Sean Beaufort
DieVerlorenen
der Felsinseln
Zwischen dem Isa-Fjord und Englands Nordküste schienen sich die Element...
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Sean Beaufort
DieVerlorenen
der Felsinseln
Zwischen dem Isa-Fjord und Englands Nordküste schienen sich die Elemente gegen die Arwenacks verschworen zu haben. Längst war der letzte Rest des MetNebels aus ihren Köpfen geblasen, gehörten Felsen, mörderische Kreuzseen und das Feuer und der Rauch aus Islands Vulkanen der Vergangenheit an. Die Sonne ließ sich viel zu selten blicken. Der Nebel verwirrte die Mannen. Das unruhige Meer und der wütende Wind bereiteten ihnen eine höllische Heimfahrt. Regen peitschte schier ununterbrochen vom Himmel. Kaum hatten sie sich von Island freigesegelt, tauchten die zerklüfteten Felswände der achtzehn Inseln aus dem graublauen Meer auf - die Färöer. Jetzt herrschten die Dänen über die „Schafínseln" und deren steile Felswände. Aber in Wirklichkeit beherrschten Stürme, Brandung und unbekannte Strömungen diese Inseln . . .
Die Hauptpersonen des Romans: Blacky - geht in einer Sturmnacht über Bord und findet sich auf einer tristen Insel wieder. Bill - auch er kantet in dieser Sturmnacht ab und wird wieder an Land gespült, mehr tot als lebendig. Sigurd Simonsen - der Mann von den Färöer dient den Arwenacks als Lotse, als sie die Inselwelt nach den beiden über Bord gegangenen Arwenacks durchfor schen. Philip Hasard Killigrew - der Seewolf weiß, daß er nach zwei Nadeln im Heuhau fen sucht, aber er will nicht aufgeben.
1. Das Allerschlimmste, so hoffte Philip Hasard Killigrew, hatten die Crew und das Schiff jetzt überstan den. Wind und See hatten die Arwe nacks in Island nicht gerade ver wöhnt. Die Fallwinde, die in großer Geschwindigkeit orgelnd die Steil hänge der Fjorde hinunterbrausten und Felsen, Steintrümmer und Sand mit sich schleppten, waren ebenso un angenehm und gefährlich wie die häufigen und überaus heftigen Re genfälle. Es war, als ob wahre Was serfälle aus den daherwalzenden Wolken auf Landschaft und Schiff niederprasselten. Die Abschiedsfeste des „nordi schen Trolls" Thorfin Njal würden den Seewölfen zwar lange in Erinne rung bleiben, aber sie stellten keinen Ersatz für Sonnenschein, ruhige See und schnelles Segeln dar. Kaum hatten die Arwenacks die Winde und Klippen des Isafjords hin ter sich gebracht, hart gegen den Westwind ansegelnd, da brachen die Riesenwellen über sie herein. Die Schebecke hatte wilde Tänze aufge führt, aber sie schafften es, sich
gut von den Felsklippen freizuhal ten. Dann erfuhren sie wieder einmal, wie stark die magnetische Nadel des Kompasses abgelenkt wurde - bis zu zwei Strich betrugen die Mißweisun gen. Diese Eigentümlichkeit kannten die Rudergänger bereits. Auf der Fahrt nach Island hatte der Kompaß auch schon verrückt gespielt. Auch am nächsten Morgen, als die Schebecke bei Westwind nach Süden segelte, rauschten zusammen mit den breiten Wellen schwarze Wolken her an, aus denen Regengüsse peitschten. Zwischen den langen Stunden schlechten Wetters rissen die Wolken nur kurz auf und überschütteten das Meer mit breiten Balken aus Sonnen licht. Es schien nur wenige Stellen in al len sieben Meeren zu geben, an denen das Wetter sich derartig wild zeigte und fast immer eine Herausforde rung an Kapitän und Mannschaft darstellte. Auch die Fuglasker Barre, der Schrecken aller Islandfahrer, lag ach teraus zurück: vierzig Meilen weit stießen die teils unsichtbaren, teils sichtbaren Felsen wie ein mörderi scher Kamm aus Klippen und Gischt
5 im Südwesten der Insel in die offene See vor. Die messerscharfen Riffe be deuteten den sicheren Tod für Schiff und Mannschaft. In einem weiten Bo gen waren die Seewölfe um das Hin dernis herumgesegelt. Jetzt trieb der böige, starke Wind sie nach Osten. An Backbord lag die Südküste Islands, Brandungswogen und Gischt, dahinter die Strände und Felsen, darüber die Kulisse riesiger Berge und weißer Eisflächen. Wenn die niedrig treibenden Wolken und die Nebelmassen aufrissen, zeigten sich die Flammen und der Rauch der feuerspeienden Berge, über die furchterregende Berichte und Erzäh lungen überall auf der Insel zu hören waren. „Ein Anblick zum Fürchten,dieser Vatnajökull!" rief Hasard seinem Ersten zu. „Und wenn wir nicht von der Schwemmsandfläche wüßten . . . " „Wir sind außerhalb, Sir!" rief Ben Brighton zurück. Von Deck aus waren die Schwemm sände nicht zu erkennen. Sie erstreck ten sich zwischen sechs und zwanzig Meilen weit ins Meer hinaus. Zwi schen Reykjavik und dem offenen Meer gab es weit und breit keinen schützenden Hafen an der gefahrstar renden Südküste der großen Insel. Wieder erfaßte ein „Röst" das Schiff, eine Strömung, die die Sche becke weiter aufs Meer hinausjagte und schließlich an einem Unterwas serhindernis abriß. Eine riesige Kab belsee bildete sich dort. Chaotische Wellen hielten das Schiff eine Viertel stunde lang in ihrer Gewalt und schüttelten es durch, schlimmer als in einem soliden Sturm. Ein Regenguß fegte von Westen heran und prasselte aufs Deck und in die hart gespannten Segel. „Mindestens zwei Tage und zwei Nächte haben wir bis zu den Färöern
noch vor uns", sagte der Seewolf grimmig. „Je weiter wir von dieser schauerli chen Küste weg sind, desto leichter haben wir's", antwortete Ben. Die Männer hatten sich achtern an die Sorgleinen geknotet und warteten auf den Abend. Das Schiff hob und senkte sich, hob sich wieder, senkte sich abermals, in riesigen Wellen der Dünung, die von kochenden Kreuz seen unterbrochen wurden. „Die Hekla", meinte Hasard und zeigte zu dem unterbrochenen Flak kern zwischen den dunklen Wolken. „Uns erwischt sie nicht mehr." „Dafür hat sie viele Isländer er wischt", erinnerte ihn der Erste. „Im letzten Jahr war es wohl nur eine Er innerung daran, daß der Feuerberg Menschen und Vieh tötet und alles zerstört." „Mir ist trotzdem nicht wohl, wenn ich die Hekla, die ,Kapuzenträgerin', ansehen muß", bekannte der Seewolf. Viel hatten sie nicht über den Berg erfahren, der weißglühende Lava aus dem Inneren der Erde auswarf, ver mischt mit riesigen Mengen feiner, schwarzer Asche, die sich erstickend auf Landschaft und das Wasser legte. Anno Domini elfhundertvier war von dem feuerspeienden Berg, der zur Sa gengestalt mit der Kapuze aus schwarzem Rauch geworden war die Hälfte der Insel verwüstet worden. Drei weitere Ausbrüche, verteilt über mehr als hundert Jahre, erschreckten die Isländer, aber töteten sie nicht. Aber jedesmal - erst vor knapp ei nem Jahr - zitterte der Boden. Das Eisgefüge brach donnernd auseinan der. Hitze quoll aus dem Boden. Die Hekla warf ihre Kapuze ab und ließ Schnee und Eis schmelzen. Rauch schwaden verdunkelten das seltene Sonnenlicht. Giftige Luft kroch am
6 Boden entlang und stank nach Fäul nis und dem Schwefel der Hölle. „Dann schau nicht hin", riet der Erste. „Sieh lieber nach, Sir, ob wir nicht die Westmännerinseln ram men." „Kaum. Wir sind zu weit draußen auf offener See", sagte Hasard. „Surt sey müßte, wenn wir es überhaupt se hen, voraus an Backbord auftau chen." „Bei Bjarni Stangenhieb!" brummte Stenmark, der am Ruder stand. „Wenn ich an die Wärme in der Karibik denke, dann werde ich noch seekrank." Ljot, der Ungewaschene, und Bjarni Stangenhieb, so wenig glaub haft das auch klingen mochte, waren sagenhafte Gestalten, die es wirklich gegeben haben sollte, und auf die viele Isländer ihren Stammbaum gründeten. „Bei Thors Hammer!" Hasard lachte und zog das Spektiv aus der Tasche. „Ich sehne mich auch nach ei nem Palmenstrand. Aber, Freunde, bis dorthin ist es noch verdammt weit." Ben Brighton senkte den Kopf und federte die nächste Welle ab, von der das Heck der Schebecke weit in die Höhe gehoben wurde. „Und davor liegen die furchtbaren Färöer - und London in seiner gan zen Schönheit!" rief er. Es klang wie ein Vorwurf oder wie eine Beschwö rung. „Wir sind schneller dort, als du denkst", schwächte der Seewolf ab. Er ließ offen, ob er die Färöer, Lon don oder die Karibik damit meinte. Das Schiff segelte vor achterlichem Wind. Die schwere See verhinderte, daß die Geschwindigkeit zunahm. Stampfend und schlingernd bohrte die Schebecke den Bugspriet in die Wogen. Gischtendes Wasser zischte
über die Planken und lief durch die Speigatten. Stunde um Stunde ver ging ohne jede Änderung. Die Wache wechselte, Stenmark am Ruder wurde abgelöst. Leer wie das Odadahraun, jenes riesige Gebiet aus dunklem Geröll und Schutt, das vor Urzeiten aus dem Weltinneren ausgeworfen worden war, blieb auch das Meer auf der Fahrt zwischen Island und den Färö ern. Ins Odadahraun flüchteten die Ge setzlosen und Ausgestoßenen vor den Bewaffneten Dänemarks. Von See aus war diese Landschaft jenseits des erderschütternden Feuerbergs nicht zu sehen. Aber zwischen der Bran dung und den bizarren Hängen der Berge erstreckten sich ebenfalls rie sige Strecken leerer Landschaft, die sich jetzt in der Dunkelheit verbar gen. Die Seewölfe schliefen, wenn über haupt, sehr unruhig. Mit jeder See meile, die sich die Schebecke von Is land, der Insel aus Eis und Feuer, ent fernte, schien sich die Lage ein klein wenig zu bessern - die Schebecke stampfte weniger, glitt mit scharfem Rauschen durch weniger harte Wel len, legte sich nicht so weit über. Trotzdem blieb es ein wilder und schneller Ritt über die Wellen des Nordmeeres.
Dan O'Flynn blinzelte in der Mor gensonne. Für wenige Augenblicke waren Wolken und Seenebel aufgeris sen und zeigten über dem winzigen, tiefroten Sonnenball fahlblauen Him mel. „Sollte das scheußliche Wetter etwa zu Ende sein?" fragte er sich halblaut, sog tief die kalte, frische Luft ein und hoffte, daß der Kutscher
7 und Mac Pellew ein kräftiges Früh stück zustande brachten. „Schön wär's. Aber ich kann es nicht recht glauben." Die See schien sich beruhigt zu ha ben, denn das Schiff lag bei guter Ge schwindigkeit wenigstens jetzt stabil vor dem Wind. Das Essen schien si cher zu sein. „Ich glaube es auch nicht", erklärte Pete Ballie, der vor einer Stunde das Ruder übernommen hatte. „Der Wind ist gut - noch." Er wehte bis zur Stunde aus dem westlichen Quadranten und wech selte nur seine Stärke. „Er wird so bleiben, schätze ich", meinte Dan. „Wir sollten in Lee der Färöer bleiben. Wenn wir nicht abge trieben sind, müßten wir sie heute abend Steuerbord voraus zum ersten mal sehen." „An mir soll es nicht liegen", sagte Pete und hob die Schultern. „In Lee, das ist gut. Dann sollten wir wohl ohne viel Aufregung auf Südkurs ge hen können." „Sollten wir, ja. Hasard hat aber vielleicht etwas anderes vor." „Bis wir die Schafinseln erreichen, vergeht noch viel Zeit", sagte der Ru dergänger und stemmte sich gegen die Pinne. „Da kann noch viel passie ren." „Da bin ich ganz sicher." Die Inseln im Nordatlantik, gelegen im Dreieck zwischen Island, Schott land und Norwegen, waren keinem der Seewölfe besonders gut bekannt. Auch Dans Karten ließen an Deut lichkeit einiges fehlen. Die ungezähl ten Klippen, Schären und Inselteile waren langgezogen und zeigten von Nordwesten nach Südosten. An den wenigsten Stellen, das hatte man den Seewölfen berichtet, gab es geschützte Anlegeplätze. Nahezu alle Klippen waren steil, zerklüftet und
kaum besteigbar. Millionen von See vögeln aller Arten nisteten hoch auf den schrundigen Felsen. Etwa siebzig Seemeilen, ließ sich aus der Karte herauslesen, betrug die größte Länge des Archipelagos. „Das einzige, das sicher ist", be merkte Dan philosophisch, „ist, daß alles unsicher bleibt." „Hast du heute deinen klugen Tag?" fragte Pete. Dan nickte langsam. „Er hat gerade angefangen." Gerade eine Stunde lang überschüt tete die Sonne das Meer und die gischtenden Wellenkämme mit ihrem roten Licht, das sich nach und nach gelb und schließlich weiß färbte. Dort, wo Island verschwunden war, zogen wieder schwarze Regenwolken auf. Sie wechselten ihre Farbe und wirkten so drohend wie immer, wenn sie sich aus dem Westen heranwälz ten und das Licht aufzusaugen schie nen. „Du solltest dich gut festhalten", rief Dan, nachdem er einen langen Rundblick auf die Dünung und den Horizont gerichtet hatte. „Das böse Nordmeer wird uns beweisen, daß es keinen Spaß versteht." Die Seefahrer kannten die Farben und deren Bedeutung, wenn sich die Wolken auf diese Art hochtürmten, wenn der Wind auf eine besondere Art schneidend zu heulen begann, und wenn er von den Wellen den Gischt fast waagerecht wegriß und in die Luft wirbelte. „Es geht gleich wieder los", knurrte Pete. „Hoffentlich haben wir noch Zeit, den Tee runterzuschütten." Jeder der Crew, der an Deck er schien, musterte die Segel, hörte das Knarren der Gaffelruten, warf einen besorgten Blick zum Himmel und zu den Wellen und sah ein, daß die näch sten Stunden hart werden würden.
8 Daß auch der Wind in kurzer Zeit Kraft des Sturms noch nicht gebro drehen konnte, hielten sie alle für chen. möglich. So schnell wie es ging, aßen und tranken sie, dann bezog die Wache ihre Stationen. Die Mannen 2. schlugen ihre Sorgleinen an. Von Steuerbord prasselten Gischt Hasard enterte den Niedergang auf und winkte ab, als er in die sorgenvol flocken und Seewasser über das Schanzkleid. Der Wind ließ die Sche len Gesichter schaute. „Ich weiß", sagte er. „Die ruhigen becke nach dieser Seite krängen. Die Stunden sind wieder vorbei. Ein nächste Welle donnerte hohl gegen die Planken, stieg steil an ihnen auf Glück, daß wir Tageslicht haben." „Das wird sich auch bald ändern", wärts und kippte über Deck. Breite Wasserflächen rannen aus erwiderte Dan O'Flynn. Es dauerte keine halbe Stunde, einander und wuschen das austrock dann packten Wind und Brecher wie nende Salz von den Planken. Der der das schlanke Schiff. Die Sche Wind heulte in den Segeln und im becke schwang sich auf den Kamm ei Tauwerk. Mit Wind aus Nordosten ner riesigen Dünungswoge, der kämpfte sich die Schebecke auf südli Sturm wimmerte im stehenden und chem Kurs durch die Finsternis. Piet laufenden Gut, die Leinwand, mitt Straaten und Jan Ranse standen ge lerweile völlig trocken, schien reißen meinsam am Ruder, und auch die bei zu wollen. Masten und Segel und der den Rudergänger hatten sich mit Schiffskörper verhielten sich, als Sorgleinen gesichert. Die Schleier spanne die Schebecke die Muskeln und Wirbel der Wassertropfen ver an. dunkelten immer wieder die Flam Das Schiff schnitt vor dem achterli men der Laternen. chen Starkwind rauschend und mit Alles in dieser Nacht schien Stamp gurgelnder Kielspur durch das Was fen, Schlingern und Lärm zu sein. ser. Aber das war nur der Anfang ei Wer unbedingt an Deck sein mußte, ner rasend schnellen, gefährlichen hielt sich im Windschutz auf. Bill und Fahrt, die zwar die Stunden einer Blacky stemmten sich gegen ein Süll Reise verringerte, die Gefahren aber und lehnten gegen das Schanzkleid. steigerte. Das gute Dutzend Seewölfe, Dicht über ihre Köpfe zischte das das sich auf Deck bewegte, duckte Wasser. sich, klammerte sich an Tampen und Das letzte Segelmanöver war eine Spieren und bereitete sich auf halbe Stunde her. Es würde sich so schwierige Manöver vor. bald nichts an der Segelstellung än Es war, als wäre die Schebecke in dern. einen kreisförmigen Sturm, in einen Jeder an Bord war sicher, daß sich Wetterwirbel geraten. Der Sturm das Schiff, vor Legerwall sicher, weit heulte zuerst aus Westen heran, raste auf See befand. Island lag hinter der dann mit eisiger Kälte aus Norden, Kimm. Morgen, gegen Mittag, hatte schließlich drehte er zurück auf Süd Dan O'Flynn errechnet, sollten die und zwang die Seewölfe, in zuneh Färöer recht voraus aus der See auf mender Dunkelheit in großen Schlä tauchen. gen zu kreuzen. Es war fast unmöglich, an Deck zu Selbst gegen Mitternacht war die stehen, obwohl quer und längs Mann
9 taue gespannt waren. Auch an ihnen lief das Wasser hinunter. „Fehlt nur noch ein Seegewitter!" brüllte Bill seinem Nachbarn ins Ohr. Ihre Segeltuchhüte hielten gerade noch die ärgste Nässe ab. Unter den hochgestellten Kragen bissen Schweiß und Salzwasser. „Mir reicht's auch so." Es war inzwischen kaum mehr zu unterscheiden, ob das Wasser über Deck nur Spritzwasser war, ein star ker Regen oder beides. Im Augen blick war der Tropfenhagel so dicht, daß es sich wohl um Sturm und Re gen handeln mußte. Die festgezurrten Culverinen auf der Kuhl zerrten an den Brooktauen. Die Geräusche, mit denen sich die Schebecke durch das aufgewühlte Meer kämpfte, waren vertraut, ob wohl sie sich mit unverminderter Lautstärke ständig wiederholten, wirkten sie beruhigend und einschlä fernd. Ununterbrochen hob und senk ten sich Bug und Heck, und ebenso ununterbrochen klatschten die Was serberge auf das Deck hinunter. Es wurde eine Spur heller. Die Tropfenwirbel um die Laternen ris sen für einen langen Augenblick ab, und eine Art trügerische Ruhe kehrte für etliche Atemzüge ein. Dann bohrte sich der Bugspriet wieder in die nasse Finsternis, und al les war wie zuvor. Die Finsternis füllte sich mit einem nicht abreißen den Hagel aus riesigen Wassertrop fen. Mit beiden Fäusten hielten sich Bill und Blacky an dem längs der Bord wand gespannten Tau fest. Trotzdem wurden sie von Zeit zu Zeit durch die Bewegungen des Schiffes hochgeris sen, hingen für kurze Zeit in der Luft und krachten wieder schwer aufs Deck zurück. „Sucht uns der Sturm? Oder haben
wir ihn mal wieder gefunden?" fragte brüllend Blacky. „Er verfolgt uns. Weit und breit kein ruhiger Hafen." „Nein", sagte Blacky und schluckte Wasser. „Und Thorshavn ist noch weit." Wieder duckten sie sich und ver suchten, mit ihren Körpern die näch sten harten Bewegungen der Sche becke abzufangen. Sie schauten ab und zu nach achtern und erkannten schwach die Silhouetten der Ruder gänger, die wahrlich keine leichte Nacht hatten. Einige Dutzend Atem züge später stieß Bill seinen Nach barn mit dem Ellbogen an. „Was ist?" Bill deutete schräg nach Steuer bord und schrie: „Die Fockschot!" „Verdammt! Schnell, Bill!" schrie Blacky und stemmte sich hoch. Die Leeschot hatte sich lose gearbeitet. Noch hielten die Kreuzschläge auf der Klampe, aber sie waren in der Dunkelheit nicht gut genug zu erken nen. Bevor das Dreiecksegel sich lö ste, die Schot brach oder etwas Schlimmeres passierte, mußte die Schot neu belegt werden. Als Blacky auf den Beinen stand, legte sich die Schebecke wieder weit über, richtete sich auf und schien in die nächste Welle springen zu wollen. „Ich helf dir." Bill schwankte und taumelte ebenso wie Blacky. Sie versuchten, sich quer über die Breite des Decks über die Kuhl zu hangeln. Ihre Soh len rutschten auf dem Deck, die Mi schung zwischen Regen- und Meer wasser war glatt wie Eis. Mit beiden Händen klammerten sich die beiden an das Manntau, das straff gespannt war, aber unter ihrem Gewicht hin und her pendelte. Handbreit um Handbreit, vor dem hart gespannten Lateinersegel, be
10 wegten sich Blacky und Bill auf die Leeschot zu. Unter ihnen ächzten die Planken. Bill tauchte unter dem Si cherungstau hinweg und streckte die Hand nach der schlagenden Schot aus, um sich hinüberzuziehen. Er spannte die Muskeln und fühlte, wie ihm das Unterliek des Segels in den Nacken schlug. Sein rechtes Schien bein krachte gegen die Lafette der Culverine, und der jähe Schmerz ließ ihn aufschreien. Er hielt sich fest, streckte sich und fluchte ingrimmig, bis der rasende Schmerz langsam abklang. Neben ihm schob sich Blacky heran und ta stete nach dem Schanzkleid. Von Backbord wischte wieder ein Brecher über das Deck und traf beide Männer an der Schulter. Nur wenig Licht aus der Heckla terne und nicht viel mehr vom Bug licht fiel auf die Kreuzschläge und den Slipstek der Fockschot. Im näch sten Sturmstoß killte das Segel, die Schot wurde den beiden Männern aus den Händen gerissen. „Festhalten, Blacky!" brüllte Bill. Er sicherte sich mit einer Hand und versuchte, das Ende zu belegen, das durch seinen breiten Gürtel lief. Blacky packte Bill mit dem linken Arm um die Brust. Gemeinsam kipp ten sie hin und her, nur durch die En den ihrer Leinen gesichert, waren den Stößen ausgeliefert und schufteten verbissen und keuchend an der wi derspenstigen Schot. Irgendein Knoten löste sich, wahr scheinlich der des quergespannten Manntaus. Die nächste Bewegung schleuderte beide Männer in das Segel. Die nasse, harte Wand aus Leinen prellte sie wieder zurück. Sie kippten rückwärts über den Lauf des verpackten Ge schützes, ihre Finger glitten von den nassen Kardeelen des Tauwerks ab.
Der obere Rand des Schanzkleides schlug mit unwiderstehlicher Gewalt gegen ihre Rücken. Fest aneinander geklammert gingen sie schreiend in der nächsten Welle über Bord. Noch im Fall versuchten sie, eines der wir belnden und peitschenden Taue zu fangen. Als sie in das kochende und bro delnde Wasser klatschten, ließen sie ihre Gürtel los. Das Wasser schlug schäumend über ihnen zusammen. Bill schluckte Wasser, vollführte eini ge hilflose Bewegungen und fühlte, wie er unter Wasser gedrückt wurde. Wo war Blacky? Unsichtbar rauschte die Schebecke an ihnen vorbei, weiter in die Nacht. Die Männer wurden wild umherge worfen, untergetaucht und wieder an die Oberfläche gerissen. Zuerst packte sie die Todesangst, als sie durch die gischtende Hölle ge wirbelt wurden. Als sie auftauchten und zum erstenmal hustend und wür gend wieder Luft holen konnten, merkten sie beide, daß sich im Inne ren ihrer Jacken Luft gefangen hatte und sie leichter an der Oberfläche schwammen. Zwei, drei Atemzüge später, von den Wellen umhergeschleudert, fin gen sie an, wie rasend und brüllend zu rufen. Es gab keine Antwort, nie mand hörte sie. Waren sie verloren? Hatten die Rudergänger nicht gese hen, daß zwei Mann abgekantet wa ren? Sie hatten keine Gelegenheit, über etwas nachzudenken. Ihr Lebenswille besiegte fast sofort die Angst. Die Angst würde später zurückkehren, aber auch wieder verblassen, sobald die Erschöpfung einsetzte. Seewasser brannte in ihren Augen, in den Nasen und im Mund. Sie schnappten keuchend nach Luft und versuchten zuerst, nicht unterzuge
11 hen. Ohne daß sie sahen, in welche Richtung, wurden sie davongewir belt. Keiner hörte durch das Heulen des Windes und die Laute der Wellen den anderen rufen und schreien. Strömung packte sie, zog sie hier hin und dorthin, trieb sie in irgend eine Richtung. Die Langschäfter füllten sich mit Wasser. Zuerst war die See eiskalt ge wesen, jetzt schien sich das Wasser zu erwärmen. Selbst in ihrem Zustand wußten Bill und Blacky, daß dies nicht so war. Der Luftvorrat in den Jacken, auch in den Taschen, hielt ihre Körper halb und die Köpfe ganz aus dem Wasser. Blind vom Salzwas ser, taub vom Getöse der Wellen, mit schwindender Hoffnung und mit ei nem Rest Lebenswillen vollführten sie Schwimmbewegungen und glaub ten zu spüren, daß sie sich tatsächlich in einer starken Strömung befanden, die sie mit sich zerrte. Die Schebecke? Wo war das Schiff? Es gab nicht einmal Mondlicht oder einzelne blinkende Sterne. In der grenzenlosen Finsternis der Sturm nacht im Nordmeer verloren sich auch die winzigen Lichter des Schif fes.
Nachdem die Rudergänger dreimal nach den beiden Männern gebrüllt hatten, wurde auch Hasard endgültig aus seinem Halbschlaf gerissen. Er stürmte an Deck und schrie: „Was ist los? Wo sind die Kerle?" Vom Grätingsdeck herunter, aus der halben Dunkelheit, tönte die Ant wort Jan Ranses: „Keine Ahnung! Vielleicht unter Deck? Die Fock muß durchgesetzt werden!" „Sie sind nicht unter Deck!" brüllte der Seewolf zurück. Hinter ihm tauchte Ben Brighton
auf. „Und das Segel - Mann! Sie sind nicht da! Über Bord gegangen!" „Wir haben sie nicht gesehen!" schrie Piet Straaten. Einige Atemzüge lang herrschte äu ßerste Verwirrung. Dann sicherten sich der Erste und Batuti. Sie holten die Fock wieder dicht und belegten die Schot neu. Fieberhaft dachte der Seewolf nach, während unter Deck noch ein mal nach Bill und Blacky gerufen und gesucht wurde. Beidrehen? fragte er sich. Mann über Bord, gleich zwei seiner Seewölfe? Mitten in der schwärzesten Finsternis? In Wirk lichkeit hatte bei diesem Sturm kei ner, der über Bord gegangen war, eine Chance des Überlebens. Es mußte alles unternommen wer den, was den beiden helfen konnte. Der Seewolf schrie: „Bringt mehr Laternen. Vielleicht sehen sie uns doch noch." „Aye, Sir", erklang es aus dem Nie dergang. „Sofort." Der Sturm heulte und rüttelte an der Takelage. Es war höllisch gefähr lich, in den Wind zu gehen. Aus dem Schiffsinneren rief Big Old Shane: „Unter Deck sind sie nicht, Sir! Willst du sagen, sie sind tatsächlich dort draußen . . . ? " „Ja. Vielleicht leben sie noch." Die Rudergänger versuchten, einen Kurs durch die Kreuzseen zu finden, der das Schiff nicht so sehr umher wirbelte und hin und her warf. Die Seewölfe schwankten mit brennen den Laternen über Deck und bändsel ten sie an. Hin und wieder versuchten sie, über das Schanzkleid zu peilen, aber schon während sie in die Dun kelheit starrten, wußten sie, daß sie nichts und niemanden sehen würden. Aber jetzt bildete die Schebecke tatsächlich eine leuchtende Insel in der Dunkelheit.
12 „Können wir's riskieren?" brüllte Jan Ranse und winkte. „Wir müssen!" rief der Seewolf. „Klar zum Beidrehen! Vielleicht se hen wir sie." Die Crew eilte übers Deck. Die Schebecke schwang sich in die Höhe und sackte wieder in die Wellentäler, aber sie wurde nicht in wilden Ruk ken umhergeschleudert. Langsam schwang das Heck herum. Die Wellen kämme waren die einzigen helleren Flecken und Streifen, die man von Bord aus erkennen konnte. Die See wölfe schrien in alle Richtungen, dann hielten sie den Atem an und ver suchten, eine Antwort zu hören. Es gelang Al Conroy sogar, zwei Drehbassen abzufeuern. Sie entluden sich mit grellen Feuerstrahlen und dumpfen, aber überraschend lauten Explosionen. „Sie werden es nicht schaffen", sagte Ben Brighton zu Hasard. „Wenn sie uns sehen, dann können sie nicht gegen die Wellen anschwimmen." „Wir müssen sie rausfischen!" stieß Hasard hervor. „Wir können sie nicht einfach aufgeben." Er gab seine Befehle, nachdem er zu berechnen versucht hatte, in welche Richtung Sturm, Wellengang und Strömung die beiden Männer mitge rissen hatte. War es wirklich so? Oder irrte er. Die Schebecke schwang wie der herum, legte sich nach Backbord und dann Steuerbord über und stampfte dorthin, wo die Seewölfe ihre Freunde vermuteten. Drei Mann standen vorn mit Wurfleinen, selbst mit dicken Leinen gesichert. Wieder schrien sie die Namen der Verschwundenen. „Keine Antwort. Es ist sinnlos", brummte Hasard zu sich selbst re dend. „Aber wir suchen, bis es hell wird." Er kletterte, selbst in Schwierigkei
ten, sich festzuhalten, zum Kompaß hinauf und beobachtete die Nadel über der Rose. Die Schebecke beweg te sich auf einem seltsamen und ge fährlichen Kurs in südliche Richtung. Wahrscheinlich würden die Färöer beim ersten Licht an Backbord vor aus auftauchen. „Sagt es weiter!" brüllte er auffor dernd, obwohl er ahnte, daß Bill und Blacky vermutlich sterben würden wenn sie nicht schon ertrunken wa ren. „Wir suchen zunächst weiter, bis es hell wird! Dann können wir viel leicht in Thorshavn Hilfe erhalten." „Verstanden", antwortete Ben. „Habt ihr verstanden, was Hasard sagt?" „Aye, aye, Sir." Wie ein Stück Holz tanzte die Sche becke auf den Wellen, und immer wie der hob sich der Bug aus dem Gischt. Die Arwenacks kämpften mit ihrem Schiff um jede Fadenlänge der Strecke. Der Sturm tobte mit wech selnder Wut und aus drehenden Rich tungen bis zum Morgengrauen. Als sich die Wolken schwarz gegen den grauen Himmel abhoben und das Meer wieder grau und grün von der Heckspur durchschnitten wurde, suchten alle Seewölfe mit rotgerän derten, tränenden Augen die Was serfläche ab. Was sie erwartet hatten, traf ein: weder von Bill noch von Blacky gab es eine Spur. Aber sie fanden auch keine bewegungslos treibenden Kör per in hellen Segeltuchjacken.
Blacky konnte nicht mehr denken. Er spürte nur unablässig, daß etwas mit ihm passierte. Eins wußte er: er lebte - noch. Die Kraft des Wassers und der Wel len zog seine Glieder auseinander und
13 Bei Tageslicht würden ihn die stauchte sie wieder zusammen. Als er begriff, daß er in diesen chaotischen Freunde suchen und finden. Ihn und Kreuzseen vielleicht überleben Bill. Der Seewolf würde auf keinen konnte, unterstützte er dieses Ziehen Fall weitersegeln und seine Leute und Stauchen durch eigene Bewegun einem nassen, tödlichen Schicksal gen. Er hielt sich über Wasser und ausliefern. Darauf konnte sich zwang sich dazu, das Salzwasser aus Blacky mit absoluter Sicherheit ver zuspucken und langsam, überlegt, die lassen. Später merkte er, daß er tatsäch Luft einzuziehen und auszublasen. Die Finsternis um ihn herum war lich von irgendeiner Strömung ge vollkommen. Es gab weder Licht packt worden war. Sie zog ihn mit noch irgendeinen Widerschein der sich. Immer dann, wenn er versuchte, Sterne oder des Mondes. Blacky er blind der nächsten Welle auszuwei kannte nicht, wohin er schwamm, chen oder zu verhindern, daß sie und in welche Richtung ihn eine Strö genau über seinem Gesicht brach und ihn mit Wasser und Gischt überschüt mung riß, die er zu spüren glaubte. Er verlor zuerst das Gefühl für tete, drehte sich sein Körper in die Zeit. War er vor einer Stunde oder alte Lage zurück und wurde durch vor zwei Dutzend Atemzügen über das Wellental gezogen. Aber das Vor handensein einer Strömung besagte Bord gegangen? Er zwang sich, richtige Schwimm nicht, daß sie ihn an einen Ort züge auszuführen, bis sich der Kör brachte, der Rettung bedeutete. per daran gewöhnt hatte und nahezu Vielleicht riß sie vor England ab, mechanisch in Bewegung blieb. vor Norwegen oder Skagen. Alles war Blacky begriff, daß ihn die Luft in denkbar, alles war wahrscheinlicher der dicken gewachsten Kleidung als eine Insel recht voraus. Er würde wärmte und an der Oberfläche hielt. treiben, bis er von der Kälte des Irgendwann würde das aber vorbei Wassers bewegungsunfähig gewor sein. den war, bis er einschlief und er Er hob den Kopf und versuchte, die trank. Schwärze voraus mit seinen Blicken Er wollte leben! zu durchdringen. Sie mußten es ge Unaufhörlich kämpfte er mit sich merkt haben. Warum unternahmen selbst. Er kämpfte gegen die Versu sie nichts? Lichter setzen, nach ihm chung an, aufzugeben und sich trei und Bill suchen, schreien und mit den ben zu lassen, in dieser spürbaren Geschützen Signale geben? Strömung. Er kämpfte gegen die Wel Nichts. Nur pechschwarze Finster len und gab es schließlich auf, weil er nis und das Heben und Senken, Um erkannte, daß sich die Wellen inner herwirbeln und Zusammenbrechen halb bestimmter Grenzen bewegten. der Wellen. Und er kämpfte - das war für ihn das „Warum ausgerechnet ich? Warum Schwierigste - gegen seine verzwei wir beide?" keuchte er. felten, sinnlosen und sich überschla Wieder spuckte er salziges Wasser genden Gedanken an. Er fing an, laut aus und versuchte mit aller Kraft, mit sich selbst zu sprechen. seine Panik zu unterdrücken. Er „Wenn ich das überlebe", schrie er mußte die winzigen Möglichkeiten, in den heulenden Sturm, kriegte den die er hatte, richtig ausnutzen. Mund voller Wasser und spuckte es Er mußte am Leben bleiben! hustend und würgend wieder aus,
14 während Hitzewellen durch seine Echo, einen Widerhall, etwas, das ihn Glieder rannen, „wenn ich überlebe, zu anderer Zeit in helle Aufregung versetzt hätte. werde ich mich Ironman nennen!" Er verstand, daß er dazu jedes Aber Blacky war zu schwach. Er Recht hatte. Wenn er überlebte. spürte nicht mehr, ob er sich bewegte Wahrscheinlich war er in ein paar oder herumgeworfen wurde. In sei Stunden tot. nen Ohren dröhnten überlaut die Ge Oder vielleicht sehr viel früher, räusche und deren Widerhall. Zi wenn der riesige Ozean des Nordmee schen und Poltern, Krachen und ein res die letzte Wärme aus seinem Kör schauerliches Wimmern, in das sich per gesogen hatte. schrille Schreie mischten. Auf diese Weise verging die Zeit. Dumpf merkte er, wie seine Gedan Waren es Atemzüge, Stunden oder ken schwanden, als würden sie von ei Jahre? Bei dem Versuch, die Zeit aus nem riesigen schwarzen Loch aufge zurechnen, verwirrten sich Blackys sogen. Gleichzeitig hob eine unwider Gedanken, und an seinem inneren stehliche Kraft seinen Körper, dessen Auge zog sein Leben vor ihm vorbei. Glieder kraftlos schlenkerten, in die Es war farbig, wahrheitsgetreu und Höhe und ließ ihn wieder fallen. außerordentlich genau. Übelkeit packte ihn, er würgte Was Vom Waisenhaus, wo man ihn we ser heraus, ohne es zu merken, und gen seiner etwas bräunlichen Haut als er wieder scheinbar senkrecht den Namen Blacky gegeben hatte, aufwärts gerissen wurde, hustete und wohl auch wegen der dunkelbraunen würgte er, schnappte nach Luft und Augen und der schwarzen Haare, bis schwankte zwischen Erwachen und zu dem Tag, an dem er an Bord der dem Augenblick, in dem der letzte Le „Marygold" aufgewacht war, in den Dienst unter Francis Drake gepreßt, bensfunken seinen Körper verlassen über die schönen Tage und Nächte in würde. Blacky lebte noch, als ihn die näch vielen Teilen der Welt, die er an Bord ste Brandungswelle packte. der „Seewolf''-Schiffe verbracht Sie stieg senkrecht an einer riesi hatte, bis zur heutigen Nacht. gen, schwarzen Felswand hoch, er Er verlor die Besinnung. Sein Körper trieb in den Wellen, reichte ein breites Sims und zerfetzte wurde herumgewirbelt, unter Wasser in Gischt und Wasserfluten, die gedrückt, über den Gischt hinausge durch die Spalten prasselten, das hoben und von einer starken, seltsa Sims überfluteten und langsam wie der abflossen. Der schwere Körper men Strömung mitgerissen. wurde gegen die Felsen geschleudert, überschlug sich und blieb in der Kante zwischen Sims und senkrech Irgendwann kam er wieder zu sich. ter Wand liegen. Über Blacky fingen große Vögel, Er blinzelte mit roten, salzverkru steten Augen. Noch immer - oder die in Spalten nisteten, aufgeregt zu schon wieder? - war Nacht. Schwach kreischen an. und ohne sich danach richten zu kön Aber Blacky sah und hörte nichts nen, nahm Blacky wahr, daß sich et mehr. was verändert hatte. Die Geräusche waren anders geworden. Es gab ein
15 Gegen Ende der Nacht erreichten kleine Herde Schafe. Aus zahllosen die Wellen an diesem Teil des Stran Löchern in den Steilklippen flatter ten Vögel auf und gingen auf die Jagd des ihre größte Höhe und Wucht. Zwischen den Inseln, wo die Bran und auf Futtersuche. Gellende dung riesige Felsblöcke herausgeris Schreie ertönten, das Klagen der Mö sen und neunzig Fuß weit auf den wen, die Laute von Baßtölpeln, Lum Strand geschleudert hatte, brachen men und Alken. sich die Wellen, und als die riesige Die Vögel flatterten in dem Sturm, Brandungswoge zurückflutete, ließ der abblätternde Steinteilchen von sie am dunklen Strand aus Sand und den Klippen riß. Um die einzeln ste Geröll eine leblose Gestalt zurück. henden Felsnadeln, oft hundertfünf Es war in dieser Nacht die schwer zig Fuß hoch, gurgelte der Wind ste, höchste und kräftigste Welle ge ebenso drohend wie entlang der weni wesen, denn die nachfolgenden liefen ger schroffen Strände. Hin und wie mit zischenden Schaumstreifen zehn der jagte er einen Nebelfetzen zwi Fuß vor der Gestalt aus. schen den Inseln hindurch. Der Him Die Insel, zu drei Vierteln eine Ta mel blieb dunkelgrau, im Dunst wa felbergfläche, bestand aus zwei Drit ren einzelne Wolken nicht mehr zu teln schroffer Felsabstürze. Das unterscheiden. letzte Drittel fiel als grasbewachse Die Gestalt bewegte sich, als der ner Hang zum Meer hin ab und ende Wind abflaute. te in einem wild gezackten Strand. Zwischen diesem Teil der Inselwelt Vor undenklich weit zurückliegen beruhigte sich das Meer. Bill zog das der Zeit schien die Insel aus der Tiefe rechte Bein an, bewegte seine Arme der Erde aufgetaucht zu sein. Die und zog mit den gespreizten Fingern Schichten des Gesteins waren schon tiefe Rillen in den Sand. im ersten grauen Licht der schwin Er hob den Kopf, schüttelte sich denden Nacht zu erkennen. Tuffstein und fing sofort zu zittern an. Ganz und Basalt wechselten mit verwitter langsam kam er in die Höhe und blieb ten Lavamassen ab. Der Sand war auf den Knien und den Ellbogen. Er grobkörnig und dunkel. Zwischen der zuckte zusammen und kippte zur riesigen Mauer aus Treibgut ragten Seite. Bill zog die Knie an die Brust, kantige, schrundige Steintrümmer in schob die Hände tief zwischen die die Höhe. Knie und zitterte noch stärker. Seine Wieder rauschte eine Brandungs Zähne schlugen klappernd aufeinan welle heran, kippte und überschlug der. Wie ein verwundetes Tier robbte sich und wirbelte die Sandkörner am er weiter, vom Wasser weg, mitten Strand durcheinander. Zwischen den durch Tang und Algen und bleichge senkrechten Wänden der Insel pfiff scheuertes Holz. Er wußte nicht, was der Sturm mit schneidender Kälte er tat, aber er unternahm genau das heran. Die Gestalt mitten im Wall aus Richtige. Er hinterließ eine zwanzig Treibholz, feuchten Algen und toten Fuß lange Zickzackspur, ehe er wie Fischen bewegte sich nicht, nur der der ohnmächtig zusammenbrach. Sturm fuhr in das nasse, dunkel blonde Haar und trocknete es. Im ersten Licht fing die Insel plötz lich zu leben an. Über die Kante des Der Schmerz weckte ihn auf. Glü Taleinschnitts tappte langsam eine hende Stiche fuhren durch seine
16 Haut. Er hob mit blinden Augen die Blut hervor. Als er sich über das Ge Hände und bedeckte sein Gesicht da sicht strich, spürte er, daß die Schnä mit. Jetzt zuckte der Schmerz durch bel der Vögel die verschorften Wun den und Schnitte wieder aufgerissen seine Finger. Blacky gewann das Bewußtsein, als hatten. Auch die Handflächen waren er abwehrende Bewegungen aus blutverschmiert. führte und zusammenzuckte, weil et Mit zitternden Knien stand er was genau in seine Ohren schrie. schließlich, hielt sich am Felsen fest Es dauerte unendlich lange, bis er und drehte den Kopf nach links. die drei Möwen erkannte, die um sei Der Einschnitt in der steilen Wand nen Kopf flatterten und nach seinen ging weiter. Vorsichtig setzte er einen Augen hackten. Er handelte instink Fuß vor den anderen. Ihm war übel tiv, packte einen Vogel und hieb mit wie nie zuvor in seinem Leben. Er dem flatternden, kreischenden Ding fror, seine Haut war fast gefühllos ge nach den anderen. Sie flüchteten, und worden. Die Augen brannten, und die er schleuderte die Möwe kraftlos von Lippen waren aufgerissen. Als er sich. stöhnend den Kopf in den Nacken Dann holte er tief Luft und schaute legte und nach oben schaute, sah er, sich um. Er begriff in qualvoller daß es zwei- oder dreihundert Fuß Langsamkeit, wo er sich jetzt befand. senkrecht in die Höhe ging. Er hockte etwa dreißig Fuß über Hunger, Durst, Kälte und Erschöp der Brandung. Von hier aus sah er fung ließen ihn taumeln. Mit beiden weit auf die dunkelgrauen Wellen Händen klammerte er sich an den hinaus, von denen der Sturm die Schaumkronen wegriß. Rechts ende vorstehenden Felsplatten an und te das fünf Fuß breite, trümmerüber krallte sich in die Spalten. Von unten säte Sims an einem überhängenden dröhnte das Donnern einer schweren Abhang aus schwarzem, nassem Ge Brandung herauf. Er lebte. Er hatte sich irgendwie stein, auf denen der Kot unzähliger Vögel breite Spuren hinterlassen retten können. Aber als er den Ab hatte. grund neben sich sah und erkannte, wie weit entfernt das Meer dröhnend Dann sah er die vielen Vögel. Sie landeten über ihm, und von gegen den Fuß der Felswand schlug, dort flogen sie auch auf. Die meisten schüttelte er den Kopf. flatterten hinaus auf die See und Er konnte sich nicht vorstellen, daß fischten, indem sie sich ins Wasser er hierher aus eigener Kraft gelangt stürzten. Durch das Winseln des Win war. Die kleinste Bewegung rief ste des ertönten ihre Schreie, und je chende Schmerzen hervor. Blacky mehr sich Blackys Gedanken klärten, wankte weiter auf dem Sims. Er stol desto deutlicher und lauter wurde perte über Steinbrocken, und in den das Vogelgeschrei. blutenden Schnitten seiner Haut „Ich bin also doch ein Ironman", brannte das ätzende Wasser, das mit Guano durchsetzt war. stieß er hervor. Als er versuchte, sich an den Das trümmerübersäte Sims, einmal schrundigen Felsen in die Höhe zu breit, dann wieder gefährlich schmal, ziehen, überfielen ihn die Schmerzen. folgte den Vorsprüngen und Spalten Jeder Teil des Körpers schmerzte. des Steilfelsens. Ungefähr zweihun Unter den Jackenärmeln sickerte dert kleine Schritte weit schleppte
17 sich Blacky auf diesem Weg, und ließ den Wasserstrahl zwischen die Lippen rinnen, schluckte und trank, ebenso langsam gelangte er zu sich. „Jetzt mußt du zeigen, Ironman, bis er nicht mehr konnte. Dann ließ er was du kannst", murmelte er und Wasser in seine hohle Hand laufen lehnte sich schwer gegen den nassen und wusch sich sooft wie möglich das Salz aus dem Gesicht und dem Haar. schwarzen Fels. „Also", murmelte er und fühlte sich Der schmale Weg war zu Ende. Di rekt vor seinen Stiefelspitzen fiel der ein wenig besser. „Verdursten kann Abgrund senkrecht bis zum Wasser. ich nicht mehr." Mit jedem Fußbreit, den Blacky auf Links vom Absturz sah Blacky ei mühsamen Klettertour nen schrägen Spalt, tief eingeschnit seiner ten und angefüllt mit wuchtigen Fels schaffte, spürte er seine Erschöpfung blöcken. Der Spalt schien bis zum deutlicher und stärker. Aber das Klettern lenkte ihn ab. Ende der Felsen hinaufzuführen. „Kann das sein?" fragte er sich und „Der einzige Weg", murmelte wischte sich den Schweiß aus dem Blacky. Das Blut strömte schneller durch Gesicht, wobei er die Hälfte der ver seinen zerschlagenen, zerschundenen krusteten Wunden wieder aufriß. Körper. Trotz der triefend nassen „Sind das die Färöer?" Er wußte von Dan, daß die Färöer, Kleidung und des schneidenden Win des wurde es an einigen Stellen der die Schafinseln, weit und breit das Haut warm. Dort nahmen die ste einzige Stück Land in diesem Nord chenden Schmerzen noch zu, aber sie meer waren. Es war denkbar, daß der hielten ihn wach. Er mußte Wasser letzte Sturm sie sehr viel weiter über finden und etwas in den Magen krie die Wellen gejagt hatte, als Hasard gen. Er sprach sich selbst Mut zu und und Dan O'Flynn ausgerechnet hat enterte den Spalt. Mühsam zog und ten. Blacky schüttelte den Kopf, als kletterte er um die Felsen herum, könne er die Müdigkeit dadurch ver suchte Griffe und Spalten für seine scheuchen und krallte sich in den Fels, mitten in einem Schwarm von Hände und Fußspitzen. Der Spalt war nicht sonderlich Lummen oder anderer Vögel. Noch steil, aber schwer zu erklettern. Keu fünfzehn Fuß, dann hatte er die chend und in Schweiß gebadet zwang Kante erreicht. Als er sich umdrehte, zuckte er zu sich „Eisenmann" um die Blöcke her um, rutschte immer wieder ab und sammen. Er hatte nicht gedacht, daß schlug sich Knie und Schienbein blu er so hoch hinaufgeklettert war. tig, fluchte und zog sich von Absatz Seine Fingerspitzen bluteten. Minde stens zweitausend Fuß hoch! zu Absatz. Ständig mußte er die gierigen Mö Er blickte weit hinaus über das wen abwehren. Die meisten anderen Meer. Vögel kümmerten sich nicht um ihn. Kein Schiff in Sichtweite. Von der Schließlich, in der oberen Hälfte der Schebecke keine Spur. Soviel Glück kleinen Schlucht, lief ein dünner hatte er also nicht. Und wo er sich Strahl Wasser über den dunklen wirklich befand, ob er auf der Insel Stein und plätscherte über die Kante, überleben konnte, das würde sich zei die wie eine Nase geformt und verwit gen. tert war. Mit letzter Kraft stemmte er sich Blacky legte den Kopf schief und hoch, kletterte, wich scharfen Kanten
18 aus und schlug nach den aufgeregten Möwen, die schrien und nach ihm hackten. Dann kippte er über die letzte Kante. Bisher hatte er sich in Lee be funden, jetzt pfiff der Wind wieder über seinen Kopf. Er schaute gera deaus. „Ironmans Insel", flüsterte Blacky. Vor ihm dehnte sich eine große, fast völlig ebene Fläche aus, die in jene Richtung, in die er blickte, leicht ab fiel. Halbmondförmig zeigten sich die Nester Tausender von Vögeln entlang der Felskante. Dürres Gras war zu se hen, aber meist hockten die Vögel auf dem blanken Fels. Weiter weg, in der Mitte der langgezogenen Hochfläche, sah Blacky dunkelgrünes Gras wu chern. Er schleppte sich über die Kante, ging ein Dutzend Schritte mit wackli gen Knien und stolperte. Er fiel auf die Knie und die ausgestreckten Hände. Die Erschöpfung hatte ihn wieder eingeholt. Übergangslos schlief er ein und verkroch sich in stinktiv in die schwere, starre Segel tuchjacke. 3. Philip Hasard Killigrew hatte die tiefen, schwarzen Fjorde zwischen den langgestreckten Inseln abge sucht, jeden Quadratfuß, als das Schiff auf West-Ost-Kurs an Kalsö, Kunö und Viderö vorbeigesegelt war. Jetzt, nachdem die Schebecke in Lee der Insel Fuglö auf Südkurs gegan gen war, hatte sich das Meer beru higt. Seit Stunden hatten die See wölfe kaum etwas anderes getan als das Wasser, die Brandung und die rie sigen, drohenden Klippen abzufor schen. „Man sagt, es seien die höchsten
Huks der Welt", murmelte Dan O'Flynn und ließ das Spektiv sinken. „Schon möglich. Ich denke dran, daß dort vielleicht Bill und Blacky ihre Knochen zerschmettert haben", antwortete Hasard. „In Thorshavn finden wir Leute, die uns suchen hel fen, nicht wahr?" „Ganz bestimmt, Sir." Die Seewölfe hatten begriffen, daß die Stürme und die riesigen Wellen vor den nördlichen Felsabstürzen kei neswegs von Riffen oder Schären ge bremst wurden. Während die Kraft des Wassers und des schmirgelnden Sturms, von Eis, Regen und Salz die helleren Gesteinsschichten lockerte und wegschliff, widerstand der schwarze Basalt. Die Küstenlinie be stand aus nichts als wilden, zackigen und kantigen Formen, die jedem See mann das Fürchten lehren konnten. „Svinö querab, Sir! Nichts zu sehen von Blacky oder Bill!" rief Carberry vom Vorschiff her. Die Schebecke lag ruhig und lief gute Fahrt. Kurz nach Anbruch der Helligkeit und zur selben Zeit, als sich aus dem Morgennebel die wuch tigen Umrisse der nördlichen Insel kanten hervorschoben, war die Wucht des Sturms gebrochen. „Verstanden, Ed!" rief der Seewolf zurück. „Weiterhin Ausschau hal ten!" „Aye, Sir." Die Irrfahrt in der Nacht hatte die Schebecke, ohne daß etwas zu sehen gewesen wäre, in die unmittelbare Nähe der Färöer gebracht. Irgendwo zwischen den achtzehn Inseln waren die Körper an den Strand oder auf die Felsen geschmettert worden oder trieben in der Strömung, der die See wölfe gerade noch entgangen waren. „Sie sind tot, Dad", sagte Jung Ha sard. „Niemand hält es im kalten Wasser lange aus."
19 Sein Vater schüttelte den Kopf. Er kein Essen, keine Hütte. Er war am wollte es nicht glauben, obwohl ihm Leben, aber auf einer menschenlee die Erfahrung sagte, daß sein Sohn ren Insel gestrandet. Auch dort, wo sich das Wasser lang und die Mehrzahl der Crew recht ha sam vom Strand zurückzog, gab es ben mußten. „Als Blacky und Bill über Bord gin keine Spuren davon, daß hier Men gen", sagte Hasard, „waren sie ver schen lebten. Keine Boote, keine Netze, keine Reste eines Stegs, soweit dammt nahe an diesen Inseln." Er zeigte nach Nordwesten, dort Bill den Strand überblicken konnte. „Ich bin am Leben", sagte er laut, hin, wo sich die Schebecke in der Nacht während der Suche, mit kur nur um eine Stimme zu hören. „Aber zen Schlägen kreuzend, durch den das Schwierige kommt erst." Bill wankte weiter vom Strand weg Sturm gekämpft hatte. „Du meinst, sie haben schwimmen und auf das erstaunlich sattgrüne können? Sie haben irgendwo die Kü Gras zu. „Feuer", murmelte er nach einer ste erreicht? Einen Felsen, eine Weile. Bucht?" Holz gab es genug. Der flache Hasard nickte seinem Sohn zu. „Ja. Das ist möglich. Vielleicht war die Strand war von Treibholz übersät. Er Strömung ihre Rettung. Entweder erinnerte sich an die Methoden, auf finden wir sie lebend, oder wir finden einfache Art Glut und Feuer zu erzeu gen. Zuerst mußte er eine Quelle oder ihre Leichen." Hasards Stimme verriet seine Ent einen Tümpel voller Süßwasser fin schlossenheit. Sie waren schon ein den. paar Male hart an die drohenden Vo Er hob den Kopf, als er plötzlich ein gelklippen herangefahren und hatten Geräusch hörte, das nicht in das Rau Ausschau gehalten. Aber außer toten schen der Brandung, das auf und ab Vögeln, Federn und Treibgut war schwellende Wimmern und Jaulen nichts zu sehen gewesen, das auf Bill des Windes und das Geschrei der vie oder Blacky hingedeutet hätte. len Vögel paßte. Nach einer Weile brach Hasard wie „Das sind - Schafe!" stieß er halb der sein nachdenkliches Schweigen. erschrocken, halb verblüfft hervor. „Die Leute von Thorshavn werden Die nasse Kleidung scheuerte auf uns helfen. Sie sind gute Seefahrer. der Haut, als er auf die Tiere zuzuren Ich weiß, daß wir Blacky und Bill nen versuchte. Sie sprangen blökend finden - lebendig o d e r . . . " davon und den Hang hinauf. Nach ei Er sprach nicht weiter, hob das nigen Schritten gab Bill auf. Überall Spektiv wieder ans Auge und fuhr dort, wo sich Salz abgesetzt hatte, riß fort, die Wellen und die Ufer abzusu die Haut auf und schmerzte. Zwi chen. schen den Tieren sah er keine kleinen Lämmer, also war es sinnlos, ange sichts der halbwilden Tiere an fette Schafsmilch zu denken. Gegen Mittag wachte Bill auf und Oder doch nicht? Er wußte es nicht. fror jämmerlich. Er taumelte auf die Er war Seemann, kein Schäfer. Füße und warf unsichere Blicke in Aber die Schafe führten ihn viel alle Richtungen. Er sah nichts, woran leicht zum Süßwasser. Während er er sich halten konnte: kein Wasser, versuchte, die schwere Jacke auszu
20 ziehen, stolperte er schwankend hin ter den Tieren her. Der Hunger wühlte in seinen Eingeweiden. Der Durst wurde übermächtig, aber Bill zwang sich, nicht aufzugeben. Auf seinem Weg schaute er sich im mer wieder genau um. Vielleicht fand er etwas, das ihm helfen konnte. Er sah noch mehr Treibholz und all das, was das Meer nach langer Irrfahrt ans Ufer spült. Aber es waren weder Töpfe noch Kessel darunter. Im Zick zack sprangen die Schafe den Hang hinauf und beäugten mißtrauisch den Eindringling. Auch gab es weder Zäu ne noch Gehege, nicht einmal eine verfallene Hütte. „Die Färöer sind dänisch", brum melte Bill. „Gut, daß es hier keine Dä nen gibt. Da brauche ich nicht auf Nils zum Dolmetschen zu warten." Endlich hatte er das starre, salzver krustete Zeug von den Schultern. Er zog die Jacke hinter sich her und ver suchte sich zu erinnern, was er in den Taschen hatte. Glücklicherweise und das war für ihn noch seltsamer als der Umstand, daß er überlebt hatte - schien kein Knochen gebro chen. Aber jeder Muskel schrie auf, wenn er bewegt wurde. In halber Höhe des Hanges ent deckte Bill im Gras einen dunklen Zickzackstreifen. Er bewegte sich darauf zu und erkannte schließlich, daß es sich um Wasser handelte. Ein Wasserlauf, der von der Hochfläche kam und hier versickerte. „Noch zwanzig Schritte ...", keuchte er, dann fiel er vornüber und schob mit zitternden Händen das Gras auseinander. Darunter war wei ßes Geröll und glatter Fels, über das Wasser lief. Bill trank mit einer Hast und Gier, die ihn überrascht hätte, wenn er es gemerkt haben würde. Er schöpfte mit beiden Händen das eiskalte Was
ser an die Lippen und trank, so schnell und so viel er konnte. Keu chend hielt er inne, als er nicht mehr konnte. Obwohl seine Finger vor Kälte zit terten, wusch sich Bill das Salz aus dem Gesicht und dem stacheligen Bart, streifte die Ärmel hoch und tauchte die entzündeten, roten Unter arme ins Wasser. Er schrie, als der Schmerz einsetzte. „Verdammt! Gut, daß mich keiner hört und sieht." Wieder trank er und fühlte, wie langsam, trotz der erbärmlichen Kälte, das Leben in ihn zurückkehrte. Das Wasser, das in seinen Bauch gluk kerte, verdrängte das nagende Hun gergefühl. „Ich brauche einen Überblick", sagte er zu sich und stapfte weiter hangaufwärts. Die Schafe sprangen nach links weg und fingen in sicherer Entfer nung zu grasen an. Bisher hatte Bill noch nicht einen einzigen Baum gese hen. Wahrscheinlich gab es über haupt keine Bäume auf den Schafsin seln. Obwohl jede Bewegung eine neue Anstrengung bedeutete und der Schmerz in den vielen offenen Wun den biß, schleppte sich Bill vorwärts und aufwärts und gelangte zwei Stun den später auf den höchsten Punkt der Insel. Er stand sehr weit im Süden und war auf den größeren der beiden Strände geworfen worden. Direkt un ter ihm, am Ende einer langen Gefäll strecke, ragte eine Landzunge flach ins Meer. Alle anderen Teile der Insel, soweit er dies sehen konnte, fielen mehr oder weniger steil ab. Die Insel war langgezogen und reichlich schmal. Ihre Felsenmasse zeigte in Nordsüd richtung. Obwohl über dem Wasser
21 leichter Nebel lag, konnte Bill im We sten eine weitaus größere Insel erken nen, und im Osten ragten ebenfalls unterschiedlich große Felsmassen aus dem Nordmeer. Er kannte den Namen der Insel nicht, auf der er zu überleben gezwungen war. „Den einen Strand kenne ich schon", murmelte er. Er wußte auch, wo es Wasser gab, also sollte er sofort den anderen Flachstrand untersuchen. Beide Teile waren durch wuchtige, weit vorsprin gende Felsformationen voneinander getrennt, und nur auf dem Was serweg war eine Verbindung zwi schen ihnen möglich. Bill begab sich auf den Weg hinun ter und ging an ein paar Nestern vor bei, in denen Eier lagen. Er bückte sich, wehrte die Vögel ab und hob ein Ei auf. Als er es schüttelte, meinte er, daß es noch warm und vermutlich frisch gelegt war. Er drückte die Schale auf, verzog angewidert das Gesicht und trank das Ei leer. Die glitschigen Reste warf er nach einem Vogel, der ihn attak kierte. „Es gibt Besseres", murmelte er, aber der Trost blieb zurück, daß er nicht verhungern würde. Hatte er erst einmal ein Feuer, würde er die Vögel fangen und braten können. Bill entdeckte auf halber Höhe eine Höhle. Ein tiefer Spalt in den Felsen war durch überhängendes Gestein ge schützt. Wollreste, Schafsmist, ein paar Knochen und die Reste einer Feuerstelle bewiesen, daß sich die Schafe hierher flüchteten und vor nicht allzu langer Zeit hier jemand ein Feuer unterhalten hatte. Von der Höhle führte ein Pfad, den die Hufe der halbwilden Tiere getreten hatten, zum Strand hinunter. Auch hier gab es mehrere Rinnsale, die über Felsen liefen und von Scha
fen und Vögeln als Tränke benutzt wurden. Zwischen den schiffsgroßen Felstrümmern auf dem Strand lagen riesige Mengen Treibholz und Schwemmgut. Bill zwang sich dazu, im Lee eines Felsens Holz zusam menzutragen und auf einen Haufen zu werfen. Im nassen Schwemmgut fand er Muscheln und Fischgräten in großen Mengen, einen kleinen und einen gro ßen Napf aus grünspanigem Metall, mehr als nur verbeult, Tauwerkreste und, an einigen Steinen, dicke Moos polster. Er riß das Moos ab und stopfte es sich ins Hemd, um es zu trocknen. Auch hier - kein Boot, nichts, aus dem sich ein Boot herstellen ließ oder wenigstens ein Floß. Der flache Be reich, den das Meer bis hoch in den Hang hinauf mit Schwemmgut be deckt hatte, maß in der Länge nicht mehr als zweihundert Schritte. Nach zwei Stunden Arbeit war der Holzsta pel riesengroß geworden. Trotz Hunger und Erschöpfung hatte Bill so etwas wie einen Plan ent wickelt, der ihm auf mehrfache Weise helfen sollte. Er riß und zerrte, bis er das Messer aus dem Stiefelschaft fischen konnte. Dann versuchte er, ein geeignetes Stück Holz in dünne Stäbe zu schnei den und zu hacken. Sorgfältig gestal tete er halb im Inneren seines Holz stapels ein windgeschütztes Nest, in das er alles packte, was leicht brannte: eine Unmenge Vogelfedern, möglichst viel dünnes und trockenes Holz, noch mehr Moos und trockenes Gras. Er fand ein zerbrochenes Brett, das von einem Boot oder Schiff stammte. Aus seiner Jacke kramte er ein Stück Takelgarn, vier Fuß lang und band es an beiden Enden eines rindlosen, et was gebogenen Astes.
22 In einen einigermaßen geraden Stock schnitzte er eine Kerbe und spitzte den Stock an beiden Enden zu. Er sah, daß es in kurzer Zeit wieder dunkel werden würde. Während sich die Regenwolken über anderen Teilen der Färöer ent leert hatten, war es an diesem Ende der langen, schmalen Insel noch trok ken geblieben. Bill baute alles, was er brauchte, vor sich auf und hockte sich auf einen Stein. „Vielleicht habe ich Glück. Noch mehr Glück", sagte er und wollte im Augenblick nichts anderes, als lange und tief schlafen. Er wickelte das dünne Garn in die Kerbe des Stockes, preßte das eine Ende in ein Loch des Brettes und das andere hielt er mit einem flachen Stein unter Druck. Probeweise be wegte er den Ast hin und her - der Stock drehte sich ohne Schwierigkei ten und einigermaßen gleichmäßig. Bill sagte sich, daß die Kälte ver ging, wenn er sich schnell bewegte. Er drückte den Stock mit dem Stein fest ins Brett und zog den Ast hin und her. Brummend und mit leisem Pfeifen drehte sich der Stock, immer schnel ler und mit mehr Druck, und tatsäch lich stieg aus dem Loch nach einiger Zeit beißender Rauch auf. Bill drückte noch stärker auf den Stein und riß den gekrümmten Ast hin und her, bis er knackte. Er schob blitz schnell etwas Moos in den Rauch, an die qualmende Stelle und blies dar auf. Seine Augen tränten, er mußte hu sten, aber er hörte nicht mehr auf. Schließlich, nach einer Viertelstunde, lag um das Brett ein kleiner Haufen Moos, und der Rauch wurde stärker. Wieder blies Bill. Er blinzelte, als er das erste Flämmchen sah. Schnell schob er Späne und die Holzstücke hinterher, kratzte die Federn zusam
men und sah, wie die Flamme größer wurde, daß es weniger rauchte, und schließlich brannte das Häufchen, das er vorsichtig mit immer mehr Holz und Abfall fütterte und langsam ins Innere des Holzstapels schob. „Hoffentlich geht es nicht aus", sagte er. Er atmete schwer und war schweiß gebadet. Der Wind trocknete den Schweiß, und schlagartig fror Bill wieder am ganzen Körper. Er merkte es nicht, denn er war in heller Aufre gung und damit beschäftigt, sein win ziges Feuer in Gang zu halten und es in Verbindung mit den dickeren, salz verkrusteten Hölzern zu bringen. Die Flammen fraßen sich nach al len Richtungen, züngelten höher, ver brannten das Moos und leckten an den dünnen Holzstäben in die Höhe. „Ich hab's geschafft!" schrie Bill. Kreischend flogen ein paar Dut zend Lummen oder Alke auf. Hastig packte Bill, was ihm an dün nen Hölzern unter die Finger geriet. Er warf sie in die Flammen, und sie breiteten sich aus. Schließlich brann ten auch die ersten dickeren Teile des Treibholzes. Die Wärme, die Bill ent gegenschlug, war wie ein Zeichen sei nes Sieges. Bill sprang auf und brachte seine Habseligkeiten in Sicherheit. Dann rannte er aufgeregt hin und her und schleppte noch mehr Holz auf seinen Stapel. „Beim ersten Versuch!" rief er und peilte zum Himmel. Die schwarzen Abendwolken ver hießen nichts Gutes. Was konnte er unternehmen, daß er für die nächsten Tage Feuer und Glut hatte? Er holte den größeren Topf und beulte ihn von innen mit einem dop pelt faustgroßen Stein aus. Jetzt wa ren die Flammen schon hüfthoch, und hinter dem Felsen drang heller Rauch
23 hervor und kräuselte sich in die Höhe. Nordwestwind riß ihn ausein ander. „Erst einmal Holz." Wieder überwand sich Bill und rannte, bis seine Knie schlotterten, zwischen der Höhle und dem Strand hin und her. Mit vollen Armen schleppte er Holz nach oben. Größere Stücke schleifte er hinter sich her und drohte mit der Faust den blöde starrenden Schafen, die an der Kante des Abhanges standen und blökten. „Wartet nur!" schrie er. „Bald gibt's Hammelbraten!" Bill schuftete und schleppte weit über seine Erschöpfung hinaus. Er sah jedesmal, wenn er wieder zum Strand stolperte, daß die Flammen höher wurden und nicht mehr ausge blasen werden konnten. Der riesige Holzstapel brannte lichterloh. Die Flammen prasselten und heulten, Funken sprangen nach allen Seiten, der Ruß färbte den Felsblock schwarz. Bill war zufrieden, als er die ersten dicken Scheite aus dem Haufen her vorzerrte und in den zerbeulten Topf steckte. Ein Teil des Haufens brach zusammen. Die Funken wirbelten in die Höhe. Das Feuer wärmte und trocknete Bills nasses Zeug. Der Lichtschein der Flammen und des Rauches würde weithin sichtbar sein. Vielleicht sah jemand das Zei chen und deutete es richtig. Schließlich konnte Bill daran den ken, irgendein Tier zu fangen und zu braten. Er brachte es fertig, in den Eingang der Höhle so viel Glut zu schleppen und Holz darüberzuschichten, daß auch hier ein Feuer aufloderte. Als er sah, daß das Feuer auch ohne seine Hilfe weiterbrannte, rollte er sich auf dem Boden der Höhle zusammen, zog
die Jacke über sich - sie stank nach Brackwasser und Rauch - und fiel in einen ohnmachtsähnlichen Schlaf.
Mitten in der Nacht, als ein schwe rer Regenguß auf die Felsfläche nie derbrach, wachte Blacky schlagartig auf. Von einem Herzschlag zum ande ren war er hellwach. Im strömenden Regen kam er auf die Füße. Sein Kör per war in der Kälte erstarrt, jede Bewegung war noch schmerzvoller als gestern während des Aufstiegs. Sein Schädel dröhnte. Jeder Regen tropfen schien auf der Haut eine neue Wunde zu schlagen. Blacky duckte sich und drehte sich einmal um sich selbst. Es war finster wie in einem Sack. Der Regensturm zerrte an sei ner Kleidung, die in weniger Zeit völ lig durchnäßt war. Hilflos stemmte er sich gegen den Sturm. Die Vögel, die an den Rändern der Felsabstürze in ihren Gehegen kauer ten, waren nur hellere Flecken in der nassen Schwärze. Ohne zu wissen, wohin er flüchten sollte, ging Blacky ein paar Schritte, stolperte und fing sich wieder. Dann suchte er sich in größter Vorsicht einen Weg, der von den Nestern der Vögel rechts und links begrenzt war. Von hinten und von beiden Seiten ertönte abwechselnd das klatschende Dröhnen der Brandung. Blacky wankte vorwärts und stemmte sich gegen den Druck des Windes, der ihn von den Beinen reißen wollte. Er leckte und schlürfte das Regenwas ser, das aus seinen Haaren über das Gesicht lief. Der letzte Blick, ehe er eingeschla fen war, hatte ihm die ganze Länge der Hochfläche gezeigt. Er stapfte weiter geradeaus, durch nasses Gras, das den stechenden Geruch des Vo
24 gelkots ausströmte, durch den es be sonders gut gedüngt wurde. Blacky merkte es kaum, denn auch seine Kleidung stank danach. Als vor ihm viele Reihen heller Punkte auftauchten, wußte er, daß er das jenseitige Ende der welligen Hochfläche erreicht hatte. Unter sei nen Füßen flatterten aufgeregte Vö gel auf. Wieder blieb er stehen, hob ratlos die Schultern und fühlte, wie das Wasser in den Kragen und die Stiefel rann. Er wußte nicht, was er tun sollte. Obwohl er ohne gebrochene Knochen überlebt hatte und sein neu geschenktes Leben als ein schieres Wunder empfand, scheute er vor den nächsten Schritten zurück. Oder ge rade deswegen? Er wußte es selbst nicht und wischte sich das Wasser aus dem Gesicht, das zu brennen schien. „Da ist auch ein Abgrund", brummte er und ächzte. Jede Bewe gung ließ ihn vor Schmerzen zusam menzucken. Bis jetzt eben hatte er den Hunger nicht gespürt. Das Knur ren des Magens setzte ganz plötzlich wieder ein. „Wird mich nicht umbringen", sagte er und schüttelte sich. Der Regen ließ nach und hörte schließlich auf. Nur noch das Bran dungsgeräusch und die vielen Laute der Vögel mischten sich in das Heu len des Windes, das auf und ab schwoll. Der Himmel klärte sich, und aus der Finsternis tauchten, im Mondlicht deutlicher erkennbar, die langgestreckten Umrisse anderer In seln auf. Blacky brauchte nicht zu überle gen. Er war auf einer der vielen Fä röer-Inseln an Land geworfen wor den. Im schwachen Mondlicht sah er, daß eine gute Kabellänge vor ihm, im
südlichen Teil der Hochfläche, das Gelände stark abfiel. Im Norden und im Westen reckten sich lange, hüge lige und zerklüftete Inseln aus dem Meer. Im Süden konnte Blacky nur das endlose Meer sehen. Er wäre erschrocken, wenn dort ein Schiff mit brennenden Laternen kreuzen würde — so viel Glück gab es einfach nicht. Er ging zögernd zwi schen den weghüpfenden Vögeln, die aufgeregt kreischten und schrien, nä her an den Absturz heran und reckte den Kopf. An keiner Stelle der anderen Inseln konnte Blacky, der schweigend die Hänge und die fernen Brandungsli nien musterte, ein Licht entdecken. Ein Teil der Inseln war bewohnt, so viel wußte er, und irgendwo im Sü den, im Mittelpunkt der Inselgruppe, lag auf der Insel Strömö der Ort Thorshavn. Aber wo fand sich dieser Hafen? „Kein einziges Licht", brummte er und versuchte, die Nässe aus dem Stoff zu schütteln. „Schlafen die denn alle?" Blacky, naß bis auf die Haut, fror und zitterte in der Kälte. Es gab kei nen Platz, an dem er sich verstecken konnte. Er bückte sich, jagte ein paar Vögel aus den Nestern und aß, weil es nichts anderes gab, den glibbrigen In halt von warmen Eiern. In zwei Eiern waren undeutlich erkennbar kleine Vögel. Er ließ sie fluchend fallen und wischte sich, als sein Magen nicht mehr knurrte, die Hände am triefen den Gras ab. „Gebraten und gekocht sind sie bes ser", sagte er und schüttelte sich. Entweder waren das Mondlicht hel ler und die Luft klarer geworden, oder Blackys Augen hatten sich bes ser an die Dunkelheit gewöhnt. Er sah jetzt genauer, daß der südliche Hang nicht steil abfiel, sondern aus
25 einer grasbewachsenen schrägen oder einem Fund, der ihm vielleicht weiterhalf. Fläche bestand. Eine Gruppe Kormorane stürzte Blacky nickte sich selbst zu und versuchte, weil er nichts Vernünftige sich wie auf Befehl von einer tieflie Felsengalerie, schwebte res tun konnte, über das rutschige genden Gras abzuentern. Er ließ sich Zeit krächzend über den einsamen See und setzte sich immer dann, wenn er mann dahin und flog aufs Meer hin auszurutschen drohte, auf einen Fel aus. „Ich brauche ein Feuer. Mit viel sen, einen Stein oder ins Gras. Auf diese Weise erreichte er Rauch", sagte er und schaute sich su schließlich, als es zu dämmern an chend um. Holz gab es reichlich, aber fing, den Fuß des riesigen Hanges. als er in seinen Taschen kramte, gab Erst als er sich umdrehte und in die es auch dort nichts zu entdecken, was Höhe schaute, sah er, daß kaum weni ihm weiterhalf. Im Stiefelschaft ger als tausend Fuß entfernt jene fel steckte nur noch die Schneide des sendurchsetzte Kante mit dem Messers. Der Griff war abgebrochen grauen Himmel verschmolz, über die und verschwunden. Mit den Münzen, die er fand, konnte er sich hier nichts er sich nach unten gewagt hatte. Hinter ihm, drei Kabellängen ent kaufen. Im Gerümpel, das seit vielen Jah fernt, lief die Brandung auf den ren an den Strand geschleudert wor dunklen Strand. Blacky stand inmitten großer Fels den war, sah er viele große Knochen, brocken, mehreren Wällen aus Treib Holz in allen Größen und Formen, gut aller Art, zwischen unkenntlichen Tang und trockene Algen, Fischgrä Trümmern und den gespenstischen ten und einen Fetzen moderiges Se Formen der weißen Holzteile, die ihre geltuch. Das Fieber schüttelte ihn, gekrümmten, entrindeten Äste salz während er zwischen den Felsblök verkrustet nach allen Richtungen ken herumstolperte und den Blick streckten. Tangfäden hingen daran, nicht vom Boden nahm. „Muß einen Unterstand bauen", und an vielen Stellen zeigte das Ta geslicht die getrockneten Kadaver murmelte er. „Wie war das, mit dem Feuer?" und Gerippe von Vögeln. Feuerstein und Schwamm - die wa Blackys Augen tränten. Seine Nase juckte, und ab und zu stieß er ein ge ren an Bord. Dumpf erinnerte er sich, waltiges Niesen aus. Als er an seine daß man Glut auch mit einem Stock Stirn faßte, merkte er, daß sie glü erzeugen konnte, der schnell in einem hend heiß war. Schmerz und anderen Holzstück bewegt werden Schwäche saßen in allen Gelenken, mußte. Jetzt hatte er die Stelle er und auch der kalte Wind, der durch reicht, an der sich wieder senkrechte die Öffnungen der salzstarren Klei Felsen aus dem grünen Hang in die dung fuhr, half nicht gegen die Hitze Höhe schoben. Mit einem Ast, den er wellen. Das Leder der Stiefel war von als Gehstock benutzte, stemmte er der Nässe und dem Salz gezeichnet, sich am Rand des Vogelfelsens hinauf blieb naß und starr und schnürte die und wich den langen Wasserstrahlen aus, die über die glattgewaschenen Füße ein. „Krank", murmelte Blacky und Felsen sprudelten. schleppte sich den Strand entlang auf Tausende Vögel saßen auf den win der Suche nach einem Schlupfwinkel zigen Vorsprüngen der Felsen. Er
26 hatte sich bereits an die Tiere ge wöhnt, die unablässig aufflogen und zurückkehrten, sich zankten und ihre Jungen fütterten oder auf den Eiern in den harten Nestern hockten. Stän dig war die Luft voller Flügelschla gen und Geschrei aus unzähligen Kehlen. Auf halber Höhe entdeckte Blacky eine winzige Höhle im ausgewasche nen Tuffstein. Sie war besetzt von rund zwei Dutzend Vögeln. Blacky verjagte sie mit dem Stock, scharrte den dreckigen Sand und die Reste von Eierschalen und Federn so gut er konnte zusammen und kippte alles aus dem Eingang. Die wütenden Vö gel flatterten eine Weile um die Höhle herum, die zehn Fuß tief war und vier oder fünf Fuß an der höchsten Stelle maß. „Besser als gar nichts", murmelte Blacky und warf, nicht besonders gut gezielt und kraftlos, mit Steinen nach den aufdringlichen Vögeln. Sie glotz ten ihn an und gaben es schließlich auf, nachdem er einige mit dem Stock erschlagen hatte. Der Unterschlupf war windge schützt und trocken. Aber das war auch schon alles. Es gab kein Feuer, nichts Eßbares zwi schen die Zähne - und keinerlei Hoff nung darauf, daß die Schebecke auf tauchte, um ihn abzuholen. Blacky kauerte sich im hintersten Teil der Höhle zusammen, fror und schwitzte abwechselnd und fiel in ei nen kurzen, unruhigen Schlaf. 4. Dan O'Flynn wies zu der Silhouette der kleinen Insel, die wie ein spitzes Dreieck recht voraus aufragte. „Nolsö liegt voraus, Sir." „Das heißt, daß an Steuerbord
Thorshavn liegen muß. Die Färöer sind Fischer. Warum sehe ich keine Fischerboote?" Der Seewolf warf Dan einen fra genden Blick zu. Sie standen auf dem Vordeck der Schebecke und hatten in den vergangenen Stunden das gleiche getan wie seit Tagesbeginn. Die Oberfläche des Meeres und jedes Stück Küste, das sich in den Spekti ven zeigte, war abgesucht worden. Jetzt segelte die Schebecke mit rau men Winden auf die offene Bucht zu, die sich allmählich hinter den Fels vorsprüngen hervorschob. In den Karten standen unterschied liche Namen: Thorshavn, Thorsha ven und Torshafen. Erst, als die Crew die grasgedeckten Dächer am Nord kap der kleinen Insel voraus entdeck ten, sahen sie an Steuerbord auch die Häuser, die sich wie Klötze auf den Stufen einer Treppe über dem Was ser erhoben. In der Bucht ruderten und segelten Fischer. Schon seit einer Stunde strahlte die Sonne durch rie sige Löcher in den Wolken, das Meer war ruhiger. „Wahrschau!" ertönte es vom Ach terdeck. „Thorshavn Steuerbord vor aus." „Wir laufen ein", rief Hasard zu rück. „Klar darauf zuhalten." „Aye, aye, Sir." Nils Larsen erschien auf dem Vor schiff und setzte zu einer längeren Er klärung an. Er hatte in Skagen offen sichtlich gut zugehört. „Eine Landzunge, Tinganes, teilt den Hafen in zwei Teile. Hier gab es in der Wikingerzeit das Thing, den Beratungsplatz. Daß die Inseln zu Dänemark gehören und von dort aus gebeutet werden, dürft ihr nur hier laut sagen, aber auch nur, wenn keine Uniformen zu sehen sind. Es dürfen keine anderen Handelsschiffe anle gen als dänische."
27 „Die Häuser sehen nicht gerade ärmlich aus", meinte Dan. „Sie kle ben alle dicht beieinander." „Keine Siedlung ist weit im Inne ren einer Insel zu finden. Keiner hat es weit bis zum Meer", sagte Nils. „Die Färinger sind sehr fromm. Sie haben, berichtet man, an zweihun dertachtzig Tagen im Jahr Regen. Auf allen Inseln gibt es zwischen vier tausend und fünftausend Färinger, die mit niemandem handeln und keine eigenen Unternehmungen auf ziehen dürfen. Wir werden es nicht leicht haben. Nicht einmal einen Pub oder einen Krug werden wir finden." „Das alles klingt nicht so, als wären es glückliche Inseln", brummte der Seewolf. „Trotzdem gehen wir an Land. Wir haben keine andere Wahl." „Sie jagen die vielen Vögel. Na ja, eine Jagd ist es nicht gerade", meinte Nils und grinste. „Sie fangen, je nach Jahreszeit, wahre Unmengen von Vö geln. Gegen die Federn tauschen sie beim dänischen Monopolhandel Salz und Zucker, Mehl, Branntwein und alles andere ein. Sie sind große Esser von Vögeln und Vogeleiern." „Nicht mein Geschmack", mur melte Hasard. Die Segel waren getrimmt worden. Die Seewölfe winkten den wenigen Fischern zu, die sich so weit hinausge wagt hatten. Die Boote dümpelten in der Dünung. Durch den engen Fjord zwischen Thorshavn und Eidi pfiff kurz ein kalter Wind hindurch, der die Schebecke weit nach Backbord überlegen ließ. Die Segel killten we nige Augenblicke, das Schiff nahm mehr Fahrt auf und glitt auf die Bucht zu. Die Inseln und die Inselteile staffel ten sich als Kulissen. Je näher sie wa ren, desto dunkler schienen sie. Bis zum Horizont wurden sie grauer und heller, bis sie mit den Wolken und
den Regenschauern an der Kimm ver schmolzen. Jeder Sonnenstrahl, der selten genug diese Felsenlandschaft beleuchtete, schien die satten Farben neu zu erschaffen. Es war und blieb ungemütlich kalt, und der nächste Regenguß stand kurz bevor. „Sven und Nils, ihr müßt überset zen", ordnete der Seewolf an. Die eigene Flagge flatterte an der Besangaffel, die englischen Farben waren unübersehbar. „Selbstverständlich, Sir. Hoffent lich sind sie ein wenig hilfreich." „Beleidigen wir sie, wenn wir ihnen Geld anbieten?" wollte Dan wissen. Der Däne lachte laut. „Ganz sicher nicht", erwiderte er. Die Fischer starrten zu dem schlan ken, schnellen Schiff und ließen ihre Netze aus den Händen fallen. Daß die Luft nahezu an jedem Stück Felsen küste voller Seevögel war, daran hat ten sich die Seewölfe schon gewöhnt. Sie fluchten nur, wenn die Biester ih ren Kot auf die Planken oder in die Leinwand fallen ließen. „Klar zum Anlegemanöver!" „Wurfleinen klar!" „Großsegel fieren!" rief Ben Brigh ton. Im Bereich des Hafens kräuselte ein schralender Wind die winzigen Wellen. An den wenigen Stegen lagen Fischerboote. Aus kleinen Löchern in den Dächern, auf denen sogar wei dende Schafe zu sehen waren, quoll grauer Rauch in die Höhe. Einige Männer und Kinder rannten auf die Stelle zu, an der sie das fremde Schiff erwarteten. Der Ruder gänger fuhr ein gutes, ruhiges Manö ver, das die Schebecke mit der Back bordseite an den Steg brachte, der niedriger lag als das Schanzkleid der Kuhl. Im Bug stand Nils Larsen und er klärte den blonden Fischern, in wel
28 cher Notlage sie sich befanden. Auf dem achteren Grätingsdeck über setzte Sven Nyberg, was Ben Brigh ton erklären wollte. Die Belegtaue wurden angezurrt und knirschten an den Pollern, die aus wuchtigen Treib holzstämmen bestanden. Ein breitschultriger Mann mit lan gem, blondem Haar und einem riesi gen Wikingerbart stapfte über die ächzenden Bretter. „Ihr wollt keinen Handel treiben?" dröhnte er. Die beiden Dänen, Ben Brighton, Hasard und Dan O'Flynn enterten den Steg, bemühten sich, freundlich dreinzublicken und brachten Ord nung in die Fragen und Antworten. Die Färinger erfuhren, daß die Schebecke ein englisches Schiff war, auf dem Weg nach England, und daß sie die Hilfe von ortskundigen Fi schern brauchten. Die Seewölfe woll ten auch ein Boot vorübergehend mieten, bis die beiden Kameraden ge funden waren - oder deren Leichen. Ein paar Boote voller neugieriger Fischer glitten heran. Über hölzerne Treppen und breite Pfade stolperten Färinger zum Hafen hinunter. Ein Dutzend Stadtbewohner umstanden das Schiff und redeten wild durchein ander. Die beiden Dänen hatten Schwierigkeiten, den rauhen Dialekt der Insulaner zu verstehen. „Schafbauern und Fischer, Vogel fänger und Eiersucher", sagte Al Con roy zu seinem Nachbarn. Er und Ba tuti hockten auf dem verschnürten Geschützrohr und warteten auf den nächsten Regen. „Du hast recht. Es sind arme Leute. Schau ihre Füße an. Ihnen müssen schon alle Zehen abgefroren sein." Es war wenig Leder zu sehen. Schaffell in allen Arten diente als Material für die Kleidung der mei sten Männer.
Nils wandte sich an Hasard. „Si gurd Simonsen will wissen, ob wir so fort wieder ablegen und weitersu chen wollen?" „Wenn er oder ein anderer als guter Lotse an Bord kommt, suchen wir so fort weiter", antwortete der Seewolf, ohne zu zögern. „Und kläre die Frage, ob sie uns ein Boot leihen." Ein Teil des Hafens bestand aus ei ner Mole aus Bruchstein, alt und ver wittert und kunstlos aufeinanderge türmt. Der nächste Sturm konnte sie auseinanderreißen. Dreißig Fuß breit war eine Art Straße, an der man den Versuch erkennen konnte, sie mit ei nem Steinpflaster zu versehen. Dahinter stand eine Zeile schmal brüstiger Häuser mit kleinen Fen stern, schmalen Türen und Grasdä chern. Die Fronten waren zusam mengesetzt aus unzähligen unregel mäßig geformten Brettern. Sie waren aus Treibholz gesägt worden und tru gen Reste von Kalkanstrich. Auf diesem Platz, zwischen Tau werk, Hölzern, Fischkörben und Net zen, versammelten sich mehr und mehr Färinger. „Sie sagen von sich selbst, daß sie halb Mensch und halb Fisch seien", erklärte Sven halblaut. „Sie helfen uns. Dort kommt das Boot. Sir, hole deine Schiffskasse." „Gut. Sofort." Hasard musterte das Fischerboot, das sie in den nächsten Stunden als Pinasse benutzen würden. Es sah tüchtig aus, schwer und mit scharfem Bug, vier Riemen und einer langen Pinne. Die Zwillinge liefen zum Heck, um die Leine zu übernehmen. Nach kurzem Nachdenken sagte Hasard zu Sven: „Erkläre den Fi schern, daß sie für jeden Tag, den sie nach Blacky und Bill suchen, eine halbe Krone erhalten. Wer einen der beiden findet, empfängt zehn Kronen
29 in Gold. Und wir brauchen einen oder zwei Lotsen." Nachdem Sven Nyberg übersetzt hatte, hob Sigurd Simonson den Arm und erklärte: „Ich komme mit. Die Ebbe setzt gleich ein. Wir werden schnell im Norden sein." Er erklärte weiter: „Ich hole nur noch mein Zeug. Sagt den Fischern, daß das Zeichen zum Aufhören ein Schuß aus eurer Kanone ist. Man hört das Echo weit genug." „Ist klar, Sigurd." Der Kutscher und Mac Pellew lie ßen sich erklären, wo sie einen Teil des Frischwasservorrates erneuern konnten, ließen sich von einem hal ben Dutzend Arwenacks helfen und schleppten leere Fässer von Bord. Nils Larsen beobachtete vom Steg aus, wie schließlich die Neugierde der Fischer siegte. Er schloß daraus, ohne nachzufragen, daß in Thorshavn nicht gerade viele Schiffe anlegten, schon gar nicht eine schlanke, große Schebecke, die in diesen Gewässern nahezu unbekannt sein mußte. Aus den verschiedenen Richtungen pull ten und segelten die Fischer auf die Landzunge im Hafen zu. Sven winkte und erklärte laut: „Hier, der Fischer Siltala will auch mit. Er sagt, er kenne die Strömungen und die Küsten der Nordinseln." „Nur an Bord mit ihm!" rief Ed Carberry. „Gebt ihm ein Bier. Er sieht so verdammt nüchtern aus." Die Färinger hatten verstanden, daß die Fremden nicht zu handeln be absichtigten. Vielleicht, sagten sie sich, ging unter der Hand etwas, wenn der dänische Amtmann nichts sah. Sie staunten die Seefahrer an und wunderten sich über die dreiecki gen Segel und den ausgezeichneten Zustand des Schiffes. Ein alter, zahnloser Mann hum pelte heran und zog die Schaffell
mütze über die Ohren. Old Donegal streckte die Hand aus und zog ihn an Bord. „Frage ihn, ob er um die Färöer herum alles kennt. Alt genug ist er ja!" rief der „Admiral" dem Dänen zu. „Nicht älter als du, sagt er", wurde ihm übersetzt. „Er fischt seit dreiund dreißig Jahren hier um die Inseln." „Dann kennt er sie", stellte Old Do negal fest. „Los, beeilt euch. Bald ha ben wir kein Tageslicht mehr. Und das mit dem einzelnen Schuß halte ich auch nicht für besonders geist reich." Hasard sprang auf die Kuhl hinun ter und fragte sofort: „Warum nicht, Old Donegal?" „Weil wir als Signal für Bill und Blacky schießen müssen. Das werden sie hören", sagte der Alte aufgeregt. „Wenn sie noch leben." „Einverstanden. Wenn es ein paar Kronen mehr kostet, was soll's! Aber wir müssen ablegen, Freunde." Sven Nyberg verhandelte mit dem Fischer, während das Boot mit zwei Leinen am Heck der Schebecke be legt wurde. Die Riemen lagen schon auf dem Grätingsdeck. „Alles bereit?" rief Hasard. „Klar zum Ablegen, Freunde?" „Noch nicht." Die Wolken hatten sich zusam mengezogen, aber der Wind blieb un verändert. Die Wasserfässer wurden unter Deck gebracht und festgezurrt. Mit langen Schritten stürmte Sigurd Simonson vor den Häusern auf den Steg hinauf und zum Schiff. Auch er trug schwere, einfach zusammenge nähte Kleidung aus verschiedenfarbi gen Schaffellen. „Ich bin bereit. Beeilt euch, dann erwischen wir den Ebbstrom zwi schen Strömö und Österö!" „Ich verstehe gar nichts", brummte
30 Piet Straaten und stellte sich ans Ru der. „Leinen los und ein!" rief Hasard. Alle Mann waren an Bord. Die Schoten bekamen lose, die Rahruten schwangen herum. Mit den Riemen stießen die Seewölfe die Schebecke vom Steg ab, das Schiff schwang mit dem Bug schneller herum und schob sich in den Wind. Die Achterleine, als Spring gefahren, klatschte ins Was ser und rutschte über das Fischer boot, das gegen die Poller und dann gegen den Heckspiegel stieß. „Achtern alles klar!" rief Piet. „Der Lotse soll zu mir!" „Und ein Sprachkundiger!" rief Ha sard. Sigurd Simonson, von Sven Nyberg begleitet, enterte aufs Grätingsdeck und versuchte, zu erklären, was er ge meint hatte. Wenn die Gezeiten wech selten, entstand zwischen den beiden größten und langgestreckten Inseln ein starker Sog, der jeden Gegen stand nach Norden riß, vorbei an den schrundigen Felsen und den Seevö gelkolonien. Setzte die Flut wieder ein, kippte der Strom, und mit großer Geschwin digkeit, aber in gefährlichem Fahr wasser in jedem Fall, wurden Schiffe und Boote, Treibgut und alles andere wieder nach Südsüdost transportiert. In den nächsten Stunden galt es, die Strömung nach Norden auszunutzen. Die Schebecke segelte einen weiten Schlag nach Osten, ging durch den Wind und auf Gegenkurs und näherte sich der schlundartigen Einfahrt des Fjordes, der nördlich von Thorhavn zwischen die beiden Inseln führte. „Achtung", übersetzte der Däne. „Nicht in diesen Fjord, sondern Steuerbord davon. Wir müssen zwi schen den Inseln hindurch." ,.Aye, Fischer", erwiderte Piet und
legte das Ruder. „Wir kriegen Gegen wind, nicht wahr?" „Sigurd sagt, daß der Wind zwi schen den Inseln jetzt nicht mehr stark gegenwehen wird", erklärte Sven. „Auch gut." „Du sollst die Schebecke genau auf gleicher Entfernung zwischen beiden Ufern halten." „Ich versuch's", versicherte Piet. Die Seewölfe standen vollzählig an Deck und beobachteten die Bran dungszonen. Inzwischen spürten sie den Sog der Ebbströmung, die eine riesige Masse Wasser zwischen den Inseln nach Norden zog. Die Höhe der Wellen nahm ab, nur eine starke Dü nung hob und senkte das Schiff und brach sich an Backbord und Steuer bord an den Felswänden. Fast aus nahmslos stiegen sie so steil an, daß es undenkbar schien, an ihnen hinauf klettern zu können. Schon gar nicht für einen halb ertrunkenen Seemann. Piet bemühte sich, als der Trichter zwischen den langen Inseln schmaler wurde, die Schebecke im sicheren Fahrwasser zu halten. Die Entfer nung betrug nach beiden Seiten meh rere Kabellängen. „Sven! Frage unseren Lotsen, ob es Riffe gibt oder anderes übles Zeug, das wir nicht sehen können." „Nein", lautete die Antwort. „Du brauchst nur auf die Ufer zu achten.", „Aye, aye." Bis zum Einbruch der Dunkelheit waren es mehr als drei Stunden. Über den Himmel, der sich im breiten Spalt zwischen den Felsen zeigte, zogen in bedächtiger Langsamkeit schwere Regenwolken. Achterlich kam dicker Nebel auf und versperrte die Sicht auf den Eingang des Fjordes. Das Fi scherboot hing an straffer Vorleine und schaukelte auf und nieder. „Frage ihn, ob es hier im Norden ei
31 nen sicheren Ankerplatz gibt", erkun „Frage ihn, Sven, ob hier im Norden digte sich Piet Straaten. jemand wohnt. Ich habe Schafe gese Dan O'Flynn schien seine Rechnun hen", fragte Piet Straaten nach einer gen fertig zu haben und wartete mit weiteren halben Stunde, in der sie seiner Frage, bis Sigurd geantwortet schweigend die bizarre Szenerie ange hatte. starrt hatten. „Niemand lebt hier", übersetzte „Im Fjördur können wir vor Anker gehen, aber auch trockenfallen, wenn Sven Nyberg. „Die Schafe werden mit Booten zu der einen oder anderen In es sein muß." „Gut. Und jetzt frage ihn, ob ich sel gebracht. Aber auf den Nordinseln recht habe. In einer Stunde haben wir werden viele Vögel gefangen. In ein in der Strömung elf Knoten hinter paar Tagen geht es wieder auf die uns gebracht. Ich glaube nicht, daß Baßtölpel und ihre Eier." Dan fragte zurück: „Diese Vögel ich mich irre." Der hünenhafte Nachkomme der ihr eßt sie? Gebraten? Oder was soll Wikinger lachte, als ihm die Frage diese Vogelfängerei bringen?" Die Seewölfe auf dem Grätingsdeck Dans übersetzt wurde. „Die Strömungen werden bis zu erfuhren, daß ein tüchtiger Färinger zwölf Knoten schnell", sagte Sven. an einem Tag bis zu eintausend Vögel „Das ist erstaunlich, aber die Wahr fing. Drei davon waren sein Essen in vierundzwanzig Stunden. Es gab heit." In einer Geschwindigkeit, die tat Jahre, in denen vierhundertfünfzig sächlich verblüffend war, zogen die tausend Vögel gefangen und getötet Felswände vorbei. Die Luft hallte wi wurden. Trotzdem wurden die Kolo der von den unzähligen Vogel nien der Vögel auf den Felsen nicht schreien. Vögel flatterten fast an je kleiner. Die Federn wurden gesam dem Abschnitt der Strecke zwischen melt und nach Dänemark verschifft. dem Wasser und ihren Simsen, Ne Die Färinger nahmen sozusagen jedes stern, Wohnhöhlen hin und her. Sie zweite Ei aus den Gelegen, und damit waren buchstäblich nicht zu zählen, die Schalen nicht brachen, wurden die Eier gleich auf den Klippen in es schienen Millionen zu sein. „Zwölf Knoten", staunte Piet Straa Säcke aus Schaffelleder verstaut. „Die Vögel nehmen sie aus", über ten. „Wenn einer der beiden in diese Strömung geraten ist, kann er bis setzte der Däne, nicht weniger ver wundert als seine Zuhörer, während Thorshavn getrieben worden sein." „Das ist richtig. Aber er würde es der Färinger völlig gleichmütig ge nicht überleben", erklärte der Färin blieben war. „Sie werden gebraten, eingesalzen, an der Luft getrocknet ger. Je weiter sie mit erheblicher Ge oder eingepökelt. Auch die Dänen es schwindigkeit durchs Wasser jagten, sen sie gern." desto mehr schwand das Tageslicht. Baßtölpel und Lunde, Trottellum Die Felswände von Österö und men oder Papageientaucher. Sogar Strömö rückten einander näher, und das Fett der Vögel wurde als Brennöl der Fjord wurde zu einem dunklen für die vielen langen Nächte ge Tunnel. Nichts zu sehen! Kein Zei braucht. Zusammen mit den Schafen chen von Blacky und Bill. Kein Feuer, und den Fischen bedeuteten die Vögel kein Anlegesteg und nicht ein einzi die einzige Möglichkeit der Färinger, ges Boot oder Schiff. ihr Leben zu fristen und von den Dä
32 nen andere Waren einzutauschen. Sie wurden, und das war leicht zu erken nen, praktisch ausgebeutet. „Und noch etwas", erklärte der Fä ringer, und Sven übersetzte. „Alle Fi scher suchen jetzt nach Bill und Blacky. Eine halbe Krone ist für sie viel Geld. Und sie haben untereinan der verschiedene Verfahren, mit de nen sie signalisieren." „Habe ich schon gehört", brummte der Rudergänger. Das Licht war schlechter geworden, und er hielt nach Backbord Aus schau. Bald sollte die Einfahrt nach Haldersvig zu sehen sein. „Hvalvik kommt an Backbord", sagte Dan nach kurzer Zeit. „Dort werden wir wohl anlegen." „Richtig. Haldersvig erreichen wir bei Tageslicht nicht mehr", sagte Si gurd Simonson. Die beiden Namen bezeichneten an Backbord kleinere Buchten, also keine richtigen Fjorde, in denen vor Anker gegangen werden konnte. Bei allen Winden außer Sturzwinden oder Fallböen aus Osten würde die Schebecke ruhig liegen. „Weiß das der alte Siltala auch, der Lotse vorn?" erkundigte sich Piet Straaten. „Selbstverständlich." Es war gut, zu wissen, daß rund ein hundert Bootsbesatzungen nach Bill und Blacky suchten. Auch die Färin ger an Bord waren überzeugt davon, daß die Suche im Norden stattfinden mußte. Nachdem ihnen Dan berichtet hatte, an welcher Stelle seiner Mei nung nach die beiden über Bord ge gangen waren, kam nur der Norden in Frage. Bei Haldersvig auf Strömö, der größten Insel, im Norden von Österö, auf Kalsö, Kunö oder Viderö, viel leicht auch noch auf Fuglö oder Svinö
- auf diesen Eilanden war die Suche sinnvoll. Und dorthin waren auch die Fi scher unterwegs. Falls Blacky und Bill überlebt hatten, konnten sie von den Klippen aus tagsüber die Boote und nachts die Lichter darauf se hen. Paddy Rogers kümmerte sich um die Laternen am Heck, im Bug und mittschiffs. Für einen kurzen Augen blick strahlte die untergehende Sonne die Wolken über dem engen Fjord an. Die gesamte Landschaft wurde in ein dunkles, rotes Licht ge taucht. Selbst der Nebel schien von innen zu glühen. Die gellenden Schreie der Raubmöwen wurden als Echos von den Felsen zurückgewor fen. Al Conroys kleine Crew lud drei Culverinen und rammte statt eines Geschosses Sandsäcke in die Rohr mündungen. Mac Pellew versorgte die Männer an der Pinne und auf dem Grätingsdeck mit vollen Bierhum pen. „Essen gibt es, wenn wir vor Anker gegangen sind", versprach er. „Glaubt ihr nicht auch, daß die bei den ertrunken sind? Wir werden sie niemals mehr sehen." „Das glaube ich nicht", versicherte der Seewolf, der sich einen Humpen nahm und den Niedergang aufenter te. „Wir bleiben hier, bis wir sie ge funden haben. Wie ich versprochen habe: lebendig oder tot." Piet Straaten nickte und konnte im nachlassenden Licht gerade noch die Einfahrt in die halbkreisförmige Bucht erkennen. Er drückte die Pinne nach Steuerbord. Die Schebecke, noch immer im Strömungssog, schwang langsam nach Backbord. „Klar zum Ankern!" rief Hasard zum Bug. Er wandte sich an Sven und den Färinger.
Von unserem Leser R B , Straße , 3100 Celle, erhielten wir freundlicherweise drei fotokopierte Seiten aus ei nem Buch - offenbar einen Auszug aus dem Werk von Hans Leip „Bordbuch des Satans" -, aus dem wohl auch P K (siehe Forum SW-Nr. 613) bereits zitierte. Es handelt sich in diesem Buch um ein Kapitel unter der Überschrift „Au ßenseiter der Familie Killigrew um 1580". Herr B schreibt dazu: An die Seewölfe-Redaktion! Darf man dem anlie
genden Bericht Glauben schenken, so waren die Killigrews sicher nicht „das Gelbe vom Ei". Ha
sard muß ja ein ausgesprochener Außenseiter ge
wesen sein!
Ich hoffe, daß ich Ihnen mit dem anliegenden Bericht eine Freude mache. Er fiel mir zufällig in die Hände.
Jetzt habe ich noch eine kleine Anregung! Könn
ten Sie nicht die klassischen Schiffstypen aus der Seemannskiste einmal geschlossen veröffentli
chen?
Schade, daß Hasard und seine Mannen nur ein
mal in der Woche erscheinen. Mit freundlichem Gruß-R B
Herzlichen Dank für Ihren Brief und die Fotoko pien, lieber Herr B . Wie wir auf den Brief von Herrn K bereits schrieben: Hasards Exi stenz als Romanfigur schoben wir seiner „Pflege mutter" Lady, Anne Killigrew unter, die ihn bei dem besagten Überfall auf der Hansekogge ent deckte, „entzückend" fand (er lag noch in den Windeln), nicht abmurksen ließ und an „Sohnes Statt" annahm, obwohl sie bereits drei Söhne hat te. Der Überfall auf die Kogge ist historisch. Un ser Philip Hasard Killigrew hingegen ist eine „Er findung" von Davis J. Harbord, der seinerzeit die „Seeheuler" ins Leben rief und in den SW-Roma nen 12-70 als Exposé-Autor (zum Teil auch als Roman-Autor) Hasards Suche nach seiner Ver gangenheit, das heißt nach seinen wirklichen El tern darstellt. Tatsächlich haben wir die Killi grews keineswegs als „das Gelbe vom Ei" darge
stellt - und insofern ist Hasard wirklich ein „Au ßenseiten". Dem Davis J. Harbord schien es da mals bei der Niederlegung zum Rahmen-Exposé der Seewölfe interessant zu sein, ihn als „Gegen part" zu den Killigrew-Rabauken zu zeichnen. In der SW-Nr. 620 nächste Woche werden die Leser wiederum erfahren, wie die Vergangenheit in das Leben Hasards übergreift. Der Titel lautet: „Das Erbe von Arwenack". Was wir damit sagen wollen: Dies ist ein Blick in die „Werkstatt" der Autoren, denen natürlich zu unterstellen ist, daß sie ihrerseits lesen. Die Ge schichte der Killigrews entdeckte D. J. Harbord in zwei oder drei Werken über die Seeräuberei, und da kam ihm die Idee, seinen „Helden" Philip Hasard an den Überfall der Lady Anne auf die Hansekogge „zu hängen". Das heißt, er benutzte eine historische Tatsache, um aus ihr einen Ro manstoff zu entwickeln. So können „Geschich ten" entstehen. Gleichfalls historisch war ja dann die Weltumseglung Kapitän Drakes, bei der Ha sard zum Teil dabei war, bis er sich von Drake trennte. Und auch beim Kampf gegen die Arma da ließen wir Hasard wieder auftreten. Auch dies ist ein Mittel, Ereignisse der „Geschichte" roman haft darzustellen. So wird - unserer Meinung nach - Geschichte nicht trocken oder nur auf hi storische Daten beschränkt, sondern mit Leben erfüllt - je nach dem Vermögen der Autoren, sich in die damalige Zeit hineinzudenken. Die Gefahr besteht natürlich, die damalige Zeit mit heutigen Maßstäben messen zu wollen. Wir sprechen uns davon nicht frei. Nun zu Ihrem Vorschlag, die klassischen Schiff stypen aus der Seemannskiste einmal geschlos sen zu veröffentlichen. Das wäre dann ein Sach buch, aber das hat eben leider im Programm un seres Verlages keinen Platz. Wir verweisen auf D. J. Harbord „Seefahrt von A-Z", erschienen im Franz Schneider Verlag, München. Mit herzlichen Grüßen Ihre Seewölfe-Redaktion und die Seewölfe-Autoren
Einen Toppsegelschoner stellten wir unseren Lesern in der Seemanns kiste der SW-Nr. 614 vor. Gewöhnlich ist dies ein Segler mit zwei Masten. Seine Fortsetzung findet dieser Typ mit dem Dreimast-Toppse gelschoner. Auch bei ihm werden am Fockmast außer dem Schonerse gel ein oder mehrere Rahtoppsegel gefahren. Ein Dreimast-Toppsegelschoner ist die „Malcolm Miller", ein englisches Schulschiff, das 1967 in Aberdeen gebaut wurde. Es hat eine Gesamtse gelfläche von 817 m2 bei einer Länge von 45,41 m und einer Breite von 8,10 m. Zur Stammbesatzung zählen 11 Mann, davon sind 8 Offiziere. An Schiffsjungen können 44 Mann aufgenommen werden. Die Nummern bedeuten: 1 Außenklüver, 2 Klüver, 3 Binnenklüver, 4 Stagfock, 5 Schonersegel, 6 Toppsegel, 7 Bramsegel, 8 Groß-Stengestagsegel, 9 Großsegel, 10 GroßGaffeltoppsegel, 11 Besan, 12 Besan-Gaffeltoppsegel, 13 Fockmast, 14 Großmast, 15 Besanmast, 16 Vorstenge, 17 Großstenge, 18 Groß-Bram stenge, 19 Besanstenge, 20 Schonersegelbaum, 21 Schonersegelgaffel, 22 Großbaum, 23 Großgaffel, 24 Besanbaum, 25 Besangaffel, 26 Scho nersegelschot, 27 Großschot, 28 Besanschot, 29 Fockrah, 30 Toppsegel rah, 31 Bramrah, 32 Fockwant, 33 Großwant, 34 Besanwant, 35 Vor baumdirk, 36 Großbaumdirk, 37 Besanbaumdirk, 38 Außen-Klüver stampfstag, 39 Klüverstampfstag, 40 Stampfstock-Achterholer, 41 Außen-Klüverschot, 42 Klüverschot, 43 Binnen-Klüverschot und 44 Stagfockschot.
37 „Ist dort hinten in Hvalvik eine Siedlung?" „Nein. Nur zwei Bauernhäuser hoch auf den Klippen. Man zieht die Boote mit Seilen und Flaschenzügen aus der Brandung." „Wird also eine ruhige Nacht wer den", brummte Hasard. „Klar zum Bergen der Segel!" „Aye, aye, Sir." Während die Schebecke nach Back bord aus der Strömung glitt, schein bar viel zu langsam, wurden die Scho ten losgeschlagen, die Rahruten kipp ten langsam in die Waagrechte, und die Zwillinge mit Ferris Tucker be freiten den Anker aus seiner Verzur rung. In der Bucht herrschte ein schwacher Wirbel, der im Halbkreis entlang der Felsen drehte, hervorge rufen von der Ebbströmung im Fjord. Das Schiff steuerte die Mitte der Bucht an. „Dort, bei dem schwarzen Spalt, Piet", sagte Hasard und setzte das Spektiv ab. „Genügend vom Fels frei halten. Kann sein, daß sie mit toten Vögeln nach uns werfen." „Verstanden, Sir." Durch das stille, schwarze Wasser zog die Schebecke einen Viertelkreis. Mitten im Kielwasser glitt lautlos das Fischerboot. Mit einigen starken Aus schlägen des Ruders drehte Piet Straaten die Schebecke noch einmal, so daß der Bugspriet wieder ins freie Wasser hinaus wies, auf die gegen überliegende Felswand zu. „Fallen Anker!" „Verstanden!" Der Anker schlug schwer und klat schend ins Wasser. Die Trosse rauschte in das schwarze Wasser. „Zweihundert Fuß!" sang Hasard junior nach einer Weile aus. Und kurz darauf: „Und auf Grund." „Dreißig Fuß mehr lose!" rief Ben Brighton.
Die geringe Strömung ließ die Sche becke auf die Felswand zudriften, das Ankertau straffte sich und stieg in ei nem flacheren Winkel tropfend aus dem Wasser. Dann ging ein kurzer, fe dernder Ruck durch das Schiff. Der Anker saß, das Tau wurde am Bug und mit mehreren doppelten Schlä gen am Ankerspill zusätzlich belegt. „Willst du eine Landleine ausbrin gen, Sir?" erkundigte sich Dan und schaute zum Beiboot, das sich in den Lichtschein der Hecklaterne schob. „Noch nicht nötig", entschied der Seewolf. „In dieser Ruhe werden un sere Signale weit zu hören sein." Der Färinger sah Al Conroy mit glimmender Lunte hantieren und vollführte eine anerkennende Hand bewegung. Das Schiff wurde schnell und routi niert aufgeklart. Hasard gab Al Con roy das vereinbarte Signal. In Ab ständen von jeweils einem langen Atemzug dröhnten die drei Culveri nen los. Das schwarze Wasser spie gelte die langen, rotgelben Stichflam men wider. Träge ringelte sich der graue Rauch an den Planken entlang und schräg in die Höhe. Der Lärm war gewaltig. Die Klüfte des Fjords verstärkten ihn und trugen seine Echos bis weit in den Norden und über die Kanten der Inselwände hinauf. Ein womöglich noch lauterer Schrei aus aber Tausenden Vogelkeh len war die unmittelbare Antwort. Hasard stemmte die Fäuste in die Seiten und nickte. Die Schebecke bil dete, zusammen mit den Lichtern und dem Spiegelbild in der pechschwar zen Bucht, eine Insel des Lebens und der Bewegungen zwischen den nassen Felsmauern. „Das war laut und deutlich genug", sagte er. „Wenn sie hier irgendwo sind, wissen sie, daß wir suchen." „Stimmt", pflichtete ihm Dan
38 O'Flynn bei. „Morgen suchen wir hier alle Klippen ab. Und die Färinger hel fen uns." „Beide haben uns viel erzählt." Piet Straaten rieb sich die klammen Fin ger und laschte die Pinne fest. „Habt ihr etwas gemerkt?" „Ja", sagte Sven Nyberg und schlug dem Färinger auf die Schulter. „Si gurd wartet auch schon seit Stunden auf den nächsten Regen." „Regen oder nicht. Wir liegen gut", antwortete Hasard. „Wir gehen Wache, und ich rieche schon, was un sere Meisterköche brutzeln. Es sind hoffentlich keine Lummen oder Pa pageientaucher." „Es riecht besser!" rief Dan und en terte zur Kuhl ab. Piet und Sigurd holten das Fischer boot dichter heran und belegten es an Steuerbord achtern. Die Ruhe in der weiten Bucht nahm zu, weil nach Ein bruch der Dunkelheit die Vögel in ih ren Nistlöchern sitzenblieben. Hin und wieder sprang ein großer Fisch mit scharfem Klatschen aus dem Wasser. Leise orgelte der Wind ganz weit oben auf den Hochflächen. Die Seewölfecrew klarte das Deck auf, die Wache zog an ihre Plätze. In der Kombüse klapperten Pfan nen und Töpfe. Der Seewolf setzte sich neben Ben Brighton und Sigurd auf die Brüstung des Schanzkleides, hob den Humpen an die Lippen und genoß einen Augenblick lang mit ge schlossenen Augen die Ruhe rundum. „Ich wünschte, ich wüßte mehr", sagte er besorgt. „Ich glaube inzwi schen auch nicht mehr recht daran, daß sie noch leben." „Es sind knochenharte Burschen", erwiderte der Erste ebenso besorgt. „Und sie können auch schwimmen. An Land werden sie sich zu helfen wissen." Hasard nickte schweigend.
Auch Ben Brighton wußte, daß der Kapitän wahrscheinlich die Wahr heit gesprochen hatte. 5. Ein höllisches Fieber hatte Blacky gepackt. Auf dem Boden der winzi gen Höhle aus Felsen und grobem Sand zitterte und zuckte sein Körper. Die Augen waren zugeschwollen, die Haut schien zu glühen. Kälteschauer und Hitzewellen rasten durch seine Arme und Beine. Gegen Nachmittag wachte Blacky auf, fühlte sich zer schlagen, hungrig und durstig. Er kroch aus der Spalte, blinzelte im viel zu grellen Licht und tastete sich zu dem Rinnsal, das über die Felsnase plätscherte. „Ironman ist krank", murmelte er lallend. Er erkannte seine eigene Stimme nicht wieder. Er trank aus den hohlen, zusam mengelegten Handflächen das eis kalte Wasser in sich hinein. Als er versuchte, sein heißes Gesicht zu küh len, stöhnte er vor Schmerzen. Er ver suchte, einen Vogel zu packen, aber das Tier flatterte mühelos in Sicher heit. „Vielleicht findet Ironman etwas", keuchte Blacky und schleppte sich, eine Hand am Fels, zum Strand hin unter. Immer wieder knickten seine Knie ein. Er hatte das halb zerstörte Messer herausziehen können und suchte nach einem Verwendungs zweck. Er wollte ein Feuer entfachen, ein Signal setzen, sich wärmen und einen dieser verdammten Vögel braten. Mehr nicht. Dreimal stolperte er vor Schwäche und zog sich schließlich am Ast eines angetriebenen Baum stammes hoch. Schwer lehnte er sich darauf. Seine entzündeten Augen
39 suchten in dem ineinander verfilzten Brandung mit Sand sauber putzte Wirrwarr, das sich viele Schritte und scheuerte. Ächzend und stöhnend, mit wei breit über Sand, Geröll und Felstrüm mer erstreckte, nach etwas Brauchba chen Knien, trug er seine weiteren Schätze zusammen. Trockenes Holz, rem. „Nichts. Was soll auch in dieser die losen Federn, die er aus den verdammten, gottverlassenen Ge dürren Vogelbälgen zupfte. Er gend sein", murmelte er und zog brachte es fertig, alle seine Funde bis zu seinem Felsspalt zu schleppen. frierend die Schultern hoch. Er zog einen Stock aus dem Gewirr, Dort warf ihn ein neuer, schlimmerer der noch nicht alt war und daher Fieberanfall in den Sand. etwas biegsam. Vor ein paar Stunden hatte er Takelgarn aus dem Saum der Segeltuchjacke herausgezogen. Auch Bill sagte sich grimmig, daß er in ein annähernd trockenes Brett fand sich. Irgend jemand hatte Blacky dieser Nacht einen Schafsbraten ha einmal gezeigt, wie man es anstellte, ben würde. im Holz bohrend eine Flamme her Er war fest entschlossen, ein mög vorzubringen. Er glaubte nicht, daß lichst junges Tier zu fangen. Das er es schaffte, aber er wollte nicht Salz, diese Sorge hatte er nicht, gab sterben. es reichlich im Seewasser. Immer wieder hatte er aufs Meer Jetzt, etwa eineinhalb Stunden vor hinausgestarrt, bis ihm die Augen Sonnenuntergang, schob er mit ei tränten. nem feuchten Ast die Asche und die Die einzige Bewegung, die er sah, halb verbrannten und angesengten waren die Wellen und die Brandung Holzteile zusammen. Der Aschehau und ab und zu der dicke Nebel, der fen am Felsblock war mehr als knie kam und ebenso plötzlich wieder auf hoch. gelöst wurde. Unter der Asche befand sich reich Er war völlig allein, aber er zwang lich Glut. Das Feuer hatte sogar einen sich, nichts zu vergessen, was ihn zu stundenlangen Regenguß ausgehal retten vermochte. Solange er lebte, ten. konnte er etwas gegen das Sterben „Aber keiner hat die Flammen und tun. Es gab genug Berichte über den Rauch gesehen", murmelte Bill. Schiffbrüchige auf einer einsamen Eigentlich war es kein Wunder. Bill Insel. Diejenigen, die überlebt hatten, war sicher, irgendwo im Norden an konnten viel erzählen. getrieben zu sein. Im Süden waren Er, Blacky Ironman, wollte auch zu die Inseln wohl bewohnt. Zumindest den Männern gehören, die viel zu nicht so leer wie hier. Nicht einmal berichten hatten. Daß sich an Bord der halbzerfallene Unterstand eines der Schebecke ebenfalls Überlebende Fischers befand sich auf dieser ver eines solchen Abenteuers befanden, dammten Insel. Er, Bill, wußte nicht einmal, wie sie hieß. hatte er im Fieber vergessen. Blacky wurde jedesmal, wenn er Das trockene Holz fing schnell sich bückte, halb ohnmächtig. Kreise Feuer. Bill schichtete dünne und und wirre Punkte wirbelten vor sei dicke Äste und Stämme darauf und nen Augen. Er fand im Schwemmgut bemerkte, daß er dieses riesige Feuer einen halben Tontopf, den er in der noch tagelang unterhalten konnte.
40 Dann allerdings würde der Strand ziemlich aufgeklart sein. Während er, zwar mit kurrendem Magen, schnell und geschickt arbei tete, starrte er einmal zu den Schafen hinauf, die seinem Treiben bewe gungslos zusahen, dann wieder rich tete er seinen Blick auf die See und zu den schemenhaft sichtbaren Inseln im Süden, die wie sagenhafte Wesen aus dem Meer aufstiegen und meist in Nebel oder Regen gehüllt waren. Das Feuer loderte hoch, und je mehr Tang und Algenreste er darauf warf, desto dicker und auffallender wurde der Rauch, der sich zunächst fast senkrecht in die Höhe ringelte. Am oberen Ende des Hanges, dort, wo der Wind über die Kanten der Hochfläche pfiff, wirbelte der Rauch nach Osten. Bill lehnte ein Dutzend wuchtige Stammabbrüche gegen das dünnere Holz und sah zu, wie das Feuer nach ihnen griff. Das Knistern des Holzes und das summende Brausen der Flammen gefielen ihm. Hitze und Glut hatten inzwischen auch seine Kleidung samt der Stiefel leidlich ge trocknet. „Und jetzt - der Braten", versprach er sich selbst und suchte ein paar handliche Knüppel. Die Schneide des Messers hatte er schon an einem Stein scharf gewetzt. Ohne große Eile kletterte er den Hang hinauf. Bewußt ging er nicht auf die kleine Herde zu, sondern er reichte schließlich die Hochfläche an einer ganz anderen Stelle. Gelang es ihm, auch nur ein Schaf über die Kante zu treiben, war es seine sichere Beute. Er bückte sich und hob einen kantigen Stein aus dem Gras. „Wartet nur, ihr lieben Wolltiere", sagte er. Knapp eine Stunde blieb ihm noch.
Er ging in einem weiten Bogen, sorg fältig den Felsbrocken, Einschnitten und Gräben ausweichend, von hinten auf die neun Schafe zu und mußte grinsen, weil sich die Tiere so drehten und drängelten, daß sie ihn stets im Auge behielten. Bill hatte es auf ein jüngeres Tier abgesehen, das in seiner Wolle gut ge nährt aussah und irgendwie sauber gewaschen wirkte. Als er glaubte, richtig zu stehen, lief er schreiend auf die Schafe zu und blieb stehen, als sie in drei Richtungen davonsprangen. Das Tier, das er ausgespäht hatte, lief nach rechts. „Genau dorthin, wo ich dich haben will!" brüllte er und zielte, bevor er den Stein schleuderte. Das Glück war wieder einmal auf seiner Seite. Der Stein traf das Schaf am Kopf und warf es zu Boden. Das Tier über schlug sich und war taumelnd wieder auf den Beinen, als Bill darauf zu rannte, über einen Graben sprang und den Knüppel schwang. Noch ehe das Schaf in die andere Richtung stol pern konnte, traf er es mit dem Holz, schlug, so hart er konnte, ein zweites Mal zu und ließ den Knüppel fallen. Das Tier kippte um, keilte mit den Läufen, und mit einem schnellen Schnitt durch die Kehle tötete Bill das Schaf. Er packte es nach einer Weile an den Hinterbeinen, warf es sich über die Schulter und stieg zu dem Feuer ab, das den größten Teil des Hanges in flackerndes rotes Licht tauchte und sich in den ufernahen Wellen spiegelte. „Na also, das Essen ist gesichert. Habe schon gedacht", sagte er zufrie den, „ich müßte die Vögel rupfen und braten." Bill schleppte seine Beute bis an eine Stelle, an der er bequem hantie ren konnte. Er versuchte, nur mit
41 dem Messer, dem toten Schaf das Fell abzuziehen, hackte die Läufe ab und weidete, so gut er es verstand, das Tier aus. Schließlich war er mit sei ner Arbeit einigermaßen zufrieden und spießte die Stücke aus Knochen und Fleisch auf zugespitzte Holz stücke. Er rammte sie in den Boden und steckte sie zwischen Steine, so nahe der Glut wie möglich. Mit spitzen Fingern packte er die Eingeweide, legte sie auf das blutige Fell und schleppte es zum Wasser hin unter. Er warf das Bündel im hohen Bogen in die Brandung, schöpfte Wasser in den zerbeulten Kessel - die Löcher hatte er mit Holzsplittern ab gedichtet - und setzte sich schließlich ruhig in die Nähe des Feuers. Das Fett tropfte in die Glut und ver brannte zischend und rauchend. Je länger Bill zusah, wie sich das Fleisch bräunte, desto lauter knurrte sein Magen. Er spritzte ständig Seewasser über das Fleisch und sah, wie es ver dampfte und an einigen Stellen feine Salzkristalle zurückließ. Ab und zu drehte er die Stücke, und als er ein mal zum Hang hinaufschaute, ent deckte er die Augenpaare der Schafe. Sie leuchteten durch die Dunkelheit wie die Augen von hungrigen Raub tieren.
Mit untergeschlagenen Beinen saß er im Sand und fühlte sich nicht nur krank, sondern halbtot. Aber als er die Stelle anschaute, wo sich das Ende des Stockes im Brett drehte, konnte er auch einen winzigen Glut fleck und dünnen Rauch sehen. „Geht also doch - und jetzt?" Er schwankte vor und zurück, bis sein Kopf gegen den Fels schlug. Blacky bewegte seinen Arm, ohne recht zu wissen, was er tat. Die Glut
wurde stärker und größer, Moos und Federn begannen stinkend zu glim men und zu flackern. Blacky murmelte etwas. In seinem Schädel dröhnten Glocken. Er kippte nach vorn und schob sein Feuerbe steck zur Seite. Ein Holzhaufen fiel um. Während „Eisenmann" Blackys Körper vom Fieberanfall geschüttelt wurde, brannten zuerst die dünnen Hölzer, dann der Ärmel der Segel tuchjacke und schließlich ein paar dicke Holzstücke. Nach einigen Atemzügen - oder wa ren es ein paar Stunden - kam Blacky wieder zu sich. Er glaubte zu träu men, als er zwei Fuß vor seinen Au gen die spitzen Flammen sah und auf der Haut wieder die Hitze spürte. Ein Hustenanfall hatte ihn aufgeweckt. Er kroch von der Flamme weg und at mete noch immer den bitteren Rauch ein, der seine Augen tränen ließ. „Feuer", stöhnte er und begriff. „Endlich!" Er lag neben seiner Höhle, und ein Teil des Holzvorrates brannte wirk lich. Blacky stützte sich auf Ellbogen und Knie und versuchte, aufzuste hen. Er verstand, daß er halbtot war. Seinen halbzerbrochenen Krug hatte er umgeworfen. Als er ihn packte und zum Was serrinnsal stolperte, scheuchte er die Vögel auf, die seinen Weg mit Ge schrei begleiteten. Jeder Laut, jedes Geräusch verursachten in seinem Schädel stechende Schmerzen. Blacky ließ Wasser in den Napf rin nen, trank gierig und zerschnitt sich die Lippen an den scharfen Kanten. Als er über sein Haar strich, rieselte grauer Staub herunter. Seine Nase fühlte sich geschwollen an. Er hatte also nicht einmal gerochen, daß sein Haar angesengt war. Den Hunger spürte er auch nicht mehr, aber von Stunde zu Stunde
42 wurde er schwächer. Er riß einen Vo gel aus einer Spalte, tastete im Nest herum und packte ein Ei, das zwi schen seinen Fingern knackte. „Es gibt nichts anderes", brummte er und würgte das Innere von vier Vo geleiern herunter, bis es ihm davor grauste. Wieder schüttete er eiskaltes Wasser in seine Kehle und schüttelte sich. Er dachte an das Feuer und daran, wie leicht es ausgehen konnte. Im un gewohnten flackernden Licht tor kelte er zum Strand und sammelte so viel Treibholz auf, wie er tragen konnte. Den halben Krug schob er in sein Hemd, das zum größten Teil aus Brandlöchern bestand. Noch während er im Zickzack auf das Licht zukletterte, fielen die ersten Tropfen. Er nahm noch einmal seine Kraft zusammen und trug das Holz bis vor den Eingang zum Höh lenspalt. So vorsichtig wie möglich schob er die wenige Glut und die brennenden Holzstücke halb im Ein gang der Höhle zusammen und baute einen Kegel aus Holz um das Feuer, während der Regen auf seine Schul tern und seinen Rücken prasselte. Er kroch am Feuer vorbei in den Schutz des Unterschlupfes. Die Wärme drang in den klammen, feuch ten Felsspalt. Als er am Feuer vorbeiblickte, sah er die Reste seiner Jacke. Es war nicht viel mehr als ein halber Ärmel übriggeblieben. Der Regen fiel fast senkrecht. Nur wenige Tropfen zischten ins Feuer. Das Wasser, das sich an der Felswand niederschlug und in zahllosen kleinen Rinnsalen sammelte, lief als dicker Bach seitlich am Spalt vorbei und hinunter in die Richtung des Stran des. Blacky saß so nahe an der Hitze quelle, wie es möglich war, ohne ver
sengt zu werden. Er hatte die Arme um die Knie gelegt und schüttelte sich im Fieber. Sein Kinn ruhte auf den Knien, seine Zähne klapperten auf einander. Er schlief und war gleich zeitig hellwach. In seinen Fieberträumen sah er un zählige Fischerboote, die zwischen den Inseln herumsegelten und Later nen ausgebracht hatten, deren Licht rotweiß flackerte. Die Männer riefen einander Worte in einer unbekannten Sprache zu. Der Traum verwirrte sich, die su chenden Boote verschwanden und machten anderen Spukgestalten Platz. Blacky vergaß alles, und als er auf wachte, war es immer noch dunkel. Aber sein Feuer brannte noch recht kräftig. 6. Der Regen hörte ganz plötzlich nach Mitternacht auf. Die Dampfwolken, die aus der hei ßen Asche aufstiegen, krochen am Bo den entlang, und der Dampf schlug sich an Bills Stiefeln nieder. Bills Ge sicht, seine Hände bis hinauf zu den Unterarmen, die Hose und Teile der Stiefel glänzten. An diesen Stellen haftete das Fett der Bratenstücke. Er hatte sich die fettigen Hände im mer wieder irgendwo abgewischt. Drei Riesenstücke Braten, die er hin und wieder mit Salzwasser besprüht hatte, befanden sich jetzt in seinem Magen. Er fühlte sich so wohl wie nie seit dem Augenblick, als er mit Blacky zusammen über Bord gekippt war. Mit einem zugespitzten Holzstück stocherte er in seinen Zähnen und sah zu, wie die Knochen in den Flammen ausglühten.
43 Das Rauschen des Regens wurde Aber sie rückten nicht näher, wenig vom Heulen des auffrischenden Win stens gab es dafür kein Zeichen. „Wartet, Freunde!" rief Bill, lief des abgelöst. Bill stand auf und stapfte einige Schritte vom Feuer zum Feuer und riß den großen, halb weg, in die Dunkelheit hinaus. Der verbrannten Ast aus den Flammen. Wind wirbelte die Funken in seine Er schwenkte ihn hoch über dem Richtung. Er wich aus und legte den Kopf und vergaß die Funken, die seine Haut trafen und sich einbrann Kopf in den Nacken. Zwischen den treibenden Wolken ten. Er hastete den Hang hinauf und erschienen überraschend klar die schwenkte den Balken hin und her, Sterne. Irgendwo hinter den Felsen bis die Flammen hell aufloderten und versteckte sich noch der Wind. In we in der Dunkelheit einen Halbkreis be niger als einer drittel Stunde war das schrieben. Firmament völlig wolkenfrei. Die Bill nahm zuerst den rechten Arm, Sterne waren hell und funkelten dann, als er müde wurde, den linken. nicht einmal. Er kletterte einige Dutzend Fuß hö Schweigend studierte Bill die her, vergaß, wie er schwitzte und Sternbilder und sagte sich, daß seine schwer atmete, und schwenkte immer Vermutungen richtig gewesen waren. wieder das schwere Holz über seinem Er stand am südlichsten Punkt der Kopf. Schließlich ließ er es fallen und Insel und schaute nach Süden. Selbst hoffte, die Flammen würden das Gras am Horizont, fast an der Kimm, er anzünden und bis hinauf zum Hang absturz anbrennen. schienen Sterne. Er blinzelte. „Die Luft ist völlig klar geworden", Im nassen Gras zischte die Holzglut sagte er im Selbstgespräch. „Die auf. Er schirmte die Augen ab und Sicht geht weit heute nacht." versuchte, die Lichter wiederzufin Noch immer blendete das Feuer in den. Erst nach langer Suche, als sich den Augenwinkeln. Bill ging an die seine Augen wieder an die Dunkel leere Stelle am Strand. Dort hatte das heit gewöhnt hatten, sah er sie. Nur meiste Holz gelegen, das er verbrannt noch zwei Handbreiten waren sie hatte. voneinander entfernt. Eins war grö Diese Sterne - waren keine Sterne! ßer geworden als das andere, zumin Sie standen unterhalb der Kimm. dest leuchtete das an Steuerbord hel Und sie bewegten sich. Zwar glitten ler. „Wenn ich jetzt schreie, bin ich sie sehr langsam aufeinander zu, aber es gab keinen Zweifel. Eine wilde morgen heiser", sagte er. „Und jetzt Freude durchzuckte Bill, aber er nutzt es nichts." blieb mißtrauisch. Er hob den Ast wieder auf und fuhr „Also doch! Sie suchen uns!" stieß damit fort, sein Signal zu geben. Die er hervor. Lichter näherten sich scheinbar ein Er peilte die schwachen Lichter an. ander, verschmolzen kurz zu einem, Nach einigen Minuten bestand kein dann trennten sie sich wieder. Zweifel mehr. Am Rand der Entfer „Männer! Fischer! Hier bin ich", nung, die man nachts mit bloßem ächzte Bill. „Ihr müßt hierher Auge sehen konnte, wenn man nicht schauen." gerade Dan O'Flynn hieß, segelten Als der brennende Ast in zwei Teile Boote. Vielleicht sogar die Sche zerbrach und seine Schulter ver becke. Und ein anderes Boot dazu. sengte, besann sich Bill.
44 Er eilte wieder hinunter zu seinem Feuer und warf den Holzrest hinein. Je größer das Feuer wurde, desto eher sahen es die Fischer. Sie wußten, welche Insel bewohnt war und welche nicht. Er zog das Treibholz aus dem wü sten Wall des Schwemmgutes, wo er es fand. Die Äste und Stämme schleppte er an die Flammen und schichtete sie auf einen Haufen, der schneller größer wurde, als er ver brannte. Knapp eine Stunde später konnte er sich dem glühend heißen Feuer nicht mehr recht nähern. Es war fünfundzwanzig Fuß hoch, und ein riesiger Schauer aus Funken ver mischte sich mit dem Rauch, der, von unten in leuchtendes Rot getaucht, in der Nacht unsichtbar wurde. „Blinde Fischer? Gibt's die?" fragte er sich und hörte auf, weiteres Holz in das gewaltige Feuer zu werfen. Bei dieser klaren Nacht sah jeder, der nicht schlief, diese Flammen bis nach Thorshavn. „Aber jetzt sehe ich nichts mehr", sagte Bill, entfernte sich von den blendenden Flammen und ging er schöpft bis zu der Stelle, an der die Brandung ausrauschte. Das Wasser war zurückgeflutet, jetzt stieg es wie der. „Wo sind sie?" Bill blinzelte, schloß die Augen, und als er sie wieder öffnete, tauch ten aus der Dunkelheit wieder die bei den Lichter auf. Sie waren deutlich größer und schärfer geworden. Bill überlegte, was er noch tun sollte, um die sich nä hernden Fischer auf sich hinzuwei sen. Er ging nach rechts, bis er genau zwischen den Laternen der Fischer und den Flammen stand. Unruhig be wegte er sich hin und her und hoffte, daß er die Flammen so weit ver
deckte, daß er eine Art lebendes Blinksignal bildete. Er wartete, und seine Ungeduld wurde immer größer. Wenn er versuchte, ruhig über alles nachzudenken, dann kam er sehr schnell darauf, daß er unglaubliches Glück gehabt hatte. Mehr als das. Er war wiedergebo ren worden. Es war ein Geschenk des Himmels. Bis auf einen Körper voller Flecken und Abschürfungen und ein paar wirklich schmerzhafte Prellun gen hatte er alles überstanden. Die Fischerboote näherten sich tat sächlich. Im schwachen Widerschein des Mondlichts und der Sterne erkannte Bill deutlich zwei gar nicht so kleine Boote als winzige Silhouetten. Sie hielten auf das Feuer zu. Wieder ging er hin und her, und jetzt antworteten sie auf dieselbe Weise. „Endlich!" schrie er und sprang von einem Bein aufs andere. „Jetzt haben sie's gemerkt!" Sie würden ihn an Bord nehmen und zur Schebecke bringen. Wie und wann und auf welche Weise - das war jetzt völlig unwichtig. Er war schon so gut wie herunter von dieser Schaf insel. Er wartete und winkte, ging hin und her, starrte auf die Lampen der Boote und winkte wieder, schaute auf die steigende Flut und wußte bald nicht mehr, woran er vor Aufregung, Freude und Ungeduld denken sollte.
Philip Hasard Killigrew wurde wach, als Plymmie bellte und er das Quietschen des Gangspills hörte. Ei nige Atemzüge später, als er seinen heißen Tee schlürfte, unterschied er andere Geräusche: halblaute Kom mandos, Schritte, das Knarren und Knirschen von laufendem Gut und
46 Rahruten, das Flattern der Leinwand und die Echos von den Felswänden. „Eine ruhige Nacht", stellte er fest und enterte bedächtig an Deck. Die Crew arbeitete ruhig weiter. In kurzer Zeit stand der Anker auf und nieder. Die Färinger saßen auf der Kuhl und fielen mit hörbarem Appe tit über das Essen her. Hasard verbiß sich eine entspre chende Bemerkung. Er hatte heraus gefunden, wie karg und einfach die Inselbewohner aßen. Ein Bier bedeu tete für sie einen halben Feiertag, ein Schluck Branntwein war wie ein Fest. Mac Pellew sah das nicht anders und kümmerte sich mit säuerlicher Miene um die Gäste an Bord. Ben Brighton stand in unerschütterlicher Ruhe auf dem Achterdeck und küm merte sich um jede Kleinigkeit. „Sigurd hat uns steifen Wind ver sprochen, Sir", sagte Ben. „Er hat lange nachgedacht und mit Nils und Sven gesprochen. Siltala sagt das gleiche." „Was empfehlen sie uns?" fragte der Seewolf. „Weitersuchen?" „Auf jeden Fall", bestätigte der Erste. „Wir sollen den Fjord, solange die Strömung noch arbeitet, nach Norden verlassen, dann um Österö herum nach Osten und im nächsten Fjord wieder zurück nach Süden. Die Felsen und Strände sind von Bord aus ohne umständliches Kreuzen leicht zu sehen. Und wenn dann noch Zeit bleibt, im nächsten Fjord wieder nach Norden." Zusammen mit Dan hatte Hasard nachts noch einmal die Karten stu diert. Er nickte nachdenklich. „Einverstanden", sagte er und blickte nach oben. Die Ränder der Felskanten hoben sich scharf gegen den helleren Himmel ab. Aber die Sonne war noch nicht aufgegangen.
Über die Steinwände orgelte ein scharfer, kalter Fallwind herunter. Er zerrte schon an der Leinwand. Der Bug der Schebecke wies noch immer dorthin, wo eben die Ankertrosse freikam. „Wir haben also einen lan gen, harten Tag vor uns." „Allerdings, Sir", erwiderte der Erste und schrie dann zur Kuhl: „Kann jemand diesem verdammten Kläffer endlich die Kehle stopfen? Man versteht ja seine eigenen Gedan ken nicht mehr." „Still, Plymmie!" rief Philip junior. „Der Erste denkt!" Don Juan de Alcazar enterte aufs Grätingsdeck und bemerkte den an gestrengten Gesichtsausdruck des Seewolfes. Plymmie hörte auf zu bel len. Der schwere Anker wurde ge räuschvoll angelascht und belegt. Der Wind fuhr in die beiden kleinsten Se gel und schob die Schebecke fast un merklich vom Liegeplatz in die Rich tung des offenen Fjordes. Längst er füllte das Vogelgeschrei die Ohren. „Eine unwirtliche Inselwelt", stellte der Spanier fröstelnd fest. „Ich vermisse die Wärme mehr und mehr." Hasard schlug ihm freundschaft lich auf die Schulter und antwortete: „So geht es uns allen. Aber zuerst müssen wir zurück nach London, und davor liegt, abgesehen von endlosen Seemeilen, die Suche nach unseren beiden Vermißten." „Klarer Fall", sagte Don Juan. „Ich weiß. Wenn ich noch mehr wüßte, zum Beispiel, wo sie sich ver stecken, dann wären wir schon dort hin unterwegs." „Und genau damit fangen wir jetzt an." Das Fischerboot befand sich schon im Schlepp des Schiffes. Noch brann ten die Dochte in den Laternen. Die großen Dreieckssegel füllten sich zö
47 gernd, der Fallwind war kräftig, aber zu erkennen, daß sie keinen Schiff unregelmäßig. Die Schebecke wurde brüchigen aufgefischt hatten. Ben Brighton rief, als die Sche aus der Bucht in den Fjord gebracht, und dort packte sie ein raumer Wind. becke am Steuerbordausgang des „Klar auf Kurs", meldete Ben nach Fjordes schwer überlegte und an den einer Weile. „Haltet Ausschau, Wind ging: „Auf den Fischer zu, Jan. Sigurd will ihn befragen." Kerls!" „Aye, Sir!" „Verstanden", ertönte die Antwort. Jan Ranse stand an der Pinne. Die Die Crew, ohne und mit dem Spek Seewölfe waren vermummt, als ginge tiv am Auge, suchte im stärker wer es wieder ins nördliche Island und zu denden Tageslicht die Ufer ab. Smoky blies die Flammen der Later den riesigen dunklen Körpern der nen aus und nahm die Ölbehälter hin Wale, die im eisigen Wasser ihre Fon unter auf die Kuhl, um sie zu putzen tänen ausbliesen. Die Schebecke schnitt mit rau und aufzufüllen. schender Bugwelle durch die Wellen, „Und noch immer kein neuer Re die sich höher und höher auftürmten. gen", murmelte Don Juan und rieb Der Fischer, dessen Boot gefährlich seine klammen Finger. „Wie überra schwankte und gierte, ließ vor Über schend." raschung sein Netz ins Wasser zu Al Conroy hatte noch gestern die rückrutschen. Drehbassen blind geladen. Die Lunte Sigurd Simonsen legte die Hände glomm, aber Siltala, der alte Fischer, an den Mund und brüllte eine Frage die die Schroffen und Klüfte ebenso über das Wasser. gründlich beobachtete wie jedes Au Niemand, außer Siltala, verstand genpaar der Wache, schüttelte immer die Worte. wieder den Kopf. Der Fischer, nicht weniger laut und „An diesen Wänden", übersetzte für jeden an Bord ebenso unverständ schließlich Nils Larsen, „kann nie lich, gab seine Antwort. Wieder mand hinaufklettern. Ihr braucht schrie der Färinger, und der Fischer kein Signal zu geben." schüttelte den Kopf. Eine Bewegung, „Noch nicht. Aber später um so die diesmal jeder verstand. Der mehr", sagte Hasard. blonde Hüne deutete wieder nach Nach einer Biegung an der Back Backbord, und die Schebecke glitt bordseite öffnete sich der enge Fels am Fischerboot vorbei. Für einige kanal nach Norden. Von den wenigen lange Atemzüge beruhigten sich an Gebäuden, die den Namen Siedlung Lee die Wellen. Während der Fischer nicht verdienten, erfolgte keine Ant wieder nach dem Netz griff, schaute wort, die auf etwas hoffen ließ. Nach er dem fremden Schiff nach, als habe dem der dröhnende Abschuß einer er den Leibhaftigen gesehen. Drehbasse wie ein Donnerschlag sei Hasard rief zu Nils hinunter: „Ich nen Schall nach allen Seiten schickte, kann mir schon denken, was Sigurd die Menschen aus den Häusern ren gefragt hat. Sagst du uns allen trotz nen ließ und die Fischer - es waren dem, was die Färinger besprochen ha bisher nur vier kleine Boote gesichtet ben?" worden - in helle Aufregung ver „Natürlich!" rief Nils zurück. „Er setzte, geschah praktisch gar nichts. hat in der alten Wikingersprache der Die Färinger winkten, aber sie gaben Färinger gefragt, ob jemand in die
48 sem Teil der Inseln etwas von Bill und Blacky weiß. Leider wußten sie nichts." „Das war wohl zu erwarten", sagte der Seewolf. „Wer kennt von uns schon die Strömungen hier oben." „Die Strömungen weiter im Sü den", knurrte Jan Ranse, „kennt von uns auch keiner." Die Schebecke stampfte entlang den Felsenwänden, von Südwesten nach Nordosten, dann um die nörd lichste Huk von Österö herum nach Südosten, und schließlich öffnete sich vor ihnen das weite Gebiet um den Oyndarfjördur. Hier würde, wenn sie gründlich waren, die Suche tagelang dauern. Mit schlechtem Wind kämpften sie sich nach Süden zurück, und jeder Fischer sagte den Seewölfen das Gleiche: „Wir haben nichts von Schiffbrüchigen gesehen. Wir wissen nichts von zwei Frem den." Die Suche ging weiter, so schnell, wie der Wind und die Strömungen es erlaubten. Keiner an Bord glaubte mehr dar an, die Freunde lebend zu finden.
Kurz vor dem ersten, grauen Licht des Morgens, das durch eine Nebel bank von großer Höhe geschluckt wurde, schoben sich die beiden Fi scherboote nebeneinander auf die züngelnden Reste des Feuers zu. Die Fischer, die bis hierher gepullt wa ren, erwarteten nichts anderes als ei nen halbverhungerten, halbtoten See fahrer, der hilflos am Strand lag. Sie erschraken, als ihnen vor dem riesigen Kreis aus Asche und Glut, mitten im Schwemmgut und dem grobkörnigen schwarzen Sand, vor den Flammen und der Rauchsäule ein dunkelblonder Mann entgegenlief,
der schreiend und mit beiden Armen wirbelnd durch die Brandungswellen rannte wie ein Ungeheuer, in jeder Hand eine Lammkeule mit dunkel brauner Kruste. Er schrie unver ständliche Worte, aber er grinste, lachte und kletterte schließlich in das erste Boot. Er zeigte nach Süden. „Thorshavn?" fragte er und fügte viele Worte in einer unbekannten Sprache hinzu. „Thorshavn", sagten die Fischer. Sie nickten mit ihren blondhaarigen Köpfen und stakten ihre Boote vom Strand weg. Dann nickten sie einander zu, fin gen zu pullen an und brachten, als sie weit genug vom Strand und in einem günstigen Wind waren, ein einfaches, zerlumptes Rahsegel in die Höhe. Bill versuchte, mit Fingern und viel Grin sen zu erklären wer er war, woher er kam, was er wollte. Sie antworteten mit ähnlichen Ge sten und mit Worten, die er besten falls zu einem Zehntel verstand. Schließlich reichte er die Fleischpor tion weiter, schnitt sich selbst ein kräftiges Stück ab und kaute, bis er müde war und sich zwischen den Duchten ausstreckte, mitten zwi schen Fischköpfen und dem Angelge rät. Er hörte nicht, wie die drei Fischer den Insassen eines anderen Bootes, das auf Nordkurs unterwegs war, al lerlei Erklärungen zuriefen. Früher oder später würde er in Thorshavn sein und auf die Sche becke der Seewölfe warten.
Er hatte den Regen nicht mehr be merkt, er sah weder die neblige Däm merung noch die kurzen Augen blicke, in denen sich die Sonne hoff
49 nungsvoll durch die Wolkenlöcher Zeug, das zwischen den zerbrochenen bohrte, und er spürte auch nicht, wie Schalen hervorquoll. „Feuer", flüsterte er und schaute der Sturm den Hang hinunterfegte und die Flammen immer wieder neu sich nach etwas um, das brennbar anfachte. Es gab kaum noch Holz, das war. Schließlich fand er sich wieder am in diesem winzigen Feuerchen ver Strand, mitten zwischen den Ästen brennen konnte. Blacky schlief, träumte wild und und Hölzern, die wie die weißen Kno wirr, wachte schweißgebadet wieder chen längst verstorbener Wesen hoch auf, bewegte sich und handelte, ohne und trocken im Geröll lagen. Er packte das Holz, griff immer zu wissen, was er da gerade unter nahm. Er sprach mit sich selbst und wieder daneben und zog schließlich erklärte sich, warum es so war, daß einen viel zu schweren und sperrigen die Krankheit Stunde um Stunde das Stamm mit mehreren Gabelungen hinter sich her zu der Stelle, an der es Leben aus ihm heraussaugte. Ob er etwas tat oder nur träumte, schwelte und rauchte. Wieder versag daß er etwas tat - das konnte er nicht ten seine Muskeln den Gehorsam, und er lehnte sich gegen den nassen mehr unterscheiden. Fels. Irgendwann öffnete er die Augen „Verfluchte Schafinseln", sagte er und erkannte, daß es hell war. Tages und schüttelte sich. Blacky meinte, licht. Als er nach seinem Napf tastete, daß er die Wirklichkeit um sich her merkte er, daß er leer war. Er stand um richtig sah. auf, brach wieder zusammen, zog sich Das Holz, das er heraufgezerrt hoch, indem er seine Finger in den hatte, brannte lichterloh. Fels krallte und an die Schebecke, an Das Meer, so weit er es überblicken die Seewölfe und an den Eisenmann konnte, war einigermaßen ruhig und dachte. völlig leer. Seit er über Bord gegan „London - Thorshavn - muß le gen war, hatte er nicht ein einziges ben", lallte er stotternd und kraftlos Mal ein Lebenszeichen gesehen: kein und rutschte über das nasse Gras hin Licht, keinen Rauch, kein anderes unter zu seiner eigenen Quelle, zu Boot. Nur einmal einen Wal oder ei dem Wasserstrahl, der einmal stär nen Delphin oder einen riesigen ker, dann wieder schwächer über die Fisch, der seinen Rücken krümmend Felsen rann und tropfte. Er füllte sei durch die Wellen zog. Aber Blacky nen schartigen Napf mehrmals und war nicht sicher, ob er das Bild nicht leerte ihn, ohne zu erkennen, daß er auch geträumt hatte. durstig war, daß das Fieber vorbei Nicht die Einsicht in die Notwen und er zu schwach geworden war, um digkeit, sondern Pflichtbewußtsein irgend etwas klar denken oder richtig und der Wille, noch so lange weiterzu tun zu können. Er unterschied nicht mehr zwischen Traum und Wirklich leben, bis man ihn fand, zwangen Blacky dazu, wieder den erschöpfen keit. den Weg zum Strand hinunter zu ris Er trank sich am eiskalten Wasser kieren. Er wußte nachher nicht, wie satt. oft er umgefallen und wie lange er je Er erinnerte sich an die Vögel und desmal liegengeblieben war. ihre Eier. Wieder plünderte er einige Aber als diese merkwürdige Hellig Nester und schluckte das klebrige keit wieder vorbei war und der Regen
50 niederrauschte, als die kreischenden Vögel mit überraschender Plötzlich keit verschwunden waren, kauerte er erneut vor einem wärmenden Feuer in seinem Unterschlupf und schwankte hin und her zwischen Fie ber, Wachen und Schlafen.
„Es gibt auf Kalsö einen Platz, an dem wir die letzten Stunden einiger maßen sicher verbringen können", übersetzte Nils. Sie saßen alle auf der Kuhl, hatten die Schalen mit ihrem Essen auf den Knien, und die Schebecke hatte, auf Südkurs kreuzend, die engste Stelle zwischen den Inseln Kalsö und Österö vor einer halben Stunde hin ter sich gelassen. Hasard nickte Sigurd Simonsen zu. „Wenn uns die neuen Freunde si cher dorthin lotsen, bringen wir dort wieder den Anker aus." Ein langer Tag, der jeden an Bord erschöpft und niedergeschlagen zu rückgelassen hatte, lag hinter der Crew der Seewölfe. Jede nur denk bare Möglichkeit hatten sie unter sucht. Unzählige Meilen nackter, starrender Felswände waren an Backbord und Steuerbord an ihnen vorbeigezogen. Wenigstens der Wind aus dem nördlichsten Quadranten und die Strömungen von Flut und Ebbe, von den zwei Ortskundigen gut ausge rechnet und angesagt, hatten ihnen geholfen. Niemand konnte ihnen hel fen. Niemand hatte etwas bemerkt, und die Gewißheit, ohne Blacky und Bill weiterzusegeln, weitersegeln zu müssen, war größer geworden. „Reichlich eine Stunde", erklärte Nils gähnend, nachdem er mit den Fä ringern lange gesprochen hatte. „Sie
finden es leicht, wenn nicht wieder Nebel aufkommt." „Höre ich gern", brummte Hasard und ließ sich von der Müdigkeit sei ner Crew anstecken. Seit dem Morgengrauen hatten die Schafinseln die Fremden mit jeder Art von Wetter und Wind bereitwillig und schonungslos überschüttet. Re gen und Sturm, eine stundenlange Flaute, Nebel und die falsche Strö mung, wieder Sturm und dann zwei Stunden Sonnenschein, der mit ihnen zu wandern schien - ununterbrochen wechselten das Wetter, die Sicht und die Stimmungen. Aus pechschwarzen Steilhängen wurden im klaren, weichen Licht plötzlich Galerien aus farbigem Ge stein, gesprenkelt mit tausend farbi gen Pünktchen, von denen jedes ein Vogel war, mit buntem Schnabel, wei ßem Gefieder oder seltsamen Köp fen. Keiner an Bord hätte hier leben wollen, nicht um alle Reichtümer der Welt. Jetzt zogen wieder Wolken auf und schoben sich vor die Sterne und das spärliche Leuchten des Mondes. Sil tala, der zahnlose Fischer, gab seine leere Schale dem Kutscher und grin ste breit, als er dafür einen kleinen Humpen Bier empfing. Er schwankte ein wenig, bewegte sich aber mit überraschender Sicherheit nach ach tern bis zum Rudergänger. Sigurd schaute ihm hinterher und sagte etwas. „Wie?" „Er wird uns genau dorthin brin gen", sagte Nils. „Keine Sorge. Es lie gen keine Untiefen zwischen hier und dort. Auch bei Nebel findet er den Kurs. Er kennt die Inseln besser als Sigurd, sagt Sigurd." Dan O'Flynn, der ganz vorn hockte und mehr aus Pflichtbewußtsein als
51 aus Überzeugung Ausschau hielt, rief plötzlich: „Licht voraus, Sir." Hasard nickte, rief „Verstanden" und erklärte überrascht: „Wenn Dan es sagt, wird's wohl stimmen." Er stand ächzend auf, leerte seinen Becher und hangelte sich bugwärts. In der Tasche seiner Jacke befand sich, wie stets, das Spektiv. Edwin Carberry brummte etwas Unver ständliches und folgte ihm. Kurz dar auf duckten sie sich vor der Fock und blieben neben Dan stehen. „Licht? Wo?" fragte der Seewolf. „Gerade voraus, Sir." Hasard fingerte das Linsenrohr aus der Tasche, hob es ans Auge und rich tete es auf den Punkt, auf den Dan zeigte. Oder wenigstens in dieselbe Richtung. Er sah lange nichts als Fin sternis und die Schemen von Wellen, die mehr in seinen Gedanken als im Augapfel rollten und sich brachen. Dann, endlich, einen einzelnen Punkt. „Tatsächlich", murmelte er und fügte hinzu: „Liegt auf unserem Kurs. Entweder tausend Seemeilen weit weg oder winzig klein." „Letzteres, Sir", sagte Dan. „Die Fi scher haben nicht gerade riesige Öl lampen mit drei dicken Dochten an Bord. Sie brauchen das Licht auch nur, hat Sigurd mir gesagt, um sich gegenseitig zu erkennen. In der Nacht sind sie höchst selten auf dem Meer und nur dann, wenn es sehr ruhig ist." „Also fährt dieser Fischer sein Licht, um uns etwas sagen zu kön nen?" erkundigte sich der Profos. „Wahrscheinlich, Ed." Inmitten der großen, leeren und einsamen Fläche aus Wasser und kar gen Inseln hatte selbst ein einzelnes schwächliches Licht auf See etwas zu bedeuten. Das erkannten die See wölfe. Angesichts der großen Entfer nungen war es fraglich, ob die Fi
scher untereinander stets ihre Beob achtungen austauschen konnten. Daß sich mittlerweile herumge sprochen hatte, warum das schnittige große Schiff hier kreuzte, konnte vor ausgesetzt werden. Schließlich war seit dem ersten Anlegen in Thors havn genügend Zeit vergangen. Wie der peilte Hasard das Licht an. „Du hast dich wieder einmal nicht geirrt", sagte er halb zufrieden, halb von neuer Hoffnung erfüllt. „Wir hal ten auf das Fischerlein zu." „Möglicherweise hat er uns etwas zu sagen." Dan O'Flynn schwankte zwischen neuer Hoffnung und Ent täuschung. „Bisher gab es nicht viel an guten Neuigkeiten." „Die Untertreibung dieser Fahrt", brummte Hasard. Jene Fischer, die für bemerkens wert große Mengen Trockenfisch oder Stockfisch sorgten, waren an sich todesmutige Burschen. Die Wel len, oft höher als die windigen Nuß schalen der Fängerboote, schreckten sie nicht ab. Sie fuhren bei jedem Wetter aus. Ihre Fischbeute wurde hoch auf den Klippen in Verschlagen aus Treibholz aufgehängt und von der Luft getrocknet, bis die Fische hart wie ungegerbtes Leder waren. Schiffe des dänischen Monopolhan dels brachten den Fisch weg, nach dem er billigst mit Tauschwaren be zahlt worden war. Selbst Nils und Swen fanden, daß dies eine empö rende Ausbeutung war. Drehende Winde zwischen den In seln, Kreuzseen und unsichtbare und unberechenbare Strömungen, ab und zu ein Regenguß und treibende Wol ken waren die Begleiter der nächsten Stunde. Die Schebecke ging nach Backbord und schickte sich an, das südliche Ende der langgestreckten In sel Kalsö zu runden.
52 Das wandernde Licht blieb deutlich und wurde größer. Wieder feuerte Al eine Heckdrehbasse ab. In der nächt lichen Stille krachte die Explosion ungewöhnlich laut. Drohend warfen die Felswände den Hall zurück. Vo gelgeschrei gellte eine Weile, dann be ruhigten sich die aufgestörten Tiere wieder. Der Wind wirbelte den Rauch von der Wasseroberfläche. „Die Färinger werden noch in Jahr zehnten von den Verrückten spre chen, die zwischen den Inseln kreu zen und pausenlos in die Wellen schießen", sagte der Seewolf. Mehr als eine halbe Stunde später schaukelte das Fischerboot recht vor aus, in zwei Kabellängen Entfernung. Die Schebecke fuhr einen engen Kreis und ging in den Wind. Sigurd Simonsen war der Größte in der Gruppe auf dem Achterdeck. Von Bord zu Bord ertönte ein wil des Geschrei über die Wellen. Drei Männer saßen in dem Boot. Sigurd Simonson stellte brüllend seine Fra gen in der rauhen Sprache der Inseln. Die Fischer antworteten. Nils ver stand kaum etwas und wartete unge duldig. Es war auch kaum möglich, den Gesichtsausdruck der Männer zu deuten. Die Fischer hatten ebenso lange Haare wie Bärte, und das Licht war zu schwach. Nach einer Weile wandte sich Si gurd an Hasard: „Segelt wieder wei ter. Geradeaus. Ich habe euch etwas zu erzählen." Hasard rief seine Befehle aus. Die Schebecke schwang langsam herum und ging wieder auf Kurs. „Mach schon!" drängte der See wolf, während Nils und Sigurd halb laut miteinander redeten. Nils grinste und übersetzte: „Zwei Fischer aus Sjogv haben ein riesiges Feuer gesehen. Auf Svinö. Sie haben gestern früh einen dunkelblonden
Mann mit grauen Augen von dort geholt. Er schrie wie ein Verrückter und hat zwei gebratene Lammkeulen in den Händen gehabt. Sah ziemlich abgerissen aus und schlief im Boot gleich ein." Fast ehrfürchtig brachte Dan her vor: „Bill! Er hat also tatsächlich überlebt." Hasard drehte sich um und schrie zur Kuhl hinunter: „Weitersagen! Man hat Bill gefunden. Gesund und müde. Er ist nicht ertrunken." „Weiter", drängten die anderen. Mühsam verschaffte sich Nils Lar sen Gehör. „Also", übersetzte der Däne. „Die Fischer, Björn und Eiden heißen sie, mitsamt ihren Söhnen, haben in Thorshavn unser Angebot gehört. Sie wollten ohnehin in den Norden zum Dorschfischen. Das Feuer haben sie schon knapp nordöstlich von Österö bemerkt. Aber sie hielten es für ein Fischerbootlicht." „Ja, und dann? Wie hat es Bill geschafft, ein Feuer anzuzünden?" wollte der Rudergänger wissen. „Davon haben sie keine Ahnung. Natürlich können sie sich mit Bill kaum unterhalten. Sie haben nur kurz miteinander gesprochen, die Retter und der Fischer hier." Noch während die Schebecke stampfend und schlingernd nach Südosten weiterstampfte, versuchten auch die Fischer, ihr zu folgen. Das kleine Segel killte und drohte zu reißen. Das Hecklicht tanzte in den Wellen auf und ab. „Verstanden", unterbrach der See wolf lachend und hörte den Lärm, der von der Kuhl ausgehend sich unter den Decksplanken fortsetzte. „Bill hatte einen gewaltigen Berg aus Treibholz aufgeschichtet, der ei nige Fuß über der Brandung loderte. Die Nacht war einigermaßen klar.
54 Jedenfalls war das Feuer gut zu se hen." Nils holte tief Luft und fuhr fort: „Bill lief vor den Flammen hin und her. Das war wie ein Signal. Als die beiden Boote heran waren, stürmte er auf sie zu. Er schrie wie ein Verrück ter und schenkte den Fischern Lamm keulen. Gebratene!" Dan O'Flynn schüttelte verwundert und gleichzeitig begeistert den Kopf. „Svinö", sagte er nachdenklich. „Zwischen Vidö und Fuglö. Ja, das er gibt einen Sinn. Dort oben waren wir. Wahrscheinlich wurde er im Norden angeschwemmt und durchquerte die Insel nach Süden. Aber das wird er uns in Thorshavn selbst sagen." „Ganz bestimmt", sagte Hasard. „Für uns bedeutet es, daß wir viel leicht auch Blacky lebend finden. Wenn es Bill schaffte, warum nicht auch Blacky?" „Himmel noch mal", warf der Ru dergänger ein. „Das hätte ich nicht gedacht. Wirklich nicht. Und dann Jagt der Kerl auch noch Schafe und brät sie am Feuer. Herrlich!" Sigurd wußte nicht, ob die Schafe auf Svinö einen Besitzer hatten. Er bestätigte, daß Svinö menschenleer sei. Nur die Vogelfänger pullten dort hin, um Lummen zu fangen. „Ich weiß, was du meinst." Hasard wandte sich an Dan. „Die Strömung muß sehr stark gewesen sein. Lange überlebt niemand in diesem kalten Wasser." „Überdies", sagte Dan, „waren wir näher an den Inseln, als wir berech net hatten. Der Sturm verschlug uns nach Süden. Deswegen hatte Bill eine gute Chance." Hasard nickte und starrte die Plan ken an. „Trotzdem ist es ein Wunder", mur melte er dankbar. Das Schiff wurde in einem großen
Bogen, der wieder zurück nach Nor den führte, auf die Südspitze der Kal sö-Insel zugesteuert. Es war nicht nur wegen der Dunkelheit und des aufzie henden Nebels ein schwieriges Ma növrieren. Es dauerte länger, als die Färinger geschätzt hatten. Aber schließlich schob sich ein dreieckiges Stück Land aus der Dun kelheit, ein Geröllhang aus helleren Steintrümmern. Die Strömung traf sich hier und schob das Schiff wieder zurück in die Nacht. Rechts und links des Hanges ragten dunkle Felsmas sen in die Höhe, gesprenkelt, wie an so vielen Stellen, von den Körpern unzähliger Vögel. Der Seewolf versuchte, Einzelhei ten zu erkennen. Sigurd versicherte immer wieder, daß dieser Liegeplatz für den Rest der Nacht sicher sei. Bis die Gezeiten wechselten, übersetzte Nils, konnten sie in der Strömung vor Anker liegen, bei genügend langer Trosse, und wenn das Schiff drehen sollte, würde eine einzige Landleine helfen. Schließlich hatten sie ein Bei boot. „Einverstanden", sagte Hasard und fühlte seine Müdigkeit. „Anker aus bringen!" „Aye, Sir!" Die Felsen, die eine Schlucht bilde ten, hallten wider von den Geräu schen des fallenden Ankers. Mit ei nem scharfen Ruck faßte die eiserne Flunke. Die Trosse wurde um ein paar Fuß eingeholt und mehrmals be legt, dann lag die Schebecke ru hig. Mit steifen Muskeln verließ Hasard das Vorschiff und sagte zu Carberry: „Du übernimmst, Ed. Wecke mich beim ersten Licht. Für die wenigen Stunden lohnt es sich nicht, zu sehr aufzuklaren, wie?" „Keine Sorge." Carberry grinste nicht einmal. „Hau du dich aufs Ohr,
55 Sir. Die Ankerwache kommt schon klar. Kein Problem." Der Seewolf nickte der Wache zu, enterte den Niedergang ab und schlief ein, kaum daß er seine Stiefel von den Beinen gezerrt hatte. 7. Die Zwillinge kauerten nahe der Ruderpinne auf den Planken, unter sich eine zusammengefaltete Decke. An den fast leeren Bechern, aus de nen heißer Tee von Mac Pellews unerschöpflichem Kessel gedampft hatte, versuchten sie ihre Finger zu wärmen. Die Schebecke lag in der schwachen Strömung ruhig und zerr te nicht einmal am Ankertau. Schläfrig meinte Jung Hasard zu seinem Bruder: „Sag mal, Brüder chen, brennt etwa Macs Frühstücks schenke ab?" „Hoffentlich nicht", erwiderte Philip und schnüffelte. „Wieso?" „Weil es bei Wind von dort nach kaltem Rauch riecht. Aber nicht nach heißem Tee, Holzkohle oder Brotfla den." „Stimmt", sagte Philip und blickte zur östlichen Felswand, zu der Ha sard junior zeigte. „Kalter Rauch. Sollte nicht sein. Ich sehe nach." Er stand auf, nickte Don Juan und Batuti zu und schlich unter Deck. Er bückte sich und marschierte auf Ze henspitzen vom Bug bis zum Heck und untersuchte peinlich genau die Umgebung jeder Lampe und alle Stellen, an denen ein Brand entste hen konnte. Unter Deck jedenfalls roch es nach vielerlei, aber ganz sicher nicht nach kaltem Rauch. Jung Philip stieg wieder an Deck, in die Kälte. Er kauerte sich vor seinen Bruder und Batuti und flü sterte: „Unter Deck ist alles klar.
Kann es sein, daß an Land ein Feuer ist?" „Ich sehe keinen einzigen Funken", erwiderte der Gambiamann leise. „Etwa du?" „Nein, ich auch nicht. Aber wenn es nach kaltem Rauch riecht, dann ist das Feuer aus. Was verlieren wir, wenn wir eine Feuerstelle suchen, die vor kurzer Zeit noch brannte?" „Nichts", sagte Don Juan. „Wir nehmen das Fischerboot und suchen, wo das Feuer gewesen sein kann. Aber nicht jetzt. Sonst wacht wieder alles auf." „Einverstanden", stimmte Jung Ha sard zu. „Wir warten. Legt alles zu recht, was wir brauchen. Aber leise." „Genau das werden wir unterneh men", schloß zuversichtlich der Spa nier. „Die Färinger sagen uns, ob auf der Insel vielleicht jemand lebt." Aber beide Färinger lagen unter Deck und schliefen tief und fest.
Als das Gangspill sich drehte und die Crew an Deck die Segel zu setzen begann, in der letzten halben Stunde der Nacht, enterten die Zwillinge, der Gambiamann und Don Juan über die Jakobsleiter ins Fischerboot und lie ßen sich die vier Riemen reichen. Batuti und Don Juan hielten die brennenden Fackeln in die Höhe. Philip junior legte die beiden Riemen in die Dollen, sein Bruder tat das gleiche, dann fingen sie an zu pullen. „Zuerst an diesen Strand?" fragte Don Juan. „Oder hinter die Klippe?" „Hier gibt es nichts", entgegnete Batuti. In dieser Stunde zwischen Nacht und Morgengrauen war das Meer, wenigstens an dieser Stelle, glatt wie eine saubere Tischplatte. Nur an den Felsen gluckerten winzige Wellen, die
56 ein wenig Schaum hinterließen. Das kannten sie sehr deutlich zwei Fuß Boot wurde schnell und entschlossen eindrücke. Es waren keine Schaffelle entlang der senkrechten Wand ge um die Füße gebunden, sondern die pullt. Die Seewölfe an Bord schauten Sohlen von Stiefeln. zu, wie die hellen Flammen der Fak Don Juan stöhnte auf. „Wie der keln sich entfernten und schließlich Stiefel von einem von uns. Sollte der hinter der Felswand verschwanden. Abdruck von Blacky stammen?" Nur ihre Reflexe zitterten noch auf „Wenn er hier ist", sagte Batuti und dem Wasser. setzte sich an die Spitze, „dann fin Zwei, drei Kabellängen weit ging es den wir ihn." Die Seewölfe befanden sich am Fuß an der dunklen Felswand entlang. Die ersten Vögel bewegten sich unru einer Schrägfläche, die fast ebenso hig auf den schmalen Simsen und in klein war wie jene, vor der die Sche den Spalten. Batutis tiefe Stimme becke ankerte. Rechts und links rag klang beruhigend auf. ten die Felswände fast senkrecht in „Der Gestank wird stärker. Bravo, die Höhe, voller Vogelnester. Von al len Seiten ertönten die seltsamen Philip. Du hast eine gute N a s e . . . " „He", unterbrach ihn Hasard ju Laute, die den Seewölfen verrieten, daß die Tiere beim ersten Licht von nior. „Ich habe es zuerst gerochen." Hinter seinem Rücken wurde das den Klippen zum Flug starten wür Plätschern kleiner Wellen auf dem den. Geröllstrand lauter. Der Geruch nach kaltem Rauch und nasser Asche wurde stärker. Nach ei „Weiter." Bug und Kiel des Bootes knirschten nigen weiteren Schritten deutete Don auf groben Sand, nachdem Don Juan Juan auf eine Spur. Sie führte durch das Ruder gelegt hatte. Die Riemen dürres Gras, bestand aus Löchern blätter klapperten auf Stein. Batuti und losgetretenem Sand, aus ausein stand auf, schwenkte die Fackel und andergeschobenem Geröll und führte watete durch das niedrige Wasser an direkt zu einem unregelmäßigen Land. Jung Hasard zündete eine Fak Fleck dicht an der Felswand. kel an der Flamme der anderen an Batuti und Don Juan hasteten ne und half seinem Bruder, das Boot ben der Spur aufwärts. Unter der hochzuziehen. Die Vorleine belegten Asche glühte rot ein Glutnest. Der sie an einem kniehohen Felsblock. nächste Blick zeigte Don Juan den zu Nebeneinander, in den Lichtkrei sammengekrümmten Körper in der sen der drei Fackeln, betraten sie den niedrigen Höhle. Strand. „Hierher!" schrie Don Juan scharf. Nach fünfzehn Schritten sagte Don Die anderen stürmten heran, als er Juan erregt: „Hier hat jemand viel sich bückte, dann umdrehte und die Schwemmholz auseinandergerissen Fackel abgab. Schließlich rutschte er und weggeschleppt. Hier! Fußein auf den Knien ins Innere des Spalts drücke." und drehte den Körper an den Schul „Also doch. Meine Nase", sagte tern herum. Er starrte in ein Gesicht, Jung Hasard. Er war ebenso aufge das ihm Schrecken einjagte. regt wie die drei anderen. „Es ist Blacky. Vorsicht, helft mir. Mühsam kletterten sie zwischen Langsam..." dem Schwemmgut und dem Geröll Sie zogen ihn halb aus der Höhle, aufwärts. An einer sandigen Stelle er hoben ihn an den Armen auf und tru
57 gen ihn in das Licht der Fackeln. Er sah mehr tot als lebendig aus. Aber er lebte, denn er stöhnte und öffnete die Augen. „Los", ordnete Don Juan an. „Zum Boot, in die Schebecke, und dann kümmern wir uns um ihn." Batuti gab ihm seine Fackel, hob Blacky scheinbar mühelos auf und ließ sich, als sie wieder vorsichtig den Hang hinuntertappten, von einem der Zwillinge helfen. Sie gelangten, ohne zu stolpern, bis zum Strand und stie gen ins Boot. Batuti hielt Blacky halb an seiner Schulter, halb auf den Knien und sah zu, wie das Boot ins Wasser geschoben und vom Geröll strand weggepullt wurde. Don Juan hielt alle drei Fackeln und schaute sich Blacky besorgt und schweigend genau an. Batuti nahm seine Pranke von Blackys Stirn und sagte leise: „Er hat Fieber. Ganz heiß und trocken." Blacky lallte und flüsterte unver ständliche Worte. Nur einmal wurde er deutlicher. Sie verstanden „Iron man", mehr nicht. „Das Fieber kriegt der Kutscher mit einem Kräutergesöff schnell weg. Was er braucht, ist eine heiße Suppe." Don Juan hob die Schultern und er widerte: „Heiße Suppe ist kein All heilmittel. Und er riecht schlimmer als sein kaltes Feuerloch." Als das Boot um den Felsen glitt und die Männer die Schebecke und die Crew im Licht der Laternen sah, schrie Don Juan laut übers Wasser hinüber: „Wir haben Blacky! Er lebt. Sagt dem Kutscher, er bekommt jede Menge Arbeit." Zuerst herrschte ungläubiges Schweigen. Dann brüllte Hasard los. „Ihr habt Blacky?" „Ja. Nicht mehr ganz frisch, aber
am Leben. Ihr müßt uns helfen. Er ist verdammt schwach." Ein gewaltiges Gebrüll ertönte von Bord. Alle riefen wild durcheinander. Al Conroy hastete zu einer Drehbasse und jagte eine Ladung blind in den Himmel. Die Zwillinge pullten, bis das Boot längsseits der Schebecke an die Planken schrammte. Der schlaffe Körper wurde an Bord gehievt, und ein paar Atemzüge später lag Blacky unter Deck auf der Koje des Feld schers. Don Juan löschte die Fackeln im Wasser, dann enterte er nach oben. „Das war's", sagte er und bahnte sich den Weg durch die Crew, die mit Fragen auf ihn einstürmte. „Auf den Zufall kann man sich selbst mitten in den Färöern verlassen." Sigurd wandte sich an Sven und schnitt ein fragendes Gesicht. Die Zwillinge schoben die Riemen an Bord und rollten, als sie sich über das Schanzkleid geschwungen hat ten, die Jakobsleiter auf. Batuti er klärte den staunenden Männern, wie einfach sie Blacky gefunden hatten. Endlich zeigte er auf Jung Hasard und sagte: „Seiner Schnüffelnase ist nichts entgangen. Er hat während der Ankerwache das kalte Feuer gero chen. Jedenfalls den Rauch und die nasse Asche. Dann war alles ganz ein fach." Hasard hörte eine Weile den aufge regten Fragen und Antworten zu, hob dann den Arm und rief, das Gemur mel und Geschwätz übertönend: „Kurs auf Thorshavn. Anker an Bord?" „Anker an Bord und belegt!" rief Carberry vom Bug. „Bringe mal Ord nung in diese Horde von grölenden Affenärschen, Sir!" „Aye, Mister Profos!" rief Hasard grinsend. Die Strömung hatte das Schiff eini
58 ge Fadenlängen von der Felswand weggeschoben. Unmerklich drehte sich die Schebecke. Stenmark legte die Pinne hart nach Backbord, und die Bewegung wurde heftiger. Noch fuhr der Fallwind nicht in die Segel, aber in den Lärm an Bord mischten sich die Vogelschreie und das Klat schen, mit dem sich die Tiere ins Was ser stürzten. Der Schimpanse, von dem unge wohnten Lärm zu solch früher Stunde völlig verstört, schimpfte un ter Deck. Plymmie sprang auf den Planken herum und ärgerte die Man nen. Und im Vorschiff plapperte Sir John krächzend in vielen Sprachen, ausgenommen Färingisch. „Ruhe, verdammte Rübenschwei ne! Man versteht ja sein eigenes Kommando nicht mehr!" schrie der Profos. Schritt um Schritt beruhigten sie sich. Die Segel killten und wurden dichtgeholt. Schließlich, zunächst stampfend und gierend, rauschte die Schebecke auf annähernd rechtem Kurs mit den ersten raumen Windstö ßen in südliche Richtung. Siltala krächzte etwas zu Sigurd hinüber. Sigurd antwortete lachend und nickte in Richtung Mac Pellews, der das Frühstück auszuteilen be gann. „Was hat er gesagt?" fragte Nils gähnend. Er war aus seinem verdien ten Schlaf gerissen worden. „Er sagt, daß er vor dem Essen ein großes Bier haben möchte. Oder ei nen Branntwein. Schließlich hat er euch gesagt, daß ihr hier ankern könnt." Carberry sah ein, daß er angesichts der ausgelassenen Stimmung ziem lich machtlos war. „Gib ihm ein Bier!" rief er Mac zu. „Und einen Schnaps! Und dann will
ich gefälligst meinen Morgenfraß! Ist das klar?" „Aye, Sir", erwiderte Pellew mit grämlichem Gesicht. Noch vor der nächsten Nacht wür den sie, wenn der Wind nicht allzu un günstig stand, in Thorshavn anlegen können. Der Himmel färbte sich im Osten rosa und hellblau, und nach ei ner Stunde standen die Segel im Nordwestwind prall und steif.
Der Kutscher saß am Kopfende der Koje und fütterte Blacky mit einem Löffel. Zuerst hatte er kühle Leinen lappen auf die Stirn gelegt, ihm einen bitteren Trunk aus der Medizin flasche eingeflößt und zufrieden be merkt, daß Blacky nicht alles wieder im hohen Bogen ausspuckte. Ohne die Augen zu öffnen, schluckte Blacky ei nen Löffel nach dem anderen von der kräftigen, fetten Brühe. „Mann", staunte der Kutscher. „Du stinkst wie die Bilge von einem Spa nier." Drei Männer waren nötig gewesen, um die dreckigen, stinkenden, nassen Stiefel von den Füßen zu zerren. Jetzt standen oder lagen sie an Deck und stanken dort vor sich hin. Mit einem scharfen Messer schnitt der Kut scher, als der erste Suppennapf leer war, das Hemd und die Hose auf und zerrte sie unter dem blaugeschlage nen, zerschrammten Körper hervor. Überall hatte das ätzende Salzwasser breite, feuerrote Streifen hinterlas sen. Sie bluteten an einigen Stellen. Blacky hörte und sah nichts. Aber er schlief auch nicht tief. Immer wie der faßte er nach der Hand des Kutschers und murmelte etwas von „Ironman". „Das wird wohl dein zweiter Name werden, wie?" fragte der Kutscher
59 und nickte, als ihm Old Donegal ei nen Kessel warmes Wasser und frische Tücher brachte. „Hilfst du mir?" fragte er und fing an, die Haut zu säubern und dann mit einer weißen, öligen Salbe zu bestrei chen. „Das ist auch nur ein anderer Ge stank." „Quatsch keinen Stuß, Admiral", fuhr ihn der Kutscher an. „Gegen den Geruch Blackys ist das reines Ro senöl." Sie versorgten die vielen Abschür fungen und die blauen Flecke, wickel ten Verbände, versuchten die Hände zu reinigen und waren zufrieden, als der Kutscher endlich feststellte, daß das Fieber sank. Er holte eine Schere und schnipselte das schwarze Haar dort weg, wo es versengt war. „Mehr - Hunger - keine Vogel eier ...", stöhnte Blacky. Jetzt wurde er ein wenig ruhiger. Der Kutscher und Old Donegal flöß ten ihm noch eine zweite Schale der segensreichen Suppe ein. Auf die letz ten Löffel träufelte der Kutscher eine Medizin, die den „Eisenmann" min destens zwanzig Stunden lang schla fen lassen würde. Sie roch so stark nach exotischen Kräutern, daß der Gestank der alten Kleidungsfetzen überdeckt wurde. „Nimm das Zeug", sagte der Kut scher und hielt sich die Nase zu. „Und opfere es dem Rasmus der Färöer." „Geht in Ordnung. Über Bord mit den Fetzen", bestätigte Old Donegal und hob die Reste mit spitzen Fin gern auf. Er hinkte davon und half später, den Körper mit einem saube ren Tuch zu umwickeln. Dann steck ten die beiden Blacky unter warme Decken, sicherten ihn mit einem dik ken Tampen auf der Koje und räumten ihre Gerätschaften weg. „Wenn er aufwacht", versprach der
Kutscher, „ist er so gut wie neu. Bloß schwach auf den Beinen wird er sein." „Die gerechte Strafe dafür, daß er sich nicht gesichert hat. Wir werden ja heute erfahren, warum die Bur schen uns verlassen wollten", sagte Old Donegal und beteiligte sich am Bierausschank für die färingischen Helfer.
Dieses Mal liefen in Thorshavn viermal so viele Färinger zusammen wie beim ersten Anlegen. Alle Fischerboote der Inselgruppen schienen sich hier versammelt zu ha ben, aber nachdem Siltala und Si gurd von Bord gegangen waren und die Boote gezählt hatten, sagten sie, es fehle noch ein gutes Dutzend. „Mein lieber Mister Bill", sagte Philip Hasard Killigrew, der einen Lederbeutel aus der Bordkasse in der Hand hielt. „Ihr beiden seid mir wirk lich lieb und teuer. Hauptsächlich teuer. Willkommen an Bord, Meister des Überlebens." Bill drückte Hasards Hand, als wollte er ihm die Finger brechen. Kei ner der beiden grinste. Die Crew be obachtete die beiden Männer am Steg schweigend und mit gespannter Auf merksamkeit. Bill nickte und sagte rauh: „Danke, Sir. Das ist eine schlimme Ge schichte. Ich hab's nicht freiwillig versucht, Sir. Wäre lieber nicht über Bord gegangen." Mit Sigurd Simonsen zusammen handelte der Seewolf eine Summe aus, die allen Fischern und besonders den beiden, die mit ihrer Crew Bill ge rettet hatten, gerecht wurde. Man er fuhr, daß Bill auf die abergläubi schen Leute einen riesigen Eindruck gemacht hatte.
60 „Es ist ein Wunder, wenn die See jemanden wieder hergibt", erklärte Sigurd. „Und derjenige bleibt in den Reden und Liedern von uns. Nun, der Pfarrer wird uns eine lange Predigt darüber halten." „Es ist auch für mich ein Wunder", murmelte Bill. „Und daß ihr auch Blacky gefunden habt - wo war das eigentlich?" Hasard sah ein, daß es besser war, diese letzte Nacht hier zu bleiben. Er übergab Sigurd den Beutel voller Münzen und sagte halblaut zu Ben Brighton: „Landgang für alle, außer der Wache. Bei Sonnenaufgang ge hen wir in See, Ziel London." „Aye, aye, Sir. Los, komm an Bord, du Inselwunder!" rief der Erste Bill zu. „Du kannst übrigens dem Bauern, dem die Schafe auf Svinö gehören, deinen Braten selbst bezahlen." Jetzt fand Bill sein Grinsen wieder und rief: „Mit Vergügen! Wenn sonst nichts ist, zahle ich auch eine ganze Herde!" Old Donegal wandte sich an den Kutscher und sagte trocken: „Er übertreibt schon wieder. Um den brauchst du dich nicht zu kümmern." Der Kutscher nickte schweigend. Ihm fiel dazu nichts mehr ein.
Dan O'Flynn hatte berechnet, daß es bis London an die siebenhundert Seemeilen weit war, wenn sie ohne zu kreuzen auf geradem Kurs segelten. Mittlerweile, bei diesem Wach wechsel, waren es etliche Dutzend Seemeilen weniger geworden. Hasard wollte in Lee der Shetlands den Kurs genau nach Süd abstecken. Noch waren die Inseln recht voraus nicht in Sicht. Volle Frischwasserfäs ser, ein Vorrat von gutem Trocken fisch, Walspeck und Öl - mehr war in
Thorshavn nicht zu holen gewesen. Und auch dafür hatten die Seewölfe ihr ganzes Geschick aufwenden müs sen. Die armen Färinger bezeichne ten die Nahrungsmittel als Geschenk. Und die Münzen und das andere Tauschgut hatte niemand gesehen, der es an die Dänen verraten konn te. Jetzt tauchte Blacky, der Eiserne Mann, auf schwachen Beinen an Deck auf. Diejenigen, die ihn die bei den ersten Male nicht gesehen hatten, staunten ihn an. Unter dem Grätingsdeck hatte er sich mit viel Seife und heißem Was ser rasiert und sein Kopfhaar gewa schen. Es lag glatt an und trocknete nur langsam im Fahrtwind und im Sonnenschein, der sich eingestellt hatte, als die Färöer hinter der Kimm verschwunden waren. „Wieder unter den Lebenden, Blak ky?" fragte Ferris Tucker. „Dein Schmerbauch ist verschwunden, wie?" Blacky betrachtete die Männer der Wache, das Schiff und das Meer, als sehe er alles zum erstenmal. Mit bei den Händen hielt er sich an den Wan ten des Besanmastes fest und schwankte. „Diese Vogeleier", brachte Blacky hervor. „Mir wird jetzt noch schlecht, wenn ich dran denke. Nie wieder." „Genau. Richtige Eier mit Speck und Zwiebeln sind auch viel besser", pflichtete ihm der Schiffszimmer mann bei. „Noch schwach in den Knien, Seemann?" Die Kleiderlast war wegen Blacky geplündert worden. Sein Zeug war neu, aber es paßte ihm nicht recht. Er schien wirklich stark abgemagert zu sein. Sein Gesicht jedenfalls, das selt sam leer und hohl aussah, erholte sich bereits von den vielen kleinen Wunden. Es glänzte, denn der Kut
61 scher hatte Blacky eine heilende Salbe verpaßt. „Noch reichlich schwach", be kannte Blacky. „Ein nasser Alptraum war das. Ich erzähl's euch schon noch." Die Crew wußte, daß beide See wölfe eine längere und eine weniger längs ausgedehnte Insel von Norden nach Süden durchquert hatten, nach dem sie sich lebend irgendwo gefun den hatten. Bills Erzählungen mach ten die Runde. Noch waren sie nicht einig darüber, wieviel davon See mannsgarn war. Aber als die Fischer berichtet hatten, daß er ihnen frisch gebratene Lammkeulen geschenkt hatte, neigte man dazu, ihm das mei ste abzunehmen. „Wir sind dicht vor Herma Ness", erklärte Tucker. „Kurs London. Bis wir an der Tower Bridge liegen, bist du wieder der alte Blacky." Mit düsterem Blick antwortete Blacky: „Ich werde niemals wieder der alte Blacky sein. Ich habe mir ge schworen, wenn ich überlebe, nenne ich mich Blacky Ironman." Als er Tuckers Gesichtsausdruck sah, mußte er selber grinsen. Es wurde eine Grimasse daraus. „Ehrlich", sagte er schwach. „Wenn ich nicht das Fieber aufgeschnappt hätte..." „Wenn ich ein Huhn wäre, könnte ich Eier legen und gackern", unter brach ihn Ferris Tucker. „Erzähle das mit dem Eisernen Mann nicht zu oft. Es gibt auch so genug zu lachen an Bord." Steifer Wind aus dem westlichen Quadranten, Sonnenschein am Nach mittag und ein Nordmeer, das vor übergehend seine Schrecken nicht zeigte, waren die Kennzeichen dieses Tages. Die Schebecke lief hervorra gende Fahrt. Die Entfernung schrumpfte schnell. Die Wache döste
an Deck, und der Rudergänger fror ausnahmsweise nicht. Nebel, Regen und Strömungen der Färöer lagen weit hinter der Kimm. Die Eindrücke begannen zu ver blassen und wichen der Vorfreude auf die Themse und London. Das Schiff war wieder aufgeklart, als hät ten sie die ganze Zeit nichts anderes getan. Selbst die feine Asche der feuerspeienden und rauchenden Berge Islands war aus den letzten Winkeln gewaschen worden. Blackys Gesichtsfarbe wechselte ganz langsam vom fahlen Grau in ein mildes Braun. Die Seeluft tat ihm gut. Aber gleichzeitig spürte er seine Schwäche. „Nimm noch ein paar Atemzüge von der guten Luft", ermahnte ihn Tucker, „und dann wieder unter Deck. Mac soll dir ein Stück Braten geben. Und dann noch ein paarmal gut schlafen. Dann kannst du wieder nächtelang in den Schenken sitzen, Junge." Nach einer Weile antwortete Blacky: „Hast recht, Ferris. Wird wohl das beste sein. Aber ich bin nicht zu schwach. Ich muß meine Stiefel wieder kneten und einfetten." „Von mir aus." Eine Viertelstunde später merkte Blacky, daß sein zweiter Name noch nicht zutraf. Noch lange nicht. Er hangelte sich langsam zum Nieder gang und wäre beinahe über die Tritte abwärts gekracht. Er fing sich gerade noch auf und verzichtete dar auf, seine Stiefel von den Spuren des Inselabenteuers zu befreien.
Der günstige Wind blieb, bis im Dunst des Horizonts Sumburgh Head zu verblassen begann. An Steuerbord voraus tauchte, noch ehe die Nacht
62 einfiel, Fair Isle auf, der felsige Vor posten der Orkneys. Dann drehte der Wind binnen vier Stunden fast auf Süd. Die Schebecke segelte einen großen Schlag nach Osten, ging dann durch den Wind und näherte sich Kinnairds Head an Schottlands Nordostküste. Aber noch bevor im Morgengrauen die Lichter und Rauchsäulen von Aberdeen zu sehen waren, mußten sie wieder nach Südosten kreuzen. „Der Wind ist nicht gerade das, was ich mir wünsche", meinte Philip Ha sard Killigrew, „aber er bläst, als wisse er, daß uns in London etwas Be sonderes erwartet." Don Juan blickte ihn von der Seite an und fragte zurück: „Hast du Eile? An was denkst du? Eine angenehme Überraschung etwa?" Hasard lachte leise und entgegnete halblaut: „Angenehme Überraschun gen? Ich denke, daß wir die beiden Arwenacks wieder lebend von den In seln geholt haben, das war angenehm und überraschend. Was wäre, wenn wir unseren Vorrat an Glück ver braucht hätten?" „Du meine Güte", sagte der Spanier hastig. „Rede nicht darüber. Bisher haben wir alle überlebt, ohne größere Blessuren. Du siehst schwarz, Sir." „Hoffentlich ist meine Ahnung falsch", entgegnete der Seewolf. „Aber ich habe sie nun einmal. Daß wir in London mit Ärger rechnen müssen, wissen wir alle. Aber das ist Ärger der üblichen Art." „Du denkst an Ärger der außerge wöhnlichen Art?" „Daran denke ich, Señor General kapitän", räumte Hasard ein. „Aber ich will dir die gute Laune nicht ver derben, mein Guter." „Kannst du gar nicht, Sir." Die Männer saßen, in ihre warmen Mäntel gehüllt, mit dem Rücken zum
Schanzkleid und waren allein auf dem Achterdeck. Pete Ballie stand an der Pinne und genoß die schnelle Fahrt unter einem prächtigen Ster nenhimmel ebenso wie die Wache auf der Kuhl und der Back. Kein einziger Spritzer flog über Deck. Das Wasser rauschte und zisch te unter dem scharfen Bug. Wie Zelt leinwand im Halbdunkel standen die gekrümmten Lateinersegel vor der Dunkelheit. „Es gibt so vieles, an das ich denke", begann der Seewolf nach einer Weile. „Der unbekannte Auftrag der Köni gin, den ich wohl zu erwarten habe. Und ich habe, ich muß es zugeben, eine Art Heimweh nach den warmen Nächten in der Karibik. Dann denke ich natürlich an die Freunde, die wahrscheinlich alle glauben, ich wäre längst bei den Fischen." Don Juan de Alcazar dachte über das Gehörte nach, verglich es mit ei genen Überlegungen, Erinnerungen und Wünschen und stieß einen langen Seufzer aus. „Wie gut, daß wir die Zukunft nicht kennen, mein Freund", sagte er schließlich. „Wahrscheinlich würden wir uns verkriechen und nicht laut zu atmen wagen." „Du hast völlig recht. Nur Old Do negal kann uns manchmal helfen, wenn es um derlei Wünsche geht." „Seine Prophezeiungen fürchte ich nicht", antwortete grinsend der Spa nier. „Sie sind meistens zu farbig, vol ler Gespenster und treffen in keinem Fall zu." „Sage ihm das nicht, sonst hast du deinen ersten Feind an Bord", warnte scherzhaft der Seewolf. „Es wird Zeit für den Wachwechsel. Sonst springe ich vor Selbstmitleid über Bord. Aber hier gibt's keine Inseln." „Das kannst du in London immer noch. Abwarten, Sir."
63 „Jawohl, Señor", schloß Hasard und sagte sich, daß Juan völlig recht hatte. Es war verdammt gut, daß nie mand wußte, was die nächsten Stun den und Tage brachten. Stunde um Stunde ging vorbei, und das Leben an Bord lief mit ebensol cher Regelmäßigkeit weiter. New castle-upon-Tynes Küstenlinie wurde gepeilt, die Insel erstreckte sich an Steuerbord. In Lee der Landmasse drehte der Wind wieder auf Nord und wehte in der Höhe der Doggerbank aus Nordosten. Blacky vergaß endlich seine glib brigen Vogeleier, ölte und fettete die Stiefel, zog die Nähte nach und stand schließlich wieder fest auf den Bei nen. Mac Pellews Essen und die Salben des Kutschers, in Verbindung mit den Arzneitränken, kurierten die Spuren des höllischen Fiebers. Bei Great Yarmouth kam Blacky von selbst beim Wachwechsel an Deck und ging seine Wache, als wäre nichts geschehen. Bei einlaufender Flut rundete die Schebecke Southend-on-Sea und glitt hinter einer tief im Wasser liegenden
Galeone, einem niederländischen Handelsfahrer, in die Themsemün dung. An Steuerbord und Backbord erstreckten sich Landschaften, die je der Seewolf kannte und auf den ersten Blick wiedererkannte. In guter Fahrt und vorläufig noch ohne den Einsatz der Riemen näherte sich das schnelle, schlanke Schiff dem Ziel. Fast zu jeder Häusergruppe, zu jedem Hügel am Flußufer wußte der eine oder andere eine Geschichte, die oft erzählt und immer wieder gern ge hört wurde, weil sie sich jedesmal ein wenig veränderte. „Man kann ja über London sagen, was man will..." fing Dan O'Flynn an und senkte das Spektiv, mit dem er die Ufer abgesucht hatte. Was er suchte, wußte er selbst nicht. „ . . . und man kann viel über Lon don sagen, sehr viel", pflichtete ihm der Erste bei. „Was wolltest du sa gen?" Dan deutete nach voraus. Dort hob sich als feine Dunstwolke der Rauch vieler Feuer und aus vielen Schloten gegen den grauen Himmel ab. „Wenn man mich nicht unterbre chen würde", erwiderte er ärgerlich,
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„dann stelle ich fest, daß es mehr Spaß bereitet, London anzulaufen als Thorshavn." Ben Brighton lachte, schlug ihm hart auf die Schultern und rief: „Für diese außerordentlich zutreffende Bemerkung, Mister O'Flynn, hast du
dir, von mir bezahlt, einen Riesen humpen dunkles Bier verdient." „Das will ich hoffen", knurrte Dan versöhnt. „Niemand weiß, was uns er wartet." „So ist es", schloß der Erste Offi zier. „Und das ist gut so..."
Nächste Woche erscheint SEEWÖLFE Band 620
Das Erbe von Arwenack von Davis J. Harbord „Der Pulverturm!" zischte Big Old Shane und raste los. Hasard wirbelte herum - und da sah er die Zündschnur. Der Klotz von Steinbau stand an der nördlichen Burgmauer von Arwenack. Dort befanden sich die Pulver vorräte der Feste - in Fässern übereinandergestapelt. Die Zündschnur verschwand unter der wuchtigen Tür im Inneren des Turms. Sie hatte leise geknistert. Das hatte Old Shane gehört. „Den Hof räumen!" brüllte Hasard. „Raus, Arwenacks! Gleich fliegt der Pulverturm in die Luft!" Und er stürmte zu Old Shane, der sich wie ein Berserker immer wieder gegen die Tür warf. „Weg, Shane!" brüllte Hasard. „Ich zerschieße das Schloß!" Shane glitt keuchend zur Seite. Hasard hob den Drehung und feuerte, bis er keine Kugel mehr im Lauf hatte. Das Schloß war zerfetzt. Sie rissen die Tür auf...
ex libris KAPTAIN STELZBEIN