhatte. »Willst du dich ein wenig aufwärmen?« fragte der Junge. »Du bist schon ganz naß vom Regen.« Petra gab sich naiv. »Daran wird sich auch in der Telefonzelle nichts ändern.« Ungestüm zog er an ihrer Hand. »Komm, hab dich nicht so. Laß dich einfach überraschen, Süße.« Petra musterte den Freund wohlwollend. Mike Schacht, der coolste Typ im Umkreis von zehn Kilometern, trug eine taillierte, schwarze Lederjacke und Jeans. Seine hochhackigen, auf Hochglanz polierten Schuhe funkelten im Licht der Straßenlaternen. Je länger Petra ihn anschaute, desto kribbliger wurde sie. In ihrer Nähe raschelte es im Gestrüpp. Das Mädchen stutzte. Unter normalen Umständen hätte sie dieses banale Geräusch völlig kalt gelassen. Ein Rascheln, na und? Aber es war nach Mitternacht. Der Wind heulte schaurig, und die dickbäuchigen, bleigrauen Wolken am Himmel wirkten auf sie bedrohlich. Petra fröstelte, und ihr rasendes Herzklopfen, die Angst, überdeckte jedes andere Gefühl. Sei nicht albern, sagte sie sich. Geh zu ihm, und alles ist okay. Er wird dir schon nicht den Kopf abreißen, du dummes Ding. Zögernd tat sie den ersten Schritt. Da erschütterte grollender Donner den Himmel. Petra stoppte, zog ihre Hand aus seiner und blickte sich ängstlich um. 3
»Was hast du?« fragte Mike. Das Mädchen antwortete nicht. Den Kopf zur Seite geneigt, horchte sie angestrengt. Als sie eine feuchte Haarsträhne hinter ihr Ohr schob, merkte sie, daß ihre Hand zitterte. »Mike, da ist etwas«, flüsterte sie. »Im Gebüsch, gleich hinter dem Münzer.« Der Wind fegte ihr dicke Regentropfen ins Gesicht. Ein Blitz zerriß den Himmel. Für Bruchteile von Sekunden erstrahlten Fassaden und Dächer der historischen Gebäude ringsum taghell. Mike verließ die Telefonzelle. Mit sanftem Nachdruck ergriff er Petras Arm. Sie zog den Arm weg und blickte ihm flehend in die Augen. »Ich will nach Hause!« Mike winkte verärgert ab. Im Stile eines souveränen Showmasters stolzierte er auf das Gestrüpp zu und bog, den Blick auf Petra gerichtet, die Zweige auseinander. »Sehr verehrte Damen und Herren, hiermit wird das Geheimnis des mysteriösen Gebüsches gelüftet. Es ist - leer.« Petras Schrei war lang und schrill. Sie schlug die Hände vors Gesicht, biß sich in den kleinen Finger und rannte davon. Mike wirbelte verblüfft herum. Während das Klappern von Petras Absätzen allmählich verhallte, stand er noch immer stocksteif. Mit einer Mischung von Beklemmung und Staunen musterte er das Objekt, das seine Freundin in Angst und Schrecken versetzte hatte: einen Totenschädel! Den letzten Knochenkopf hatte Mike Schacht in der Glasvitrine seiner Tante gesehen, in Taubach. Der Schädel glich dem, der jetzt vor ihm lag, aufs Haar und hatte an derselben Stelle ein Loch! * Die Männer der Spurensicherung waren damit beschäftigt, das Gelände abzusperren und nach vermeintlich wichtigen Anhaltspunkten zu suchen. Hinter dem rot-weiß gestreiften Bändchen der Absperrung drängten sich Schaulustige. Morgens halb zehn, in Weimar. Ich stand gegen die Telefonzelle gelehnt und versuchte, mir 4
einen Reim zu machen. Mein Freund Pit Langenbach, Hauptkommissar bei der Kripo, hatte mich benachrichtigt. Jugendliche hatten nachts im Gestrüpp einen menschlichen Schädel gefunden. Das Teil war bereits ins gerichtsmedizinische Institut gewandert. Pit hatte gerade den diensthabenden Laboranten an der Strippe. »Dr. Bugnagel, das ist nicht Ihr Ernst!« hörte ich Pit sagen. Ich wurde hellhörig. Pits Stimme klang hochgradig betroffen, beinahe fassungslos. Er stand neben mir, lauschte in sein Handy und hatte die Augen bis zum Anschlag aufgerissen. Dr. Bugnagel schien ihm eine Hiobsbotschaft nach der anderen mitzuteilen. Endlich unterbrach Pit die Verbindung. »Die Welt steht Kopf, Mark«, sagte er. »Kneif mich mal!« Ich zwickte ihn in die Wange. »Auah!« »Du hattest es so gewollt.« Ich zuckte die Achseln. »Leg los, Pit! Was haben die Leichenschnipsler ausbaldowert?« »Was für ein Tag.« Pit prustete geschafft. »Um vier Uhr nachts reißt du mich aus dem Schlaf und tischt mir auf, dein Badezimmer hätte sich in ein Runenorakel verwandelt. Zwei Stunden später der nächste Hammer: Mitten in der Stadt wird ein Totenschädel gefunden, der sage und schreibe tausend Jahre auf dem Buckel hat.« Ich stand wie vom Donner gerührt. »Wie bitte?« Pit nickte bestimmt. »Dr. Bugnagel ist ein erfahrener Gerichtsmediziner. Er schwört jeden Eid, daß das Ding aus einer Zeit stammt, als König Heinrich IV. gerade nach Canossa unterwegs war.« »Und woher stammt das Loch?« »Trepanation«, klärte mich Pit auf. »Man meißelte Kranken ein Loch in den Schädel, um das Gehirn besser zu belüften. Das Kuriose ist, den Typen soll es danach tatsächlich besser gegangen sein.« Rasch war ich wieder obenauf. »Die Frage ist: Wie kommt er hierher?« »Woher, zum Teufel, soll ich das wissen?« blaffte Pit. Er gab seinen Leuten ein Zeichen. »Einpacken, Jungs! Wir brechen unsere Zelte ab. Es liegt keine Straftat vor.« »Und wenn, wäre sie längst verjährt«, sagte ich beiläufig. Pit starrte mich entgeistert an. 5
Dann erwachte der Polizist in ihm. Er spornte seine Leute zur Eile an. Im Handumdrehen war der Platz um den öffentlichen Fernsprecher geräumt. Die Beamten packten zusammen, quetschten sich in die Streifenwagen und brausten davon. Ich saß neben Pit. Im Rückspiegel sah ich, wie eine Handvoll sensationshungriger Passanten anfing, auf eigene Faust das Buschwerk um die Telefonzelle in seine Einzelteile zu zerlegen. Zwei Japaner waren darunter… * Mir rauchte der Kopf. Auf einen Bogen Papier hatte ich drei konzentrische Runenkreise gemalt. Sie hatten also einen gemeinsamen Mittelpunkt, wobei ich den äußeren Ring in vier Segmente aufteilte. Die dazugehörigen Runen hatte ich auf Dominosteine geklebt. Seit Stunden versuchte ich, das geheimnisvolle nächtliche Orakel nachzubilden. Leider bisher vergeblich. Es gab nur wenige Dokumente über die Verwendung des Futhark-Alphabets zur Weissagung. Möglicherweise lag es daran, daß die Ausbreitung des Christentums bis in die fernsten Gegenden Europas auch das Alphabet mitbrachte, das wir noch heute benützen. Der Gebrauch von Runen zur heidnischen Weissagung war von der Kirche als Werkzeug des Teufels gebrandmarkt worden. Obwohl man versuchte, Runenorakel mit Stumpf und Stiel auszumerzen, blieb diese Kunst im geheimen erhalten. Bald wurde sie als Hexenwerk in Verruf gebracht. »Möchtest du eine Erfrischung?« rief Tessa aus meiner Küche. »Nein danke, ich habe keinen Durst.« »Auch keinen frischen Kaffee?« Tessa ließ nicht locker. »Laß doch deine Runen für zehn Minuten in Ruhe. Rom wurde auch nicht in einem Tag erbaut.« »Tessa, wie soll ich mich konzentrieren, wenn du mich andauernd ablenkst? Wer auch immer das Orakel an meinen Spiegel gezaubert hat, er wird einen verdammt guten Grund dafür gehabt haben.« Verzweifelt kramte ich in meinem Gedächtnis. Es wollte mir einfach nicht gelingen, die Symbole nachzubilden. 6
Ich hatte mir die präzise Lage der Runen in den drei Kreisen nicht genau merken können. Das Orakel war nur wenige Sekunden sichtbar gewesen. Im Nu war es wieder verblaßt. Ich mußte demnach auf ein zweites Zeichen warten. Und das kam eher, als ich dachte. Pit Langenbach rief mich an. »Jemand will mit dir sprechen, Mark«, wisperte der Hauptkommissar geheimnisvoll. »Schließlich bist du der Fachmann für überirdische Phänomene.« Instinktiv witterte ich Morgenluft. Sollte mir der Zufall zu Hilfe eilen? Es knackte im Hörer, und die Stimme eines jungen Mannes meldete sich. »Herr Hellmann?« »Selbstpersönlich. Was kann ich für Sie tun?« »Ich heiße Mike Schacht«, stellte sich die Stimme vor. »Ich bin der, der letzte Nacht den Schädel gefunden hat.« Aha, daher wehte der Wind! Gab es etwa eine Verbindung zwischen Orakel und Totenschädel? Ich war ganz Ohr. Die Stimme räusperte sich verlegen, ehe sie fortfuhr: »Nun ja, als meine Freundin verduftet war und ich das Ding so anglotzte, schimmerten mit einemmal drei komische Ringe auf dem Schädel. Aber nur 'n paar Sekunden. Dann waren sie wieder weg.« »Was weiter?« drängte ich. »Ich kenne solche Ringe. Meine Tante ist Hellseherin. Sie wohnt in Taubach. An der Schatzgrube. Für 'n paar Mäuse sagt sie jedem, der Bock darauf hat, die Zukunft voraus. Dazu befragt sie das Runenorakel.« »Und?« Ich schwitzte fast vor Aufregung. »Ich hab ihr aufgemalt, was ich gesehen habe. Die Lage der Steine wußte ich noch ziemlich genau. Hatte schon immer ein prima Gedächtnis, von klein auf.« Das Jungchen ist ja nicht mit Gold zu bezahlen, kommentierte ich in Gedanken. Ich war gespannt wie eine Sprungfeder. Da kam Tessa Hayden ins Zimmer. Auf dem linken Unterarm balancierte sie ein Tablett mit Kaffeegeschirr. Sie trug nichts weiter als eines meiner T-Shirts und einen winzigen Slips darunter. Ein jäher Hitzeschwall durchrieselte meinen empfänglichen Körper. »Möchtest du Süßstoff?« Sie klimperte mit den Wimpern. Ich schüttelte den Kopf, tippte bedeutungsvoll auf mein Handy, 7
das ich ans Ohr gepreßt hielt. Tessa setzte das Geschirr auf dem flachen Couchtisch ab und sah mich groß an. »Du telefonierst? Eine Frau, hab ich recht?« Ich zog einen Flunsch. »Genau, Tessa. Diesmal ist es Claudia Schiffer. Sie hat gerade sturmfreie Bude und fragt, ob ich…« »Du Schuft!« Drohend hob Tessa das Tablett. . »Äh, ich verstehe nicht«, kam es irritiert vom anderen Ende der Leitung. »Ich glaube, die Verbindung ist gestört.« »Schon okay!« schnaufte ich. »Bei mir geht's momentan drunter und drüber. Also! Was kündigt das Orakel an? Hat Ihre Tante es herausbekommen?« »Klar«, antwortete Mike Schacht. »Hat sie. Tante Geraldine ist eine Kapazität auf ihrem Gebiet. Aber halten Sie sich gut fest!« Ich packte Tessa am Arm. * Auf der Plattform des Treppenhauses stand ein großer Terracotta-Topf mit einer großblättrigen Grünpflanze. Neben dem Topf, direkt vor der Wohnungstür der Ermordeten, wachte ein baumlanger, uniformierter Polizist. Seine Augen lagen tief in den Höhlen, und seine Haut hatte die Farbe einer durchsichtigen Zellophantüte. Als Hauptkommissar Langenbach an ihm vorbeiging, krallte er seine Finger in dessen Sakko. »Vergessen Sie alles, was Sie bisher gesehen haben«, krächzte er. »Wer auch immer das getan haben mag, ist nicht von dieser Welt.« Pit warf dem Beamten einen schnellen Blick zu. Der Mann sah nicht so aus, als würde er scherzen. Vielmehr schien er völlig durcheinander. Er pfiff aus dem letzten Loch. Pit befürchtete, daß er jeden Moment aus den Stiefeln kippte. »Lassen Sie sich ablösen, Wachtmeister!« Der Uniformierte salutierte, wollte dankbar lächeln, aber sein Gesicht verzerrte sich zur Grimasse. Pit öffnete die angelehnte Tür und trat in die Wohnung. Kupferähnlicher Geruch schlug ihm entgegen. Blut! 8
Er schluckte. Die Frau lag im Wohnzimmer, auf der Schwelle zum Korridor. Als Hauptkommissar Langenbach sie so liegen sah, dachte er für einen kurzen Augenblick, er würde den Verstand verlieren. Die mint-grün tapezierten Wände waren von oben bis unten mit Blut bespritzt, sogar die Deckenlampe hatte ihr Teil abbekommen. Ein junger Arzt, der einen rot gesprenkelten Kittel trug, starrte ihn verstört an. Pit reichte ihm die Hand, zog sie aber rasch zurück, als er sah, daß Blut an den Händen des anderen klebte. »Ich bin Hauptkommissar Langenbach; Weimarer Kripo.« »Dr. Kaulitz«, murmelte der Mediziner. »Ich hab gerade den Schock meines Lebens hinter mir. Normalerweise mag ich überhaupt keine Horrorfilme, jetzt spiele ich selbst in einem mit.« Pit vermied es, die Leiche anzuschauen. Mit gesträubtem Nackenhaar hörte er zu, was Dr. Kaulitz ihm stockend berichtete. »Es hat den Anschein, als liege ein Ritualmord vor. Ich hab keine Ahnung, was es alles für schauderhafte Rituale gibt. Aber dieses ist mit Abstand das schlimmste, dafür leg ich meine Hand ins Feuer. Die Frau muß, bevor man sie tötete, ungeheuerlich gelitten haben. Ihre Leiche ist total verstümmelt. Der Schädel fehlt, zum Teil jedenfalls. Große Partien ihrer Haut sind ebenfalls nicht vorhanden. Die inneren Organe sind ausnahmslos beschädigt…« Während der Arzt sprach, spürte der Hauptkommissar Übelkeit in sich aufsteigen. »Eines der Augen hab ich auf dem Fensterbrett…« Pit Langenbach wollte sich keine Blöße geben. Krampfhaft versuchte er, an etwas Schönes zu denken. An sein behaglich eingerichtetes Zuhause mit seiner hübsche Frau Susanne und der achtjährige Tochter Anna, die so gerne den interessanter klingenden Namen Annika getragen hätte. »Auf dem Teppich, vor dem Fernsehapparat - ein Stück der Oberlippe und der Zunge…« Jetzt langte es aber! Der Hauptkommissar schnitt dem Arzt das Wort ab. »Lassen Sie die Leiche fortschaffen, Doktor«, sagte er mit fremdartig klingender Stimme. »Vielleicht bringt die Obduktion neue Erkenntnisse.« 9
Dr. Kaulitz schob zweifelnd die Oberlippe vor. Offenbar fragte er sich, was sie eigentlich obduzieren sollten. Er wirkte erleichtert, als er hinausging und mit zwei Sanitätern wiederkam, die eine Bahre hereinrollten. Pit hörte den Plastiksack knistern, während er sich routinemäßig umsah. Abgesehen von den allgegenwärtigen Blutspritzern war die Wohnung aufgeräumt und sauber. Es gab einen rustikalen Anbauschrank, eine Sitzgruppe aus Leder, einen Eckschrank, in dem das Fernsehgerät stand, eine Glasvitrine mit kleinen Porzellanfiguren und einen kleinen runden Tisch, ganz hinten. Alles stand an seinem gewohnten Platz. Nicht ein Möbelstück schien verrückt worden zu sein. Der Überfall mußte im IC-Tempo erfolgt sein. Der kleine Tisch… In Pit Langenbach schrillte eine Sirene, glockenhell und durchdringend bis ins Knochenmark. Vorsichtig die Blutspuren umgehend, näherte er sich dem unscheinbaren Teil. Als er davorstand, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Auf der blankpolierten Tischplatte lag ein kunstfertig besticktes, quadratisches Tuch aus Seide, ungefähr dreißigmal dreißig. Obwohl das ausladende Design einen unbedarften Betrachter in die Irre führen mochte Pit Langenbach war sich hundertprozentig sicher: Das Tuch enthielt die Grundgebiete der drei konzentrischen Kreise. Ein Runentuch! »Dr. Kaulitz?« Er fuhr herum. »Ja?« Der Arzt zog gerade den Reißverschluß des Plastiksacks zu. »Wie war noch mal der Name des Opfers?« Dr. Kaulitz krauste die Stirn, überlegte kurz. »Ich glaube Schacht«, sagte er. »Geraldine Schacht.« * Insel Wollin, nahe Vineta, im Jahre 1067. Es war noch dunkel, als sie aus ihren Holzhütten kamen. Rexar, der Tempelpriester, führte die Männer. Entgegen der allgemeinen Sitte trug der kleinwüchsige Mann 10
seine Haare lang. Sein Bart war struppig und reichte bis zu dem Strick, der den Jutekittel über seinem prallen Bauch umspannte. Fanatische Entschlossenheit beherrschte das adlernasige Gesicht des Winzlings. Er hielt ein Schwert gepackt. Auch die Mehrzahl der Tempelknechte trugen Waffen. Die übrigen schwenkten Pechfackeln, die ihnen den Weg erhellten. Ihr Weg führte sie über eine hölzerne Brücke, unter der ein schmales Flüßchen plätscherte. Ein Damm aus Bohlen schloß sich an. Dumpf hallten die Schritte der gespenstischen Prozession darauf. An einem brusthohen Flechtwerkzaun blieb Rexar stehen. Den Blick gen Himmel gerichtet, hob er den linken Arm. Der weite Ärmel seines Gewandes rutschte hinab. Er entblößte eine verkrüppelte Hand. Der kleine Finger stach rechtwinklig ab. Auch seine Tempelknechte blieben stehen. Der Mond klebte wie eine eitrige Geschwulst am Himmel. Träge schob sich eine zerfetzte Wolke unter ihm entlang. Der Tempelpriester murmelte leise eine Beschwörung. Mit gesenkten Köpfen verharrten die Männer andächtig. Keiner von ihnen bewegte sich. Auf ein stummes Zeichen ihres Anführers setzten sie ihren Weg fort, bis sie an ein abseits gelegenes Blockhaus kamen. Rexar klopfte laut an die Tür. »Im Namen des allmächtigen Gottes Svarog, öffne uns die Tür, Arnulf!« Aus der Hütte klang der erstickte Schrei einer Frau. In Rexars Gesicht nistete ein grausames Grinsen. Die Holzzapfen des Riegelschlosses knirschten in den Widerlagern. Die Tür öffnete sich einen Spalt weit, und der zerzauste Blondschopf eines Mannes erschien. Arnulf, der Kammacher. Der Tempelpriester musterte ihn von Kopf bis Fuß. Arnulf war gute zwei Köpfe größer als Rexar. Bis auf ein knielanges, grobwollenes Hemd war Arnulf unbekleidet. Seine kräftigen Unterarme waren dicht behaart. Arnulfs Frau entzündete ein Talglicht. Rexar kniff die Augen zusammen. Im flackernden Schein der Kerze erkannte er die Körper zweier schlafender Kinder. Sie lagen auf einer hohen Holzpritsche, mit Stroh und Fellen zugedeckt. 11
»Was willst du, Rexar?« Arnulf schluckte. Der Tempelpriester gab keine Antwort. Seine brüchigen Zahnstümpfe entblößend, hob er das Schwert. Zwei finster dreinblickende Burschen traten vor. Brutal packten sie den entsetzt zurückweichenden Hausherren und nahmen ihn in ihre Mitte. Jemand schwang einen Knüppel und versetzte Arnulf einen Schlag auf den Kopf. Er schrie auf. Blut sickerte aus seiner Schläfe und rann über seine breiten Backenknochen. Unerwartet bekam der Heimgesuchte Hilfe. Gerhild, seine Frau, warf sich aufopfernd zwischen die Männer. Sie war klein, überaus drahtig und hatte ein verhärmtes, hohläugiges Gesicht, das in ihrer Jugend einmal hübsch gewesen sein mußte. Ihr langes, rotes Haar funkelte, als wäre es von Glühwürmchen durchwirkt. »Laßt mir meinen Mann, Rexar!« flehte Gerhild und sank vor dem Tempelpriester auf die Knie. Verzweifelt ergriff sie den Kittel des Zwerges, bedeckte den schmutzverkrusteten Saum mit Küssen. »Rexar, um unserer Kinder willen, ich flehe dich an! Stürze uns nicht ins Verderben!« Sekundenlang genoß der Angeflehte die ihm erwiesene Unterwürfigkeit. Fast sah es so aus, als würde er ihr begütigend über das Haar streichen wollen. Aber dann, übergangslos, verwandelte sich sein Gesicht in eine böse Fratze. Er packte sein Schwert fester und stieß die Jammernde unbarmherzig zurück. Die Frau stürzte rücklings auf einen dreibeinigen Schemel. Vor Schmerzen winselnd, blieb sie liegen. »Warum dies böse Spiel?« Arnulf wand sich wie eine Eidechse, doch die Männer, die ihn gepackt hielten, waren stark wie Bullen. »Svarog ist von unsagbarem Zorn erfüllt«, sagte der Tempelpriester. »Ich habe das Orakel befragt. Nun ist es meine heilige Aufgabe, unseren verehrten Gott wieder zu besänftigen. Das verstehst du doch, oder?« »Aber was habe ich damit zu tun?« Rexar grinste schief. »Du bist es, der ihn erzürnt hat.« »Ich?« schrie Arnulf ungläubig. »Ja, du«, sagte der Tempelpriester feierlich. . »Erkläre mir, was ich getan haben soll. Ich bin mir keiner Schuld bewußt.« Ein dünnes Kinderstimmchen tönte von der Schlafstelle. Ein 12
Junge, kaum zehn Jahre alt. »Vater, gehst du jetzt fort?« Rexar kicherte böse. »Ja, mein Kind. Du brauchst nicht zu warten. Dein Vater wird dorthin gehen, wo noch niemand zurückgekehrt ist.« Und ihr werdet ihn begleiten, fügte er mit unversöhnlichem Haß hinzu. Der Knabe kuschelte sich an seine kleine Schwester, die neben ihm schlief, und begann zu weinen. Rexar starrte Arnulf an. »Erklärungen willst du? Du sollst sie haben. So erinnere dich: Vor zwei Tagen besprachen wir in unserem heiligen Hain den geplanten Feldzug gegen die Zirzipanem.« Der Kammacher zögerte. »Ja, ich erinnere mich.« »Braver Mann«, lästerte Rexar. »Dann erinnerst du dich vielleicht auch, daß sich niemand den Beschlüssen der Volksversammlung widersetzen darf! Weder im Schoße des heiligen Tempels, noch außerhalb seiner Wände. Svarog duldet keinen Widerspruch!« Arnulf würde leichenblaß. Triumphierend fuhr der Priester fort: »Das Gesetz lautet, wer sich außerhalb des Tempels offen gegen die Beschlüsse ausspricht, büßt alles ein, was er besitzt: sein Hab und Gut, die Seinen und - sich selbst, wenn man so will. Und du, Kammacher Arnulf, wurdest dabei belauscht, als du deinem Weibe deine verworfenen Ansichten mitteiltest!« »Die Wände deines Hauses sind sehr dünn, Arnulf«, rief einer der Tempelknechte höhnisch. Arnulf sah den Priester fest an. »Du lügst, Rexar«, sagte er laut. »Und du weißt es!« Rexars Blick flirrte. Hastig reckte der Zwerg seine Krüppelhand in die Luft. »Versöhnt Svarog!« brüllte er in die Nacht. »Du hast Angst vor mir, Rexar!« keuchte Arnulf. »Nicht ich bin es, der Svarog erzürnt hat - sondern du! Ich habe es mit eigenen Ohren gehört, mit eigenen Augen gesehen. Rexar, du bist der Verräter, denn du beschwörst den schwarzen Gott. Dragovit, den Gott der Finsternis. Ich sah, wie du Tote auferstehen ließest, längst Verfaulte…« »Macht ein Ende!« Rexars Stimme überschlug sich. Die Tempelknechte standen starr. Sie lauschten mit offenen Mündern. »Bei Svarog! Ich sah, wie sich Knochenmänner aus ihren 13
Gräbern erhoben. Und Rexar sprach mit ihnen. Er erteilte Befehle. Dann verschwanden sie im Nichts. Hört…!« »Elender Lügner!« Dem Tempelpriester quollen die Augen aus den Höhlen. Schaum stand vor seinem Mund. Mit affenartiger Geschwindigkeit wirbelte er sein Schwert durch die Luft. Gnadenlos rammte er dem Kammacher den Stiel der Waffe in den Leib. Arnulf klappte zusammen. Er riß den Mund auf und schnappte gierig nach Luft. »Versöhnt Svarog!« In Rexars Augen loderten Flammen. »Steht nicht so töricht herum, Männer des Tempels. Ihr wißt, was unsere heilige Pflicht ist!« Das Spektakel begann. Die Tempelknechte schwärmten aus. Einer warf die Tür der Blockhütte zu und legte einen Balken davor. Zwei andere begaben sich zu den Fenstern und bauten sich drohend davor auf. Falls jemand aus der Hütte fliehen wollte, würden sie ihn ohne Mitleid zurückstoßen. Arnulf schrie vor Wut. Er wollte die Männer, die ihn festhielten, abschütteln. Die Todesangst verlieh ihm große Kräfte. Da sprang ein weiterer Templer hinzu. Er hatte die Statur eines ausgewachsenen Bären. Es war Otho, der Eisenbieger. »Für Svarog!« heulte er und schlug dem zappelnden Kammacher ein Bleirohr auf den Hinterkopf. In Arnulfs Kopf explodierte ein Feuerball. Schlaff sackte sein Kinn auf die Brust. Sie schleiften ihn nach draußen. Die Natur zeigte sich gnädig. Sie nahm ihm das Bewußtsein. Indessen steigerte sich das Brüllen der eingesperrten Frau und der Kinder ins Unermeßliche. Sie schienen sich in der Wahl von Verwünschungen, Schreikrämpfen und anderen Schreckenslauten gegenseitig übertreffen zu wollen. Denn sie wußten, was sogleich mit ihnen passieren würde. Die Tempelknechte gingen mit großer Routine vor und ohne eine Spur von Barmherzigkeit. Es war nicht das erste Mal, daß sie auf Geheiß Rexars ihren Gott Svarog versöhnen mußten. Im Nu hatten sie die Blockhütte umzingelt. Nicht mal eine Maus würde ungehindert entweichen können. Dann hielten sie, von allen Seiten zugleich, ihre blakenden Fackeln an das knochentrockene Strohdach. Es dauerte nur 14
Sekunden, und das Dach war selbst eine riesige, blakende Fackel. Jubelnd begrüßten die Männer das prasselnde Feuer. Sie grölten aus vollem Hals. Möglicherweise wollten sie auch nur das gräßliche Gezeter der Eingesperrten übertönen. Der Tempelpriester wich ein paar Schritte zurück. Er haßte eine derart glühende Hitze. Er war ein Mann der Finsternis. Aus sicherem Abstand sah er zu, wie das Holzhaus Opfer zerstört wurde. Rexar war rundum zufrieden. Der erste Teil seines Vorhabens war erledigt. Teil zwei würde sich nahtlos anschließen. Teil zwei… Rexars stechende Augen senkten sich auf den schlaffen Körper des bewußtlosen Kammachers. In einer Stunde würde von seinem Widersacher nur noch ein Klumpen zuckenden Fleisches übrig sein. Wohlgefällig strich Rexar über seinen Bart. Da verstummten die Schreie im Blockhaus. Das Feuer prasselte dafür um so lauter. »Zum heiligen Hain!« befahl Rexar mit donnernder Stimme. »Besänftigen wir Svarog!« Abermals formierten sich die Tempelknechte zu einer geisterhaften Prozession. Schweigend setzten sie sich in Bewegung. Rexar, der kleine Tempelpriester, schritt voran. Als sie ein Stück gegangen waren, warf er einen flüchtigen Blick zurück. Er sah, wie sich schemenhafte Gestalten aus dem Dunkel der Nacht schälten. Gaffend versammelten sie sich vor den Trümmern des gebrandschatzten Hauses. Doch nicht einer machte Anstalten, das Feuer zu löschen. Die Furcht vor den Templern hielt sie davon ab. Und die Furcht vor Svarog. Rexar lachte geringschätzig. Wenig später erreichten sie den heiligen Hain. Der Tempel des Svarog lag am Rande der Siedlung. Zwei Reihen knorriger Eichen streckten ihre dichtbelaubten Zweige in den düsteren Himmel. Ein hüfthoher, kunstfertig geflochtener Weidenzaun begrenzte den Hain. Der Tempelpriester entriegelte das Tor, und sie gelangten ins Innere des heiligen Bezirks. Rexar schritt hochaufgerichtet, die anderen folgten in geduckter Haltung. Zum Schluß die Männer, die den leblosen Arnulf mitschleiften. Sie waren am Ziel. 15
Am Standbild des Svarog. Es war aus Eichenholz und so hoch wie drei Männer. Der Gott hatte vier Köpfe und vier Hälse, die nach den vier Himmelsrichtungen blickten. In der Rechten hielt er ein Trinkhorn. Der linke Arm war in die Seite gestemmt. Ein hölzernes Bauwerk, dessen Dach purpurfarben glänzte, schützte den Allmächtigen vor Wind und Wetter. Die Knechte, die Arnulf stützten, traten nach vorn. Am Fuße der gigantischen Holzfigur legten sie den Bewußtlosen nieder. Da kam Rexar ein teuflischer Gedanke. »Holt Wasser!« befahl er. »Wasser?« lispelte ein Bursche, dem ein Ohr fehlte. »Für unseren Freund Arnulf.« Rexar grinste. Der Einohrige bleckte einfältig seine Zähne. Sie hatten die Farbe von reifem Mais. »Glaubst du, er hat Durst?« fragte er dümmlich. Rexars Augen stachen wie Blitze. »Ich sagte, Wasser!« Der Einohrige erschrak. Das Antlitz des Tempelpriesters war abstrus verzerrt. Eiligst machte der Bursche, daß er fortkam. Einige Männer, die in der Nähe standen, lachten schadenfroh. Das Einohr war der Bursche, der Arnulf in dessen Haus belauscht haben wollte. Er hieß Panasch, war dumm wie Stroh, aber Rexar treu ergeben. Diese Mischung machte ihn gefährlicher als einen streunenden Wolf. Jemand stellte ihm ein Bein. Panasch kam zu Fall. Aber behende wie ein Stehaufmännchen sprang er wieder auf die Füße und verschwand in der Dunkelheit. Kurz darauf tauchte er wieder auf, einen kinderkopfgroßen Tonkrug voll Wasser in den Händen. Ergeben reichte er Rexar das Gefäß. Der Tempelpriester schüttelte den Kopf. »Spritz du ihm das Wasser ins Gesicht, Panasch«, befahl er. »Ich will, daß Arnulf hellwach ist, wenn ihm die große Ehre zuteil wird, Svarog mit seinem eigenen Fleisch und Blut zu versöhnen.« Der Einohrige nickte begeistert. Mit einem Schwall goß er dem Bewußtlosen das Wasser über den Kopf. »Wach schon auf, du Ratte!« schimpfte Panasch. Aber Arnulf rührte sich nicht. Das Einohr versetzte ihm einen derben Fußtritt. Der Kammacher zuckte nicht mal mit der Wimper. Er gab keinen Laut von sich. 16
Panasch geriet in Wut, als die Umstehenden hämisch kicherten. Abermals holte er aus. Da legte Tempelpriester Rexar beschwichtigend die Krüppelhand auf die Schulter des Einohrigen. »Halte ein, Panasch! Der Mann ist tot, wie du siehst.« Panasch stieß einen gurgelnden Laut der Enttäuschung aus. Zögernd mischte er sich wieder unter die anderen Tempelknechte. Im Angesicht seines Gottes murmelte Rexar ein lautloses Gebet. Dann fiel er neben dem leblosen Körper des Kammachers auf die Knie. Otho, der Eisenbieger, reichte ihm ein armlanges, zweischneidiges Messer. Still nahm der Tempelpriester das Messer entgegen. Vorsichtig küßte er die scharfgeschliffene Klinge. Ein Anflug von Triumph huschte über sein Gesicht. »So stirb, Arnulf!« krächzte er, richtete sich auf, packte das Messer fester mit beiden Händen und holte zum finalen Stich aus. »Im Namen Svarogs!« Urplötzlich fuhr der Totgeglaubte hoch. Seine Augen funkelten irre. Mit schier übermenschlicher Kraft schmetterte er dem zurückprallenden Tempelpriester das Messer aus der Hand. Pfeilschnell ergriff er es selbst und wandte sich zur Flucht. Die Tempelknechte brüllten überrascht auf. Arnulf kam nur ein paar Schritte Fünf, sechs Männer sprangen ihn an, umklammerten seinen Körper und versuchten, ihn zu Boden zu reißen. Das Messer entglitt seiner Hand, fiel klappernd zu Boden. Arnulf kämpfte wie ein Berserker. »Für Gerhild!« kreischte er, während er seine Fäuste wirbeln ließ. Er traf Otho, den Eisenbieger, im Gesicht. Der Unterkiefer des Hünen knirschte. Die Männer erschauderten. Otho war der stärkste Mann des Dorfes. Jetzt kauerte er wimmernd auf der Erde und schrie vor Schmerz. Da gelang es dem Todgeweihten, vier Männer mit einem Ruck abzuschütteln. Sie flogen von ihm ab, als wären sie seelenlose Stoffpüppchen. Einer von ihnen krachte mit der Stirn an die Figur des Svarog. »Im Na…, Namen des Svarog«, stammelte Rexar angsterfüllt. 17
Niemand schien den rasenden Arnulf aufhalten zu können. Wo er hinschlug, spritzte Blut und knackten Knochen. Die Reihen der Tempelknechte lichteten sich zusehends. Niemand hatte Lust, sich totschlagen zu lassen. Sie waren hier, um zu töten, nicht um getötet zu werden! Arnulf schwenkte eine Pechfackel, die er einem der Männer entrissen hatte. Die Tempelknechte zogen ihre Köpfe ein, wichen zurück. Da stürzte Panasch, das Einohr, auf den wütenden Arnulf los, wie ein Blitz aus heiterem Himmel. In seiner Hand funkelte das zweischneidige Messer. Arnulf, geschwächt und von Wunden übersät, reagierte zu spät. Siegestrunken rammte ihm Panasch das Messer bis ins Heft in die Brust! Arnulf torkelte zurück. Jetzt erschien Rexar auf der Bühne. Er riß dem Einohr das Messer aus der Hand und vollendete, was Panasch begonnen hatte. Er stach auf Arnulf ein, immer wieder, bis dieser kein Lebenszeichen mehr von sich gab. Das heilige Ritual des Lutizenbundes verlangte es. Zudem war Rexars Blutdurst erwacht. Er ließ das Messer fallen. Er brauchte es nicht mehr. Es oblag nun seiner Pflicht als oberster Tempelpriester, vom Blute des Geopferten zu kosten. Würdevoll neigte Rexar seinen Kopf, strich den störenden Bart beiseite und wölbte seine Krüppelhand. Er schöpfte von dem Blute des Toten wie aus einem Topf. Um ihn herum herrschte feierliche Stille. Nur das Rauschen des Blattwerks in den heiligen Eichen erklang - und ein Schmatzen… * Das Gasthaus Atol lag in der Ulica Orkana, einer kurzen Gasse in der Nähe der Swinemünder Strandpromenade. Es war ein aufgemotztes Bürgerhaus, mit zwei rundlichen Türmchen an den Ecken und einem eindrucksvollen, dreistöckigen Ziergiebel. Im dritten Stock hatte ich Quartier bezogen. Ich war allein nach Polen gereist. Hier lag der Ursprung des Orakels. Tessa, die mich unbedingt hatte begleiten wollen, war 18
dann doch, auf mein Anraten hin, zu Hause geblieben. Mein Zimmer war groß und mit altmodischen Möbeln ausgestattet. Das Bettgestell war aus Eisen, dazu gab es einen kleinen Sekretär, einen pompösen Kleiderschrank, zwei wackelige Stühle und ein Fernsehgerät, das auf einer antiken Kommode stand. Über dem Schreibtisch hing eine Ansicht der Swinemünder St. Nikolai Kirche. Ich saß am Schreibtisch, hatte mein Notebook aufgebaut und starrte versonnen durch die Mattscheibe hindurch. Immer wieder ging mir Geraldine Schachts Interpretation des Orakels durch den Kopf. Sie prophezeite ein Szenarium des Schreckens. In einer Zeit, jenseits aller Vorstellungskraft, gab es üble Finsterlinge, die, auf mysteriöse Weise erstarkt, danach dürsteten, die Macht an sich zu reißen. Ein Apostel des Grauens schien es bereits bewerkstelligt zu haben, in die Gegenwart zu gelangen. Der entsetzliche Tod der Taubacher Hellseherin sprach Bände. Jedoch ein Umstand bereitete mir nach wie vor gehöriges Kopfzerbrechen: Wem hatte ich das Runenorakel zu verdanken? Welche rätselhafte Macht wollte mich warnen? Möglicherweise hatte ich einen Verbündeten… Gedankenvoll fuhr ich mir mit der Hand über die Augen. Nochmals rief ich mir ins Gedächtnis zurück, was mich auf meiner bevorstehenden Reise in die Vergangenheit Wollins erwartete: heidnischer Tempelkult, Menschenopfer, blutige Stammesfehden, Götzenanbetung - und vielleicht Vineta, die versunkene Stadt, einst bedeutend wie das byzantinische Konstantinopel… Spät am Abend verließ ich das Gasthaus. Ich setzte mich hinters Steuer und fuhr in Richtung des kleinen Städtchens Wollin. Vor dessen Toren soll das sagenhafte Vineta untergegangen sein. Genau dort, am Mündungsarm der Oder, wollte ich meinen magischen Ring an dem Hexenmal, das ich auf der Brust hatte, aktivieren. Vineta! Ein prickelnder Schauder durchrieselte mich. Vielleicht gelang es ausgerechnet mir, dem Kämpfer des Rings, eines der größten Geheimnisse der Geschichte zu entschlüsseln. Obwohl ich Ethnologie studiert hatte und somit einen soliden Grundstock an Wissen über die Völker der Erde erworben hatte, waren meine 19
Kenntnisse über die Frühstädte des Baltikums im 11. Jahrhundert recht spärlich. Aber bald würde ich diese Lücke schließen können. Kurz vor Mitternacht war ich angelangt. Ich parkte am Stadtrand, stieg aus und schloß den BMW ab. Weit und breit keine Menschenseele. Die Nacht war empfindlich kühl, aber nicht frostig. Der Wind blies von See her, und aus der Ferne hörte ich das ungestüme Meer brausen. Mit Grauen dachte ich daran, daß ich splitternackt sein würde, wenn ich am Ziel meiner Zeitreise war. Tolle Aussichten! Hoffentlich erkältete ich mich nicht. Ein kranker Dämonenjäger - puh! Im Zickzack überquerte ich die dunkle Straße. Ein Schlagloch neben dem anderen. Wer nicht aufpaßte, brach sich die Beine. Auch ein Großteil der Straßenlaternen waren hinüber. In den öffentlichen Kassen schien Schwindsucht zu herrschen. An einer einsturzgefährdeten Mauer, aus deren Fugen ungehindert Unkraut wucherte, machte ich Halt. Hinter der Mauer rauschte Wald. Ich hielt nach einem Durchschlupf Ausschau. Ein innerer Impuls trieb mich voran. Ich spürte, ich befand mich auf dem richtigen Weg. Eine Windbö pustete mir die Haare ins Gesicht. Irgendwo in der Nähe splitterte Glas. Ich verlangsamte meinen Schritt, horchte angespannt. Eilige, tippelnde Schritte näherten sich. Doch ich konnte niemanden sehen. Trotzdem war ich auf der Hut. Eine unbestimmte Ahnung signalisierte mir Gefahr. Als ich um eine Ecke ging, prallte ich mit einer Frau zusammen. Es fehlte nicht viel, und sie hätte mich über den Haufen gerannt. Sie hatte ein höllisches Tempo draufgehabt. Überrascht starrte sie mich an. Ich aktivierte mein Polnisch, das ich mir jüngst aus einem Sprachführer angeeignet hatte. »Dobry wieczör! Guten Abend!« Die Frau sah mich an, als wäre ich Frankensteins Monster. Sie war Anfang Zwanzig und bildhübsch. Sie hatte schwarze, bis über die Schultern reichende Haare und trug einen kurzen Rock. Ihre Lippen waren grellrot angemalt, und ihre Schminke schien daumendick aufgelegt. In ihren Augen las ich kalte Angst. »Ratunku! Hilfe!« wisperte sie. Katzengleich krallte sie sich an mir fest. 20
Ich roch ihr süßliches, aufdringliches Parfüm und bemerkte, daß sie trotz des kühlen Wetters obenherum nur eine Bluse trug. War sie vor etwas oder jemandem spontan geflüchtet? »Was ist passiert?« fragte ich auf polnisch. »Männer kommen«, hechelte sie auf deutsch. »Sie gleich da sein.« Kaum hatte sie es ausgesprochen, kreischten Reifen in der Nähe. Ein funkelnagelneuer Mercedes bog um die Ecke. Als er auf unserer Höhe war, stieg der Fahrer auf die Bremse. Die beiden hinteren Türen sprangen zugleich auf. Zwei Männer, die Maßanzüge trugen, kletterten behäbig aus dem Fond der Luxuskalesche. Der Fahrer blieb hinterm Lenkrad. Ich sah, daß sich die Jacketts der Typen verdächtig ausbeulten. Die Kerle schleppten Schießeisen mit sich herum. Das machte sie mir nicht gerade sympathischer. Der Größere der beiden sprach die Frau an. Ich verstand nicht die Bohne. Aber sein Tonfall war abfällig und geringschätzig. Ohne mich eines Blickes zu würdigen, streckte er einen Arm aus und winkte die Frau zu sich. Mein Schützling schüttelte den Kopf. Schluchzend vergrub die Frau ihr Gesicht in meinem Sakko. Mir schwante Unheil. Ich brauchte nur eins und eins zusammenzuzählen. Das Püppchen, das ich im Arm hielt, ging dem ältesten Gewerbe der Welt nach. Möglicherweise hatte es mit einem Freier Komplikationen gegeben. Jedenfalls hatte sich die Süße aus dem Staub gemacht, und die Gorillas, die sie vermarkteten, hatten sich schnurstracks auf ihre Fersen geheftet, um ihren Goldesel wieder in den heimischen Stall zu bringen. Mit Sicherheit gegen ihren Willen. Ich blieb cool bis unter die Haarspitzen. Während er wie ein Rohrspatz schimpfte, kam der Größere immer näher auf uns zu. Ich bemerkte, wie sich seine Rechte unmerklich hob. An seinem kleinen Finger bützte ein fetter Goldring mit Brüll. Mit der Linken gestikulierte er wild. Jede Sekunde konnte er mir seinen Ballermann unter die Nase halten. Er würde mich wegjagen wie einen räudigen Straßenköter. Mit Bedauern dachte ich an meine P 6, die ich, wie all meine anderen Wertgegenstände, im Tresor des Atol hinterlegt 21
hatte. Die Frau klammerte stärker, als wolle sie in mich hineinkriechen. Ich spürte ihren erhitzten Körper. Wieder einmal saß ich in der Tinte, und wieder einmal wegen einer Frau. Ich konnte machen, was ich wollte, ich zog sie an wie Motten das Licht. Meine grauen Zellen leisteten Schwerstarbeit. Was sollte ich tun? Das Zuckerpüppchen den bösen Buben überlassen? Damit sie zwischen noch mehr Prügel und noch mehr Freiern wählen konnte? Ich fand, das ging zu weit. Nicht mit mir, meine Herren Zuhälter! Das Biest, das der Schönen ans Leder wollte, war ein massiger Kerl, stiernackig und mit brutalem Kinn. Unter seiner Boxernase sproß ein sorgfältig ausrasiertes »Clark Gable«-Bärtchen. Drohend starrte er mich an. »Du lassen Frau los und hauen ab!« rauhte er. »Dann ich dich nicht totmachen.« Sein Spannmann wollte sich ausschütten vor Lachen. Einen Glimmstengel im Mundwinkel, lehnte er am Mercedes und schien nahe dran, seinem Komplizen zu applaudieren. Offenbar hielt er mich für eine Schießbudenfigur. Ich sah, wie die Augen des Größeren hinterhältig aufblitzten. Er griff unter sein Jackett, mit einem Ruck. Doch ich hatte meine Lektion gelernt. Der Ruck, der folgte, ging von mir aus. Ich verlagerte mein Gewicht auf ein Bein, wirbelte das andere durch die Luft und traf seine Faust, die einen kurzläufigen Revolver gepackt hielt. Der Mann brüllte auf. Seine Waffe flog im hohen Bogen über die Mauer. Er guckte dumm aus der Wäsche und hielt sein schmerzendes Handgelenk. Ohne Knarre in der Faust, löste sich seine Angriffslust in Luft auf. Ich blieb wachsam. Immerhin waren sie zu dritt. Träge tröpfelten die Sekunden dahin. Die Gorillas waren unschlüssig. Gegenwehr schien ein Fremdwort für sie zu sein. Bislang schien es vollends ausgereicht zu haben, ihre Widersacher mit Drohgebärden einzuschüchtern. Es sah beinahe so aus, als würden sie unverrichteterdinge abziehen wollen. Es war halt ein Unterschied, ob man sich gegenüber wehrlosen Frauen als brutaler Schläger aufspielte oder 22
selber ein paar vor die Nüsse kriegte. Ich wischte mir die Schweißperlen von der Stirn. Wieso schwitzte ich eigentlich so? Lag es an der Nähe meines Schützlings? Immerhin klebte die attraktive Frau an mir wie ein Heftpflaster. Oder was war hier los? Die Antwort schlug wie ein Donnerschlag in mir ein. Mein Ring! Er funkelte in den schillerndsten Farben. Ich sah die Frau an. Ihre Pupillen! Sie hatten sich verengt, waren schmal wie Mondsicheln geworden. Verdammt! Ich hatte die ganze Zeit eine Dämonin im Arm gehalten. Daher also die unerklärliche Hitze. Eine Falle… Ich schleuderte die Frau zurück. Nicht kräftig genug. Sie blieb auf den Beinen. Sofort griff sie mich an. »Witam, Pan!« gurgelte sie und sprang mir an den Hals. Entsetzt federte ich zurück, und während sie auf mich zuflog, drückte ich meinen Ring auf das Hexenmal an meiner Brust. Die Reaktion kam prompt. Es zischte, und ein greller Lichtfaden zuckte durch die Nacht. Einen Atemzug lang blieb der Leuchtstab auf dem Gesicht der Angreiferin haften. Ihr Schrei, den sie ausstieß, schien aus tausend Kehlen zu kommen. Irgendwie kam sie auf die Beine. Die Absätze ihrer Schuhe knirschten. Gehetzt sah ich mich um. Standen die Mercedes-Typen mit ihr im Bunde? Offenbar nicht, denn sie stolperten überhastet ins Auto, warfen die Türen zu und machten, daß sie Land gewannen. Ich war mit der ausnehmend gutaussehenden Dämonin allein. Meine Gedanken jagten wie Pfeile durch mein Gehirn. Sie war ausgesandt, um meine bevorstehende Reise zu verhindern. Da war ich mir sicher. Geduckt wartete ich ab, was sie vorhatte. Ihr starrer Blick war auf den Lichtfaden meines Rings gerichtet. Sie wimmerte leise, als litte sie unter starken Schmerzen. Blubb! Plötzlich platzte ihr die Wange auf. Ein Hautfladen, groß wie eine Computer-Diskette, löste sich aus ihrem Gesicht und hing nun bis über den Kiefer hinunter. Sie hatte kein Fleisch darunter, und die blanken Knochen schimmerten bleich hervor. Die Maske dieses Miststücks machte den Abgang. Mir sollte es recht sein. Dann sah ich wenigstens, mit wem ich es zu tun hatte. Was dann geschah, verblüffte mich über alle Maßen. 23
Während sie sich den Anschein gab, über ihr verlorenes Äußeres zu jammern, ging ein plötzlicher Ruck durch ihren Körper. Sie sauste mir entgegen wie eine Kanonenkugel. Meine Reaktion kam viel zu spät. Und wenn ich mit den Reflexen einer Fliege ausgerüstet gewesen wäre, ich hätte nicht ausweichen können. Schon glaubte ich, meine Reise wäre beendet, bevor sie begonnen hatte. Da passierte das Wunder. Die durch die Luft segelnde Dämonin ging in Flammen auf und fiel wie ein Stein zu Boden. Die Kleidungsstücke, die sie am Leib hatte, brannten wie Zunder. Sie schlug mit den Armen um sich, kreischte, warf sich verzweifelt hin und her. Nichts half. Ihr Schicksal war besiegelt. Sekunden später war nur noch ein verkrümmt daliegendes Skelett von ihr übrig. Der qualmende Schädel brach ab und rollte vor meine Füße. Dann zerfiel er zu Staub. Sprachlos stand ich da, überlegte, wem ich meine Rettung zu verdanken hatte, da hallten plötzlich tippelnde Schritte an mein Ohr. Eine Frau kam auf mich zugerannt. Sie hatte lange, schwarze Haare, war bildhübsch, trug einen kurzen Rock und Stöckelschuhe. »Ratunku!« schrie sie, als sie mich sah. Nein, nicht noch mal! Ich tat etwas, was ganz und gar nicht meinem Naturell entsprach: Ich ging der Begegnung mit einer hübschen Frau aus dem Wege… * »Er hat mich nicht dabeihaben wollen«, sagte Tessa Hayden. Pit Langenbach zupfte abwechselnd an den Enden seines buschigen Schnauzbartes. »Das sehe ich anders«, meinte er nach einer Weile. Sie saßen in Pits Büro, Tessa vor, und Pit hinter dem Schreibtisch, der mit Vernehmungsprotokollen, Notizen und Dienstanweisungen überhäuft war. Pit drohte buchstäblich in der Arbeit zu ersticken. An beiden Seitenwänden standen hohe Aktenschränke, vollgestopft mit Ordnern. Die Tür zum Flur war geschlossen, dennoch hörte man bierseliges Lallen vom Gang des Polizeireviers. Es herrschte Hochbetrieb, Europas Kultur24
Hauptstadt 1999 von ihrer anderen Seite. Tessas Augen wurden schmal. »Was meinst du mit - anders?« Der Hauptkommissar nahm ein Zigarillo, gab sich gelassen Feuer und blies den Qualm aus. Tessa ließ ihn nicht aus den Augen. Sie spürte geradezu, wie er nach einer Ausrede suchte, um Mark Hellmanns nächtliches Verschwinden zu bagatellisieren. Pit war Marks bester Freund, und sie hielten zusammen wie Pech und Schwefel. Das wußte die gertenschlanke Fahnderin nicht erst seit gestern. Nachdem Pit Langenbach einige kräftige Züge inhaliert hatte, sagte er: »Hättest du die verstümmelte Leiche der Hellseherin gesehen, würdest du Mark verstehen. Er hatte einfach Angst um dich, Tessa. Da liegt der Hund begraben. Niemand weiß, was die Bestie, die Frau Schacht gekillt hat, als nächstes im Schilde führt.« »Aha«, meinte Tessa ironisch. »Weil er angeblich Angst um mich hat, läßt er mich allein. Klingt plausibel.« Es klopfte. Ein uniformierter Polizist trat herein, grüßte kurz und übergab dem Hauptkommissar einen weiteren Packen Papier. »Die Obduktionsbefunde liegen gleich obenauf«, sagte er und ging. Pit packte die Protokolle beiseite und sah die Polizistin scharf an. »Du wirst unsachlich, Tessa, und du weißt es. Mark kann sehr gut auf sich allein aufpassen. Das hat er oft genug bewiesen. Aber das Böse wird sich an seine Fersen heften. Womöglich schon, bevor er seine Zeitreise antritt. Deswegen glaubt er, daß du hier in Weimar sicherer bist als an seiner Seite. Denke bloß mal an den Fall auf der Wolgaster Schloßinsel.« (Siehe MH 30, Torturus kehrt zurück!) »Es hat verdammt wenig gefehlt, und der Ghul Torturus hätte dir das Fell über die Ohren gezogen.« »Wärm keine alten Geschichten auf«, versetzte Tessa Hayden trotzig. »Mark hat mich abserviert, ohne mir reinen Wein einzuschenken. Das ist es, was mich sauer macht.« Pit paffte, schien aber keinen Genuß dabei zu empfinden. »Auf der Reise in die Zeit hättest du so und so nicht mitkommen können, Tessa, Mark ist der einzige, der den Zeitsprung bewältigen kann.« »Aber nach Polen hätte er mich mitnehmen können.« 25
»Und warum?« »Weil Mark ein Filou ist, darum!« Tessas Augen blitzten. »Ich bin mir sicher, er hat sich gleich einen netten Kopfkissenzerwühler besorgt und ist gerade dabei, die deutschpolnische Freundschaft auf die >Mark Hellmann<-Weise zu vertiefen.« Der Hauptkommissar tat unbeteiligt. Er zog an seinem Sargnagel und verbarg ein Grinsen. »Interessant.« Spöttisch kniff er ein Auge zu. »Also es ist die Eifersucht, die dich plagt. Ihr vertragt Euch doch so gut wie nie. Schon vergessen? Und vor ein paar Tagen hast du mir noch stolz erzählt, daß sich Mark zum Vorteil entwickelt hätte, jetzt treu sei und was weiß ich nicht alles.« Tessa Hayden fuhr auf. Der Stuhl, auf dem sie saß, schurrte. »Ich und eifersüchtig?« Sie zeigte dem Hauptkommissar einen Vogel. »Das kannst du unter Ulk abbuchen. Ich bin eine emanzipierte Frau, und kein Schoßhündchen.« »Weiß ich doch«, lenkte Pit ein und wechselte blitzartig das Thema. »Wie wäre es, wenn wir 'nen Happen essen gehen würden? In der Kantine gibt es heute Krautwickel.« Als Tessa nach der Klinke griff und die Tür aufzog, erklang von draußen gerade das ordinäre Lachen einer Frau. Tessa wußte nicht, wieso, aber sie fühlte sich dadurch verhöhnt und abgekanzelt. Wütend starrte sie den Hauptkommissar an. »Ich hasse Krautwickel«, fauchte sie. Dann knallte die Tür ins Schloß. * Ich schlug die Augen auf - und klappte sie gleich wieder zu. Wahrscheinlich träumte ich, denn das, was ich soeben gesehen hatte, konnte nur ein Traum sein. Vor meinen entsetzten Augen war ein höchst verworrenes, schier unglaubliches Bild erschienen. Ich lag rücklings am Boden, und über mir kniete eine Frau. Sie hatte lange, rote Haare, die ihr weit über die entblößten Brüste fielen. Ich spürte, daß sie mich streichelte. Um Himmels willen, das war kein Traum! Das war Wirklichkeit. Die Frau spielte mit mir, wollte mich verführen! 26
Erschrocken riß ich die Augen auf. »Was tun Sie da?« japste ich überflüssigerweise. Mit einem Schwung warf sie ihre Haarpracht zurück. »Ich brauche einen Mann«, sagte sie. »Halte still, Fremder, sonst muß ich deine Fesseln noch fester zurren!« Mir war, als hätte mir jemand eine Keule über den Scheitel gezogen. Ich war der Gefangene einer Frau, die sich meiner Männlichkeit bedienen wollte. Demnach war ich am Ziel meiner Reise in die Vergangenheit. Der geile Rotfuchs hatte mich irgendwo aufgegabelt und betrachtete mich nun als eine Art Strandgut, das dem gehörte, der es sich nahm. Verflixte Kiste! Ich ruckte an den Fesseln. Bohrender Schmerz durchzuckte mich. Die Lady hatte mich verschnürt wie ein Westpaket. »Wo bin ich?« keuchte ich. Sie unterbrach ihr explosives Spielchen und starrte mich neugierig an. »Im Wald«, sagte sie. »Ich habe dich in einer Kuhle, nicht weit von hier, gefunden. Nackt und hilflos, als wärst du vom Himmel gefallen. Jetzt gehörst du mir. So lautet das Gesetz. Ich bin Gerhild, Witwe des Arnulf. Du bist der größte Mann, den ich je gesehen habe. Ich will ein Kind von dir. Einen Sohn, so groß und stark wie du. Er soll Armin heißen und das Unrecht wiedergutmachen, daß Arnulf widerfahren ist. Jetzt schweig und gehorche!« Das rothaarige Biest wollte mich vernaschen wie einen Keks. Schon machte sie Anstalten, ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen. Sie raffte das Unterteil ihres löchrigen Gewandes hoch und stieg kaltblütig über mich hinweg. Ich spürte, wie sich ihr warmer Körper auf den meinen senkte. Plötzlich hielt sie inne, starrte mich durchdringend an. »Du bist doch keiner dieser Christen, oder?« »Nein, bin ich nicht«, sagte ich schnell. Gerhild nickte zufrieden. »Dann ist es gut.« Nun bog sie das Rückgrat durch, stützte sich mit den Händen auf meine Schenkel und begann, ihr Becken rhythmisch auf- und abzuschwingen. Ihre spitzen Brüste hüpften im selben Takt. Die rosigen Brustwarzen leuchteten regelrecht und zeigten in immer kürzeren Abständen zum Himmel. Mir blieb nichts weiter übrig, als willenlos dazuliegen und alles über mich ergehen zu lassen. Und so schwer fiel es mir nun doch nicht. Ja, ich gebe es zu, es machte Spaß, trotzdem hatte ich in diesen Augenblicken nicht die 27
Absicht, meiner Dauerfreundin zu verraten, was diese wilde Gerhild Jahrhunderte vor Tessas Geburt mit mir trieb. Während Gerhild stöhnte und immer mehr die Kontrolle über sich verlor, wandte ich den Kopf seitwärts. Ich schaute mich um. Der seltsame Raum, in dem ich mich befand, bestand aus Flechtwerk, das mit Lehm und Moos verschmiert war. Überall hingen gebündelte Kräuter, die einen würzigen Duft verströmten. Der Boden war aus festgestampfter Erde, größtenteils mit Stroh bedeckt. Das Dach setzte sich aus Schilfgras und gegerbten Tierfellen zusammen. Neben meinem Lager erkannte ich einen kleinen Lehmkuppelofen und einen Dreifuß, an dem ein zerbeulter eiserner Kessel baumelte. Dahinter war ein dicker Pfahl in die Erde gerammt, dessen Spitze Kritzeleien aufwies. Der heidnische Ahnenkult… Mein Körper wurde von wohligen Schaudern erschüttert. Die Frau, die mich als ihren Sklaven betrachtete, zeigte sich als temperamentvolle Liebhaberin. Hemmungen kannte sie keine. Und sie dachte nicht nur an ihren Spaß, auch ich sollte etwas davon haben. Massierende Händchen hier, mal die nach Zärtlichkeit gierenden Brüste im Gesicht… Irgendwann erschollen aus dem Wald jauchzende Schreie. Jäh unterbrach die Frau ihr makabres Spiel. Ihr schmales Gesicht verzerrte sich. Steifbeinig stieg sie von mir, stand auf und ordnete hastig ihre Kleidung. Die rote Lockenpracht nach hinten schwenkend, warf sie mir einen eigentümlichen Blick zu. Dann nahm sie den Flechtvorhang beiseite. Es raschelte, und ohne ein Wort ging sie hinaus. Ich fühlte mich in diesen Sekunden nicht besonders, machte mir Gedanken, was wäre, wenn mich hier und so jemand fand. Aus den Augenwinkeln schielte ich nach meinem magischen Ring. Als ich ihn an meinem Finger funkeln sah, atmete ich erleichtert auf. Eine Diebin war sie jedenfalls nicht. Abermals zerrte ich an meinen Fesseln. Verdammt! Bei jedem Ruck schnürten sie tiefer ins Fleisch. Den Gedanken an Selbstbefreiung konnte ich jedoch vergessen. Gerhild war die einzige, die mich aus meiner aussichtslosen Situation befreien konnte. Ich mußte ihr Vertrauen gewinnen. Mit jeder Stunde, die verging, konnten meine Gegner weiteres Unheil anrichten. Zwei Kinder schoben sich herein. Ein Junge und ein Mädchen. Ungefähr zehn und acht Jahre alt. Sie bestanden nur aus Haut 28
und Knochen. Zudem hatten sie grausig vernarbte Gesichter, wahrscheinlich Überbleibsel übler Verbrennungen. Ihre Augen flackerten mißtrauisch. Diese beiden Kinder mußten durch die Hölle gegangen sein. Mitleid stieg in mir auf. Ich hob den Kopf und versuchte zu lächeln. »Hallo! Ich bin Mark Hellmann. Und wie sind eure Namen?« Verwirrt starrten sie mich an. Da trat Gerhild in die Hütte. »Warum grinst du?« fuhr sie mich an. »Ich mag Kinder«, sagte ich schlicht. Der harte Zug in ihrem Gesicht löste sich allmählich. Sicherlich hatte sie geglaubt, ich hätte mich über das Aussehen der Kinder lustig gemacht. »Woher kommst du eigentlich, Fremder?« fragte sie eine Spur versöhnlicher. »Aus Thüringen«, gab ich zur Antwort. »Ich bin auf der Suche nach einem bösen Geist.« Gerhild schwieg. Offenbar verdaute sie den Bissen, den ich ihr zugeworfen hatte. Während die Kinder reglos, dastanden und mich anschauten, ging sie um mich herum und sank kurzerhand in den Schneidersitz. »Du magst Kinder«, sagte sie. »Und ich mag Geschichten. Das Leben im Wald ist eintönig. So erzähl, was dich ins Land der Lutizen geführt hat.« »Zuerst binde mich los«, verlangte ich. »Die Fesseln sind sehr stramm, und ich habe Schmerzen. Außerdem muß ich mal für kleine Jungs.« Entgeistert starrte mich Gerhild an. Dann brach sie in ein schauerliches Gelächter aus. Auch die Kinder kicherten belustigt. Verblüfft wanderte mein Blick von einem zum anderen. Endlich beruhigte sich Gerhild. Mit dem Handrücken wischte sie sich die Tränen aus den Augen und schnappte nach Luft. »Für kleine Jungs«, gluckste sie. »Das klingt gut. Bei Svarog, du scheinst kein böser Mensch zu sein, Fremder.« »Er heißt Mark Hellmann, Mama«, piepste das kleine Mädchen. »Er hat es uns gesagt.« »Löse die Fesseln!« wiederholte ich. Gerhild schüttelte den Kopf. »Wir wollen deine Geschichte 29
hören.« »Aber…« »Keine Einwände. Sei froh, daß du lebst. Hätten dich Rexars Tempelknechte gefunden, wärst du auf dem Altar des Svarog gelandet. Wenn ich deine Geschichte gehört habe, werde ich eine Entscheidung treffen. - Aber!« Drohend hob sie einen Arm. »Wage es nicht, uns zu belügen. Wenn du es trotzdem tust, werde ich dich töten.« Ich machte gute Miene zum bösen Spiel, denn ich hatte keine Wahl. Ein gefesselter Mark Hellmann war zur Passivität verdammt. Zudem brauchte ich einen ortskundigen Verbündeten, der sich mit den Gepflogenheiten, die hier herrschten, auskannte. Ich ließ meinen Kopf auf den Boden sinken, schaute an die Decke und begann zu erzählen: »Es war in einer mondlosen, stürmischen Winternacht, als ich von Tessa Hayden brutal geweckt wurde…« * Als ich meinen Bericht beendet hatte, schwieg Gerhild lange Zeit. Geistesabwesend rollte sie ihr rotes Haar um den Zeigefinger. Ihre Kinder hatten sich an mein Fußende gesetzt. Mit staunenden Kulleraugen starrten sie mich an. Der Junge betastete versonnen die Narben in seinem Gesicht. Das Mädchen rutschte aufgeregt hin und her. Gerhild unterbrach die Stille. »Bindet ihn los, Kinder«, sagte sie rauh. »Ich spüre, der Mann hat die Wahrheit gesprochen. Er ist nicht unser Feind.« Die Kinder jubelten. Als wären ihre Beine aus Gummi, sprangen sie auf und knoteten mit flinken Fingern meine Fesseln auf. Ich atmete auf. Gerhild glaubte mir. Es hätte auch schiefgehen können. Während ich meine lahmen Gliedmaßen wieder in Schwung brachte, rückte Gerhild einen schweren Stein beiseite, beugte sich tief über das freigelegte Erdloch und holte einige zerfetzte Kleidungsstücke hervor. Wahrscheinlich hatten sie ihrem ermordeten Mann gehört. »Bedecke deine Blöße«, feixte sie. »Die Dornen des Waldes sind scharf.« 30
Ich hüllte mich in ein paar muffige Lumpen. Als ich sie an mir betrachtete, fühlte ich mich wie eine Vogelscheuche aus dem Schrebergarten. Aber was half's? Es war besser als nichts. Schließlich konnte ich nicht im Adamskostüm durch die Gegend hüpfen. Wenig später verließen wir Gerhilds Unterschlupf. Die Kinder hielten sich an meiner Seite. Ihre Mutter schien noch immer im Banne meiner Erzählung zu stehen. Ich gab zu, daß die Story für einen Menschen, der im elften Jahrhundert lebte, ziemlich verworren klingen mochte. Dennoch vertraute mir Gerhild. Ich sah mich staunend um. Gerhilds Schlupfwinkel war umgeben von gewaltigen Eichen und Buchen. Solche Baumriesen gab es in meinem Jahrhundert nicht. Überdies standen sie so dicht nebeneinander, daß sich ihre Äste mit dem Laubwerk über unseren Köpfen zu einem schier undurchdringlichen Dickicht verknüpft hatten. Dementsprechend trübe sickerte das Licht hindurch. Gespenstisches Halbdunkel umgab uns. Gerhild schritt zielgerichtet voran. »Wohin gehen wir?« wollte ich wissen. Gerhild antwortete nicht. Statt dessen sagte sie: »Du hast mir deine Geschichte erzählt. Jetzt höre meine…« Stumm lauschte ich ihren Worten. Sie berichtete, welche grauenerregenden Umstände sie dazu gezwungen hatten, mit den Kindern im Walcl zu leben. Ich spitzte die Ohren. Ihr Mann Arnulf war Opfer einer Verschwörung geworden. Die Knechte des Tempelpriesters hatten ihr das Haus über dem Kopf angesteckt. Aber sie waren nicht verbrannt. Unter ihrem Haus gab es einen geheimen, unterirdischen Gang, der in den nahen Wald führte. Ihre Vorfahren hatten den Tunnel gegraben, lange bevor sie selbst geboren wurde. Im letzten Moment war Gerhild und den Kindern die Flucht geglückt. Doch Arnulf hatte die Intrige nicht überlebt. »Rexar?« überlegte ich laut. »Du sagst, er beschwört auch einen anderen Gott?« Gerhild blieb stehen. Sie sah mir in die Augen, und ich bemerkte, daß sie unnatürlich blau waren, wie der Himmel an einem wolkenlosen Sommertag. »Rexar beschwört Dragovit, den Gott der Finsternis«, sagte sie dumpf. Aufgeregt ergriff ich ihre Hand. »Was weißt du darüber?« 31
sprudelte ich hervor. »Nicht viel.« »Dann sag, was du weißt!« »Rexar ist ein mächtiger Mann. Aber er will noch mächtiger werden, viel mächtiger. Ihm ist jedes Mittel recht. Er hat Svarog verraten und sich mit den Mächten des Bösen verbündet. Rexar will ein Heer aus Toten erschaffen, um die reiche Stadt Vineta zu erobern. Er hat das Gold gesehen…« »Vineta?« Ein Kloß würgte in meinem Hals. Vineta! War es möglich? Es gab sie tatsächlich, die legendäre, versunkene Stadt. Eben hatte Gerhild es gesagt. »Was hast du?« Gerhild sah mich verwundert an. Ich rang um Fassung. »Wo liegt Vineta? Weit von hier?« »Nein, es ist nicht weit.« Gerhilds Tochter faßte mich an die Hand. »Wenn du willst, zeige ich dir die Stadt.« Ich ging in die Hocke. Sanft streichelte ich ihre entstellte Wange. »Das ist sehr nett von dir, Kleine.« Sie lächelte. »Ich heiße Midgard, und mein Bruder ist Gerfried.« »Angenehm.« Ich schüttelte beiden die Hände. Gerhild betrachtete uns schmunzelnd. Dann wandte sie sich ab und ging weiter. »Vineta liegt hinter den Inseln«, erklärte sie. »Wie hinter einer Bastion vor den Überfällen der dänischen Seeräuber geschützt. Es hat einen unendlich großen Hafen, mit den Augen nicht überschaubar. Und es gibt Märkte, angefüllt mit den kostbarsten Waren aus aller Welt. Nichts, was das Herz begehrt, fehlt. Sogar die Fremden aus Sachsen haben das Niederlassungsrecht erhalten. Sie dürfen sich aber nicht öffentlich zu ihrem Glauben bekennen. Rexar haßt die Lebensart und die Gastfreiheit der Bewohner Vinetas. Er will die Macht an sich reißen und Herrscher über die Stadt werden. Wenn niemand es verhindert, werden bald seine Knochenmänner gegen Vineta marschieren.« »Uff!« Ich war platt. Schließlich wußte ich, daß Vineta tatsächlich von der Bildfläche verschwinden würde. Waren etwa durch Schwarze Magie auferstandene Skelette am Untergang von Vineta beteiligt? Das warf alle bislang aufgestellten Hypothesen über den Haufen. Man würde mich in die Klapsmühle stecken, wenn ich den Historikern diese haarsträubende Version auftischte. Plötzlich blieb Gerhild stehen. Reglos wie eine Statue, starrte sie 32
ins Dickicht. Auch Midgard und Gerfried, die ich links und rechts an der Hand hielt, stoppten. Fragend sah ich das Mädchen an. »Ein Raubtier«, flüsterte sie hinter vorgehaltener Hand. Gerfried nickte. »Es ist eine Katze. Sie sitzt im Gebüsch und belauert uns.« Ich sah, wie Gerhild behutsam den Knüppel hochnahm. Im nächsten Augenblick ertönte ein lautes Knacken aus dem Gesträuch. Ein graugetigerter Körper schoß durch die Luft. Eine Raubkatze von der Größe eines Wolfes! Sie griff Gerhild an. Aber die Frau schien selbst die Reflexe eines Raubtiers zu besitzen. Blitzschnell trat sie beiseite. Die Katze sprang ins Leere, und Gerhild drosch dem Tier den Knüppel über den Schädel, daß es krachte. Rasch ließ ich die Kinder los, wollte der Frau zu Hilfe eilen, aber Midgard hielt mich fest. »Bleib!« sagte sie. »Mama ist sehr stark. Und du hast keine Waffe.« Narrte mich ein Spuk? Da stand ich mitten im Wald, ein Raubtier griff uns an, und ich sollte tatenlos zugucken, wie eine schmächtige Frau versuchte, uns allen das Leben zu retten? Das ging mir über die Hutschnur. Die Raubkatze griff erneut an. Sie machte sich zum Sprung bereit. Die schrecklichen Reißzähne entblößend, fauchte sie Gerhild wütend an. »Geht zurück!« rief Gerhild. Im selben Moment sprang die Katze. Gerhild riß den Knüppel hoch, um das Tier zurückzustoßen, aber sie knickte mit einem Fuß um und geriet ins Straucheln. Die Kinder schrien entsetzt auf. Tollkühn warf ich mich dazwischen. Im Stile eines Sumo-Ringers packte ich den muskulösen Leib des Angreifers und drängte ihn beiseite. Ich spürte, wie die scharfen Krallen des Tieres meine Lumpen zerfetzten und sich in meinen Rücken gruben. Ich biß die Zähne zusammen, riß den Kopf zurück und packte den grauen Räuber am Hals. Mit aller Kraft würgte ich ihn. Doch das Tier verfügte über höllische Kräfte. Es spie mir seinen übelriechenden Geifer ins Gesicht und versuchte, mir die Reißzähne in die Kehle zu schlagen. Ich spürte, wie es seine Halsmuskeln anstrengte, um genügend Luft zu bekommen. Dabei stieß es ein schauriges Jaulen aus. 33
Dann stürzten wir zu Boden. Durch den Aufprall gaben meine Hände den Hals des Tieres frei. Schon sah ich den aufgesperrten Rachen mit den säbelförmigen Zähnen über mir. Da sprang Gerhild mit einem Satz auf den Rücken des Tieres. Sie schlang der Raubkatze einen Arm um den Kopf, bog ihn zurück und trieb dem Tier gnadenlos ein Messer in den Hals. Die Raubkatze stieß ein kehliges Blubbern aus. Blut schoß aus der tödlichen Wunde, direkt in mein Gesicht. Mit zuckenden Flanken kippte das Tier zur Seite. Keuchend rappelte ich mich auf. Mit dem Ärmel wischte ich mir das klebrige Blut aus dem Gesicht. Mein Rücken brannte wie Feuer. Gerhild sah mich eine Zeitlang forschend an. Dann begann sie, die Raubkatze zu enthäuten. Die kleine Midgard nahm meine Hand. Sie wirkte völlig gefaßt, als wäre alles, was eben geschehen war, die normalste Sache, die es auf der Welt gab. »Ich weiß, wo Wasser ist«, sagte sie. »Du siehst ja aus wie der Feuergeist. Komm mit, Mark Hellmann!« * Tessa Hayden schreckte auf. Ihr Unterbewußtsein hatte ihr eine Bewegung gemeldet. »Mark?« wisperte sie. »Mark? Bist du das?« Im Schlafzimmer war es stockdunkel. Tessa drückte auf den Knopf der Nachttischlampe. Es klickte, die Glühbirne flammte kurz auf und erlosch sofort wieder. Tessa richtete sich auf, zog das Bettzeug hoch und hielt den Atem an. Alles blieb still. Dann, plötzlich, ein Klirren, als wäre ein Bleistift in eine Porzellanschale gefallen. Tessa schleuderte die Bettdecke beiseite. Mit einem Satz war sie aus dem Bett. Jemand ist in der Wohnung, ging es ihr durch den Kopf. Barfuß schlich sie zum Fenster. Mit einem Ruck zog sie die Vorhänge zurück. Das Zimmer wurde in fahles Mondlicht getaucht. Tessa schrie auf. Auf der Schwelle zum Schlafzimmer stand jemand. Sie konnte die Umrisse genau erkennen. Die Gestalt rührte sich nicht vom Fleck. 34
Wieder dieses Klirren. Der Eindringling hatte sich bewegt. Tessas Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit. Sie sah, daß die Gestalt einen dunklen Umhang trug. Jetzt hob sie einen Arm. »Bleib mir ja vom Hals, du Monstrum!« zischte Tessa. Sie tastete nach der Skulptur, die auf einem niedrigen Podest vor ihr stand. Die Figur war aus Keramik und stellte eine nackte Frau dar. »Wenn du näher kommst, geb ich dir eins über den Schädel!« Tessa war zum äußersten entschlossen. Wenn es ein Einbrecher war, würde der Mistkerl sein blaues Wunder erleben. Draußen, auf der Straße, knatterte ein Auto vorüber. Der Fahrer hatte unerlaubterweise das Fernlicht eingeschaltet. Für eine halbe Sekunde erhellte gleißendes, weißes Licht das Schlafzimmer. Tessa fielen fast die Augen aus dem Kopf. Die Angst glitschte wie eine fette, kalte Qualle über ihren Rücken. Nur vier Schritte vor ihr stand das Knochengerüst eines Menschen. Aus dem Schädel glotzten zwei glutrote Augen. »Machen wir es kurz!« quäkte das Skelett. Es bewegte sich auf Tessa zu. Tessa schrie, so laut sie konnte. Das Echo bohrte sich wie glühende Nadeln in ihre Trommelfelle. Das Gerippe streckte die Arme aus. »Sträub dich nicht«, raunte es. »Sonst wird dein Sterben noch länger dauern.« Tessa wich zurück, bis sie die kalte Wand an ihrem Rücken spürte. Ein makabrer Gedanke fraß sich in ihr Hirn. Weimarer Kripobeamtin in eigener Wohnung verstümmelt! Bodyguards für Polizisten? So könnte die Schlagzeile der Zeitung aussehen. Dazu ein Schnappschuß, der ihre traurigen Überreste zeigte. Verdammt! Sie umkrampfte die Plastik. Aber ich bin erst dreißig und hab noch keine Lust, den Löffel abzugeben! Tessa holte aus und schmetterte dem Unhold die Plastik an den Schädel. Die Figur zersprang in tausend Stücke. Die Scherben flogen bis an die Decke. Aber gebracht hatte es nichts. Das Gerippe näherte sich unaufhaltsam. Tessa wollte ausweichen, um den Tisch herumlaufen und die Tür aufstoßen - doch sie war wie gelähmt. Ihre Augen füllten sich mit heißen Tränen. Sie war weiß Gott kein Hasenfuß, aber der Anblick des untoten Knochenmannes ließ ihr Herz bis zum Hals schlagen. Sogleich fiel ihr der entsetzliche 35
Zustand der Leiche von Geraldine Schacht ein. Die Taubacher Hellseherin war am Vortag beerdigt worden. Würde sie, Tessa Hayden, das nächste Opfer sein? Tessa wurde speiübel. Ein plötzlicher Schwindelanfall packte sie und rüttelte sie durch. Sie taumelte, als hätte sie einen Schwips. Es war nur noch ein einziger Schritt, und sie würde sich in der Reichweite des Knochenmannes befinden. »O Gott! Nein!« Tessa schlug die Hände vors Gesicht. Ein Brausen. Es hörte sich an, als würde ein entfesselter Wirbelsturm durch das Schlafzimmer fegen. Tessa spürte, wie ihr ein heißer Luftzug ins Gesicht blies. Jeden Augenblick konnte das Ungeheuer sie packen. Aber der erwartete Griff blieb aus. Statt dessen verstärkte sich die Hitze. Tessa kam sich vor, als würde sie an der geöffneten Tür eines Hochofens stehen: Was war das? fragte sie sich. Normalerweise verströmte das Böse eisige Kälte… Tessa ließ ihre schweißnassen Hände sinken - und riß vor Staunen die Augen auf. Der Knochenmann! Das scheußliche Gerippe stand hellauf in Flammen. Es wedelte mit den Armen, tanzte wild umher, kippte Tisch und Stühle um und stieß kreischende Laute aus. Der Umhang, den es getragen hatte, war bereits völlig verglüht. Jetzt zerfraßen die erbarmungslosen Flammen seine Knochen. Tessa wurde klar, das mußte ein magisches Feuer sein. Es brannte lautlos, und die Glut funkelte schwarzgolden. Sprühten Funken zu Boden, erloschen sie augenblicklich, ohne Schaden anzurichten. Es dauerte nur Sekunden, und von dem mordlustigen Knochenmann war nur noch ein Häuflein Asche übrig. Noch immer stand Tessa stocksteif. »Potz Blitz!« wisperte sie fassungslos. »Tessa Hayden, du hast einen Schutzengel.« Dann brach sie in ein befreiendes Weinen aus. Als sie sich erholt hatte, machte sie sich ans Aufräumen. Schaufel und Handfeger in den Händen, ging sie in die Hocke, um die Asche ihres nächtlichen Besuchers vom Teppich zu kehren. Eine neue Überraschung erwartete sie. Die Asche lag anders als vorhin. Eine unsichtbare Zauberhand 36
hatte die feinen, weißen Körnchen zu Runen geformt. Leider erkannte Tessa nur eine. Die Rune entstammte der Tius Achterreihe. Sie hieß Biarkan. Das bedeutete neues Leben. Tessa Hayden lächelte gerührt. »Wer du auch sein magst«, hauchte sie. »Du hast mir das Leben gerettet. Ich werde auf ewig in deiner Schuld stehen. Danke!« Die Runen verschwanden. * Wir lagen dicht nebeneinander, am Saum des Waldes, hinter einem kolossalen Hinkelstein. Von hier aus hatten wir einen fabelhaften Ausblick auf das Dorf. Ich hatte Gerhild überredet, mir den Tempelpriester Rexar zu zeigen. Ich mußte mich mit seiner Lebensweise vertraut machen, bevor ich ihn in die Hölle katapultierte. Oder es zumindest versuchte. Hinter uns rauschten die Laubkronen der Bäume. Vögel zwitscherten im Geäst, und die Sonnenstrahlen spielten übermütig in den Gräsern. Meine Wunden taten nicht mehr weh. Die kleine Midgard hatte mir selbstgesammelte Kräuter draufgelegt, die in Windeseile die Blutung stillten und den Schmerz linderten. Die Achtjährige wich nicht von meiner Seite. Manchmal bemerkte ich, wie sie mich bewundernd anschaute. Jetzt lag sie neben mir, flach auf den Boden gepreßt, den vernarbten Kopf leicht gehoben. Sie spielte geduldig mit einer fingerlangen Holzfigur, bei der der geschnitzte Januskopf auffiel. Gerfried, ihr Bruder, lag dagegen völlig reglos. Mit starrem Blick spähte er auf das Dorf, in dem er geboren und aufgewachsen war. Unwillkürlich verglich ich die Kinder mit ihren gleichaltrigen Artgenossen aus meiner Zeit. Schwamm drüber! Midgards Mutter riß mich aus meinen Überlegungen. »Rexar«, sagte sie tonlos. Ich fuhr auf, folgte Gerhilds Blick. Einen Steinwurf entfernt tauchte ein koboldartiger Zwerg zwischen den Blockhäusern auf. Das sollte der gefürchtete Tempelpriester sein? Der Gebieter der Knochenmänner? Ich warf Gerhild einen ungläubigen Blick zu. Sie nickte stumm. Auch mein magischer Ring machte sich bemerkbar. Wenn auch 37
nur schwach, er zeigte dämonische Aktivität an. Rexar war mein Mann! Der langbärtige Gnom bewegte sich würdevoll auf einen holzgepflasterten Platz am Rande der Ansiedlung zu. Dort waren einige seiner Knechte seit einiger Zeit damit beschäftigt, ein Feuer zu entfachen. Zwei weitere Männer, die einen schweren Eisenkessel schleppten, gesellten sich hinzu. Am Feuer angelangt, wuchteten sie das Teil an einen Holzhaken, der an einem Dreifuß befestigt war. Eine Windbö, von See her, blies uns Fischgeruch in die Nasen. »Was soll das werden?« flüsterte ich Gerhild zu. »Gibt's jetzt Fischsuppe oder einen Kessel Buntes?« Gerhild schüttelte stumm den Kopf. Natürlich kannte sie die Sendung aus den ach so glücklichen Sozialismustagen nicht. Woher auch? »Fischsuppe?« wisperte Midgard verblüfft. »Von wegen Fischsuppe. Rexar hält Gericht. Die Tempelknechte bereiten einen Kesselfang vor. Sieh hin, Mark Hellmann!« Das Mädchen sprach die Wahrheit. Langsam füllte sich der Platz. Von überall her strömten die Dorfbewohner herbei, um der Rechtssprechung beizuwohnen. Vergeblich suchte ich nach Mitleid in ihren Gesichtern. Wir wurden Zeugen eines widerwärtigen Schauspiels. Nachdem ein Mann einige Eimer Wasser in den Topf gegossen hatte, wartete man, bis es zu kochen anfing. Als es soweit war, warf Rexar einen Stein in den Topf. Ich ahnte Böses. Der Kesselfang gehörte bei den heidnischen Lutizen zu den Ritualen zur Wahrheitsfindung. Ich sah, wie zwei kräftige Burschen eine zierliche Frau zum Kessel schleppten. Sie war noch jung, höchstens zwanzig, leidlich hübsch und trug nichts weiter als einen winzigen Fetzen Stoff um die Hüften. Sie stieß gellende Schreie aus, versuchte, den Männern, die sie gepackt hielten, zu entwischen. Aber sie hatte nicht die Spur einer Chance. Die Tempelknechte waren starke, grobschlächtige Kerle. Ein Mann, der nur ein Ohr hatte, sprang auf sie zu und schlug ihr ins Gesicht. Die Frau brüllte vor Schmerz. Ihr geisterhaft bleiches Gesicht färbte sich rot vor Blut. Ich zuckte zusammen, als hätte ich selbst den Schlag abbekommen. »Diese verdammten Dreckskerle!« schimpfte ich. 38
Ich war drauf und dran, meine Lauerposition aufzugeben und mich auf die erbärmlichen Feiglinge zu stürzen. Sie mißhandelten ungestraft eine Frau, in aller Öffentlichkeit! Meine Nackenhaare kräuselten sich, und meine Muskeln waren bis zum Zerreißen gespannt. Midgard legte ihre kleine Hand auf meine geballte Faust und schaute mich an. Sie hatte die gleichen hellblauen Augen wie ihre Mutter. Zwischen ihre Brandnarben zwängte sich ein bizarres Lächeln. »Du darfst uns nicht verraten«, sagte sie. »Rexar glaubt, wir wären im Haus verbrannt. Deshalb spürt er uns nicht nach. Wüßte er, daß wir im Wald leben…« Sie sprach nicht weiter. Ich dachte mir mein Teil. Mein Blick flirrte zum Dorfplatz. Gerade zwang man die Frau, ganz nahe an den Topf zu treten. Das Wasser dampfte, und vor meinem inneren Ohr hörte ich das beängstigende Sprudeln. Gleich würden die Häscher ihre Arme packen und die Hände eine Zeitlang in das siedende Wasser halten. Dann würde Rexar am Zustand ihrer Brandwunden das Urteil ablesen. Schuld oder Unschuld. So stand es wenigstens in den Chroniken des Herbord, des Biographen des Otto von Bamberg. Auch Saxo Grammaticus, Adam von Bremen und der arabische Reisende Ibn Fadian hatten zu diesem düsteren Kapitel einige Aufzeichnungen hinterlassen. Ich hielt den Atem an. Brutal beugten die Knechte die zappelnde Frau über den dampfenden Kessel. Aus der Kehle des Opfers drang ein qualvolles Heulen, das zunehmend anschwoll. Es gipfelte in einem wahnsinnigen Kreischen. Jeden Augenblick schien sie explodieren zu wollen. Der Körper der Frau wurde zu einem zuckenden Bündel der Hilflosigkeit. Ein letztes Mal versuchte sie, ihre Peiniger abzuschütteln. Aber die Männer kannten kein Erbarmen. Rexar feuerte sie an. Mit einemmal verstummte das Geheul, als sei der Frau der Hals durchgeschnitten worden. Stille. Mir gefror das Blut in den Adern. Die Männer des Tempels preßten nicht die Arme der Unglücklichen unter Wasser, sondern 39
- ihren Kopf. »Es ist Melinda«, sagte Midgard leise. »Melinda?« »Mamas jüngere Schwester«, erklärte Midgard. »Rexar hat sie noch nie gemocht.« Im selben Moment rissen die Tempelknechte den Kopf der Frau aus dem Kessel. Nur den Bruchteil einer Sekunde ertrug ich den greulichen Anblick. Dann mußte ich wegschauen. »Jetzt kennst du Rexar«, sagte Gerhild. Sie gab das Zeichen zum Aufbruch. Das Sonnenlicht sprenkelte das Gras, auf dem wir in das schützende Dunkel des Waldes krochen. * Im Traum erblickte ich einen starräugigen, unbekleideten Jungen. Er war ungefähr zehn und trug nichts weiter als eine Lederkordel um den Hals. Daran war ein Siegelring befestigt, worauf die Initialen M und N eingraviert waren. Um die altertümlichen Buchstaben herum lag ein Wappen, das einen stilisierten Drachen darstellte. Der Junge tappte geistesabwesend über den Weimarer Marktplatz. Passanten, die ihm entgegenkamen, wichen unschlüssig aus und sahen ihm fragend hinterher. Manche lachten und tippten sich an die Stirn. Der Junge reagierte nicht darauf. Wie ferngesteuert ging er immer weiter, bis er an den Stadtrand kam. Eine Frau, die ein Einkaufsnetz trug, sprach ihn an, wollte wissen, wer er sei und was passiert war. Der Junge hob den Kopf und sah sie an. Als er den Mund öffnen wollte, um zu sprechen, zerriß ein gezackter Blitz den strahlend blauen Himmel. Da bemerkte die Frau das Hexenmal auf der Brust des Jungen. Eilends bekreuzigte sie sich und machte, daß sie fortkam. Es war der 1. Mai 1980, der Tag nach der Walpurgisnacht. Der Junge war ich. Nach Luft japsend, schreckte ich aus dem Schlaf. Gerhild stand neben meinem Strohlager. Es dämmerte, und 40
trübes Halbdunkel umrahmte ihr Gesicht. »Warum schreist du im Schlaf?« fragte sie. »Es war nur ein böser Traum. Kein Grund zur Besorgnis.« Ich rieb mir die Augen. Gerhild schien beunruhigt. Sie sah mich eine Weile stumm an. Dann schüttelte sie ihren Rotschopf, ging zum Dreifuß und entfachte ein Feuer. Als die Flammen prasselnd auf züngelten, nahm sie den zerbeulten Kessel vom Haken. »Hol Wasser, Midgard«, sagte sie. Die Achtjährige gehorchte. Fröhlich summend hopste sie aus dem Waldhaus. Gerfried raffte behende seine Lumpen zusammen, schlüpfte hinein und folgte seiner Schwester. Gerhild und ich waren allein in der Hütte. »Ich hatte auch einen Traum«, sagte sie leise. Ich rappelte mich auf und reckte meine schmerzenden Glieder. »Erzähle«, ermunterte ich sie. »Ehe du ihn vergißt.« »Vergessen?« Sie stocherte in der Glut. »Nein, vergessen werde ich diesen Traum bestimmt nicht. Ich habe ihn schon oft geträumt.« Gespannt sah ich sie an. »Es war Midgard, von der ich träumte«, begann sie zögerlich. »Ich sah, wie sie starb…« »Mein Gott!« »Wie?« Gerhild starrte mich groß an. »Ich meine, nicht jeder Traum bewahrheitet sich«, sagte ich nüchtern. »Ich weiß«, bestätigte Gerhild. »Doch dieser Traum wird kein Traum bleiben. Zu oft hat er mich nachts heimgesucht. Alles beginnt mit einem furchtbaren Unwetter. Ein Sturm, wie ihn die Lutizen noch nie erlebt haben, wird über das Land peitschen. Er wird Tod und Verderben über uns bringen. Midgard wird das erste Opfer sein. Ich sah, wie ihr Körper in den Fluten versank.« Vineta! jagte es durch meinen Schädel. Gerhild hatte eine immer wiederkehrende Vision. Sie sah den Untergang von Vineta voraus. Würde ich etwa Zeuge dieses sagenhaften Spektakels werden? Mein Herzschlag verdoppelte sich. Gerhild wischte sich übers Gesicht. Es war mir schleierhaft, wie sie es schaffte, jetzt ein Lächeln aufzusetzen. Sie musterte mich abschätzend und sagte: 41
»Du brauchst Kleider, Mark Hellmann, und Waffen. Wenn du Rexar an den Kragen willst, mußt du gewappnet sein. Ich werde dir helfen. In Vineta gibt es alles.« »Hast du denn Geld?« fragte ich. Gerhilds Blick verschwamm. »Noch nicht. Aber ich werde welches beschaffen.« Die Frau steckte voller Rätsel. Ich mußte zugeben, sie war eine der ungewöhnlichsten Persönlichkeiten, die je meinen Weg gekreuzt hatten. Und die Lutizen standen im Ruf, das gastfreundlichste Völkchen der Welt zu sein. Es soll vorgekommen sein, daß sie sich nachts auf die Socken machten, um Lebensmittel zu stehlen, damit es ihren Gästen am folgenden Tag an nichts mangelte. Auswüchse der besonderen Art. Gleich darauf erschienen die Kinder. Gerfried trug den Kessel, der bis zum Rand mit Wasser gefüllt war. Offenbar gab es in der Nähe einen Bach. Midgard hatte die Schöße ihres Kleides geschürzt. »Ich habe Beeren gesammelt«, sagte sie stolz und wandte sich an mich. »Magst du Beeren, Mark Hellmann?« Genießerisch rieb ich mir den Bauch. »Für frische Beeren aus dem Wald würde ich durchs Feuer gehen.« Midgard lachte. »Das brauchst du nicht«, sagte sie schlicht. Im Schneidersitz teilte sie die Beeren auf vier gleichgroße Haufen auf. Gerhild entnahm einem Erdspeicher eine Handvoll getrockneter Waldpilze und ein Stück hartes Brot, das sie in einer Schale Wasser aufweichte. Wir aßen. Nach dem kärglichen Frühstück traten wir ins Freie. In der Nacht hatte es geregnet. Die Luft war von einer geradezu unnatürlichen Frische und Würze. Obwohl Gerhild befürchten mußte, in Vineta erkannt zu werden, war sie von dem Vorhaben, mich zu begleiten, nicht abzubringen gewesen. Sie trug eine Kapuze, tief ins Gesicht gezogen. Der Mut dieser Frau grenzte an Tollkühnheit. Wir marschierten eine gute Stunde durch den Wald. Noch bevor wir sein schützendes Laubdach verließen, schnupperte ich das nahe Gewässer. Auf einer Anhöhe blieben wir stehen. Gerhild deutete auf einen schmalen Pfad, der sich am Rande des beschilften Ufers entlangschlängelte. 42
»Es sind nur noch ein paar Bogenschüsse«, sagte sie. »Siehst du den Hügel dort hinten? Von dort erkennt man bei gutem Wetter den oberen Teil des Schutzwalls von Vineta.« Die Sonne blendete, und ich beschattete meine Augen. Mark, du bist auf dem Weg in eine sagenumwobene Stadt! sagte ich mir. Ein Himmelreich für einen Fotoapparat… Minuten später hatten wir den Hügel erreicht. Zu meinen Füßen lag die versunkene Stadt. Der Wall ringsum war so hoch aufgeschüttet, daß ich nur die Dachfirste vereinzelter Gebäude erkennen konnte. Ein Bauwerk überragte alles, wahrscheinlich der heilige Tempel des obersten Stadtgottes. Wie ein riesiger, zweigloser Baum reckte er sich in den Himmel. Die Luft zitterte darüber und verzerrte die Umrisse des Heiligtums. Mein Blutdruck stieg. Midgard bemerkte, wie beeindruckt ich war. »Gibt's bei euch in Thüringen auch solche großen Städte?« fragte sie. »Doch, doch. Aber keine von ihnen ist wie Vineta.« Abermals ergriff Midgard still meine Hand. Wir gingen weiter. Ein Hohlweg tauchte auf, beidseitig von knorrigen Baumriesen flankiert. Gleich darauf endete der Pfad abrupt in einen breiten Bohlensteig. Auch andere Wege endeten an dieser Stelle. Hier trafen alle Pfade zusammen, vereinigten sich und führten geradewegs in Richtung Vineta. Und mit einemmal waren wir nicht mehr allein. Die Menschen kamen von allen Seiten. Ich wußte nicht, wo ich zuerst hinsehen sollte. Immer neue Eindrücke stürmten auf mich ein. Vor uns holperte eine zweirädrige Holzkarre, auf dem die Werkstatt eines Korbflechters aufgebaut war. Ein braungefleckter Ochse stemmte sich ins Geschirr. Daneben trotteten zwei Frauen, die Körbe mit Weidenruten auf dem Rücken trugen. Auf dem Kutschbock saß ein spindeldürrer Greis. Mit einer Gerte spornte er den Ochsen zur Eile an. Gerade fragte ich mich, ob die Bürger der Stadt tatsächlich so wohlhabend waren, wie es die Sage behauptete, da gellte ein Schrei. Der Karren, der vor uns dahinrumpelte, stoppte. Der Korbflechter stieß einen Fluch aus. Er kletterte vom Kutschbock, übergab die Zügel der Zugtiere an eine der Frauen und humpelte davon. Einige andere Männer schlossen sich ihm 43
an. Ich reckte meinen Hals und sah, wie sie vor einem großen Leiterwagen, der mit Rohholz beladen war, einen Halbkreis bildeten. Aufgeregt gestikulierten sie. Was war passiert? Ich warf Gerhild einen fragenden Blick zu. Den roten Lockenschopf, in den Falten der Kapuze verborgen, zuckte sie die Achseln. Ohne die kleine Midgard loszulassen, folgte ich dem Korbflechter. Wahrscheinlich hatte es einen Unfall gegeben. Vielleicht konnte ich helfen. Ich schob einige Umstehende beiseite, drängte mich nach vorn und bekam einen, Schreck, als ich sah, was Sache war. Ein eisenbereiftes Holzrad des Wagens war zerbrochen, die Ladung war seitlich verrutscht, aber was das Schlimmste war: Ein Mensch lag eingequetscht darunter. Warum kam ihm niemand zu Hilfe? Die Leute standen da und glotzten. Dem Verunglückten quollen die Augen aus dem Kopf. Es war ein junger Bursche, höchstens zwanzig. Den Mund qualvoll verzerrt, stierte er flehend auf die Umstehenden. Doch niemand rührte sich.Als wären sich alle sicher, daß ihm doch nicht mehr zu helfen war. Seit ich aufgetaucht war, waren ihre Gespräche schlagartig verstummt. Ich spürte, wie die kleine Midgard an meiner Hand zerrte. Sie wollte mich fortziehen. Ihr zernarbtes Gesicht wirkte mit einemmal zutiefst verängstigt. Aber ein innerer Impuls trieb mich vorwärts. Tatenlos zusehen, wie jemand zu Tode kam, das war weiß Gott nicht mein Ding! Der grauenerregende Anblick rührte mein Herz. Wild entschlossen sank ich neben dem eingequetschten Burschen zu Boden. Ich zwängte meine Schultern unter den Wagen. Dann packte ich zu und versuchte, das Vehikel hochzuwuchten. Auf den Mienen der Umstehenden malte sich schieres Entsetzen ab. Sie gafften mich an, als würde ich gerade eine verabscheuungswürdige Todsünde begehen. Knarrend, Zentimeter für Zentimeter, hob sich der Wagen. Langsam rutschte die verschobene Ladung zurück. Die Männer staunten nicht schlecht. »Was glotzt ihr?« schrie ich. »Zieht ihn raus! Verdammt!« Die Umstehenden wechselten bedepperte Blicke. 44
»Worauf wartet ihr?« Ich kochte vor Wut. Zögernd taten sie, was ich verlangte. Der junge Mann war gerettet. Ächzend wälzte er sich unter dem Wagen hervor, rappelte sich auf und betastete prüfend seinen Leib. Ernsthafte Verletzungen schien er nicht davongetragen zu haben. Er grinste mich schief an. Ich sah seine gelben Zähne. Vorsichtig ließ ich meine Last auf einen herbeigeholten Holzpflock sinken. Ich richtete mich auf und schnappte nach Luft. Keine Sekunde länger hätte ich dieses mörderische Gewicht halten können. »Bei Svarog«, schnaufte der Gerettete. »Du bist ein starker Mann, Fremdling.« Damit schien seine Dankbarkeit erschöpft. Er wandte sich ab, und bevor er davonging, als wäre nichts gewesen, sah ich, daß ihm ein Ohr fehlte. Potz Blitz! Den Typen hatte ich doch schon mal gesehen! Gerhild starrte mich wütend an, als ich zurückkehrte. »Weißt du, wen du da eben gerettet hast?« fauchte sie leise. »Nein, ich…« »Unglückseliger!« Ihre Augen blitzten voller Zorn. »Es war Panasch, Rexars treuester Mordbube. Er ist abgrundtiefer Auswurf. Panasch tötete Arnulf, meinen Mann. Und du? Schenkst ihm ein zweites Leben. Erwarte jetzt nicht, daß ich dich bewundere!« Ich biß mir auf die Unterlippe. Da hatte ich ja einen kapitalen Bock geschossen. Möglicherweise war es kein Zufall gewesen, daß Rexars Handlanger unter den Leiterwagen gekommen war, sondern ein sorgfältig ausgeklügeltes Attentat. Das würde die Passivität der Leute während meiner spontanen Rettungsaktion erklären. Midgard! jagte es eine Sekunde später durch meinen Kopf. Um Himmels willen, was, wenn der Einohrige Midgard erkannt hatte? Ich beschloß, die Augen offen zu halten. Der Bohlenweg führte in einem Bogen nach rechts, und jetzt schritten wir direkt auf eine der bedeutendsten Handelsmetropolen des frühen Mittelalters zu. *
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Nach dem Abendessen verspürte Pit Langenbach den Drang, mit Susanne, seiner Frau, Zärtlichkeiten auszutauschen. Die Uhr ging auf neun, und Anna, ihre Tochter, schlief wie ein Murmeltier. Erst vor fünf Minuten hatte Pit nach ihr gesehen. Es war Pits erster freier Tag seit langem. Auch ein Hauptkommissar brauchte einmal eine Prise Privatleben. Schließlich konnte man sich nicht permanent mit den Untaten übler Finsterlinge beschäftigen. Immerhin gab es da noch angenehmere Dinge, die das Leben bereithielt und die man nicht vernachlässigen durfte. Überhaupt dann nicht, wenn eine so hübsche Frau wie Susanne mit von der Partie war. Sie saßen auf der Couch, knabberten Salzbrezeln und tranken dazu Spätburgunder. Über den Bildschirm des Fernsehers flimmerte der Abspann einer Arztserie. Susanne gähnte. »Müde, Schatz?« fragte Pit lauernd. Seine Frau lächelte verschmitzt. Sie war einunddreißig, hatte lange, blonde Haare und hätte die Figur eines Models gehabt, wären da nicht die interessanten fraulichen Rundungen. An den richtigen Stellen, versteht sich. Manchmal zeigte sie sich wegen dieser Üppigkeit unglücklich. Doch Pit schaffte es immer wieder, ihre Bedenken auf seine unnachahmliche Art zu zerstreuen. Susanne schlug die schlanken Beine übereinander und trank einen Schluck Rotwein. Dann schenkte sie ihrem Mann ein kokettes Wimpernklimpern. »Wollen wir wetten, daß ich Gedanken lesen kann?« Um ihre Mundwinkel zuckte es verdächtig. Pit mimte den unschuldigen Weihnachtsengel. »Ich wußte gar nicht, daß ich eine Hexe geheiratet habe.« Sie beugte sich vor. Der Ausschnitt ihres Kleides klaffte auf, und Pits Blicke saugten sich an dem Dekollete fest. »Dann weißt du es eben jetzt«, raunte Susanne mit dumpfer, verstellter Stimme. »Ich sehe dir deine sündigen Gedanken an der Nasenspitze an. Willst du sie hören?« Pit ringelte sich eine Locke ihres matt glänzenden Haares um den Zeigefinger. »Nein«, sagte er. »Lieber nicht. Ich glaube dir auch so, Schatz. Außerdem würde ich jetzt lieber etwas mehr sehen als hören.« Mit gespielter Überraschung fuhr sie zurück. »Schande über dich, Verruchter!« Sie rollte mit den Augen. »Du 46
wirst dich doch nicht etwa auf ein wehrloses Weib stürzen wollen?« Susannes Pupillen funkelten wie zwei geschliffene Diamanten. Das Kleid, das sie trug, war vollends verrutscht. Sie tat, als merke sie nicht, daß ihr Ausschnitt jetzt sperrangelweit aufstand und ihren göttlich geformten Busen entblößte. Die Vorlieben ihres Angetrauten kannte sie aus dem Effeff. Herausfordernd schüttelte sie sich, als hätte sie auf irgendwas gebissen. Sekundenlang genoß Pit den aufreizenden Anblick. Er holte tief Luft, und sein Herz pochte wild. Er beugte sich vor und schob behutsam das Kleid von ihren Schultern. Während sich die attraktive Frau in die Brust warf, biß er ihr sanft ins Ohrläppchen. Der betörende Duft ihres Parfüms stieg ihm in die Nase. Sie küßten sich leidenschaftlich. Susanne kicherte. »Was hast du?« fragte Pit verblüfft. »Dein Schnauzbart«, flüsterte sie. »Er kitzelt.« Er strich ihr übers Haar, und erneut vereinigten sich ihre Lippen. Da klingelte es im Korridor. »Kuckucksei und Wiedehopf!« Pit Langenbach zuckte zurück, als hätte er an eine elektrische Leitung gefaßt. Im Zeitraffer hatte Susanne ihr Hauskleid auf Vordermann gebracht. Die erotische Stimmung war zerplatzt wie eine Seifenblase. Aus dem Fernseher peitschten Schüsse. Ein Actionfilm fing an. Pit Langenbach ging zur Tür, öffnete und kam mit Tessa Hayden ins Wohnzimmer. Die Kripobeamtin wirkte aufgewühlt und verstört. Ihre Augen flackerten, und das Lächeln, das sie aufgesetzt hatte, mißlang gründlich. »Ich hoffe, ich störe euch nicht«, meinte sie zaghaft. Der Hauptkommissar zauberte ein Grinsen auf seine Lippen und schaute ein wenig verlegen an sich hinab. »Wo denkst du hin, Tessa? Susanne und ich haben sowieso bloß so rumgehangen und in die Röhre geguckt. Stimmt's, Schatz?« Susanne bekräftigte die Worte ihres Mannes. »Genau. Mach dir keine Gedanken. Was gibt's denn, altes Mädchen?« Tessa Hayden atmete auf. Erlöst sank sie neben ihrer Freundin auf die Couch. 47
»Ich brauche jemanden, mit dem ich reden kann«, sprudelte sie heraus. »Tut mir echt leid, daß ich euch so spät überfalle, aber…« »Schon gut!« Pit stellte den Fernseher aus. »Wozu sind wir Freunde, he? - Ich hol dir erst mal ein Glas Rotwein. Du nimmst einen zur Brust, beruhigst dich, und dann sehen wir weiter. Okay?« »Okay.« Ohne Umschweife begann Tessa zu erzählen. Pit und Susanne hörten aufmerksam zu. Je länger die Freundin sprach, desto finsterer wurden ihre Mienen. Sie erfuhren, daß Tessa in der vergangenen Nacht im letzten Augenblick Gevatter Tod von der Schippe gehüpft war. Hätte nicht dieser geheimnisvolle Schutzengel eingegriffen, wäre Tessa Hayden unweigerlich von dem wandelnden Gerippe ermordet worden. Susanne legte eine Hand auf Tessas Schulter. »Du armes Ding«, meinte sie. »Ich weiß nicht, wie ich reagiert hätte, wenn nachts ein blutrünstiges Skelett in meinem Allerheiligsten aufgetaucht wäre. Wahrscheinlich wäre ich vor Schreck in Ohnmacht gefallen.« Pit zupfte grübelnd an seinem Schnauzbart. »Komisch«, sagte er. »Ich frage mich, was es mit diesem Schutzengel auf sich hat? Wenn es denn tatsächlich einen gibt, wieso hat er nicht auch die Hellseherin aus Taubach beschützt?« Tessa stellte das Weinglas ab. »Womöglich kannte er die Frau nicht. Ich werde das Gefühl nicht los, daß Mark irgendwie seine Finger mit im Spiel hat.« »Mark?« Pit war baff. Er stand auf und holte sich ein Zigarillo. »Wie kommst du darauf, Tessa? Mark befindet sich auf einer Zeitreise. Es liegen Welten zwischen ihm und uns. Über neunhundert Jahre, um einigermaßen genau zu sein. Er ist im Gebiet der Wilzen und Lutizen, in einer verdammt wilden Zeit, als das Wort Jesus Christus noch ein Fremdwort war.« »Trotzdem«, beharrte Tessa. »Ich bin sicher, Mark hat irgend jemand getroffen, der die Macht hat, heutige Ereignisse zu beeinflussen.« »Einen Geist?« Susanne schauderte. Ihre Worte schienen geheimnisvoll nachzuklingen. Sie schwiegen und schauten ins flackernde Licht der Kerzen. Pit hatte sie angezündet, nachdem er den Fernseher ausgeschaltet hatte. Susanne liebte schummriges Kerzenlicht über alles. Es erzeugte eine behagliche, anheimelnde Atmosphäre. 48
Aber jetzt gruselte sie sich. Rasch trank sie ihr Glas leer und kuschelte sich in die Ecke der Couch. »Mit Geistern kann ich meinen Chef wenig beeindrucken«, meinte Pit nach einer Weile intensiven Nachdenkens. »Er verlangt, daß ich den Fall Schacht umgehend aufkläre. Ich soll den Mörder finden. Wenn ich ihm auftische, daß ein Knochenmann seine Klauen im Spiel hat, erklärt er mich für verrückt und übergibt den Fall einem anderen. Und wenn tatsächlich die Schwarze Magie dafür verantwortlich ist - soll ich etwa ein Skelett verhaften? Ihm Handschellen anlegen und dem gestrengen Herrn Haftrichter überführen? Als Schuldbeweis nichts weiter als ein fiktives Runenorakel, das nur für einige Sekunden zu sehen war? Ganz Deutschland würde lachen. Alle würden mit Fingern auf die Weimarer Kripo zeigen. Europas Kulturhauptstadt 1999? Pustekuchen! Europas Geisterstadt 1999! Ich würde in der Gummizelle landen.« »Jetzt mach mal einen Punkt!« trumpfte Susanne auf. »Hast du nicht oft genug bewiesen, daß überirdische Phänomene keine Hirngespinste sind? Denk bloß mal an das Blutgericht von Jena (Siehe MH 8, Das Blutgericht von Jena) oder die Sache mit Brutus Kasput in Berlin. Es hat nicht viel gefehlt, und ich hätte statt eines Ehemannes deine Steinfigur im Wohnzimmer gehabt.« (Siehe MH 13, Ghul-Alarm in Ostberlin!) Pit stand auf und füllte die leergetrunkenen Gläser. Das Zigarillo im Mundwinkel, nickte er seiner Frau zustimmend zu. »Dein Wort in Gottes Ohr, Schatz! - Was ist? Möchte jemand von euch Zuckerpuppen noch was anderes trinken?« fragte er die Frauen. »Kaffee, Tee, Mineralwasser? Alles da.« Tessa und Susanne lehnten gerade dankend ab, als im Hintergrund eine dünne Stimme zirpte: »Papi, hier ist noch eine Zuckerpuppe. Und die möchte einen Schokoladenkeks. Hast du Schokoladenkekse, Papi?« »Floh?« Pit fuhr herum. »Wieso schläfst du denn nicht?« Die Achtjährige stand auf der Schwelle zum Korridor. Sie trug ein knöchellanges, himmelblaues Nachthemd und rieb sich schläfrig die Augen. Pit legte sein Zigarillo in den Ascher, ging zu ihr, ließ sich in die Hocke sinken und streichelte ihre Wange. »Kleine Mädchen dürfen nachts keine Kekse essen. Das ist nicht gut, Floh.« 49
Anna Langenbach blieb standfest. »Aber ich brauche jetzt unbedingt einen Keks. In Keksen ist Zucker. Und Zucker ist Nervennahrung. Genau die brauche ich jetzt.« Pit verbiß sich ein Grinsen. Kinderlogik war schlichtweg entwaffnend. »Aber wieso?« »Ich hatte einen Traum«, seufzte Anna. »So einen Traum hatte ich noch nie.« »Erzähl ihn uns!« bat Susanne, sich neben ihren Mann hockend. »Da war ein kleines Mädchen«, flüsterte Anna, und Tränen schossen in ihre Augen. »Es war so alt wie ich, aber…« Die Erwachsenen schwiegen betreten. Anna Langenbach schluckte. Sie blickte von einem zum anderen. »Aber das Mädchen sah nicht so aus wie die Kinder, die ich kenne. Sein Gesicht war schwarz wie Ofenruß, denn einmal, da wäre es fast verbrannt. Das Mädchen hat mir sogar ihren Namen genannt.« »Was wollte das Mädchen von dir, Schatz?« fragte Pit sanft. »Es sagte, ich solle auf mich achtgeben. Es sind böse Männer unterwegs. Sie sind aus Knochen…« Tessa entschlüpfte ein spitzer Schrei. Schnell schlug sie die Hand auf den Mund. »Hat das Mädchen noch etwas gesagt?« Pit spürte seihen Puls hämmern. »Ja.« Anna schlang ihre Arme um den Hals des Vaters, dem ein eiskalter Schauer über den Rücken lief. »Es will mich beschützen, denn es ist sehr stark. Ach so, da ist noch etwas. Es sagte, es hat Onkel Mark kennengelernt, als es noch lebte. Durch ihn kennt es uns. Onkel Mark hat das Mädchen besucht. Aber dann ist es gestorben. Das Mädchen aus meinem Traum ist ertrunken, als es acht Jahre alt war.« Die Erwachsenen hatten totenbleiche Gesichter. Im Zimmer war es unheimlich still. Man hörte den Sekundenzeiger der Wanduhr über das Zifferblatt kreisen. »Aber es ist nicht richtig gestorben«, fuhr Anna fort. »Es lebt bloß ohne Körper weiter. Jemand, den es nicht verpetzen will, hat ihm eine große Zauberkraft gegeben. Das Mädchen sagt, es hätte schon einen der Knochenmänner vernichtet. Hier in Weimar. Aber es gibt noch einen zweiten. Beide sind durch das Tor geschlüpft. Sobald sich der Bösewicht zeigt, wird das Mädchen da sein - bei 50
mir.« Weder Pit noch Susanne und Tessa fanden Worte. Ihre Mienen waren wie in Stein gemeißelt. Plötzlich hellte sich Anna Langenbachs Gesicht auf. »Seinen Namen«, hauchte sie. »Er ist mir wieder eingefallen. Das verbrannte Mädchen heißt Midgard. - Papi, bekomm ich nun einen Keks?« Der Hauptkommissar riß sich zusammen. Wie eine zum Leben erweckte Holzpuppe stakste er zur Hausbar. Dort lagen die Kekse. Hinter ihm ertönte ungehemmtes Schluchzen. Seine Frau war in Tränen ausgebrochen. »Wieso weinst du denn, Mami?« wollte Anna wissen. »Es gibt doch Midgard. Ich vertraue ihr. Ach so, was ich noch fragen wollte! Wozu sind eigentlich Runen gut?« * Vineta. Als wir uns durch eines der schmalen Stadttore drängten, machte mein Herz vor Aufregung einen Satz. Ich, Markus Nikolaus Hellmann, Adoptivsohn von Lydia und Ulrich Hellmann aus Weimar, ein Kind des 20. Jahrhunderts, befand mich nun im legendären Vineta! Die Fülle der Eindrücke, die auf mich einstürmten, versetzte mich in Entzücken. Eine Zeitlang vergaß ich, was mich eigentlich hergeführt hatte: Es waren der teuflische Tempelpriester Rexar, seine Knochenmänner und die ungeheuerliche Gefahr für die Menschheit, die von diesem machtbesessenen Zwerg ausging. Ich saugte jedes Detail, das mich umgab, mit schier unersättlicher Gier in mich auf. Gerhild, die beiden Kinder und ich schritten über einen Knüppeldamm, der in einen Handelsplatz von unüberschaubaren Ausmaßen mündete. Linkerhand erhob sich die Innenfront des Stadtwalls. Unter dem schräg abfallenden Dach des Wehrgangs patrouillierten bis an die Zähne bewaffnete Krieger. Sie trugen Panzerhemden, die aus kleinen Ringen zusammengefügt waren. Ihre Köpfe krönten Helme aus Eisen. Ihre Schilde hatten geschickte Kunsthandwerker mit Lederriemchen und 51
Metallbeschlägen verziert. Wertvolle Schwerter baumelten an ihren Gürteln. Die Klingen funkelten im Sonnenlicht. Die Parierstangen der Waffen endeten in geschnitzten Janusköpfen. Svarog, ihr mächtigster Obergott, war allgegenwärtig. Midgard zupfte mich am Ärmel. Ich blieb stehen. »Der Markt«, sagte sie. »Dort werden wir alles kaufen, was du brauchst. Ein Schwert, eine Streitaxt, auch einen Helm und ein Schild. Bald wirst du wie ein richtiger Krieger aussehen, Mark Hellmann.« »Ein Kettenhemd wäre auch nicht verkehrt«, ergänzte Gerfried. Unversehens furchte er seine Stirn und schaute fragend zu mir auf. »Ein Wappen brauchst du auch. Jeder muß doch sehen; mit wem er es zu tun hat. Was ist eigentlich dein Wappen?« Ich überlegte kurz, dann hob ich meinen Siegelring und wischte mit der Hand über die Initialen und den stilisierten Drachen. »Das ist mein Symbol«, sagte ich. »Ich bin der Kämpfer des Rings.« Gerfried nickte beeindruckt. »Nicht schlecht«, fand er. »Ein Drachen macht sich immer gut. Auf alle Fälle kämpferischer als ein Wildkaninchen oder ein Fischotter.« Schmunzelnd gab ich ihm einen Nasenstüber. Während ich mich noch immer fragte, woher Gerhild das Geld für die Bezahlung meiner Ausrüstung nehmen wollte, setzten wir unseren Weg fort. Der Markt kam in Sicht. Er mußte gigantisch sein. Grob geschätzt ungefähr zehnmal so groß wie der heutige Marktplatz in meiner Heimatstadt. Dicht nebeneinander reihten sich die Verkaufsstände der Händler und Handwerker. Ein kunterbuntes Knäuel Menschen aller Schichten quetschte sich durch die engen Gassen zwischen den Läden. Bauern erkannte man an ihren selbstgefertigten, schmucklosen Röcken. Die Oberschicht trug feinere, reichverzierte und geschmückte Gewänder. Gold- und Silberapplikationen wie Masken, Scheiben, Schnallen und Anhänger verliehen ihnen Glanz. Aus meiner Studienzeit als Völkerkundler wußte ich, daß die Beschaffenheit der Gürtelschnalle bei einem Mann seinen jeweiligen Stand verriet. Der Mann der Oberschicht legte Wert auf verschnörkelte Schnallen aus Edelstahl. Ich sah sogar Kinder, die 52
golddurchwirkte Gewänder anhatten. Einige schleppten miniaturisierte Schwerter und Streitäxte an ihren Gürteln, um kriegerisch zu wirken. Hochmütig blickten sie auf ihre waffenlosen Altersgenossen herab. Wir tauchten in das Gewimmel ein. Vor dem Stand eines Glasmachers machte ich halt. Er stand an seinem Brennofen und werkelte mit einer Kelle in einem Schmelztigel. Auf einem niedrigen Holztisch hatte er die Ausgangsstoffe, die er zur Glasherstellung benötigte, aufgebaut. Sand, Kreide, schwefelsaures Natron, Kohlepulver. Sobald die Masse zu einem Teig zerschmolzen war, fischte der Glasmacher mit einem langen Blasrohr einen Klumpen Rohmasse aus dem Topf. Gedankenverloren sah ich zu, wie der Mann den Klumpen auf einer Metallplatte so lange herumdrehte, bis er blasfertig war. Dann reichte er seinem Gehilfen das Blasrohr. Dieser pumpte sich auf wie ein Maikäfer, drehte das Rohr und pustete anschließend kräftig hinein. Bald entstand am Rohrende eine gläserne Blase, die auf die unterschiedlichsten Arten und für verschiedenste Zwecke weiterbehandelt wurde. Am nächsten Stand erwartete mich eine faustdicke Überraschung. Ein Greis, der wie Rumpelstilzchens Zwilling aussah, reichte einer Frau, die ein Kleid aus feinstem Stoff trug, gerade einen Käfig über die Verkaufstheke. Daraus ertönte ein dünnes Zirpen, so schrill, daß meine Trommelfelle schmerzten. Zuerst dachte ich, es wäre ein Tier darin. Aber dann sah ich die verhutzelte, ellbogenhohe Gestalt eines Wesens von menschlicher Gestalt. Es war mit einem Fetzen Grobleinen bekleidet, trug ein schiefes Mützchen auf dem Kopf und klammerte sich furchtsam an die Gitter des Käfigs. Seine Fingerchen waren erdbraun und runzlig. Eine Gänsehaut lief mir über den Rücken. »Was, nein, wer ist das?« fragte ich. Midgard war meinem Blick gefolgt. »Es ist ein Puck«, klärte sie mich auf. »Er gehört zu den Unterirdischen. Pucks sind harmlos. Man fängt sie im Wald und verkauft sie auf dem Markt. Hier, in Vineta, kann sich fast jede Familie einen Puck leisten.« »Wozu?« »Wenn sich ein Puck an seinen neuen Herrn gewöhnt hat, 53
befolgt er seine Befehle«, entgegnete Midgard. »Er hält Ordnung unter dem Gesinde und sorgt dafür, daß die Vorräte nie ausgehen. Wenn man genug Geld hat, kauft man sich eben einen. So einfach ist das, Mark Hellmann.« »Ja, wirklich sehr einfach.« Plötzlich fiel mir auf, daß Gerhild nicht mehr bei uns war. Heimlich hatte sie sich von uns entfernt. »Wo ist eure Mutter?« fragte ich. »Eben stand sie doch noch neben uns.« Gerfried wandte sich grinsend ab. Er tat, als hätte er meine Frage nicht gehört. Seine Schwester biß auf ihrer Unterlippe herum. Ich machte einen langen Hals, sah mich suchend um, aber keine Spur von Gerhild. »Mama beschafft Geld«, sagte Midgard, und ihre wasserblauen Augen blickten traurig. »Ohne Geld können wir doch nichts kaufen.« »Woher bekommt sie das Geld, Midgard?« Das Mädchen antwortete nicht. Ich wiederholte meine Frage. »Guck mal, Mark Hellmann!« lenkte sie ab. »Dort hinten werden gerade Sklaven ausgeladen. Puh - manche sind ja schwarz wie Teer.« Ich ging nicht auf ihr Ablenkungsmanöver ein. Eine dumpfe Vorahnung beschlich mich. Gerhild hatte nichts Wertvolles dabei, was sie möglicherweise zum Tausch anbieten konnte - bis auf ihren Körper. Und die Ausrüstung, die sie mir verpassen wollte, war arg kostspielig. Bot sie etwa ihre weiblichen Reize feil, um mich einkleiden zu können? »Verdammt!« Ich ballte die Fäuste. Scham, wie ich sie noch nie empfunden hatte, legte sich auf meine Seele. Meine Wangen brannten wie Feuer. Bevor wir den Markt betraten, hatte ich einige Huren und ihre Stände bemerkt. Die Frauen waren weiß gepudert, ihre Lippen von einem auffallend grellen Rot. Manche entblößten vor vorübergehenden Männern ihre Brüste. Andere hatten ihre Röcke hochgerafft, damit die Scheu der möglichen Kunden von ihnen abfiel und ihr Interesse stieg. All diese Anmachen geschahen mit unglaublicher Offenheit und Selbstverständlichkeit. Gerade so, als würde man einem potentiellen Kunden eine Schale frisches Obst präsentieren. 54
Hatten die Freudenmädchen dann einen interessierten Freier an der Angel, stiegen sie auf einen Holzkarren, auf dem eine Liege eingearbeitet war. Man zog einfach die Vorhänge ringsum zu. Sekunden später begannen die mobilen Liebeskarren aufs heftigste zu schaukeln… Ich packte Midgard am Arm. »Sag mir sofort, wo deine Mutter ist!« keuchte ich. »Warum bist du so wütend, Mark Hellmann?« Auf Midgards vernarbten Gesichtszüge erschien maßloses Staunen. »Ist sie bei den Huren, an den Holzkarren?« bohrte ich. »Nein. Das würde zu wenig Geld einbringen.« »Wo steckst sie dann?« Ich unterhielt mich mit einer Achtjährigen über Prostitution, kaum zu glauben. Da deutete Midgard auf ein Haus. Es stand am Anfang des Marktplatzes, gegenüber des Stadtwalles. Das einzige Gebäude weit und breit, das aus Stein bestand. Es besaß drei Stockwerke. Das Dach war mit flammendroten Schindeln gedeckt, und über dem First flatterte ein Banner, das Svarog, diesmal vierköpfig, darstellte. »Mama ist bei Jaxa«, sagte Midgard leise. »Jaxa?« »Jaxa ist ein Kaufmann aus Haithabu. Er ist der reichste Mann, den ich kenne. Ihm gehören mehrere Schiffe. Manchmal wohnt Jaxa einige Monate in Vineta, dann zieht er in eines seiner anderen Häuser nach Arkona oder Reric. Fast wäre Jaxa mein Vater geworden. Aber Mama hat sich dann doch für Arnulf entschieden.« Mir ging ein Licht auf. Gerhild hatte sich heimlich verdrückt, um bei diesem Jaxa das Geld, das sie für mich brauchte, zu verdienen. Das konnte ich keinesfalls zulassen! Seit wann schickte Mark Hellmann Frauen auf den Strich? Der Kämpfer des Rings ein Zuhälter? Niemals! »Kommt mit!« Ich packte Gerfried und Midgard an den Händen und schleppte sie hinter mir her. Sie prostestierten laut. Aber ich scherte mich nicht darum. Kaleidoskopartig zogen die Repräsentations-Stände der Handwerkerzünfte an uns vorüber. Goldschmiede, Bootsbauer, Stuhlmacher, Wagner, Köhler, Drechsler, Töpfer, Segelmacher, Ledergerber, Schuhmacher, Kesselflicker, Sattler, Böttcher, 55
Torfstecher, Netzeknüpfer - endlich standen wir vor dem Haus des Kaufmannes. Im Erdgeschoß war ein Fenster geöffnet, und ich hörte Stimmen. »Geh nicht hinein«, warnte mich Midgard. »Mit Jaxa ist nicht gut Flundern fischen.« »Kann schon sein«, nickte ich. »Trotzdem werde ich ihm einen Besuch abstatten. Läßt er deine Mutter nicht freiwillig gehen, hole ich sie mit Gewalt heraus.« »Sie wird sehr böse auf dich sein, Mark Hellmann!« sagte Midgard. »Ich werde es überleben.« Als ich mich dem Haus zuwandte, um die wenigen Stufen zum Portal emporzusteigen, öffnete sich die Tür so unverhofft, daß ich überrascht zurückprallte. Eine vermummte Gestalt mit hängenden Schultern trat hinaus. Es war Gerhild. Betreten sah sie mich an. »Jaxa ist gestorben«, sagte sie tonlos. »Er wird morgen beerdigt.« Vor Erleichterung atmete ich auf. Meine Karriere als Zuhälter verlief zum Glück im Sande. Gerhild verstand meinen Aufseufzer nicht. »Du bist froh?« Sie krauste verblüfft die Nase. »Ich werde mich selbst um meine Ausrüstung kümmern«, sagte ich. »Ich kann es doch nicht zulassen, daß du dich an irgendwelche geilen Böcke verhökerst.« »Du bist mein Gast. Ich hätte es gern für dich getan. Jede Frau hätte es für ihren Gast getan.« »Trotzdem«, beharrte ich. »Jetzt werde ich die Sache selbst in die Hand nehmen.« »Und wie willst du das anstellen?« Spöttisch zupfte sie an ihrer Kapuze. »Nun ja, genau weiß ich's noch nicht. Aber mir wird sicher was einfallen…« Da erscholl hinter mir aufgeregtes Geschrei. »Haltet den Dieb!« brüllte eine Frau. Ich fuhr herum und sah, daß ein grobschlächtiger Kerl, der einen Stoffballen unterm Arm geklemmt hielt, direkt auf uns zujagte. Sein blaurotes, pausbäckiges Gesicht war grausig 56
verzerrt. Hinter ihm her hetzte eine ausgemergelte Frau. Offenbar das bestohlene Markweib. Aber sie hatte schlechte Karten. Ihr Abstand zum Dieb vergrößerte sich zusehends. Das lange Kleid, das sie trug, verhinderte ein höheres Tempo. Schließlich verhedderte sie sich vollends in ihren langen Rockschößen. Der Länge nach schlug sie hin. Der Dieb lachte verächtlich. Er brauchte nur noch über einen niedrigen Flechtzaun zu springen, dann hatte er es geschafft. Die gestürzte Marktfrau rappelte sich auf. Aus ihrer Nase tropfte Blut. Als sie sah, daß der freche Tuchräuber gute Chancen hatte, mit seiner Beute zu entkommen, brach sie in Tränen aus. Sie tat mir leid, und ehe mich Gerhild zurückhalten konnte, schnellte ich, wie von einer Natter gebissen, auf den dreisten Stoffdieb zu. »Aus dem Weg!« schnauzte er mich an. »Denkste!« Ich stellte ihm ein Bein, und während er noch in der Flugphase war, packte ich ihn am Kragen und wirbelte ihn wie ein Kopfkisseninlett durch die Luft. Der gestohlene Stoffballen flog in hohem Bogen ein paar Meter weiter. Mit einem Arm stemmte ich den Übeltäter in die Höhe. Er zappelte wie ein Schmetterling, den man an den Flügeln gefangen hielt. Seine Füße pendelten eine Handbreit über dem Boden. Der Dieb setzte alles daran, mich abzuschütteln. Er boxte, stieß mit den Füßen und langte mit seinen schaufelförmigen Fingernägeln nach meinem Gesicht, um mir die Augen auszukratzen. Den Mund aufgesperrt, fletschte er die Zähne, wollte mich beißen. Fürwahr, ein höchst unangenehmer Zeitgenosse! Ich gab ihm einen Kinnhaken. Nicht zu stark, denn ich wollte ihn ja nicht umbringen. Jäh krachten seine Beißleisten aufeinander. Vor Schmerz aufschreiend, spuckte er mir sein Blut auf meine Lumpen. »Laß mich los, du!« Er jaulte wie ein Derwisch. Gelassen schüttelte ich den Kopf. »Man bestiehlt keine hilflosen Frauen, Freund Blase«, belehrte ich ihn. »So etwas gehört sich einfach nicht für einen Gentleman.« Unterdessen hatte sich um uns herum eine dichte 57
Menschentraube gebildet. Mit offenen Mündern bestaunten die Schaulustigen meinen Kraftakt. Immerhin war der Kerl, den ich wie eine Marionette über dem Boden schwenkte, nicht gerade ein Fliegengewicht. Zwei Männer in Helm und Kettenhemd tauchten auf. »Überlasse uns den Mann, Fremder«, sagte der eine. Ich lockerte meinen Griff und stellte den fluchenden Dieb auf die Beine. Die zwei Bewaffneten nickten mir freundlich zu. Gnadenlos drehten sie dem Gauner die Arme auf den Rücken und bahnten sich einen Weg durch die umstehenden Gaffer. Als sich die gaffende Menge allmählich zerstreute, trat die bestohlene Marktfrau auf mich zu. Den Zankapfel unterm Arm geklemmt, sah sie aus feuchten Augen zu mir auf. »Hab Dank, großer blonder Mann«, flüsterte sie unterwürfig. Vor Rührung stockte ihre Stimme. »Bei Svarog, du scheinst noch stärker zu sein als Ansgar, der Wikinger.« Demütig sank die Frau auf die Knie und preßte ihre Stirn auf den zerfransten Saum meines schäbigen Kittels. Dann stand sie auf, schenkte mir ein schmerzliches Lächeln und ging. »Heiliges Kanonenrohr!« Peinlich berührt kratzte ich mein stoppelbärtiges Kinn. Da fiel mein Blick auf einen Mann, dessen goldblinkende Gürtelschnalle darauf hinwies, daß er ziemlich wohlhabend sein mußte. Er stand da, die Daumen in den Gürtel gehängt, und betrachtete mich nachdenklich. Als er bemerkte, daß sich unsere Blicke kreuzten, huschte ein Grinsen über sein verschlagenes Gesicht. »Wohlan, Fremder«, sprach er mich an. »Du siehst aus, als würdest du etwas brauchen, was ich dir geben könnte.« »Schon möglich«, versetzte ich. »Wer bist du?« Der Mann griente. »Man nennt mich Björknar. Ich kann dir, wenn du willst, zu einem Batzen Taler verhelfen. Willst du?« »Was muß ich tun?« Björknars Augen wurden zu Schlitzen. »Nicht viel«, sagte er rauhhalsig. »Überlebe einen Kampf mit Ansgar.« Er tippte sich mit dem Daumen auf die Brust. »Ich bin Ansgars Sekundant. Bringst du den Mut auf, dich ihm zu stellen?« Gerhild stieß einen erstickten Schrei aus. Sie krampfte sich in den mürben Stoff meines Kittels. »Bei Svarog«, stöhnte sie. »Tu's nicht! Ich kenne den Wikinger. 58
Ansgar hat noch nie einen Kampf verloren. Er ist wie eine Eiche, nur viel grausamer und erbarmungsloser! Er treibt ein schreckliches Spiel mit seinen Gegnern im Ring, bevor er sie verstümmelt und erbarmungslos abschlachtet.« Björknar starrte Gerhild böse an. »Rede nicht so dumm daher, Weib! Sonst haue ich dir eine rein!« Ich schob Gerhild sanft beiseite und baute mich drohend vor Björknar auf. »Noch so ein häßlicher Spruch, und du kannst deine Knochen numerieren«, fauchte ich ihn an. Björknar grunzte unwillig, wandte sich aber von Gerhild ab. »Was ist nun?« Höhnisch deutete er auf mein zerknautschtes Vogelscheuchen-Outfit. »Willst du dir 'ne Stange Geld verdienen oder nicht?« Ich zögerte nicht lange. Mein Entschluß stand felsenfest. Ich würde das Angebot nicht ungenutzt verstreichen lassen. Schließlich brauchte ich Waffen. Und um diese zu bekommen, benötigte ich nun mal das erforderliche Kleingeld. Zudem war ich nicht hier, um mich zu amüsieren, sondern um einen Auftrag auszuführen. Das war nun mal meine Bestimmung! Björknar streckte mir seine Hand entgegen. »Sei es drum!« Ich schlug ein. »Auch die stärkste Eiche wird einmal gefällt.« Björknar lachte, bis ihm die Tränen kamen. * Die Kampfarena lag in der Nähe des Hafens. Es ging leicht bergab. Björknar führte uns vorbei an Gruppen von schmucken Wohnhäusern aus Rohholz, einstöckigen Arsenalen, Speicherbaracken und Wirtsstuben, vor denen angesäuselte Männer grölend ihre Bierhumpen schwenkten. Björknar winkte ihnen, stapfte auf sie zu und sprach eine Weile auf sie ein. Als er auf mich zeigte, brüllten die Männer vor Lachen. Dann schlossen sie sich uns an. Wir passierten das Hafengelände mit seinen zahllosen Schiffsliegeplätzen und seinen weißen, baumlosen Stränden. Auf der größten der Molen sah ich den Vulkanstopf, das berühmte Leuchtfeuer von Vineta. 59
Björknar ging voran. Ich folgte ihm. Gerhild, Midgard und Gerfried trotteten stumm neben mir her. Seit meinem Entschluß, diesem allerorts gefürchteten Wikinger die Stirn bieten zu wollen, hatten wir kein Wort mehr gewechselt. Meine drei Begleiter murmelten lautlose Gebete. Schließlich bogen wir um die Ecke eines Speichers und waren am Ziel. Eine jubilierende Menschenmenge bereitete uns einen heißen Empfang. Der Buschfunk schien hier erstklassig zu funktionieren. Als wir näher kamen, bildeten die Zuschauer eine schmale Gasse, durch die wir geradewegs zum Kampfplatz gelangten. Die Umstehenden zeigte mit Fingern auf mich. Man riß Witze und klopfte sich belustigt auf die Schenkel. Unbeeindruckt blieb ich vor den Seilen des Ringes stehen! Ein Kampf war im Gange. Fünf Männer kämpften gegen einen einzigen Menschen! Das mußte Ansgar, der Wikinger, sein. Ich unterzog ihn einer ausgiebigen Musterung. Ansgar überragte seine Gegner um mindestens zwei Haupteslängen. Von Kopf bis Fuß war er mit zottigen Haarbüscheln bedeckt. Um die Hüften herum hatte er sich ein Wolfsfell geschlungen. Bei jeder Bewegung, die er machte, hopste seine Halskette aus Schwermetall auf seinem mächtigen Brustkorb. Auf dem Kopf trug er einen Helm gestülpt, aus dem zwei krumme Ur-Hörner ragten. Ein Wikinger, wie er im Buche stand. Er und seine Gegner kämpften mit Holzstangen, oberschenkeldick und lang wie Wäschestützen. Ansgars Rivalen schienen keine Schwächlinge zu sein, dennoch kriegten sie gegen den gehörnten Hünen keinen Stich. Auch wenn sie alle zugleich angriffen, befreite sich Ansgar in kürzester Zeit aus der Umzingelung. Einige gutgezielte Schläge, mit herkulischer Kraft geführt, genügten, um die anderen niederzustrecken oder an den Rand des Ringes zurückzuscheuchen. Je länger ich zusah, desto klarer wurde mir: Dies war kein richtiger Kampf. Der wuschelköpfige Skandinavier wärmte sich lediglich auf. Seine fünf Gegner stellten nur Sparringspartner dar. Hätte es der riesenhafte Wikinger gewollt, würden sie allesamt bereits mit zertrümmerten Schädeln im feinkörnigen Sand der 60
Arena liegen. Ich merkte, daß Ansgar mir einen verstohlenen Blick zuwarf. Ein grausames Grinsen flog über sein Gesicht. Blitzartig, wie eine getretene Klapperschlange, führte er einen kraftvollen, auf den Filzhut eines Gegners zielenden Schlag aus. Der Knüppel, den er gepackt hielt, brach in zwei Hälften, als wäre er aus morschem Holz. Der Getroffene schrie auf. Sein Schrei war kurz und dumpf, unweigerlich der letzte Schrei, den dieser arme Mann je ausstoßen würde. Er ließ seine Holzstange fallen und griff sich an den Kopf. Aus einer tiefen, klaffenden Wunde strömte hellrotes Blut. Der Sterbende starrte seinen Mörder noch einmal ungläubig an. Dann klatschte er in den Sand und rührte sich nicht mehr. Ich bemerkte, daß mich Ansgar höhnisch angrinste. Offenbar hatte er den Mann absichtlich getötet, um mich zu beeindrucken. Im gewissen Sinne war es ihm auch gelungen. Um diesen zu Fleisch gewordenen Baum zu besiegen, würde ich all meine Kraft mobilisieren müssen. Sonst würde er mich wie einen Spazierstock in die Erde rammen. Die Umstehenden begannen vor Freude zu jauchzen, als Björknar in den Ring trat und sich neben seinen Schützling stellte. Währenddessen schleppten zwei der Sparringspartner den Leichnam ihres erschlagenen Kollegen hinaus Um die ausgelassene Meute zu besänftigen, hob Ansgars Sekundant beide Arme und kündigte den folgenden Kampf an. Erfreut hörte ich, daß demjenigen, der Ansgar besiegte, eine fürstliche Belohnung winkte. Björknar winkte mir. Ich schob mich durch die Seile und betrat den Ring. Ansgar würdigte mich keines Blickes. Vielleicht lag es daran, daß ich statt einer goldverzierten Gürtelschnalle nur eine Hanfschnur um den Bauch trug. Björknar verkündete die Regeln, die eigentlich gar keine waren. Wir sollten mit bloßen Fäusten, also ohne Waffen, kämpfen, wobei alles erlaubt war. Wer am Ende des Kampfes ohne fremde Hilfe auf den Beinen stand, hatte gewonnen. Viele der Zuschauer schlossen Wetten ab. Ein Junge, der auf einem nahegelegenen Baum saß, warf mir einen Kienapfel an den Kopf. Ich sah, wie Gerfried wütend auf ihn losstürzte und ihn wie eine Kokosnuß vom Baum rüttelte. Ich konzentrierte mich, spannte jeden Muskel. Vor meinem 61
inneren Auge zogen die zahllosen Übungseinheiten vorüber, die ich zusammen mit Pit Langenbach in den Räumen des Weimarer Polizei-Sportvereins absolviert hatte. Ich fragte mich, wie wohl ein waschechter Wikinger auf Karate oder andere Kampfsportarten reagieren würde. Ich plante, den Kampf so schnell wie möglich zu beenden. Ein anderer Gegner wartete bereits auf mich: Rexar, der abtrünnige Tempelpriester. Die Menschenmenge nahm immer mehr zu. Björknars Gehilfen kamen mit dem Einsammeln der Eintrittsgelder kaum hinterher. Hier und da ertönten ungeduldige Pfiffe. Die Leute wollten Blut sehen - mein Blut. Ich hielt gerade nach Gerhild und den Kindern Ausschau, als plötzlich ein lauter Paukenschlag erscholl. Das Signal! Der Kampf ging los. Die Zuschauer feuerten uns an. Sie brüllten, als führte man sie zur Schlachtbank. Auch mein Rivale stieß ein tierisches Brüllen aus, das jedes andere Geräusch buchstäblich überdeckte. Wahrscheinlich hielt er sich für den unbezwingbaren Nabel der Welt. Siegesgewiß trommelte er mit seinen behaarten Fäusten auf seine breite Brust. Während er noch einen Blick gen Himmel sandte, offensichtlich um von Wotan Beistand zu erflehen, hatte ich mich katzengleich angepirscht. Es dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde, schon hatte ich den großspurigen Wikinger im Visier. Er ließ gerade selbstgefällig grinsend seine Bizeps auf den Armen herumhüpfen - da griff ich an. Meine Attacke kam so überraschend, daß Ansgar keine Zeit für eine Reaktion blieb. Bevor er etwas sagen konnte, erwischte mein hochschnellender Fuß sein Kinn. So wuchtig, daß es augenblicklich blau anschwoll. Ansgar stieß einen gurgelnden Laut aus. Vorsichtshalber wich ich zurück. Der Wikinger wankte. Offenbar tanzten Millionen von Sternen unter seiner Schädeldecke. Dümmlich stierte er mich an. Dann sackte sein Kinn schlaff auf die Brust. Sein Helm rutschte ihm vom Kopf. Knirschend plumpste das Teil in den Sand. Genau auf die Stelle, an der vor Minuten Ansgars Sparringspartner seinen letzten Atemzug getan hatte. 62
Ansgar drehte sich noch mal um die eigene Achse. Dann riß er die Arme hoch und brach zusammen. Am Boden liegend, reckte er seinen muskulösen. Hals, um den Kopf zu heben. Es gelang nicht, und mit dem Gesicht nach unten, den Mund voll blutgetränkten Sandes, blieb der unbesiegbare Wikinger liegen. Der Kampf war zu Ende. Ich hatte gesiegt. Um mich herum gespenstische Stille. Die Zuschauer schienen ihren Augen nicht trauen zu wollen. Ein Denkmal war soeben von seinem Sockel gestürzt. Ein zerlumpter Niemand, der sein Gewand mit einer Kordel vor dem Verlieren schützte, hatte ihr Idol aufs Kreuz gelegt, in fünf Sekunden! Das war zuviel für sie. Diesen Bissen mußten sie erst mal verdauen. Plötzlich unterbrach ein zaghaftes Jubeln das fassungslose Schweigen. »Bei Svarog!« rief Gerhild aus. »Björknar, jetzt halte dein Versprechen. Laß Luft in deine Geldkatze…« * Am Abend hatte sich am Himmel über Weimar ein bleigraues Wolkengebirge gebildet. Kalter Regen prasselte auf Straßen, Dächer und gegen Fensterscheiben. Es war weit nach Mitternacht, aber Pit Langenbach bekam kein Auge zu. Annas Ankündigung, ein wandelndes Skelett würde erscheinen, um sie zu töten, raubte dem Hauptkommissar fast den Verstand. Er saß sprungbereit auf einer Sesselkante im Wohnzimmer. Angespannt starrte er ins trübe Licht der gedimmten Stehlampe. Vor ihm, auf dem niedrigen Couchtisch, lag sein Schulterholster, aus dem der geriffelte Kolben seiner Pistole lugte. Am späten Nachmittag war Pit bei Ulrich Hellmann gewesen. Marks Vater hatte ihm einen Flakon geweihten Wassers und einige Silberkugeln mitgegeben, für alle Fälle. Plötzlich hörte Pit seinen Namen. Er drehte sich um und sah, daß Susanne, seine Frau, ins Zimmer trat. »Hast du nach Floh gesehen, Schatz?« flüsterte er. 63
Susanne nickte. »Sie schläft.« Der Hauptkommissar schüttelte den Kopf. »Unsere Tochter ist mir ein Rätsel«, meinte er. »Obwohl sie weiß, daß sie in fürchterlicher Gefahr schwebt, fühlt sie sich geborgen wie in Abrahams Schoß.« »Das Mädchen aus ihrem Traum…«, begann Susanne. Pit winkte ab. »Jaja, der geheimnisvolle Schutzengel. Ich weiß, ich weiß. Darauf kann und will ich mich aber nicht verlassen. Ich wage es nicht, mir auszumalen, was passieren wird, wenn dieses überirdische Geschöpf zufällig nicht an Ort und Stelle sein wird, wie es versprochen hat.« Susanne Langenbach ging um den Tisch. Sie glättete mit fahrigen Bewegungen die Übergardinen. Eine Zeitlang sah sie zu, wie die fetten Regentropfen an der Scheibe abperlten. »Beruhige dich, Pit«, sagte sie leise. »Erinnere dich, was Tessa vergangene Nacht durchgemacht hat. Diese Midgard muß über gewaltige magische Kräfte verfügen. Der wandelnde Knochenhaufen, der Tessa an die Wäsche wollte, hatte nicht die Spur einer Chance. Im Nu brannte er lichterloh.« Pit zog an seinen Fingern, bis die Gelenke knackten. Dann langte er nach einem Zigarillo, gab sich Feuer und inhalierte den bläulichen Qualm. Stumm vor sich hinbrütend verschluckte er plötzlich Rauch, hustete und sprang auf, als hätte er Ameisen in der Unterhose. »Was hast du, Pit?« Susannes Stimme zitterte vor Angst. Er starrte sie an. Seine Augen flackerten wie Irrlichter. »Die Asche«, raunte er. »Wo hat Tessa die Asche dieses Monsters gelassen?« Susanne schluckte. »In den Mülleimer geschüttet«, sagte sie leichthin. »Was sollte Tessa sonst damit anstellen?« Pit Langenbach stupste das Zigarillo in den Ascher. Hastig riß er sein Handy vom Tisch. Alle Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. »Komm schon!« knurrte er in den Hörer. »Nimm schon ab, Tessa!« * Der Tempelpriester Rexar kniete vor einer tischhohen Statuette 64
und atmete schwer. Seine Hütte lag abseits der Siedlung, in der Nähe des Tempels des Svarog. Die spartanische Einrichtung bestand aus Bett, Schemel und einer Truhe, deren Deckel geöffnet war. Der Fußboden im einzigen Raum des Hauses war mit mehreren Lagen Stroh und Schilf ausgelegt. Neben dem zwergenhaften Mann flackerte das rötliche Licht eines fingerlangen Kerzenstummels. Rexar beschwor den Gott der Finsternis. Die Holzfigur, vor der er sich niedergelassen hatte, war schwarz angestrichen und ähnelte in ihrer Gestalt einem mißgestalteten Kobold. »O Dragovit, du wahrer Herrscher über das Land und über das Meer, hilf mir, das reiche Vineta zu erobern. Ich will der oberste Priester werden. Die Kaufleute, die Adligen und all der Pöbel, der dort kreucht und fleucht, sollen sich vor Angst in die Hosen machen, nur wenn sie meinen Namen hören- Rexar!« Berauscht von diesem köstlichen Gedanken, schloß der Größenwahnsinnige die Augen. Er sah sich bereits auf einem gigantischen Thron, der vor Gold und Silber nur so blinkte. Zu seinen Füßen eine unüberschaubare Menge Menschen, die sich bäuchlings im Staub wälzte. Aus tausenden Kehlen umschmeichelte sein geheiligter Name seine Ohren. Rexars verhutzelter Körper erschauderte vor inbrünstiger Wollust. Draußen, vom Bohlenweg, der an seinem Haus vorbeiführte, ertönte leises Knarren. Näherten sich Schritte? Der Tempelpriester spitzte die Ohren. Er strich über seinen Bart und lauschte einen Atemzug lang. Der Nachtwind heulte gespenstisch um das Holzhaus. Rexar schnappte nach der Holzfigur, sprang behende auf die Füße und ließ die DragovitStatuette in der Truhe verschwinden. Leichtfüßig glitt er zur Tür und legte ein Ohr an das Holz. Jemand kratzte leise an der Tür. »Wer wagt es, mich zu stören?« brummte der Priester. »Ein Freund«, lispelte eine Stimme. »Ich bin's, o Rexar. Dein ergebener Panasch.« Übers Rexars zerklüftetes Gesicht huschte ein Grinsen. Dieses dämliche Einohr muß ich mir warmhalten, dachte er. Wenigstens vorläufig. Der Kerl hat mir bisher gute Dienste geleistet. Rexar nestelte am Riegelschloß. Er ließ Panasch in die Hütte und verschloß sorgfältig die Tür hinter seinem nächtlichen Besucher. 65
»Es ist spät. Ich hoffe, du hast einen guten Grund, mich um diese Zeit zu belästigen.« Der Priester blinzelte unwillig. Panasch bleckte seine gelben Hauer. »Den hab ich, Rexar. Es gibt Neuigkeiten von größter Wichtigkeit. Du wirst Augen machen…« »Faß dich kurz. Ich bin müde. Was ist los, Panasch?« Der Einohrige nickte pflichtschuldig. »Ich habe heute die rote Gerhild gesehen. Du weißt schon, das Weib von Arnulf, dem Kammacher, den wir Svarog opferten. Sie war munter wie ein Fisch im Wasser. Auch ihre Brut hatte sie im Schlepptau, und einen riesigen Kerl…« Rexar schrie vor Wut. Er schnellte auf den Burschen zu, stieß ihn zurück und schlug ihm ins Gesicht. »Du wagst es, in mein Haus zu treten und mir solchen Unfug aufzutischen?! Verdammter Kerl! Ich selbst sah, wie sie jämmerlich verbrannten.« Panasch ließ sich nicht beirren. »Und doch ist es so, wie ich sage. Ich war auf dem Weg nach Vineta, da bekam ich plötzlich einen Stoß. Nun ja, ich hab nicht gerade viele Freunde. Ich fiel unter einen Ochsenkarren. Obendrein brach das Rad, und um ein Haar wäre ich zermalmt worden. Niemand half. Da sprang ein blonder Hüne hinzu. Er stemmte den Wagen hoch, ganz allein, und ich blieb am Leben. Als ich mich umsah, bemerkte ich die rote Gerhild und ihre beiden Bastarde. Sie hatte ihr Gesicht in einer Kapuze versteckt. Ich habe zwar nur ein Ohr, aber dafür zwei sehr scharfe Augen.« Sekundenlang herrschte Schweigen. Grübelnd zwirbelte Rexar die Enden seines Bartes und musterte seinen Besucher. »Du scheinst deiner Sache sehr sicher zu sein«, sagte er dumpf. »Bei Svarog! Ich spreche die Wahrheit.« »So so, das Weib lebt also«, sinnierte Rexar. Er faßte Panasch fest ins Auge. »Und? Bist du ihnen gefolgt? Was hast du herausbekommen?« »Ich klebte wie ein Schatten an ihren Fersen«, sprudelte Panasch hervor. Mit stolzgeschwellter Brust teilte er dem Tempelpriester seine Beobachtungen mit. Als er an die Stelle kam, wie Gerhilds geheimnisvoller Begleiter in der Kampfarena am Hafen den sagenhaften Ansgar besiegte, verdüsterten sich Rexars Züge. »Bei Svarog! Er triumphierte über den Wikinger?« »Der Kampf dauerte nur ein paar Augenblicke. Wie ein Wolf fiel 66
der Blonde Ansgar an. Er donnerte ihm einen Fuß ans Kinn, daß ich dachte, Ansgar würde der Schädel wegfliegen. Der Wikinger fiel um, als hätte der Blitz in ihn eingeschlagen. Man mußte ihn auf einer Trage fortbringen.« »Unglaublich«, staunte Rexar. »Wer ist dieser Fremde?« Panasch hob die Schultern, ließ sie wieder sinken und schabte mit einem Daumennagel an seinen Schneidezähnen. »Ich weiß es nicht. Vielleicht ist er einer dieser Christen aus dem Süden. Diese Kerle vermehren sich wie die Heuschrecken. Jeden Tag werden es mehr. Am liebsten würden sie unsere Tempel einreißen und dafür ihre seltsamen Kirchen bauen.« »Was weißt du noch über diesen Mann?« forschte Rexar. Panasch überlegte. »Nach dem Kampf marschierte er mit Gerhild zum Markt. Er kaufte ein Schwert und andere Waffen. Dann verschwand er im Zelt eines Alchimisten. Was er dort wollte, konnte ich nicht feststellen. Es war zu gefährlich, ins Zelt zu gehen. Sie hätten mich erkannt. Aus meinem Versteck sah ich, daß der blonde Riese mit einigen verschnürten Paketen wieder herauskam. Ich schätze, darin war irgendwelcher chemischer Hokuspokus. Keine Ahnung, wozu er den Klimbim braucht.« »Haben sie abends die Stadt wieder verlassen?« fragte Rexar. »Wohin sind sie gegangen?« Panasch sagte nichts. Nervös hackte er auf seinen Lippen herum. »Wie? Du weißt nicht, wohin sie gegangen sind?« »Das letzte Mal sah ich sie in der Schenke des Franken. Sie bestellten gebratenen Fisch, einen Brotlaib und Nabid, das nordische Bier. Als ich sie so sah, bekam ich auch Hunger. Ich ging zu einer billigen Garküche und…« »Du hirnloser Tollkopf!!!« Rexar versetzte dem verblüfften Panasch einen Boxhieb in den Bauch. Der Einohrige krümmte sich vor Schmerz, und der Priester schlug ein zweites Mal zu. »Du hast sie aus den Augen verloren? Ich fasse es nicht! Ist dir klar, wozu dieser Fremde die Waffen braucht?« »Zur Jagd?« Wie von Sinnen zerrte Rexar an seinem Bart. »Richtig!« brüllte er. »Zur Jagd - und zwar zur Jagd auf uns. Er steht auf der Seite dieser fuchshaarigen Gerhild. Und dieses Weib steckt voller Haß auf uns, denn wir haben Arnulf getötet und ihr Haus abgefackelt. Verdammt! Wie konnte sie bloß entkommen?« 67
Panasch schluckte. Sein Besuch bei Rexar verlief anders, als er sich ausgemalt hatte. Statt Lob zu ernten, machte ihm der Tempelpriester die Hölle heiß, schlug und beschimpfte ihn. Panasch schwieg verdrossen. Rexar bezähmte seine Wut. Der gewitzte Zwerg ahnte, was in dem Burschen vorging. So beschloß er, seinen treuen Gefolgsmann nicht unzufrieden fortzuschicken. Schließlich brauchte er Panasch, mehr als jemals zuvor. »Nun ja«, lenkte Rexar ein. »Noch ist nicht alles verloren. Wir müssen auf der Hut sein. Hm, Panasch, du hast gute Arbeit geleistet. Trotz alledem. Jetzt ist es wichtig, daß wir auskundschaften, wo die rote Gerhild ihren Unterschlupf hat. Du mußt ihr weiter nachspüren. Wenn du sie gefunden hast, werden wir sie töten - alle.« Panasch bekam wieder Oberwasser. Sein Gesicht hellte sich auf, »Du wirst nicht enttäuscht sein, o Rexar«, versicherte er. »Schon morgen werde ich wissen, wo das Weibsstück sich versteckt hält. Bei Svarog!« Rexar nickte. »Geh jetzt. Ich muß nachdenken.« Als Panasch im Dunkel der Nacht verschwunden war, kauerte sich der Tempelpriester auf den Schemel und brachte Ordnung in seine Gedanken. Dann stand er auf, ging zur Truhe und holte die schwarze Dragovit-Statuette heraus. Lange starrte er das Teil stumm an, bis sich ein listiges Grinsen auf seinem Gesicht ausbreitete. Panasch würde einige Gehilfen brauchen, um das Versteck der roten Gerhild aufzustöbern. Rexar entschied, seinem einohrigen Gefolgsmann einen wiedererweckten Toten an die Seite zu stellen. Der Knochenkopf würde nicht viel Federlesens mit Gerhilds Sippe machen. Wenn Rexar allerdings gegen Vineta marschierte, würde er bedeutend mehr Gehilfen brauchen. Doch das war kein Problem. Unter der Erde wimmelte es von Toten. Er mußte bloß aufpassen, daß er sich nicht wieder verhaspelte, wenn er die Skelette beschwor. Beim erstenmal hatten sich zwei Knochenmänner buchstäblich in Luft aufgelöst… Der Tempelpriester schob den hölzernen Dragovit unter sein Gewand und verließ seine Hütte. Zielstrebig lenkte er seine Schritte zu den Hügelgräbern am Waldrand. Das Meer rauschte, und seine Stimmung verbesserte sich mit jedem Schritt, den er 68
tat. * »Was tust du da, Mark Hellmann?« Ich sah auf. Die kleine Midgard stand, die Arme keß in die Seiten gestemmt, neben mir und verfolgte jede meiner Bewegungen. Ich hockte am schräg abfallenden Ufer eines winzigen, fröhlich plätschernden Waldflüßchens. Ich war dabei, einen tödlichen Cocktail zu mixen. Bei einem Alchimisten in Vineta hatte ich wider Erwarten alle notwendigen Rohstoffe entdeckt, um in eigener Regie einen hochexplosiven Sprengstoff herzustellen. Nitroglyzerin! Eine Flüssigkeit, die an Sprengkraft das Schwarzpulver um ein Vielfaches übertraf. »Ich bastle eine Bombe«, antwortete ich frei heraus. »Damit erzeugt man so etwas wie einen künstlichen Gewitterblitz. Es gibt eine Explosion, und das Böse, das uns bedroht, wird zerstört.« »Eine Bombe?« Midgard ließ sich ins Moos sinken. »Erklärst du mir, was eine Bombe ist?« »Lieber nicht«, wich ich aus. »Warum? Hast du Geheimnisse vor mir?« »Nun ja«, druckste ich herum, »eine Bombe zu bauen, ist sehr gefährlich. Wenn man nicht genau aufpaßt, geht es schief. Es gibt einen mächtigen Knall, man fliegt in die Luft und wird völlig zerfetzt. Es bleibt absolut nichts mehr von einem übrig.« »Gar nichts?« Midgards Augen wurden kugelrund. »Nicht ein Stäubchen«, übertrieb ich. Statt sich vor dieser Aussicht zu ängstigen, verdoppelte sich das Interesse der Achtjährigen. Sie zog die Knie an den Körper, stülpte die Unterlippe vor und verfolgte, was ich da machte. In einer zerbeulten Schüssel vermengte ich diverse Säuren. Mit einem Glasstab rührte ich eine Zeitlang das flüssige Zwischenprodukt. Anschließend füllte ich es in eine tönerne Flasche ab. Jetzt kam der schwierigste Teil meines Experiments an die Reihe. Ich holte tief Luft, sah zu Midgard. »So, Mädchen, jetzt stell dich hinter einen Baum und mach die Augen zu. Kann ich mich auf dich verlassen?« Midgard schmollte. Doch sie tat, was ich verlangt hatte. 69
»Sag, wenn ich meine Augen wieder aufmachen darf«, rief sie, schon hinter einem Baum verschwunden. »Es dauert nicht lange«, versprach ich. Ich nahm die Flasche Glyzerin, die der Alchimist durch Verseifung von Fett unter Zusatz von Soda gewonnen hatte, goß es in die Schüssel, die ich zuvor sauber ausgespült hatte, und stellte das Behältnis ins flache, fließende Wasser, um den Inhalt zu kühlen. Nun begann ich, die vermischten Säuren in das Glyzerin zu gießen. Ich vermengte die beiden Teile tröpfchenweise. Dabei rührte ich den öligen Pamps unaufhörlich. Und zwar so behutsam, wie ich konnte. Ein unangenehmer Dunst umwehte meine Nase, und manchmal züngelte ein bißchen Rauch auf, gelblichrot. Dann wartete ich ein paar Sekunden, bevor ich weitermachte. Schweißperlen sammelten sich auf meiner Stirn. Es kitzelte, aber ich hatte keine Hand frei. Ich biß die Zähne zusammen. Jetzt einen Fehler zu machen, bedeutete den sofortigen Abflug ins Jenseits, im wahrsten Sinne des Wortes. Nichts würde darauf hinweisen, daß ein Mark Hellmann je existiert hatte. Dann, endlich, war das Nitroglyzerin fertig. Zwar blieb noch die Zünderfrage zu lösen, aber das war das kleinste Problem. Um diesen teuflischen Sprengstoff zu aktivieren, reichte bereits eine kleine Erschütterung oder die Hitze eines nahen Feuers. Manchmal sogar die Wärme eines, Körpers… Schnell beseitigte ich die Spuren meines Experiments. Dann erlöste ich Midgard aus ihrer düsteren Welt. »Darf ich dabeisein, wenn du deine Bombe ausprobierst?« fragte sie, als sie näher kam. »Viel zu gefährlich für kleine Mädchen.« Ich gab ihr einen sanften Nasenstüber. »Gibt's denn nichts anderes, was dir Spaß machen würde?« »Doch«, meinte sie. »Gibt es. Wenn du willst, zeige ich es dir. Aber es ist eigentlich mein Geheimnis.« »Heißt das, deine Mama weiß nichts davon?« Midgard nickte. »Komm mit und laß dich überraschen, Mark Hellmann.« Sie führte mich ein Stück in den Wald, blieb dann vor einem flachen Stein stehen, bückte sich, hob ihn an und zog einen löchrigen Leinenbeutel außerdem getarnten Erdloch. »Kanu? Was ist denn das?« 70
»Rate!« Lachend schwenkte sie den Beutel hin und her. »Ich wette, du kommst nie darauf, was ich da drin habe. Nie und nimmer! Auch wenn du dich noch so doll anstrengst.« »Eine Puppe aus Stoff?« tippte ich. »Falsch.« »Ein kleiner Svarog aus Holz?« »Nein«. Midgard schüttelte den Kopf. »Meinen kleinen HolzSvarog hab ich immer bei mir. Guck!« Sie zeigte ihn mir. »Ich hab ja gleich gesagt, Mark Hellmann. Du wirst nie erraten, was in meinem Beutel klimpert.« Plötzlich durchzuckte ein absurder Gedanke meine grauen Zellen. Nein, das war unmöglich, dachte ich. Midgard ist ein kleines Mädchen, acht Jahre alt. Sie kann davon nichts wissen. »Rate!« drängte sie mich siegessicher. »Oder gibst du so leicht auf?« Ich faßte sie fest ins Auge. »In deinem Beutelchen sind…« »Na? Sag schon.« »Runensteine.« Stille. Dann stieß das Mädchen einen überraschten Schrei aus. Es riß die Augen auf, als hätte ich mich unversehens in eine Schildkröte verwandelt. »Mark Hellmann«, murmelte sie voller Staunen. »Bist du ein Hellseher?« Ehe ich antworten konnte, schüttete sie den Inhalt des Beutels auf das Moos. Die Runensteine des altgermanischen FutharkAlphabets fielen kunterbunt durcheinander. Feoh, Ur, Thorn, Ass, Rit, Kaon, Geofu, Wunna, Hagal, Nauths, Is, Jar, Yr, Peorth, Aquizi, Tyr, Biarkan, Eoh, Man, Lagu, Ing, Odal, Daeg und die Sigyl-Rune. Letztere sollte in Hitler-Deutschland traurige Berühmtheit erringen. Ähnlich wie zu jener Zeit, als man Runen der Hexerei zurechnete. Die Sigyl-Rune erschien nämlich in doppelter Ausführung auf den Kragen der SS-Uniformen… Auch ein neutraler, unbemalter Stein fiel ins Moos. Keine einzige der vierundzwanzig Runen fehlte. Zum Schluß schüttelte Midgard das Tuch aus dem Beutel. Die drei konzentrischen Kreise! Mit blutrotem Garn waren sie in das grobe Leinen eingewoben. Schlagartig wurde mir klar, wer da vor mir stand: Das Geschöpf, dessen Orakel mich hierhergeholt hatte, ins elfte 71
Jahrhundert. Aber noch wußte das Mädchen von all den Schrecknissen, die bevorstehen würden, nicht das geringste. Sie war so unschuldig wie ein Neugeborenes. Ich seufzte kummervoll, fuhr mir mit der Hand übers Gesicht und versuchte, Fassung zu bewahren. »Mark Hellmann!« katapultierte mich Midgards Stimme in die Wirklichkeit zurück. »Warum bist du denn so traurig? Das finde ich seltsam. Denn immerhin hast du eben eine Wette gewonnen…« * Nachdem Midgard das Runentuch auf eine ebene Stelle des Bodens ausgebreitet hatte, mischte sie die Runensteine, ähnlich wie Karten. Die Seiten, auf denen die Zeichen geritzt waren, lagen dabei unten. »Jetzt mußt du neun Stück auswählen«, sagte sie. »Nimm sie und schüttle sie in der hohlen Hand.« »Woher weißt du, wie man ein Runenorakel handhabt?« fragte ich, während ich die Holzsteine folgsam durcheinanderwirbelte. »Wer hat es dir beigebracht?« Das Mädchen überging meine Frage. »Es hat sich schon mal jemand totgemischt«, feixte sie statt dessen. »Mark Hellmann, jetzt mußt du die Steine auf das Tuch werfen. Aber nicht rollen, oder schieben, hörst du? Öffne einfach die Hände und lasse die Steine mit Schwung über das Tuch fallen.« »Warum wirft man eigentlich nur neun Steine?« wollte ich wissen. »Weil neun Steine bequem in jede Hand passen.« »Nur deswegen?« »Naja, man sagt auch, Odin, der Meister der Runen, . mußte neun Nächte kopfunter von einem Galgen hängen, an der Weltenesche Yggdrasil, um das Geheimnis der Runen zu erfahren.« »Aha. Darum soll ich auch neun Steine werfen, einen für jede Nacht.« »Wirf endlich!« Die Achtjährige wurde ungeduldig. »Ich bin gespannt auf dein Schicksal.« »Da kenn ich noch einen«, meinte ich. Dann warf ich die 72
Runensteine auf das Tuch. Mit kindlichem Übereifer machte sich Midgard an die Deutung des Orakels. Unvermittelt knackte es im Unterholz. Schritte nahten. Midgard und ich wechselten überraschte Blicke, und das Mädchen raffte mit einer katzenhaft flinken Bewegung das Tuch zusammen, sammelte die Steine ein, schüttete sie in den Leinenbeutel und versenkte diesen in das Erdversteck. Behende tarnte sie das Loch mit dem Stein. »Es ist nun mal ein Geheimnis«, erklärte Midgard bedauernd. Drei Sekunden später tauchte ihre Mutter auf. Einen tiefhängenden Zweig beiseiteschiebend, musterte sie uns nachdenklich. Dann sagte sie: »Mark Hellmann, ich hab dir was Wichtiges zu sagen.« »Was denn?« »Ich werde heute mitkommen, wenn du diesen ekelhaften Rexar vernichtest.« »Irrtum«, sagte ich scharf. »Wirst du nicht, denn du wirst im Wald, bei den Kindern, bleiben. Das, was ich vorhabe, ist nichts für…« »Schwache Weiber?« ergänzte sie fragend. »Meinst du das? Ja? Glaubst du noch immer, ich sei ein schwaches Weib, Mark Hellmann?« Ich beobachtete die tollkühne Frau. Sie stand, da, die Arme kämpferisch verschränkt, die schmalen Lippen entschlossen aufgeworfen. Die flammendroten Haare umkränzten ihr totenbleiches Gesicht. Ein grausamer Zug, der mir an ihr fremd war, lag darin. »Du bist kein schwaches Weib«, gab ich zu. »Dennoch, ich möchte allein sein, wenn es dem Beschwörer des Bösen an den Kragen geht. Ich hab meine Gründe.« »Wenn er unbedingt möchte, laß ihn doch allein gehen, Mama«, sagte Midgard. Gerhild blickte ihre kleine Tochter grimmig an. »Du warst nicht gefragt, Midgard.« Das Mädchen blickte schuldbewußt zu Boden. »Du brauchst jemanden, der dir den Weg zeigt…« begann Gerhild erneut. »Ich kenne den Weg«, unterbrach ich sie. »Ich finde ihn sogar, wenn es finstere Nacht ist.« »Eine Großkatze könnte dich anfallen.« Gerhild ließ nicht locker. 73
»Schon einmal mußte ich dich vor ihren Tatzen retten.« »Diesmal werde ich vorsichtiger sein.« Aber Gerhild gab sich keinesfalls geschlagen. »Und Rexar? Er wird die Gräber öffnen. Mit einer Legion von wandelnden Gerippen wird er dich empfangen. Von allen Seiten werden sie sich auf dich werfen. Erschlägst du einen, werden zwei neue da sein. Mit mörderischer Kraft werden sie auf dich eindringen. Sie werden nicht eher ruhen, bis sie alles Leben aus dir herausgequetscht haben. Du brauchst einen starken Kampfgefährten, Mark Hellmann. Du brauchst - mich!« Langsam riß mir der Geduldsfaden. »Deine Starrköpfigkeit ist bewundernswert. Aber ich sage es gern noch einmal: Ich werde allein gehen. Basta!« »Basta?« Gerhild sah mich fragend an. »Oder endgültig«, erklärte ich. »Du bleibst hier, bei Gerfried und Midgard. Weitere Diskussionen sind überflüssig.« Gerhild erwiderte nichts, doch in ihren lebhaft blitzenden Augen sah ich, daß sie nicht die Frau war, die einfach so ihre einmal gefaßten Pläne aufgab. Bloß weil ich es so wollte. Gerhild war schon ein harter Brocken. Wenn sie so dastand, entschlossen bis in die letzte Faser ihres Körpers, erinnerte sie mich irgendwie an Tessa Hayden. Die beiden Frauen hatten viele Gemeinsamkeiten, was um so erstaunlicher war, da sie glatte neunhundert Jahre voneinander trennte. »Dein letztes Wort?« sagte sie gepreßt. Ich nickte. »Das allerletzte, Gerhild. Heute ist unser letzter gemeinsamer Tag. Wenn ich Rexar und seinen Skeletthaufen besiegt habe, werde ich sofort zurück in mein Land und meine Zeit reisen.« Für meinen Geschmack blieb Gerhild eine Spur zu einsichtig. Sie brach einen trockenen Zweig von einem Baum, betrachtete ihn nachdenklich und warf ihn schließlich über das Flüßchen hinweg ans andere Ufer. »Also gut«, sagte sie. »Sei's drum. Ich habe ein kräftiges Mahl zubereitet. Es gibt gebratenen Igel, Hirsegrütze und süße Wurzeln. Kommt essen!« Wir machten uns auf den Weg. Nach dem Essen, das sehr still verlief, legte ich meine Waffen an. Das Schwert, das ich bei einem Waffenhändler gekauft hatte, trug die Aufschrift des rheinländischen Fabrikanten Ulfberth. 74
Umgerechnet hatte das Teil den Wert eines Zugochsen. Die doppelschneidige Klinge bestand aus damasziertem Stahl, und der Knauf endete mit dem Abbild einer janusköpfigen Gottheit. Auf ein Schild hatte ich im letzten Moment verzichtet, ebenso auf neue Kleider. Wenn ich mit Rexar abgerechnet hatte, würde ich ohnedies keine mehr brauchen. Meine Lumpen taten es allemal. Aber, auf eine Streitaxt hatte ich nicht verzichtet. Es handelte sich um eine leichte Axt mit langgezogener Schneide. Die untere Schneide war erheblich länger als die obere, die in einer Spitze auslief. Dadurch wurde die Axt zu einer Hieb-, Stich- und Wurfwaffe. Als mir Gerhild nach der Mahlzeit einige Streifen getrocknetes Igelfleisch für unterwegs zustecken wollte, winkte ich ab. »Du bist lustig«, meinte ich. »Glaubst du im Ernst, ich bekomme beim Kampf Appetit auf Brat-Igel?« »Ich hab es gut gemeint.« Gerhild blinzelte mich an, und Gerfried und Midgard grinsten verstohlen. Dann kam die Stunde des Abschieds. Obwohl ich nur kurze Zeit bei Gerhild und ihren Kindern im Wald gelebt hatte, war ich tief gerührt. Die Kinder umarmten mich, als würden sie von ihrem eigenen Vater Abschied nehmen. Die kleine Midgard weinte ungehemmt. Sie zog meinen Kopf immer wieder zu sich herab, drückte ihr vernarbtes Gesicht an meine Wange und segnete mich am laufenden Band. Ihr älterer Bruder, Gerfried, verbiß sich die Tränen. Schließlich war er bald ein Mann. Zum Schluß sagte ich Gerhild ade. »Mit deinem dritten Kind hat es ja nun nicht so geklappt, wie du wolltest«, spielte ich auf unsere erste Begegnung an. »Schade«, sagte sie unverblümt. »Es wäre ein kräftiges Kerlchen geworden, dieser Armin. Leider bleibt er nun ungeboren.« »Wer weiß?« meinte ich und gab ihr einen Kuß. Ein letztes Mal nahm ich den Flechtvorhang der Hütte beiseite. Ein letztes Mal blickte ich mich um. Meine Gastgeber standen stumm nebeneinander. Midgard vergrub ihr Gesicht im Kleid der Mutter. Sie schluchzte so herzzerreißend, daß es mir jedes Mal einen Stich in die Brust gab. Ich riß mich zusammen und ging. Noch wußte ich nicht, welches entsetzliche Schauspiel sich 75
wenige Stunden später, nur einen Steinwurf entfernt von Gerhilds Waldhütte, abspielen sollte. Ich erfuhr es erst viel später, und zwar von jemandem, von dem ich es am allerwenigsten erwartet hätte - von Pit Langenbachs Tochter Anna. * Tessa Hayden lag angezogen auf ihrem Bett, schmökerte in einem Krimi und versuchte, nicht an Mark Hellmann zu denken. Doch das war leichter gesagt, als getan. Immer öfter drängelte sich sein Gesicht vor ihr inneres Auge. Tessas Blicke sausten die Zeilen des Romans entlang, aber sie kapierte nicht die Bohne. Das lag nicht am Inhalt des Buches, sondern daran, daß sie unkonzentriert und im höchsten Maße aufgepeitscht war. Etliche Male ließ sie das Buch sinken und schaute mit leerem Blick durch das Zimmer. Dann stellte sie sich vor, wie sie reagieren würde, wenn Mark von seiner Zeitreise wieder zurückgekehrt war. Sollte sie sich cool geben? Oder sollte sie ihn merken lassen, wie sehr sie sich freute? Tessa stand auf. Sie legte das Buch aufgeklappt auf das Nachtschränkchen und ging in die Küche. In der Spüle standen noch zwei Kaffeetassen. Am Abend war Pit Langenbach noch mal vorbeigekommen. Er hatte versucht, sie anzurufen, aber Tessa hatte das Telefon nicht klingeln gehört. Sie hatte eine Schlaftablette genommen. Pit hatte im Treppenhaus einen höllischen Rabatz gemacht. Kaum war die Tür auf, stürzte er wie ein Irrer an ihr vorbei in die Wohnung. Wo ist dein Mülleimer? hatte er immer wieder gebrüllt. Als sie es ihm gesagt hatte, riß er die Tür des Spülschranks auf, zog seine Pistole und fuhrwerkte in ihrem Müll, wie ein Freak, für den es nichts Schöneres gab, als eben in Müll zu wühlen. Als Tessa ihn daraufhin fragte, was er eigentlich suche, hatte der Hauptkommissar sie verdutzt angestarrt. »Die Asche«, hatte er tonlos gesagt. »Ich dachte, es wäre was mit der Asche. Von deinem nächtlichen Besucher. Du weißt schon, Tessa. Nun ja, ich dachte, es wäre doch möglich, daß sie sich wieder materialisiert. Diese Schwarzblüter haben allerhand Tricks auf Lager.« Aber Pits Verdacht erwies sich als unbegründet. Trotzdem 76
schüttete er Tessas Müll in eine mitgebrachte Plastiktüte, trank den heißen Kaffee auf Ex und verschwand ohne ein weiteres Wort. Tessa nahm sich einen Apfel aus dem Obstkorb. Kauend marschierte sie ins kleine Badezimmer. Dort legte sie den angeknabberten Apfel auf die Konsole über dem Waschbecken. Versonnen betrachtete sie sich im Spiegel. »Mark«, flüsterte sie. »Ich vermisse dich so.« Tessa hatte Sehnsucht nach ihrem Freund. Sie kämpfte nicht dagegen an. Als sie fühlte, wie der Stoff ihres Shirts an ihren aufgerichteten Brustwarzen zu kratzen begann, wußte sie mit einemmal, was sie tun würde. Sie würde nach Polen reisen und im Gasthaus Atol in Swinemünde auf Mark Hellmann warten. Ein innerer Impuls sagte ihr, daß er kurz vor seiner Rückkehr in die heutige Zeit stand. Und dann würde sie da sein, bei ihm. Tessa Hayden stieß einen Jubellaut aus. Plötzlich hatte sie es sehr eilig. * Anstatt ohne Umschweife den brandgefährlichen Tempelpriester zu erledigen, befand ich mich auf dem Weg nach Vineta. Wenn ich Rexar vernichtet hatte, würde ich automatisch in die Gegenwart katapultiert werden. Also bliebe mir keine Zeit, noch einmal einen Blick aufs sagenumwobene Vineta zu werfen. Als ich den Wald verließ, um über den Knüppeldamm in die Stadt zu gelangen, kam ich an einem aus Monolithen bestehenden Friedhof vorüber. Gerade fand eine Totenzeremonie statt. Ein ungutes Gefühl beschlich mich. Mein sechster Sinn erwachte. Er bedeutete mir, daß das bevorstehende Leichenbegängnis auf irgendeine Weise für mich bedeutsam war. Neugierig trat ich näher. Ungefähr drei Dutzend Leute wohnten der Beerdigung bei. »Wer ist gestorben?« fragte ich den erstbesten. Es war ein Glatzkopf mittleren Alters, zwei Köpfe kleiner als ich. Er trug einen ausgeblichenen Kittel und hielt ihn mit einer Hanfschnur zusammen. »Jaxa ist gestorben«, antwortete er gepreßt. »Der reiche Jaxa aus Haithabu.« 77
Ich biß mir auf die Lippe. Jaxa? War das nicht der Kerl, an den sich Gerhild verschachern wollte, um Geld für mich zu organisieren? Mit wachen Sinnen sah ich zu, was passierte. Dank meiner Größe hatte ich eine gute Aussicht. Die Feier schien sich bereits dem Ende zuzuneigen. Ich erhaschte gerade noch, wie der in prächtigen Gewändern gehüllte Verstorbene mittels starker Taue in eine riesige Grube gehievt wurde. Jetzt kamen von allen Seiten Männer und Frauen, offenbar die Angehörigen, und legten Grabbeigaben an den Rand der Grube. Ich sah Krüge mit Nabid, Früchte, Brotlaibe, Fleisch und Zwiebeln. Jemand schleppte einen winselnden Hund heran, erschlug ihn mit einer Streitaxt und warf ihn in das Grab. Ebenso erging es einem Pferd und einer Kuh. Man haute sie bei lebendigem Leibe in Stücke, daß das Blut nur so spritzte. Als nächstes kamen sie mit einem Hahn und einer Henne. Sie töteten die Tiere und warfen sie auf den versenkten Leichnam. Und immer wieder wurden Krüge mit Bier herumgereicht. Allmählich löste sich die gedrückte Stimmung. Der Alkohol zeigte Wirkung. Plötzlich ein Aufschrei. »Was ist denn nun los?« fragte ich. Der Glatzkopf sah mich erstaunt an. »Jaxa braucht doch eine Frau«, belehrte er mich. »Wer sollte ihn sonst im Jenseits bedienen?« Mein Gott! Ich schluckte. Im nächsten Moment würde ich Zeuge eines unbeschreiblichen Horror-Szenariums werden. Die Ehefrau des reichen Händlers würde ihren Gatten in den Tod folgen. Ob sie nun wollte oder nicht. Die heidnischen Bräuche schrieben es so vor. Unvorstellbar barbarisch erscheint uns das heute. Die Frau wird als Anhängsel des Mannes betrachtet und auch so behandelt. Ich sah, wie eine verwachsene Greisin auftauchte. Mit einem Messer stieß sie eine junge, offenbar völlig apathische Frau vor sich hier. »Die alte Vettel ist der Todesengel von Vineta«, raunte der Glatzkopf hinter vorgehaltener Hand. »Sie wird Jaxas Sklavin in ein Zelt führen. Dort wird sie von sechs baumstarken Kriegern erwartet. Wenn die Kerle mit ihr fertig sind, ist der Todesengel an der Reihe.« Mir blieb die Spucke weg. »Wieso Sklavin?« fragte ich. »Hatte Jaxa keine Ehefrau?« 78
»Nein. Er war unverheiratet. Bei Svarog, es ist schon eine glückliche Fügung des Schicksals, daß gerade heute ein Weib auftauchte, das Jaxa einmal liebte.« »Äh - wie?« »Sie kam neulich in sein Haus. Da erinnerten sich Jaxas Lakaien an sie. Das Weib wird Jaxa ins Totenreich begleiten. Ihr Schicksal ist beschlossene Sache. - Sieh nur, was für fuchsrote Haare sie hat!« Eine Alarmglocke schrillte in mir, und ich fuhr herum. Mein Herz pochte dumpf, als ich den Hals lang machte, um zu sehen, ob meine Vermutung stimmte. Potz Blitz!. Sie stimmte. Die betäubte Frau an der Seite des Todesengels war keine andere als Gerhild! Sie mußte mir gefolgt sein, und dabei war sie in die Fänge von Jaxas Lakaien geraten. Ich stand da wie vom Donner gerührt. Wenn ich nichts unternahm, war Gerhild verloren. Die mordlüsterne Alte würde sie abstechen wie ein Osterlamm. Und in gewisser Weise trug ich Mitschuld daran. Jäh fühlte ich mich beobachtet. Ich spähte in die Runde. Ein Bursche, der einen hinterlistigen Zug im Gesicht hatte, stierte mich unverwandt an. Das Einohr! Ich brauchte nur eins und eins zusammenzuzählen, um zu wissen, wem Gerhild ihre jetzige Lage zu verdanken hatte. Der Mistkerl mußte Gerhild nachspioniert haben, sicher auf Geheiß dieses größenwahnsinnigen Tempelpriesters. Ohne mit der Wimper zu zucken, lieferte er sie ans Messer… Schon befand sich der Todesengel vor dem Eingang des Zeltes, in dem Gerhild zu Tode gequält Werden sollte. Man hatte sie von Kopf bis Fuß in kostbare Gewänder gekleidet. Der Wind blies ihr die Kapuze vom Kopf, und ich sah, wie ihr langes, rotes Haar flatterte. Ich holte noch einmal tief Luft. Dann packte ich mein Schwert. Zu allem entschlossen, drängte ich die vor mir stehenden Trauergäste beiseite. Neben dem Hinkelstein, der später auf Jaxas Grab gerollt werden würde, blieb ich stehen. »Halt!« rief ich mit schneidender Stimme. Alle starrten mich fassungslos an, wie ich auf Gerhild zuschritt. »Das ist mein Weib!« rief ich aus. »Wie kommt ihr dazu, sie einem anderen Manne zu opfern?« Die Anwesenden rangen um Fassung. Mit einer Mischung aus Furcht und Erstaunen sahen sie mich an. Eine Stimme, deren 79
verhaßter Klang meine Wut noch steigerte, zerriß das betretene Schweigen. Wieder dieses verdammte Einohr. Er gebärdete sich wie ein Irrer. »Er lügt!« krähte er. »Dieser Mann lügt!« Gelassen durchschnitt ich die Stricke, mit denen Gerhild die Handgelenke zusammengeknotet waren. Ihre Blick war gläsern und teilnahmslos. Wahrscheinlich hatte man sie mit Drogen aus Kräuterauszügen und Alkohol willenlos gemacht. »Komm, Gerhild«, sagte ich. »Gehen wir nach Hause.« »Laßt ihn nicht entkommen!« Das Einohr sprang wild umher. Er schien vor Wut explodieren zu wollen. Auch die abscheuliche Todesengeln Todesengel mimte, erwachte aus ihrer Erstarrung. Sie trat mir in den Weg. »Ihr Schicksal ist besiegelt«, fauchte sie. »Das Weib gehört Jaxa. Sie wird ihm im Reich der Toten dienen, in alle Ewigkeit. Bei Svarog!« »Geh beiseite, alte Vettel!« Langsam reichte es mir. »Bist du taub? Ich sagte, das Weib bleibt hier!« Drohend hob sie ihr Messer. Ich merkte, wie Bewegung in die trauernde Menge kam. Einige Bewaffnete näherten sich. Ihre Gesichter drückten Groll aus. Sie wollten mir ans Leder. Schon griffen sie nach Streitäxten und Schwertern. Jetzt wurde es brenzlig. Gegen eine Horde kampferprobter Krieger standen meine Chancen nicht gerade zum besten. Sie waren gerade dabei, mich zu umstellen. Ich packte Gerhilds kalte Hand fester und zog sie zu einem kolossalen Monolithen. So hielt ich mir wenigstens den Rücken frei. Der Todesengel stieß ein kehliges Röhren aus. Ungeachtet der Tatsache, daß ich doppelt so groß war wie sie, blieb uns die hexenhafte Greisin auf den Fersen. Das Messer in ihrer Hand zuckte. Ich starrte sie an. »Noch einen Schritt näher, und du wirst diesem Jaxa in die Grube folgen.« Sie erstarrte auf der Stelle. Aus ihrem zahnlosen Mund sickerte Geifer. Ein bösartiges Grinsen huschte über ihr Gesicht, als sie sich den Kriegern zuwandte. »Worauf wartet ihr, Kerls?« keifte sie. »Tötet endlich diesen blonden Bastard! Er ist allein. Fürchtet ihr euch vor einem einzelnen Mann?« »Er hat Ansgar besiegt«, sagte einer. »Hab's mit eigenen Augen 80
gesehen.« »Und wenn!« krächzte die Alte. »Feiglinge! Ich hab gesagt, tötet ihn!!!« Der Todesengel schäumte vor Wut. Die Bewaffneten rückten näher. Ich ließ Gerhild los und zerrte meine Streitaxt aus dem Gürtel. Rechts das Schwert, links die Axt, erwartete ich ihre Attacke. »Hände weg von meinem Weib!« Ich wirbelte das klobige Schwert wie ein Spazierstöckchen durch die Luft, und die Männer blieben unschlüssig stehen. Da passierte das Unerhörte. Einige der umliegenden tonnenschweren Monolithen, mit denen die Gräber belegt waren, bewegten sich. Eine unsichtbare Kraft rollte sie beiseite, als wären sie leichtgewichtige Flußkiesel. Dann tat sich der Boden auf. Aus dem Innern der Erde reckten sich bleiche, fleischlose Totenschädel. Die Trauergäste prallten zurück, sie schrien vor Entsetzen. Panik brach aus. »Nach Vineta!« kreischte eine Frau. Jedermann wandte sich zur Flucht. Die schockierten Menschen hasteten über den Knüppeldamm, den Stadttoren entgegen. Die ersten vollständigen Knochengerüste verließen ihre Ruhestätte. Sie reckten sich, klapperten mit ihren Kiefern und stießen zirpende Laute aus. Es sah so aus, als warteten sie auf jemanden, der ihnen befahl. Dann erschien dieser Jemand. Wie aus dem Boden gestampft, stand er plötzlich da, adlernasig, gnomenhaft, mit Augen, aus denen Funken zu sprühen schienen. Rexar! Jetzt ließ er seine Maske fallen. »Gen Vineta, ihr Geschöpfe der Finsternis!« schrie er. »Im Namen des Dragovit!« Die Skelette formierten sich. Endlich wußten sie, was zu tun war. * Gerhilds Kinder saßen vor der Waldhütte im Gras. Gerfried schnitzte eine Holzfigur, und Midgard blickte träumend in die Laubkronen der Bäume, als in ihrer Nähe merkwürdige Geräusche erklangen. 81
»Was ist das?« Gerfried sah seine Schwester an. »Ob Mutter schon zurückkommt?« Midgard lauschte angestrengt. Dann sprang sie auf. »Das ist nicht Mutter. Ihre Schritte kenne ich. Das sind Fremde, die da kommen.« Ängstlich umkrallte Gerfried die halbfertige Holzfigur. »Wir müssen uns verstecken«, flüsterte er. »Komm mit!« Midgard packte die Hand des Bruders und zog ihn fort. Sie liefen ein Stück in Richtung des Waldsees. Dort war ihre Höhle, halb unterirdisch, ein verlassener Fuchsbau, den Gerfried mit viel Geschick erweitert hatte. Die Mutter hatte ihnen eingeschärft, nie in die Nähe des Sees zu gehen. Er war tief, sein Wasser dunkel und die Ufer steil. Aber Verbotenes reizte nun mal. Sie rannten und rannten. Midgard hörte schon das Plätschern der Wellen, da geschah das Unheil. Hinter einem Baum sprang ein Skelett hervor. Die Kinder schrien auf, wandten sich in eine andere Richtung. Aber das Knochengerippe war wieselflink. Mit einigen Sätzen war es bei ihnen und vertrat ihnen den Weg. Es klappte seinen Unterkiefer auf, wirbelte mit seinen Armen und zirpte schrill. Gerfried und Midgard wichen zurück. Immer näher kamen sie dem Ufer des Waldsees. Das Gerippe pirschte sich an, drängte die vor Angst Zitternden immer mehr an das steile Ufer. Die Blicke der Kinder wurden zu Gletschereis. Ihre Beine bewegten sich von allein, immer noch einen Schritt zurück. Plötzlich verlor Midgard das Gleichgewicht. Mit einem erstickten Schrei stürzte sie rücklings in das Wasser. Gerfried wollte ihr nachspringen, der See war gefährlich, und Midgard konnte noch nicht schwimmen, aber der Zehnjährige war wie gelähmt. Er konnte nicht einmal mit den Augen zwinkern. Die abstoßenden, schwarzen Augenhöhlen des Gerippes schienen ihn zu hypnotisieren. Er hörte, wie Midgard im Wasser zappelte und verzweifelt um Hilfe rief. Dann, Gerfried wußte nicht, wie lange er so dagestanden hatte, schrie seine Schwester nicht mehr. Einen Augenblick lang war es totenstill. Plötzlich bogen sich die Wipfel der Bäume. Der Himmel färbte sich schwarz, als hätte man ihn mit Kohlenruß bestäubt. Ein Sturm brach mit solcher Heftigkeit los, wie ihn Gerfried noch nie erlebt hatte. Der Knochenmann zirpte aufgeregt, drehte sich um und lief 82
schließlich durch das Unterholz davon. Erst jetzt war Gerfried fähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Und dieser erste Gedanke war der schrecklichste, den er je hatte. Ihm wurde bewußt, daß soeben seine Schwester gestorben war. Dennoch hechtete sich Gerfried ins nachtschwarze Wasser. »Midgard!« jammerte er. »Midgard! Du darfst nicht tot sein…« Seine Schmerzenslaute verhallten ungehört. Irgendwo, nicht allzu weit weg, rumpste es. Die Erde zitterte, und der aufkommende Sturm steigerte sich zum Orkan. Eine undurchdringliche, samtschwarze Finsternis breitete sich in Windeseile aus, und die ersten Regentropfen trommelten herab. * Immer mehr Hügelgräber öffneten sich. Immer mehr Skelette krochen aus dem Erdboden. Bald ertönte ihr schrilles Zirpen von überall her. Indessen hatte sich der Platz vor Jaxas Grabstelle geleert. Die Menschen rannten um ihr Leben. Ihre schlimmsten Befürchtungen hatten sich bewahrheitet. Längst Beerdigte stiegen aus ihren Gräbern und würden Jagd auf sie machen. Die Angst der Lutizen vor wiederkehrenden Toten war sprichwörtlich. Deswegen kam es nicht selten vor, daß sie die Körper ihrer Angehörigen bäuchlings beerdigten. Manchmal über zwei Meter tief in der Erde. War der Tote ein böser, hartherziger Mensch gewesen, stieß man ihm zusätzlich einen Pflock in den Leib. In besonderen Härtefällen trennte man seinen Kopf vom Rumpf oder schlug ihm die Beine ab, bevor man sein Grab zuschüttete und mit einem Hinkelstein verschloß. Rexar war in seinem Element. Unablässig stieß er neue Beschwörungen aus, und weitere Hügelgräber öffneten sich. Bald umgab uns eine Armee von zirpenden Skeletten. Noch immer stand ich an Gerhilds Seite, vor dem Eingang des Zeltes, in dem sie geopfert werden sollte. Daneben erhob sich eine Holzsäule, die Svarog darstellte. Die Situation war einmalig grotesk. Vor den aufgemalten Augen der vierköpfigen Gottheit der Lutizen sammelte sich das Totenheer des verräterischen Tempelpriesters. Da stolperten zwei der Knochenmänner auf mich zu. Rasch 83
nahm ich die Tonflasche mit dem Sprengstoff aus meinem Gewand. Vorsichtig stellte ich das Teil neben mich. Dann aktivierte ich meinen magischen Ring. Ein bläulicher Lichtstrahl ließ meine Waffen kurz aufglühen. Jetzt war ich gewappnet. Die beiden Skelette griffen zugleich an. Eines grabschte unverfroren nach meinem Schwert. Das andere versuchte mich am Hals zu packen. Ich hob mein Schwert in die Höhe und schlug zu. Mein wuchtiger Hieb trennte mühelos den dünnen Hals eines Angreifers. Sein Schädel rollte über den Bohlenweg. Der Rest des Gerippes sackte in sich zusammen und ging klappernd zu Boden. Sein Spannmann quittierte die Niederlage seines Kampfgefährten mit einem schrillen Zirpen. Ich zögerte keine Sekunde, und sein Kopf plumpste nur einen Atemzug später vor meine Füße. Schnell sah ich nach Gerhild. Allmählich schien sie aus ihrer Betäubung zu erwachen. Ich schob sie vorsichtshalber ins Zelt und baute mich vor dem Eingang auf. Dann legte ich die Streitaxt beiseite. Ich nahm das Nitroglyzerin. Ohne lange zu fackeln, schmetterte ich die Tonflasche mitten unter die Skelette. Noch während die Sprengladung unterwegs war, ging ich in Deckung. Die Flasche zerschellte auf dem Monolithen, der auf Jaxas Grab gerollt werden sollte. Die Wirkung war unvorstellbar. Eine gewaltige Explosion ließ die Luft erzittern. Die Erde bebte. Überall, wo man hinschaute, flogen Knochen, Schädel und Leichenteile. Der feinkörnige Sand schien bis in den Himmel aufzuwirbeln. Als sich der Nebel verzog, hob ich den Kopf und spähte aus dem Zelt. Von Rexars glorreicher Knochentruppe war nur noch ein halbes Dutzend jämmerliche Exemplare übrig. Benommen taumelten sie umher, unfähig, sich zu orientieren. Nach und nach zerfielen sie in ihre Einzelteile. Ich hielt nach Rexar Ausschau. Wo war der abtrünnige Tempelpriester? Mein Schwert fest im Griff, ging ich zu der Stelle, an der ich ihn zuletzt gesehen hatte. Ich fand ihn hinter einem abgeplatteten Stein kauernd. Er hielt eine schwarze Statuette in der Hand und murmelte vor sich hin. »Dragovit, bed lames riloeg. Vineta plo…« Er verhaspelte sich. Zähnefletschend starrte er zu mir auf. Ich riß ihm die Holzfigur aus der Hand und zerschlug sie auf dem Stein. »Vorbei«, sagte ich. »Dein Spiel ist aus, alter 84
Giftzwerg.« Ein höhnisches Grinsen spaltete sein häßliches Gesicht. »Vineta ploram!« schrie er. »Vineta soll untergehen!« Ich war baff. Schon erscholl aus der Ferne ein lautes, anschwellendes Dröhnen. Als galoppierte eine riesige Herde Bisons auf uns zu. Eine heftige Windbö peitschte mir die Haare ins Gesicht. Der Himmel verfärbte sich zusehends. »Vineta ploraaaam!« schrie Rexar. »Wenn ich schon nicht Herrscher über die Stadt werde, so soll sie für alle Zeit von der Erde verschwinden!« Er stieß ein irres Lachen aus, sprang auf die Füße, lief ein paar Schritte und kletterte auf einen der Hinkelsteine. Flach auf dem Bauch liegend, heftete er seine Blicke auf das untergehende Vineta. Wieder erbebte die Erde, und ich rannte zum Zelt, um Gerhild in Sicherheit zu bringen. Da hörte ich einen kurzen, abgehackten Schrei. Ich sah mich um. Das hölzerne Standbild des Svarog! Es war umgestürzt und hatte den verruchten Zwerg unter sich zerquetscht. Rexars verkrüppelte Hand lugte unter dem Holzgötzen hervor. Svarog hatte Rache genommen! Höchstpersönlich hatte er die Verbrechen des Tempelpriesters gesühnt. Kopfschüttelnd wandte ich mich ab. Kaum hatte ich Gerhild aus dem Zelt geholt, blies der Orkan wütend hinein, wirbelte das Zelt in die Höhe und trug es wie einen fliegenden Teppich durch die Luft davon. Ich schleppte Gerhild vom Ufer fort in den Wald. In einer Erdmulde fanden wir Schutz. Um uns herum jaulte der Sturm. Mit jeder Sekunde, die verging, wurde es dunkler. Ein gigantischer Rüssel senkte sich vom Himmel. In seinem mörderischen Strudel würde Vineta in die Tiefe gerissen werden, mit Mann und Maus. Gerhild riß mich aus meinen Betrachtungen. »Mark Hellmann.« Sie sah mich groß an. »Bei Svarog! Du hast mir das Leben gerettet.« Irgendwie zauberte ich ein Grinsen auf meine Lippen. »Schätze, jetzt sind wir quitt, Gerhild.« »Und Rexar hat seine gerechte Strafe bekommen«, sagte sie. »Aber was mag aus Vineta werden?« »Vineta wird untergehen«, sagte ich leise. »Ich weiß es.« Wir schwiegen eine Weile. 85
Dann rappelte sich Gerhild auf. Auf einmal war die Mutter in ihr erwacht. »Meine Kinder«, keuchte sie. Urplötzlich begann, mein Ring zu glimmen. Er erwärmte sich so rasch, daß mir kaum Zeit blieb, ein weiteres Wort an Gerhild zu richten. Ich sah nur noch, wie sie ungläubig die Augen aufriß. Dann ging es los. Der stilisierte Drache auf meinem Ring erwachte zum Leben. Er sperrte seinen Schlund auf, und ehe ich mich versah, schälte mir eine unsichtbare Hand meine Kleidungsstücke vom Körper. Ein höllischer Schmerz durchfuhr mich. Unwillkürlich ballte ich die Fäuste. Rückkehr war angesagt. Vom Scheitel bis zur Sohle rieselte es wie elektrischer Strom durch mich hindurch. Strahlend weißes Licht, das aus tausend Leuchtstoffröhren zu strömen schien, blendete mich. Schnell kniff ich die Augen zu. Ich spürte, wie ich in den Tunnel der Zeiten eintauchte… * Bei Langenbachs ging es hoch her. Wir feierten meine unversehrte Rückkehr aus der Vergangenheit. Susanne hatte beim Party-Service ein kaltes Büfett bestellt. Auf einem festlich eingedeckten Tapeziertisch, den Pit aus dem Keller geholt hatte, wimmelte es von auserlesenen Köstlichkeiten. Räucherlachs, kaltes Geflügel, Nudelsalat, Roastbeefröllchen, runde Filetsteaks. Lediglich gebratenes Igelfleisch schien zu fehlen. Aber ich vermißte es nicht. Auch Lydia und Ulrich, meine Adoptiveltern, Vincent van Euyen und Tessa Hayden waren mit von der Partie, und natürlich die kleine Anna. Während die anderen rätselten, wie Rexar es geschafft haben mochte, ein paar seiner Skelette in die heutige Zeit zu schicken, wich Pit Langenbachs Tochter nicht von meiner Seite. »Onkel Mark«, sagte sie. »Du hast vielleicht was verpaßt, als du auf Reisen warst.« Ich saß auf der Couch, neben Tessa, die mich buchstäblich mit den Augen verschlang, und genehmigte mir zur Feier des Tages ein Bier. »Wieso verpaßt?« witzelte ich. »Hast du eine Eins ins Mathe gekriegt?« 86
»Pah - denkste!« Sie krauste die Nase. »Ich hab jetzt einen eigenen Schutzengel.« »Ich weiß«, sagte ich wehmütig. »Tessa hat mir schon einiges darüber erzählt. In Swinemünde. Ich habe diese Midgard selber getroffen. Von ihr stammt auch das Runenorakel. Was mag aus ihr geworden sein? Sicher eine kluge Frau.« Anna starrte mich an. »Was aus ihr geworden ist? Onkel Mark, das Mädchen ist ganz bestimmt keine kluge Frau geworden.« »Und warum nicht, du Frechdachs?« »Weil sie ertrunken ist, als sie acht war. Am Tag, als Vineta unterging. Traurig, was?« Fast hätte ich mein Bier auf den Teppich verschüttet. Der Schreck war mir eiskalt in die Glieder gefahren. Demnach hatte die rote Gerhild, als sie in ihre Waldhütte zurückkehrte, einen neuerlichen Schicksalsschlag hinnehmen müssen. - In diesen Augenblicken war mir, als sei das nicht mein letzter Kontakt zu Vineta gewesen…
ENDE Der Blutdruide Dracomar zählt zu den mächtigsten Dämonen der Hölle. Über ihm stehen nur Mephisto und als unangreifbare Institution der Höllenkaiser Lucifuge Rofocale. Unter ihm versuchen sich unbedeutendere Höllenwesen durch grausame Taten ihren Herrschern für größere Aufgaben zu empfehlen. Und jetzt gerade sind
Dracomars Teufelsschergen wieder unterwegs, um auf der Erde ihr Mörderhandwerk auszuüben. Gibt es jemanden, der sich ihnen mutig entgegenstellt, um sie in ihre Schranken zu verweisen?
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