Atlan - Im Auftrag der Kosmokraten Nr. 714 Die Daila
Die Spur der Daila von Harvey Patton Sie leben unter Feinden Auf ...
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Atlan - Im Auftrag der Kosmokraten Nr. 714 Die Daila
Die Spur der Daila von Harvey Patton Sie leben unter Feinden Auf Terra schreibt man die Jahreswende 3818/19, als der Arkonide sich nach einer plötzlichen Ortsversetzung in einer unbekannten Umgebung wiederfindet, wo unseren Helden alsbald ebenso gefährliche Abenteuer erwarten wie in Alkordoom. Atlans neue Umgebung, das ist die Galaxis Manam-Turu. Und das Fahrzeug, das dem Arkoniden die Möglichkeit bietet, die Spur des Erleuchteten, seines alten Gegners, wieder aufzunehmen, ist ein hochwertiges Raumschiff, das Atlan auf den Namen STERNSCHNUPPE tauft. Das Schiff sorgt für manche Überraschung – ebenso wie Chipol, der junge Daila, der zum treuen Gefährten des Arkoniden wird. In den vier Monaten, die inzwischen verstrichen sind, haben Atlan und der Daila schon manche Gefahr bestanden – immer auf der Spur jener Kräfte, die schon an anderen Orten des Universums für Leid und Unfrieden verantwortlich waren. Der Handlungsspielraum Atlans und seines Gefährten ist gegenwärtig jedoch sehr beschnitten. Erst als der Angriff der Piraten auf BASTION-V, die Raumfestung der Ligriden, erfolgt, kommt es für den Arkoniden und den jungen Daila zu einer unerwarteten Wende. Unsere beiden Helden erkämpfen sich die Freiheit und verfolgen DIE SPUR DER DAILA …
Die Hauptpersonen des Romans: Atlan und Chipol - Die Gefährten auf der Spur der Daila. Norgis, Raegul, Mallosh, Ganno und Trom - die Crew der GHYLTIROON. Pfarnybol - Ältester der Hiryum. Saylimandar - Ein Psi-Star.
1. »Hast du schlechte Laune, Atlan?« erkundigte sich Chipol, der in meine Kabine gekommen war. Ich verzog unmutig das Gesicht. »Nein«, gab ich zurück, »ich freue mich am laufenden Band. Sieht man mir das nicht an?« Das war ungerecht! ermahnte mich der Extrasinn. Schließlich kann der Junge nichts dafür, daß es nicht so läuft, wie du möchtest. Natürlich war es ungerecht, das wußte ich selbst. Doch ich hatte das Bedürfnis, mich abzureagieren, und der junge Daila war eben im Augenblick das einzige greifbare Objekt dafür gewesen. Ich rang mir ein sparsames Lächeln ab und fuhr ihm leicht über das dunkle Haar. »Tut mir leid, es war nicht so gemeint! Es geht mir nur langsam auf die Nerven, daß wir schon so lange unterwegs sind, ohne eine Spur von den Verbannten gefunden zu haben; verstehst du das?« Chipol nickte, seine Miene hellte sich wieder auf. Mit seinen vierzehn Jahren nahm er alles noch nicht so schwer, und im stillen beneidete ich ihn darum. Dabei hatte er schon eine Menge Schweres durchgemacht. Chipols Vater war, zusammen mit seiner ganzen Sippe, des PsiPotentials wegen auf Joquor-Sa entführt oder gar getötet worden. Nur der Junge war auf dem wüsten Planeten zurückgeblieben, verängstigt und ganz allein. Dann hatte ich ihn gefunden und mit mir genommen, und praktisch nahm ich jetzt die Stelle seines Vaters ein.
Konzentriere dich besser auf die Gegenwart, riet mein Extrasinn. Diese Gegenwart – sie war unerfreulich genug! Da hatten wir gehofft, auf Chipols Heimatwelt Aklard Unterstützung zu finden, aber die Naldrynnen und Ligriden waren schon vor uns dagewesen. Letztere hatten unser kleines Schiff beschossen und so beschädigt, daß das Resultat eine Bruchlandung erster Güte gewesen war. Eine Widerstandsgruppe der Daila hatte uns jedoch geholfen, und unter einer Ladung von »duftendem« Käse (brrr! ich werde nicht so bald wieder welchen essen …) waren wir der Suche der Ligriden entkommen und nach Ghyltirainen gelangt. Dort lebte der alte Urlysh, früher Mitglied der Regierung, und er hatte uns zu einem neuen Schiff verholten. Dies war die GHYLTIROON, ein Kugelraumer von etwa neunzig Meter Durchmesser, mit einer guten Mannschaft von fünf Daila. Außerdem waren noch drei Familien dieser unausstehlichen Naldrynnen als Geiseln mit an Bord, und wider Erwarten hatten wir Aklard unbehelligt verlassen können. Nun waren wir unterwegs, um verbannte Daila zu suchen – Mutanten also, die ihrer Psi-Gaben wegen verstoßen worden waren. Der beträchtliche Schönheitsfehler dabei war aber, daß niemand wußte, wo solche zu finden waren! Man hatte sie einfach sippenweise in Schiffe gesetzt und es ihnen überlassen, sich irgendwo der Galaxis Manam-Turu eine neue Heimat zu suchen. Das hatten sie auch getan, und nie in den vergangenen Jahrhunderten hatte man wieder etwas von ihnen gehört. Damals war ihr Volk froh gewesen, sie losgeworden zu sein – und nun hoffte es darauf, daß sie ihm helfen würden, die fremden Usurpatoren von Aklard zu vertreiben! Eigentlich paradox, aber ich hatte schon viel verrücktere Dinge erlebt. Zudem hingen die Verbannten trotz allem an ihrer Heimat, das wußte ich von Chipol. Es war also wirklich damit zu rechnen, daß sie ihr die Hilfe mittels ihrer Psi-Talente nicht verweigern
würden – nur mußten wir sie erst einmal finden. Und eben das war uns bisher nicht gelungen, obwohl es einen vagen Hinweis auf den von ihnen bevorzugten Raumsektor gab. In diesem waren wir nun schon volle acht Tage unterwegs, aber nicht nur wir allein. In den meisten Systemen herrschte ein auffallend starker Schiffsverkehr, und aus aufgefangenen Funksprüchen ging hervor, daß es sich meist um Ligriden oder andere Helfer der Hyptons handelte. Ihnen mußten wir aber aus dem Weg gehen, denn die GHYLTIROON als früheres Forschungsschiff war nur schwach bewaffnet. Zweifellos waren sie dabei, sich auf neuen Welten umzusehen oder einzunisten, mit den uns bekannten heimtückischen Methoden. Wir konnten nichts dagegen tun, sondern nur mit den Zähnen knirschen, und obendrein wurde unsere Suche dadurch immer mehr zu einer Schattenjagd. Die Systeme, in denen es ruhig war, waren durchwegs unbewohnt, und so kamen wir um keinen Schritt weiter. So gesehen, war es kein Wunder, daß ich frustriert und gereizt war! »Hab noch etwas Geduld, Atlan«, meinte Chipol. »Irgendwann werden wir Erfolg haben, dessen bin ich sicher nach allem, was wir schon zusammen erlebt haben. Er läßt zwar oft auf sich warten, aber er wird kommen, ganz bestimmt.« »Wenn du es sagst …« murmelte ich und bewunderte im stillen seinen ungebrochenen Optimismus. Wie um ihn zu unterstreichen, meldete sich im gleichen Moment der Interkom, ich tastete ihn ein, und auf dem Bildschirm erschien das Gesicht von Norgis, der an Bord der GHYLTIROON als Kommandant fungierte. »Ein neues System, Atlan«, erklärte er in seiner wortkargen Art. »Sieben Planeten, der zweite bewohnbar, keine fremden Schiffe zu orten. Wir fliegen ihn an, komm bitte in die Zentrale.« »Ich komme«, gab ich ebenso knapp zurück und sprang erlöst auf. Ob wir wirklich den von Chipol vorhergesagten Erfolg haben
würden, blieb zwar fraglich, aber endlich tat sich wieder etwas, und das besserte meine Laune schlagartig. Ich verließ die Kabine, schwang mich in den zentralen Antigravschacht, und der Junge folgte mir.
* Auf der großen Holoramaprojektion war nicht viel zu erkennen, aber einer der Sektorenschirme zeigte in starker Vergrößerung ein gutes Abbild des fraglichen Planeten. Er wirkte sehr erdähnlich – aus langer Gewohnheit zog ich Terra zum Vergleich heran, obwohl ich mich in einer völlig fremden Galaxis befand – und besaß zwei kleine Monde. Die spektroskopisch ermittelten Daten wurden unten am Rand eingeblendet, mein fotografisches Gedächtnis hatte alle Schriftsymbole der Daila gespeichert, und so las ich diese ohne Mühe ab. »Eine gute Welt, wie es scheint«, kommentierte ich und wandte mich dann an den Piloten, der auch die Ortungen bediente. »Wie steht es mit Energieemissionen, hast du schon etwas festgestellt?« Raegul drehte sich zu mir um und grinste penetrant. Mit seinen 36 Dailajahren war er der zweitjüngste an Bord, aber sein Wesen hatte mir von Anfang an nicht zugesagt. Er war nicht ganz so groß und hager wie der Kommandant und redete im Gegensatz zu diesem gern, doch in einer herablassend arroganten, zuweilen auch zynischen Art. Er dünkte sich klüger als alle anderen, und mit Männern dieses Schlages gab es meist Ärger, das wußte ich aus langer Erfahrung. »Du willst immer alles genau wissen, wie?« fragte er zurück. »Nein, die Instrumente haben noch nichts dergleichen angezeigt, aber das kann ja noch kommen. Dann werde ich dich rechtzeitig davon unterrichten, aber so schonend, daß du keinen Schreck bekommst!«
Norgis zog unmutig die Brauen hoch und setzte zu einem Verweis an, aber ich stoppte ihn mit einer kurzen Handbewegung. Zwar war ich in Raeguls Augen nur ein ungebetener Gast an Bord, doch mit einem Typ wie ihm wurde ich auch selbst fertig. Seine kesse Art war wohl nur Fassade, hinter der sich – vielleicht ihm selbst unbewußt – seine Labilität verbarg. Minuten vergingen in frostigem Schweigen, der namenlose Planet wurde auf den Bildschirmen rasch größer. Ich trat neben Mallosh, der Funker und Waffentechniker zugleich war, mittelgroß und schlank, von zurückhaltendem, auf Ausgleich bedachtem Wesen. Er schob die Ohrhörer zurück, lächelte leicht und beantwortete meine noch gar nicht ausgesprochene Frage. »Keinerlei Funkverkehr in diesem System, weder im Normalbereich, noch auf Ultrawelle, Atlan. Doch das muß noch nichts besagen, die Verbannten dürften ihrer besonderen Umstände wegen nicht gerade sehr kontaktfreudig sein. Es würde mich jedoch freuen, wenn wir hier auf eine ihrer Sippen stoßen könnten, Aklard wartet darauf.« »Danke, Mallosh«, gab ich zurück und klopfte ihm ermunternd auf die Schulter. Dann sah ich hinüber zu Ganno und Trom, die beiden waren ein seltsames Gespann und erinnerten mich an Laurel und Hardy aus alten irdischen Ulkfilmen. Groß und massig der eine, klein und untersetzt der andere, nur die Charaktere stimmten nicht ganz. Der Bordingenieur erregte sich leicht, wurde aber durch witzige Worte des Mechanikers bald wieder gebremst, obwohl dieser eigentlich in der Bordhierarchie sein Untergebener war. Zur Zeit hatten beide nichts zu tun, sie lehnten an einer Konsole im Hintergrund und sahen ruhig über die Szene in der Zentrale hinweg. An sich keine schlechte Crew, aber eine, die keine Erfahrung in bezug auf Zusammenstöße mit anderen Rassen besaß. Die Daila waren ein friedliches Volk, das zwar Planeten erkundete und Handel mit verschiedenen Völkern betrieb, Auseinandersetzungen
jedoch aus Prinzip aus dem Wege ging. Sie besaßen kein Militär, und deshalb hatten die kriegerischen Ligriden, die mit den Hyptons in diese Galaxis gekommen waren, auch leichtes Spiel mit ihnen gehabt. Was diese Besatzung in Krisensituationen wert war, mußte sich erst noch zeigen, und ich hoffte im stillen, daß es gar nicht erst soweit kam. Chipol hielt sich bei mir und ich sah, daß seine bläulichen Augäpfel unruhig zu funkeln begonnen hatten. Sie spiegelten die Spannung wider, die nicht nur ihn beherrschte, sondern allmählich auch alle anderen ergriff. Würden wir in diesem System nun endlich Erfolg haben und auf verbannte Mutanten stoßen? Wir alle wünschten es sehnlichst, denn angesichts der kritischen Lage auf Aklard wog jeder verlorene Tag doppelt schwer. »Was tun eigentlich die Naldrynnen?« erkundigte ich mich halblaut beim Kommandanten, und er zuckte mit den Schultern. »Weiß nicht genau«, gab er zurück. »Habe sie vorhin über Monitor beobachtet, aber nicht viel gesehen. Sitzen die ganze Zeit fast im Dunkeln und reden in ihrer Sprache … zu fremd, konnte nichts davon verstehen. Kann sein, daß sie etwas planen, ich traue ihnen nicht.« »Wer tut das schon?« kommentierte ich, nickte ihm zu und blickte wieder auf die Bildschirme. Wir waren dem Planeten nun schon sehr nahe, und Raegul flog einen Halbbogen, um das Schiff über seine Tagseite zu bringen. Der Funker hatte seine fruchtlosen Versuche inzwischen aufgegeben und unterhielt sich mit Ganno und Trom, und auch bei ihnen ging es um die Naldrynnen. Keiner an Bord mochte sie, und Mallosh war ebenso wie Norgis dafür, sie möglichst bald loszuwerden; natürlich auf irgendeiner entlegenen Welt, so daß sie uns nicht verraten konnten. Die Techniker dagegen tendierten ebenso wie Raegul dahin, sie weiterhin als Geiseln zu behalten, dieses Thema war seit Tagen ein Dauerbrenner an Bord der GHYLTIROON. Es sorgte, zusammen mit der Erfolglosigkeit unserer Suche, für eine unterschwellige
Mißstimmung, gegen die ich mangels echter Autorität nicht ankommen konnte. Nun, vielleicht löste sich das ganze Problem bald von selbst, falls wir auf diesem Planeten endlich »fündig« wurden. Das Schiff wurde nun vom Piloten stark abgebremst, hinter seiner Rundung kam der Terminator in Sicht; wir passierten den inneren Mond in knapp zehntausend Kilometer Entfernung – und in diesem Moment geschah es: Mehrere fremde Schiffe schossen aus der Deckung des Trabanten hervor und genau auf uns zu! Sie mußten die GHYLTIROON schon beim Einflug ins System geortet haben, hatten sich daraufhin verborgen und auf uns gelauert. Wir waren ihnen prompt in die Falle gegangen, und sie schnappte nun zu …
* Die anderen bemerkten sie nicht, aber mein wachsamer Extrasinn bewährte sich auch in diesem Fall. Ein scharfer Impuls von ihm, mein Kopf flog herum, und ich wußte augenblicklich, was sich da tat. Ich stieß einen lauten Warnruf aus, der Kommandant begriff nicht sofort, dafür aber der Pilot. Er schaltete sofort den Schutzschirm ein, und das war unsere Rettung. Ich zählte vier Raumer eines torpedoförmigen Typs mit einigen buckelartigen Anbauten, mir vollkommen unbekannt. Ihre Triebwerke waren dem unseren jedenfalls überlegen, es dauerte nur Sekunden, dann hatten sie uns regelrecht eingekesselt. Und sofort schlugen auch die ersten Strahlschüsse in unseren Schirm und belasteten ihn bis zur Höchstgrenze – unsere Lage war praktisch aussichtslos! Das war mir momentan klar, dem Kommandanten dagegen nicht. Statt nun vernünftigerweise aufzugeben, fuhr er nach Überwindung
der ersten Schrecksekunde auf und brüllte: »Sofort Vollschub, Raegul! Wir müssen ihnen entkommen!« Der Pilot kam diesem Befehl jedoch nicht nach. Im Gegenteil, er legte den Antrieb still, und die GHYLTIROON flog geradeaus weiter, von den fremden Schiffen flankiert. Eine zweite Salve prasselte in den Schutzschirm, er flackerte bedenklich, und Raegul schüttelte entschieden den Kopf. »Ganz gleich, wofür du mich jetzt halten magst – lebensmüde bin ich jedenfalls nicht! Vier gegen einen, das kann niemals gutgehen; ehe wir wieder eine halbwegs annehmbare Geschwindigkeit erreichen können, sind wir bereits erledigt. Wenn wir uns dagegen nun fügen und versuchen, mit diesen Fremden zu verhandeln, kommen wir meiner Ansicht nach noch am besten davon.« Das klang weder zynisch noch arrogant, sondern nur vernünftig, aber ich sah den Ausdruck seiner Augen. Er sagte mir, daß der Pilot in erster Linie ein Opportunist war, das eigene Wohl rangierte bei ihm vor den Belangen seines Volkes. Verübeln konnte ich ihm das in dieser Lage aber kaum, jetzt war pragmatisches Handeln durchaus angebracht. Wenn die Fremden uns nun zusammenschossen, war Aklard damit wirklich in keiner Weise gedient. Nur wenn wir am Leben blieben, konnten wir später noch etwas für diesen Planeten und seine Bewohner tun! Norgis sah dies jedoch nicht ein. »Du willst meutern?« fragte er finster und kam mit drohend geballten Fäusten auf Raegul zu. »Los, mach Platz, ich übernehme das Schiff!« Die anderen drei Daila waren unschlüssig näher gekommen, aber nun schüttelte sich das Schiff unter erneuten Strahlschüssen, und das gab für sie den Ausschlag. Sie stürzten vor, fielen dem Kommandanten in den Arm und hielten ihn fest. Er wehrte sich keuchend, kam aber gegen die Männer nicht an, und schließlich erlahmte sein Widerstand. Er sah den sonst so zurückhaltenden Funker vorwurfsvoll an und sagte gepreßt: »Auch du, mein Freund Mallosh? Warum das?«
»Warum? Weil ich eingesehen habe, daß nur Verhandlungen uns hier noch helfen können«, kam es entschieden zurück. »Und wenn du das nicht begreifen kannst, müssen wir eben handeln, ob es dir nun gefällt oder nicht.« Norgis senkte den Kopf, er gab sich offenbar geschlagen, und die anderen ließen ihn los. Doch das war ein Fehler – im nächsten Moment hatte er Trom und Mallosh gepackt und warf sie zu Boden. Dann wollte er sich auf Raegul stürzen, aber er hatte die Rechnung ohne Ganno gemacht. Der hitzige Ingenieur zog seinen Handstrahler und entsicherte ihn, in seinen Augen flackerte es, ihm war in diesem kritischen Moment alles zuzutrauen. Das bewog mich zum Eingreifen, ich warf mich ihm entgegen und schlug die Waffe nach oben. Ein Schuß entlud sich, schlug in die Decke der Zentrale und zerstörte ein Leuchtelement, und ich setzte zu einem Dagorgriff an, um Ganno zu entwaffnen. Doch ich hatte die Kräfte des großen Zweizentnermannes unterschätzt – er wehrte meine Attacke nicht nur ab, sondern ließ den Lauf des Strahlers wuchtig auf meinen Kopf niedersausen! Das war nun doch zuviel für mich. Ich sah eine ganze Galaxis voll bunter Sterne vor Augen, sie wurden durch absolute Schwärze abgelöst, und ich verlor das Bewußtsein.
2. »Wie fühlst du dich, Atlan?« drang Chipols Stimme an mein Ohr. Ich öffnete die Augen, schloß sie aber schnell wieder, denn das grelle Licht blendete mich. Dann atmete ich mehrmals tief durch und bewegte probeweise den Kopf, und es ging besser als erwartet. Mein Zellaktivator pulsierte und verlieh mir neue Kräfte, langsam richtete ich mich auf und sah in das besorgte Gesicht von Norgis. »Ich danke dir!« sagte er leise. »Du hast mir das Leben gerettet und dabei das deine riskiert – das werde ich dir nie vergessen.«
Er konnte also durchaus normal reden, und unter anderen Umständen hätte ich mich jetzt darüber amüsiert. Diese waren aber noch immer alles andere als normal, denn Ganno stand mit grimmiger Miene vor uns dreien, den Strahler in der Hand. Trom und Mallosh dagegen wirkten eher verlegen, mit einer solchen Eskalation der Dinge hatte wohl keiner von beiden gerechnet. Doch sie waren nur Nebenfiguren in diesem Spiel, die Hauptperson war eindeutig der Pilot, und ich sah zu ihm hinüber. Raegul saß nach wie vor am Steuerpult, er hatte inzwischen das Funkgerät aktiviert und sprach in das Feldmikrofon. Was er sagte, konnte ich nicht verstehen, aber ich konnte es mir lebhaft denken. Im großen und ganzen hatte sich die Szene nicht verändert, demnach war ich nur kurze Zeit ohne Besinnung gewesen. Ein Blick auf den Holoramaschirm zeigte mir, daß die vier fremden Schiffe die GHYLTIROON nach wie vor umringten, unsere Phalanx schoß nun bereits über die Tagseite des Planeten dahin. Sie hatten das Feuer aber offenbar eingestellt, weil keine Gegenwehr erfolgt war, also konnten wir wieder hoffen. Ich überlegte kurz und beschloß, zunächst ein paar grundlegende Dinge klarzustellen. »Erstens fühle ich mich soweit wieder fit, und zweitens würde ich jederzeit wieder so handeln, wenn ein Leben bedroht ist. Leider muß ich dir jetzt aber gleich eine Illusion rauben, Kommandant: Ich mag Leute wie Raegul nicht besonders, doch in diesem Fall stimme ich mit ihm überein. Man muß immer wissen, wann man aufzugeben hat, und gegen diese vier Schiffe hatten wir von vornherein nicht die Spur einer Chance.« »Soll das heißen, daß du auf unserer Seite bist?« fragte Ganno verblüfft, und ich nickte, wenn auch ungern. »Zumindest im großen und ganzen, die Gründe habe ich euch eben genannt. Ich habe nur eingegriffen, um eventuell einen sinnlosen Mord zu verhindern, und das ist mir zum Glück auch gelungen. Das Volk der Daila erwartet Rettung aus seiner schlimmen Lage – aber wie können wir ihm helfen, wenn wir uns
gegenseitig umbringen, sobald es einmal kritisch für uns wird?« Eine typische Suggestivfrage. Sie zeitigte jedoch die gewünschte Wirkung, die Raumfahrer sahen sich betreten an, und nach einer Weile fragte Mallosh gedämpft: »Was sollen wir jetzt tun, Atlan?« Ich zuckte mit den Schultern und wies hinüber zu Raegul. »Im Augenblick liegt die Initiative bei ihm, lassen wir ihn also vorerst im Glauben, daß er Herr der Lage in der GHYLTIROON ist. Das gibt ihm Selbstvertrauen für die eventuellen Verhandlungen mit den Fremden – da, jetzt antworten sie!« Ich hatte gehofft, nun einen der Angreifer zu sehen zu bekommen, doch ich wurde enttäuscht; nur eine unpersönlich klingende Stimme war zu hören, der Bildschirm blieb dunkel. Sie forderte von uns, unter Androhung sofortiger Vernichtung natürlich, die rasche und bedingungslose Kapitulation. Mochte der Pilot auch eine zwielichtige Persönlichkeit sein, er konnte jedenfalls ausgezeichnet reden, und das bewies er nun. »Sicher, ihr seid uns überlegen und könnt unser Schiff zerstören«, erklärte er geschmeidig. »Allerdings haben wir drei hochgestellte Naldrynnen mit ihren Familien an Bord, und diese würden dann mit uns sterben! Vorher bliebe uns aber bestimmt noch Zeit genug, um einen Funkspruch abzusetzen, der ihr Volk von dem Geschehen hier unterrichtet – wollt ihr das riskieren?« »Du lügst, um deinen Hals zu retten«, kam es zurück, doch Raegul schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Nein, das tue ich nicht! Wenn ihr einen Beweis wollt, kann ich ihn antreten, indem ich sie euch im Bild zeige. Ihr Tod würde euch mit Sicherheit große Ungelegenheiten bereiten, denn auch andere würden unseren Spruch empfangen und die Kunde bald in ganz Manam-Turu verbreiten! Ist es da nicht besser, wenn wir uns so einigen, daß beide Seiten auf ihre Kosten kommen?« »Der Bursche redet besser als drei Stumme«, kommentierte Chipol vorwitzig, aber ich winkte ab, denn ich war auf die Antwort gespannt. Sie ließ jedoch auf sich warten, offenbar berieten sich die
Fremden erst über ihr weiteres Vorgehen, und das ließ uns hoffen. Erst nach etwa einer halben Minute meldete sich die Stimme wieder. »Gut, wir wollen euer Leben schonen! Wir werden dafür in Kürze ein Kommando zu euch an Bord schicken, das sich von der Wahrheit deiner Worte überzeugen und gegebenenfalls die Naldrynnen-Geiseln befreien wird. Setzt ihm keinerlei Widerstand entgegen, wenn ihr nicht trotzdem sterben wollt.« Die Verbindung wurde unterbrochen, Raegul wandte sich um und sah uns triumphierend an. Daß die anderen »Meuterer« nicht mehr so ganz hinter ihm standen, konnte er nicht wissen, also lächelte er breit. »Nun, was sagt ihr jetzt? Der richtige Mann zur richtigen Zeit am richtigen Platz kann oft Wunder wirken, wenn er flexibel ist! Der bin ich, und so werde ich in Zukunft hier an Bord das Kommando führen – du bist abgesetzt, Norgis.« Er sonnte sich in seinem vermeintlichen Erfolg, und keiner von uns widersprach ihm. Dafür meldete sich nun aber mein Logiksektor und erklärte lakonisch: Dies alles ging viel zu reibungslos. Atlan! Denk eingehend darüber nach. Das tat ich auch, denn ich hatte intuitiv das gleiche Gefühl, und das Resultat war nicht sehr ermutigend. Sicher, die Unbekannten hatten versprochen, uns zu verschonen – aber würde das auch später noch gelten …! Im allgemeinen hatten Geiseln nur solange Wert für einen Erpresser, wie er sie auch in der Hand behielt! Raegul schien diese Grundregel nicht zu kennen, denn er hatte nicht widersprochen, als die Fremden ihm ihr neues Ultimatum stellten. Er hätte weit mehr fordern können, sogar den freien Abzug für uns, und damit hätte er auch durchkommen können. Er dünkte sich besonders klug, ohne es aber wirklich zu sein, und jetzt war die Karre bereits verfahren. Man würde die Naldrynnen von Bord holen, und danach besaßen wir kein Druckmittel mehr … Dann konnte man uns gefangensetzen oder einfach umbringen,
ganz wie man wollte! Das setzte ich den anderen flüsternd auseinander, während Raegul sich nun auf die Beobachtung der Bildschirme konzentrierte. Es gab sehr lange und bestürzte Gesichter, und schließlich knurrte Ganno leise: »Wir müssen versuchen, das Kommando zu überrumpeln, ehe es die Geiseln befreien kann! Nimm meinen Strahler, Trom, ich hole noch ein paar andere, und dann wollen wir mal sehen, wer hier wohl als letzter lacht.« Er tat das so unauffällig, daß der Pilot nichts bemerkte, doch Raegul war ohnehin abgelenkt. Eines der fremden Schiffe hatte in der Zwischenzeit ein Beiboot ausgesetzt, er öffnete ihm die obere Luftschleuse und schaltete das Blinklicht darüber ein. So waren bald alle außer ihm bewaffnet, auch Chipol und ich, nur hielten wir und Norgis die Strahler unter der Kleidung verborgen. Sollten die Fremden also kommen in der Erwartung, hier an Bord nur eine vollkommen eingeschüchterte Besatzung vorzufinden. Um so sorgloser würden sie sein, und das war unsere Chance! Das Boot flog in die Schleuse ein, Raegul ließ sie zugleiten und drehte sich dann um. »Weg mit den Waffen!« herrschte er brüsk die drei Männer an, die uns »Gefangene« immer noch zu bewachen schienen. »Die Fremden könnten das mißdeuten, sie wissen ja nicht, was hier zuvor geschehen ist.« »Natürlich, Kommandant«, sagte der Ingenieur scheinbar unbewegt, und der Pilot lächelte geschmeichelt. Tatsächlich legten Mallosh, Trom und Ganno ihre Strahler weg, aber so, daß sie sie mit einem Schritt wieder erreichen konnten, und dann war es schon soweit. Draußen auf dem Korridor waren dumpfe Geräusche zu hören, Raegul ließ den Eingang aufgleiten und stellte sich in Positur. Da kamen also die Fremden im vollen Bewußtsein ihrer Überlegenheit – wenn es nur halbwegs zu machen war, würden sie bald zweite Sieger sein! Und dann kam wieder einmal alles ganz anders …
Es waren keine lebenden Wesen, die die Zentrale betraten – sechs Roboter kamen hereingestampft, überschwere Kombistrahler in den Greifklauen! In diesem Moment wußte ich, daß unser Plan nicht aufgehen konnte, und zischte beschwörend: »Keine Gegenwehr, sonst sind wir alle gleich tot!«
* Die Warnung wäre überflüssig gewesen, die Daila waren regelrecht geschockt. Als hochzivilisiertes Volk kannten sie natürlich auch Robots und deren schnelle Reaktionen, folglich machten sie erst gar nicht den Versuch, sich irgendwie zu wehren. Mich aber traf dieser Anblick noch weit schwerer als sie, und das aus gutem Grund. Es waren keine x-beliebigen Maschinenwesen, die da erschienen – nein, diesen Typ kannte ich nur zu gut. Sie waren mir zuerst auf Cairon begegnet, und später auf Zyrph hatte mir ein Exemplar, das ich selbst Brutus genannt hatte, einigen Kummer bereitet. Kurz und gut, es handelte sich um die sogenannten Stahlmänner, die mechanischen Helfer der Hyptons! »Die haben uns gerade noch gefehlt, wie?« wisperte Chipol, und ich konnte ihm nur zustimmen. Mit allem nur möglichen hatte ich gerechnet, damit aber auf keinen Fall. Doch mir war auch so klar, was sich hier tat: Hyptons waren in der Nähe, wahrscheinlich sogar an Bord der vier Raumschiffe! Und da ich mittlerweile die Art ihres Vorgehens kannte, fiel es mir auch nicht schwer, eine zweite Schlußfolgerung zu ziehen. Wenn sie auch nicht wußten, wer wir waren und was wir hier wollten – sie würden uns auch nach der Übernahme der Naldrynnen nicht mehr aus ihren Fängen lassen! Sie waren stets darauf aus, sich neue Untertanen zu beschaffen, Helfer zur Errichtung des Neuen Konzils, und da kamen wir ihnen gerade recht. Stimmt! bestätigte nun der Logiksektor knapp. Und du kannst nichts
dagegen tun, wenn du nicht gerade Selbstmord begehen willst. Er hatte recht, und das war das schlimmste an der Sache. Selbst Raeguls Selbstzufriedenheit war nun dahin, denn er kannte die Stahlmänner aus meiner Beschreibung. Er duckte sich förmlich und warf ihnen scheue Blicke zu, doch sie kümmerten sich vorerst weder um ihn noch um uns. Sie sahen sich nur aufmerksam in der Zentrale der GHYLTIROON um, blieben in ihrer Mitte stehen und schienen auf etwas zu warten. Ein äußerst ungemütlicher Zustand, denn ihre Waffen blieben schußbereit, doch er dauerte nicht lange. Erneut waren stampfende Schritte zu hören, und dann erschien ein weiterer Roboter im Raum. »Wir haben die Naldrynnen gefunden, sie sind wohlauf«, teilte er seinen Genossen mit, und daraufhin wandte sich ihr Anführer an Raegul. »Du bist der Kommandant und hast vorhin mit den Herren geredet, nicht wahr? Wir wissen jetzt, daß du die Wahrheit gesagt hast, du brauchst also nichts mehr zu befürchten. Im Gegenteil, die Herren möchten noch weitere Verhandlungen mit dir führen, aus denen dir ein großer Vorteil erwachsen kann. Die Naldrynnen werden bereits in unser Boot gebracht, wir werden sie hinüber ins Schiff bringen – und du wirst uns begleiten! Die Herren wollen es so, du wirst die große Ehre haben, persönlich mit ihnen zu sprechen.« Der Pilot wand sich wie ein Aal, wagte jedoch keinen Widerspruch. Vom Antigravlift her drang das Keifen der grünlichen Pelzwesen zu uns herein, sie bekamen ihre Freiheit wieder und benahmen sich auch sofort danach. Im Grunde konnten wir froh sein, sie loszuwerden, nur die Begleitumstände gefielen mir gar nicht. Raegul erst recht nicht, doch er hatte keine andere Wahl, als nun den Stahlmännern zu folgen. Vielleicht rechnet er auch wirklich damit, dabei etwas zu gewinnen, folgerte mein Extrasinn. Sicher, er wird etwas bekommen, aber ganz bestimmt nichts Materielles – du weißt schon, was ich meine. O ja, ich wußte es nur zu gut! War er erst einmal bei den Hyptons,
dann war er die längste Zeit ein freier Mann gewesen. Sie würden ihn unter ihren Willen zwingen, nicht durch körperliche Gewalt, sondern mittels ihrer »sanften« Para-Impulse! Er selbst würde nichts davon merken, von da an aber nur noch das tun, was ihm aufoktroyiert worden war. Und vielleicht kamen wir anderen danach ebenfalls an die Reihe! Diese Psychonarkotiseure machten nie halbe Sachen, das hatte ich bereits während der Konzilsherrschaft über die Milchstraße erlebt, und nun wieder hier in Manam-Turu. Gewiß, mich konnten sie nicht unterjochen, denn ich war mentalstabilisiert, die Daila dagegen nicht. War erst einmal die ganze Besatzung beeinflußt, Ghipol mit eingeschlossen, war es mit dem Versuch einer Hilfeleistung für ihr Volk auf Aklard endgültig vorbei … Diese deprimierenden Gedanken schossen mir durch den Kopf, als nun Raegul sichtlich zögernd die Zentrale verließ. Ich fieberte förmlich dem Augenblick entgegen, in dem auch die Roboter unser Schiff verlassen würden und ich wieder handeln konnte, aber gerade diesen Gefallen taten sie mir nicht. Ihr Gros zog zwar ab, doch zwei blieben zurück und postierten sich so, daß sie mit ihren Waffen die ganze Zentrale beherrschten! »Wir müssen etwas tun, Atlan!« wisperte mir der Junge zu. Er hatte auf Cairon miterlebt, wie Zehntausende von Nomaden der schleichenden Beeinflussung erlegen waren, konnte sich also lebhaft ausmalen, was uns noch bevorstand. Ich nickte, um ihn zu beruhigen und überlegte krampfhaft, während auf dem Holoramaschirm zu sehen war, wie das Beiboot die GHYLTIROON verließ und den Rückflug antrat. Wir mußten vor allem die beiden Stahlmänner ausschalten, aber wie? Ablenkungsmanöver!, flüsterte der Extrasinn. Ja, so mußte es gehen – sie waren nur zwei, wir dagegen sechs! Die Robots hatten sich nicht die Mühe gemacht, uns auf Waffen zu durchsuchen, Norgis, Chipol und ich besaßen noch je einen Strahler. Bei einem Frontalangriff hatten wir nicht die geringste Chance –
gelang es uns jedoch, sie soweit zu bringen, daß sie uns die Rücken zukehrten, konnten wir es schaffen. Mein Unterkörper war durch ein Schaltpult gegen Sicht gedeckt, ich machte mit den herabhängenden Händen hastige Gesten und weckte so die Aufmerksamkeit der Raumfahrer. Danach einige leise Worte im Idiom der Daila, die Stahlmänner kannten es nicht und zeigten keine Reaktion darauf. Ihr Programm war längst nicht so komplex wie das entsprechender irdischer Roboter, und das wirkte sich nun vorteilhaft für uns aus. »Verstanden, Atlan!« raunte Norgis, und auch die anderen nickten. Sie warteten noch etwas, dann setzte sich Mallosh in Bewegung, und sofort ruckte der Waffenarm des rechten Stahlmanns hoch. »Stehenbleiben!« knarrte er, aber der Funker hob beide Hände. »Wir sind lebende Wesen, haben also im Gegensatz zu euch gewisse körperliche Bedürfnisse«, erklärte er. »Diesen müssen wir folgen, sonst setzen unsere Funktionen aus, und das wollen eure Herren doch ganz bestimmt nicht. Das gleiche gilt auch für die anderen, siehst du das ein?« Ich bewunderte Mallosh im stillen, denn er riskierte wirklich viel, und der Roboter antwortete nicht sofort. Vermutlich brauchte er Zeit, um seine Speicher abzufragen, in dieser Hinsicht schienen die Instruktionen seiner Herren lückenhaft zu sein. Das nutzten nun auch Ganno und Trom, sie strebten in entgegengesetzter Richtung davon, und prompt wandte sich der zweite Stahlmann zu ihnen um. Sie besaßen jedoch keine Waffen und bewegten sich betont langsam, und so stufte er sie als ungefährlich ein. Trotzdem behielt er sie im Auge, folgte ihnen mit dem Waffenarm, und sein Genosse tat das gleiche mit Mallosh zur anderen Seite hin. Damit verloren sie uns andere aus ihren elektronischen Augen, ich nahm rasch den Strahler auf, den Ganno zuvor abgelegt hatte, und holte meinen eigenen hervor. Ein knapper Wink genügte, Norgis und Chipol rissen ihre Waffen
heraus und eröffneten das Feuer auf den linken Roboter. Ich nahm den rechten aufs Korn, schoß zweihändig und das Resultat war in beiden Fällen absolut befriedigend. Die Steuerhirne der Stahlmänner saßen in ihren Köpfen, und diese barsten nun in einem feurigen Regen. Splitter surrten durch den Raum, aber die anderen Daila hatten sich rechtzeitig hingeworfen oder sonst Deckung gesucht. Sie kamen ohne Verletzungen davon, und die Fragmente richteten auch sonst kaum Schäden an. Die beiden Robots blieben noch für einen Augenblick starr stehen, dann krachten ihre Körper schwer zu Boden. Sie waren nicht mehr imstande gewesen, irgendwie zu reagieren oder gar zu feuern, und Chipol riß voller Begeisterung beide Arme hoch. »Wir haben gewonnen!« jubelte er. »Steht wieder auf, Freunde von Aklard, und bedankt euch bei Atlan – er ist der Größte!« Ich winkte ab. »Übertreibe nicht so, Kleiner. Schließlich haben wir hier nur zwei Handlanger erledigt, und das trifft die Hyptons nicht sonderlich schwer. Sie selbst sitzen sicher in einem ihrer Schiffe, haben zudem Raegul in ihrer Gewalt, und die Chance, ihnen zu entkommen, ist minimal!«
3. War es wirklich nur ein Pyrrhussieg? Diese Frage warf sich automatisch auf, und ich begann, nochmals die Fakten zu überdenken, während die anderen damit beschäftigt waren, die leblosen Stahlmänner wegzuräumen. Doch ich konnte es drehen und wenden, wie ich wollte, das Fazit blieb dasselbe. Dies erklärte ich den Daila und setzte ihnen auch auseinander, was nun vermutlich mit dem Piloten geschah. Mallosh wiegte nachdenklich den Kopf. »Nicht gerade schön«, gab er zu, »immer vorausgesetzt, daß die
›Herren‹ der Roboter auch wirklich Hyptons sind. Das ist jedoch bis jetzt durch nichts bewiesen, es können ebensogut auch lebende Wesen sein. Du selbst hast schließlich gesagt, daß auch andere Rassen sich der Stahlmänner als Helfer bedienen.« »Möglich, aber wenig wahrscheinlich«, gab ich zurück. »Wären da drüben Ligriden oder andere Vasallen der Fledermauswesen an Bord, hätten sie sich bestimmt im Bild gezeigt, das tut normalerweise sonst jeder. Hmm … so gesehen, könnte es sogar sein, daß wir es nur mit Hyptons und Stahlmännern zu tun haben! Die ersteren können zwar mit uns reden, aber es ist ihr Prinzip, sich Außenstehenden nie offen zu zeigen – ja, das paßt zusammen!« »Ist aber im Grunde egal«, knurrte Norgis. »Etwas muß geschehen, das Warten bringt uns nichts. Ich bin dafür, auszubrechen, vielleicht haben wir diesmal Glück.« »Das können wir doch nicht tun«, protestierte Ganno entschieden. »Es hieße, Raegul jetzt im Stich zu lassen, und das wäre ein grober Verstoß gegen den Kodex der Raumfahrer! Wir müssen warten, bis er wieder zurück ist, sonst mache ich nicht mit.« »Bist du immer noch auf seiner Seite?« fragte Chipol spitz, und auch die anderen meldeten sich nun zum Wort. Trom war auf der Seite des Ingenieurs, der Funker hielt zum Kommandanten, und so kam eine erregte Diskussion in Gang. Ich beteiligte mich nicht daran, sondern dachte intensiv nach, und allmählich formte sich in meinem Gehirn ein ebenso verwegener wie riskanter Plan. Bist du plötzlich übergeschnappt? meldete sich auch sofort mein Extrasinn. Das kann unmöglich gutgehen, ich rate aus logischen Erwägungen dringend davon ab! »Weißt du etwas Besseres?« fragte ich zurück. »Also nicht – gut, dann halte dich hier heraus! Mit Logik allein ist nur selten etwas zu gewinnen, man muß zuweilen genau das tun, was niemand erwartet, wenn man Erfolg haben will. Hätte ich immer nur auf dich gehört, was wäre dann wohl aus mir geworden?« Die Antwort war vermutlich wenig schmeichelhaft, aber ich hörte
sie nicht mehr. Jemand rüttelte mich an der Schulter, ich fuhr aus meiner Innenschau auf und sah in Chipols Gesicht. »Jetzt ist wirklich nicht die geeignete Zeit zum Träumen, Atlan«, bemerkte er vorwurfsvoll. »Die Brüder können sich nicht einigen, und auf mich will niemand hören, sag du ihnen also, wo es jetzt langgehen soll.« Ich stellte fest, daß die Standpunkte noch unverändert waren, doch das spielte für mich keine Rolle mehr. Alle blickten mich erwartungsvoll an, doch ich winkte nur ab und erklärte: »Ich werde jetzt herauszufinden versuchen, was es mit unseren Gegnern wirklich auf sich hat, Freunde. Vielleicht wissen wir es schon in wenigen Minuten, und davon hängt dann alles weitere ab.« Damit ging ich zum Pilotenpult vor, orientierte mich kurz und schaltete dann das Funkgerät ein. Den Anzeigen nach wurde mein Ruf auch im Führungsschiff unserer Eskorte empfangen, nur die Antwort ließ auf sich warten. Erst nach zwanzig Sekunden kam ein Bild – ich sah in das metallene »Gesicht« eines Roboters und hatte das sichere Gefühl, auf dem richtigen Weg zu sein. »Ich muß mit deinen Herren sprechen«, verlangte ich, ehe er noch etwas sagen konnte. »Verbinde mich mit ihnen, sofort!« Die Augenlinsen des Stahlmanns leuchteten heller auf, aber es dauerte wieder einige Sekunden, bis er reagierte. »Das ist jetzt nicht möglich«, schnarrte er dann, »die Herren sind beschäftigt. Melde dich in etwa einer Stunde wieder, erst dann haben sie Zeit für dich.« »Dann gib mir einen ihrer Untergebenen«, beharrte ich, ohne die Miene zu verziehen. »Ich habe eine wichtige Mitteilung zu machen, die auch sie interessieren wird und später den Herren übermittelt werden kann.« »Die Untergebenen sind wir, die Stahlmänner«, kam es monoton nach neuem Zögern zurück. »Wir sind aber nicht befugt, die Herren zu stören, wenn sie beschäftigt sind wie jetzt. Melde dich also in einer Stunde wieder, dann kannst du mit ihnen reden.« Damit hatte ich die Gewißheit!
Keine Ligriden oder sonstige Helfershelfer – die Schiffe waren nur mit Robotern und einem Verbund von Hyptons besetzt. Und diese »beschäftigten« sich jetzt auf ihre bekannte Weise mit Raegul, und während dieser Phase durften sie nicht gestört werden, sonst war der Erfolg in Frage gestellt. Ihre besondere Gabe war zugleich auch ihre Schwäche, und das nutzte ich nun sofort aus. »Du wirst deine Herren trotzdem unterrichten müssen«, behauptete ich unverfroren. »Es gibt da etwas, von dem der Mann nichts weiß, der jetzt bei ihnen ist: Wir haben zwölf Hyptons an Bord, die wir auf Cairon eingefangen und entführt haben! Die Naldrynnen haben wir euch nur ausgeliefert, um euch von ihnen abzulenken, sie sind als Geiseln Ungleich wertvoller für uns. Teile also den Herren mit, daß wir freien Abzug verlangen, ebenso die Rückkehr des Mannes Raegul an Bord unseres Schiffes! Andernfalls werden wir jede halbe Stunde einen Hypton töten – hast du mich verstanden?« Die Augen des Roboters flackerten arhythmisch, ein deutliches Zeichen dafür, daß er von dieser Information total überfordert war. Dieser Typ war der von reinen Befehlsempfängern ohne ein eigenes Denkvermögen, selbst das einfachste irdische Standardmodell war ihm um ein Vielfaches überlegen. Erst nach zehn Sekunden bekam ich wieder eine Antwort, und diese bekräftigte meine Ansicht: »Deine Nachricht scheint wichtig zu sein, aber darüber kann ich allein nicht entscheiden. Ich muß zunächst Kontakt mit dem Gehirn des Schiffes aufnehmen, nur dieses kann beurteilen, ob die Herren gestört werden dürfen oder nicht. Du wirst also warten müssen.« Sein Abbild verschwand, ich kappte die Tonphase, ließ aber die Verbindung bestehen. Chipol grinste nun und warf ein: »Ein wahrer Ausbund an Klugheit, nicht wahr? Demnach muß Brutus auf Zyrph wohl ein Spezialmodell gewesen sein …« Ich wollte etwas entgegnen, aber Ganno war herangekommen, sah mich verstört an und fragte: »Bist du denn von allen bösen Geistern der Galaxis besessen, Atlan? Mit diesen Unwahrheiten forderst du doch die Hyptons geradezu auf, ein neues Roboterkommando in
Marsch zu setzen, das ihre angeblich vorhandenen Artgenossen befreien soll! Damit hast du uns etwas Schönes eingebrockt – es wird am besten sein, wenn wir jetzt auszubrechen versuchen, solange die Stahlmänner noch führerlos sind.« »Ihr wollt Raegul also doch im Stich lassen?« gab ich zurück, und die anderen nickten. »Er würde nur Schwierigkeiten machen«, war der Kommentar des Kommandanten. »Wir haben auch ohne ihn genug davon, die Hilfe für Aklard geht vor.« »Ihr seht das zu eng, Leute«, warf nun Chipol ein. »Da drüben glaubt man immer noch, daß die beiden zerstörten Robs hier Herren der Lage sind, nicht wahr? Es ist deshalb kaum anzunehmen, daß man noch einmal einen Masseneinsatz starten wird.« »Darauf können wir es nicht ankommen lassen«, widersprach der Funker. »Vielleicht tun es die Hyptons doch, wenn sie erst wieder klar sind, und dann wird man unser Leben kaum noch schonen. Laßt uns verschwinden, solange noch die Chance dazu besteht.« Ich zuckte mit den Schultern, stimmte dann aber zu. Vielleicht war es wirklich richtig, die Verwirrung der Robots auszunutzen.
* »An die Geschütze, Trom und Ganno«, bestimmte Norgis, nun wieder von allen als Kommandant akzeptiert. Die beiden begaben sich in die nebenan liegende Feuerleitstelle, und nun wandte er sich an mich. »Ich steure das Schiff, du mußt die Navigation übernehmen; sofern du kannst, heißt das.« »Ich werde es schon schaffen«, erklärte ich, schließlich besaß ich eine lange Erfahrung darin. »Laß mir nur etwas Zeit, um mich mit der Anlage vertraut zu machen.« Allzu schwierig war es wirklich nicht, die Schiffstechnik der Daila war nicht sonderlich kompliziert. Zehn Minuten später hob ich den Arm, um Norgis die Klarmeldung zu geben, doch auf halbem Weg
ließ ich ihn wieder sinken. Auf dem Ortungsschirm zeigte sich ein Reflex, der sich von dem Schiff löste, in dem sich Raegul aufgehalten hatte. Ein Beiboot war dort ausgeschleust worden und kam nun auf die GHYLTEROON zu! Ein paar Minuten zu früh, offenbar hatte sich das Steuergehirn dafür entschieden, die Hyptons doch zu stören. Uns hatte man nicht davon unterrichtet, das sagte mir genug, und ich stieß einen leisen Fluch aus. Dann gab ich die unerfreuliche Nachricht weiter, und der Kommandant schnaufte grimmig auf. »Einfach abschießen!« knurrte er nur. »Das können wir nicht tun«, widersprach ich energisch. »Es ist gut möglich, daß sich auch Raegul in dem Boot befindet – willst du deinen eigenen Teamgefährten umbringen?« Norgis ließ die Schultern sinken und schüttelte stumm den Kopf. Im Augenblick waren wir beide ratlos, unser Fluchtplan schien zu scheitern, und ich horchte in mich hinein. Mein Extrasinn schwieg jedoch, ich mußte mir selbst etwas ausdenken, aber damit kam ich nicht weit. Das Funkgerät meldete sich, Raeguls Abbild erschien auf dem Schirm, und der Kommandant schaltete rasch den Ton ein. »Was macht ihr denn eigentlich für einen Unsinn?« fragte der Pilot sofort. »Ich hatte eine lange Unterhaltung mit den Hyptons, sie sind zwar etwas fremdartig, aber sehr umgänglich. Sie haben zugesagt, uns in jeder Hinsicht zu helfen, sofern wir uns ihnen gegenüber nicht feindselig zeigen. Und dann wurden wir kurz vor dem Abschluß unterbrochen, weil die Roboter behaupteten, wir hätten andere Hyptons als Gefangene an Bord. Wer ihnen das eingeredet hat, kann ich mir schon denken – Atlan natürlich, wer sonst!« »Und was jetzt?« fragte der Kommandant. »Ich habe die Hyptons davon überzeugt, daß die GHYLTIROON nie auf Cairon gewesen ist. Doch sie wollen sichergehen, deshalb haben sie mir zwei Spezialroboter mitgegeben, die eigens für die Übernahme von Daten unseres Hauptcomputers programmiert wurden. Sie werden schnell herausfinden, daß ich die Wahrheit
gesagt habe, und danach können wir unbehindert weiterfliegen. Öffne also schon die Schleuse, in zwei Minuten kommen wir an Bord.« Er schaltete ab, Norgis stieß einen langen Fluch aus und fragte nochmals: »Und was jetzt?« Das galt mir, aber ich war bereits dabei, die Lage zu überdenken. Sie war nicht ganz so ungünstig, wie ich befürchtet hatte. Die Hyptons waren noch immer der Meinung, daß die zwei zerstörten Stahlmänner uns im Schach hielten, andernfalls hätten sie uns wohl einen neuen Trupp auf den Hals geschickt. So aber waren es nur zwei, und mit denen konnten wir bestimmt auch noch fertig werden. Es muß nur sehr schnell gehen! meldete sich der Logiksektor wieder. Dies werden vermutlich »klügere« Maschinen sein, die sehr schnell bemerket!, daß hier nicht alles so ist, wie es ihren Informationen nach sein müßte. Richte dich danach. Ich legte mir in aller Eile einen Schlachtplan zurecht. der unseren beschränkten Möglichkeiten entsprach. , Es war ein großes Handikap, daß die Techniker im Feuerleitstand saßen, aber dort mußten sie vorerst auch bleiben. Norgis ebenso im Pilotensitz, somit hatte ich nur noch Mallosh und Chipol, die mich unterstützen konnten. Keine überwältigende Streitmacht also, und so mußte alles sehr schnell gehen, wenn wir Erfolg haben sollten. Ich instruierte die anderen mit kurzen hastigen Worten, dann war das Beiboot auch schon heran. Norgis öffnete ihm die Schleuse, ließ sie nach dem Einschweben sofort wieder zugleiten, und indessen bezogen wir anderen unsere Positionen. Mallosh und Chipol auf der einen Seite des Eingangs zum Steuerraum, ich auf der anderen, und dann warteten wir, aufs höchste angespannt. Wenn jetzt etwas schiefging, hatten wir mit Sicherheit ausgespielt … Doch wir hatten Glück – die Roboter kamen als erste! Das Schott glitt auf, sie kamen hereingestampft, und natürlich trugen auch sie die obligaten Strahler. Ihre Augenlinsen blinkten
und suchten die Zentrale ab, doch sie konnten nur den Kommandanten sehen, der sich am Steuerpult befand; und das ließ sie stutzen, denn es stimmte nicht mit ihren Informationen überein. Sie blieben ruckartig stehen, und dann ging alles sehr schnell. Chipol und der Funker schossen von rechts und ich von links, wir benutzten nur relativ wenig Energie, dafür aber eng fokussiert. Bleistiftdünne Strahlen stachen gegen die Köpfe der Stahlmänner, über die Distanz von drei Metern konnte man sie kaum verfehlen. Dachte ich – aber Mallosh brachte dieses Kunststück trotzdem fertig! Das hätte uns alle das Leben kosten können, der Kopf des Roboters fuhr bereits herum, und sein Waffenarm ebenfalls … Zum Glück hatte aber wenigstens Chipol gut gezielt, und so blieb uns ein Debakel erspart. In der nächsten Sekunde krachten beide Kolosse hart zu Boden, und wir duckten uns eilig, um nicht von dem Splitterregen getroffen zu werden. Wir blieben davon verschont, Raegul dagegen nicht, denn er war nicht vorgewarnt. Er stand nur zwei Meter hinter den Robotern, ein Stahlstück schlug in seinen linken Oberarm und hinterließ eine klaffende Wunde. Der Pilot schrie in Schmerz und Panik auf, brach zusammen und wurde ohnmächtig. Das stand zwar nicht im Programm, doch es ersparte mir vorerst unnütze Diskussionen mit ihm. Ich winkte dem unglücklich dreinschauenden Mallosh und bestimmte: »Kümmere dich um ihn und versorge die Wunde, ja? Wir anderen müssen inzwischen beraten, wie es nun weitergehen soll – unser Ausbruch wird auf jeden Fall durchgeführt!« »Hast, du da nicht zuviel versprochen?« fragte Chipol, aber ich zuckte nur mit den Schultern. »Jetzt können wir nicht mehr zurück! Wir haben immerhin noch eine Galgenfrist, ehe die Hyptons etwas merken können, und diese gilt es optimal zu nutzen. Und damit zu dir, Norgis – ich stelle mir die Dinge so vor …«
4. »Ihr seid alle total verrückt«, knurrte Raegul erbost. Seine Blutung war gestillt, das Loch im Arm geklammert und mit einem schnell wirkenden Heilplasma überzogen. Er trug die Linke nun in einer Schlinge, hatte aber auch ein Schmerzmittel bekommen und betrug sich so wie früher auch. »Total verrückt!« wiederholte er finster. »Ich komme zurück ins Schiff, um den Hyptons zu beweisen, daß ein gewisser Atlan ihren Robots nichts als Lügen erzählt hat, ausgesprochen dumme noch dazu. Sobald mir das gelungen wäre, hätten wir ungehindert weiterfliegen können – jetzt habt ihr alles verdorben!« Ich lächelte ihn an, verächtlich und herausfordernd zugleich. »Bist du dir da ganz sicher? Schließlich haben sie uns doch hier vollkommen grundlos überfallen, die GHYLTIROON beschossen und beinahe vernichtet, oder? Und dann haben sie ihre Stahlmänner …« »Sie haben nichts getan, das irgendwie unrecht gewesen wäre!« fiel mir der Pilot hitzig ins Wort. »Die Hyptons sind friedlich, aber man hat ihnen hier in Manam-Turu schon übel mitgespielt, und so müssen sie auf der Hut sein. Sie wollten diesen Planeten, gerade untersuchen, ob er ihnen als neue Heimstatt dienen könne, und da tauchten wir plötzlich auf. Sie mußten befürchten, daß wir sie an diesem Vorhaben hindern würden, und nur dagegen haben sie sich zur Wehr gesetzt.« Vielleicht leben auf dieser Welt auch irgendwelche Wesen, die sie unter ihren Einfluß bringen wollen! vermutete mein Extrasinn. Das wäre eine plausible Erklärung für ihr rigoroses Vorgehen. Mit solchen Argumenten kommst du bei Raegul aber nicht mehr an, ihre Behandlung wirkt bereits. Das war mir indessen auch klargeworden; diesmal schien es rascher zu gehen als sonst. Ich widersprach ihm also erst gar nicht direkt, sondern führte statt dessen andere Argumente ins Feld.
»Gut, sie hatten also Angst – sie hätten aber trotzdem erst einmal fragen können, anstatt gleich zu schießen! Somit war es auch unser gutes Recht, uns zu wehren, wir sind schließlich in einer wichtigen Mission unterwegs. Oder hast du deine Heimat Aklard schon ganz vergessen, die von uns Hilfe gegen die Ligriden erwartet?« Raegul zögerte einen Moment, doch dann nickte er. »So gesehen hast du ebenfalls recht«, gab er zu. »Ja, ich hatte das angesichts der jetzigen Probleme wirklich fast vergessen … und wenn wir jetzt nichts mehr tun können, bist nur du daran schuld! Wenn die Hyptons erfahren, daß ihre Roboter zerstört sind …« »Genug geredet!« unterbrach ihn Norgis energisch. »Jetzt habe ich wieder das Kommando, und alle Hyptons sind mir egal. Wieviel Zeit etwa sollten die Robots für die Datenermittlung brauchen?« »Eine Viertelstunde«, sagte der Pilot automatisch, und weiter kam er nicht mehr. Die Viertelstunde war bereits um, der Kommandant gab Ganno einen Wink, sein Gesicht verschwand vom Bildschirm und tauchte nach kaum einer Minute wieder auf. »Alles in Ordnung, ich habe die Rückkehrautomatik des Beiboots aktiviert und die Schleuse geöffnet. Da, es fliegt bereits aus – wir können also handeln, unsere ›Freunde‹ sind vorerst abgelenkt!« Jetzt erst begriff Raegul. Sein Gesicht verzerrte sich, und er fuhr hoch. Dabei stieß er jedoch mit dem lädierten Arm gegen die Lehne seines Sessels, er sank mit einem Schmerzlaut wieder zurück, und meine grimmige Miene hielt ihn von weiteren Interventionen ab. Das Boot hatte sich indessen weit genug entfernt, und die Hyptons mußten an die Rückkehr ihrer »Datenklauer« glauben. Norgis ließ die Schleuse wieder zugleiten, dann schaltete er, und die Konverter der GHYLTIROON begannen laut zu grollen. Im nächsten Augenblick lief auch der Normalantrieb an, das Schiff machte einen förmlichen Satz und schoß aus der Phalanx unserer Zwangseskorte heraus. Würde es gut abgehen … würde unser Täuschungsmanöver mit dem Boot uns Zeit genug geben, den Fahrzeugen der Hyptons zu
entkommen? Es schien so, sie bewegten sich während der nächsten zwanzig Sekunden nicht von der Stelle, und ich atmete bereits auf. Einen winzigen Moment zu früh – denn nun sah ich auf dem Ortungsschirm, daß auch ihre Triebwerke aktiviert wurden! Sie waren stärker als die unseren, also begann nun ein Wettlauf um Leben oder Tod … Das schmale Gesicht des Kommandanten war starr, er sah auf dem Monitor am Pilotenpult das gleiche Bild wie ich. Erneut schaltete er und überlastete den Antrieb so weit, daß die ersten Warnleuchten zu zucken begannen. Umsonst, die GHYLTIROON wurde zwar schneller und schoß seitlich von dem Planeten hinweg, aber die Verfolger holten langsam, aber sicher auf. Wir hatten es auf zwanzigtausend Kilometer Vorsprung gebracht, aber dieser schmolz innerhalb von neunzig Sekunden auf die Hälfte zusammen. Und damit war die kritische Distanz erreicht, das Feuer wurde eröffnet, die ersten Salven schlugen in unseren Schutzschirm! Er wehrte sie jedoch ab, und nun Schossen auch Ganno und Trom zurück. Doch die schwache Bewaffnung der GHYLTIROON war ein großes Handikap, sie mußten sich auf ein Schiff konzentrieren, wenn sie überhaupt etwas erreichen wollten. Trotz ihrer mangelnden Erfahrung hielten sie sich gut, sie schossen Punktfeuer und kamen damit auch durch. Der Schirm des Raumers brach zusammen, er fiel sofort zurück, und Chipol schrie begeistert auf. Die anderen drei Schiffe aber kamen unerbittlich immer näher, sie deckten uns mit einem wahren Gewitter von Strahlen ein. Unser Schirm flackerte bedenklich, Norgis wandte sich zu mir um, und sein Gesicht war schweißbedeckt. »Muß Geschütze stillegen, Atlan!« schrie er über den infernalischen Lärm der Konverter, Triebwerke und einschlagenden Treffer hinweg. »Schirm braucht mehr Energie, wenn wir Linearraum erreichen wollen.«
Ich nickte nur stumm, es war ohnehin fast ein Wunder, daß er noch immer hielt. Das ging vermutlich auf die relativ doch geringe »geistige« Kapazität der Stahlmänner zurück, die uns zwar von drei Seiten her mit Feuer eindeckten, aber ohne ein System. Hätten sie ebenfalls Punktfeuer geschossen, wären wir längst erledigt gewesen, das war mir klar. Nun schwiegen unsere Geschütze, aber dafür stabilisierte sich der Schutzschirm wieder. Lange konnte er jedoch trotz der stärkeren Energiezufuhr nicht mehr halten, denn die Verfolger kamen uns immer näher. Wir mußten aber etwa zwanzig Prozent Licht erreichen, um in den Zwischenraum überwechseln zu können, ich winkte Norgis und rief: »Wie lange noch, Kommandant?« »Zwanzig Sekunden, Atlan!« brüllte er zurück. Mallosh saß stumm vor seinem toten Funkpult, er war von dieser extremen Situation total überfordert. Auch der sonst unbekümmerte Chipol hatte nun begriffen, wie tödlich ernst unsere Lage war. Raegul schien ohnmächtig geworden zu sein, seine Augen waren geschlossen, und er regte sich nicht mehr. Ich zählte die Sekunden mit, automatisch und ohne jede Emotion. Ähnliches hatte ich während meines langen Lebens unzählige Male durchgemacht, und viele Wiederholungen stumpfen bekanntlich ab. Erwischt es dich nun oder nicht … das hatten unzählige Soldaten im feindlichen Feuerhagel gedacht, ohne dabei noch Furcht empfinden zu können. So erging es mir jetzt auch, während alle Bildschirme sich automatisch verdunkelten, weil sie die Lichtflut nicht mehr voll aufnehmen konnten. Als ich bei »sechzehn« angekommen war, geschah es: Der Schutzschirm brach zusammen, die überlasteten Projektoren brannten durch! Nun war die GHYLTIROON schutzlos dem gegnerischen Feuer preisgegeben, und die Folgen zeigten sich bald. Ein schwerer Schlag ließ das ganze Schiff erbeben, Schirme implodierten dumpf, Warnsirenen schrillten durchdringend auf. Norgis brachte sie mit einem Fausthieb zum Schweigen, doch
gegen das Feuerwerk der Warnlichter war er machtlos. Ich sah sie nur aus dem Augenwinkel, wußte aber auch so, was geschehen war – unser Antrieb hatte etwas abbekommen und begann zu stottern! Und das um lächerliche vier Sekunden zu früh … Erbitterung stieg in mir auf, und ich stieß einen grimmigen Fluch aus. Ein neuer Treffer ließ die Zelle der GHYLTIROON schwingen, der Fluch erstarb mir auf den Lippen. Das Licht in der Zentrale ging aus, offenbar hatte nun auch einer der Konverter etwas abbekommen – verdammt, nahmen diese vier Sekunden denn gar kein Ende? Dieser Gedanke zuckte durch mein Hirn, aber im selben Moment war es endlich vorbei. Das Stottern der Normaltriebwerke brach abrupt ab, und dafür wurde das Singen des Linearantriebs hörbar – Norgis hatte das Schiff in den Zwischenraum gebracht! Eine Sekunde zu früh, wie er mir später gestand, aber er hatte keinen anderen Ausweg mehr gesehen. Jedenfalls war es ihm gerade noch rechtzeitig gelungen, ohne daß es dabei Komplikationen gab. Wir waren dem Zugriff der Hyptons entzogen und entfernten uns mit vielfacher Lichtgeschwindigkeit, ohne daß sie uns verfolgen konnten.
* Die GHYLTIROON kam zur Ruhe, die Beleuchtung ging wieder an, als der Kommandant auf eine Reserveanlage umschaltete. Ich erhob mich mit einem tiefen Atemzug und entspannte meine verkrampften Glieder, und nun kam die natürliche Reaktion. Ich empfand nachträglich die Angst, die ich zuvor verdrängt hatte, und schloß für einen Moment die Augen. Dann öffnete ich sie wieder, denn Chipol berührte meinen Arm und fragte: »Sind wir jetzt gerettet, Atlan?« Ich rang mir ein Lächeln ab und nickte.
»Es sieht wirklich so aus. Allerdings hat das Schiff allerhand abbekommen. Eigentlich gehörte es in eine Werft, doch woher nehmen?« Norgis hatte diese Worte gehört, kam zu uns und verzog das Gesicht. Ich schüttelte ihm die Hand und dankte ihm, aber er wehrte ab. »Habe nur meine Pflicht getan. Gibt jetzt wirklich viel Arbeit, fangen wir an.« Er machte eine umfassende Handbewegung, ich folgte ihr und sah nun erst bewußt, in welchem Zustand der Steuerraum war. Überall lagen Splitter herum, nur etwa die Hälfte der Schirme und Monitoren war heil geblieben, und die Torsi der beiden zerstörten Roboter ergänzten dieses Stilleben. Dies war jedoch nur ein kleiner Teil der Schäden, die wirklich ernsten waren optisch nicht zu erkennen, mußten aber viel gravierender sein. Ganno und Trom kamen aus dem Geschützstand zurück, und ich sprach ihnen kurz meine Anerkennung aus. Dann rief Norgis sie und Mallosh zu sich und die vier begannen mit den Checks zur Feststellung der vielen Defekte im Schiff. Ich konnte ihnen nicht helfen, dazu war mir die Technik der Daila doch zu fremd; deshalb kümmerte ich mich nun um Raegul, der wieder bei Bewußtsein war. Offenbar hatte er alles mitbekommen, was während der kritischen Phase geschehen war, und nun schüttelte er fassungslos den Kopf. »Das hätte ich von den Hyptons nun wirklich nicht erwartet – sollten sie doch nicht so harmlos und friedlich sein, wie es mir erschien? Ihre Worte hatten mich jedenfalls vollkommen überzeugt; kann es nicht sein, daß die Stahlmänner sie falsch verstanden und nur deswegen so feindlich reagiert haben?« Vorsicht gegenüber diesem Knaben! warnte mein Extrasinn. Zwar scheint der geistige Einfluß der Fledermäuse auf ihn nachgelassen zu haben, nachdem er nicht mehr in ihrer Nähe ist. Er begreift die Diskrepanz zwischen ihrem Reden und Handeln im einen Moment, doch im nächsten versucht er schon wieder, sie zu entschuldigen – sagt dir das genug?
»Schon begriffen!« gab ich gedanklich zurück. Raegul schien ein besonders gutes »Medium« zu sein, und zweifellos wirkten in ihm die Para-Befehle der Hyptons unterschwellig weiter. Ihr verderbliches Tun bestand ja gerade darin, daß die Opfer nicht realisierten, was wirklich mit ihnen geschah. Im Bann der Psychonarkose glaubten sie, alles aus eigenem Antrieb zu tun, auch wenn es den Interessen ihres Volkes und ihren eigenen in keiner Weise entsprach. »Vergiß es, das ist vorbei«, sagte ich beruhigend und beschloß zugleich, den Piloten immer gut im Auge zu behalten. »Wie steht es um deine Wunde, hast du noch Schmerzen?« »Es geht schon wieder«, erklärte Raegul und stemmte sich hoch. »Ich spüre kaum noch etwas, also will ich den anderen helfen, so gut ich kann. Ohne mein Wissen kommen sie wohl kaum zurecht.« Das klang schon wieder fast wie früher, ich grinste kurz, aber nur für einen Moment. Meine geübten Ohren registrierten, daß nun das Singen des Lineartriebwerks nicht mehr ganz »sauber« klang, und im selben Augenblick stürzte auch Norgis schon zum Pilotenpult vor. Seine Augen flogen über die Kontrollen, er schaltete hastig, aber trotzdem zuckten jetzt wieder reihenweise Warnsignale auf. »Aus!« sagte er resigniert. »Triebwerk bekommt nicht mehr genug Energie, Zuteilungen müssen beschädigt sein. Rücksturz in Normalraum läßt sich nicht mehr verhindern – schon passiert!« Und so war es dann auch, wir merkten es sofort. Der Linearantrieb setzte ganz aus und auf dem intakt gebliebenen Holoramaschirm waren wieder die Sonnen von Manam-Turu zu sehen. Gannos Kopf tauchte aus dem Gehäuse einer Apparatur auf, mit deren Reparatur er sich eben beschäftigte, und dann fluchte er laut. »Das hat uns gerade noch gefehlt!« knurrte er danach. Mit großen Schritten eilte er vor zum Pilotensitz, Norgis machte ihm Platz, und sie checkten gemeinsam die Instrumente durch. Schließlich wandte sich der Kommandant um und hob resigniert beide Hände. »Nichts mehr zu machen, Atlan!« bekannte er. »Leitungen defekt,
zweite Systeme ebenfalls, Schäden mit Bordmittel nicht zu beheben. Können nur noch versuchen, Normaltriebwerk halbwegs hinzukriegen, mehr nicht.« Knapper und präziser hätte es auch ein Computer nicht sagen können, aber das war mir kaum ein Trost. Ich sah auf den Hauptschirm und entdeckte nun erst, daß wir uns direkt am Rand des Systems einer Sonne vom Soltyp befanden. Vorher war sie nicht zu sehen gewesen, aber die GHYLTIROON drehte sich langsam um ihre Längsachse, und nun wanderte sie ein. »Besser als gar nichts«, urteilte ich und wies auf den Schirm. »Vielleicht gibt es in diesem System einen Sauerstoffplaneten, auf dem wir landen können, und dann müssen wir uns eben Zeit lassen. Ihr seid doch ein gutes Team und könnt auch improvisieren, denke ich. Schlachtet meinetwegen alle sekundären Systeme aus – unser Schiff muß wieder flugtauglich werden, denn Aklard braucht uns!« Norgis nickte nur, und dann ging er zusammen mit Trom und Ganno an die Arbeit. Mallosh begab sich ans Navigatorpult, er kannte sich auch dort aus und schaltete schnell und gewandt. Das System besaß insgesamt sieben Planeten, er maß sie nacheinander an und ermittelte alle Daten. Ich assistierte ihm, so gut ich konnte, las die Informationen am Bildschirmrand ab und tippte schließlich auf das Symbol der zweiten Welt von innen her. »Dies ist es, was wir brauchen! Atembare Luft, Wasser und eine normale Schwerkraft, vielleicht ist dieser Planet sogar bewohnt. Falls die eventuellen Intelligenzen friedlich sind und über eine fortgeschrittene Technik verfügen, müßten wir auf Hilfe rechnen können, wenn wir es geschickt genug anfangen.« Mein Extrasinn produzierte ein leises Kichern und sagte etwas, das wie »Berufsoptimist« klang, aber ich achtete nicht darauf. Doch auch der Funker schien eher skeptisch zu sein, und ich konnte es ihm nicht verdenken. Wir befanden uns hier in einer vollkommen unbekannten Gegend dieser Galaxis, Tausende von Lichtjahren von Aklard entfernt. Zuvor hatten wir wenigstens noch die Richtung
gekannt, in der wir uns bewegten, aber damit war es jetzt auch vorbei. Norgis hatte die GHYLTIROON in den Linearraum gebracht, ohne zuvor Zeit für eine Kursberechnung gehabt zu haben. Wir hatten uns ziellos dahinbewegt, froh darüber, überhaupt heil davongekommen zu sein – jetzt wußte niemand, wo uns der Halbraum nach dem Ausfall des Triebwerks ausgespien hatte. Unter solchen Umständen war es nicht eben einfach, immer noch ein Optimist zu sein. Chipol schien meine Gedanken zu erraten, oder er hatte aus meinen Zügen gelesen, was mich bewegte. »Wir werden es bestimmt irgendwie schaffen, Atlant« sagte er zuversichtlich. »Der Große Geist von Manam-Turu selbst muß uns geholfen haben, sonst wären wir bestimmt den vier Schiffen nicht entkommen. Er wird uns auch weiterhin zur Seite stehen, davon bin ich überzeugt.« Es war erstaunlich, wie dieser elternlose, vom Schicksal schwer geprüfte Junge Dinge verkraftete, die selbst erfahrenen Männern viel zu schaffen machten. Wir waren nun seit etwa vier Monaten zusammen – auf der Erde schrieb man jetzt Ende April 3819 –, und in dieser Zeit waren wir praktisch von einem gefährlichen Abenteuer ins andere geschlittert. Ich begann zu lächeln und strubbelte mit der Linken durch sein dunkles Haar. »Wenn du es sagst, wird es wohl stimmen; hoffen wir das Beste!« Wir versorgten die arbeitenden Männer mit Essen, und nach einer kurzen Pause machten sie weiter. Ich half ihnen, so gut ich konnte, aber es dauerte trotzdem sechs Stunden, bis sie fertig waren. Dann checkten Norgis und Raegul die fraglichen Systeme durch, und der Kommandant schüttelte sorgenvoll den Kopf. »Der Normalantrieb wird laufen – doch wie lange, mögen allein die Götter wissen! Alles ist nur provisorisch geflickt, es kann Tage und Wochen halten, aber auch schon nach Stunden versagen. Falls wir es bis zu dem Planeten schaffen, haben wir großes Glück.« Wenn Norgis so flüssig sprach, sah es wirklich nicht gut aus, das
wußte ich nun schon. Doch wir hatten keine andere Wahl, wir mußten es darauf ankommen lassen, auf Gedeih oder Verderb … Das Triebwerk lief zögernd an, die GHYLTIROON schwang herum und bewegte sich der fremden Welt entgegen.
5. »Kannst du Funksignale oder Bildsendungen von diesem Planeten empfangen?« erkundigte ich mich zwei Stunden später bei Mallosh. »Über diese Distanz hinweg müßte doch schon etwas zu machen sein.« »Nichts, Atlan«, sagte der Funker resigniert. »Entweder sendet dort niemand, weil er unbewohnt ist, oder meine Anlage hat auch einen Knacks weg. Energie habe ich genug, aber wenn die Antennen zerstört sind, nutzt sie mir nichts.« Das ließ sich nicht nachprüfen, die schweren Treffer hatten alle externen Aufnahme- und Kontrollsysteme zerstört. Es war fast schon ein Wunder, daß die Außenhülle der GHYLTIROON ihnen standgehalten hatte, nirgends war es zu einem Druckverlust gekommen. Und das Glück schien auch weiter auf unserer Seite zu sein, wir hatten uns der fremden Welt bereits auf zwei Millionen Kilometer genähert. Nur noch eine Viertelstunde, dann konnten wir landen, wir steuerten auf einen großen Kontinent ihrer Tagseite zu. Norgis und Raegul arbeiteten nun reibungslos zusammen, als hätte es nie Kontroversen zwischen ihnen gegeben, und alles ging gut. Allerdings nur bis zur Mitte der Bremsphase, als der Planet mit seiner Schwerkraft nach dem Schiff griff … Gerade in diesem heiklen Moment drangen aus dem Antriebsbuckel im Unterschiff zuerst dumpfe, dann schmetternde Geräusche. Wieder einmal zuckten Warnleuchten auf, im nächsten Moment begann die GHYLTIROON zu torkeln, und Raegul schrie voller Panik: »Ein Drittel der Felddüsen ist explodiert – wir stürzen
ab!« Kein Wunder dauert ewig, und eines der vielen Provisorien hatte nun doch versagt. Zwar besaß das Schiff zwei große Rettungskapseln, in denen zehn Mann ebenso viele Tage überleben konnten, auch draußen im freien Raum, aber diese nützten uns jetzt nichts. Wir hätten viel zu lange gebraucht, um sie zu erreichen und auszuschleusen, also versuchten wir es erst gar nicht. Norgis schaltete mit fliegenden Fingern und versuchte, den Flug der GHYLTIROON durch Gegensteuern der restlichen Düsen zu stabilisieren, und wenigstens damit hatte er Erfolg. Doch unsere Fallgeschwindigkeit wurde dadurch nur unwesentlich vermindert, und wir verfehlten unser Zielgebiet, eine große Ebene. Statt dessen rasten wir nun auf eine Gebirgsregion zu – wenn wir dort abstürzten, hatten wir keine Überlebenschance mehr! Irgendwie schaffte es der Kommandant aber doch, durch geschickt dosierten Einsatz der noch arbeitenden Triebwerkselemente das Schlimmste zu verhindern. Das Schiff legte sich schräg, damit wurde der Fallwinkel flacher, und die Atmosphäre wirkte als zusätzliche natürliche Bremse. Die GHYLTIROON wurde schwer durchgerüttelt, aber erheblich langsamer – der scheinbar unvermeidliche Absturz wurde dadurch doch noch verhindert! Statt dessen gab es nur eine Notlandung, aber eine der härtesten in meinem wahrlich nicht kurzen Leben. Die automatisch aufgebauten Abschirmfelder hüllten uns in den Sitzen ein, sie konnten neunzig Prozent der auf uns einwirkenden Beharrungskräfte absorbieren. Geräusche milderten sie aber nicht, und so war das Kreischen der zwanzig Teleskop-Landestützen beim harten Aufkommen deutlich zu hören. Gleichzeitig durchfuhr mich ein heftiger Schlag, er trieb mir die Luft aus den Lungen – mir wurde schwarz vor den Augen, und ich verlor das Bewußtsein … Irgendwann kam ich wieder zu mir, atmete automatisch tief durch und spürte das hämmernde Pulsieren meines Zellaktivators. Er
mußte Schwerstarbeit leisten, auch mein Herz arbeitete wie rasend, aber trotzdem dauerte es lange, bis ich wieder halbwegs klar war. Ich blinzelte in dem hellen Licht der Zentrale, sah mich eilig um und begegnete dem erwarteten Bild. Die Raumfahrer waren noch besinnungslos, Chipol ebenfalls. Sie hingen verkrümmt in den Sitzen und hatten keinen Aktivator, der ihnen half. Das mußte ich jetzt übernehmen. Ich stemmte mich hoch, überwand die Schwäche in meinen Beinen und begab mich zum Erste-Hilfe-Schrank. Darin fand ich Spritzampullen mit belebenden Mitteln, verabreichte sie ihnen und widmete nun meine Aufmerksamkeit den noch intakten Bildschirmen. Was sie mir zeigten, war nicht sonderlich erfreulich. Das Schiff stand zwar halbwegs gerade, aber in einem kleinen Talkessel, auf allen Seiten von hoch aufragenden Felswänden umgeben. Hier wuchs fast nichts, nur einige kümmerliche Büsche mit fast blattlosem Geäst, und die hochstehende Sonne sorgte für eine gnadenlose Hitze. Es hätte aber erheblich schlimmer kommen können! kommentierte der Logiksektor lakonisch. Norgis hat sich selbst übertroffen, nur ihm habt ihr es zu verdanken, daß ihr überhaupt noch am Leben seid. Eine wirkliche Bruchlandung auf diesem Untergrund … »Danke, mir reicht es auch so«, gab ich mißmutig zurück. Sicher, wir waren noch eben davongekommen, aber das war auch alles. Die GHYLTIROON war schwer mitgenommen; ob ihre kleine Crew die Schäden mit ihren Hilfsmitteln wieder beheben konnte, erschien mehr als fraglich. Für die ausgefallenen Düsen des Normalantriebs hatten wir Ersatzteile an Bord, aber was nützte uns das schon? Wenn das Lineartriebwerk nicht mehr zu reparieren war, konnten wir jede Hoffnung aufgeben, innerhalb einer akzeptablen Zeit den Daila auf Aklard irgendwie zu helfen! Dabei ging es eigentlich erst in zweiter Linie um die Daila, die Hyptons und ihre Helfer. Ich hatte mein Dasein als Orakel von Krandhor ja nicht ihretwegen
aufgegeben, sondern war einem Ruf der Kosmokraten gefolgt. Ihr Auftrag lautete, den sogenannten Erleuchteten zu stellen und ihn daran zu hindern, EVOLO zu schaffen! Was dieses gefährliche Instrument sein mochte, hatte ich in der Galaxis Alkordoom nicht erfahren, und hier in Manam-Turu war ich diesem Ziel bis jetzt um keinen Schritt näher gekommen. Ich hatte noch nicht die geringste Spur von ihm entdeckt, doch dafür war ich auf die Hyptons gestoßen, und ihr verderbliches Wirken beschäftigte mich nun vollauf. Vergiß es vorläufig! sagte mein Extrasinn. Im Augenblick ist nur wichtig, daß das Schiff wieder in Ordnung kommt, damit du diesen Planeten wieder verlassen kannst. Alles andere ist jetzt sekundär. Er hatte recht, wie fast immer, und so schob ich meine trüben Gedanken beiseite. Die Stimulantien begannen zu wirken und die Raumfahrer regten sich bereits wieder, doch als erster erlangte Chipol sein volles Bewußtsein zurück. Er stemmte sich hoch, ließ seine Blicke durch den Steuerraum und über die Bildschirme wandern, und dann lächelte er mich an. »Also ist es doch noch gut abgegangen«, stellte er fest. »Doch ich habe es ja vorher schon gesagt – der Große Geist Manam-Turus steht uns bei, er hat uns auch hier wieder geholfen!« »Nichts gegen diesen imaginären Geist«, knurrte ich, »aber unter einer wirklichen Hilfe stelle ich mir etwas anderes vor. Es wäre weit effektiver gewesen, wenn er es gar nicht erst soweit hätte kommen lassen, meine ich.« »Wie willst du wissen, was seine Absichten sind?« fragte der Junge, doch ich winkte entschieden ab. Höhere Wesen aller Art gab es bei den Völkern des Universums wie Sand am Meer. Sollte jeder glauben, was er wollte, ich dachte nicht daran, ihn darin zu behindern. Im Lauf der Jahrtausende hatte ich jedoch gelernt, daß man am weitesten kam, wenn man sich auf seine eigenen Fähigkeiten verließ, statt auf eine Hilfe von »oben«. Norgis richtete sich auf, sah sich um und grinste freudlos.
»Also sind wir gut heruntergekommen und leben noch! Hätte ich kaum geglaubt, sah schlecht genug aus, Atlan. Will sehen, wie es ums Schiff steht, dann wird alles repariert, was irgendwie geht. Wie sieht es draußen aus?« Ich zuckte mit den Schultern und wies auf die Bildschirme. »Nichts als Felsen ringsum, mehr kann ich auch nicht sagen. Wir sind in einer recht unwirtlichen Gegend heruntergekommen. Wie es anderswo aussehen mag, weiß ich nicht. Hast du Aufzeichnungen gemacht, als wir im Anflug waren?« »Anflug ist gut!« meinte Raegul ironisch, ließ dann den Speicher anlaufen, schüttelte aber bald den Kopf. »Da ist kaum etwas zu erkennen, dafür waren die unkontrollierten Bewegungen des Schiffes zu stark. Da hinten ist etwas zu sehen, das man für eine Stadt halten könnte … ja, dort auch.« Er ließ die Aufzeichnung zurücklaufen, hielt sie dann wieder an, und ich strapazierte meine Augen. Doch aus diesen Bildern ließ sich kaum etwas entnehmen; was wie eine Ansammlung von Gebäuden wirkte, konnte auch nur eine skurrile Felsformation sein. Die folgenden Aufnahmen waren nicht besser, und so winkte ich ab. »Lassen wir das vorläufig, es gibt genug anderes zu tun – aber nicht sofort. Ehe ihr euch wieder auf die Reparaturen stürzt, wird erst einmal eine Ruhepause eingelegt … nein, keine Widerrede, Norgis! Die Ereignisse haben euch alle sehr strapaziert, und müde Männer können keine einwandfreie Arbeit leisten.« Der Kommandant sah das ein, wir nahmen eine Mahlzeit zu uns, und danach wurde es sehr still im Schiff. Die meisten schliefen schon halb, ehe sie ihre Kabinen erreichten; ich mußte Chipol fast in die unsere tragen, streckte mich dann ebenfalls aus und versuchte, das turbulente Geschehen noch einmal zu rekapitulieren. Weit kam ich jedoch damit nicht, die Augen fielen mir zu, und ich schlief ein.
*
Tatsächlich dauerte es rund zwölf Stunden, bis alle wieder auf den Beinen waren, draußen wurde es schon wieder hell. Während des Frühstücks wurde kaum gesprochen, doch dann schob Norgis energisch das Geschirr von sich und sah mich an. »Lange genug gefaulenzt – jetzt fangen wir an! Kann eventuell ein paar Tage dauern, dürfen aber nicht pfuschen, ist klar. Zuerst die nötigen Kontrollen, dann einen Plan, und es geht los.« »Eigentlich schade, daß die Stahlmänner nicht mehr zu gebrauchen sind«, überlegte der massige Ingenieur. »Für rein mechanische Arbeiten könnten wir gut ein paar starke Helfer brauchen, dann ginge alles um einiges schneller.« »Ich mache selbstverständlich mit«, erklärte ich sofort, aber Ganno wehrte ab … »Überlaß das besser uns allein, wir sind ein eingespieltes Team. Du dagegen verstehst nicht viel von unserer Technik, wir müßten dir vieles erst erklären, und das würde uns mehr aufhalten als nützen. Einen Handlanger haben wir immerhin schon.« Er wies auf Raegul, dessen linker Arm in einer Schlinge hing, und der Pilot lächelte säuerlich. Ich sah ein, daß es wirklich besser war, die Raumfahrer nach ihren eigenen Methoden arbeiten zu lassen, nickte und erhob mich. »Gut, dann werde ich mich anderweitig nützlich machen. Es könnte sein, daß wir noch Hilfe von Seiten eventueller Bewohner dieses Planeten brauchen, also werde ich mich draußen umsehen. Ich nehme am besten unseren Gleiter, denn zu Fuß würde ich Tage brauchen, um die Berge ringsum zu überwinden.« Der Kommandant stimmte zu, und nun tippte mir Chipol auf den Arm. »Ich fliege natürlich mit, nicht wahr? Hier drin bin ich sowieso überflüssig, und vier Augen sehen bekanntlich mehr als zwei. Wir haben doch schon vieles zusammen getan, und ich war dabei gar nicht schlecht – oder?«
Er lächelte stolz, und ich konnte nicht umhin, ihm rechtzugeben. Der junge Daila hatte sich wirklich für sein Alter auch in bösen Situationen überraschend gut gehalten; schon damals auf Cairon, als wir von wilden Nomaden umgeben waren, und auch später mehrmals. Ich klopfte ihm bestätigend auf die Schulter, wir ließen die Crew allein und suchten den Hangar auf, in, dem der Gleiter stand. »Wir könnten auch eine der Kapseln nehmen«, schlug Chipol vor und wies auf die beiden größeren Fahrzeuge, aber ich winkte ab. »Sie sind vor allem für Flüge im freien Raum gedacht, in einer dichten Atmosphäre lassen sie sich schlecht manövrieren. Außerdem sind sie etwas zu groß für meinen Geschmack, jede Ortungsstation würde sie auf Anhieb entdecken.« »Rechnest du mit Feinden auf dieser Welt?« »Nicht unbedingt, aber wir müssen trotzdem vorsichtig sein. Der Gleiter ist zwar klein, dafür aber wendig und schnell, und das könnte entscheidend für unser Überleben sein.« Wir bestiegen das ovale Fahrzeug, ich schloß die Allsichtkuppel und machte mich kurz mit der Steuerung vertraut. Ich hatte diesen Typ zwar noch nie geflogen, doch er war gewissermaßen narrensicher und gab mir keine Rätsel auf. Dann tippte ich auf einen Sensor, die Hangarschleuse glitt auf, und ich ließ den Antrieb kommen. Langsam schwebten wir ins Freie, die Kuppel verdunkelte sich automatisch, als wir ins helle Licht der gelben Sonne kamen. Die Technik der Daila war der terranischen in vielem ebenbürtig, nur eben anders, aber dafür war ich hier auch in einer fremden Galaxis. Ich flog einige Kurven, dann hatte ich den Gleiter voll im Griff, und nun umrundete ich zunächst einmal das Schiff. Dabei mußte ich mehrmals schlucken, als ich die deutlichen Spuren der Strahlschüsse auf der Außenhülle der GHYLTIROON sah. Dort war das stumpfsilberne Metall bläulich verfärbt, fast alle Antennen waren zu formlosen Klumpen zusammengeschmolzen
oder gar nicht mehr vorhanden. Nun erst wurde mir ganz klar, wie knapp wir der totalen Vernichtung entgangen waren! Hätte Norgis nicht so schnell und entschlossen gehandelt, lebten wir bestimmt nicht mehr. Nachkarten bringt bekanntlich nichts! sagte mein Extrasinn so emotionslos wie üblich. Vergiß also dies alles und konzentriere dich auf die hiesige Umgebung. Ich verzichtete auf eine Entgegnung und griff statt dessen ins Steuer des Gleiters. Die gespeicherten Bilder waren schlecht gewesen, aber die möglicherweise existierenden Städte mußten weiter südlich liegen. Wie es jenseits der Berge im Norden aussehen mochte, wußte ich nicht, diese Gegend hatte die einzige noch arbeitende Außenkamera nicht mit erfaßt. Chipol, der rechts von mir saß, lächelte mir zu, ich lächelte zurück, ließ den Gleiter steigen und lenkte ihn auf eine Lücke in den etwa einen Kilometer entfernten Gipfeln zu. Dahinter befanden sich weitere Berge, doch sie waren niedriger und teils mit Büschen und niedrigen Bäumen bewachsen. Letztere erinnerten mich entfernt an irdische Fächerpalmen, doch ihr Blattwerk war bläulich, ebenso das der übrigen Vegetation bis hin zum Gras. »Wieso das?« fragte der Junge, und ich hob die Schultern. »Weshalb gibt es Intelligenzen der unterschiedlichsten Art auch auf Planeten, die sich scheinbar vollkommen gleichen? Meist ist es das Licht der Sonne, das diese Abweichungen bewirkt, die Spektren der Gestirne sind nie vollkommen gleich. Die Zusammensetzung der Atmosphäre spielt dabei auch eine Rolle, aber trotzdem hält sich alles in einem gewissen Rahmen. Naldrynnen zum Beispiel hätten sich hier nie entwickeln können, sie brauchen viel weniger helles Licht und eine höhere Schwerkraft.« »Gut, daß wir die wenigstens losgeworden sind, ich konnte diese Wesen nicht ausstehen«, kommentierte Chipol. Ich war versucht, ihm etwas über die Naats zu erzählen, die Zyklopenrasse im Reich von Arkon, oder über die riesigen vierarmigen Haluter. Doch ich
ließ es, denn das hätte mich nur abgelenkt, und konzentrierte mich statt dessen auf unsere jetzige Umgebung. Um möglichst viel sehen zu können, flog ich langsam und niedrig, und bald erblickte ich auch die ersten größeren Tiere. Im Körperbau und mit ihren wuchtigen Hörnern glichen sie Steinböcken, und sie bewegten sich auch ebenso behende über die Berghänge. Bei unserem Erscheinen ergriffen sie sofort die Flucht und suchten Schutz zwischen den Bäumen, und das sagte mir genug. Entweder hatten sie hier natürliche Feinde – oder sie wurden gejagt! Wenn letzteres der Fall war, dann konnten intelligente Wesen auch nicht weit sein, und was diese von Fremden hielten, war fraglich. Deshalb verdoppelte ich meine Aufmerksamkeit und setzte die Fahrt des Gleiters noch mehr herab. Ich mußte die Richtung mehrmals ändern, um Bergen auszuweichen und zugleich in ihrer Deckung zu bleiben. Mein Extrasinn quittierte das mit einem leisen Kichern, aber ich ließ mich davon nicht beirren. Dies war schließlich eine vollkommen unbekannte Welt, und ich dachte keineswegs nur an meine eigene Sicherheit und an die Chipols. Es ging hier um bedeutend mehr. Wurden wir überrascht, abgeschossen und getötet, oder vielleicht auch nur gefangen, war das nicht nur unser persönliches Schicksal. Nein, dann wußten die Planetarier auch, daß es in der Nähe noch andere Fremde gab! Vermutlich war ihnen bisher die Notlandung der GHYLTIROON entgangen – dann jedoch würden sie nach ihr suchen und sie auch finden. Kam es aber soweit, dann war meine Mission endgültig gescheitert. Die fünf Männer im Schiff waren mit den Reparaturen beschäftigt, sie zu überraschen und gefangenzunehmen, ein besseres Kinderspiel. Selbst wenn wir alle überlebten, war kaum damit zu rechnen, daß man uns wieder freiließ oder sogar noch half, und dann war Aklard so gut wie verloren … Jetzt übertreibst du aber! bemerkte der Extrasinn. Wo ist dein fast sprichwörtlicher Unternehmungsgeist geblieben, Alter?
Ich setzte zu einer passenden Erwiderung an, aber im gleichen Moment sagte Chipol erregt: »Da drüben, Atlan! Dort ist jemand – ja, in diesem kleinen Tal. Keine Tiere, sondern zweibeinige Wesen. Sie sehen etwa so aus wie wir!«
6. Ich fuhr zusammen, doch dann reagierte ich sofort. Ein kurzer Blick bestätigte die Wahrnehmung des Jungen, ich ließ den Gleiter durchsacken und bremste scharf ab. Er setzte hart auf, so daß wir tüchtig durchgerüttelt wurden, aber ich achtete nicht darauf, denn mein Extrasinn meldete sich. Sieht so aus, als hättest du nicht so ganz unrecht, räumte er lakonisch ein. Dies sind zweifellos intelligente Geschöpfe, sie gehen aufrecht und tragen Kleidung. Zwar waren bei ihnen keine Waffen zu erkennen, doch das beweist nicht, daß sie keine besitzen. Sieh dich also vor. »Ach nein – auf einmal doch?« gab ich spöttisch zurück. »Was fangen wir jetzt an?« fragte der Junge gespannt, und ich öffnete die Kuppel des Gleiters. »Ich werde etwas anfangen, ohne dich«, berichtigte ich. »Du bleibst schön hier drin sitzen, während ich mich auf den Weg mache, um nachzusehen, wer das da vorn ist.« »Das kannst du doch nicht tun!« protestierte Chipol prompt. »Mich allein hier zurücklassen, meine ich – es könnten schließlich auch noch andere Fremde in der Nähe sein, und was soll ich tun, wenn sie dann kommen? Den Gleiter fliegen kann ich nicht, ich wäre ihnen also hilflos ausgeliefert, und das kannst du doch nicht wollen.« Natürlich übertrieb er schamlos, denn er hatte längst bewiesen, daß er sich auch allein gut zu helfen wußte. Auf einen schmächtigen Jungen wie ihn würde so leicht niemand schießen, er hatte also eine gute Chance, sich abzusetzen und in dem hier reichlich
vorhandenen Gebüsch zu verschwinden. Ganz ohne Risiko war die Sache trotzdem nicht … Nimm ihn miß. empfahl der Logiksektor in meine Überlegungen hinein. Potentielle Gegner könnten erst schießen und dann fragen, wenn sie sehen, daß das Fahrzeug besetzt ist, nicht wahr? Ist es dagegen teer, werden sie das kaum tun, sondern sich auf die Lauer legen, um euch bei eurer Rückkehr abzufangen. Tatsächlich, das hatte etwas für sich. Blieb Chipol zurück, und es erfolgte ein Überfall, konnte er dabei ums Leben kommen, und den Gleiter war ich außerdem los! Andernfalls ließ sich aber beides vermeiden, bei einiger Vorsicht konnten wir unsererseits die Gegner überrumpeln. In dieser Hinsicht besaß ich reichlich Erfahrung – und durch die Berge zum Schiff zurück laufen wollte ich auf gar keinen Fall … »Du hast recht«, erklärte ich laut und meinte dabei eigentlich mein »zweites Ich«. Der junge Daila bezog es allerdings auf sich. Er grinste breit, und wir stiegen beide aus. Ich schloß die Kuppel wieder und schaltete die elektronische Sicherung des Gleiters ein, so daß dieser nur noch durch Brachialgewalt zu öffnen war. Geschah dies, lief außerdem eine lautstarke Sirene an, und dann waren wir auf jeden Fall gewarnt. Das fragliche Tal war etwa fünfhundert Meter entfernt, und rund die Hälfte der Strecke hatten wir gute Deckung. Dann folgte jedoch ein Abschnitt, der nur mit Gras und meterhohem Gestrüpp bewachsen war, und wir konnten uns nur gebückt weiter vorarbeiten. Das war eine ziemlich mühsame Angelegenheit, denn viele Gewächse besaßen scharfe Stacheln, und die bekamen wir unliebsam zu spüren. Außerdem scheuchten wir dabei zahlreiche Insekten auf, die uns zornig umschwirrten. Das brachte uns einige schmerzhafte Stiche und Bisse ein, und obendrein war die Sonne inzwischen ziemlich hoch gestiegen. Bald schwitzten wir aus allen Poren, aber daraus ergab sich auch wieder ein Vorteil Die Insekten schienen gegen
unsere Ausdünstungen allergisch zu sein, denn sie ließen uns von nun an in Ruhe. Nichts in der Welt ist ausschließlich negativ, bemerkte mein Extrasinn in einer philosophischen Anwandlung. Ich quittierte das mit einer schmerzhaften Grimasse und befreite meinen linken Handrücken von einem tief eingedrungenen Dorn. Daß sich daraus eine Vergiftung ergab, war nicht zu befürchten, mein Zellaktivator neutralisierte kleinere Dosen schädlicher Stoffe, ohne daß ich ihre Wirkung zu spüren bekam. Einen solchen nützlichen Helfer hatte Chipol nicht, dafür aber ein natürliches Geschick darin, bestimmte Pflanzen zu vermeiden, denn er kam relativ ungeschoren davon. Nach einer Viertelstunde hatten wir diese widrige Zone endlich hinter uns. Der Zugang zu dem kleinen Tal war von Büschen umsäumt, wir konnten uns wieder aufrichten und genossen dankbar die Kühle ihres Schattens. Mein Rücken hatte zu schmerzen begonnen, und ich massierte ihn kurz. Der Junge grinste. »Hat man das immer, wenn man alt wird?« erkundigte er sich. Ich war versucht, ihm zu erklären, wie alt ich tatsächlich war, doch ich verzichtete darauf. Zum einen, weil er es ohnehin nicht begriffen hätte, daß jemand rund dreizehntausend Jahre lang leben konnte; zum anderen deshalb, weil es hier und jetzt viel wichtigere Dinge für uns beide gab. »Du wartest hier«, sagte ich statt dessen und zog meine Waffe. »Ich arbeite mich so weit vor, bis ich genau sehen kann, mit wem wir es da vorn zu tun haben. Wenn ich das weiß, gebe ich ein Zeichen, und dann kommst du nach.« Damit setzte ich mich in Bewegung, bog das Geäst der Büsche mit der gebotenen Vorsicht auseinander und schlängelte mich zwischen ihnen durch. Jeder Pfadfinder der irdischen Antike hätte seine helle Freude an mir gehabt, bald hatte ich das Tal direkt vor mir, hielt an und spähte zwischen den Zweigen hindurch. Die Hitze machte wohl auch den Fremden zu schaffen, denn im
Augenblick war keiner von ihnen zu sehen. Ich erkannte nur einige verstreut dastehende Zelte rechts und links eines schmalen Baches, der sich durch die Talmitte schlängelte. Das wies am ehesten auf Jäger hin, die in der Umgebung ihrem Hobby frönten, oder vielleicht auf Urlauber, Liebhaber der ursprünglichen Natur. Beide Kategorien gab es auf jedem zivilisierten Planeten, scheinbar also auch hier. Hatte ich mir vielleicht ganz umsonst Sorgen gemacht? Du übersiehst dabei zwei wesentliche Faktoren! belehrte mich der Extrasinn schon im nächsten Moment. Zum einen sind nirgends die Fahrzeuge zu sehen, ohne die weder für die eine noch die andere Gruppe ein Trip in diese entlegene Landschaft denkbar ist. Zum anderen gibt es überall im Tal Trampelpfade, die darauf hinweisen, daß hier offenbar ständig jemand lebt. Und noch etwas – beachte den Zustand dieser Zelte! Mehr sagte er nicht, aber das reichte vollkommen aus, daß ich nun selbst meine eigenen Folgerungen zog. Tatsächlich gab es weit und breit keinen Gleiter oder sonst ein Gefährt, dafür sah ich nun aber die Trampelpfade. Sicher, solche hatte jeder x-beliebige Campingplatz aufzuweisen, darin waren sich alle Planeten gleich. Doch die Zelte waren uralt, brüchig und an vielen Stellen mehr schlecht als recht geflickt; in ihnen hätte nie jemand wohnen mögen, dem es seine Mittel erlaubten, hier auf die Jagd zu gehen oder seinen Urlaub zu verbringen! Ausgestoßene vielleicht? schoß es mir durch den Sinn. Das war durchaus möglich. Auf allen Welten des Universums gab es Individuen, die sich aus oft recht kontroversen Gründen nicht in das jeweils herrschende Gefüge einordnen oder auch pressen ließen. Das konnten ebenso die Anhänger einer bestimmten Religion sein wie krasse Atheisten, eine Gruppe eingefleischter Friedensfanatiker genau so wie eine, die von den Behörden wegen krimineller Delikte gesucht wurde! Außenseiter schienen es also, auf jeden Fall zu sein – aber war das nun gut oder schlecht für uns …? Darüber zerbrach ich mir vergeblich den Kopf, denn mir fehlte
jeder Anhaltspunkt. Und dann tauchte zu allem Überfluß auch noch Chipol neben mir auf, sein Gesicht zeigte ein so unschuldiges Lächeln, daß der fällige Verweis gar nicht erst über meine Lippen kam. »Du bist jetzt schon so lange fort, Atlan«, raunte er, »so daß ich Sorge hatte, dir könnte etwas zugestoßen sein. Ich konnte zwar nichts sehen und habe auch nichts gehört, aber das ist doch kein Beweis, nicht wahr?« Natürlich hatte ihn nur die Ungeduld der Jugend getrieben, das war mir klar. Doch nun war er einmal hier, ich fand mich damit ab, und schon im nächsten Augenblick änderte sich die ganze Szene. Ein dumpfes Grollen wurde hörbar, es kam aus Westen oder Südwest, von weit her. Es schwoll permanent an, und ich zuckte zusammen, denn dieses Geräusch kannte ich nur zu gut. Meine Blicke fuhren zum Himmel empor, noch konnte ich nichts sehen, aber ich wußte auch so, was da vor sich ging: Dort hinten, einige zehn Kilometer entfernt, startete gerade ein Raumschiff!
* Damit beantwortet sich automatisch ein Teil deiner Fragen in bezug auf diese Planeten, sagte der Logiksektor. Er ist von zivilisierten Wesen einer hohen Stufe bewohnt, hier könntet ihr also Hilfe erlangen, falls die GHYLTIROON nicht mit euren Mitteln repariert werden kann. Könntet – denn ob diese Wesen bereit sind, euch zu helfen, bleibt vorerst fraglich! Ich nickte unwillkürlich, denn ich stimmte mit dieser Beurteilung überein. Auch Chipol hatte begriffen, was dieses Geräusch bedeutete, und sein Lächeln verschwand wie weggewischt. Er wollte etwas sagen, doch die Worte erstarben auf seinen Lippen und er blieb mit offenem Mund stehen, als er sah, was in dem kleinen Tal vor uns im selben Augenblick geschah. Plötzlich wimmelte es dort nur so von den Personen, die wir bis
dahin noch vermißt hatten! Sie kamen aus den Zelten gestürzt und eilten von den Seiten heran, und dann begannen sie mit einer fast hektischen, aber doch planmäßigen Arbeit. Leinen wurden gelöst und daran gezogen, auf den höchsten Punkten der Zelte befestigte Bündel lösten sich und schwirrten durch die Luft. Das Ganze dauerte nur Sekunden, dann war es geschafft: das gesamte Tal war von einem Tarnnetz überzogen! Dieses wies zwar hier und da Lücken auf, doch es reichte vollkommen aus, um die Zelte gegen Sicht von oben zu schützen. Diesmal verzichtete der Extrasinn auf einen Kommentar, denn die Folgerung daraus lag auf der Hand. Die Talbewohner wollten mit allen Mitteln verhindern, daß sie vom Raumschiff aus entdeckt wurden – die Wesen darin mußten also zwangsläufig ihre Feinde sein! Ebenso zwangsläufig warf sich nun aber auch die Frage auf, ob das gut oder schlecht für uns war. Doch ich kam erst gar nicht dazu, darüber nachzudenken, denn die dritte Überraschung folgte im nächsten Augenblick. Sie kam von Chipol, denn dieser stieß mich an. Seine Augen waren weit aufgerissen und schimmerten intensiv blau, sein Gesicht war bleich und verzerrt, und er schnappte keuchend nach Luft. Endlich fing er sich wieder, und dann stöhnte er fassungslos: »Das da vorn … das sind Daila, Atlan!« Nun war ich damit an der Reihe, sprachlos zu sein, denn mit so etwas hatte ich wirklich nicht gerechnet. Ich strengte meine Augen an, kam jedoch nicht zu einem gültigen Schluß und fragte: »Bist du dir da auch ganz sicher, Junge?« Chipol nickte eifrig und sah mich fast empört an. »Natürlich, ich erkenne doch Leute meines Volkes, wenn ich sie auf diese Entfernung sehe! Du würdest doch wohl auch wissen, ob du Arkoniden oder Terraner vor dir hast, nicht wahr?« Ein gutes Argument, denn so war es wirklich immer gewesen. Überdies stach die große Menschenähnlichkeit der Talbewohner bei genauem Hinsehen auch ins Auge. Die Daila mit ihrer
bräunlichen Hautfarbe hätten ohne weiteres Bewohner Südasiens oder der Inseln dieser Region auf der Erde sein können, die rassischen Merkmale stimmten weitgehend überein. Hier aber erneut auf echte Menschen zu stoßen, wie seinerzeit in Alkordoom auf die Celester, war mehr als unwahrscheinlich, deshalb hatte ich diese Möglichkeit erst gar nicht ins Kalkül gezogen. Genauer gesagt – du hast überhaupt nicht richtig nachgedacht! spöttelte mein Extrasinn prompt. Dabei bist du nicht nur auf der Suche nach Daila, sondern zuletzt täglich mit ihnen zusammengewesen. Manchmal siehst auch du den Wald vor lauter Bäumen nicht. »Spiel dich nicht so auf!« gab ich abfällig zurück. Dann konzentrierte ich mich ganz auf die Leute im Tal. Sie standen nun in kleinen Gruppen herum und spähten durch die Lücken im Tarnnetz nach oben. Das Raumschiff war nun als blitzender Punkt zu sehen, der rasch kleiner wurde, und damit fiel auch mir ein Stein vom Herzen. Es zog so weit westlich vorbei, daß es die GHYLTIROON inmitten der umgebenden Felswände unmöglich orten konnte, und entschwand innerhalb kurzer Zeit den Blicken. Dieser Startkurs schien nicht sehr oft eingeschlagen zu werden, denn die Talbewohner begannen daraufhin sofort, die Tarnung wieder zu beseitigen. Ja, der Junge hatte recht, es waren wirklich Daila, und nach dieser Feststellung war es bis zu einer zweiten nicht mehr weit. Daila, so weit von ihrer Heimat entfernt, das konnte nur eines bedeuten: Hier lebten Mutanten, die einst ihrer Psi-Gaben wegen verstoßen worden waren! Vielleicht schon vor Jahrhunderten, sie waren schließlich auf dieser Welt gelandet, aber gut schien es ihnen seitdem wirklich nicht ergangen zu sein. Darauf ließ nicht nur der Umstand schließen, daß sie hier weitab jeder Zivilisation lebten und sich bemühten, der Entdeckung durch die eigentlichen Planetenbewohner zu entgehen. Der Zustand ihrer Zelte sagte dasselbe aus, und der ihrer Bekleidung ebenso. Ich sah Männer, Frauen und einige Kinder, sie alle trugen der Hitze wegen
nicht mehr als eben nötig. Doch auch dieses wenige war abgerissen und schäbig und ich schüttelte den Kopf. Mutanten mit Fähigkeiten, die sich gegenseitig ergänzten, waren normalerweise allen »gewöhnlichen« Lebewesen weit überlegen. Sie waren geradezu dazu prädestiniert, trotz ihrer Minderzahl diesen gegenüber die beherrschende Rolle zu spielen, hier aber schien genau das Gegenteil der Fall zu sein. Weshalb wohl nur …? Hingehen und fragen! sagte der Extrasinn lakonisch. »Glaubst du mir nun endlich?« kam es gleichzeitig von Chipol, und ich nickte kurz. »Es sieht ganz so aus, als wären wir per Zufall endlich fündig geworden, nur die Umstände gefallen mir gar nicht. Diese Daila sind offenbar hier nicht viel besser dran, als damals deine Familie auf Joquor-Sa. Eher noch schlechter, sonst würden sie nicht hier in der Wildnis hausen und sich verstecken, nur in bessere Lumpen gekleidet. Es sieht eher aus, als brauchten sie selbst Hilfe, statt uns und Aklard solche geben zu können.« »Na und? Dann helfen wir ihnen eben!« Die Augen des Jungen blitzten mich an, er machte Anstalten, ohne alle Vorsicht loszustürmen, ins Tal hinein. Ich hielt ihn jedoch auf und schüttelte energisch den Kopf. »Nicht, daß ich grundsätzlich etwas dagegen einzuwenden hätte, so gut kennst du mich doch wohl inzwischen. Die Frage ist nur, ob und wie wir ihnen helfen können, schließlich sind wir selbst nicht besonders gut dran. Die GHYLTIROON ist beschädigt und kann vorerst nicht wieder starten – wenn wir Pech haben, vielleicht überhaupt nicht mehr! Es wäre also falsch, in diesen Leuten nun Hoffnungen zu wecken, deren Erfüllung mehr als ungewiß ist, nicht wahr?« Das Feuer in Chipols Augen erlosch. »Damit hast du allerdings recht«, gab er betreten zu. »So weit habe ich nicht gedacht, entschuldige bitte. Doch du hast Erfahrung in
solchen Dingen, was schlägst du also jetzt vor?« Ich steckte nun endlich die Waffe weg, die ich immer noch in der Hand hielt, und spähte wieder nach vorn. Im Tal war nun wieder Ruhe eingekehrt, die meisten Daila hatten sich verlaufen. Nur eine kleine Gruppe stand noch beisammen und schien zu beraten, in ihrer Mitte ein offenbar schon sehr alter Mann. Er war bestimmt einst von stattlicher Figur gewesen, doch jetzt waren seine Schultern gebeugt und das lange Haar fast weiß. Allem Anschein nach mußte er aber wohl eine Respektsperson sein, denn er führte meist das Wort. Schließlich machte er einige Gesten, die anderen nickten, und dann löste sich die Versammlung auf. Der Alte verschwand im nächsten Zelt, die übrigen griffen nach geflochtenen Körben, die in der Mitte dieses Lagers aufgestapelt waren. Es waren je vier Männer und Frauen, sie setzten sich nun in Bewegung und strebten in verschiedene Richtungen paarweise davon. Sie verlassen das Tal, um Nahrungsmittel oder sonstige Vorräte zu sammeln! kommentierte der Extrasinn. Ein ziemlich überflüssiger Hinweis, denn den gleichen Schluß hatte ich inzwischen selbst gezogen. In den Büschen und Bäumen ringsum, deren Laub hier eine mehr rötliche Färbung besaß, hingen Beeren und Früchte in verschiedenen Reifegraden, und zumindest ein Teil davon schien eßbar zu sein. Bei genauem Hinsehen merkte ich, daß hier früher bereits gepflückt worden war, demnach ernährten sich die Daila zumindest teilweise von diesem Obst. Und dann geschah etwas, das mir sehr gelegen kam: Eines dieser Paare kam direkt auf den Talausgang zu, an dessen Mündung wir uns befanden! Etwas Besseres konnte ich mir kaum wünschen, wenn ich Informationen über diese Leute erlangen wollte. Ich warf mich eilig zu Boden und zog Chipol mit mir. Einige hastig geflüsterte Sätze, der Junge begriff sofort und nickte, und dann warteten wir geduldig ab.
7. Es waren zwei junge Leute, die da auf uns zukamen, ein Mädchen und ein Mann. Beide waren dunkelhaarig und einander so ähnlich, daß ich sie sofort für Geschwister hielt, zwischen fünfundzwanzig und dreißig Normjahren alt. Sie trugen nur spärliche Bekleidung, und ich mußte unwillkürlich schlucken, als ich die guten Formen der jungen Daila sah. Ihr Anblick erinnerte mich fast schmerzhaft an Sarah Briggs und an die Zeit mit ihr. Sicher, die Ereignisse um sie, New Marion und die Celester waren meist turbulent und nicht gerade besonders angenehm gewesen, aber in der Erinnerung verblaßten unangenehme Dinge meist zuerst. Sie wurden ins Unterbewußtsein verdrängt, um den Geist zu entlasten, die kurzen Momente des Glücks traten dafür in den Vordergrund. Und wenn ich nun an Sarah dachte … Denke lieber nicht an sie! machte sich der Logiksektor scharf bemerkbar. Emotionen sind etwas für Jünglinge. Hier geht es um andere, bedeutend wichtigere Dinge, vergiß alles andere und konzentriere dich ganz auf sie. »Was verstehst denn du von Emotionen, du altes Ekel?« gab ich empört zurück. Doch ich kehrte, wenn auch widerwillig, in die Realität zurück. Eben noch rechtzeitig, denn die beiden Daila waren uns nun schon ganz nahe. Sie begannen damit, wenige Meter vor uns mit dem Pflücken von Beeren zu beginnen, Chipol sah mich fragend an, und ich nickte ihm aufmunternd zu. Ich zeigte mich vorerst nicht, er dagegen erhob sich und ging betont langsam auf den Durchgang zu dem Tal zu. Der junge Mann sah ihn zuerst und fuhr erschrocken zusammen, aber nur für einen Moment. Dann erkannte er, daß er einen Angehörigen seines Volkes vor sich hatte, entspannte sich und hielt
den Korb fest, der ihm zu entfallen drohte. »Beim Großen Geist, du hast mich vielleicht erschreckt«, sagte er vorwurfsvoll. »Du gehörst nicht zu unserer Siedlung, bist noch jung, aber viel besser gekleidet als wir … Kommst du vielleicht aus Karmenfunkel, sollst du uns eine Nachricht bringen?« Was war das nun wieder …? Der Begriff »Karmenfunkel« bezeichnete offenbar einen bestimmten Ort auf dieser Welt, nur wußte ich nichts von ihm. Chipol natürlich auch nicht, aber er schaltete schnell, wie schon so oft zuvor. Er setzte sein bewährtes entwaffnendes Lächeln auf und gab zurück: »Eine gute Nachricht sogar, wenn auch anders, als du jetzt wohl denkst. Ein anderer wird dir alles erklären, er heißt Atlan und ist nicht von hier, aber ein wirklich guter Freund.« Das war nicht zwischen uns abgesprochen, schließlich hatten wir nicht vorhersehen können, wie diese Leute reagieren würden. Doch der Junge hatte intuitiv erfaßt, worauf es hier ankam, den beiden Daila die erste Scheu genommen und zugleich mir das Stichwort gegeben. Ich kam nun ebenfalls aus meiner Deckung hervor, hielt beide Hände ostentativ zur Seite und lächelte ebenfalls. Diese Geste und Mimik wurde bei Hominiden aller Galaxien verstanden, und sie verfehlte ihren Zweck auch hier nicht. Nur für einen Augenblick erschien ein verwunderter Ausdruck auf den Gesichtern der jungen Leute. Sie erkannten mich als Fremden, atmeten aber trotzdem auf, und dann sagte das Mädchen mit einer wohlklingenden Altstimme: »Du bist zwar kein Daila, aber auch kein Nolier, das beweist schon deine Hautfarbe allein. Wir wissen zwar nicht, wie du auf diesen Planeten gelangt bist, doch wenn dich jemand aus unserem Volk als seinen Freund bezeichnet, genügt uns das. Welche Botschaft oder Nachricht willst du uns überbringen?« Diese beiden akzeptierten mich also, und damit lief alles weit besser, als ich erhofft hatte. Ich ließ die Hände wieder sinken, nickte
ihnen zu und sagte dann im Idiom der Daila: »Das läßt sich nicht mit wenigen Worten sagen, denn es handelt sich um Dinge von großer Tragweite. Sie hier und jetzt mit euch zu erörtern, hätte wenig Sinn, ich müßte sie einem eurer Anführer vortragen, und das möglichst bald. Könnt ihr mir dazu verhelfen?« »Das wollen wir gern tun«, versicherte der junge Mann sofort, »Früchte können wir auch noch später sammeln. Pfarnybol wird aufs höchste erfreut sein, es geschieht nur äußerst selten, daß er auch einmal eine gute Nachricht erhält.« Ich verzichtete darauf, ihm zu erklären, daß hier von »gut« wohl kaum die Rede sein konnte, und nannte statt dessen Chipols und meinen Namen. Wir setzten uns in Bewegung, und ich erfuhr, daß die beiden tatsächlich Bruder und Schwester waren. Mendya war ein Jahr älter als Darnkol, beide gehörten der Sippe Hiryum an, die dieses Tal bewohnte. Sie zählte rund hundertzwanzig Köpfe, Pfarnybol war der Älteste; es handelte sich dabei um den Weißhaarigen, den wir zuvor schon gesehen hatten. Natürlich versuchten die beiden, schon jetzt möglichst viel von uns zu erfahren, doch ich vertröstete sie auf später. Chipol tat ein übriges, drehte den Spieß um und fragte sie seinerseits über die Verhältnisse aus, unter denen sie hier lebten. Sie antworteten bereitwillig, und aus ihren Worten ergab sich ein geradezu trostloses Bild. Auch diese Daila waren einst von Aklard verbannt worden, weil es Mutanten in ihren Reihen gab. Nicht allzu viele im Gegensatz zu den Sayums, aber das hatte schon genügt; die Oberen hatten auch die Hiryums kurzerhand in ein Schiff gesetzt, etwa vierzig Personen. Fast gleichzeitig hatte es auch zwei andere Sippen getroffen, ihre Anführer hatten sich abgesprochen, und sie waren gemeinsam auf die Reise ins Ungewisse gegangen. Das lag jetzt zwischen zwei- und dreihundert Jahren zurück, das genaue Datum war längst in Vergessenheit geraten. Jedenfalls waren auch diese Verfemten lange auf der Suche nach einer neuen
Heimat gewesen, aber ohne Erfolg. Schließlich gingen ihre Vorräte zu Ende, und sie mußten hier auf Nolien landen, ob es ihnen nun gefiel oder nicht; ein bereits bewohnter Planet war eigentlich nicht ihr Ideal gewesen. Doch den Noliern gefiel das noch viel weniger, das hatte sich sehr bald gezeigt. Bald nach der Landung im unbesiedelten Teil des großen Kontinents Perstik waren die drei Schiffe von ihnen angegriffen und zerstört worden, die Daila hatten nicht viel mehr als ihr nacktes Leben retten. können. Sie waren hierher ins Gebirge geflohen, und ihre Nachkommen hausten immer noch hier, in primitiven Zelten und Höhlen, nahe dem Existenzminimum. Chipol war entsetzt, als er das erfuhr, und stellte noch weitere Fragen. Die Antwort darauf erhielt er jedoch nicht mehr, denn wir waren inzwischen in der Siedlung angelangt, und unser unvermutetes Auftauchen kam einer Sensation gleich. Erregte Rufe flogen hin und her, die Talbewohner strömten nur so aus ihren Zelten und den in den Randfelsen gelegenen Kavernen. Ihnen ging es wirklich schlecht, das war nun aus der Nähe erst richtig zu erkennen. Nicht nur ihre Bekleidung war mangelhaft, das gleiche mußte auch für ihre Ernährung gelten. Vor allem die älteren Leute waren durchweg erschreckend mager, und ich wußte auch, warum. Die Jungen erhielten die meiste Nahrung, denn sie mußten bei Kräften bleiben, um wiederum Lebensmittel heranschaffen zu können; all dies kannte ich aus meiner langen Erfahrung. Dann erschien auch Pfarnybol, und sofort wurde es ringsum still. Er musterte Chipol und mich zunächst stumm, nur das Aufleuchten seiner bläulichen Augäpfel verriet seine innere Erregung. Und da war noch etwas – ich spürte eine mentale Berührung in meinem Hirn. Der Alte ist ein Mutant! sagte mein Extrasinn sofort. Offenbar ein Telepath, aber kein besonders starker, und an dir wird er sich ohnehin seine letzten Zähne ausbeißen, denke ich. Das galt natürlich nur im übertragenen Sinn, doch da traf es in
vollem Ausmaß zu. Ich war seit langem mentalstabilisiert und somit geistig »tot« für jeden nur durchschnittlichen Telepathen. Der Alte war ohne jede Chance, und das merkte er auch sehr bald. Der tastende »Finger« zog sich aus meinem Hirn zurück, Pfarnybols Augen richteten sich nun auf Chipol. Doch auch bei ihm schien er nichts ausrichten zu können, das zeigte mir der ratlose Ausdruck, der gleich darauf in seinen Zügen erschien … Besaß der Junge, als einziger »Außenseiter« einer Sippe, die nur aus Mutanten bestand, vielleicht so etwas wie eine natürliche, ihm selbst unbewußte Gedankensperre? Unmöglich war das nicht, und ich war nicht imstande, das irgendwie festzustellen. Ich tat so, als hätte ich nichts bemerkt, deutete eine Verneigung an und sagte ruhig: »Ich grüße dich, Pfarnybol, Oberhaupt der Hiryum-Sippe! Zwar muß ich deinen Augen als Fremder erscheinen, aber ich bin ein Freund aller Daila, das versichere ich dir. Mein junger Begleiter stammt selbst aus deinem Volk auf Aklard, er kann das voll bestätigen.« »Ihr … ihr kommt von der Heimatwelt?« fragte der Alte verblüfft und erleichtert zugleich. »Das ist kaum zu glauben, nachdem man unsere Vorfahren einst … aber das spielt jetzt schon keine Rolle mehr. Es muß wohl so sein, also heiße ich euch im Namen meiner leidgeprüften Sippe willkommen. Ihr wollt uns eine Nachricht von Aklard überbringen, nicht wahr?« Das hatte er zweifellos aus Darnkols und Mendyas Gedanken, denn er hatte noch nicht mit ihnen gesprochen. Ich tat jedoch so, als wäre mir nichts dergleichen aufgefallen, und nickte lächelnd. »So ist es, Pfarnybol! Doch derart wichtige Dinge soll man nie stehenden Fußes bereden, schon gar nicht in der vollen Hitze einer sengenden Sonne. Der Schatten eines Zeltes und ein kühler Schluck erfrischenden Wassers wäre da weit eher angemessen, nicht wahr?« Mochte der Alte auch kein guter Telepath sein, begriffsstutzig war er jedenfalls nicht. Er deutete meine Worte sofort richtig, neigte den
Kopf und machte eine einladende Handbewegung. »So ist es, Atlan«, sagte er und lächelte zurück. »Tretet ein in mein bescheidenes Zelt, etwas Besseres kann ich euch leider hier nicht bieten. Meine Kinder werden für das Wasser sorgen, es ist so ziemlich das einzige, woran hier kein Mangel herrscht.« Seine Kinder – das waren Mendya und Darnkol! Diese beiden legten nun die Körbe weg, nahmen statt dessen Krüge und entfernten sich zum Bach hin. Wir anderen betraten indessen das Zelt, das mehr als spartanisch eingerichtet war.
* Ich berichtete knapp, aber ausführlich, wie es jetzt auf Aklard aussah, und der Alte schloß erschüttert die Augen. »Das ist ja entsetzlich!« sagte er dann tonlos. »Sicher, man hat unsere Vorfahren auf der Heimatwelt nicht eben gut behandelt, doch irgendwie kann ich die Oberen dort trotzdem verstehen. Leute mit Psi-Fähigkeiten waren für sie ebenso ein Störfaktor, wie wir es jetzt für die Nolier sind, die uns in die Wildnis und damit in die Armut getrieben haben.« »Ihr empfindet also keinen Groll gegen Aklard mehr?« fragte ich verwundert, und Pfarnybol nickte. »Den hat es eigentlich nie gegeben«, erklärte er. »Heimat bleibt eben Heimat, wenn auch schon viel Zeit seit der Verbannung unserer Voreltern vergangen ist. Zwar kann ich hier nur für meine eigene Sippe sprechen, aber die übrigen denken genauso, dessen bin ich ganz sicher.« Mendya füllte abgegriffene Plastikbecher mit Wasser, sie und ihr Bruder nahmen ebenfalls an der Unterredung teil. Dann erhoben sich zwei der Becher unvermutet in die Luft und schwebten über den Tisch zu mir und Chipol herüber! Eine kleine Demonstration der Psi-Gabe des Mädchens, ich nickte anerkennend und lächelte ihr
zu, griff nach dem Gefäß und trank. Dieses kleine Zwischenspiel weckte auch Chipols Lebensgeister wieder, dem deutlich anzusehen war, wie sehr ihn das schlimme Los seiner Rassegefährten bedrückte. »Welche übrigen?« erkundigte er sich, und diesmal kam die Antwort von Darnkol. »Hier leben insgesamt neun Sippen, die sich im Laufe der Zeit aus den Besatzungen der drei Schiffe gebildet haben. Sie sind über ein größeres Gebiet des Gebirges verstreut, es mögen insgesamt ungefähr 1200 Personen sein. Das ist nicht viel, aber mehr ernährt diese karge Gegend nicht.« »Ehrlich gesagt, eines verstehe ich nicht ganz«, warf ich nun ein. »Unter euch gibt es doch immer noch Mutanten, das hat mir Mendya eben erst bewiesen. Weshalb haben diese ihre Fähigkeiten nicht in irgendeiner Weise benutzt, um auf die Planetarier einzuwirken und euch so bessere Lebensbedingungen zu schaffen?« Der Alte lächelte bitter. »Du kennst eben die Nolier noch nicht, Freund Atlan! Sie gleichen uns zwar körperlich bis auf die Hautfarbe weitgehend, doch Fremde mögen sie einfach nicht. Jeder Versuch unserer Leute, in Kontakt mit ihnen zu treten, wurde von ihnen kalt und arrogant abgewehrt, man trieb die Daila gewaltsam hierher zurück. Sie leben in ihren Städten gut und luxuriös, aber was mit uns geschieht …« Seine Stimme versagte, und ich nickte mitfühlend. Rassismus in allen Spielarten hatte ich oft genug kennengelernt, schon auf Arkon, und später unter anderem auch auf der Erde. Ich wollte eine neue Frage stellen, doch Mendya kam mir zuvor. »Die Nolier könnten fast Daila sein, auch ihre Sprache ähnelt der unseren sehr – ihre Haut dagegen ist fast dunkelblau! Und es klingt fast wie ein Witz, aber sie haben eine extreme, fast krankhafte Schwäche für Psi-Begabte aller Art … Diese werden bei ihnen wie Helden verehrt und hoch dafür entlohnt, wenn sie vor großem Publikum ihre Künste zeigen. Allerdings nur, wenn sie die richtige
Hautfarbe haben, und so waren unsere Mutanten immer chancenlos.« Waren! hatte sie gesagt, aber ich hatte in meinem langen Leben gelernt, auch aus solchen Nuancen meine Schlüsse zu ziehen. Deshalb hakte ich nun sofort ein und fragte: »Das hat sich jedoch offenbar inzwischen geändert, nicht wahr?« Die Daila sahen mich überrascht an, vermutlich fragten sie sich jetzt, ob ich ebenfalls telepathische Gaben besaß. Ich schüttelte aber nur den Kopf, sie deuteten es richtig, und daraufhin ergriff Darnkol wieder das Wort. »Natürlich haben unsere Leute immer wieder versucht, ihre eigenen Psi-Talente getarnt bei den Noliern einzuschmuggeln, Atlan. Doch das ging nie gut, wir besaßen nicht die richtigen Mittel, um ihre Haut dauerhaft blau zu färben. So wurden sie früher oder später als Daila entlarvt, zusammengeschlagen und zu uns zurückgejagt. Das hat sich aber im letzten Jahrzehnt geändert – jetzt haben wir endlich das Mittel!« »Chemisch oder natürlich?« erkundigte ich mich gespannt. »Natürlich«, erklärte Pfarnybol knapp. »Du hast bestimmt auch schon bemerkt, daß hier in den Bergen die meisten Gewächse blaues Laub aufweisen. Das ändert sich aber mit abnehmender Höhe, hier beginnt bereits der Übergang zur rötlichen Färbung in den Ebenen, vermutlich durch die Einstrahlung der Sonne Horfax bewirkt. Das brachte eine Frau aus einer anderen Sippe auf den richtigen Gedanken, und sie entdeckte schließlich eine bestimmte Pflanze. Wir haben ihr den Namen Blauwurz gegeben, denn aus ihren Wurzeln läßt sich ein Extrakt gewinnen, nach dessen Genuß ein Daila über einen längeren Zeitraum hinweg eine blaue Hautfarbe besitzt!« Auf seinen Zügen erschien nun erstmals ein Lächeln, ich begriff und lächelte zurück. »Und mit Hilfe dieses Extrakts ist es euch nun doch gelungen, Mutanten bei den Noliern einzuschleusen«, folgerte ich, und Mendya nickte.
»So ist es«, erwiderte sie stolz. »Unsere besten Psi-Begabungen leben jetzt unerkannt in verschiedenen Städten, sie werden für echte Nolier gehalten und feiern in den großen Palästen wahre Triumphe! Leider ist die Blauwurz ziemlich selten, andernfalls wäre ich nun auch schon drüben in Karmenfunkel.« »Karmenfunkel ist die bedeutendste Stadt dieser Welt«, ergänzte Darnkol auf meinen fragenden Blick hin. »Von dort ist vorhin auch das Raumschiff gestartet, aber solches geschieht nicht sehr oft. Die Nolier pflegen fast keinen Verkehr mit anderen Völkern, ihres bekannten Dünkels wegen; nur ein kleiner Kreis von Forschern oder Prospektoren interessiert sich für andere Welten. Davon abgesehen ist es mir nur recht, daß Mendya nicht in eine der Städte gehen konnte. Die ›Psi-Helden‹ werden dort von ihren Managern fast wie Gefangene gehalten, diese streichen den meisten Gewinn ein.« »Dann bringt euch ihre Existenz also praktisch keine Hilfe?« fragte Chipol enttäuscht. »Sie tun für uns, was sie nur können«, korrigierte Pfarnybol. »Es gelingt ihnen immer wieder, uns Bedarfsgüter zukommen zu lassen, die dann unter den Sippen aufgeteilt werden und uns das Leben hier erleichtern. Das meiste verschafft uns Saylimandar, er stammt aus unserer Siedlung und ist ein Multi-Talent. Vor allem Teleporter, als solcher kann er unauffällig verschwinden – weißt du, was das bedeutet, Atlan?« Und ob ich das wußte! Mein fotografisches Gedächtnis lieferte mir auf dieses Stichwort hin sofort alle einschlägigen Daten von Ras Tschubai über Tako Kakuta bis zum Mausbiber Gucky. Ich mußte es gewaltsam bremsen, um mich nicht in Erinnerungen zu verlieren. Inzwischen hatte ich jedoch einige Zeit verloren, denn als ich wieder voll da war, sagte Mendya gerade: »… wird morgen früh wieder hier erscheinen, sofern nicht etwas dazwischenkommt. Dann könnt ihr mit ihm reden, ihm alle Fakten in bezug auf Aklard mitteilen und mit ihm beraten, wie wir eventuell der Heimatwelt helfen können.«
Chipol sah mich besorgt an, er hatte als einziger meine kurze geistige »Abwesenheit« bemerkt. Ich nickte ihm unauffällig zu, wandte mich dann an Pfarnybol und erklärte: »Ich werde mich sehr freuen, dann hier mit ihm zusammenzutreffen können. Bis dahin ist aber noch viel Zeit, und unsere Gefährten in der GHYLTIROON würden sich Sorgen machen, wenn wir gar zu lange ausblieben. Deshalb werden wir zwei nun unser Fahrzeug aufsuchen und zum Schiff zurückfliegen. Morgen kommen wir dann wieder hierher und sprechen eingehend mit Saylimandar; einverstanden?« »So wird es am besten sein«, stimmte der Alte zu. »Ich werde dann umgehend Boten zu den anderen Sippen entsenden, die deren Anführer unterrichten. Ich preise den Großen Geist, der bewirkt hat, daß ihr gerade hier gelandet seid! Vielleicht leitet das eine Wende zum Besseren ein, für uns wie auch für Aklard.« Ich lächelte etwas säuerlich, denn der »Große Geist« waren in Wirklichkeit die Stahlmänner der Hyptons gewesen, und das mit der »Wende« war auch noch höchst ungewiß. Alles hing davon ab, ob die Besatzung der GHYLTIROON das Schiff wieder voll flugfähig machen konnte – gelang das nicht, saßen wir auf Nolien fest! Doch es war jetzt wirklich nicht angebracht, Pessimismus unter den Daila zu verbreiten; also sagte ich nur einige neutrale Sätze, dann verließen wir das Zelt und traten den Rückweg zum Gleiter an.
8. Diesmal brauchten wir uns nicht mehr zu verbergen, und so kamen wir viel schneller voran. Chipol sah immer wieder zum Tal zurück, dort hatten sich alle Bewohner um Pfarnybol geschart und wurden nun von ihm unterrichtet. Ich wandte mich ebenfalls um und sah
Mendya, sie blickte uns nach und winkte, und wieder machte mir der Anblick ihrer Weiblichkeit zu schaffen. Doch mein Extrasinn hatte schon recht, jetzt war wirklich nicht die richtige Zeit für solche Dinge. Das änderte jedoch nichts daran, daß ich ein lebhaftes Bedauern empfand, aber auch davon lenkte mich Chipol bald wieder ab. »Wir müssen alles tun, um diesen Leuten zu helfen, Atlan! Ihnen fehlt es nicht nur an Lebensmitteln, sondern auch sonst fast an allem, das wir im Überfluß haben. Wenn wir morgen eine der beiden Rettungskapseln benutzen und bis obenhin vollpacken, wäre schon eine ganze Menge erreicht.« »Du bist zwar ein schlauer Knabe, aber offenbar hast du vorher nicht gut zugehört; die Kapseln sind für solche Flüge nur schlecht geeignet«, erinnerte ich ihn. »Wir würden also riskieren, mit so einem Ding abzustürzen – dann wären wir erstens beide tot, und die Hilfe wäre auch illusorisch! So geht es also nicht.« »Es muß aber etwas für die Daila geschehen«, beharrte der Junge, ich überlegte kurz und nickte. »Natürlich, und dafür gibt es auch eine andere Möglichkeit: wir nehmen morgen einen der beiden Transporter, die im Hangar stehen. Sie fassen zwar nicht soviel, lassen sich aber auch innerhalb der Atmosphäre steuern; zufrieden damit?« Er stimmte begeistert zu, mir war dagegen klar, daß diese Hilfe kaum mehr als eine Geste des guten Willens sein konnte. Auf dieser Welt lebten weit über tausend Daila, und selbst wenn wir sämtliche Vorräte aus der GHYLTIROON zu ihnen schaffen würden, war damit so gut wie nichts erreicht. Sehr richtig, meldete sich nun auch der Extrasinn. Außerdem könnt ihr es euch gar nicht leisten, das Schiff derart zu entblößen, ihr habt schließlich noch weitere Flüge vor euch. Die Leute haben bis jetzt auch ohne eure Hilfe überlebt, nicht wahr? Mein »zweites Ich« dachte wieder einmal ausschließlich logisch und pragmatisch, und in gewisser Hinsicht hatte es auch recht. Das
änderte jedoch nichts an meiner Absicht, also verzichtete ich auf eine Entgegnung, und bald darauf hatten wir den Gleiter erreicht. In ihm herrschte eine Hitze wie im Backofen, die Sonne meinte es auch an diesem Tag wieder etwas zu gut. Ich öffnete die Kabine und wartete einige Minuten, dann war es darin wieder auszuhalten und wir traten den Rückflug an. In der GHYLTIROON war es angenehm kühl, und ihre Besatzung machte gerade Mittagspause. »Wie steht es mit den Reparaturen?« erkundigte ich mich bei Norgis. Er lächelte düster und zuckte mit den Schultern. »Einesteils gut, andererseits schlecht, Atlan. Haben getan, was wir konnten, Normalantrieb ist wieder klar. Lineartriebwerk aber nicht, alle Felderregerspulen sind ausgebrannt! Können von uns nicht erneuert werden, sind aus Iridium und Ersatz dafür fehlt.« Das war eine ziemliche Hiobsbotschaft. Iridium war ein Schwermetall der Ordnungszahl 77, spezifisches Gewicht 22,4, Schmelzpunkt 2240 Grad; diese Angaben lieferte mir mein fotografisches Gedächtnis automatisch. Daneben aber auch den Hinweis, daß es immer nur in Verbindung mit Platin vorkam, also ebenso selten war! »Wieviel brauchen wir davon?« fragte ich. Ganno stellte sein Eßgeschirr weg, ging hinüber zu einem kleinen Computer und tippte auf einige Sensoren. »Neunzehn Sovis«, erklärte er dann, ich rechnete das dailanische Maß auf irdische Werte um und kam auf fast genau acht Kilogramm heraus. Acht Kilo Iridium …bei seiner Dichte also ein Ball, den man ohne Schwierigkeiten mit beiden Händen umfassen konnte. Zugleich aber auch ein Ball, der schwerer wog als die ganze GHYLTIROON, das war mir augenblicklich klar! Niemand von uns wußte, wo dieses Metall – falls überhaupt! – hier auf Nolien zu finden war. Und selbst wenn wir das gewußt hätten, wäre uns damit noch immer nicht geholfen gewesen … Um das nötige Roherz zu gewinnen, brauchte man spezielle
Abbauanlagen, danach wieder besondere Schmelzöfen mit Katalysatoren, um es vom Platin zu trennen. Wir besaßen aber weder diese noch die nötige Erfahrung – somit war unsere Situation praktisch aussichtslos! Das erklärte ich der Crew mit dürren Worten, und dann herrschte einige Zeit totales Schweigen in der Zentrale. Schließlich hob der Ingenieur den gesenkten Kopf und sah mich an. »Wir haben vor einigen Stunden bemerkt, daß ein Raumschiff von diesem Planeten gestartet ist. Das bedeutet doch, daß es hier Wesen mit einer fortgeschrittenen Technik gibt, nicht wahr? Unter diesen Umständen sollte es doch möglich sein, von ihnen die nötige Menge Iridium zu bekommen, meine ich.« Ich rang mir ein humorloses Grinsen ab. »Möglich schon – aber nur rein theoretisch, Ganno! Die Nolier sind nämlich ein besonders arrogantes Volk und betrachten jeden als minderwertig, der nicht wie sie eine blaue Hautfarbe besitzt. Daß sie uns auch bei einer entsprechenden Gegenleistung die nötige Menge Iridium überlassen würden, ist deshalb nicht zu erwarten, und dazu zwingen können wir sie erst recht nicht, wie jetzt die Dinge liegen.« Erneut Ernüchterung und resigniertes Schweigen, aber dann platzte Chipol heraus: »Weshalb sollten wir überhaupt bei diesen blöden Noliern betteln gehen? Schließlich sitzen doch die DailaMutanten überall in ihren Städten – wenn sie können, werden sie uns helfen, davon bin ich überzeugt!«
* Das schlug wie eine Bombe ein. Die Raumfahrer zuckten zusammen und sahen uns wie Wunderwesen an, sekundenlang verschlug es ihnen den Atem. Dann fragte Mallosh rauh und unverkennbar vorwurfsvoll: »Ihr
seid hier also tatsächlich auf andere Daila gestoßen? Warum habt ihr das nicht gleich gesagt?« Nun begannen auch die anderen zu reden, und für eine Weile war in der Zentrale fast der Teufel los. Freude und Erleichterung stand in allen Gesichtern, und ich ließ den Männern Zeit genug, um sich abzureagieren. Erst dann hob ich die Hand und gebot Ruhe. »Ich wollte zuerst wissen, wie es um das Schiff steht, und das nicht ohne Grund. Wäre es wieder in Ordnung gewesen, hätten wir die Prioritäten anders setzen können, als dies jetzt der Fall ist, das seht ihr doch wohl ein.« »Wie gut, daß es einen gibt, der für uns alle denkt«, kam es von Raegul. Sein Arm schien bereits wieder halbwegs in Ordnung zu sein, denn er trug keine Schlinge mehr, und sofort war auch seine lose Zunge wieder obenauf. »Würdest du so gütig sein, uns wenigstens jetzt zu informieren, oder ist das zuviel verlangt?« »Der Splitter hätte sein Mundwerk treffen sollen!« murrte Chipol leise, aber ich winkte nur ab. Dann unterrichtete ich die Männer ausführlich, und als sie hörten, unter welch harten Bedingungen die Nachkommen der Verbannten hier lebten, schwand bald die Freude aus ihren Gesichtern. »Was mögen diese Nolier nur für Unmenschen sein!« sagte Trom mit deutlichem Abscheu. »Es hätte ihnen doch wirklich nichts ausgemacht, ein paar hundert Daila auf ihrer Welt zu tolerieren, notfalls auch in einer Art von Reservat, das ihnen bessere Bedingungen, bot. Ob sie wirklich meinen, etwas Besseres zu sein, allein ihrer blauen Hautfarbe wegen?« Ich lächelte schief. »Wundert dich das noch? Schließlich seid ihr auf Aklard mit den Mutantensippen ähnlich intolerant umgegangen!« erinnerte ich ihn. »Und diese waren nicht einmal Fremde, sondern gehörten zu eurem eigenen Volk … Wäre es anders gewesen, hätten eure Leute jetzt wohl erheblich weniger Sorgen, und wir brauchten nicht diese lange und gefahrvolle Suchexpedition durchzuführen. Gut, lassen wir das
jetzt ruhen, einmal Geschehenes läßt sich nicht mehr rückgängig machen. Statt dessen müssen wir zusehen, das Beste aus alldem zu machen, und das möglichst schnell.« »Stimmt«, bemerkte der Kommandant lakonisch. »Du meinst also, die als Nolier getarnten Mutanten könnten uns eine Hilfe sein?« »Ganz sicher ist das nicht«, schränkte ich ein. »Nach dem, was ich von Pfarnybol erfahren habe, werden alle Psi-Talente zwar fast wie Götter verehrt, aber von ihren Managern derart beschützt, daß sie nur bessere Leibeigene sind. Das läßt mich vermuten, daß ihre Begabungen nicht allzu stark ausgeprägt sind, sonst hätten die verkappten Daila ihre »Wohltäter« oder andere wichtige Personen unmerklich in ihrem Sinn beeinflussen können.« »Und dieser eine … wie heißt er noch?« fragte Ganno. »Saylimandar, nach den Worten des Alten ist er ein Multi-Talent. Wie gut er wirklich ist, kann ich natürlich nicht beurteilen, er kann aber jedenfalls teleportieren, und das ist für uns schon eine ganze Menge wert. Er hat auch schon viel für seine Leute getan, und wenn er so denkt wie diese, müßte die Hilfe für Aklard auch bei ihm oberstes Gebot sein.« »Bleibt nur die große Frage, ob er die Möglichkeit hat, uns das Iridium irgendwie zu verschaffen!« seufzte der Funker. »Ganz einfach dürfte das auch für ihn nicht sein«, gab ich zu. »Showstars haben im allgemeinen kaum Verbindungen zu Personen aus Technik und Wissenschaft, und ein so seltenes Metall kann nur über sie zu bekommen sein. Doch das alles wird sich herausstellen, ich werde ausloten, wie groß seine Möglichkeiten sind.« »Du triffst ihn morgen früh, nicht wahr?« warf Raegul ein. »In der Siedlung der Hiryum-Sippe … wo liegt diese Tal eigentlich?« Das klang irgendwie lauernd, und ich dachte wieder daran, daß dem Piloten seit seinem Treffen mit den Hyptons nur bedingt zu trauen war. Der Extrasinn warnte mich zusätzlich durch einen Kurzimpuls, und ich trat Chipol heimlich auf die Zehen, ehe er voreilig etwas ausplappern konnte. Er begriff sofort, ich setzte eine
nachdenkliche Miene auf, zuckte dann aber mit den Schultern. »Irgendwo südlich, zwanzig oder dreißig Kilometer entfernt, aber genau kann ich das nicht sagen. Wir sind immer tief geflogen, um gegen eventuelle Ortungsanlagen gedeckt zu sein, und haben öfters die Richtung ändern müssen, dem Verlauf der Täler entsprechend. Eigentlich haben wir es nur Chipols Aufmerksamkeit zu verdanken, daß ich die Siedlung überhaupt gefunden habe, und wo die anderen liegen, weiß ich auch beim besten Willen nicht.« »Du hättest den Flugschreiber einschalten sollen«, sagte Trom, der nichts von meinem Argwohn ahnte, und ich hob entschuldigend beide Hände. »Das hättest du mir früher sagen müssen, dies war schließlich das erste Mal, daß ich den Gleiter geflogen habe. Bekanntlich ist man meist erst hinterher klüger, aber eine große Rolle spielt das für mich nicht. Ich habe einen guten Orientierungssinn, wo ich einmal gewesen bin, finde ich immer wieder hin.« Falls Raegul nun enttäuscht war, verbarg er das geschickt, sein Gesicht blieb unbewegt, und er kam nicht mehr auf das Thema zurück. Mehr gab es im Augenblick dazu auch nicht zu sagen, und ich wandte mich wieder an Norgis. »Ist es dir recht, wenn ich morgen früh Lebensmittel und andere wichtige Dinge zu euren Leuten in dem Tal bringe? Sie leiden nicht nur Hunger, es fehlt ihnen auch sonst an fast allem. Ich nehme dann einen der Transporter, in den Gleiter geht nicht viel hinein.« »Selbstverständlich, Atlan«, erklärte der Kommandant. »Nimm das Fahrzeug und auch sonst alles, was du denkst, wir haben genug davon an Bord. So, und damit genug geredet, es gibt noch viel für uns zu tun. Bis jetzt alles nur provisorisch geflickt, muß noch erheblich besser werden. Fangen wir gleich wieder an.«
*
Damit war die Pause beendet, die Crew ging erneut an ihre Arbeit. Chipol und ich waren dabei überflüssig, und ich spürte Hunger, denn ich hatte seit dem frühen Morgen nichts mehr gegessen. Ich schlug dem Jungen auf die Schulter und schob ihn auf den Ausgang zu. »So, das wäre ausgestanden, jetzt essen wir uns erst einmal so richtig satt. Und danach haben wir noch allerhand zu tun, wir müssen das Transportfahrzeug so vollpacken, wie es nur geht. Nicht nur die Leute in dem einen Tal brauchen Hilfe, alle übrigen ebenfalls.« Das brauchte ich nicht zweimal zu sagen. Eine halbe Stunde später waren wir gesättigt, und anschließend hatten wir wirklich alle Hände voll zu tun. Wir begutachteten den Inhalt der Vorratsräume der GHYLTIROON, luden vier kleine Container voll und schleppten sie zum Antigravschacht. Damit transportierten wir sie in den Hangar, und dann begann die Schlepperei erneut. Wir schwitzten beide, doch der Junge hielt sich hervorragend. Hier ging es um Leute aus seinem Volk, und zweifellos dachte er dabei auch an seine eigene Sippe, die nach wie vor verschollen war. Wir verstauten die Container auf der Ladefläche des Fahrzeugs, aber darauf blieb noch Platz. Also nochmals hinauf in die Lager, zwei weitere Behälter kamen an die Reihe, und das Spiel begann von vorn. Dann war der Transporter restlos ausgelastet, wir setzten uns auf sein Chassis und ruhten uns eine Weile aus. Schließlich sah ich auf die Uhr und stellte überrascht fest, daß der Nachmittag inzwischen bereits vorüber war. Ich erhob mich, aber Chipol blieb noch sitzen und sah mich nachdenklich an. »Ich weiß nicht, wie du darüber denkst, Atlan, aber dieser Raegul … er könnte etwas im Schilde führen! Vielleicht liege ich damit auch falsch, doch es könnte jedenfalls so sein, und dagegen sollten wir uns absichern.«
Der Junge hat recht! kommentierte mein Extrasinn, und ich nickte. »Gut, dann laß uns einmal überlegen. Sein Interesse in bezug auf das Tal der Daila kam mir ohnehin irgendwie verdächtig vor, es wäre durchaus möglich, daß er uns einen Strich durch die Rechnung machen will. Nun, dem läßt sich vorbeugen, indem wir die Steuerkabine des Transporters elektronisch sichern, und das Ladeabteil ebenfalls.« Ich besorgte beides und entfernte zusätzlich ein Element in der Steuerung des zweiten Fahrzeugs. Dann schickte ich mich an, bei dem Gleiter dasselbe zu tun, aber Chipol grinste und schüttelte den Kopf. »Falls Raegul wirklich abhauen will, dann weiß ich was Besseres! Er wird den Gleiter nehmen wollen, weil dieser schneller ist, und diesen Spaß sollten wir ihm gönnen. Nur müssen wir dafür sorgen, daß er damit nicht weit kommen kann, jedoch so, daß er das nicht sofort merken kann! Läßt sich das machen?« Ich war zunächst verblüfft, denn der Junge dachte weiter als ich, doch ich mußte ihm rechtgeben. Ich überlegte eine Weile. Dann hatte ich den richtigen Einfall, klappte das Heckteil des Gleiters auf und entfernte alle Energiezellen bis auf eine! Das Fahrzeug ließ sich nun immer noch normal starten und fliegen – aber höchstens zwanzig Kilometer weit. Dann setzte der Antrieb unweigerlich aus, es reichte gerade noch für eine Notlandung, zu mehr aber nicht. Falls Raegul wirklich noch unter dem Einfluß der Hyptons stand und etwas im Schilde führte, stand ihm danach ein langer Fußmarsch durch wegloses Gelände bevor. Schaden konnte er uns in diesem Fall kaum, dieser Gedanke beruhigte mich; ich schlug die Heckklappe wieder zu und klopfte Chipol anerkennend auf die Schulter. »Deine Idee war gut, wir werden ja sehen, was nun weiter geschieht. Falls nichts, haben wir Raegul unrecht getan, falls aber doch, wird er sein blaues Wunder erleben.«
»Wieso blaues Wunder?« meinte der Junge verständnislos. »Hat das etwas mit den Noliern zu tun?« »Nur eine alte terranische Redensart, weiter nichts. Komm, wir fahren jetzt wieder nach oben, morgen sehen wir weiter.« Im Steuerraum trafen wir nur Norgis und die beiden Techniker an, sie waren dabei, einige ausgefallene Bildschirme auszuwechseln und durch neue zu ersetzen. »Alles andere fertig, Atlan«, verkündete der Kommandant, und Ganno ergänzte: »Wir brauchen jetzt nur noch das Iridium, die Spulen können wir selbst anfertigen, in relativ kurzer Zeit.« »Sagtest du nur noch?« bemerkte ich leicht sarkastisch und ließ mich in einen Sessel fallen. »Wo stecken übrigens Mallosh und unser Sprücheklopfer vom Dienst?« Trom wies mit dem Daumen nach oben. »Sie sind durch eine der Notschleusen ausgestiegen und versuchen, die wichtigsten Antennen zu reparieren. Der Vorschlag kam von Raegul, er will, daß alles möglichst schnell in Ordnung kommt, damit er später keinen Blindflug antreten muß.« Helfen konnte ich den anderen nicht, also suchten Chipol und ich unsere Kabine auf. Wir nahmen eine Dusche und zogen frische Wäsche an, dann begaben wir uns wieder in die Zentrale. Draußen wurde es bereits dämmerig, wenig später erschienen auch Mallosh und Raegul, und der Funker nickte zufrieden. »So, das hätten wir! Die Ortungs- und Funkantennen sind ersetzt und die Zuleitungen in Ordnung; wir können gleich ausprobieren, ob die Geräte nun wieder voll funktionieren.« Eine halbe Stunde später stand fest, daß fast alle Instrumente wieder in Ordnung waren, bis auf einige unwichtige Sekundäranlagen. Die GHYLTIROON konnte also starten, sobald wir neue Erregerspulen besaßen, die Schußspuren auf ihrer Außenhülle beeinträchtigten die Flugfähigkeit nicht. Norgis sagte Feierabend an, die Werkzeuge wurden weggeräumt, und wir begaben uns in den Speiseraum.
Dort saßen wir noch eine Weile zusammen, und ich schilderte weitere Einzelheiten in bezug auf die Daila von Nolien. Dann machte sich der lange und arbeitsreiche Tag bemerkbar, den die Raumfahrer hinter sich hatten, und so suchten wir bald unsere Kabinen auf. Chipol wollte noch aufbleiben und sich Videospulen über Aklard ansehen, aber ich winkte ab. »Dazu ist auch morgen noch Zeit, Kleiner, jetzt wird geschlafen. Wir müssen früh aufbrechen, damit wir schon in der Siedlung sind, wenn Saylimandar dort erscheint.«
9. Irgendwann wurde ich halbwegs wach, drehte mich um und schlief sofort wieder ein. Doch es war ein unruhiger Schlummer. Ich hatte wirre Träume und glaubte in ihnen immer wieder, die Stimme Perry Rhodans zu hören, die nach mir rief. Schließlich fuhr ich wieder hoch und versuchte mich aufzurichten, aber es ging einfach nicht. Ich fühlte eine seltsame Schwäche in allen Gliedern, sank wieder zurück und schnappte keuchend nach Luft. Trotzdem wurde mir nicht besser, meine Pulse jagten, und trotz der Dunkelheit in der Kabine tanzten feurige Ringe vor meinen Augen. Mein Herz raste, in seine Schläge mischte sich das heftige Pulsieren des Zellaktivators, und dann drang die vermeintliche Stimme Rhodans durch dieses Chaos wieder in mein reduziertes Bewußtsein. »Du mußt aufwachen, Atlan!« forderte sie hart. »Komm zu dir und nimm eine Sauerstoffdusche, damit das Gift schnell neutralisiert wird. Nicht nur du bist in Gefahr, sondern auch alle anderen!« Noch begriff ich nichts, aber dieser Ruf weckte meinen Überlebensinstinkt. Mühsam stemmte ich mich hoch, erreichte irgendwie einen Sensorkontakt, und das Licht in der Kabine flammte auf.
Komm zu dir, Atlan! hämmerten die Impulse des Extrasinns in mein umnebeltes Hirn. Wenn du es nicht schaffst, sind die Raumfahrer und Chipol verloren, das Gift ist zu stark für sie. Nur du kannst ihnen noch helfen, aber in wenigen Minuten ist es schon zu spät! Die Raumfahrer … und Chipol … wer mochte das nur sein …? Ich wußte es nicht mehr. Ich vernahm wohl die Begriffe, doch sie weckten keine Assoziationen in meinem gelähmten Gehirn. Irgendwie kam ich aber doch wieder hoch, vom Instinkt dirigiert, und mein Körper reagierte fast roboterhaft. Wie ein fehlgesteuerter Roboter allerdings, ich fiel vor dem Bett zu Boden und blieb sekundenlang dort liegen. Der Extrasinn peitschte mich wieder hoch und wies mir die Richtung. Auf allen vieren kroch ich voran, sah dann schemenhaft eine Tür vor mir und zog mich an ihrem Griff hoch. Taumelnd kam ich wieder auf die Beine, ich schwankte wie ein total Betrunkener, schaffte es dann aber doch diese Tür zu öffnen. Mein Zellaktivator leistete Schwerstarbeit, die Nebel vor meinen Augen lichteten sich, und ich erkannte die Raumanzüge in dem offenen Schrank. Den Sauerstoff – schnell! schrie der Extrasinn. Unsicher streckte ich die Rechte aus, die Linke stützte sich an den Türrahmen und bewahrte mich vor einem neuen Fall. Dann hatte ich plötzlich eine Sauerstoffmaske in der Hand, preßte sie vor Mund und Nase und öffnete rein instinktiv ihr Ventil. In tiefen Zügen pumpte ich das belebende Gas in meine Lungen, und das half. Ich war noch immer sehr schwach, aber mein Gehirn begann wieder einigermaßen normal zu arbeiten, und damit kehrte auch das Begreifen zurück. Die GHYLTIROON … die Daila auf Nolien … und Raegul! Vor allem dieser! hetzte der Extrasinn mich auf. Nur er kann es gewesen sein, der die zentrale Luftversorgung so eingestellt hat, daß sie Kohlendioxid statt Sauerstoff produzierte. Du mußt dafür sorgen, daß sie wieder umgestellt wird, sonst müssen alle anderen sterben – los, beeile dich!
Im selben Augenblick war mir alles klar. Eine mörderische Wut erfaßte mich, ich atmete noch mehrmals tief durch und füllte die Lungen mit dem reinen Sauerstoff. Dann ließ ich die Maske fallen, hielt die Luft an und stürzte förmlich aus der Kabine. Zum Glück wußte ich, wo in diesem Trakt die Nebenstelle war, von der aus man im Notfall die Luftzufuhr regulieren konnte. Ich kannte auch die entsprechenden Schriftsymbole der Daila. Mit fliegenden Fingern riß ich die Klappe auf und schlug auf die richtigen Tasten. Nun wurde das giftige Gas abgesaugt und wieder durch das übliche Sauerstoff-Stickstoff-Gemisch ersetzt, aber davon merkte ich nichts mehr. Ich müßte wieder Luft holen, und der Austausch erfolgte nicht schnell genug. So bekam ich nochmals eine Dosis Kohlendioxid ab, sie setzte mich erneut außer Gefecht, und ich schlug bewußtlos zu Boden. Doch nicht für lange, die Umwälzanlage lief auf vollen Touren, und meine Lungen bekamen wieder genügend Sauerstoff. Das restliche Gift neutralisierte der pulsierende Zellaktivator, nur eine leichte Benommenheit blieb vorerst noch. Doch das war zu ertragen, jetzt mußte ich mich schleunigst um die anderen kümmern. Wenn es mir schon so schlecht ergangen war, wie mochte es da erst um sie stehen? Der Erste-Hilfe-Kasten! fiel mir ein. Er befand sich in einer Nische, hastig riß ich ihn auf, und meine Augen flogen über die Mittel darin. Dann jagte ich mit einem Kasten voller Spritzampullen zunächst in meine Kabine und preßte gleich zwei davon gegen den Hals des Jungen. Chipol war kein trainierter Raumfahrer, also weniger widerstandsfähig, deshalb verabreichte ich ihm die doppelte Dosis. Dann kamen die anderen Daila an die Reihe, und nun konnte ich nur noch warten und hoffen. Es wird schon gutgehen, sagte beruhigend der Extrasinn, du hast es zweifellos noch rechtzeitig geschafft. Doch in der Eile scheint dir ganz entgangen zu sein, daß einer der Raumfahrer fehlt…
»Raegul!« stöhnte ich auf, dann fluchte ich erbittert. Bis dahin hatte ich mir weiter keine Gedanken über ihn machen können, aber nun fiel mir alles wieder ein. Ich sah mich um und stellte fest, daß das Schott vor dem Antigravschacht geschlossen war. Demnach hatte der Pilot nicht die gesamte Luftversorgung im Schiff so umgestellt, daß sie das früher absorbierte Kohlendioxid wieder freigab. Nein, dies war ein sorgfältig geplanter Anschlag gewesen, nur gegen uns im Kabinentrakt gezielt! Und während wir das Gift einatmeten, konnte er anderswo seelenruhig Vorbereitungen zum Verlassen der GHYLTIROON treffen … Daß er jetzt nicht mehr an Bord war, stand wohl außer Frage. Die anderen begannen sich zu regen, und nach zehn Minuten waren alle wieder bei Besinnung. Sie kamen aus ihren Kabinen, wackelig auf den Beinen und ohne zu begreifen, was mit ihnen geschehen war, und ich klärte sie mit dürren Worten darüber auf. Norgis stieß einen bemerkenswert langen Fluch aus, nur Mallosh wollte das alles noch nicht so recht glauben. Einige Minuten später mußte er es, denn wir suchten den Hangar auf und sahen sofort, daß der Gleiter darin fehlte. Chipol grinste triumphierend, sah mich an und bemerkte: »Na, hatte ich nicht recht? Der Bursche wird einen schönen Schreck gekriegt haben, als ihm das Fahrzeug unter dem Hinterteil wegsackte, aber das gönne ich ihm! Jetzt kann er im Dunkeln draußen in den Bergen herumlaufen – hoffentlich bricht er sich beide Beine.« Im Dunkeln …? Ich sah auf die Uhr und stellte fest, daß Mitternacht erst seit neunzig Minuten vorbei war. Raegul hatte also nur gewartet, bis wir anderen eingeschlafen waren, dann hatte er seinen üblen Plan ausgeführt und sich beeilt, auf dem Schiff zu kommen. »Doch warum das alles?« überlegte Trom, als wir uns wieder nach oben begaben. »Er hat sich doch eigentlich ganz normal benommen und voll mitgearbeitet, als sein Arm es wieder zuließ. Sollten etwa
doch Hyptons in der Nähe sein, deren Einfluß er erneut gespürt hat?« »Sehr unwahrscheinlich«, urteilte Ganno. »Sie können einfach nicht wissen, wohin wir uns gewandt haben, und ihre Roboter sind auch nicht klug genug, um das herauszufinden. Nein, in dieser Hinsicht können wir wohl beruhigt sein.« Der Kommandant dagegen schien nicht ganz überzeugt zu sein, er schwieg und sah grübelnd vor sich hin. Wir suchten den Speiseraum auf, um uns durch einen Spezialtrunk gegen etwaige Folgen der Vergiftung zu stärken. Doch wir hatten die Becher kaum geleert, da fluchte Norgis erneut heftig und schlug sich vor den Kopf. » Das Funkgerät!« sagte er heiser. »Raegul wollte doch, daß es möglichst schnell wieder in Ordnung kommt – er könnte neben allem anderen auch die Hyptons angerufen und ihnen mitgeteilt haben, wo wir uns jetzt befinden!« Er sprach wieder einmal flüssig, und das genügte, um uns andere vom Ernst seiner Worte zu überzeugen. Im nächsten Augenblick waren wir alle unterwegs zur Zentrale, und dort ging Mallosh sofort daran, seine Geräte zu überprüfen. »Nichts!« sagte er schließlich resigniert. »Die Frequenzanzeige des Hyperfunks steht auf unserer Normalwelle, aber Raegul kann sie nach einem Funkspruch auch wieder dorthin umgestellt haben. Eine Kontrolle wäre nur möglich, wenn er auch den Speicher aktiviert hätte, doch die Kristalle haben nichts aufgezeichnet.« Ich lächelte zwiespältig und zuckte mit den Schultern. »Kein Beweis also, weder dafür noch dagegen. Diese Frage bleibt demnach offen, und es ist sinnlos, sich darüber weiter die Köpfe zu zerbrechen. Machen wir also weiter wie geplant; solange das Schiff nicht wieder linearflugfähig ist, haben wir ohnehin keine andere Wahl. Wir versuchen jetzt, noch etwas Schlaf zu finden, den haben wir wohl alle dringend nötig. Am Morgen fliege ich mit Chipol zu den Daila im Tal, rede mit Saylimandar und versuche
herauszufinden, ob und wie er uns helfen kann. Danach sehen wir weiter.«
* »Wie fühlst du dich, Atlan?« fragte Chipol, und ich grinste matt. »Relativ gut, vor allem, wenn ich daran denke; daß wir alle nun schon tot sein könnten … Komm, wir überprüfen den Transporter zur Vorsicht noch, es könnte ja sein, daß Raegul ähnlich gedacht hat wie du gestern. Er hat nicht abgewartet, bis wir wirklich tot waren, und darin lag ein gewisses Risiko für ihn.« Der Pilot hatte zwar gewußt, daß ich das Fahrzeug benutzen wollte, aber es erwies sich als unberührt. Keine Spur von Sabotage, Raegul schien also seiner Sache sehr sicher gewesen zu sein. Ich löste die elektronische Sicherung, wir kletterten in die Kabine und ein Funkimpuls öffnete das Hangarschott. Draußen erschien die Sonne gerade hinter den Bergen, ich schaltete den Antrieb auf Vollschub und nahm Kurs nach Süden. Der vollbeladene Transporter war langsamer als der Gleiter, aber diesmal wußte ich bereits, wo unser Ziel lag. Wir erreichten die Siedlung, als dort gerade erst das Leben erwachte, aber unsere Ankunft trieb augenblicklich alle Daila aus ihren Zelten und Höhlen. Als wir ausstiegen, war das Fahrzeug bereits dicht umringt, doch es herrschte eine fast andächtige Stille. Die Talbewohner besaßen keinerlei Technik mehr, für sie war der simple Transporter ein wahres Wunderwerk. Ich lächelte ihnen zu und wollte etwas Passendes sagen, aber im selben Moment erschien auch Pfarnybol auf der Bildfläche. In seiner Gesellschaft befand sich ein schätzungsweise dreißig Jahre alter Mann, etwa so groß wie ich, aber sehr schlank, mit einem markanten Gesicht und halblangem schwarzem Haar. Schon seine bunte, aber gepflegte Kleidung verriet, daß er nicht in dieses Tal gehörte, folglich mußte er der
Mutant aus Karmenfunkel sein. Vor allem sprach seine blaue Hautfarbe dafür. Sofort öffneten die anderen eine Gasse, und die beiden kamen auf Chipol und mich zu. Der Alte blieb ernst, nur seine Augen zeigten die Freude, die er bei unserem Anblick empfand. Er neigte würdevoll den Kopf und wies dann auf seinen Begleiter. »Ich grüße euch, Atlan und Chipol, es ehrt euch, daß ihr Wort gehalten habt. Dies hier ist Saylimandar, der größte Sohn unseres kleinen Volkes hier auf Nolien. Ich habe ihm so ausführlich über euch berichtet, wie ich konnte, und nun ist er begierig darauf, selbst mit euch reden zu können.« Saylimandar nickte, trat vor und legte die Rechte zum feierlichen Gruß an seine Stirn. Gleichzeitig spürte ich flüchtig eine mentale Berührung in meinem Hirn, doch sie drang natürlich nicht durch, und für einen Augenblick erschien Verwunderung in seinen Zügen. Doch er schaltete schnell, beugte sich vor und flüsterte mir zu: »Haltet alle Formalitäten so kurz wie möglich, ich habe nicht viel Zeit! Eine halbe Stunde höchstens, dann muß ich wieder nach Karmenfunkel zurück, wenn meine Abwesenheit nicht auffallen soll.« »In Ordnung«, raunte ich zurück und wandte mich dann wieder an Pfarnybol. »Wir haben soviel an Gütern mitgebracht, wie das Fahrzeug fassen konnte. Dies alles steht euch nun zur Verfügung«, sagte ich laut. »Wir werden jetzt den Laderaum öffnen, sorge du dafür, daß alles gerecht unter deinen Leuten verteilt wird. Wir beraten uns indessen mit Saylimandar, wie es vorgesehen ist.« »Mein Zelt steht euch zur Verfügung«, erklärte der Alte, ich nickte ihm zu und ging zum Heck des Transporters. Ein Fingerdruck, dann öffnete sich die Ladeklappe, und um alles weitere brauchten wir uns nicht mehr zu kümmern. Die Augen der Talbewohner wurden groß, als sie die Container sahen, die ihnen Nahrung und sonstige lang entbehrte Dinge versprachen, die stärksten Männer drängten sich vor, um sie auszuladen und zu öffnen.
Die Daila waren also für längere Zeit voll beschäftigt, und das war mir nur recht. Zusammen mit Chipol und Saylimandar ging ich auf das Zelt zu, Mendya öffnete den Eingang und lächelte mich strahlend an. Dann verschwand sie nach draußen, wir waren mit dem Mutanten allein. Volle Wasserkrüge standen auf dem Tisch bereit, aber wir hatten ganz andere Dinge im Sinn. Wir setzten uns. Saylimandar sah Chipol an und versuchte wohl, auch seine Gedanken zu erfassen. Das gelang aber offenbar auch ihm nicht, ich sah es seinem Gesicht an und zog die Folgerungen daraus. Mit den Psi-Fähigkeiten dieser Daila scheint es nicht mehr sehr weit her zu sein! folgerte auch der Extrasinn sofort. Darnkol und Mendya haben schon zu Anfang gesagt, daß es in den hiesigen Sippen nur relativ wenig Mutanten gegeben hat, und damit ist es offenbar in den vergangenen Jahrhunderten nicht besser geworden. Die Gene der ›Normalen‹ haben nach und nach dominiert, mit jeder Generation mehr. Die Psi-Gaben wurden gewissermaßen verwässert – nur so ist es zu erklären, daß es unter rund 1200 Daila nur etwa fünfzig gibt, die sich in die Städte der Nolier wagen konnten. Diese Zahl hatte ich von Pfarnybol, und er mußte es schließlich am besten wissen. Doch das spielte im Augenblick keine Rolle, und ich verdrängte diese Gedanken wieder. Jetzt saß ich Saylimandar gegenüber, und nach den Worten des Alten war er ein Multi-Talent. Ein Mann also, der mehrere verschiedene »übersinnliche« Fähigkeiten besaß, ähnlich dem Mausbiber Gucky, dem StarMutanten nicht nur der Erde, sondern aller mir bekannten Welten. Allerdings nicht einmal entfernt so stark wie dieser, das war mir längst klar geworden. Immerhin reichte es aber offenbar, um selbst die Nolier zu beeindrucken, die eine lange Erfahrung in solchen Dingen hatten. Saylimandar lebte unerkannt unter ihnen galt sogar als Star, und mit diesem Ruf konnte er uns im Kampf gegen die Hyptons sehr nützlich sein. Nicht nur uns, sondern auch den Daila seiner Heimatwelt, verbesserte ich mich in Gedanken, denn um
diese ging es zur Zeit vor allem. Saylimandar hatte seine nutzlosen Versuche inzwischen eingestellt, für eine Weile herrschte Schweigen im Zelt. Nun hob er den Kopf, sah mir voll in die Augen und fragte leise: »Steht es wirklich so schlimm um Aklard, wie Pfarnybol mir berichtet hat?« Ich lächelte matt und nickte. »Noch schlimmer, könnte man sagen! Zuerst haben die Naldrynnen dort die Wirtschaft weitgehend ruiniert, und jetzt wird der Planet durch die kriegerischen Ligriden beherrscht. Der nächste Schritt dürfte vermutlich sein, daß sich die Hyptons dort einnisten und das Volk unter ihren geistigen Einfluß bringen, und dann ist der Planet so gut wie verloren.« »Erzähle mir alles über diese verschiedenen Rassen«, forderte der Mutant, und ich kam seinem Verlangen nach. Sein Gesicht wurde immer düsterer, und als ich geendet hatte, fragte er: »Glaubst du wirklich, daß wir Psi-Begabte gegen diese Okkupanten ankommen können?« Ich zuckte mit den Schultern. »Kyrkodh und Urlysh glauben es oder hoffen es zumindest, und ich halte es nicht für unmöglich. Aus Erfahrung weiß ich, daß Mutanten eine ganze Menge ausrichten können, aber gegen die Psychonarkose der Hyptons genügt eine Handvoll nicht. Es muß eine größere Anzahl sein, die sich gegenseitig geistig unterstützen kann. Einzelwesen ohne mentale Abschirmung haben kaum eine Chance gegen sie.« In Saylimandars klugen Augen leuchtete es kurz auf – offenbar hatte er aus dieser Bemerkung seinen Schluß gezogen und wußte nun, weshalb er zuvor bei mir nicht »durchgekommen« war. Er ging jedoch nicht darauf ein, sondern sah auf die prunkvolle Uhr, die neben einer Anzahl juwelenbesetzter Armreifen an seinem Handgelenk saß. Als Psi-Talent schien man bei den Noliern wirklich nicht schlecht zu verdienen, wenn es auch nach Pfarnybols Worten mehr ein Leben im goldenen Käfig war.
»Die halbe Zeit ist bereits um, wir müssen es also möglichst kurz machen. Ihr braucht also neunzehn Sovis des Metalls Iridium, wenn euer Schiff wieder flugtüchtig werden soll. Transportieren könnte ich das ohne weiteres, so wie ich bei meinen Sprüngen von Karmenfunkel hierher auch Dinge für meine Leute mitbringe. Leider sehe ich aber beim besten Willen keinen Weg, es irgendwie für euch zu beschaffen! Mein Manager Jam Maulunk läßt mich praktisch keinen Augenblick aus den Augen …« »Du hast doch aber Zeit, um hier ins Tal zu kommen«, unterbrach Chipol ihn. »Wieso soll das eine möglich sein, das andere dagegen nicht – willst du etwa nicht?« Eine berechtigte Frage, aber der Mutant winkte ab. »Hierher kommen kann ich immer nur nach einem großen Auftritt, der bis spät in die Nacht gedauert hat. Dann gebe ich mich immer sehr erschöpft, und Maulunk läßt mich bis Mittag schlafen, damit ich am nächsten Abend wieder in Form bin. Trotzdem muß ich immer sehr vorsichtig sein und meine Abwesenheit so kurz wie möglich halten. Jam ahnt zwar nicht, daß ich auch teleportieren kann, aber es ist schon vorgekommen, daß er ganz unvermutet in meinem Quartier erschien und mich aus dem Schlaf riß, um mir einen neuen Auftrittstermin mitzuteilen. Das kann jederzeit wieder passieren, und wenn ich dann nicht da bin …« Er vollendete den Satz nicht, aber die Folgen konnten wir uns auch selbst ausmalen. Vielleicht wurde er dabei nicht als Daila entlarvt, aber der Manager konnte eine Menge tun, um ihn an weiteren Eskapaden zu hindern. Es genügte schon eine Überwachungskamera mit Computer, der automatisch Alarm gab – und dann war es mit der Hilfe für die Daila in der Siedlung endgültig vorbei! »Wie sollen wir dann aber an das Metall kommen?« fragte ich, und meine Hoffnung sank rapide. Saylimandar überlegte einen Augenblick, dann hellte sich seine Miene auf. »Oh, da gibt es schon einen Weg … denselben, den auch wir Daila-
Mutanten gegangen sind: Du läßt dir Blauwurz-Extrakt besorgen! Einen halben Tag später bist du selbst so blau wie ein waschechter Nolier, kannst dich ungehindert in Karmenfunkel bewegen und dort versuchen, die richtigen Verbindungen zu knüpfen. Nun, was hältst du davon?«
10. Das kam sehr überraschend, und im ersten Augenblick schüttelte ich den Kopf. »Dein Vorschlag ist an sich nicht schlecht, nur zweifle ich daran, daß er sich auch durchführen läßt. Sicher, ich kenne die Sprache der Nolier, aber das ist auch schon alles! Ich habe keine Ahnung von ihren Sitten, schon die erste falsche Bemerkung könnte mich verraten. Außerdem brauchte ich vermutlich Geld, denn in der Stadt wird man kaum etwas umsonst bekommen, vor allem kein Quartier. Und meiner Erfahrung nach geht es bei keinem zivilisierten Volk ohne so etwas wie eine ID-Karte oder sonstige Urkunde ab …« Saylimandar sah erneut auf seine Uhr und fiel mir dann ins Wort. »Ich muß gleich weg, machen wir es also kurz. Deine Einwände sind zwar berechtigt, eine Lösung für diese Probleme gibt es aber doch. Geld kann ich leider nur wenig beschaffen, weil Maulunk seine Hand fest auf mein Konto hält. Dafür aber eine der hier gebräuchlichen ID-Plaketten – sie wird zwar nicht echt sein, aber trotzdem jeder Überprüfung standhalten. Zufällig habe ich gerade heute abend einen Auftritt zusammen mit anderen Daila, eine große Schau mit Lesen aus dem Unterbewußtsein, das ist bei den Noliern sehr beliebt. Mit ihrer Hilfe wird die Plakette Daten erhalten, die auf dich passen, und auch deinen Namen, das reicht. Die Reinheitswächter sind zwar sehr mißtrauisch gegenüber jedem, der aus dem Umland kommt, aber ich halte dich für klug genug, vor ihnen zu bestehen.
Bist du erst einmal in der Stadt, kann dir nichts oder zumindest nicht mehr viel passieren. Karmenfunkel hat 400.000 Einwohner, wie auch die übrigen zwanzig Städte hier, und nicht nur Prachtstraßen, sondern auch recht dunkle Außenbezirke. In ihren Gassen kannst du zunächst untertauchen, und anschließend fragst du dich bis zu mir durch. Das ist nicht schwer, mein Name ist überall bekannt, und Jam Maulunk gegenüber gibst du dich als ein Vetter von mir aus, der ebenfalls Psi-Kräfte besitzt! Er wird mit beiden Händen nach dem ›neuen Talent‹ greifen und sich viel davon versprechen, wenn wir im Doppel auftreten, mit den dabei üblichen Tricks. Ich werde dabei zwar deinen Part mit übernehmen, aber so etwas merkt er als ›Normaler‹ natürlich nicht. Später werde ich dir helfen, an die richtigen Leute zu gelangen … verdammt, ich habe keine Zeit mehr, ich muß zurück. Nimmst du mein Angebot an?« Ich war sekundenlang noch unentschlossen, aber nun schaltete sich mein Extrasinn ein. Sei kein Narrt schimpfte er. Imponderabilien wird es immer geben, aber ohne ein gewisses Risiko kann man auch nichts gewinnen. Du warst doch früher auch nicht so zimperlich, wenn es um wichtige Dinge ging. Hier ging es um acht Kilo Iridium – wenn wir es nicht bekamen, saßen wir auf Nolien fest! Dann konnten die Hyptons ungehindert ihr Neues Konzil errichten, während anderswo in dieser Galaxis der Erleuchtete daran ging, EVOLO zu vollenden … Diese Gedanken schossen nun durch mein Hirn, beides erschien mir gleich schrecklich, und so nickte ich. »In Ordnung«, sagte Saylimandar aufatmend. »Gut, dann komme ich morgen um dieselbe Zeit wieder hierher und bringe die versprochenen Dinge mit. Unterrichte du Pfarnybol, damit er Blauwurz-Extrakt für dich besorgt, ich verschwinde jetzt.« Sein blaues Gesicht wurde starr, er konzentrierte sich für den Sprung nach Karmenfunkel. Ich kannte das seit gut zweitausend Jahren von Ras Tschubai und anderen Teleportern her, aber bei ihm
dauerte diese Phase erheblich länger. Erst nach etwa zehn Sekunden lösten sich seine Umrisse allmählich auf, seine Gestalt wurde durchsichtig und verschwand schließlich ganz. Hinter ihm schlug die Luft mit dem üblichen »Plopp« zusammen, und dann sagte Chipol begeistert: »Wirklich schade, daß ich das nicht auch kann, Atlan! Karmenfunkel ist doch mindestens zwanzig Kilometer weit weg, und er ist jetzt schon wieder dort – ist das nicht phantastisch?« Ich lächelte zwar leicht, doch ich fand das Ganze nicht halb so berückend wie er. Gucky zum Beispiel hätte diese Kurzteleportation sozusagen »aus dem Stand« geschafft. Saylimandar dagegen mußte sich erheblich anstrengen, um diese lächerlichen zwanzig Kilometer zurückzulegen. Immerhin besser als gar nichts! Kommentierte der Extrasinn knapp. Ohne diesen Mann und seine Kenntnis der Verhältnisse auf Nolien wärst du ziemlich arm dran, vergiß das nicht. Er hatte recht, wie fast immer, aber trotzdem wollte mir diese Sache nicht recht gefallen. Daß ich zur Abwechslung einmal eine blaue Hautfarbe bekommen sollte, störte mich wenig. Schließlich war ich auch früher schon in verschiedene Masken geschlüpft, und bei den Spezialisten der alten USO hatte das zur Routine gehört. Doch hier war ich in einer vollkommen fremden Galaxis, und bisher hatte ich noch keinen einzigen Nolier gesehen. Saylimandar dagegen lebte seit Jahren unter ihnen und besaß die Erfahrung, die mir fehlte. Ich war also in der fremden Stadt ganz auf seine Hilfe angewiesen – was sollte aus mir und meinen Gefährten werden, falls alles nicht so glatt ging, wie er glaubte …? Auch der Gedanke an Raegul trug nicht gerade dazu bei, mich optimistisch zu stimmen. Es war ihm zwar nicht gelungen, uns in der GHYLTIROON umzubringen, und vermutlich irrte er jetzt irgendwo in den Bergen hier umher. Er stand aber zweifellos unter dem Einfluß der Hyptons – hatte er sie nun noch angerufen, oder
nicht? Eine Menge von Fragen also, auf die mir die Antwort fehlte, aber Chipol lenkte mich davon ab. »Was hast du, Atlan?« erkundigte er sich und rüttelt mich an der Schulter. »Komm, gehen wir hinaus, hier im Zelt ist es viel zu heiß. Saylimandar ist nicht mehr da, aber Pfarnybol wird wissen wollen, wie alles nun weitergeht.« Wirklich, es mußte irgendwie weitergehen, und die Weichen dafür waren bereits gestellt. Ich überwand meine Erstarrung, nickte dem Jungen zu, und wir begaben uns ins Freie. Der Alte saß auf einem primitiven Hocker neben dem Zelteingang, Mendya neben ihm. Er trug nun bereits einen der Freizeitanzüge, die wir in den Containern mitgebracht hatten, aber dieser schlotterte um seine mageren Glieder. Auch die anderen Männer waren dabei, sich einzukleiden, und ihre Gesichter strahlten bei diesem Luxus. Zwar hatte Saylimandar in Karmenfunkel entwendet, was er nur konnte, aber das waren hauptsächlich Lebensmittel gewesen. Leider waren diesmal die Frauen und Kinder zu kurz gekommen, an Bord der GHYLTIROON hatte sich nur Männerkleidung befunden. Nun, im Moment war es ohnehin reichlich warm, und später konnten sie einen Teil der Sachen für sich umarbeiten. Im Augenblick waren sie eifrig damit beschäftigt, eine Mahlzeit für die ganze Sippe aus Konserven zuzubereiten, die Fertiggerichte sparten sie wohl für neue Notzeiten auf. Zwei Feuer brannten, und darüber hingen große Kessel, in denen es brodelte, und die Kinder standen voller Erwartung um sie herum. Wahrscheinlich konnten sie sich erstmals nach langer Zeit wieder richtig sattessen, und Chipol nickte mir lächelnd zu. Der leichte Wind trug einen verlockenden Geruch zu uns herüber, Mendya sah strahlend zu mir auf und sagte leise: »Wie können wir euch nur für all dies danken, Atlan? Wenn du irgendeinen Wunsch hast, dann sage es nur, ich will ihn dir gern erfüllen.« Ihre Augen verrieten, woran sie dabei dachte, und der Extrasinn kicherte anzüglich. Ich ignorierte jedoch beides, holte mir einen der
Sammelkörbe und setzte mich darauf neben Pfarnybol, und der Alte fragte: »Saylimandar ist wieder fort, nicht wahr? Er hat mir gesagt, welchen Vorschlag er dir machen will – wirst du darauf eingehen?« »Ich werde«, bestätigte ich, »denn ich sehe sonst keinen Weg, an das Metall zu kommen, das wir dringend brauchen. Allerdings mußt du jetzt dafür sorgen, daß ich den nötigen Blauwurz-Extrakt bekomme, in meiner jetzigen Gestalt kann ich mich bei den Noliern auf keinen Fall sehen lassen.« »Sie würden dich zusammenschlagen, wenn nicht gar töten!« sagte der Sippenchef bitter. »Für Sie zählt die Intelligenz anderer Wesen nicht, nur die richtige Hautfarbe. Gut, du wirst den Extrakt bekommen, ich habe Darnkol bereits zu einer benachbarten Sippe geschickt, um ihn zu holen. In dieser Gegend wächst kein Blauwurz, nur in Gebieten, wo es bestimmte Mineralien gibt, und auch dort ist er relativ selten. Es sind ständig Sucher unterwegs, um die Wurzeln herbeizuschaffen, unsere Mutanten in den Städten müssen ihn etwa alle sechzig Tage neu einnehmen, denn dann läßt die Wirkung fast schlagartig nach.« »Und wie werde ich diese Farbe wieder los, wenn wir soweit sind, um den Planeten verlassen zu können?« erkundigte ich mich. »Es gibt ein Gegenmittel«, beruhigte mich der Alte. »Du mußt aber Saylimandar danach fragen, ich selbst kenne es nicht. Er will ja morgen früh noch einmal herkommen, vielleicht hat er dann auch noch weitere Anweisungen für dich. Darnkol dürfte am späten Nachmittag zurück sein, bleibt ihr beide solange hier?« Ich schüttelte den Kopf und erhob mich. »Nein, wir fliegen jetzt gleich zum Schiff zurück und kommen gegen Abend wieder. Unsere Gefährten müssen unterrichtet werden, und auch sonst gibt es noch einiges zu tun. Bis dahin also – komm, Chipol, wir laden die Container wieder ein; mal sehen, ob wir noch mehr für die Leute hier abzweigen können, den anderen Sippen geht es ja ebenfalls schlecht.« Zwei Minuten später starteten wir, während die Daila mit Töpfen
und Schüsseln zu den Kesseln strömten, um Essen zu fassen. Chipol sah sehr zufrieden aus, und ich war es im großen und ganzen auch. … Allerdings nur so lange, bis ich das Funkgerät eingeschaltet hatte, um die Raumfahrer von unserer Rückkehr zu unterrichten. Ich rief die GHYLTIROON einmal, zweimal, dreimal … keine Antwort! Nur das übliche statische Rauschen kam aus dem Lautsprecher – sollte es etwa schon wieder neue Schwierigkeiten geben? War Raegul vielleicht heimlich ins Schiff zurückgekehrt, hatte die Raumfahrer irgendwie überlistet und lauerte nun auf unsere Rückkehr, um uns ebenfalls außer Gefecht setzen zu können? »Verfluchtes Nolien!« knurrte ich, schaltete den Antrieb bis auf Vollschub hoch und holte die vorsichtshalber mitgenommenen Waffen aus dem Ablagefach.
* Die GHYLTIROON stand so da, wie wir sie verlassen hatten, nichts regte sich weit und breit. Ihre Außenhülle war intakt, nur einige verfärbte Stellen im Metall zeugten noch von dem Beschuß durch die Stahlmänner. Doch wie mochte es in ihr aussehen … hatte Raegul vielleicht das vollendet, was ihm im ersten Anlauf nicht gelungen war? Möglich war es durchaus! Feststellen ließ es sich jedoch von draußen nicht, also blieb mir nur eine Wahl. Ich flog so tief wie möglich an, zog den Transporter erst im letzten Moment hoch und auf die Hangarschleuse zu. Durch einen Funkimpuls ließ ich sie aufgleiten, das Fahrzeug schoß mit hoher Fahrt hindurch und wurde erst dann abrupt abgebremst. Ich steuerte es so, daß wir zwischen dem anderen Transporter und der Hangarwand aufsetzten; es kam hart auf, aber wir hatten eine halbwegs günstige Position. »Mach dich klein und paß auf!« zischte ich Chipol zu, öffnete die
Kabine und hechtete hinaus. Ich vollführte eine perfekte Rolle, sie brachte mich ans Vorderteil des zweiten Fahrzeugs. Dort preßte ich mich gegen das Chassis, hob meinen Strahler und spähte über seine Zielvorrichtung hinweg. Die Hangarbeleuchtung war automatisch angegangen und hellte den Raum voll aus, während ich mich im Dunkeln befand. Nichts! Der Hangar lag still und verlassen da, das Außenschott hatte sich wieder geschlossen, das innere war ebenfalls zu. Pfeifend stieß ich den unwillkürlich angehaltenen Atem aus, richtete mich wieder auf und winkte dem Jungen. »Komm, Chipol, es kann weitergehen.« Er sah nicht gerade glücklich aus, die Waffe hing in seinem Arm wie ein lästiger Fremdkörper. Feige war er bestimmt nicht, dies hatte er oft genug bewiesen, doch auf jemand aus seinem eigenen Volk zu schießen, widerstrebte ihm offenbar. Deshalb schob ich ihn zur Seite, öffnete erst dann das Innenschott einen Spalt breit und sah hindurch. Wieder nichts, der Schiffskorridor war leer. Unbehelligt kamen wir bis zum Antigravschacht, ich schaltete die Plussphäre ein, und wir schwebten nach oben. Zwei kritische Punkte hatten wir hinter uns, der dritte folgte, wenn wir ausstiegen. Falls Raegul sich in der Steuerzentrale befand, konnte er uns über Monitor beobachten und wußte genau, daß wir kamen! Deshalb entschloß ich mich, schon im Kabinentrakt auszusteigen, damit würde er bestimmt nicht rechnen. Du Narr! sagte mein Extrahirn in diesem Moment laut. Denke doch endlich einmal logisch – wie sollte der Mann wohl hier ins Schiff gelangt sein? Er hat keinen flugfähigen Gleiter mehr, und obendrein ist die Bodenschleuse geschlossen! Oder meinst du, daß die anderen ihn hereingelassen hätten, nachdem er euch fast umgebracht hat? Verdammt, mein »zweites Ich« hatte recht! Ich gab mir im Geiste selbst die fällige Ohrfeige, dann schüttelte ich den Kopf, so daß Chipol verwundert fragte: »Was hast du, Atlan?«
Ich grinste schief. »Offenbar Kalk in den Gehirnwindungen, Kleiner – Raegul kann gar nicht im Schiff sein. Für das Schweigen der Crew muß es eine andere und wohl recht harmlose Erklärung geben … da ist sie schon!« Wir schwangen uns gerade aus dem Antigravschacht, und vom Kabinentrakt scholl uns lautes Schnarchen entgegen. Eine Tür stand halb offen und durch sie war Ganno zu sehen, der diese Töne produzierte. Er lag angezogen auf dem Bett, Trom ebenfalls, und vermutlich taten es ihnen Norgis und Mallosh gleich. Nun begriff auch Chipol, feixte und tippte sich bezeichnend an die Schläfe, aber ich tat so, als hätte ich nichts gesehen. Statt dessen steckte ich die Waffe weg und klopfte gegen die Tür. Das Schnarchen brach ab, der Ingenieur erwachte, blinzelte kurz und sagte: »Wie, ihr seid schon wieder zurück? Damit haben wir nicht gerechnet und zu tun gab es nichts mehr, deshalb haben wir uns nach dem Mittagessen langgelegt. Hat es Ärger gegeben?« »Nein«, erklärte ich kurz, ehe Chipol etwas anderes sagen konnte. »Schlaft ruhig weiter, wir können uns später noch unterhalten; ich habe zwar Neuigkeiten, aber damit eilt es nicht. Wir beide werden uns inzwischen anderweitig beschäftigen.« Damit schloß ich die Tür und schob den Jungen auf den Speiseraum zu. Wir aßen etwas und erfrischten uns, und dann gingen wir daran, die Container heraufzuholen und erneut vollzuladen. Diesmal kamen neben Lebensmitteln auch andere Gebrauchsgegenstände hinein, denn den Daila fehlte es praktisch an allem. Wir hatten nun schon Übung im Packen, nach zwei Stunden waren wir fertig und die Container wieder auf dem Fahrzeug verstaut. Dann suchten wir wieder den Speiseraum auf und setzten uns zu den Raumfahrern, die ihren Schlummer inzwischen beendet hatten und dort versammelt waren. »Du hast Neuigkeiten?« erkundigte sich der Kommandant, und
ich begann mit meinem Bericht. Natürlich gab es immer wieder Zwischenfragen, und so verging eine gute Stunde, bis ich damit am Ende war. Ein nachdenkliches Schweigen folgte, dann bemerkte Norgis: »Gefällt mir gar nicht, Atlan! Ist viel zu gefährlich, weil Nolier keinen Spaß verstehen. Wenn sie dich erwischen, was sollen wir dann tun?« »Sie werden mich nicht erwischen«, behauptete ich, obwohl ich mir da durchaus nicht sicher war. »Saylimandar kann zwar nicht immer so, wie er will, aber außer ihm gibt es noch andere DailaMutanten in Karmenfunkel, die er verständigen will. Wenn sie mithelfen, wird das Risiko verkleinert, also werde ich es schon irgendwie schaffen.« »Wir alle könnten dich begleiten«, schlug Mallosh vor, aber ich winkte entschieden ab. »Das läßt sich schon deshalb nicht machen, weil Saylimandar nur eine ID-Plakette für mich besorgen kann. Ohne eine solche kämt ihr gar nicht in die Stadt, die ›Reinheitswächter‹ passen viel zu gut auf. Ein zweiter gewichtiger Grund ist der, daß die Blauwurz viel zu selten ist, um euch alle einfärben zu können … kurz und gut, es geht einfach nicht. Ihr bleibt also in der GHYLTIROON, bis ich zurückkomme, wenn es auch etwas dauern kann.« »Und falls die Nolier das Schiff doch entdecken?« brummte Ganno sichtlich unzufrieden. »Starten hätte ohne Linearantrieb keinen Sinn – man würde uns abschießen, ehe wir noch die Atmosphäre verlassen haben!« »Das ist richtig«, mußte ich einräumen. »In diesem Fall fliegt ihr am besten hinüber zu den hiesigen Daila, sie haben Erfahrung darin, wie man sich vor den Blauhäutigen verbirgt. Nur zu dumm, daß euch jetzt der Gleiter fehlt, die Transporter sind im Notfall etwas zu langsam. Trotzdem werde ich den, den ich nachher benutze, per Automatsteuerung zurückschicken, brauchen kann ich ihn ohnehin nicht mehr. Den Weg nach Karmenfunkel muß ich zu Fuß zurücklegen, ein fremdes Gefährt würde mich sofort verraten.«
Wir besprachen noch einige sekundäre Dinge, dann sah ich auf die Uhr. »Ich muß jetzt losfliegen, wenn ich noch bei Tageslicht das Tal erreichen will, und dann möglichst bald den Extrakt einnehmen. Es dauert etwa sechs Stunden, bis er wirkt, und bei mir könnte er sogar ganz versagen, weil ich kein Daila bin. In diesem Fall komme ich morgen früh mit dem Fahrzeug zurück, und dann müßt ihr versuchen, meine Haut irgendwie chemisch einzufärben, so gut es geht.« »Wird bestimmt gehen«, versicherte Norgis, und danach meldete sich auch Chipol zum Wort. »Laß mich mit dir fliegen, Atlan«, bat er, »hier im Schiff habe ich doch nur Langeweile. Drüben im Tal kann ich dir noch helfen, ich bleibe bis morgen dort und kehre dann mit dem Transporter in die GHYLTIROON zurück.« Seinem treuherzig flehenden Blick konnte ich nicht widerstehen, ich merkte wieder einmal, wie sehr mir der Junge inzwischen ans Herz gewachsen war. Ich stimmte zu, verabschiedete mich von den anderen, und fünf Minuten später waren wir unterwegs.
* Erneut herrschte freudige Aufregung in der kleinen Siedlung im Tal. Diesmal nicht nur unter den hier ansässigen Daila, denn im Lauf des Tages waren Abgesandte der anderen Sippen eingetroffen, die Pfarnybol durch Boten verständigt hatte. Diese sollten auch einen angemessenen Teil von allem abbekommen, aber ich hatte nun keine Zeit, mich selbst darum zu kümmern. Statt dessen wandte ich mich sofort an Pfarnybol und fragte: »Hast du den Extrakt?« Der Alte lächelte gemessen und nickte. »Darnkol ist vor zwei Stunden zurückgekommen, er hat sogar eine recht große Menge davon mitgebracht. Das ist gut, weil wir noch nicht wissen, wie er bei dir wirkt, zuweilen haben selbst unsere
eigenen Leute Probleme damit. Im Notfall mußt du noch eine zweite Dosis einnehmen … nun, in sechs Stunden werden wir es wissen, du mußt nur lange genug aufbleiben. Doch das sollte nicht schwerfallen, denn wir wollen diesen Tag gebührend feiern, um dem Großen Geist von Manam-Turu und seinen Helfern zu danken. Nur diese haben bewirkt, daß ihr zu uns gelangt seid, davon sind wir überzeugt.« Die Daila hingen einer Art von Pantheismus an, das wußte ich von Chipol, aber im Moment hatte ich keinen Sinn dafür. Das schien auch Pfarnybol zu begreifen, er öffnete den Vorhang und führte mich in sein Zelt. Chipol schlüpfte mit hinein, und dann sahen wir Mendya, die uns mit einem warmen Lächeln empfing. Vor ihr auf dem Tisch stand eine gläserne Phiole, in der sich eine tintenähnliche blaue Flüssigkeit befand. Sie hob sie hoch und hielt sie mir entgegen. »Du bist zwar ein großer und starker Mann, Atlan, aber schon die Hälfte sollte für dich genügen. Falls nicht, wird es sich gegen Mitternacht herausstellen, und dann sehen wir weiter.« Ich nahm die Phiole und roch daran, aber meine Nase sagte mir absolut nichts dazu. Ich schätzte ihren Inhalt ab und nahm dann drei große Schlucke, doch schon im nächsten Augenblick fuhr ich heftig zusammen. Das Zeug war bitter und brannte wie ein flüssiges Feuer in meiner Kehle, ich schluckte es so rasch wie möglich und nahm dann dankbar den Becher mit Wasser entgegen, den das Mädchen gleich darauf reichte. Das half rasch, der üble Geschmack verschwand, doch dafür fing der Zellaktivator an, zu pulsieren. Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet – wenn ich Pech hatte, stufte er den Extrakt als giftig ein, und alles war umsonst gewesen … Ich horchte auf einen Impuls meines Extrasinnes, doch dieser schwieg, und so beruhigte ich mich wieder. Ich hatte es jedenfalls versucht – falls es nun doch schiefging, lag die Schuld nicht bei mir. Als wir das Zelt verließen, hatten sich die Boten der anderen
Sippen bereits schwerbepackt auf den Heimweg gemacht. Es begann zu dämmern, Feuer loderten, und die Frauen bereiteten ein Freudenmahl zu. Andere versorgten die kleineren Kinder, und als die ersten Sterne erschienen, begann es feierlich zu werden. Die Daila bildeten einen großen Kreis, reichten sich die Hände, und ein Choral scholl getragen durch das Tal. Er mußte uralt sein, denn Chipol kannte ihn nicht mehr, doch seine Harmonie schlug auch uns in seinen Bann. Als er beendet war, herrschte kurz Stille, der Alte stieß dann einen lauten Ruf aus, und der Kreis löste sich auf. Alle strömten lachend hinüber zu den Kesseln, das Mahl begann, und auch wir wurden nicht vergessen. Die Speisen stammten zwar aus dem Schiff, doch hier schmeckten sie viel besser. Die Daila hatten wieder gelernt, mit der Natur zu leben, würzige Kräuter gaben allem ein besonderes Aroma. Und da sie nur selten Anlaß hatten, ein Fest zu feiern, fiel dieses nun um so freudiger aus. Krüge wurden gebracht, man schenkte ein und drückte auch uns Becher voll Wein in die Hand. Auch er mußte aus Früchten dieser Gegend gewonnen sein, war herb und würzig zugleich und ein echter Genuß. Er enthielt aber auch viel Alkohol, deshalb bremste ich Chipol nach dem zweiten Becher und winkte Mendya, die mit ihrem Bruder neben Pfarnybol saß. Der Junge protestierte natürlich, doch das half ihm nichts, das Mädchen brachte ihn weg, hinüber in das Zelt der Familie. Ich mußte dagegen noch aufbleiben, um abzuwarten, ob der Extrakt seine Wirkung zeigte, und so ließ ich mir den Wein schmecken. Der Zellaktivator bewahrte mich vor einem Rausch, ich sah den anderen zu und freute mich mit ihnen. Die Nacht war warm, fast unmerklich vergingen die Stunden und ich entspannte mich noch einmal richtig. Falls die Blauwurz wirkte, stand mir am nächsten Morgen der Marsch nach Karmenfunkel bevor, und was mich dort alles erwarten mochte, war höchst ungewiß. Gegen Mitternacht erloschen die Feuer, die Talbewohner zogen sich in ihre Behausungen zurück. Ich hatte mich inzwischen zu
Pfarnybol und den Geschwistern gesetzt, wir sprachen nur wenig, aber ihre Blicke streiften immer wieder mein Gesicht. Darnkol hielt noch ein kleines Feuer in Gang, seine züngelnden Flammen beleuchteten mich, und allmählich wurde ich doch nervös. Die sechs Stunden waren längst um – sollte das Mittel bei mir wirklich nicht anschlagen? »Da, seht doch – jetzt fängt es an!« Der erlöste Ausruf kam von Darnkol, rasch hob ich die Hände und brachte sie ins Licht. Tatsächlich, sie waren bereits hellblau, und dieser Vorgang schritt rapide fort. Nach einer Viertelstunde war ich am ganzen Körper so blau wie eine reife irdische Pflaume, der Alte nickte zufrieden und erhob sich. »Gut, dann ist ja alles in Ordnung, gehen wir zu Bett. Leider ist in meinem Zelt kein Platz für dich, du mußt in einer Wohnhöhle übernachten, Atlan. Mendya wird dich hinbringen, wir wünschen dir eine gute Nacht und angenehme Träume.« Die Höhle lag jenseits des schmalen Baches am Talende, sie war aus dem Fels gehauen und relativ geräumig. Im Fackellicht sah ich einige niedrige Betten, sonst gab es keine Einrichtung; sie diente den Besuchern anderer Sippen als Nachtquartier. Das erklärte mir das Mädchen, es steckte die Fackel in einen Haltring, schmiegte sich dann an mich und bat leise: »Laß mich heute nacht hier bei dir bleiben, Atlan! Mein Lager ist von Chipol belegt, und auf dem Boden schlafe ich nicht gern.« Welcher Mann hätte unter solchen Umständen Nein gesagt …?
* »Es ist alles in Ordnung«, erklärte Saylimandar mit befriedigtem Lächeln, nachdem er mich gemustert hatte. »Deine Hautfarbe stimmt, kein Nolier wird deine Maske durchschauen können – du hättest mir aber sagen sollen, daß Chipol ebenfalls mit dir gehen wird. Für ihn habe ich keine Plakette, aber da er noch relativ jung ist
…« »Chipol ebenfalls … was soll das denn heißen?« fragte ich mehr als verblüfft. Ich erfuhr es im nächsten Augenblick, denn der Junge tauchte bei uns auf- und er war genauso blau wie ich! »Es war noch genug von dem Extrakt da, und ich war allein im Zelt, da konnte ich der Versuchung nicht widerstehen«, bekannte er mit dem üblichen treuherzigen Augenaufschlag. »Warum soll ich auch in dem blöden Schiff herumsitzen und warten, ohne dich? Ich kann dir bestimmt irgendwie helfen, wenn du in Schwierigkeiten kommst.« Das wäre durchaus möglich! belehrte mich der Logiksektor. Kinder werden meist nicht für voll genommen, und Chipol weiß alles über diese Sache. Im Notfall kann er dir als Bote dienen, der Hilfe holt. Ich holte tief Luft und fluchte innerlich; auf alles mögliche war ich gefaßt gewesen, nur darauf nicht. Doch nun war es einmal passiert, und selbst mein Extrasinn sanktionierte es, und außerdem war die Zeit knapp. Der Mutant mußte bald wieder zurück und hatte mir noch einiges zu erklären, also gab ich nach und nickte. Daß ich dem Jungen später noch einige passende Worte sagen wollte, stand auf einem anderen Blatt. »Du wirst schon mit ihm durchkommen«, meinte Saylimandar, »für seine Altersgruppe gibt es keinen Ausweiszwang. Gib ihn einfach als deinen Neffen oder so etwas aus und sage bei einer Kontrolle, daß ihr aus einem der umliegenden Agrardörfer kommt. Die Daten auf der Plakette sagen dasselbe aus, einige meiner Rassegefährten haben sie mittels ihrer Psi-Kräfte eingeprägt.« »Es ist dir also gelungen, sie zum Mitmachen zu bewegen?« »Alle, die ich in der kurzen Zeit erreichen konnte, sie werden wiederum die anderen verständigen. Du kannst unbedingt auf ihre Hilfe zählen, ihre Namen bekommst du von mir, wenn du in der Stadt angelangt bist. Nur in bezug auf Geld sieht es schlecht aus, Jam Maulunk hat mir keine Gelegenheit gelassen, welches zu besorgen. Das hier ist alles, ihr müßt sehen, wie ihr damit
auskommt.« Viel war es wirklich nicht, was er mir übergab, nur eine halbe Handvoll kleiner Münzen und ein halbes Dutzend Kreditscheine aus Papierfolie. Doch deswegen machte ich mir im Moment die wenigsten Gedanken, statt dessen fragte ich: Und wie steht es um Kleidung? »Wenn alle Nolier so angezogen sind wie du …« »Sind sie nicht«, unterbrach mich der Mutant und sah bereits wieder auf seine Uhr. »Die Dörfler sind relativ arm, sie können sich nicht viel leisten; meine Leute hier wissen das und werden euch entsprechend einkleiden. Ich rate euch aber, nicht auf dem kürzesten Weg nach Karmenfunkel zu gehen, sondern einen Bogen nach Westen zu schlagen. Dann erreicht ihr die Straße, auf der Güter aus den Dörfern in die Stadt transportiert werden …« Noch einige kurze Ratschläge, viel zu wenig für meinen Geschmack. Dann war seine Zeit schon wieder um. Er teleportierte, und ich wandte mich Pfarnybol zu, der stumm zugehört hatte. Er erklärte, daß bereits alles vorbereitet sei, wir nahmen hastig noch das für uns bereitstehende Frühstück ein, und dann wurde es ernst. »Schrecklich siehst du aus«, befand Mendya, als wir uns umgezogen hatten, und ebenso fühlte ich mich auch. Die Sachen waren alt und strömten einen Geruch aus, der augenblicklich alle Insekten in die Flucht schlug. Chipol rümpfte die Nase. Er beklagte sich aber nicht. Ich grinste kurz und schob dann die Plakette und das Geld in die Tasche. Ich mußte noch hinüber zum Transporter, die Automatik zum Rückflug programmieren und die Männer im Schiff davon verständigen, daß der Junge mit mir ging. Das war Sache weniger Minuten, aber Mendya war mit mir in die Kabine gekommen. Nun schlang sie die Arme um meinen Hals, küßte mich heiß und flüsterte: »Komm bald und gesund zurück, Atlan! Ich werde darauf warten und für dich beten – vergiß mich nicht.« Ich tröstete sie, so gut ich konnte, sie war wirklich reizend. Doch es war mit ihr so, wie schon viele Male in meinem langen Leben –
versprechen konnte ich ihr beim besten Willen nichts. Hier ging es um wirklich große und wichtige Dinge, und dabei zog die Liebe stets den kürzeren … Wir verließen das Fahrzeug, es startete gleich darauf, und wurden nun von den Talbewohnern umringt. Sie sahen uns hoffnungsvoll an, denn sie erwarteten von uns auch eine Besserung ihrer Lage, doch auch ihnen konnte ich nichts versprechen. Pfarnybol drückte uns noch einmal die Hand, er machte ein Segenszeichen, und ich nickte allen nochmals zu. Dann wandte ich mich wortlos um, verließ mit dem Jungen das Tal, und der Marsch zur Stadt begann. Durch den Umweg, den Saylimandar uns empfohlen hatte, wurde die Strecke natürlich erheblich länger. Schließlich lagen die Berge aber doch hinter uns, es ging nun durch eine Kette von Hügeln, die nach Karmenfunkel zu immer niedriger wurden. Wir kamen gut voran, zuweilen sahen wir am Horizont Dörfer und die dazugehörigen Felder. Wir gingen ihnen aus dem Weg, und als wir an einem Gebüsch vorbeikamen, blieb Chipol plötzlich stehen. »Da ist etwas«, behauptete er, bückte sich und spähte unter die Zweige. »Irgendein Tier … nein, nicht irgend eins: das ist Fumsel!« »Unsinn«, murrte ich, »los, komm weiter. Wer weiß, was das für ein Biest ist, dein Fumsel kann es jedenfalls nicht sein. Der ist auf Cairon zurückgeblieben, viele hundert Lichtjahre von hier.« »Und er ist es doch!« triumphierte der Junge. »Komm, Fumsel – nun, glaubst du mir jetzt?« Tatsächlich erschien eine kleine Tigerkatze im Freien, und ich schüttelte ungläubig den Kopf. Doch dann ging ich weiter; ob Fumsel oder nicht, ich mußte nach Karmenfunkel, zu Saylimandar.
ENDE
Die verbannten Daila, die den Planeten Nolien zum Exil wählten, leben in
bedauernswerten Umständen. Das wurde Atlan und Chipol sofort klar, als sie der ersten Verbannten ansichtig wurden. Allerdings gibt es auch Ausnahmen unter den Daila. Das wiederum erkennen der Arkonide und sein Gefährte, sobald sie Karmenfunkel, die größte Stadt der Nolier, betreten. Hubert Haensel erzählt mehr darüber. Sein Roman erscheint in der nächsten Woche unter dem Titel: FREMDE IN KARMENFUNKEL
\qcKommentar ATLANS EXTRASINN Verbannte Daila Das Volk des jungen Chipol nimmt in Manam-Turu eine besondere Rolle ein. Diese besteht zunächst darin, daß viele Angehörige der Daila parapsychisch begabt sind. Auch Chipols Familie gehörte zu diesen Hominiden, die gemeinhin »Mutanten« genannt werden. Nur Chipol selbst verfügt über keine erkennbare Psi-Fähigkeit. Die Dailamutanten haben in mancherlei Hinsicht schon Geschichte gemacht, aber jetzt sieht es ganz danach aus, als würde sich ihre Bedeutung gewaltig steigern. Ausgangspunkte dafür liegen in der Vergangenheit denn dort vollzog sich über lange Zeit hin die Trennung der beiden Volksgruppen in Mutanten und Nichtmutanten. Letztere wollten es so, daß sie auf den wenigen Welten verblieben, die sie besiedelt hatten, wohingegen die psionisch begabten Daila ausgestoßen wurden. Sicher war das eine Kurzsichtigkeit, die einem primitiven Vorurteil entsprach. Diese Trennung führte dazu, daß aus den Mutanten Verbannte wurden. Niemand in Manam-Turu schien diese Leute gern bei sich zu sehen. Die Folge war, daß die Ausgestoßenen sich mehr und mehr auf alle erreichbaren Planeten aufsplitterten. Wieviel Welten sie heute bewohnen und wie groß ihre Zahl ist, vermag niemand auch nur annähernd zu schätzen. Das Vorhandensein einer großen Zahl von Mutanten hat der Erleuchtete bei seiner Ankunft in Manam-Turu sicher bemerkt. Die Hinweise sind eindeutig. Die verbannten Daila haben sich damit unbewußt in den Vordergrund gespielt, denn die Gier des Erleuchteten nach Psi-Potentialen wird über kurz oder lang dazu führen, daß sich dieser intensiv mit den Verbannten befaßt. Durch das Wirken des Neuen Konzils sind nun aber auch die »normalen« Daila in schwierige Situationen geraten. Das Beispiel des Planeten Aklard hat dies verdeutlicht. In dieser Lage haben sich einige führende Daila ihrer ausgestoßenen Artgenossen erinnert. Die Not schweißt wieder einmal Zerstrittene zusammen. Die Vorurteile werden über Bord geworfen. Die Suche nach den verbannten Daila erweist sich als problematisch. Es existieren nur vage Anhaltspunkte darüber, wo man sie finden kann.
Begünstigt wird der Plan der Daila, wie ihn Urlysh vorgetragen hat, durch einen wesentlichen Umstand. Die Verbannten hegen keinen Zorn auf ihre Brüder und Schwestern. Mehr noch, sie fühlen sich ihrer alten Heimat tief verbunden und wollen sogar helfen. Noch sind aber nur wenige DailaMutanten über die veränderte Situation in Manam-Turu informiert. Atlan wird seine Suche fortsetzen müssen. Die Gefahr, daß er dabei nicht nur mit den Kräften des Neuen Konzils in Konflikte kommt, sondern auch mit den Helfern des Erleuchteten, die dieser zweifellos schon angeheuert hat, wächst mit jedem Tag. Und damit verschlechtern sich Atlans Chancen, den Erzfeind zu stellen, mehr und mehr. Einen kleinen Teilerfolg kann er vielleicht hier auf Nolien erzielen. Hier liegt ein wohl typisches Beispiel für die Lebensumstände vor, unter denen sicher viele der Verbannten existieren müssen. Die Gruppe, die hier in der Vergangenheit gelandet ist, hat einen schweren Fehler begangen, denn die Nolier entpuppten sich als die denkbar ungeeignetsten Partner für ein gemeinsames Leben. Ihrer Raumschiffe beraubt, mußten sich die Daila in die Einsamkeit zurückziehen und ein Leben auf der untersten Stufe führen. Es ist merkwürdig. Diese Mutanten treten keinem zu nah. Sie sind eher bescheiden, höflich und hilfsbereit. Dennoch stoßen sie immer wieder auf Ablehnung. Erst jetzt, da man sie gegen eine andere Gefahr dringend benötigt, reichen ihnen die Angehörigen des eigenen Volkes die Hand. Ein typischer Vertreter seines Volkes ist der schlanke Saylimandar. Er besitzt diverse Psi-Fähigkeiten, aber viel kann er damit nicht ausrichten, denn seine Kräfte sind schwach. Zu mehr als ein paar Schaueffekten und relativ kurzen Teleportationssprüngen reicht es bei ihm offensichtlich nicht. Und doch erfüllt er für sein Volk eine ganz wichtige Funktion. Die meisten Verbannten können sich gar nicht in die Städte der Nolier wagen. Dort behandelt man sie wie Tiere. Saylimandar, der durch einen unerklärlichen Zufall wie ein paar seiner Artgenossen in der Lage ist, seine Hautfarbe perfekt zu tarnen, kann in den Städten leben. Ganz frei ist er dort allerdings auch nicht, denn stets droht die Gefahr einer Entdeckung. Die Nolier würden ihn wahrscheinlich zu Tode prügeln, wenn sie seine wahre Identität erkannten. Saylimandar nimmt diese Risiken auf sich. Mehr noch. Er nutzt jede freie Minute, um den Leuten seines Volkes etwas vom Reichtum und Wohlstand der Nolierstädte abzugeben.
Genaugenommen begeht er dabei Straftaten, und das nicht nur nach meinen Vorstellungen, sondern auch nach dem Recht der Nolier. Er klaut, was das Zeug hält. So betrüblich dieser Umstand auch ist, er zeigt, unter welchen Umständen die verbannten Daila hier leben müssen. Es ist auch klar, daß dies ihre Sehnsucht nach den Heimatwelten schürt. Wenn die Mutanten gerufen werden, um auf Aklard oder anderswo zu helfen, werden sie sich nur zu gern bereit erklären, das zu tun. Aber noch ist es für Atlan nicht soweit.