Ulrike Hormel Diskriminierung in der Einwanderungsgesellschaft
Ulrike Hormel
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Ulrike Hormel Diskriminierung in der Einwanderungsgesellschaft
Ulrike Hormel
Diskriminierung in der Einwanderungsgesellschaft Begründungsprobleme pädagogischer Strategien und Konzepte
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Zugl. Diss. Pädagogische Hochschule Freiburg, 2006
. 1. Auflage August 2007 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2007 Lektorat: Monika Mülhausen / Bettina Endres Der VS Verlag für Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-15574-6
Danksagung
Bei der vorliegenden Studie handelt es sich um die geringfügig überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die 2006 von der Pädagogischen Hochschule Freiburg zur Erlangung der Doktorwürde angenommen wurde. Sie ist durch vielfältige Unterstützung mit ermöglicht worden, für die ich mich an dieser Stelle bedanken möchte. Mein herzlicher Dank gilt Prof. Dr. Albert Scherr, der mich zu dieser Arbeit ermutigt, sie von Beginn an mit großem Interesse gefördert und kontinuierlich mit zahlreichen Anregungen, kritischen Kommentierungen und weiterführenden Hinweisen begleitet hat. Die Idee zu dieser Arbeit ist dem seit einigen Jahren mit ihm bestehenden produktiven Forschungs- und Kooperationszusammenhang zu verdanken. Danken möchte ich auch Prof. Dr. Hans-Werner Kuhn, der Zweitgutachter meiner Dissertation war. Herzlich gedankt sei Barbara Schäuble, die eine Fassung des Manuskripts gelesen und mir durch ihre Kommentare wertvolle Anregungen gegeben hat. Marcus Emmerich gilt mein besonderer Dank für die zurückliegenden Jahre intensiver Zusammenarbeit und intellektuellen Austauschs und dafür, dass er mit seiner unermüdlichen Diskussionsbereitschaft und fundierten Kritik auch sehr viel zur Genese der vorliegenden Arbeit beigetragen hat. Schließlich möchte ich meinen Eltern Elisabeth und Johannes Hormel für ihren Rückhalt und ihre Unterstützung danken.
Freiburg, Juni 2007
Ulrike Hormel
Inhalt
Einleitung
1
Diskriminierung in der sozialpsychologischen Vorurteilsforschung
Vorurteile, Stereotypen und Diskriminierungen als Gegenstand der Einstellungsforschung 1.1.1 Das Vorurteil als Subkategorie sozialer Einstellungen 1.1.2 Das Stereotyp als kognitiver Aspekt des Vorurteils 1.1.3 Diskriminierung als behavioraler Aspekt des Vorurteils 1.2 Kategorisierungen, Stereotype und Gruppenkonflikt 1.3 Vorurteile, Diskriminierung und Rassismus im gesellschaftlichen Kontext
11
25
1.1
2
2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.2 2.2.1 2.2.2
Institutionelle Diskriminierung: Theoretische Konzeptualisierungen und Ergebnisse der empirischen Forschung Theorien des institutionellen Rassismus und der institutionellen Diskriminierung Die britische Diskussion im Kontext des ‚MacPherson Reports‘ Zur Problematik des Konzepts ‚Institutioneller Rassismus‘ Institutionelle Diskriminierung als analytisches Konzept Zur Empirie der Bildungsbenachteiligung von MigrantInnen Ergebnisse der amtlichen Bildungsstatistik und des Sozioökonomischen Panels (SOEP) Ergebnisse der Schulforschung: PISA und IGLU
30 31 39 42 44 52
63 65 67 75 78 82 83 96
8
Inhalt
2.3
Institutionelle Diskriminierung in und durch die „organisierte Institution“ Schule 2.3.1 Organisation und Institution 2.3.2 Direkte und indirekte institutionelle Diskriminierung: Die Ergebnisse der empirischen Studie 2.3.3 Ethnische Differenz als Organisationseffekt? Zur Diskussion des Konzepts institutioneller Diskriminierung 3
Asymmetrische Gruppenbeziehungen und Diskriminierung
3.1 3.1.1 3.1.2 3. 2
Herbert Blumer: Zur Soziogenese von ‚race relations‘ ‚Sense of social position‘ ‚Race relations‘ als sozialer Strukturtypus? Alfred Schütz: Mehrheiten - Minderheitenbeziehungen als Effekt sozialer Typisierungen 3.2.1 Homogene Selbsttypisierung 3.2.2 Subjektiver und objektiver Sinn der Gruppenmitgliedschaft 3.2.3 Typisierung und Diskriminierung 3.2.4 Diskriminierung im Kontext formaler und realer Gleichheit 3.3 Norbert Elias: Zur Soziogenese von Etablierten-Außenseiter-Beziehungen 3.3.1 Etablierte-Außenseiter-Beziehungen in figurationssoziologischer Perspektive Exkurs: Soziale Beziehungen als Machtrelationen 3.3.2 Etablierte und Außenseiter: Der empirische ‚Paradefall‘ Winston Parva 3.3.2.1 Soziodynamik der Stigmatisierung 3.3.2.2 Gruppenkonstitution und Konflikt 3.3.2.3 Vorurteile und die ‚Soziodynamik der Stigmatisierung‘ 3.3.3 Die sozialtheoretischen Herausforderungen des Etablierten-Außenseiter- Modells 3.3.3.1 Etablierte-Außenseiter-Beziehungen im sozio-historischen Kontext 4
Zwischenbetrachtung: Jenseits des Gruppenparadigmas Soziogenese asymmetrischer Gruppenbeziehungen und strukturelle Ungleichheiten
113 115 120 124 135 1 38 139 142 147 148 150 153 155 160 162 164 167 168 171 176 179 180
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Inhalt
5
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Diskriminierung auf der Grundlage von Staatsbürgerschaft, Nationalstaatlichkeit und Ethnizitätskonstruktionen
5.1 Staatsbürgerschaft als Diskriminierungsressource 5.1.1 Staatsbürgerschaft, Staatlichkeit und funktionale Differenzierung 5.1.2 Staatsbürgerschaft und Nation 5.1.3 Staatsbürgerschaft als Diskriminierungsressource unter Bedingungen nationaler Wohlfahrtsstaatlichkeit 5.1.4 Thematisierung und De-Thematisierung staatsbürgerlicher Diskriminierung im Menschenrechtsdiskurs 5. 2 Ethnizitätskonstruktionen als Diskriminierungsressource 5.2.1 Zur Popularisierung und Transformation des Konzepts ‚Ethnizität‘ in der bundesrepublikanischen Diskussion 5.2.2 Zur Problematisierung der Ethnizitätskategorie im erziehungs- und sozialwissenschaftlichen Diskurs 5.2.3 Dimensionen der sozialen Konstruktion von Ethnizität: Nationalstaatlichkeit, soziale Ungleichheit und symbolische Ordnung 5.2.4 Ethnische Herkunft als Kategorie des Antidiskriminierungsdiskurses 6
6.1 6.2
Schlussbetrachtung: Möglichkeiten und Grenzen einer sozialwissenschaftlich fundierten Theorie der Diskriminierung in der Einwanderungsgesellschaft ‚Diversity‘ als Reifikation diskriminierungsrelevanter Klassifikationen Die Unterscheidung interaktioneller, institutioneller und struktureller Diskriminierung als sozialwissenschaftliche Beobachtungsstrategie
Literatur
195 196 199 205 209 212 215 217 221 226 232
237 243 247
259
Einleitung
Einwanderung als ein zentrales Moment weitreichender gesellschaftlicher Transformationsprozesse ist im Laufe der letzten Jahre zu einem nicht mehr ignorierbaren Bezugspunkt nicht nur gesellschaftspolitischer Auseinandersetzungen, sondern auch für bildungstheoretische Überlegungen und die pädagogische Praxis geworden. Inzwischen liegt eine Vielfalt von Programmatiken und Konzepten der Ausländerpädagogik, der inter- bzw. multikulturellen Pädagogik, der antirassistischen Pädagogik, der Menschenrechtspädagogik und der Diversity-Pädagogik vor, mit denen auf Aspekte der sozialen Realität der Einwanderungsgesellschaft reagiert wird (s. dazu Hormel/Scherr 2004a: 32ff.; Mecheril 2004: 80ff.). Diese unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich ihrer unmittelbar für die jeweiligen Entwürfe pädagogischer Praxis relevanten (Problem-)Diagnosen, sondern grundlegend auch in Bezug darauf, welche sozialstrukturellen Bedingungen, Konflikte und Problemlagen der Einwanderungsgesellschaft in der jeweils eingenommenen Perspektive als gesellschaftstheoretisch begründeter Referenzrahmen angenommen werden. Weil solche Pädagogiken ihren Erziehungs- bzw. Bildungsauftrag ausdrücklich als Antwort auf gesellschaftliche Entwicklungen und Veränderungsdynamiken verstehen, sind für sie Bezugnahmen auf gesellschaftspolitische und sozialwissenschaftliche Gesellschaftsdiagnosen konstitutiv. In den genannten pädagogischen Programmatiken etablieren sich dabei divergierende, zudem inkohärente und selektive Beschreibungen des Sozialen, die in der Regel genauso wenig spezifiziert und ausgewiesen werden, wie die den Konzepten zugrunde liegenden Normativitäten. Vielmehr schließen die in unterschiedlichen Pädagogiken beanspruchten Leitorientierungen - wie etwa ‚Mutikulturalismus/Interkulturalität‘ oder ‚Antirassismus‘ - an gesellschaftspolitische Diskurse an und interpretieren diese in einer Weise, die deren Normativität in jeweilige Erziehungs- und Bildungsprogrammatiken übersetzt (s. dazu Hormel/Scherr 2004a: 32ff.). Der Bedingungs- und Verflechtungszusammenhang von gesellschaftlichen Strukturen, Enwicklungsdynamiken und Diskursen mit pädagogischen Theorien, Konzepten und Praktiken war und ist ein etablierter Gegenstand erzie-
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Einleitung
hungs- und bildungssoziologischer Untersuchungen.1 In den Blick genommen werden dort sowohl die Strukturbedingungen pädagogischen Handelns als auch die Bedingungen und Folgen der Herausbildung und Durchsetzung pädagogischer Semantiken (s. als klassische Studien etwa Vogel 1970; Bourdieu/Passeron 1978; Luhmann/Schorr 1979). Insbesondere die systemtheoretische Erziehungs- und Bildungssoziologie hat geltend gemacht, dass Pädagogik ihren Gegenstand nicht einfach vorfindet, sondern auf der Basis semantischer Operationen konstruiert (Luhmann 2002: 91ff.; s. auch Lenzen 1994b: 341ff.). Dass pädagogische Reaktionen auf die Anforderungen der Einwanderungsgesellschaft und gesellschaftspolitische Analysen der mit Migration verbundenen sozialen Phänomene ihrerseits von den Transformationen der gegenstandskonstituierenden Wahrnehmungs- und Beschreibungsmodi öffentlich-medialer, gesellschaftspolitischer und erziehungswissenschaftlicher Diskurse beeinflusst sind (s. etwa Höhne/Kunz/Radtke 2005), wird auch hinsichtlich der Thematisierung der Benachteiligung von MigrantInnen innerhalb des deutschen Bildungssystems deutlich: So handelt es sich bei der aktuell im Fokus bildungspolitischer Debatten stehenden Bildungsbenachteiligung von MigrantInnen keineswegs um ein neues Phänomen, sondern um eine veränderte Beobachtungsperspektive auf einen seit 30 Jahren bestehenden, auch in den offiziellen Schulstatistiken wiederkehrend dokumentierten, problematischen Sachverhalt (s. dazu Hamburger 2005: 7). Während die Benachteiligung sozial unterprivilegierter Schichten bzw. Klassen im und durch das Bildungssystem als eine strukturbedingte - d.h. als eine in gesellschaftliche Prozesse der Reproduktion sozialer Ungleichheit eingelassene - Problematik (s. dazu klassisch Bernfeld 1967/1925; Bourdieu/Passeron 1979; Bernstein 1981) bereits in der Bildungsreformdiskussion der 1970er Jahre etablierter Gegenstand öffentlicher und bildungssoziologischer Debatten war, rückt die Bildungsbenachteiligung von MigrantInnen erst in jüngster Zeit, und durch die PISA- und IGLU-Studien forciert, in den Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit und verliert zugleich auch innerhalb der sozial- und erziehungswissenschaftlichen Debatten ihren randständigen Status (s. etwa Konsortium Bildungsberichterstattung 2006). Dass der statistisch isolierbare Indikator ‚Migrationshintergrund‘ einen entscheidenden Risikofaktor in Hinblick auf die institutionell vollzogene Zuwei1 Die erziehungswissenschaftliche Theorie und pädagogische Praxis ist seit der Kritik der älteren geisteswissenschaftlichen Pädagogik darauf verwiesen, Bezugsprobleme, Möglichkeiten und Perspektiven pädagogischen Handelns auf der Grundlage einer Auseinandersetzung mit ihren gesellschaftlichen Bedingungen zu reflektieren. „Kritische Erziehungswissenschaft“ zielt entsprechend darauf, „pädagogisches Handeln als historisch vermittelte gesellschaftliche Praxis zu fassen und die Interdependenz zwischen dem jeweiligen Erziehungssystem und der Struktur der Gesellschaft herauszuarbeiten“ (Krüger 1999: 165). Dies gilt ungeachtet der Kontroverse zwischen „kritischer“ und „systemtheoretischer Pädagogik“ (s. dazu Lenzen 1994a: 34ff.) auch für letztere.
Einleitung
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sung sozialer Aufstiegschancen im formalen Bildungssystem darstellt, ist dabei unstrittig; wie sich diese Benachteiligung jedoch operativ vollzieht, ist ein ebenso kontrovers diskutiertes Problem in bildungssoziologischen Analysen wie die Frage, mit welchen Mitteln darauf bildungspolitisch und pädagogisch reagiert werden kann (s. etwa Diefenbach 2004; Dravenau/Groh-Samberg 2005; Gogolin 2005; Hamburger 2005). Bedeutsam ist im vorliegenden Kontext, dass die strukturelle Benachteiligung von MigrantInnen im Bildungssystem zunehmend - und dies befördert durch die in einschlägigen Berichten und Stellungnahmen dokumentierte offizielle Beobachtung seitens internationaler Menschenrechtsgremien (s. dazu Motakef 2006) - auch als Diskriminierungsproblematik thematisch wird. Gestützt wird eine solche, auf die Realisierung des Menschenrechts auf Bildung fokussierte und durch die Semantik der Antidiskriminierung gekennzeichnete Beobachtungsperspektive auch durch die in den letzten Jahren kontrovers geführten öffentlich-medialen Debatten um ein Antidiskriminierungsgesetz, das nun aktuell in Form des ‚Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes‘ in Kraft getreten ist. Der in der Bundesrepublik - mit einigen Jahren Verspätung - vollzogene Prozess der Umsetzung der EU-Antidiskriminierungsrichtlinien in nationales Recht hat so mit dazu beigetragen, einen, wenngleich kontrovers geführten, Antidiskriminierungsdiskurs zu verallgemeinern und zu popularisieren, der in Ländern wie Frankreich, England oder Kanada, mit einer seit den 1970er Jahren etablierten Antidiskriminierungsgesetzgebung, bereits seit längerer Zeit den zentralen Bezugspunkt der auf die Einwanderungsgesellschaft reagierenden bildungspolitischen Debatten darstellt. Mit diesen einleitenden Hinweisen ist knapp der Referenzrahmen skizziert, in dem die vorliegende Arbeit situiert ist. Sie schließt mit der Frage nach den Begründungsproblemen pädagogischer Antidiskriminierungsstrategien in der Einwanderungsgesellschaft an Analysen und Ergebnisse des Forschungsprojekts ‚Bildung für die Einwanderungsgesellschaft‘ (s. Hormel/Scherr 2004a; 2005a und b) an. Dort wurde auf der Grundlage der Auseinandersetzung mit der englischen, französischen und kanadischen Bildungspolitik und Bildungspraxis eine Antidiskriminierungsperspektive als Bezugspunkt einer auf die Einwanderungsgesellschaft angemessen reagierenden pädagogischen Programmatik vorgeschlagen. Vor dem Hintergrund der Analyse der immanenten Problematiken sowohl des Multikulturalismus britischer oder kanadischer Prägung als auch des französischen republikanischen Universalismus und der darin deutlich werdenden Reproduktion der Strukturprobleme des jeweiligen Gesellschaftsmodells im pädagogischen Kontext, wurde für eine in normativer Hinsicht voraussetzungsarm gefasste Perspektive der Antidiskriminierung plädiert, die auf einen spezifischen gesellschaftspolitischen Entwurf als Fundierung pädagogischer Programmatiken verzichtet (s. Hormel/Scherr 2004a: 123).
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Einleitung
Damit sollte nicht nur einer prinzipiellen Skepsis gegenüber der Unterordnung pädagogischer Orientierungen unter gesellschaftspolitische Vorgaben Rechnung getragen werden; vielmehr wurde darüber hinausgehend argumentiert, dass eine auf die Überwindung von Diskriminierungen im Verhältnis von Einheimischen und MigrantInnen sowie Mehrheiten und Minderheiten ausgerichtete Perspektive es ermöglicht, sozialwissenschaftliche und erziehungswissenschaftliche Theorien, die eine Zuordnung von Individuen zu soziologischen Klassifikationen als programmatischen Ausgangspunkt voraussetzen, auf Distanz zu bringen (s. Hormel/Scherr 2005b: 303). Etabliert wurde damit im Unterschied zu einer in Varianten des pädagogischen Multikulturalismus bzw. Interkulturalismus nach wie vor einflussreichen, aber theoretisch unterkomplexen und empirisch fragwürdigen Sichtweise, die ethnische, kulturelle und religiöse Differenzen als gegebenen Sachverhalt und Ursache von Integrationsproblemen und Konflikten postuliert, eine Perspektive, auf deren Grundlage die Auseinandersetzung mit der Frage ins Zentrum rückt, was Konstruktionen ethnischer, kultureller, religiöser und nationaler Identität zur Hervorbringung und Legitimation von sozialen Ungleichheiten und Macht- und Herrschaftsverhältnissen beitragen (s. Hormel/Scherr 2004a: 12f.). Mit der dort eingeführten Unterscheidung zwischen struktureller, institutioneller und interaktioneller Diskriminierung wurde akzentuiert, dass es für die theoretische Konturierung und Analyse der Diskriminierungsproblematik unzureichend ist, allein die Ebene der individuellen Überzeugungen und Handlungen in den Blick zu nehmen. Im Unterschied zu einem politisch und medial, aber auch wissenschaftlich, insbesondere in der sozialpsychologischen Vorurteilsforschung, einflussreichen Verständnis von Einstellungen als Ursache diskriminierender Handlungen, wurde im Anschluss an vorliegende Arbeiten zur „institutionellen Diskriminierung“ (s. dazu Feagin/Booher Feagin 1986; Gomolla/Radtke 2002) eine strukturelle, d.h. die Handlungen und Motive individueller Akteure überschreitende und den Stellenwert organisatorischer Strukturen und Entscheidungen berücksichtigende Dimension von Diskriminierung in den Blick genommen. Dabei wurde davon ausgegangen, dass es sich bei struktureller, institutioneller und interaktioneller Diskriminierung um aufeinander nicht reduzierbare, aber auch nicht unabhängig voneinander zu analysierende Formen von Diskriminierung handelt: „Individuelle Diskriminierung und Diskriminierung als Gruppenpraxis können als interaktionelle Diskriminierung charakterisiert werden, deren Grundlage sowohl diskriminierende Absichten, als auch Stereotype und Deutungsmuster sein können, die zu diskriminierenden Handlungen ohne bewusste Diskriminierungsabsicht führen. Legale, organisationsspezifische und sekundäre Diskriminierung sind in ihrem Vollzug nicht auf benachteiligende Absichten jeweiliger Akteure angewiesen. Diskriminierung resultiert hier vielmehr aus dem Normalvollzug etablierter gesellschaftlicher, insbesondere politischer und ökonomischer Strukturen (strukturelle
Einleitung
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Diskriminierung). Strukturelle Diskriminierung schließt institutionelle Diskriminierung ein, d.h. Praktiken, die in rechtlichen oder organisationsspezifischen Erwartungsstrukturen begründet sind.“ (Hormel/Scherr 2004a: 28)
Die Unterscheidung dieser drei Dimensionen wird in der hier vorliegenden Arbeit als Ausgangspunkt genommen, um für die Diskriminierungsthematik relevante Theoreme, Theorien und Untersuchungen zu diskutieren. Denn in der kritischen Auseinandersetzung mit unterschiedlichen pädagogischen Konzepten wurde deutlich, dass die gesellschaftstheoretischen Annahmen und Voraussetzungen, die explizit und implizit beansprucht werden, wenn es um die Auseinandersetzung mit Formen und Folgen von Diskriminierung geht, einer genaueren Betrachtung unterzogen werden müssen. Mit der zunächst offen zu haltenden Frage, wie unterschiedliche Diskriminierungsformen miteinander verschränkt sind, sind insofern Kernproblematiken sozial- und erziehungswissenschaftlicher Theoriebildung berührt, als diese sowohl die Bestimmung des Verhältnisses von Struktur und Handlung, als auch den Zusammenhang von Gesellschaftsstrukturen, sozialen Praktiken, Alltagstheorien, Ideologien und Diskursen betreffen. Im Weiteren werden unterschiedliche theoretische Fassungen des Diskriminierungsbegriffs und Zugänge zur Diskriminierungsproblematik in Hinblick darauf diskutiert, welche Phänomene diese jeweils in den Blick nehmen bzw. ausblenden und welche Problembeschreibungen sie implizieren. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die öffentliche, mediale und politische Thematisierung und Skandalisierung von Diskriminierungen einem juridischpolitischen Diskurs geschuldet ist, der historisch mit der Genese des Menschenrechtsdiskurses nach dem Zweiten Weltkrieg verbunden ist. Dieser verweist sowohl auf eine, aus der Auseinandersetzung mit den Erfahrungen des Nationalsozialismus und mit der Kritik der ‚Rassensegregation‘ in den USA resultierende ethisch-moralisch begründete Normativität als auch auf einen fortschreitenden Prozess der rechtlichen Kodifizierung des Diskriminierungsverbots in völkerrechtlich relevanten Übereinkommen.2 Die mit dem Terminus ‚Diskriminierung‘ in den Fokus gesellschaftspolitischer Auseinandersetzungen rückenden sozialen Phänomene und Problemlagen basieren vor diesem Hintergrund vor allem auf einer moralisch-juridisch gefassten Norm und nicht auf einer systematisch-theoretisch entfalteten Kategorie, die auch in einem sozial- und erziehungswissenschaftlichen Verwendungszusammenhang analytische Tragfähigkeit beanspruchen könnte. Im Folgenden wird daher davon ausgegangen, dass eine sozialwissenschaftlich reflektierte Pädagogik in der Einwanderungsgesellschaft nicht an gängige Verwendungsweisen der 2 Zu den im Anschluss an die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948 und des dort in Artikel 2 explizierten Diskriminierungsverbots erfolgten rechtlichen Kodifizierungen in völkerrechtlich relevanten Übereinkommen s. Bielefeldt/Follmar-Otto 2005: 6.
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Kategorie Diskriminierung im politischen und rechtlichen Diskurs anschließen kann, sondern einer gesellschaftstheoretischen Grundlegung der Diskriminierungsthematik hinsichtlich der mit dem Fokus ‚Einwanderungsgesellschaft‘ aufgeworfenen Bezugsprobleme bedarf. Zielsetzung der vorliegenden Arbeit ist es daher, auf der Grundlage einer Analyse sozialer Bedingungen, Formen und Folgen von Diskriminierungen in der Einwanderungsgesellschaft, Begründungsprobleme pädagogischer Antidiskriminierungsstrategien aufzuzeigen. Die damit konturierte Problemstellung soll im Folgenden nicht mit einer Festlegung auf eine der sozialwissenschaftlich einflussreichen Theorieschulen bearbeitet werden; vielmehr wird beabsichtigt, problemorientiert das Reflexionspotential je unterschiedlicher theoretischer Zugänge und Analysen zu erschließen. Dies geschieht nicht mit dem Anliegen einer ‚Vermittlung‘ unterschiedlicher Theorien, sondern es wird versucht, deren spezifische Zugangsweisen immanent zu rekonstruieren und in Hinblick darauf zu diskutieren, was diese jeweils zu einer gesellschaftstheoretischen Konturierung der Diskriminierungsthematik beitragen können. Vorliegende, für eine allgemeine soziologische Begriffsfassung von Diskriminierung potentiell bedeutsame Ansätze der Machtund Herrschaftssoziologie, der Ungleichheitssoziologie sowie der Diskurs- und Ideologietheorie können im Folgenden nicht umfassend diskutiert werden. Es stehen vielmehr solche Theoriestränge im Vordergrund, die sich entweder explizit mit der Diskriminierungsthematik auseinandersetzen und etwas zu ihrer Klärung beizutragen beanspruchen, oder aber eine spezifische Relevanz für die mit der Thematik Einwanderungsgesellschaft verbundenen und unter dem Aspekt der Diskriminierung folgenreichen Bezugs- und Konstitutionsproblematiken haben. Im Rahmen der hier intendierten Analyse sozialer Bedingungen von Diskriminierungen in der Einwanderungsgesellschaft werden daher zum einen relevante Ansätze diskutiert, die beanspruchen, einen genuinen Beitrag zu einer allgemeinen Konturierung der Diskriminierungsproblematik zu leisten; zum anderen solche Ansätze, die es erlauben, die spezifischen Anforderungen an eine gesellschaftstheoretische Betrachtung der Diskriminierungsthematik mit dem Fokus Einwanderungsgesellschaft zu formulieren. Dabei ist insbesondere der hierfür bedeutsame Zusammenhang von Prozessen der Produktion und Reproduktion sozialer Ungleichheitsverhältnisse einerseits, und Mechanismen, die für die soziale Genese asymmetrischer Gruppenbeziehungen relevant werden, andererseits, in den Blick zu nehmen. Eine solche Theoretisierung liegt notwendigerweise quer zu den in den Traditionslinien der Macht- und Herrschaftssoziologie, der Ungleichheitssoziologie, diskurs- und ideologietheoretischer Ansätze sowie der sozialpsychologischen Vorurteilsforschung jeweils primär bzw. exklusiv thematisierten und analysierten Phänomenen. In einem ersten Schritt erfolgt eine kritische Auseinandersetzung mit der sozialpsychologischen Vorurteilsforschung, deren paradigmatischer Zugang zur
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Diskriminierungsthematik im vorliegenden Kontext insbesondere auch deshalb relevant ist, weil dort entwickelte Theoreme in der sozialwissenschaftlichen und pädagogischen sowie politischen Diskussion zu Entstehungshintergründen und Ursachen rassistischer und fremdenfeindlicher Vorurteile und Formen von Diskriminierung einflussreich sind. Dabei wird aufgezeigt, dass der in der individualpsychologisch ausgerichteten Vorurteilsforschung vorherrschende Fokus auf Vorurteile als Ausgangspunkt und mögliche Ursache für Diskriminierungen mit einem in sozialwissenschaftlicher Perspektive problematischen Verständnis von Handlungen als Folge individueller Einstellungen einhergeht. Praktiken, die sich in sozialen Situationen und unter der Bedingung der Interaktion von Individuen realisieren, werden dabei als individuelle Handlungen interpretiert und auf im Individuum verankerte Dispositionen zurückgeführt. Das daraus resultierende Verständnis von Diskriminierungen als Folge handlungsleitender Einstellungen ist jedoch auch innerhalb der sozialpsychologischen Vorurteilsforschung kritisiert worden und hat zu Forschungsorientierungen geführt, die die individualpsychologische Sichtweise zu überwinden beanspruchen. Dabei wird die Verankerung von Vorurteilen in Gruppenprozessen und gesellschaftlichen Strukturen in den Vordergrund der Analysen gestellt. Insbesondere mit den Arbeiten Henri Tajfels (1982) und der daran anschließenden gruppenpsychologischen Vorurteilsforschung liegen damit Ansätze vor, die darauf ausgerichtet sind, die Diskriminierungsforschung sozialtheoretisch rückzubinden und die Disziplingrenzen zwischen Psychologie und Soziologie zu überschreiten. Gegenüber einer im politischen und rechtlichen Diskurs üblichen Verwendung des Diskriminierungsbegriffs als Ungleichbehandlung von Gruppen auf der Grundlage von Eigenschaftszuschreibungen ist mit dem hier zugrunde gelegten Fokus auf die sozialen Kategorisierungsprozesse, die Gruppen erst infolge von Unterscheidungsoperationen zu Gruppen werden lassen, ein erster Ansatzpunkt für ein analytisches Verständnis von Diskriminierungen als Unterscheidungen, die sich auf imaginäre Entitäten und nicht auf bereits existierende Gruppenzugehörigkeiten beziehen, gegeben. Während die reflektiertere gruppenpsychologisch ausgerichtete Vorurteilsforschung primär auf der Ebene von Interaktionsbeziehungen Anschlussmöglichkeiten für eine gesellschaftstheoretische Konturierung der Diskriminierungsthematik eröffnet, liegen mit neueren, in der Bundesrepublik bislang nur begrenzt rezipierten, Ansätzen der us-amerikanischen Vorurteilsforschung darüber hinausgehende Versuche vor, die Aufspaltung in eine sozialpsychologische Analyse von Diskriminierungen als Praktiken von Individuen und Gruppen einerseits, einen rassismustheoretisch angelegten sozialwissenschaftlichen Diskurs andererseits, in Frage zu stellen (s. dazu Pettigrew/Meertens 1995; Dovidio/Gaertner 1986 und 2000). In diesem Forschungskontext wurde auch ein Verständnis von Diskriminierungen als Effekt institutioneller Strukturen etab-
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liert, das auf der aus empirischen Beobachtungen abgeleiteten Einschätzung basiert, dass Praktiken der Diskriminierung nicht hinreichend als absichtsvolles, durch Vorurteile motiviertes Handeln von Individuen und Gruppen beschrieben werden können. Eine systematisch angelegte Analyse solcher Formen der Diskriminierung, die weder eine Diskriminierungsabsicht der jeweiligen Akteure voraussetzen, noch an explizite rassistische und fremdenfeindliche Vorurteile und Ideologien gebunden sind, ist jedoch vor allem außerhalb der Vorurteilsforschung mit Ansätzen des ‚institutionellen Rassismus‘ bzw. der ‚institutionellen Diskriminierung‘ sowie mit Studien, die mit einer von der sozialpsychologischen Vorurteilsforschung unterschiedenen, auf Methoden qualitativ-rekonstruktiver Sozialforschung basierenden Forschungsmethodologie arbeiten, entwickelt worden. Daher werden in einem nächsten Schritt sozialwissenschaftliche Ansätze in den Blick genommen, die in kritischer Auseinandersetzung mit der Vorurteilsforschung explizit auf die Überwindung eines vorurteilsbezogenen Verständnisses von Diskriminierung zielen und beanspruchen, organisatorische Effekte und die Genese sozialer Strukturen in ihrer Analyse systematisch mit zu berücksichtigen. Dabei ist für den mit der vorliegenden Arbeit in Rede stehenden Problemzusammenhang insbesondere von Bedeutung, dass das im anglo-amerikanischen Kontext entwickelte Theorem der institutionellen Diskriminierung in den letzten Jahren im Anschluss an die Studie von Mechthild Gomolla und Frank-Olaf Radtke (2002) auch im Rahmen bildungstheoretischer Debatten in der Bundesrepublik an Einfluss gewinnt. Die hier beabsichtigte Diskussion des Konzepts ‚institutionelle Diskriminierung‘ erfolgt vor diesem Hintergrund zum einen in Hinblick auf die Mechanismen, die zur Bildungsbenachteiligung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund führen, zum anderen hinsichtlich des Interdependenzgefüges von organisatorischen bzw. institutionellen und sozialstrukturellen Faktoren, die im Kontext der für Formen von Diskriminierung in der Einwanderungsgesellschaft relevant werdenden Unterscheidungsoperationen in Rechnung zu stellen sind. Ein nicht auf individuelles und absichtsvolles Verhalten zurückführbares Verständnis von Diskriminierung ist inzwischen auch im politisch-rechtlichen Diskurs etabliert. Veranlasst ist dies durch die Annahme, dass institutionelle d.h. in die Struktur und Funktionsweise von Organisationen eingelassene - Diskriminierung als ein gesellschaftspolitisch relevanter Sachverhalt existiert, der daran sichtbar wird, dass MigrantInnen und Minderheiten sozialer Benachteiligung unterliegen. So schließen auch die EU-Antidiskriminierungsrichtlinien nicht nur unmittelbare, sondern auch mittelbare Formen der Diskriminierung in ihren Geltungsbereich ein: Eine mittelbare Diskriminierung liegt demzufolge dann vor, „wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen, die einer Rasse oder ethnischen Gruppe angehören, in beson-
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derer Weise benachteiligen können“.3 Während in dieser definitorischen Bestimmung von Formen der mittelbaren bzw. indirekten Diskriminierung von Praktiken ausgegangen wird, die Individuen auf der Grundlage ihrer Zugehörigkeit zu einer „Rasse“ oder „ethnischen Gruppe“ in indirekter Weise benachteiligen, gehen sozialwissenschaftliche Analysen zur institutionellen Diskriminierung nicht von präkonstituierten Gruppen aus, die aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit Benachteiligung erfahren, sondern es rücken die an strukturelle Bedingungen rückgebundenen Prozesse, durch die ethnisierende und rassialisierende Gruppendifferenzen konstituiert und sozial wirksam werden, in den Blick. Besondere Bedeutung kommt dabei der Studie von Gomolla und Radtke zur institutionellen Diskriminierung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund in der Schule deshalb zu, weil diese an Überlegungen anschließt, die in der sozialwissenschaftlichen Diskussion zu einer erneuten und intensivierten Auseinandersetzung mit Organisationen und ihrer gesellschaftlichen Funktion geführt haben. Die grundlegende Annahme ist dabei, dass - aus systemtheoretischer Perspektive formuliert - Organisationen mit ihren spezifischen Operationsweisen, Normalitätserwartungen, Handlungsmustern und Routinen von zentraler Bedeutung für die Ausstattung der Gesellschaft bzw. ihrer Funktionssysteme mit „Diskriminierungsfähigkeit“ sind (Luhmann 2000a: 393). Im Unterschied zu älteren Konzepten des institutionellen Rassismus bzw. der institutionellen Diskriminierung, deren Kategorienbildung unscharf zwischen einem weiter gefassten Begriff von Institutionen als habitualisierten, auf Dauer gestellten Handlungsmustern bzw. Erwartungen und einem enger gefassten Begriff als formaler Institution im Sinne von Organisationen changiert und in denen der Institutionenbegriff oftmals nicht expliziert und theoretisch geklärt wird, intendieren Gomolla und Radtke eine systematische Bestimmung des Verhältnisses von Organisation und Institution. Dabei steht der Einfluss institutionalisierten Wissens auf die Organisation Schule im Vordergrund, nicht aber Fragen der sozioökonomischen Ressourcen und soziokulturellen Ausstattungen, der sozialen Bedingungen des Spracherwerbs oder der unterschiedlichen Bildungsstrategien von MigrantInnen. Dies geschieht in absichtsvoller Einschränkung des Forschungsgegenstandes auf die schulinternen bzw. im untersuchten lokalen Schulsystem wirksamen Mechanismen der Diskriminierung von MigrantInnen. Damit ist eine für die gesellschaftstheoretische Fundierung der Diskriminierungsthematik instruktive Analyseperspektive aufgezeigt, die im Unterschied zu Konzepten des institutionellen Rassismus nicht von einem linearen Durchgreifen von gesellschaftlich einflussreichen Ideologien auf die Ebene der Operationsweisen von Organisationen ausgeht, sondern betont, dass Organisationen sich selektiv auf institutionalisierte Wissensbestände, Deutungs- und 3
Richtlinie 2004/43/EG des Rates vom 29. Juni 2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft
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Handlungsangebote beziehen und diese auf Grundlage organisationsinterner Vorgaben interpretieren. Im Durchgang durch Ansätze der Vorurteilsforschung und der auf Probleme der Vorurteilsforschung reagierenden Konzepte institutioneller Diskriminierung zeigt sich jedoch, dass Diskriminierungen weder angemessen auf individuelle Handlungen, noch auf Effekte organisationsinterner Strukturbedingungen reduziert angemessen analysiert werden können. Daher wird im Anschluss an die mit Ansätzen der Vorurteilsforschung und der institutionellen Diskriminierung in den Blick genommenen Ebenen der Interaktion und des institutionalisierten Wissens in Organisationen der Frage nach der gesellschaftsstrukturellen Verankerung von Diskriminierungsprozessen nachgegangen. Davon ausgehend, dass im Kontext der Einwanderungsgesellschaft relevante diskriminierende Strukturen und Praktiken in einem engen historischsystematischen Zusammenhang mit strukturell verankerter politischer und rechtlicher Ungleichbehandlung und mit Reproduktionsprozessen sozioökonomischer Ungleichheit stehen, sind zunächst soziologische Analysen zur Soziogenese asymmetrischer Gruppenkonstellationen von Bedeutung, die Beziehungen zwischen Einheimischen-Migranten, Mehrheiten-Minderheiten und StaatsbürgernNichtstaatsbürgern als abstrakt-gesellschaftliche Verhältnisse und nicht als Relationen konkret gefasster Gruppen in den Blick zu nehmen erlauben. In einem ersten Schritt werden hierfür bedeutsame klassische soziologische Analysen von Herbert Blumer, Alfred Schütz und Norbert Elias, mit denen eine frühe soziologische Kritik der Vorurteilsforschung vorliegt, auf ihren möglichen Beitrag für ein sozialtheoretisches Verständnis von Diskriminierung hin befragt. Von Interesse sind die dort vorliegenden Ansätze insofern, als diese eine je eigenständige Thematisierung von Macht- und Ungleichheitsstrukturen in „race relations“ (Blumer), „Mehrheiten-/Minderheitenbeziehungen“ (Schütz) und „Etablierten-/Außenseiterbeziehungen“ (Elias) vorgenommen haben, mit denen in unterschiedlicher Weise die Problematik verhandelt wird, ob und wie diese Beziehungen als gesellschaftsstrukturell verankerte Relationen sozialer ‚Gruppen‘ gefasst werden können. Damit liegen in unterschiedlichen theoretischen Perspektiven formulierte Ansätze einer genuin soziologischen Theoretisierung von Diskriminierung vor, die den Zusammenhang von gesellschaftsstrukturellen Verhältnissen einerseits, Beziehungen zwischen (imaginären) Gruppen andererseits, in den Blick rücken. Diese konvergieren in der theoretischen Prämisse, dass eine soziologische Analyse von Gruppenbeziehungen, für die rassialisierende und ethnisierende Zuschreibungen konstitutiv sind, auf Annahmen über Unterschiede zwischen gegebenen ‚racial groups‘ bzw. ‚ethnischen Gruppen‘ ebenso konsequent verzichten muss wie auf den Versuch, Mehrheiten-/Minderheitenbeziehungen als von den Imaginations- und Klassifikationsprozessen und den darauf bezogenen
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Handlungen von Individuen abstrahierende, objektive soziale Verhältnisse zu beschreiben. Der theoretische Gewinn einer im Kontext der Analyse der Soziogenese asymmetrischer Gruppenbeziehungen situierten soziologischen Perspektive auf die Diskriminierungsthematik gegenüber der sozialpsychologischen Vorurteilsforschung besteht darin, dass sowohl die für Formen der Diskriminierung charakteristischen Gruppenkonstitutionsprozesse als auch die für diese konstitutiven Machtbeziehungen Berücksichtigung finden. Gegenüber diesen Ansätzen ist jedoch in Rechnung zu stellen, dass sich Gruppenkonstitutionsprozesse insofern systematisch voneinander differenzieren lassen, als sich etwa rassialisierte und ethnisierte Gruppen über andere Unterscheidungsoperationen herstellen, als solche, die der Unterscheidung von Staatsbürgern- und Nichtsstaatsbürgern oder von Klassen zugrunde liegen. Vor diesem Hintergrund ergibt sich nicht nur das Desiderat einer systematischen analytischen Kategoriendifferenzierung; vielmehr ist damit auf einen grundlegenden theoretischen Klärungsbedarf hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen der Konstruktion voneinander unterscheidbarer Gruppen und deren jeweiliger Rückbindung an politische, rechtliche und ökonomische Macht- und Ungleichheitsverhältnisse hingewiesen. Eine Spezifikation dieses Zusammenhangs in Hinblick auf die für Formen von Diskriminierung in der Einwanderungsgesellschaft bedeutsamen Gruppenkonstruktionen und sozialen Grenzziehungen ist jedoch auf der Grundlage des Theorierepertoires der für die Diskriminierungsthematik relevanten soziologischen Klassiker nicht hinreichend möglich. Daher wird in einem nächsten Schritt in Auseinandersetzung mit einschlägigen soziologischen Theorien zu bestimmen versucht, welcher Stellenwert Staatsbürgerschaft und Ethnizität als diskriminierungsrelevanten Bezugspunkten in nationalstaatlich verfassten Einwanderungsgesellschaften zukommt. Dabei wird gezeigt, dass eine theoretisch unausgewiesene Anlehnung soziologischer Diskriminierungsforschung an die politisch und rechtlich gängige Gegenstandsbestimmung von in der Einwanderungsgesellschaft relevanten Diskriminierungsformen mit einer problematischen selektiven Thematisierung der Diskriminierung von MigrantInnen und Minderheiten einhergeht. So ist die unter den Bedingungen der nationalstaatlichen Verfasstheit von Gesellschaften für die Zuweisung von Positionen im weltgesellschaftlichen Gefüge sozialer Ungleichheiten hoch folgenreiche Unterscheidung in Staatsbürger und Nicht-Staatsbürger vom Antidiskriminierungsgebot explizit ausgenommen, mit dem Effekt, dass die Kategorie der Staatsangehörigkeit als legales Instrument der Ungleichbehandlung durch den menschenrechtlich begründeten Antidiskriminierungsdiskurs sanktioniert wird. Aus soziologischer Perspektive handelt es sich demgegenüber bei der Kategorie der Staatsbürgerschaft um eine gesellschaftsstrukturell verankerte, auf der Grundlage legaler Unterscheidungen politisch und rechtlich abgesicherte Diskriminierungsressource. Die Diskriminierungsrelevanz der
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Institution der Staatsbürgerschaft realisiert sich dabei zum einen als selektive Zugangsregulierung zum staatlichen Territorium, zu staatlich garantierten Rechten und Leistungsansprüchen, zum anderen als Unterscheidungsprinzip innerhalb eines hierarchisierten Leistungssystems der innerstaatlichen Ungleichbehandlung von Staatsbürgern und Nicht-Staatsbürgern. Während die Kategorie der Staatsangehörigkeit im politischen und rechtlichen Antidiskriminierungsdiskurs keine Berücksichtigung findet, stellen Diskriminierungen auf Grundlage der ‚ethnischen Herkunft‘ einen zentralen Bezugspunkt dort thematisierter unzulässiger Formen von Diskriminierungen dar. Dies ist - so die hier in diesem Zusammenhang entwickelte These - nicht nur historisch erklärbar, sondern auch damit, dass der Kategorie der Staatsangehörigkeit unter Bedingungen moderner Nationalstaatlichkeit ein für den gesellschaftlichen Reproduktionszusammenhang systematisch anderer Stellenwert zukommt als der Ethnizitätskategorie. Bei näherer Betrachtung des selektiv operierenden Antidiskriminierungsdiskurses wird deutlich, dass die erklärte Zielsetzung einer Überwindung von an ‚askriptiven‘ Merkmalen wie der ‚ethnischen Herkunft‘ ansetzenden Ungleichbehandlungen nicht nur im Horizont eines an universellen Prinzipien orientierten normativen Gerechtigkeitsprinzips zu interpretieren ist, sondern dass in dem Maße, wie Antidiskriminierungsmaßnahmen und -gesetze auch ein Moment von Modernisierungsprozessen darstellen, Annahmen darüber institutionell festgeschrieben werden, welche Unterscheidungen und Ungleichbehandlungen mit den Funktionsprinzipien moderner Gesellschaften vereinbar oder unvereinbar sind. Während im Fall der Staatsangehörigkeit die Ausblendung einer diskriminierungsrelevanten Strukturkategorie im Antidiskriminierungsdiskurs vorliegt, korrespondiert die dort verwendete Kategorie der ‚ethnischen Herkunft‘ mit einer theoretisch unterkomplexen Setzung von Ethnizität als gegebener sozialer Tatsache, mit der die Zugehörigkeit von Individuen zu ethnischen Gruppen als Diskriminierungspraktiken vorgängiger, empirisch evidenter Sachverhalt vorausgesetzt wird. Eine sozialwissenschaftliche Bestimmung des systematischen Stellenwerts der Kategorie ‚Ethnizität‘ in der Einwanderungsgesellschaft muss demgegenüber von einer auf imaginäre Einheiten bezogenen, in die soziale Genese von Mehrheiten-/Minderheiten-Beziehungen eingelassenen Unterscheidungspraxis ausgehen, die für die Zuweisung zu Positionen im Macht- und Ungleichheitsgefüge Relevanz erlangen kann. Herausgearbeitet wird dabei, dass der auf Ethnizität als Diskriminierungsressource zielende Antidiskriminierungsdiskurs nicht nur aufgrund seiner unreflektierten Übernahme ethnisierender Gruppenkonstruktionen problematisch ist, sondern dass die strukturelle Dimension der Diskriminierung von MigrantInnen und Minderheiten, d.h. die in Prozessen der Reproduktion sozialer Ungleichheit wirksam werdende Unterscheidung von Staatsbürgern und Nicht-Staatsbürgern und das Problem der Benachteiligung von MigrantInnen als Angehörige sozial benachteiligter Schichten
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bzw. Klassen sowie die Frage, wie diese sich mit ethnisierenden Unterscheidungen verknüpft, unberücksichtigt bleibt. Mit den in der vorliegenden Arbeit vorgenommenen theoretischen Annäherungen an die Diskriminierungsthematik auf der Grundlage der Beschreibungsmatrix ‚interaktionell- institutionell-strukturell‘ wird nicht beansprucht, eine abschließende Analyse unterschiedlicher Diskriminierungsformen in der Einwanderungsgesellschaft vorlegen zu können, die eine unmittelbare Übersetzung in politische Strategien und pädagogische Programme zu deren Überwindung ermöglichen würde. Wie abschließend am Beispiel diversity-orientierter Strategien, die nicht nur in pädagogischen Konzepten, sondern auch in der offiziellen EU-Antidiskriminierungspolitik an Einfluss gewinnen, aufgezeigt wird, können sich jedoch theoretisch begründete pädagogische Antidiskriminierungsstrategien nicht darauf beschränken, die kategorialen Unklarheiten aus dem sozialpsychologischen, soziologischen, rechtlichen und politischen Diskurs zu übernehmen, sondern sind darauf verwiesen, diese gesellschaftsanalytisch rückzubeziehen. Hinsichtlich der Analyse der sozialen Bedingungen und des operativen Vollzugs von Diskriminierungen in der Einwanderungsgesellschaft ist damit jedoch ein für die sozialwissenschaftliche Begründung pädagogischer Programmatiken folgenreicher theoretischer wie empirischer Klärungsbedarf angezeigt, zu dessen Konturierung die vorliegende Arbeit einen problemorientierten Beitrag leisten möchte.
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Diskriminierung in der sozialpsychologischen Vorurteilsforschung
Während eine genuin soziologische Thematisierung von Diskriminierung auf der Grundlage einer ausgewiesenen theoretischen Gegenstandsbestimmung dessen, was Diskriminierung als soziales Phänomen charakterisiert, in der Bundesrepublik bislang nur in Ansätzen erfolgt, ist die Diskriminierungskategorie in der sozialpsychologischen Vorurteilsforschung fest etabliert. Der fachwissenschaftlich spezifische Zugang zur Diskriminierungsthematik innerhalb der sozialpsychologischen Vorurteilsforschung ist über die disziplinären Grenzen der Psychologie hinausgehend insofern von Bedeutung, als dort formulierte zentrale Theoreme und Ergebnisse im sozialwissenschaftlichen und pädagogischen Diskurs über Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Rechtsextremismus, aber auch in der Migrationssoziologie aufgegriffen und adaptiert werden (s. etwa Heckmann 1992; Terkessidis 1998; Kleinert 2004).4 Dabei ist zu beobachten, dass sich inzwischen Erklärungsansätze und Paradigmen der Vorurteilsforschung zu einflussreichen Theoremen verselbständigt haben, deren theoretische Prämissen und somit ihre Plausibilität und analytische Tragfähigkeit nicht mehr grundlegend überprüft werden. So rekurrieren vorliegende pädagogische und soziologische Studien oftmals auf einen Wissensbestand, wie er in Lehrbüchern dargestellt und in Form von Zusammenfassungen der klassischen Untersuchungen in sozialwissenschaftlichen Texten tradiert wird (s. etwa Giddens 1999: 235ff.; Peukert 2003: 422ff.; Kleinert 2004: 86ff.). Dies ist nicht zuletzt deshalb problematisch, weil bereits in einschlägigen sozialpsychologischen Lehrbüchern die Tendenz vorliegt, bestimmte klassische Modelle und Ansätze, die innerhalb der aktuellen Vorurteilsforschung selbst kontrovers diskutiert werden, als gesicherten Erkenntnisstand darzustellen. Infolge dessen finden sich in der erziehungs- und sozialwissenschaftlichen Forschung zahlreiche durch die Lehrbuchliteratur zwar gestützte, jedoch in Hinblick auf ihre analytische Tragfähigkeit in einem sozial- und erziehungswissenschaftlichen Verwendungszusammenhang nicht ausreichend begründete Bezugnahmen auf Ergebnisse der Vorurteilsforschung. 4 Dass etwa eine gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Rechtsextremismus gerichtete Pädagogik eine zentrale Aufgabe darin hat, zur Überwindung von Vorurteilen beizutragen, ist eine gängige und gemeinhin unstrittige Prämisse der einschlägigen Fachdiskussion (s. dazu etwa Ahlheim/Heger 1999; Lüddecke 2003).
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Diskriminierung in der sozialpsychologischen Vorurteilsforschung
Der damit vollzogene Theorie- und Wissenstransfer ist insofern mit einer grundlegenden Problematik konfrontiert, als es für eine die disziplinären Grenzen überschreitende pädagogische und soziologische Rezeption letztlich kaum möglich scheint, sich grundlagentheoretisch umfassend mit den Binnendifferenzierungen des sozialpsychologischen Fachdiskurses auseinander zu setzen und die Tragfähigkeit unterschiedlicher Modelle eigenständig zu überprüfen. Dies kann auch im Rahmen dieser Arbeit nicht umfassend erfolgen; jedoch soll die über die fachspezifischen Grenzen hinausreichende Relevanz der sozialpsychologischen Vorurteilsforschung zum Anlass genommen werden, anhand ausgewählter einflussreicher Ansätze, Möglichkeiten und Grenzen einer sozialwissenschaftlichen Adaption und Re-Kontextualisierung des sozialpsychologischen Zugriffs auf die Diskriminierungsthematik aufzuzeigen. Eine erste Orientierung hierfür bietet ein Systematisierungsversuch von Willem Doise (1982: 28ff.), mit dem vier unterschiedliche Erklärungsebenen benannt werden, auf denen sich sozialpsychologische Ansätze verorten lassen: die intraindividuelle, die interindividuelle bzw. intrasituationale, die positionale bzw. status-bezogene und die ideologische Ebene.5 (1) Auf der intraindividuellen Ebene sind solche Ansätze zu verorten, die charakterliche Dispositionen bzw. innerpsychische Prozesse und daraus resultierende Reaktionen unter weitgehender Ausklammerung von Interaktionsprozessen und sozialen Rahmungen fokussieren. (2) Die interindividuelle/intrasituationale Ebene bezieht ihr Erklärungspotential aus den unmittelbaren Interaktionsprozessen, die sich in einer spezifischen Situation entwickeln. (3) Die positionale/status-bezogene Ebene bezieht sich auf Interaktionen, die auf der Grundlage einer positionalen Zuordnung erfolgen und umfasst in der sozialpsychologischen Forschung klassischerweise Gruppeninteraktionen. (4) Die ideologische Ebene stellt gesellschaftlich zirkulierende Ideologien, sozial geteilte Überzeugungen und Normen, die in jeweiligen Interaktionen zum Tragen kommen, in den Vordergrund (s. Doise 1982: 28ff.).
5 Im französischen Original werden die Ebenen in „intra-individuel“, „interindividuel et situationnel“, „positionnel“ und „idéologique“ unterschieden. In der deutschsprachigen Forschung sind im Unterschied dazu und in Anlehnung an die englische Übersetzung die Begriffe intrapersonal und interpersonal für die ersten beiden Ebenen üblich (s. Zick 1997: 53). Die dritte Ebene ist bei Zick als „inter-gruppale“ allerdings enger gefasst als die statusbezogene Dimension bei Doise (s. Doise 1982: 28ff.).
Diskriminierung in der sozialpsychologischen Vorurteilsforschung
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Während Andreas Zick in seiner an Doise anschließenden Systematisierung der Vorurteilsforschung diese als „chronologisch“ und konsequent aufeinander folgende Theorieebenen interpretiert, die sich „forschungshistorisch durch die Auseinandersetzung mit den jeweils bestehenden Vorurteilstheorien entwickel[n]“ (Zick 1997: 53)6, gehe ich im Folgenden davon aus, dass diese Erklärungsebenen keineswegs die unterschiedlichen Stadien der Vorurteilsforschung linear abbilden. Sie korrespondieren zwar insofern in hohem Maße mit der historischen Entwicklung der Vorurteilsforschung, als sowohl die auf der Ebene von Intergruppenbeziehungen (3) als auch die auf der Ebene der gesellschaftlichen Entstehungsbedingungen von Vorurteilen (4) ansetzenden neueren Versuche einer sozialtheoretischen Rückbindung der Vorurteilsforschung darauf zielen, für die klassische Vorurteilsforschung charakteristische individualpsychologische Vorgehensweisen zu überwinden. Zum einen stellt sich jedoch die Frage, ob die jeweiligen Theoretisierungen als geradlinige Erkenntnisfortschritte in der Theoriebildung zu werten sind, oder ob diese nicht vielmehr als Ausdruck der Eigendynamik des Wissenschaftsdiskurses und der damit in Zusammenhang stehenden Konjunktur bzw. Verwerfung7 unterschiedlicher Ansätze in der Theorieentwicklung verstanden werden müssen.8 Zum anderen zeigt sich, dass die 6 Dabei unterscheidet Zick in seiner in der Bundesrepublik einflussreichen, den Stand der Vorurteilsforschung aufbereitenden Studie zwischen der europäischen und der amerikanischen Forschung. Während für beide Forschungstraditionen die Entwicklung von der ersten zur zweiten Erklärungsebene Gültigkeit besitzt, bezieht sich die europäische Forschung mit ihrem Fokus auf Gruppenprozesse beinahe ausschließlich auf die dritte Ebene, die us-amerikanische Forschung stellt hingegen mit ihrer stärkeren Rückbindung an rassismustheoretische Analysen die ideologische Ebene in den Vordergrund (s. Zick 1997: 53ff.) 7 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Beobachtung Stroebes und Inskos (1989: 3ff.), dass die für die ältere Vorurteilsforschung beschreibbare Multiperspektivität einer zunehmenden Eindimensionalität der Perspektive gewichen sei. Dies gelte insbesondere für die fehlende Berücksichtigung älterer psychoanalytischer Ansätze, die schlicht aus der Mode gekommen seien: „Psychoanalytical and drive theoretical explanations of prejudice were not refuted empirically; they simply went out of fashion“ (Stroebe/Insko 1989: 3). 8 In der konkreten Zuordnung einzelner Ansätze zu den von Doise vorgeschlagenen Ebenen zeigt sich zudem, dass der Systematisierungsversuch nicht trennscharf ist. Dies gilt etwa für die in der sozialpsychologischen Vorurteilsforschung übliche, aber fragwürdige Zuordnung der klassischen Arbeiten von Theodor W. Adorno et al. zum „autoritären Charakter“ zu einem ausschließlich auf der individuellen Ebene ansetzenden Erklärungsversuch der Genese von Vorurteilen resp. des Antisemitismus und des Ethnozentrismus. Ausgeblendet wird damit die spezifische ideologiekritische Grundlegung des Forschungsprogramms, die an den ‚soziologischen‘ Konstitutionsbedingungen von Vorurteilsstrukturen ansetzt: „Diese Studie sucht herauszufinden, welche Zusammenhänge zwischen der Ideologie und den soziologischen Faktoren bestehen, die in der Entwicklung des Individuums wirksam waren. [...] Dabei betrachten wir die Charakterstruktur als eine Agentur, die soziologische Einflüsse auf die Ideologie vermittelt.“ (Adorno 1973: 7f.) Damit wird keineswegs behauptet, dass eine sozialpsychologisch angelegte Studie allein in der Lage ist, die im Zentrum der Betrachtung stehende Problematik des Antisemitismus hinreichend zu erklären. Vielmehr wird die „Betonung der Charakterstruktur“ ausdrücklich als eine vereinseitigende Akzentuierung psychologischer gegenüber „soziologische[n] und geschichtliche[n] Dimensionen“ ausgewiesen, die „nur künstlich zu trennen
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Diskriminierung in der sozialpsychologischen Vorurteilsforschung
individualpsychologische Fassung von Vorurteilen und Diskriminierungen im Kontext von nach wie vor die Vorurteilsforschung dominierenden Einstellungskonzepten keinesfalls als überwundener Forschungsstand gelten kann, sondern dass diese neben gruppenpsychologischen Ansätzen auch gegenwärtig zum etablierten sozialpsychologischen Wissenskanon gehören. Daher muss, wie im Weiteren zu zeigen sein wird, davon ausgegangen werden, dass die inzwischen in zahlreichen Varianten vorgetragene theoretische und forschungsmethodologische Kritik am individualpsychologischen Reduktionismus der Einstellungs- und Vorurteilsforschung (s. Leithäuser 1979; Markard 1984; Terkessidis 1998) sowie die auch innerhalb der Sozialpsychologie immer wieder erhobene Forderung, diese „sozialer“ werden zu lassen (s. dazu Graumann 1996: 21), bislang zu keiner umfassenden sozialtheoretischen Rückbindung der sozialpsychologischen Vorurteilsforschung geführt hat. Zudem zeichnet sich die im Rahmen der allgemeinen sozialpsychologischen Einstellungsforschung als Teildisziplin etablierte Vorurteils- und Stereotypenforschung durch eine deutliche Heterogenität der Begriffsdefinitionen und Vorgehensweisen aus (s. dazu Stroebe/Insko 1989; Duckitt 1992). Entsprechend ist von einer Ausdifferenzierung des sozialpsychologischen Wissenschaftsdiskurses und der Unüberschaubarkeit von Ansätzen und Modellen, nicht aber von einem gesicherten Erkenntnisstand der Vorurteilsforschung auszugehen. Die in vorliegenden Lehrbüchern dennoch feststellbare Tendenz zur Vereindeutigung und Darstellung eines konsistenten Forschungsstandes verweist dabei insofern auf die Grundaxiomatik des für die sozialpsychologische Forschung charakteristischen Wissenschaftsverständnisses, als diese experimentell und quantifizierend ausgerichtet ist und sich an den klassischen Prinzipien einer am Modell der Naturwissenschaften angelehnten Forschungsprogrammatik orientiert (s. Mertens/Fuchs 1978). Auf dieser Grundlage erhebt sie nicht nur den Anspruch, objektive, valide und reliable Ergebnisse hervorzubringen, sondern vertraut fast ausschließlich auf klassische Methoden der quantifizierenden empirischen Sozialforschung. Die in den gängigen experimentell ausgerichteten Forschungsdesigns erzielbaren Ergebnisse führen somit zu einer Generierung von abstrakten Modellen, die kaum an die spezifischen sozio-historischen Bedingungen der Genese von Vorurteilen und Diskriminierungen rückgebunden werden. Eine qualitative, den subjektiven Sinn von Äußerungen und Handlungen und deren soziale Bedingungen rekonstruierende Methodologie existiert hingegen nur in Ansätzen. sind“ (Adorno 1973: 3) und der eigene Erklärungsanspruch darauf begrenzt, zu erklären, wovon die „Empfänglichkeit des Individuums für solche Ideologien“ (Adorno 1973: 3) abhängt. Auf die Studien zum autoritären Charakter und die daran anschließende Forschung wird im Rahmen der vorliegenden Arbeit insofern nicht eingegangen, als diese aktuell für den Zugriff auf die Diskriminierungsthematik im engeren Sinne innerhalb der sozialpsychologischen Forschung eine nachrangige Rolle spielen.
Diskriminierung in der sozialpsychologischen Vorurteilsforschung
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Obwohl Diskriminierungen einen zentralen Bezugspunkt der sozialpsychologischen Vorurteilsforschung darstellen, etablieren Untersuchungen von Diskriminierungen und eine Bestimmung unterscheidbarer Diskriminierungsformen in der klassischen Vorurteilsforschung keinen eigenständigen Forschungsgegenstand (s. Duckitt 1992: 12). Insofern Diskriminierungen in der hier zunächst im Vordergrund stehenden individualpsychologisch ausgerichteten Einstellungsforschung primär als praktisches Resultat handlungsleitender Vorurteile thematisiert werden, treten diese vor allem als gegenüber der Theoretisierung von Vorurteilen und Stereotypen abgeleiteter Untersuchungsgegenstand in Erscheinung. Auch wenn mit den vielfältigen und auf unterschiedlichen Erklärungsebenen situierten Ansätzen kein einheitliches theoretisches Konzept und voneinander abweichende Begriffsdefinitionen vorliegen, stimmen neuere Ansätze darin überein, dass zwischen diskriminierenden Handlungen einerseits, diesen Handlungen vorgängigen Vorurteilen andererseits, kein Kausalnexus angenommen werden kann. Während die klassische Vorurteilsforschung von einem solchen ausgeht, ist ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Vorurteilen und diskriminierenden Handlungen in aktuellen Theorien in Frage gestellt (s. dazu bereits Schäfer/Six 1978: 224ff.). Inzwischen wird vielmehr die Auffassung vertreten, dass diskriminierende Handlungen nicht aus Vorurteilskomplexen deduzierbar sind und dass Praktiken der Diskriminierung nicht notwendigerweise mit ausgeprägten Vorurteilshaltungen einhergehen. Diese aus der empirischen Beobachtung gewonnene Feststellung einer Inkongruenz bzw. Nicht-Deduzierbarkeit, die zahlreiche Studien nachweisen (s. dazu als Überblick Duckitt 1992: 26ff. und Six 2000), hat jedoch bislang nicht zu einer umfassenden theoretischen Aufklärung des Zusammenhangs von Vorurteilen und Diskriminierungen geführt. Ungeachtet dessen stellt die Frage, welches Erklärungspotential Vorurteilen in Hinblick auf diskriminierende Praktiken zukommt, weiterhin einen zentralen Referenzpunkt der Vorurteilsforschung dar (s. Stroebe/Insko 1989) und in dieser Funktion der Bereitstellung von Erklärungsmodellen für Ursachen von Diskriminierungen wird sie auch innerhalb der sozialwissenschaftlichen Forschung breit rezipiert.
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1.1
Diskriminierung in der sozialpsychologischen Vorurteilsforschung
Vorurteile, Stereotypen und Diskriminierungen als Gegenstand der Einstellungsforschung
Die Vorurteilsforschung, wie sie sich in aktuellen deutschsprachigen Lehrbüchern präsentiert, gründet weitgehend auf der klassischen Einstellungsforschung.9 Die Unterscheidung zwischen Vorurteil, Stereotyp und Diskriminierung wird in zahlreichen sozialpsychologischen Lehrbüchern, aber auch in der sozialwissenschaftlichen Literatur, die auf Erkenntnisse der Vorurteilsforschung rekurriert, in Analogie zum so genannten „Dreikomponenten Ansatz der Einstellung“ von Rosenberg/Hovland10 (1960: 2) entwickelt, mit dem Einstellungen als „set of predispositions to respond in a particular way toward some particular class of stimuli‘“ gefasst werden (s. dazu etwa Ehrlich 1979; Güttler 2000). Einstellungen werden damit als ein Set von Reaktionsbereitschaften gegenüber Individuen, Situationen, sozialen Gruppen und „anderen Einstellungsobjekten“ verstanden, die eine kognitive, eine affektive und eine behavioral/verhaltensmäßige Dimension umfassen. Aus der Übertragung dieses Modells ergibt sich dann folgende Differenzierung: „Die drei Begriffe Vorurteil, Stereotyp und soziale Diskriminierung können [...] zum Dreikomponenten-Modell der Einstellung in Beziehung gesetzt werden, wobei das Vorurteil vorrangig den affektiven, das Stereotyp den kognitiven Aspekt und die soziale Diskriminierung das konkrete Verhalten pointiert“11 (Güttler 2000: 115; s. dazu auch Aronson/Wilson/Akert 2004: 484).
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Die Orientierung am Einstellungskonzept ist kein Spezifikum der Vorurteilsforschung, sondern war für die Entwicklung einer vor allem auf das Individuum ausgerichteten experimentellen Sozialpsychologie insgesamt bedeutsam. Die seit den 1920er-Jahren vor dem Hintergrund der Annahme, über das Einstellungskonzept menschliches Verhalten erklären zu können, entwickelte Einstellungsforschung ist zu einem zentralen Arbeitsfeld der gegenwärtig vorherrschenden Traditionslinie einer sich der Psychologie und nicht der Soziologie zuordnenden Sozialpsychologie avanciert. Morus Markard (1979: 117) stellt diesbezüglich fest, dass der zentrale Fokus auf das Einstellungskonzept bei manchen Autoren zur Aussage zugespitzt wird, dass Sozialpsychologie wesentlich Einstellungspsychologie sei. 10 Die Literatur zur Vorurteilsforschung bleibt widersprüchlich hinsichtlich der Beantwortung der Frage, auf wen das Drei-Komponenten-Modell zurückgeht. Eine häufiger genannte Referenz ist Rosenberg/Hovland, zeitlich früher angesetzte Referenzen finden sich aber bei Duckitt (1992: 11), der in diesem Zusammenhang u.a. auf Krech/Crutchfield (1948) und Katz/Stotland (1959) verweist. 11 Während im klassischen Dreikomponenten-Modell der Einstellung das behaviorale Moment ausdrücklich nicht die konkrete Handlung meint, sondern „mentales Verhalten“ (s. Schäfer/Six 1978: 17) - also eine Verhaltensdisposition, die nicht zwingend in konkrete Handlung umgesetzt wird -, wird diese Ebene hier bereits mit der Praxis der Diskriminierung als konkretem Verhalten in eins gesetzt.
Vorurteile, Stereotypen und Diskriminierungen
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Die weitgehende Akzeptanz des Drei-Komponenten-Modells als tragfähige Grundlage für die Spezifikation des Vorurteilskonzepts führt John Duckitt darauf zurück, dass „it seemed to integrate several important social psychological concepts within a single broad conceptualization of prejudice. Thus, stereotypes were part of the cognitive component, intergroup dislike and negative evaluation was equivalent to the affective component and social distance was part of the behavioral component“. (Duckitt 1992: 11f.)
Die Tragfähigkeit des Drei-Komponenten-Modells der Einstellung im Rahmen der Vorurteilsforschung ist jedoch nicht nur aufgrund der unklaren begrifflichen Fassung der Vorurteilskategorie, sondern insbesondere auch wegen des damit allzu eng unterstellten Zusammenhangs zwischen Einstellung und Verhalten (s. Fishbein/Ajzen 1975; Schäfer/Six 1978: 52; Duckitt 1992: 12f.) bereits seit längerer Zeit umstritten. 1.1.1 Das Vorurteil als Subkategorie sozialer Einstellungen In Hinblick auf die zahlreichen sich voneinander unterscheidenden Versuche, Vorurteile als Einstellungen zu fassen, formuliert John Duckitt die Einschätzung, dass in der Vorurteilsforschung zwar ein weitgehender Konsens darüber besteht, dass Vorurteile als Einstellungen zu fassen sind, sich aber keine Übereinstimmung dahingehend findet, wie das Einstellungskonzept selbst inhaltlich zu konkretisieren ist (s. Duckitt 1992: 11).12 Ein theoriegeschichtlich zentraler Ausgangspunkt des Einstellungskonzepts ist die klassische Studie „The Polish Peasant in Europe and America“ von Wil12
Die Problematik einer abschließenden Definition dokumentiert sich in der Überfülle von Definitionsversuchen des Einstellungskonzepts. So bemerkt Heinz E. Wolf: „Allport hat 1935 16 Definitionen gekannt und seine als die 17. hinzugefügt. Nelson berichtete 1939 von insgesamt 30 Definitionen. Wilcott hat seiner Analyse ‚nur‘ 70 Attitüdendefinitionen zugrunde gelegt. Delefoe berichtete 1977 von mehr als 120 Definitionen, nimmt aber an, dass die Zahl der tatsächlichen noch wesentlich höher läge“. (Wolf 1979: 47) Zur Gültigkeit des Dreikomponentenmodells findet sich z. B. in den unterschiedlichen Auflagen eines einschlägigen Lehrbuchs in Bezug auf einflussreiche Einstellungskonzeptionen in der 2. Auflage von 1990 noch die Beschreibung zweier dominanter Modelle innerhalb der sozialpsychologischen Forschung (dem Dreikomponentenmodell und dem eindimensionalen Modell), deren Gültigkeit, so wird betont, unentscheidbar sei, während in der 4. Auflage von 2002 alternativlos vom Dreikomponentenmodell ausgegangen und behauptet wird, dass dessen „Gültigkeit“ bereits 1984 „belegt“ worden sei (s. Stahlberg/Frey 1996: 222; Bohner 2003: 268). Auch wenn solche Unklarheiten zwischen verschiedenen Auflagen eines Lehrbuches nicht die Regel sind, lassen sich zahlreiche Beispiele finden, bei denen in Referenz etwa auf das Dreikomponentenmodell in unterschiedlichen Lehrbüchern unterschiedliche Begriffsverwendungen und bestimmungen vorliegen. Auf Grund dieses Umstandes muss die Verfügbarkeit über ein einheitlich vorliegendes und gesichertes Fachwissen zumindest als nicht hinreichend gegeben erachtet werden.
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Diskriminierung in der sozialpsychologischen Vorurteilsforschung
liam I. Thomas und Florian W. Znaniecki (Thomas/Znaniecki 1958/1918). Beide Autoren werden in zahlreichen sozialpsychologischen Lehrbüchern als Theoriereferenz für ein Einstellungskonzept eingeführt, das in dezidierter Abgrenzung zum Darwinschen Modell der Einstellung im Sinne einer physiologischen Reaktion entwickelt wurde (s. etwa Witte 1989: 361). Einstellungen werden bei Thomas und Znaniecki als „geistiger Zustand ohne intrinsisch physiologischen Inhalt“ (zit. nach Leithäuser 1979: 137) und als „individuelle[r] Bewusstseinsprozess, der reale oder mögliche Aktivitäten des Individuums in der sozialen Welt determiniert“ (zit. nach Markard 1984: 31), verstanden. Einstellungen werden also Individuen zugeordnet und grundlegend von „sozialen Werten“ verstanden als überindividuelle kognitive Orientierungen, denen bestimmte Handlungsvollzüge entsprechen - unterschieden: „By a social value we understand any datum having an empirical content accessible to the members of some social group and a meaning with regard to which it is or may be an object of activity […] The social value is thus opposed to the natural thing, which has a content but, as a part of nature, has no meaning for human activity, is treated as "valueless"; when the natural thing assumes a meaning, it becomes thereby a social value. And naturally a social value may have many meanings, for it may refer to many different kinds of activity. (Thomas/Znaniecki 1958: 21f.).
Damit wird akzentuiert, dass Einstellungen sich nicht auf vorgängig gegebene, sondern auf durch soziale Inhalts- und Bedeutungskonstruktionen konstituierte Objekte richten. Einstellungen und soziale Werte sind nach Thomas und Znaniecki durch eine wechselseitig konstitutive Beziehung gekennzeichnet, wobei angenommen wird, dass erst die Bedeutungszuweisung im Rahmen sozialer Interaktion das Einstellungsobjekt als spezifischen Bezugspunkt hervorbringt. Einstellungsobjekte sind demnach Einstellungen gegenüber nicht vorgängig. Mit der Akzentuierung ihrer Prozesshaftigkeit („Bewusstseinsprozess“) sind Einstellungen nicht auf individuelle, von den sozialen Werten isolierbare psychische Dispositionen bzw. Bewusstseinszustände reduzierbar, und soziale Werte sind keine dem individuellen Bewusstsein vorgelagerte empirische Gegebenheiten. Vielmehr werden Einstellungen als das individualpsychologische Korrelat zu sozialen Werten verstanden und es wird angenommen, dass individuelles Handeln auf Bedeutungen bezogen ist, die in sozialen Werten enthalten sind: „The attitude is thus the individual counterpart of the social value; activity, in whatever form, is the bond between them. By its reference to activity and thereby to individual consciousness the value is distinguished from the natural thing. By its reference to activity and thereby to the social world the attitude is distinguished from the psychical state.” (Thomas/Znaniecki 1958: 22)
Mit der Referenz auf Thomas und Znaniecki (s. etwa Stahlberg/Frey 1996: 220; Güttler 2000: 96) wird in der Einstellungs- und Vorurteilsforschung auf eine sozialtheoretisch voraussetzungsvolle Grundlegung des Einstellungskonzepts Be-
Vorurteile, Stereotypen und Diskriminierungen
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zug genommen, die bereits Grundzüge der später in Anschluss an George Herbert Mead bei Herbert Blumer (1980: 81) ausformulierten Prämisse des Symbolischen Interaktionismus trägt, dass Individuen „‚Dingen‘ gegenüber auf der Grundlage der Bedeutungen handeln, die diese Dinge für sie besitzen“ und dass es sich hierbei keineswegs um individuelle, sondern um sozial generierte und geteilte Bedeutungen handelt.13 Das Potential, das eine Weiterentwicklung dieses Ansatzes bieten könnte, wird jedoch in der Einstellungs- und Vorurteilsforschung nicht hinreichend genutzt. Denn während bei Thomas und Znaniecki ein theoretisch anspruchsvolles und methodologisch aufwendiges Konzept zur Untersuchung der Situation der Anfang der 20. Jahrhunderts in die USA eingewanderten polnischen Bauern entwickelt wird, das explizit beansprucht, den soziohistorischen Kontext systematisch zu berücksichtigen und den wechselseitigen Zusammenhang von subjektiven Einstellungen und objektiven Bedingungen betont14, wird in zahlreichen sozialpsychologischen Studien und Lehrbüchern zwar nominell auf diesen Ansatz referiert, in aller Regel jedoch dann faktisch ein theoretisch nicht mehr ausgewiesenes, ausschließlich am Individuum orientiertes Einstellungskonzept zugrunde gelegt. Entsprechend formuliert Hartwig Berger (1974: 129) die Einschätzung: „Die individualistische Eingrenzung von ‚attitudes‘ ist dieser Wissenschaftsrichtung (der Sozialpsychologie, U.H.) so selbstverständlich, dass sie nicht mehr explizit thematisiert und gerechtfertig wird. Zwar bestreitet sie nicht die Entstehung von Einstellungen als Interaktionsbeziehungen, sie bindet aber das Endresultat dieser sozialen Genese an die psychische Innenwelt vereinzelter Personen.“ (Berger 1974: 129).
Dies hat zur Folge, dass Einstellungen in der sozialpsychologischen Vorurteilsforschung in der Regel als real existierende kognitive bzw. mentale Sachverhalte vorausgesetzt werden. Der aus dieser Setzung resultierende Verzicht auf eine theoretische Klärung des Einstellungskonzepts führt jedoch zu weitreichenden Folgeproblemen. Mit der im Drei-Komponenten-Modell formulierten Annahme, dass Einstellungen als psychische Dispositionen eines Individuums, auf ein Objekt seiner Umwelt in spezifischer Weise zu reagieren - und damit als „zweigliedrige Relationen zwischen Trägersubjekt und Objekt“ (Berger 1974: 134) - definiert werden können, wird nicht nur ein Verständnis von Einstellungen als im Indivi13 Thomas und Znaniecki sind, wie auch George Herbert Mead als theoretischer Gründervater des symbolischen Interaktionismus, der so genannten Chicago-School der Soziologie zuzurechnen. 14 Dieser Bedingungszusammenhang unterscheidet soziale Phänomene von rein physikalischen Phänomenen: “[…] a social cause cannot be simple, like a physical cause, but is compound, and must include both an objective and a subjective element, a value and an attitude” (Thomas/Znaniecki 1958: 38). Eine differenzierte, kritische Würdigung der Arbeit von Thomas/Znaniecki liegt bei Lothar Hack (1977: 25ff.) vor.
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Diskriminierung in der sozialpsychologischen Vorurteilsforschung
duum verankerten psychischen Dispositionen gegenüber Objekten unterstellt, sondern auch, dass Einstellungsobjekte den ihnen gegenüber entwickelten Wahrnehmungen und Interpretationen vorgängig sind. Damit wird der soziale Konstruktionsprozess des Einstellungsobjekts ausblendet, d.h. der Sachverhalt, dass die Wahrnehmung eines Objekts auf der Grundlage gesellschaftlich verfügbarer Kategorisierungen und Typisierungen erfolgt. (s. dazu Berger/Luckmann 1980). In der Folge wird davon ausgegangen, dass für unterschiedliche Einstellungen die gleichen Gesetzmäßigkeiten und Operationsweisen gelten und dass diese inhalts- und objektunspezifisch untersucht werden können, ohne systematisch zwischen unterschiedlichen Konstitutionsprozessen von Einstellungsobjekten unterscheiden zu müssen. Daraus ergibt sich, dass es in der empirischen Einstellungsforschung in systematischer Hinsicht unerheblich erscheint, ob Einstellungen gegenüber Schlangen15, einer bestimmten Kaffeemarke oder etwa gegenüber als Minderheiten konstruierten Gruppen erhoben werden. Die damit vollzogene Reifikation des forschungsmethodologischen Konstrukts ‚Einstellung‘ führt zu einer großen Bandbreite an Gegenstandsbezügen der sozialpsychologischen Einstellungsforschung bei gleichzeitiger relativer Invarianz der methodischen Vorgehensweisen. Ein Verständnis von Vorurteilen als Einstellungen führt daher zur Problematik, dass x x x x
sich die begriffliche Unklarheit des Einstellungsbegriffs in der sozialpsychologischen Forschung in der Unschärfe des Vorurteilsbegriffs fortsetzt; Vorurteile nicht als analytische Kategorie, sondern als empirischer Gegenstand gefasst werden; Vorurteile als individualpsychologische Dispositionen unter weitgehender Ausblendung der sozialen Rahmen- und Konstitutionsbedingungen verstanden werden; die Referenzobjekte von Vorurteilen - unter Ausblendung des Konstruktcharakters von Einstellungsobjekten - gegenüber den Vorurteilen selbst als vorgängig vorausgesetzt werden.
Die Fülle an unterschiedlichen Versuchen, Vorurteile als besondere Klasse von Einstellungen zu konzeptualisieren, bewegt sich im Spannungsfeld von relativ voraussetzungsarmen Definitionen, die die Abgrenzung von allgemeinen Einstellungen über den spezifischen Objektbezug und/oder über die dem Vorurteil
15 So wird etwa die Validität des Dreikomponentenmodells der Einstellung mit dem Hinweis auf eine Untersuchung von Breckler (1984), der Einstellungen gegenüber Schlangen erhoben hat, belegt (s. Bohner 2003: 268).
Vorurteile, Stereotypen und Diskriminierungen
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eignende Bewertungsdimension herstellen, bis hin zu solchen Definitionen, die das Vorurteil durch einen Merkmalskatalog zu bestimmen versuchen. Als Beispiel für eine relativ voraussetzungsarm gefasste Charakterisierung des Vorurteils kann Gordon W. Allports 1954 formulierte vorläufige Definition gelten, die er anbietet, bevor er seine an voraussetzungsvolleren Annahmen orientierte Definition des Vorurteils entwickelt. Insofern Vorurteile dort als negativ bewertende Einstellungen gegenüber Gruppen bzw. gegenüber einer Person auf der Grundlage ihrer Gruppenzugehörigkeit gefasst werden, ergibt sich das von allgemeinen Einstellungen unterschiedene Charakteristikum in erster Linie aus dem spezifischen Einstellungsobjekt: So charakterisiert Alllport das Vorurteil als „ablehnende oder feindselige Haltung gegen eine Person, die zu einer Gruppe gehört, einfach deswegen, weil sie zu dieser Gruppe gehört und deshalb dieselben zu beanstandenden Eigenschaften haben soll, die man dieser Gruppe zuschreibt“ (Allport 1971: 21).
Zu unterscheiden von einer solchen Begriffsbestimmung, die den Gruppenbezug und die Negativ-Bewertung als gegenüber ‚anderen‘ Einstellungen charakteristische Merkmale hervorhebt, sind Definitionsversuche, die auf eine stärker differenzierte vorurteilscharakterisierende Merkmalsbestimmung zielen. So heißt es in Allports abschließender Vorurteilsfassung und klassischer Definition: „Ein ethnisches Vorurteil ist eine Antipathie, die sich auf eine fehlerhafte und starre Verallgemeinerung gründet. Sie kann ausgedrückt oder auch nur gefühlt werden. Sie kann sich gegen eine Gruppe als ganze richten oder ein Individuum, weil es Mitglied einer solchen Gruppe ist.“ (Allport 1971: 23)
Im Anschluss an Allport - und dessen Definition erweiternd - werden in einem aktuellen sozialpsychologischen Lehrbuch Vorurteile als „Urteile bzw. Aussageformen über Personen und Personengruppen, die falsch, voreilig, verallgemeinernd und klischeehaft sind, nicht an der Realität überprüft wurden, meist eine extrem negative Bewertung beinhalten und stark änderungsresistent, d. h. durch neue Informationen nur schwer oder kaum zu modifizieren sind und sich somit durch eine bemerkenswerte Stabilität auszeichnen“, gefasst (Güttler 2000: 108).
Diese Begriffsbestimmung operiert mit einem Merkmalskatalog, anhand dessen Vorurteile von allgemeinen Urteilen bzw. Einstellungen unterschieden werden. Die vorgenommenen Merkmalsbestimmungen wie „Falschheit“, „Realitätsabweichung“, „Voreiligkeit“, „Klischeehaftigkeit“, „Änderungsresistenz“ und „Negativ-Bewertung“ finden sich mit unterschiedlichen Akzentuierungen in
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Diskriminierung in der sozialpsychologischen Vorurteilsforschung
zahlreichen, Vorurteile als Subkategorie von Einstellungen konzipierenden Begriffsdefinitionen (s. als Übersicht Ehrlich 1979: 11f. und Six 2000: 45).16 Die Charakterisierung des Vorurteils auf Grundlage normativer Kriterien wie „Falschheit“, „Voreiligkeit“ und „Realitätsabweichung“ setzt dabei jedoch die Annahme beobachterunabhängig gegebener und objektivierbarer sozialer Realitäten voraus, die nicht nur vor dem Hintergrund konstruktivistischer bzw. sozialkonstruktivistischer Theorien (s. etwa Berger/Luckmann1980; Luhmann 1990) problematisiert werden müssen, sondern auch mit dem zunehmendem Einfluss kognitionstheoretischer Überlegungen innerhalb der sozialpsychologischen Forschung grundlegend kritisiert wurden (s. Duckitt 1992: 17; s.u.). In der Folge wird in aktuelleren Begriffsbestimmungen auf solche, die Realitätsinadäquanz von Vorurteilen herausstellenden Merkmalskataloge weitgehend verzichtet. Damit wird die Vorurteilskategorie erneut - analog zu Allports ursprünglicher Definition - vor allem entlang der beiden Charakteristika Gruppenbezug und Negativbewertung konturiert: „A prejudice is an attitude toward members of some outgroup and in which the evaluative tendencies are predominantly negative“ (Stroebe/Insko 1989: 3)
oder wie es in einem aktuellen Lehrbuch heißt: „Eine feindselige oder negative Einstellung gegenüber Menschen einer bestimmten Gruppe, die nur auf ihrer bloßen Mitgliedschaft in dieser Gruppe basiert.“ (Aronson/Wilson/Akert 2004: 485)
Ein Verständnis von Vorurteilen als negative Einstellungen gegenüber Individuen als Mitglieder von Gruppen, wie es hier zugrunde gelegt wird, blendet jedoch aus, dass auch ‚positive Vorurteile‘ Bestandteil oder Effekt eines Gruppenkonstruktionsprozesses sind und auf die so konstruierten Gruppen bezogene homo-
16 Zur Fülle an vorliegenden Definitionen in der Bandbreite zwischen relativ voraussetzungsarm gefassten und solchen, die durch einen spezifischen Merkmalskatalog charakterisiert sind, kommen Definitionen wie etwa bei Ackerman/Jahoda (1950) hinzu, die voraussetzungsvolle Hypothesen über die Funktion von Vorurteilen in die Begriffsbestimmung einbeziehen. Dort werden Vorurteile gefasst als „a pattern of hostility in interpersonal relations which is directed against an entire group, or against its individual members; it fulfills a specific irrational function for its bearer“ (Ackerman/Jahoda 1950: 4). Während hier aus psychoanalytischer Sicht eine „irrationale Funktion“ des Vorurteils für das Individuum hervorgehoben wird, beanspruchen andere Definitionen, die Bedingungen der Vorurteilsgenese zu berücksichtigen. Zu letzteren zählt etwa die Fassung von Vorurteilen als Intergruppenphänomen bei Sherif und Sherif, bei der ein Zusammenhang zu den in einer Gruppe vorherrschenden Normen hergestellt wird: „Group prejudice may be defined as the negative attitudes of group members, derived from their established norms, toward another group and its members.“ (Sherif/Sherif 1956: 648)
Vorurteile, Stereotypen und Diskriminierungen
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genisierende Eigenschaftszuschreibungen beinhalten, die nicht einfach als positiv, negativ oder neutral qualifiziert werden können.17 So bleibt auch mit solchen, auf voraussetzungsvolle problematische Annahmen über Vorurteilseigenschaften verzichtenden Konzeptualisierungen unberücksichtigt, dass Vorurteile erst im Kontext von sozialen Kategorisierungsprozessen relevant werden, in denen gruppenbezogene Abgrenzungen und Zuordnungen etabliert werden, die der Kategorienbildung und der darin eingelassenen Bedeutungszuschreibung keineswegs vorgelagert sind. Eine definitorische Bestimmung des Vorurteils als negative Einstellung gegenüber Individuen als Mitglieder einer ‚outgroup‘ bzw. aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit unterläuft damit die Unterscheidung zwischen realen Gruppen im Sinne von Kooperations- und Kommunikationszusammenhängen einer begrenzten Zahl von Individuen einerseits und imaginären Gruppen, die Effekte von sozialen Klassifikationen und homogenisierenden Typisierungen darstellen, andererseits. Vorurteile erlangen ihre historische und gesellschaftliche Bedeutung jedoch gerade nicht in Hinblick auf sozialen Zuschreibungsprozessen vorgängige ‚reale‘ Gruppen, sondern als auf imaginäre Einheiten bezogene Unterscheidungs- und Zuschreibungspraktiken, in denen ‚Gruppen‘ bzw. ‚Gruppenrelationen‘ entstehen (s. dazu auch Kapitel 3). Als grundlegende Problematik auch der auf inhaltliche Merkmalsbestimmungen des Vorurteils weitgehend verzichtenden Begriffsbestimmungen stellt sich vor diesem Hintergrund die vortheoretische Annahme realer Gruppen als dem individuellen Bewusstsein - den negativen Einstellungen vorgelagertes empirisches Referenzobjekt dar, auf das sich Vorurteile potentiell richten. Vor dem Hintergrund, dass sich historisch gesehen die Vorurteilsforschung vor allem als Minderheitenforschung etabliert hat und zentral mit dem Anspruch aufgetreten ist, ein Erklärungspotential für die Diskriminierung „ethnisch“ gefasster Gruppen bereitzustellen, verknüpft sich die Bezugnahme auf vermeintlich unterscheidbare reale Gruppen mit einer Tendenz zur Reifikation ethnisierender Kategorisierungen, so dass die Existenz „ethnischer Gruppen“ als Referenzobjekt von Vorurteilen oftmals vorausgesetzt wird. Bereits bei Allport (s.o.) geht die Charakterisierung des Vorurteils als „ethnisches“ in die grundlegende Definition ein und in der Folge stellt das „ethnische Vorurteil“ eine Kernkategorie der älteren, aber auch der aktuellen Vorurteilsforschung dar. Diese Begriffsverwendung wird in der Vorurteilsforschung bis heute ersichtlich als weitge17 Die Frage, inwiefern Vorurteile konstitutiv negativ sind, oder aber auch positive Vorurteile Gegenstand der Forschung sein sollten, wird bei Allport damit beantwortet, dass negative Vorurteile eine stärkere soziale Relevanz hätten, positive also kein allzu bedeutsamer Forschungsgegenstand seien (s. Allport 1971: 20). Allerdings ist diesbezüglich in Rechnung zu stellen, dass auch das explizit positive Vorurteil der Möglichkeit nach immer Annahmen über Fähigkeiten und Eigenschaften konnotiert, die die in einer bestimmten Weise Kategorisierten nicht haben.
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Diskriminierung in der sozialpsychologischen Vorurteilsforschung
hend unproblematisch erachtet und findet sich sowohl in der bereits erwähnten, für die sozialwissenschaftliche Rezeption der Vorurteilsforschung bedeutsamen Studie von Zick (s. Zick 1997), als auch in soziologischen (s. Heckmann 1992: 120) und pädagogischen (s. Lüddecke 2003: 17f.) Arbeiten, die u.a. auf die Vorurteilsforschung zurückgreifen. Die Problematik der Bestimmung von Vorurteilen als ‚ethnisch‘ reduziert sich dabei nicht auf eine terminologische Ungenauigkeit bzw. begriffslogische Schwierigkeit: Vorurteile können operativ zwar als ethnisierende, rassialisierende oder rassistische Zuschreibungen gefasst werden; die Bestimmung eines Vorurteils als ethnisch verfährt demgegenüber jedoch insofern ontologisierend, als dem Vorurteilsobjekt - der abgewerteten ‚Ethnie‘ - eine präkonstituierte soziale Existenz zuerkannt wird. Ethnisierende Vorurteile resp. Zuschreibungen müssen demgegenüber jedoch selbst als ein Moment der sozialen Konstruktion ‚ethnischer Gruppen‘ verstanden werden. Die Übernahme ethnisierender Kategorisierungen in die Begriffsbildung hat dabei anwendungspraktische Folgen in Hinblick auf die Verwendung von Begriffen wie „ethnische Minderheit“ oder „ethnische Zugehörigkeit“. So heißt es etwa in der genannten Studie von Andreas Zick im Kontext einer Arbeitsdefinition, die von dem Anspruch getragen ist, eine Synthese der klassischen Vorurteilsdefinitionen zu bieten (1997: 39): „Negative ethnische Vorurteile bezeichnen die Tendenz eines Individuums, ein Mitglied einer Outgroup oder die Outgroup als ganze negativ zu beurteilen und damit die Ingroup, zu der sich das Individuum zugehörig fühlt, positiv zu beurteilen. Ethnische Vorurteile sind negative Einstellungen, die stabil und konsistent sind. Diese Einstellungen werden gegenüber Mitgliedern einer ethnischen Outgroup geäußert. [...] Eine ethnische Minderheit sollte dabei als Herkunftsgruppe verstanden werden, d.h. als Gruppe, welcher Vorurteilsträger unterstellen, dass sie aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit, die weitgehend durch die nationale Herkunft bestimmt ist, einer (nationalen) Outgroup angehören.“
Hier wird nicht nur ein theoretisch nicht ausgewiesener Begriff von Ethnizität18 verwandt, der zudem mit der Kategorie der „nationalen Herkunft“ parallelisiert wird; es wird auch inkonsistent und widersprüchlich argumentiert: Zunächst wird die Unterscheidung in In- und Outgroup im Sinne einer Grenzziehung, der 18
Dabei gibt es durchaus wesentlich problematischere Begriffsverwendungen als im vorliegenden Fall: So finden sich bei Güttler (2000: 109) als Beispiele für „ethnische Minderheiten“: „Ausländer“, „Behinderte“, „Kriminelle“, „Farbige“, bei Witte (1989: 363) als Beispiele für „ethnische Minoritäten“: „Schwarze“ und „Juden“. Dies spiegelt sich auch in der unreflektierten Übernahme von Beispielen, mit denen Einstellungen erhoben werden; als zugespitzter Fall sei hier das dem Skript einer im Sommersemester 2001 stattgefundenen Einführungsvorlesung für Lehramtstudierende an der Uni-Würzburg, Fachbereich Psychologie, entnommene Beispiel genannt: „Eine Negerfamilie zieht in Deine Nähe. Du lädst sie in Dein Haus ein.“ Antwortmöglichkeiten: richtig/falsch. (s. http://wy3x01.psychologie.uni-wuerzburg.de/i4pages/Download/Schneider_Lehramt/Psycho2Sozialpsycho/06-12-01.pdf)
Vorurteile, Stereotypen und Diskriminierungen
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ein Zugehörigkeitsgefühl zu Grunde liegt, eingeführt. Das ethnische Vorurteil wird dann dadurch charakterisiert, dass es sich gegen die durch ihre Herkunft und nicht durch ein Zugehörigkeitsgefühl, also einen subjektiven Glauben an eine gemeinsame Herkunft19 - bestimmten Mitglieder einer ethnischen Outgroup richtet. Und schließlich wird die ethnische Zugehörigkeit als Ressource für den Zuordnungsprozess zu einer Outgroup in Anspruch genommen. Mit der letzten Überlegung erscheint die Grenzziehung zwischen In- und Outgroup durchaus als imaginäre Einheiten konstituierender Prozess, also nicht als Unterscheidung realer Gruppen. Da die Begriffe ‚ethnische Minderheit‘ und ‚Outgroup‘ jedoch synonym verwandt werden, bleibt unklar, ob mit ethnischer Minderheit eine klar umgrenzte, quantitativ bestimmbare Gruppe gemeint ist, oder der Effekt eines Konstruktionsprozesses, durch den Gruppen als Minderheiten hervorgebracht werden. Auf der Grundlage der letztgenannten, m. E. zwingenden Analyseperspektive (s. dazu Kapitel 3 und 5) ist es jedoch notwendig, zu der bei Zick als invariante Größe eingeführten Kategorie der Herkunftsgruppe bzw. der ethnischen Minderheit auf Distanz zu gehen und danach zu fragen, inwiefern mit dem Rückgriff auf Ethnizität als stereotypisierende Zuschreibungs- und Diskriminierungsressource Mehrheiten von Minderheiten, Ingroups von Outgroups unterschieden werden. 1.1.2 Das Stereotyp als kognitiver Aspekt des Vorurteils Analog zur Kategorie des Vorurteils liegt auch für das Stereotyp eine unüberschaubare Bandbreite an Definitionen vor (s. dazu Zick 1997: 45), wobei die Versuche, Stereotype als kognitive Dimension von der affektiven Dimension des Vorurteils zu unterscheiden, oftmals unscharf bleiben. So wird bei Güttler (2000: 111) konstatiert, dass Vorurteil und Stereotyp insofern übereinstimmen, als es sich in beiden Fällen um „sozial geteilte, konsistente, änderungsresistente, starre, rigide, inflexible Urteile über andere Personen, soziale Gruppen oder soziale Sachverhalte“ handle. Zudem wird dort in ähnlich problematischer Weise wie beim Vorurteilsbegriff betont, dass das Stereotyp „auf fehlerhaften und formelhaften Denkprozessen beruht“ (Güttler 2000: 82). Solche Charakterisierungen des Stereotyps lösen angesichts der Darlegung des Forschungsstands, den Duckitt noch 1992 dadurch charakterisiert sah, dass „stereotypes are no longer defined as being incorrect, irrational, rigid, or morally wrong in some way. Instead, they are seen as arising out of essentially normal 19 Was einem bereits bei Max Weber (1980/1922: 234ff.) entwickelten elaborierten Verständnis des Konstruktcharakters von Ethnien als Gemeinschaften, für die der Glauben an eine gemeinsame Herkunft konstitutiv ist, entspräche (s. dazu Hormel/Scherr 2003: 59ff.).
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Diskriminierung in der sozialpsychologischen Vorurteilsforschung
and adaptive cognitive processes“ (Duckitt 1992: 8), Irritationen aus (s. dazu auch Stroebe/Insko 1989: 5). Ashmore und DelBoca definieren bereits 1981 Stereotype formal als „set of beliefs about the personal attributes of a group of people“ (Ashmore/DelBoca 1981: 16) und bei Aronson/Wilson/Akert (2004: 486) wird folgende Definition vorgeschlagen: “Generalisierung über eine Gruppe von Menschen, bei der man praktisch allen Mitgliedern der Gruppe identische Eigenschaften zuschreibt, ohne Beachtung gegebener Variationen unter den Mitgliedern.”
Damit wird eine Begriffsbestimmung vorgenommen, die mit zahlreichen anderen Definitionen übereinstimmt (s. als Übersicht Six 2000: 44) und deren konsensueller Kern darin liegt, dass mit Stereotypisierung der Kategorisierungsprozess bezeichnet wird, durch den sozialen Gruppen bestimmte Merkmale und Eigenschaften generalisierend zugeschrieben werden. Eine mit vorliegenden Differenzierungen zwischen Vorurteilen und Stereotypen (s. Ehrlich 1979: 31ff.) übereinstimmende, die kognitive Dimension des Stereotyps akzentuierende Begriffsbestimmung liegt bereits bei Allport vor, der das Stereotyp charakterisiert als „überstarke Überzeugung, die mit einer Kategorie verbunden ist. Sie dient zur Rechtfertigung (Rationalisierung) unseres diese Kategorie betreffenden Verhaltens“ (Allport 1971: 201). Mit dieser Definition wird das Stereotyp als Überzeugung gefasst und damit vom Vorurteil als einer Einstellung unterschieden und es wird ihm eine spezifische Funktion - die der Rechtfertigung bzw. Rationalisierung - zugewiesen. Der Zusammenhang zwischen Stereotyp und Überzeugung wird von Allport zwar nicht weiter expliziert, seine Ausführungen an anderer Stelle können jedoch, ohne dass dort der Begriff des Stereotyps Erwähnung findet, Aufschluss darüber geben, wie das Verhältnis von Vorurteil als Einstellung und Stereotyp als Überzeugung gefasst werden kann. Die dort eingeführte Differenzierung zwischen einem Einstellungsaspekt und einem davon zu unterscheidenden Überzeugungsaspekt als kennzeichnendes Moment von Vorurteilen (s. Allport 1971: 27f.) kann als Versuch gelesen werden, die angenommene weitgehende Aufklärungsresistenz von Vorurteilen zu erklären: Für Vorurteile sind demzufolge „verallgemeinerte (und deshalb irrtümliche)“ Überzeugungen konstitutiv, die prinzipiell in argumentativer Weise zugänglich sind und „rational aufgegriffen und geändert werden“ (Allport 1971: 27) können. Daraus kann Allport zufolge jedoch nicht abgeleitet werden, dass der Prozess der Einwirkung auf Überzeugungen notwendig Einstellungsveränderungen hervorruft, sondern dieser kann auch lediglich eine Verschiebung der Argumentations- und Interpretationshaushalte bewirken, mit denen Einstellungen rationalisiert und legitimiert werden. Mit der dabei vollzogenen Rückbindung des Stereotyps an sozial vorgegebene und veränderbare Überzeugungen überwindet Allport ansatzweise eine allzu enge Anbindung des Vorurteilskonstrukts an psy-
Vorurteile, Stereotypen und Diskriminierungen
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chische Dispositionen, wie sie anderen Ansätzen zu Grunde liegt - allerdings ohne hinreichende Analyse des Zusammenhangs zwischen individuell formulierten Überzeugungen und sozial einflussreichen Wissensbeständen, Deutungsmustern, Ideologien und Praktiken.20 Seit Ende der 1960er Jahre - und zunächst vor allem mit den Arbeiten von Henri Tajfel verbunden - , wurden im Unterschied zu diesen primär individualpsychologisch argumentierenden Differenzierungsversuchen zunehmend Ansätze entwickelt, mit denen Vorurteile und Stereotype begrifflich nicht mehr als individuelle Einstellungen und Überzeugungen interpretiert werden, sondern kognitive Verarbeitungsprozesse und Wirkungsweisen von Kategorisierungen ins Zentrum des Forschungsinteresses rücken (s. Ganter 1997: 19ff.). Mit dem Fokus auf selektive Informationsaufnahme und Wahrnehmungsfähigkeit knüpfen diese Ansätze an das auf Walter Lippmann zurückgehende sozialwissenschaftlich begründete Konzept des Stereotyps an. Dessen Arbeit „Public Opinion“ (1949/1922) wird in nahezu allen sozialpsychologischen Arbeiten als theoretische Referenz eingeführt. Lippmann fasst Stereotype als unumgängliche, gleichwohl aber nicht unproblematische Vereinfachungsstrategien, die der Wahrnehmung und Repräsentation sozialer Wirklichkeit zugrunde liegen. Prozesse der Stereotypisierung werden bei Lippmann vor dem Hintergrund thematisiert, dass soziale Wahrnehmungsprozesse generell auf komplexitätsreduzierende Realitätskonstruktionen verwiesen sind: „For the real environment is altogether too big, too complex, and too fleeting for direct acquaintance. We are not equipped to deal with so much subtlety, so much variety, so many permutations and combinations. And although we have to act in that environment, we have to reconstruct it on a simpler model before we can manage it. To traverse the world men must have maps of the world.” (Lippmann 1949: 16)
Mit Lippmanns Konzeption des Stereotyps ist im Unterschied zu gängigen Fassungen der Vorurteilskategorie der Blick zunächst auf eine Perspektive hin geöffnet, die Stereotype nicht als individuell zurechenbare Einstellungen konzipiert, sondern als vorgefundene sozio-kulturelle Kategorisierungen, die weder ein Ausnahmephänomen darstellen, noch an den einzelnen Akteur als Träger des Stereotyps gebunden sind: „For the most part we do not first see, and then define, we define first and then see. In the great blooming, buzzing confusion of the outer world we pick out what cul-
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Neben diesen Versuchen, Vorurteile von Stereotypen über die Kriterien affektiv/kognitv oder Einstellung/Überzeugung zu unterscheiden, liegen Definitionen vor, die die Bewertungsdimension in den Vordergrund stellen. Für Vorurteile sind in dieser Fassung negative Bewertungen konstitutiv, während Stereotype als wertneutral konzipiert werden, wie es etwa bei Frances E. Aboud formuliert wird: „Stereotypes are rigid, overgeneralized beliefs about the attribtutes of ethnic group members whereas prejudice is a negative attitude“ (Aboud 1988: 5; zit. in Zick 1997: 44).
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Diskriminierung in der sozialpsychologischen Vorurteilsforschung
ture has already defined for us, and we tend to perceive that which we have picked out in the form stereotyped for us by our culture.” (Lippmann 1949: 81)
Die damit vorgenommene Akzentuierung sozialer Kategorisierungen und Stereotypisierungen für die Konstitution von Wahrnehmungsobjekten stimmt in ihren Grundzügen mit dem sozialphänomenologischen Verständnis der subjektiven Wirklichkeitskonstruktion auf der Grundlage sozial vorgefundener Typisierungen und Relevanzstrukturen überein (s. dazu Kapitel 3.2.; vgl. Schütz/Luckmann 1979; Berger/Luckmann 1980) Die an diese Überlegungen anschließende, auf generelle Problematiken sozialer und realitätskonstituierender Kategorisierungsprozesse gerichtete und auf der Grundlage der so genannten „kognitiven Wende“ etablierte eigenständige Stereotypenforschung21 bietet damit prinzipiell instruktive Überlegungen, die ein Verständnis von Vorurteilen als individuellen Einstellungen und Stereotypen als individuellen Überzeugungen zu überwinden versprechen. Mit dem primären Fokus auf kognitive Prozesse der Informationsaufnahme- und Informationsverarbeitung und damit letztlich auf subjektive Verarbeitungsmechanismen werden jedoch auch dort, so Bernd Six den diesbezüglichen Stand der Forschung resümierend (Six 2000: 48), gesellschaftliche Kontext- und Entstehungsbedingungen von Vorurteilen und Stereotypen weitgehend ausgeblendet.22 1.1.3
Diskriminierung als behavioraler Aspekt des Vorurteils
Diskriminierung wird in der in der Tradition der Einstellungsforschung stehenden Vorurteilsforschung als Verhaltensdimension des Vorurteils und damit fast ausschließlich akteursgebunden thematisiert.23 Vorliegende Ansätze unterscheiden sich wesentlich in Hinblick darauf, ob der Diskriminierungsbegriff in den Vorurteilsbegriff eingeschlossen wird oder ob die Differenz zwischen Vorurteil als Einstellung und Diskriminierung als Verhalten betont wird (s. dazu Schäfer/Six 1978: 23f.). Unabhängig von den jeweiligen begrifflichen Fassungen und über bestehende Differenzen hinweg teilen jedoch aktuelle Arbeiten die Zu21 Für eine zusammenfassende Darstellung unterschiedlicher kognitionstheoretisch ausgerichteter Modelle und Konzepte s. Hilton/v. Hippel 1996: 237ff. 22 Hierauf hat bereits Henri Tajfel (1982) selbstkritisch gegenüber den eigenen älteren Arbeiten hingewiesen. Tajfel zitiert als Beleg einer nachhaltigen Resistenz der Stereotypenforschung gegenüber der Erkenntnis einer Sozialität des Stereotyps aus einem eigenen - 1957 verfassten - Text (s. Tajfel 1982: 41). 23 Während einige Ansätze die Verhaltensdimension des Vorurteils mit dem Diskriminierungsbegriff in eins setzen, nimmt Gordon W. Allport eine Differenzierung unterschiedlicher Verhaltensformen vor, die er von Verleumdung als schwächster Form „feindseligen Handelns“ über Praktiken der Vermeidung, Diskriminierung, der körperlichen Gewaltanwendung bis hin zur Vernichtung graduell abstuft (s. Allport 1971: 28f.).
Vorurteile, Stereotypen und Diskriminierungen
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rückweisung der Annahme eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen vorurteilsbehafteten Einstellungen und diskriminierenden Praktiken und bezeichnen mit Diskriminierung die ungleiche, in aller Regel benachteiligende Behandlung von Individuen auf der „Basis einer realen oder vermeintlichen Gruppen- oder Klassenmitgliedschaft“ (Güttler 2000: 112). Dabei überwiegt in der einstellungsbasierten sozialpsychologischen Vorurteilsforschung ein Verständnis von Diskriminierung als individuellem Verhalten - meist verstanden als intentional vollzogene Handlung (s. Duckitt 1992: 9), wobei in aller Regel kein theoretisch ausgewiesener Verhaltens- bzw. Handlungsbegriff zugrunde gelegt wird; vielmehr werden Verhalten und Handlung in enger Anlehnung an die Alltagssprache weitgehend synonym verwandt (s. etwa Zick 1997: 45f.). Six trifft diesbezüglich die Einschätzung, dass theoretisch ausformulierte Konzepte diskriminierenden Verhaltens in der sozialpsychologischen Forschung nicht vorliegen, sondern dass diese sich häufig auf die deskriptive Auflistung potentieller diskriminierender Verhaltensweisen beschränken. Die vorliegenden Ansätze seien in der Folge „theoretisch unterernährt wie viele Handlungs- und Verhaltenskonzepte in der Sozialpsychologie“ (Six 2000: 48). Daraus resultiert eine paradoxe Konstellation: Da sich die Vorurteilsforschung weitgehend auf den Bereich der Einstellungsmessung konzentriert, kann sie auf der Grundlage der empirisch nur schwachen Korrelation24 von vorurteilsbehafteten Einstellungen und diskriminierendem Verhalten keinen Beitrag zu einer empirischen Beschreibung und systematischen Analyse von unterschiedlichen Diskriminierungsformen und deren gesellschaftlicher Relevanz leisten. Historisch gesehen ist jedoch gerade die Beobachtung von Diskriminierungspraktiken zentraler Ausgangspunkt für die Herausbildung einer eigenständigen Vorurteilsforschung gewesen, da vorurteilsbehaftete Einstellungen als Erklärungsansatz für diskriminierende Praktiken konzipiert wurden. In diesem Spannungsfeld bewegt sich die Vorurteilsforschung auch aktuell insofern, als sie auf experimenteller Ebene zeigen kann, dass von keinem Kausalzusammenhang zwischen Vorurteil und Diskriminierung auszugehen ist, sie gleichzeitig aber darauf ausgerichtet ist - und auch in dieser Funktion wird sie innerhalb der sozialwissenschaftlichen Forschung breit rezipiert -, Erklärungsmodelle für die Ursache von Diskriminierungen bereitzustellen. Die übliche Differenzierung zwischen dem Vorurteil als affektiver, dem Stereotyp als kognitiver und der 24
Siehe dazu die Übersicht vorliegender Studien bei Duckitt 1992: 32ff., darunter solche, die signifikante Korrelationen zwischen Vorurteilen und Diskriminierung(-sbereitschaft) aufzeigen, aber auch zahlreiche Studien, die keinen Zusammenhang ermitteln. Eine Metaanalyse, deren Grundlage 54 empirische Untersuchungen sind, wurde von Six u.a. vorgelegt: In der Gegenüberstellung mit einer weiteren umfangreichen Metaanalyse vorliegender Studien zur allgemeinen Relation zwischen Einstellungen und Verhalten, kommt Six zu dem Ergebnis, dass die Korrelationen zwischen Vorurteilen und Diskriminierungen in den entsprechenden Studien weitaus geringer ausfallen als in den Studien, die allgemeine Einstellungs-Verhaltens-Beziehungen untersuchen (s. Six 2000: 52ff.).
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Diskriminierung in der sozialpsychologischen Vorurteilsforschung
Diskriminierung als behavioraler Dimension des Einstellungskonstrukts ‚Vorurteil‘ wird insbesondere dann zum Problem, wenn der Zusammenhang zwischen diesen Elementen systematisch gefasst werden soll. Dies verweist jedoch weniger auf das Problem einer mangelnden empirischen Fundierung des Modells, als vielmehr auf die grundsätzliche Problematik, dass der zentrale Ausgangspunkt - sowohl für die theoretische Fassung des Diskriminierungsbegriffs als auch für die empirische Untersuchung von Diskriminierungen - das individuelle Denken und Handeln resp. die Einstellungen und das Verhalten von Individuen darstellt. Dies hat letztlich zur Folge, dass Diskriminierungen lediglich als Effekt individueller Einstellungs- und Handlungsmuster in den Blick genommen werden. Aus einer sozialwissenschaftlichen Perspektive ist es demgegenüber nicht plausibel, Praktiken, die sich in bestimmten sozialen Situationen bzw. Kontexten und unter der Bedingung der Anwesenheit und Interaktion mehrerer Individuen realisieren, im Horizont individueller Handlungsmotive zu deuten und die Handlungsursachen auf im Individuum verankerte Einstellungen, Absichten oder Motive zurückzuführen (s. dazu etwa Bourdieu 1987; Oevermann 1999: 72ff.; Luhmann 2004: 247 ff.).25 In einer soziologischen Perspektive, die vom genetischen und systematischen Primat des Sozialen ausgeht, stellt demgegenüber die Deutung eines sozialen Ereignisses als individuelle Handlung vielmehr selbst eine soziologisch erklärungsbedürftige Interpretation dar,26 denn „Interaktionen [setzen sich nicht] aus Einzelhandlungen zusammen, sondern Einzelhandlungen stellen Abstraktionen von Interaktionen dar“ (Oevermann 1999: 79). 1.2
Kategorisierungen, Stereotype und Gruppenkonflikt
Im Unterschied zur individualpsychologisch orientierten klassischen Einstellungsforschung rückt in Henri Tajfels „Theorie der sozialen Identität“ (s. Tajfel 1982) die soziale Verankerung von Vorurteilen in Gruppenprozessen und Intergruppenkonflikten in den Vordergrund. Die Einschränkung auf individualpsy25
Diese Problematik betrifft auch die klassischen Studien zum autoritären Charakter (Adorno 1973). Dort wird jedoch, anders als in der an Allport anschließenden Vorurteilsforschung, nachzuweisen versucht, dass die individuelle Bereitschaft zur Übernahme von Vorurteilen eine Folge der gesellschaftlichen Formierung von Charakterstrukturen ist. Die neuere Forschung hat wiederkehrend einen signifikanten Zusammenhang zwischen autoritären psychischen Dispositionen bzw. „Reaktionsbereitschaften“ mit der Zustimmungsbereitschaft zu Vorurteilen nachgewiesen (s. Oesterreich 1993; Lederer 1995). Allerdings wurde die Annahme eines in der frühkindlichen Sozialisation erworbenen und in der weiteren Biographie stabilen autoritären Charakters dort problematisiert. 26 Für eine grundlegende Kritik von Varianten einer an Max Weber anschließenden handlungstheoretischen Soziologie, die ihren Fokus zentral auf das handelnde Individuum richtet und versucht, Soziales als Effekt individueller Handlungen zu erklären, siehe Prewo 1979: 300ff.
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chologische Sichtweisen wird hier überwunden, indem die Entstehung von Vorurteilsstrukturen auf der Grundlage spezifischer Gruppenkonstruktionsprozesse untersucht wird. Für Tajfels Arbeiten ist die Hinwendung zur Analyse von Stereotypen und damit die Aufmerksamkeit für soziale Kategorisierungsprozesse insofern kennzeichnend, als die Betonung darauf liegt, dass das Stereotyp „von einer großen Zahl von Personen geteilt wird“ (Tajfel 1982: 39). Damit akzentuiert Tajfel dessen genuin soziale Dimension und Funktion und geht, wie bereits erwähnt, in Distanz auch zu seinen eigenen früheren Arbeiten. Im Unterschied zur klassischen Vorurteilsforschung, die Stereotype und Vorurteile als fehlerhafte, falsche und nicht an der Realität überprüfte Generalisierungen versteht, geht Tajfel zudem, in expliziter Anknüpfung an die sozialkonstruktivistischen Überlegungen von Peter L. Berger und Thomas Luckmann (1980), nicht von einer den Individuen äußerlichen, objektivierbaren Realität aus, auf deren Grundlage Einstellungen daran bemessen werden können, ob sie in dieser eine objektivierbare Entsprechung haben oder nicht. Vielmehr wird Tajfel zufolge ein „Stereotyp nur dann ein soziales Stereotyp [...], wenn es innerhalb einer sozialen Entität weit verbreitet ist“ (Tajfel 1982: 57). Stereotype werden also definitorisch nicht als falsche Sichtweisen, sondern als sozial geteilte und verbreitete Interpretationsschemata gefasst. Mit der bei Tajfel ausdrücklich formulierten Kritik an „individualistischen Betrachtungsweisen“ (Tajfel 1982: 42), die soziale Stereotype auf individuelle Einstellungen reduzieren, ist eine zentrale Problemdimension der klassischen Einstellungsforschung angesprochen: Auch wenn diese nicht bestreitet, dass bestimmte Stereotype und Vorurteile gesellschaftlich weit verbreitet sind, kann sie für dieses Phänomen keine Erklärung bereitstellen und verhandelt die soziale Dimension von Vorurteilen faktisch als Akkumulation individueller Vorurteile. Tajfel sieht ein Defizit der bisherigen sozialpsychologischen Forschung entsprechend darin, dass sie es weitgehend versäumt habe, „Bindeglieder zwischen den kollektiven und individuellen Funktionen“ (s. Tajfel 1982: 58) von Stereotypen herzustellen. Von dieser Annahme ausgehend, richtet sich der Fokus auf die soziale Gruppe als Bezugseinheit, da von ihr angenommen wird, dass sie eine der zentralen Instanzen ist, in der diese Wechselwirkungsbeziehungen zum Tragen kommen. Der Kategorie ‚Gruppe‘ wird also eine Art Scharnierfunktion zwischen der individuellen und der sozialen Dimension der Stereotypenbildung zugesprochen. Im Unterschied zu Ansätzen der Vorurteilsforschung, in denen die Gruppe insofern eine zentrale Rolle spielt, als dort Vorurteile als negativ bewertende Einstellungen gegenüber Gruppen bzw. gegenüber Individuen als Mitglieder von Gruppen definiert werden (s. o.), wird die soziale Gruppe bei Tajfel nicht nur als Vorurteilsobjekt, sondern auch auf der ‚Subjektseite‘ als vorurteilsgeneriende Instanz relevant. Diese Überlegung wird
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in ein Forschungsprogramm übersetzt, das Intergruppenbeziehungen untersucht und dadurch die soziale Dimension von Stereotypen zu erfassen beabsichtigt. In Abgrenzung zum Ansatz des „Intergroup Conflict“ von Muzafer Sherif (s. dazu Sherif u.a. 1954; vgl. Zick 1997: 106ff.)27, in dem einerseits eine „realistic conception of groups and their relations“ (Sherif u.a. 1954: 197) angestrebt, andererseits der Ausgangspunkt und die Entstehungsursache von Gruppenkonflikten wesentlich in einem durch materielle Ressourcenknappheit veranlassten und damit ‚objektiv‘ gegebenen Interessensgegensatz gesehen wird, geht Tajfel davon aus, dass dies keine notwendige Ausgangsbedingung für die Genese von Intergruppenkonflikten darstellt. Demgegenüber versucht Tajfel, die minimalen Bedingungen zu bestimmen, unter denen Individuen auf der Grundlage ihrer angenommenen Gruppenzugehörigkeit bereit sind, Mitglieder der „eigenen“ Gruppe gegenüber Mitgliedern der „fremden“ Gruppe zu privilegieren. Die zahlreichen Experimente, die Tajfel und seine Mitarbeiter (s. Tajfel 1982: 118ff.) zur Ermittlung des „minimal group paradigm“ durchführten, zeigten auf, dass es genügte, den Versuchspersonen die Idee glaubhaft zu vermitteln, sie gehörten einer bestimmten Gruppe an, um Mitglieder der ‚anderen Gruppe‘ gegenüber Mitgliedern der ‚eigenen Gruppe‘ zu diskriminieren. Es war weder notwendig, zwischen den ‚Gruppen‘ einen Wettbewerb durch einen extern eingeführten Interessenkonflikt zu initiieren, noch eine Situation herzustellen, in der die Versuchspersonen ein Eigeninteresse mit der differenzierenden Behandlung hätten verfolgen können. Es war und das ist vielleicht die Pointe der Tajfelschen Experimente - noch nicht einmal notwendig, die Versuchspersonen überhaupt jemals als unmittelbar interagierende Gruppe zusammentreffen zu lassen. Im Unterschied zu den Sherif-Experimenten, für die eine reale Gruppenbildung und ein realer Interessenkonflikt die Möglichkeitsbedingungen von Diskriminierungen darstellen (s. Sherif u.a. 1954), bestand die zentrale Erkenntnis aus Tajfels Experimenten darin, dass die erfolgreiche Suggestion, einer Gruppe anzugehören, bereits ausreichte, um die Versuchspersonen zu einer für die eigenen Handlungen folgenreichen Unterscheidung in Fremd- und Eigengruppe zu motivieren. In mehreren Versuchsreihen konnten Tajfel und seine Mitarbeiter zeigen, dass die Diskriminierungsbereitschaft gegenüber der als fremd wahrgenommenen Gruppe wesentlich davon abhing, ob die soziale Kategorisierung ‚Gruppe‘
27 Die von Muzafer Sherif et. al. durchgeführten Ferienlagerexperimente, in denen sich bis dahin unbekannte 10-12 jährige Jungen in zwei Gruppen eingeteilt und diese einer Wettbewerbssituation untereinander ausgesetzt werden, stellen den historisch ältesten Ansatz dar, Vorurteile als Folge von Gruppenkonflikten zu interpretieren (s. Sherif u.a. 1954: 7ff.).
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in den Versuchsreihen von den Forschern überhaupt explizit als Unterscheidungskriterium eingeführt und als solche akzeptiert wurde.28 Tajfel interpretiert diese Ergebnisse im Kontext seiner Theorie der „sozialen Identität“ (Tajfel 1982: 101ff.; s. auch Tajfel/Turner 1986), in der die Funktion von Gruppenmitgliedschaften für das „Selbstkonzept eines Individuums“ als zentral angesehen wird. Er verfolgt damit nach eigenem Bekunden nicht den Anspruch, eine umfassende Theorie der Konstitutionsbedingungen, Erscheinungsformen und Ausprägungen „sozialer Identität“ zu formulieren, sondern verwendet den Begriff „soziale Identität“ als „ein Kürzel, um begrenzte Aspekte des Selbstkonzepts, die für bestimmte begrenzte Aspekte des sozialen Verhaltens relevant sind, zu beschreiben“ (Tajfel 1982: 103). Mit dem Postulat, „dass ein Individuum, zumindest in unserer Gesellschaftsform, nach einem zufriedenstellenden Selbstkonzept oder Selbstbild strebt“ (Tajfel 1982: 101), wird im Unterschied zur im Vorangegangenen diskutierten Einstellungsforschung die gesellschaftsbezogene Relativität des individuellen Selbstverhältnisses und damit die konstitutive Rückbindung ‚individuell‘ abrufbarer Einstellungs- und Vorurteilsmuster an soziale Möglichkeitsbedingungen als Referenzpunkt markiert. Tajfel bietet somit ein Interpretationsangebot, das den sozialisatorischen und identifikatorischen Erwerb relevanter Unterscheidungskategorien (Stereotypisierungen), Einstellungen und Vorurteile in die Theoretisierung diskriminierender Denk- und Handlungsformen integriert. Im Vordergrund steht dabei der durch Gruppenbildungen, Gruppenidentifikationen und -abgrenzungen vollzogene Prozess sozialer Kategorisierung, dem er zentrale Bedeutung für einen Teilaspekt der Konstitution „sozialer Identität“ und der Konsolidierung eines positiven Selbstwertgefühls zuschreibt. Dieser 28 Tajfel und Mitarbeiter führten zahlreiche, unterschiedlich angelegte Versuchsreihen durch. Der Anschaulichkeit halber sei hier eine Versuchsreihe näher beschrieben, im Rahmen derer Einteilungen in Gruppen entweder nach belanglosen Präferenzen (etwa auf der Grundlage der Vorliebe für die Bilder zweier unterschiedlicher Maler) oder aber nach gänzlich zufälligen Kriterien vorgenommen wurden. Die Einteilung wurde anonymisiert, niemand wusste, welcher Gruppe andere Versuchspersonen angehörten. Dann wurden die Versuchspersonen dazu aufgefordert, einen verfügbaren Geldbetrag an zwei ihnen unbekannte Personen (auf der Grundlage von Kode-Nummern) zu verteilen, von denen sie nur wussten, dass die eine Person der „eigenen“, die andere Person der „fremden“ Gruppe zugehörten. Eine signifikante Benachteiligung der Personen der „fremden“ Gruppe war sowohl im Fall der anhand relativ belangloser Kriterien als auch anhand der ganz zufälligen Kriterien eingeteilten Gruppen jeweils dann zu beobachten, wenn betont wurde, dass die Personen jeweils einer „Gruppe“ zugehörten. In dem Fall, wo nicht die Gruppenmitgliedschaft, sondern nur die jeweilige Präferenz für einen der beiden Maler genannt wurde, gab es keine signifikante Bevorzugung derjenigen Personen, die die eigene Vorliebe für einen bestimmten Maler teilten. Tajfel und Mitarbeiter zogen daraus die Schlussfolgerung, dass die differenzierende Behandlung von Personen auf der Grundlage der Unterscheidung von Eigen- und Fremdgruppe nicht in Abhängigkeit von tatsächlich vorhandenen Ähnlichkeiten/Gemeinsamkeiten erfolgt, sondern davon, ob der soziale Kategorisierungsprozess als „Gruppe“ zum Tragen kommt (s. Tajfel 1982: 118ff.).
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Prozess erfolgt wesentlich auf der Grundlage der Operation des „sozialen Vergleichs“, da die „Charakteristika der eigenen Gruppe“ den „Großteil ihrer Bedeutungen erst in Relation zu wahrgenommenen Unterschieden zu anderen Gruppen und zu den Wertkonnotationen dieser Unterschiede“ erhalten (Tajfel 1982: 106). Tajfel legt dabei keine vortheoretische Annahme real existierender Gruppen, sondern ein differenziertes Verständnis von Gruppenbildungen zugrunde, das den sozialen Kategorisierungsprozess in den Vordergrund stellt, aufgrund dessen Gruppen erst durch soziale Differenzierungsprozesse zu Gruppen werden und durch den, wie er in Anschluss an Berger und Luckmann formuliert, eine „Erkennung der Identität in sozial definierten Begriffen“ vollzogen wird (Tajfel 1982: 103). Dem trägt Tajfel auch begrifflich Rechnung, indem er zwischen dem Begriff der Gruppe als „kognitive[r] Entität, die für das Individuum zu einem bestimmten Zeitpunkt von Bedeutung ist“ und dem Begriff der ‚realen‘ Gruppe als „face-to-face-relationship“ unterscheidet (Tajfel 1982: 101). Damit liegt bei Tajfel eine Unterscheidung zwischen ‚imaginären‘ Gruppen und solchen Gruppen vor, die auf konkreten Interaktionsbeziehungen basieren. Analog zum Begriff der Gruppe legt Tajfel auch dem Begriff der Identität ein dezidiert nicht-essentialistisches Verständnis zugrunde. Widersprochen wird damit der Vorstellung, dass „Individuen oder Gruppen stabile Gruppenidentifikationen ‚besitzen‘ oder dass sich die kognitiven, evaluativen und emotionalen Komponenten dieser subjektiven Mitgliedschaft unterschiedslos im Verhalten in allen oder den meisten sozialen Situationen ausdrücken“ (Tajfel 1982: 82).29 Diese explizite Anbindung von Identität an situative soziale Kontexte führt Tajfel zu einer Spezifizierung der Bedingungen, unter denen „Gruppenmitgliedschaften“ subjektiv als bedeutsam wahrgenommen werden: Diese hängen erstens vom Grad des Bewusstseins ab, tatsächlich einer Gruppe anzugehören, zweitens von dem Ausmaß der Positiv- und Negativ-Bewertung dieser Mitgliedschaft und drittens von der Intensität der emotionalen Rückbindung von Bewusstsein und Bewertung der Gruppenmitgliedschaft (s. Tajfel 1982: 82). Die in Tajfels Ansatz angestrebte theoretische Verbindung von kognitiven Prozessen der Strukturierung der sozialen Umwelt auf der Grundlage von Kategorisierungen einerseits, mit der Konstitution von sozialer Identität über Gruppenidentifikationsprozesse andererseits, stellt einen originären Versuch dar, die Stereotypenforschung sozialtheoretisch zu fundieren. Tajfel zufolge erschließt sich die individuelle Selbstdefinition als Mitglied einer imaginären bzw. abs29
Diese Fassung von sozialer Identität weist Übereinstimmungen zu Ansätzen „sozialer Identität“ auf, wie sie in der sozialwissenschaftlichen Fachdiskussion formuliert werden (s. dazu Scherr 1995: 30ff.). Allerdings wird dort in Anlehnung an Goffmans Konzept der „sozialen Identität“ nicht nur deren Funktion und Bedeutung für das Individuum akzentuiert, sondern vielmehr auch der selektive Zuschreibungsprozess von „Eigenschaften, Fähigkeiten usw., die für eine sozial definierte Personengruppe als charakteristisch gelten“, in den Blick genommen.
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trakten Gruppe (im Sinne einer Vorstellungseinheit) entlang stereotypisierender Unterscheidungspraktiken. Die Fokussierung des Forschungsinteresses auf das minmal-group-paradigm bedingt jedoch, dass in den von Tajfel unterschiedenen Formen der Gruppenbildung - ‚face-to-face-relationships‘ und ‚kognitive Entitäten‘ - derselbe Konstitutionsprozess angenommen wird. Tajfels Experimente lassen vor diesem Hintergrund die Interpretation zu, dass Gruppenbildungsprozesse bzw. der Aufbau „sozialer Identität“ zwar auf stereotypisierenden Differenzierungspraktiken basieren; diese operieren jedoch ihrer Logik nach inhaltsunspezifisch: Der experimentell zu beobachtende Effekt, dass die Probanden bereitwillig eine ‚soziale Identität‘ annahmen, die auf abstrakten Unterscheidungsmerkmalen basierte, verweist auf das Vorliegen eines psychischen Strukturmusters, das diese Differenzierungs- und Identifizierungsoperationen auch anhand der während des Laborversuchs induzierten Kategorien vornimmt. Diese psychischen Strukturmuster werden von Tajfel jedoch als Sozialisationseffekte, d.h. als intrapsychisch wirksame, aber als sozial erworbene, beschrieben. So argumentiert Tajfel, dass „[d]er Erwerb der Vorstellung von einem Wertunterschied zwischen der eigenen Gruppe (oder den eigenen Gruppen) und anderen Gruppen [...] ein integraler Bestandteil des allgemeinen Sozialisierungsprozesses“ sei (Tajfel 1982: 102). Durch das experimentelle Design der Tajfelschen Untersuchungen sind der Beobachtung und Analyse der soziohistorisch spezifischen Bedingungen, unter denen der Erwerb stereotypisierender Werturteile und damit der Aufbau sozialer Identität stattfinden, jedoch Grenzen gesetzt. Mit anderen Worten kann das Ergebnis, dass stereotypisierende Differenzierungsleistungen nicht an ‚reale‘ Inhalte gebunden sind, nicht zuletzt dem psychologisch-experimentellen Versuchsaufbau zugerechnet werden. Die Entkoppelung von psychischem Prozess und Inhalt wäre damit ein experimenteller Effekt, der ausschließlich Rückschlüsse darauf zulässt, dass es sich im Fall der Bildung von sozialer Identität um ein generalisiertes psychisches Muster handelt, nicht aber dazu geeignet ist, Aussagen über dessen Konstitutionsbedingungen zu machen. Tajfels Auffassung, dass der im Experiment beobachtbare Effekt der Gruppenidentifikation auf der Grundlage minimaler Bedingungen auf das Streben nach einem „zufriedenstellenden Selbstkonzept oder Selbstbild“ zurückgeführt werden kann, legt dabei jedoch aufgrund seines Hinweises auf die Abhängigkeit von der „Gesellschaftsform“ nahe, dass das psychische Muster der Gruppenidentifikation an spezifische soziohistorische Figurationen und damit an bestimmbare soziale Strukturbedingungen und Ordnungsvorstellungen bzw. ‚Ideologien‘ rückgebunden ist. Zu berücksichtigen ist zudem, dass in Hinblick auf sozialstrukturell relevante Gruppenzuordnungen Prozesse der Bewertung und des „sozialen Vergleichs“ durchaus konstitutiv sind. Diese werden aber nicht nachträglich vollzogen, sondern sind bereits Bestandteil des Kategorisierungsprozesses. Eine angemessene Betrachtung der im vorliegenden Kontext vor allem interessierenden,
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mit der sozio-historischen Genese von Minderheiten und Mehrheiten verbundenen Prozesse der Bewertung, Aufwertung und Abwertung hat dabei zu berücksichtigen, dass es sich um asymmetrisch gefasste, in Prozesse der sozialen Ordnungsbildung eingelassene Unterscheidungen handelt, in denen eine Hierarchie zwischen den beiden Seiten der getroffenen Unterscheidung festgelegt wird (s. dazu auch Kapitel 3). Der „Erwerb“ solcher Bewertungsoperationen wäre also systematisch in Hinblick auf die sozialstrukturelle und diskursive Situierung von Gruppenbeziehungen herauszuarbeiten und nicht einem als universell zu verstehenden Sozialisationsprozess zuzuschreiben. Dass Aussagen über das Verhältnis von Mehrheiten und Minderheiten und darauf bezogene Prozesse der Gruppenidentifikation und -abgrenzung nicht unabhängig von der Analyse der konkreten gesellschaftlichen Bedingungen getroffen werden können, ist Tajfel durchaus bewusst. So widmet er der „Sozialpsychologie von Minoritäten“ ein eigenständiges Kapitel (s. Tajfel 1982: 143ff.) und versucht, seine Ergebnisse auf die Situation von Minderheiten zu übertragen. Dort finden sich nicht nur differenzierende Unterscheidungen zwischen unterschiedlichen sozialen Minoritäten und die Betonung der Wirksamkeit von gesellschaftlich verbreiteten Vorurteilen und Deutungsmustern, sondern Tajfel weist u.a. auch auf das Phänomen hin, dass einflussreiche Minderwertigkeitsideologien potentiell in das Selbstkonzept von Minderheiten integriert werden (s. Tajfel 1982: 161). Im Unterschied zum in der Vorurteilsforschung weit verbreiteten unhinterfragten Umgang mit der Kategorie der ‚ethnischen Minderheit‘ beschreibt Tajfel durchaus auch den Konstruktcharakter von Ethnizität und die Konstitution von „ethnischen Minoritäten“ durch Prozesse der Selbst- und Fremdethnisierung, bzw. durch Praktiken der Erfindung einer gemeinsamen Geschichte, Abstammung und Tradition:30 „Dadurch, dass eigene Symbole, kulturelle Traditionen, Arten des Sozialverhaltens, die durch eine tatsächliche oder mythische Vergangenheit überhöht werden, und neue Stereotype, die Unterschiede zwischen der ‚Eigengruppe‘ und den ‚Fremdgruppen‘ betonen, geschaffen oder wiederbelebt werden, kann sich die verstärkte eigenständige Identität der Gruppe stark in den Gefühlen und Einstellungen ihrer Mitglieder reflektieren.“ (Tajfel 1982: 181)
Für die hier ausgeführten Überlegungen kann Tajfel zwar auf seine in den experimentellen Studien erzielten Ergebnisse zurückgreifen, er kann sie jedoch nicht darauf zurückführen oder gar daraus ableiten. Denn es muss - wie bereits ausgeführt - als problematisch erachtet werden, den im Experiment beobachteten Gruppeneffekt als paradigmatischen Fall zu setzen und auf konfliktförmige soziale Differenzierungsprozesse oder auf die Reproduktion sozialer Ungleichheitsverhältnisse zu übertragen. Denn letztere sind im Unterschied zu den im 30
In Tajfels Ausführungen stehen allerdings mit dem Fokus auf die „Sozialpsychologie von Minoritäten“ Prozesse der Selbstethnisierung im Vordergrund.
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Experiment entstehenden Gruppenkonstruktionen nicht unabhängig von ihren historischen Ausgangsbedingungen beschreibbar, die ihrerseits aus sozialstrukturellen Asymmetrien resultieren. Tajfels forschungsstrategisch gewählte Fokussierung des minimal-group-paradigm und die auf Grundlage dieses Paradigmas erzielten Forschungsergebnisse bedürfen somit einer sozialwissenschaftlichen Re-Kontextualisierung; eine unmittelbare sozialwissenschaftliche Adaption seiner gruppenpsychologischen Forschungsergebnisse31 ist hingegen nicht möglich. Tajfel bietet jedoch insofern einen aus sozialwissenschaftlicher Perspektive anschlussfähigen Ansatz, als er die Verbindung zwischen sozialpsychologischer Vorurteilsforschung und einer Analyse der sozialen Verankerung von Vorurteilen und Stereotypen auf der Ebene wissenssoziologischer bzw. sozialkonstruktivistischer Fragestellungen sucht. Insbesondere die Zurückweisung essentialistischer Gruppenvorstellungen eröffnet die Möglichkeit, die soziale Konstituierung gruppenbezogener psychischer und sozialer Ordnungsmuster als interdependente Prozesse zu analysieren. Im Gegensatz zu Ansätzen der Einstellungsforschung beschränken sich Tajfels Arbeiten keineswegs auf eine empiriebasierte definitorische und taxonomische Systematisierung von Vorurteilen und deren Zuordnung zu Einstellungskomplexen; im Vordergrund steht vielmehr die Frage, in welchen sozialen Konstellationen Stereotypisierungen, Vorurteile und Diskriminierungen relevant werden. So formuliert er: „In dem hier von uns postulierten Rahmen stellen Vorurteile und Diskriminierung vielmehr Symptome bestimmter sozialpsychologischer Strukturen der Intergruppenbeziehungen dar und nicht Ursachen des Intergruppenverhaltens, die zudem häufig als von bestimmten kognitiven und affektiven Prozessen abgeleitet und größtenteils von ihrem sozialen Kontext unabhängig verstanden werden.“ (Tajfel 1982: 99)
Im Anschluss an diese Überlegungen lässt sich eine erkenntnisleitende Erweiterung und Umkehrung der klassischen Fragestellung, wie individuelle Vorurteile zu diskriminierendem Verhalten führen, dahingehend vornehmen, ob und inwieweit Praktiken der Diskriminierung konstitutiv dazu beitragen, Stereotype und Vorurteile als sozial verfügbare Deutungsmuster zu (re)produzieren.32 Auf 31 Als problematisch muss diesbezüglich auch gelten, dass in der Rezeption der Tajfelschen Arbeiten seine Ausführungen zu Minoritäten und Majoritäten weitgehend unberücksichtigt bleiben und sich Darstellungen auf die experimentellen Versuchsreihen beschränken (s. etwa die Darstellung bei Güttler 2000: 147ff.). Zudem wird dort die von Tajfel getroffene Unterscheidung zwischen Gruppen als „kognitiven Entitäten“ und realen Gruppen ignoriert. 32 Ansatzweise finden sich bei Tajfel solche Überlegungen im Kapitel „Die ‚Ideologisierung‘ kollektiver Handlungen“: Dort erläutert er am Beispiel der Hexenverfolgungen der frühen Neuzeit den engen Zusammenhang zwischen „kollektivem Handeln“ und der „Funktionsweise sozialer Stereotype“. Die politisch und juristisch verfügte Praxis der Hexenverfolgung war nicht nur ein in den Einstellungen der Bevölkerung abgestütztes Phänomen, sondern sie hat auch zu einer über die eigentliche historische Epoche der Hexenverfolgung hinausgehenden Veränderung der Einstellungen innerhalb der Bevölkerung geführt (s. Tajfel 1982: 53f.).
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Diskriminierung in der sozialpsychologischen Vorurteilsforschung
dieser Grundlage kann das Verhältnis von Diskriminierungen und Vorurteilen dann als ein nicht-kausaler, historischer Zusammenhang analysiert werden, der daraufhin zu untersuchen wäre, ob und inwiefern Vorurteile und Stereotypen durch Praktiken der Diskriminierung erstens sozial mit hervorgebracht werden, inwiefern diese Vorurteile und Stereotypen zweitens zur Institutionalisierung diskriminierender (Handlungs-)Strukturen beitragen und inwiefern sie drittens zur Sinngebung und Legitimation von Diskriminierungen herangezogen werden. Die umfassende Mit-Beobachtung der gesellschaftlichen Kontextbedingungen kann jedoch im Rahmen einer experimentellen Untersuchung von Intergruppenbeziehungen nicht geleistet werden. 1.3 Vorurteile, Diskriminierung und Rassismus im gesellschaftlichen Kontext Vor dem Hintergrund der dargestellten Problematiken, die sich in Hinblick auf die individualpsychologische und forschungsmethodologische Engführung der Einstellungs- und Vorurteilsforschung sowie die Einschränkungen der Analyseperspektive in der Intergruppenforschung Tajfels beschreiben lassen, rücken im Folgenden Ansätze der us-amerikanischen Vorurteilsforschung in den Blick, die im Unterschied zur klassischen Einstellungsforschung den Anspruch erheben, gesellschaftliche Kontexte und Entstehungsbedingungen von Vorurteilen systematisch zu integrieren (s. etwa Pettigrew 1982; Pettigrew/Meertens 1995; Dovidio/Gaertner 1986 und 2000). Vorurteile werden dabei in Hinblick auf ihre Einbettung in sozial manifeste Ungleichheitsstrukturen zwischen Gruppen untersucht: “Prejudice does not operate in a social and institutional vacuum; it requires a contaminated environment of ingroup privilege and outgroup exclusion.“ (Pettigrew 1982: 5)
Charakteristisch für diese Forschungsrichtung ist dabei die Referenz auf rassistische Vorurteilsbildungen, die im Zusammenhang bestehender Macht- und Herrschaftsverhältnissen betrachtet werden. In Anschluss an rassismustheoretische Debatten exponieren John F. Dovidio und Samuel L. Gaertner (1986) eine Problematik, die Gunnar Myrdal bereits 1944 als „American Dilemma“ bezeichnet hat. Myrdals materialreiche Studie beschreibt die umfassende ökonomische, rechtliche, politische Benachteiligung und soziale Segregation der „schwarzen“ Bevölkerung innerhalb der damaligen us-amerikanischen Gesellschaft. Rassistische Vorurteile und Diskriminierungen werden bei Myrdal nicht ausschließlich als individuelle Einstellungen bzw. Handlungen und als Ausnahmephänomen gefasst, sondern in Hinblick auf ihre gesellschaftsstrukturelle Verankerung thematisiert. Das American Dilemma be-
Vorurteile, Diskriminierung und Rassismus im gesellschaftlichen Kontext
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schreibt nach Myrdal einen fundamentalen Widerspruch zwischen gesellschaftsweit verbreiteten rassistischen Ideologien, Vorurteilen und Diskriminierungspraktiken auf der einen und den in der Verfassung kodifizierten und im amerikanischen Gesellschaftsverständnis, dem „american creed“ verankerten, mit Strukturen der Benachteiligung inkompatiblen, Gleichheits- und Freiheitsidealen auf der anderen Seite (s. Myrdal/Sterner 1962). Dovidio und Gaertner gehen davon aus, dass die Diagnose des American Dilemma auch noch vier Jahrzehnte später Gültigkeit beanspruchen kann, da rassistische Vorurteilen und Diskriminierungen anhaltend ein zentrales gesellschaftliches Problem darstellen: „Although the United States is currently more conscious of racial issues and more committed to racial equality, we are still a nation struggling with the American dilemma. Prejudice, discrimination, and racism exist despite personal, social and political pressures to eradicate them“ (Dovidio/Gaertner 1986: 2).
Den beiden Autoren zufolge haben die zunehmende gesellschaftliche Sensibilisierung für die Problematik von Vorurteilen und Diskriminierungen und die auf unterschiedlichen Ebenen ansetzenden Überwindungsbemühungen zwar durchaus zu einem Mentalitätswandel und zu Einstellungsveränderungen, nicht aber zu einer Überwindung von Rassismus, Vorurteilen und Diskriminierungen innerhalb der us-amerikanischen Gesellschaft beigetragen. Sie gehen vielmehr von einem lediglich veränderten Umgang mit dem so bezeichneten Dilemma aus: Durch die Zunahme von eher indirekten Formen des Rassismus (s. Gaertner/Dovidio 1986: 61) könne keine quantitative Verringerung von Vorurteilen und Diskriminierung, sondern ‚nur‘ eine qualitative Veränderung gegenüber den älteren Formen konstatiert werden (s. Dovidio/Gaertner 1986: 2). Damit stellen sie zugleich die Aussagekraft zahlreicher Einstellungsuntersuchungen in Frage, die aufzeigen, dass die „weiße“ amerikanische Bevölkerung im Laufe der letzten Jahrzehnte zunehmend liberaler und egalitärer in ihren Einstellungen gegenüber „Schwarzen“ geworden sei: „These changes in attitude may be more superficial than real“ (Dovidio/Gaertner 1986: 8).33 Diese These begründen sie zum einen mit gängigen methodischen Einwänden wie etwa dem Hinweis auf die Problematik, dass die Validität von Einstellungserhebungen aufgrund der gerade bei dieser Thematik hoch bedeutsamen Tendenz zu sozial erwünschten Antworten nicht gewährleistet sei. Zum anderen formulieren sie die Hypothese, dass viele Menschen, die ihrem Selbstbild nach auf eine liberale und egalitäre Grundhaltung verpflichtet sind, sich nicht darüber bewusst sind, in welcher Weise und in welchem Ausmaß sie rassistische Vorurteile haben.
33
Entsprechend skeptisch formuliert diesbezüglich Pettigrew (1982: 27): „But can survey data, in an age of aversive racism, reflect ‚real‘ change?”
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Diskriminierung in der sozialpsychologischen Vorurteilsforschung
Dovidio und Gaertner stellen dem kritisierten Postulat einer Abschwächung rassistischer Vorurteile innerhalb der us-amerikanischen Gesellschaft eine sozioökonomisch ansetzende Strukturanalyse der nach wie vor extrem ungleichen Verteilung von Einkommen, Bildung, beruflichen und sozialen Positionen zwischen ‚Schwarzen‘ und ‚Weißen‘ gegenüber. Sie ziehen daraus die Schlussfolgerung, dass dieser Widerspruch zwischen der vermeintlichen Zunahme egalitärer Einstellungen und einer durch ungleiche Lebensbedingungen geprägten sozialen Realität Konsequenzen haben muss für die Theoretisierung von Vorurteilen, Diskriminierung und Rassismus: „Given the trends in racial attitudes and the data on the quality of life, theoretical questions arise about the nature of prejudice, discrimination, and racism“ (Dovidio/Gaertner 1986: 12).
Von der Annahme ausgehend, dass rassistische Überzeugungen unter weißen Amerikanern entgegen der gängigen Ergebnisse der Einstellungsforschung verbreitet sind, konstruieren sie auf der Grundlage eigener Untersuchungen u.a. den Typus des weißen, liberalen Amerikaners mit starken egalitären Idealen, bei dem rassistische Vorurteile und diskriminierendes Verhalten in explizitem Widerspruch zum eigenen Selbstverständnis stehen. Die für diesen Typus ihres Erachtens kennzeichnende Form des Rassismus beschreiben sie als einen „aversive racism“, eine modernisierte Form des Rassismus, der sich vom traditionellen „dominative racism“ systematisch unterscheiden lässt (s. Gaertner/Dovidio 1986: 61f.). Für diesen aversive racism ist kennzeichnend, dass tradierte Ideologien und gegenwärtige rassistische Verhältnisse den Hintergrund „kognitiver Verzerrungen“ und einer Antipathie gegenüber “Schwarzen” und “anderen Minderheiten” bilden, wobei diese Hintergründe in der Regel unbewusst bleiben und die Antipathie sich mit einer Zurückweisung expliziter Vorurteile verbindet: „The aversive racism perspective assumes that cognitive biases in information processing and the historically racist culture of the United States lead most white Americans to develop beliefs and feelings that result in antipathy toward blacks and other minorities“ (Gaertner/Dovidio 1986: 62f.).
Das Konzept des aversive racism verknüpft somit solche Ansätze der Vorurteils- bzw. Stereotypenforschung, die ihren Fokus auf die kognitiven sowie emotionalen Verarbeitungsprozesse und Wirkungsweisen von Kategorisierungen richten, mit einer Perspektive, die die sozio-historischen bzw. soziokulturellen Bedingungen der Genese und die Tradierung von Vorurteilen und rassistischen Ideologien berücksichtigt. Dovidio und Gaertners Unterscheidung zwischen einem traditionellen dominative racism und einem modernen aversive racism stimmt teilweise mit der bei Thomas F. Pettigrew und Roal W. Meertens vorgenommenen Differenzierung zwischen traditionellen, offenen, direkten („blatant“) und modernen subti-
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len, indirekten („subtle“) Formen von Vorurteilen überein. Beide Formen führen nach Pettigrew und Meertens zu unterschiedlichen ideologischen Argumentationsmustern, die Diskriminierungspraktiken rechtfertigen: „[P]rejudiced attitudes tend to form ideological clusters of beliefs that justify discrimination. What we shall label blatant and subtle prejudice are two contrasting expressions of this central phenomenon. Blatant prejudice is hot, close and direct. Subtle prejudice is cool, distant and indirect.” (Pettigrew/Meertens 1995: 58)
Stellt man diese Legitimationsfunktion von Vorurteilen gegenüber Diskriminierungen in den Vordergrund, hat dies insofern weitreichende Konsequenzen, als sich die in der Vorurteilsforschung und auch in der Pädagogik im Zentrum stehende Frage, inwiefern die Bearbeitung von Vorurteilen einen Beitrag zur Überwindung diskriminierender Praktiken leisten kann, geradezu umkehrt. Diskriminierende Praktiken erzeugen so betrachtet einen Bedarf an Vorurteilen. Entsprechend argumentiert Pettigrew, dass der historisch beobachtbare Prozess konträr zu der in der Vorurteilsforschung vorherrschenden Perspektive verläuft: „It is commonly held that attitudes must change before behavior; yet social psychological research points conclusively to the opposite order of events as more common. Behavior changes first, because of new laws or other interventions; individuals then modify their ideas to fit their new acts.“ (Pettigrew 1982: 29)
Auch wenn hier das Interventionspotential rechtlicher Regelungen gegenüber eigensinnigen sozialen Prozessen tendenziell überschätzt wird, ist damit der Erkenntnis Rechnung getragen, dass rassistische Ideologien nicht die Ursache rassistischer Diskriminierung, sondern ein Element der rassistischen Gruppenkonstruktion sowie der Legitimierung und sekundären Rationalisierung diskriminierender Praktiken sind. Vor diesem Hintergrund ließe sich der moderne subtle racism als eine gegenüber historisch vorgängigen Formen veränderte, modernen Verhältnissen angepasste Rechtfertigungsideologie kennzeichnen. Subtile Vorurteile lassen sich Pettigrew und Meertens zufolge durch drei Merkmale von traditionellen offenen Vorurteilen abgrenzen: x x
Während in traditionellen Vorurteilen die Figur der biologischen Ungleichwertigkeit bemüht wird, beziehen sich die subtileren Vorurteile erstens auf Annahmen über kulturelle Differenzen. Zweitens ist für subtile Vorurteilsstrukturen die verdeckte Verteidigung traditioneller Werte im Sinne eines durch konservative Ideologien abgesicherten Konventionalismus sowie
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x
drittens die Verneinung positiver Gefühle gegenüber der „Outgroup“ (s. Pettigrew/Meertens 1995: 58ff.) kennzeichnend.34
Die Differenzierung von biologistischen und kulturalistischen Begründungen bzw. Ausprägungen von Vorurteilen weist Übereinstimmungen auf zu dem in der sozialwissenschaftlichen rassismustheoretischen Diskussion beschriebenen Wandel des ideologischen Repertoires von traditionellen Formen des biologischen Rassismus bis hin zu moderneren Formen des Kulturrassismus bzw. eines „Rassismus ohne Rassen“ (s. Balibar 1992a: 28) oder „differentialistischen Rassismus“ (s. Taguieff 1991: 227). Demgegenüber ist jedoch das von Pettigrew und Meertens genannte Charakteristikum der „Verneinung positiver Gefühle gegenüber der Outgroup“ als Indikator für indirekte Vorurteile theoretisch fragwürdig. Denn erstens bleibt dabei der Prozess der Kategorisierung der Outgroup im Sinne der oben beschriebenen sozialkonstruktivistisch orientierten Ansätze in problematischer Weise unthematisiert und zweitens wird unterstellt, dass nur dann von einer rassistischen Haltung gesprochen werden kann, wenn ‚negative‘ Gefühle gegenüber den Adressaten des Vorurteils formuliert werden. Damit wird weder die Möglichkeit einer Distanzierung gegenüber Gruppenkategorisierungen, noch die Beanspruchung einer nicht-gruppenorientierten sozialen Selbstbeschreibung und Positionierung als möglich und/oder legitim betrachtet.35 Diese Problematik beeinflusst auch den empirischen Forschungsansatz: Wenn etwa in der deutschen Version der von Pettigrew und Meertens zur Erfassung von rassistischen Einstellungen entwickelten Blatant- and SubtlePrejudice-Skala36 die beiden Fragen formuliert werden „Wie oft haben Sie Sympathie für die hier lebenden Türken empfunden?“ und ergänzend „Und wie oft Bewunderung?“ (s. Zick 1997: 164), dann wird mit der Fragestellung die Konstruktion „der Türken“ als homogene Gruppe vorgegeben und davon abstrahiert, dass mit dieser Kategorisierung bereits eine Sichtweise suggeriert wird, 34
Dies meinen Pettigrew und Meertens auf der Grundlage zahlreicher empirischer Studien, die Einstellungen anhand der von ihnen entwickelten Blatant- and Subtle-Prejudice Skala ermitteln, nachweisen zu können. 35 Hier sind grundlegende Probleme der Einstellungsforschung angesprochen: Da diese auf die Erhebung der affektiven Dimension der Bewertung und Wertschätzung ausgerichtet ist, gelten „neutrale“ oder ambivalente Einstellungen als noch nicht festgelegte Einstellungen, „eine Ambivalenz des Wahrnehmungsgegenstandes nimmt sie nicht an“ (Berger 1974: 131) und es wird auch nicht berücksichtigt, dass „die Untersuchungsfragen erst einen bestimmten Fragegegenstand konstruieren und dadurch auf die untersuchten Subjekte den normativen Zwang ausüben, eine Auffassung gegenüber dieser Fiktion kundzutun“ (Berger 1974: 312). 36 Die Skalen von Pettigrew und Meertens sind im Rahmen einer Eurobarometer-Erhebung entwickelt worden und sind in veränderter Form als Erhebungsinstrument einer Teilstudie innerhalb des Eurobarometers 30 zum Tragen gekommen (s Zick 1997: 238ff.).
Vorurteile, Diskriminierung und Rassismus im gesellschaftlichen Kontext
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auf deren Grundlage Menschen nicht als besonderen Individuen, sondern als Angehörigen einer Gruppe Sympathie oder Bewunderung entgegengebracht wird. Letztlich wird damit ein Forschungsartefakt erzeugt, der vor dem Hintergrund der Forschungen Tajfels als eine iteminduzierte Evokation von Differenzierungs- und Stereotypisierungsoperationen beschrieben werden kann und letztlich sozial etablierte ‚kognitive Einheiten‘ reifiziert. Auch die Bindung des Konzepts der subtilen Vorurteilsstrukturen an eine (wert-)konservative Ideologie und die zur Ermittlung einer solchen Orientierung dienenden Aussagelisten der Skalen sind insofern zu hinterfragen, als diese Indikatoren verwenden, die nur schwer von Indikatoren für offenen Rassismus zu unterscheiden sind. Wenn etwa die Zustimmung zur Aussage „Die hier lebenden Türken sollen sich nicht dort hineindrängen, wo man sie nicht haben will.“ (Zick 1997: 163) als Indikator für ein subtle prejudice gewertet wird, stellt sich die Frage, welchen qualitativen Unterschied diese zur Aussage “Die meisten Türken, die hier staatliche Unterstützung beziehen, können recht gut ohne dieses Geld auskommen, wenn sie nur wollten“ (Zick 1997: 162) der BlatantPrejudice-Skala aufweist. Aufgrund dieser unscharfen Abgrenzung und Operationalisierung ist es folgerichtig, dass Pettigrew und Meertens (1995: 60) eine wenn auch moderate - Korrelation zwischen offenen und verdeckten Formen von Vorurteilen aufweisen können. Denn diese ist in dem Maß ein durch die Erhebung erzeugtes Forschungsartefakt, wie nur undeutlich abzugrenzende Einstellungen in Beziehung zueinander gesetzt werden. Insofern handelt es sich bei der Differenzierung zwischen offenen und subtilen Vorurteilen zwar um eine heuristisch sinnvolle Unterscheidung, die jedoch in den vorliegenden empirischen Studien nicht trennscharf operationalisiert wird. Zu anderen Ergebnissen gelangen demgegenüber Dovidio und Gaertner mit dem Konzept des aversive racism als einer spezifischen Form des subtilen Rassismus. Dieser ist, wie oben bereits erwähnt, durch die strikte Ablehnung von direkten, offenen Vorurteilen gekennzeichnet und gerade nicht an eine konservative Ideologie, sondern an ein liberales Selbstverständnis gebunden. Im Unterschied zu Erklärungsmodellen, die die veränderten und indirekten Formen von Vorurteilen und Rassismus mit der Entwicklung von ambivalenteren, konfligierenden und komplexeren Haltungen von „Weißen“ gegenüber „Schwarzen“ erklären (s. Katz/Katz/Wackenhut/Hass 1986), gehen Dovidio und Gaertner davon aus, dass „aversive racists“ in einer Art und Weise diskriminieren, durch die sie nicht in Widerspruch zu ihrem erklärten Selbstverständnis, frei von rassistischen Vorurteilen zu sein, geraten:
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Diskriminierung in der sozialpsychologischen Vorurteilsforschung
„Thus, aversive racists may regularly engage in discrimination while they maintain a nonprejudiced self-image“ (Dovidio 2001: 835).37
Die von Dovidio und Gaertner in zahlreichen empirischen Untersuchungen (s. u.) aufgezeigten diskriminierenden Praktiken sind dabei nicht an eine intentionale Diskriminierungsbereitschaft gebunden und die im Alltag zum Tragen kommende Haltung ist keine der offenen Feindseligkeit, sondern lässt sich eher als eine der Vermeidung („avoidance“) beschreiben, die weniger offene Diskriminierung als soziale Distanz zum Effekt hat (s. Gaertner/Dovidio 1986: 63). Die Diskriminierungsbereitschaft des aversive racist ist in hohem Maße an den Kontext und die jeweiligen etablierten Normen rückgebunden und tritt vor allem in Situationen auf, die es erlauben, Ungleichbehandlungen mit anderen Faktoren als rassistischen Unterscheidungen zu erklären und zu legitimieren: „[W]hen norms are clear, whites do not exhibit bias against blacks: but when norms are ambiguous or conflicting, whites do discriminate. In addition, even when norms are clear, whites continue, probably unwittingly, to be sensitive to apparently nonracial factors that would allow them to discriminate against blacks but to attribute their behavior to factors other than race” (Dovidio/Gaertner 1986: 20).
In einer 1989 durchgeführten und 1999 replizierten Studie haben Dovidio und Gaertner untersucht, unter welchen Bedingungen „weiße“ Studierende bereit sind, „schwarze“ Kandidaten bei der Bewerbung um eine ausgeschriebene Stelle im Rahmen eines neu eingeführten Programms des „peer counseling“ zu diskriminieren bzw. „weiße“ Kandidaten zu privilegieren. Das Ergebnis dieser Untersuchung lässt sich dahingehend zusammenfassen, dass bei eindeutig hoher oder niedriger Qualifikation der Kandidaten keine signifikante Ungleichbehandlung hinsichtlich der „Einstellungspraxis“ festzustellen war, im Fall einer „mittleren“ Qualifikation, also der Situation eines unklaren Verhältnisses zwischen der Qualifikation des Bewerbers und den nachgefragten Kriterien für die Stellenbesetzung, ließen sich dagegen deutlich diskriminierende „Einstellungspraktiken“ beobachten (s. Dovidio/Gaertner 2000: 315ff. und Dovidio 2001: 836ff.). Diese Ergebnisse konnten Dovidio und Gaertner zehn Jahre später in einer weiteren, vom Design her identischen, Untersuchung bestätigen. Mit einem Unterschied: Die Vorurteile unter Studierenden, zu denen diese vorab befragt wurden, hatten dem allgemeinen Trend der Ergebnisse vorliegender amerikanischer Einstellungsuntersuchungen entsprechend, abgenommen, nicht jedoch die Diskriminierungsbereitschaft. Mit diesen Ergebnissen wird deutlich, dass das Konzept des aversive racism differenzierte, das komplexe Gefüge zwischen Vorurteilen und Diskriminierungspraxis berücksichtigende Forschungsperspektiven eröff37 Hierin liegt ein zentrales Merkmal, das den Ansatz des „aversive racism“ auch vom Modell des „modern racism“ (s. McConahay 1986) unterscheidet, das den Fokus auf Anhänger konservativer Wert- und Moralvorstellungen richtet.
Vorurteile, Diskriminierung und Rassismus im gesellschaftlichen Kontext
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net. Zudem stützen sie die Kritik an der begrenzten Aussagekraft klassischer, aber auch solcher aktuell einflussreicher Einstellungsuntersuchungen, wie sie mit der Blatant-Subtle-Prejudice-Skala von Pettigrew und Meertens vorliegen, die einen direkten Zusammenhang von Vorurteilen und Diskriminierungen unterstellen. Die Frage, ob und in welchem Umfang die Ergebnisse der nicht repräsentativen empirischen Untersuchungen von Dovidio und Gaertner verallgemeinerbar sind, kann hier nicht diskutiert werden. Eine diesbezügliche ausführliche Auseinandersetzung ist auch im vorliegenden Zusammenhang schon deshalb nicht sinnvoll, weil auf der Grundlage dieser Studien ohnehin nur auf den usamerikanischen Kontext beschränkte Aussagen getroffen werden können und deren Übertragbarkeit - wie gezeigt - als problematisch anzusehen ist. Die bei Dovidio und Gaertner vorliegenden Überlegungen sind aber in gesellschaftstheoretischer Hinsicht insofern aufschlussreich, als sie Vorurteile nicht als isolierbare und zu erhebende Einstellungen beschreiben, sondern diese in erster Linie in Zusammenhang mit Praktiken der Diskriminierung thematisieren und damit eine Orientierung anbieten, die es erlaubt, die Frage nach der Relation zwischen Vorurteilen und Diskriminierungen im Kontext soziologischer Fragestellungen zu konturieren. Auch bei Pettigrew und Meertens findet sich eine Umkehrung der in der klassischen Vorurteilsforschung vorherrschenden Thematisierung des Zusammenhangs von Vorurteilen und Diskriminierungen, insofern darauf verwiesen wird, dass Diskriminierungspraktiken vor dem Hintergrund eines demokratischen und liberalen Gesellschaftsverständnisses einen Vorurteilsbedarf erzeugen, der die Legitimationslücke, die dieser Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Realität und gesellschaftlichem Selbstverständnis hervorruft, zu schließen in der Lage ist. Pettigrew legt der Betrachtung dieses Zusammenhangs in Übereinstimmung mit der klassischen Vorurteilsforschung die Unterscheidung von Vorurteilen als Einstellungen und von Diskriminierungen als Verhalten zugrunde, fasst das Zusammentreffen beider Formen jedoch als individuellen Rassismus im Gegensatz zu einem davon zu unterscheidenden institutionellen Rassismus (s. Pettigrew 1975: Vorwort). Mit den vorliegenden Ansätzen werden Vorurteile somit zwar nicht unabhängig von gesellschaftlichen Machtverhältnissen betrachtet; eine theoretisch begründete Fassung unterschiedlicher Rassismen, die diese als je spezifische Ideologien sowie deren Zusammenhang zu Praktiken der Diskriminierung, die wiederum ihrerseits Ideologiebedarf erzeugen, in den Blick nehmen, ist damit jedoch noch nicht gegeben. Ein weiterer Versuch, die Relation zwischen Vorurteil und Diskriminierung nicht einzuengen auf die Frage, wie Vorurteilsbildungen zu konkreten Diskriminierungspraktiken führen, sondern auch zu thematisieren, wie (ggf. auch ohne Vorurteile auskommende) diskriminierende Praktiken zu Vorurteilen führen, liegt bei George Eaton Simpson und J. Milton Yinger (1985: 23) vor. Simp-
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Diskriminierung in der sozialpsychologischen Vorurteilsforschung
son und Yinger fokussieren vor allem die Operation des Unterscheidens als solche: Diskriminierung meint zunächst einmal in einem neutralen Sinn „to draw a distinction“, wobei zu differenzieren ist zwischen jenen Operationen des Unterscheidens, die in Übereinstimmung mit akzeptierten Normen/Standards vollzogen werden und jenen, die diesen widersprechen (Simpson/Yinger 1985: 23). Insofern gerade letzteren ihr Interesse gilt, erscheint die Beschreibung von Diskriminierungen als „drawing an unfair or injurious distinction“ (Simpson/Yinger 1985: 23) folgerichtig. Diese knappe Begriffsbestimmung operiert zwar unausgewiesen mit einem an konventionell gültige Gerechtigkeitsnormen angelehnten Verständnis von Diskriminierung; es ermöglicht Simpson und Yinger jedoch ein Konzept zu entwickeln, in dem Diskriminierung nicht ausschließlich auf Intentionalität basiert und damit das Verhältnis von Vorurteil und Diskriminierung in komplexerer Weise zu fassen, als dies in den meisten sozialpsychologischen Ansätzen der Fall ist. Die Autoren entwickeln auf dieser Grundlage ein an Robert K. Merton (s. Merton 1976/1949: 192ff.)38 anknüpfendes Klassifikationsschema, das fünf mögliche Beziehungen zwischen Vorurteilen und Diskriminierungen vor (Simpson/Yinger 1985: 23): x x x x x
Es gibt Diskriminierung ohne Vorurteile. Es gibt Vorurteile ohne Diskriminierungen. Diskriminierungen können mögliche Ursachen für Vorurteile sein. Vorurteile können mögliche Ursachen von Diskriminierungen sein. Vorurteile und Diskriminierungen können sich wechselseitig verstärken.
Den letzten Fall sehen Simpson und Yinger als den am häufigsten in Erscheinung tretenden an. Mit den im vorgestellten Gliederungsschema angeführten unterschiedlichen Relationen zwischen Vorurteil und Diskriminierung ist von den Autoren eine - allerdings nicht weiter ausgeführte - Analyseperspektive eröffnet, die diese Relationen als komplexes Beziehungsgeflecht zu diskutieren erlaubt. Das von Simpson und Yinger beschriebene Phänomen, dass Diskriminierungen nicht auf Vorurteile verwiesen sind und diese folglich auch nicht hinreichend als absichtsvolles, durch Vorurteile und Feindbilder motiviertes Handeln von Individuen und Gruppen verstanden werden können, ist jedoch vor allem außerhalb der Vorurteilsforschung thematisiert und im Ansatz des institutionellen Rassismus bzw. der institutionellen Diskriminierung ausformuliert worden. Dort wird Diskriminierung als ein Effekt institutionalisierter Praxisformen ver38 Die von Merton vorgenommene Unterscheidung zwischen einem „unprejudiced nondiscriminator“, einem „unprejudiced discrimination“, einem „prejudiced non-discriminator“ und einem „prejudiced discriminator“ wird im Unterschied zur Fassung bei Simpson und Yinger noch als Typologie von einzelnen Personen und nicht im Sinne einer abstrakten Relation gefasst.
Vorurteile, Diskriminierung und Rassismus im gesellschaftlichen Kontext
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standen, die nicht auf individuelle Einstellungen zurückzuführen sind (s. dazu Kapitel 2). Sowohl Pettigrew als auch Dovidio und Gaertner nehmen zwar auf das Konzept des institutionellen Rassismus Bezug und betonen, dass individuelle Rassismen nicht unabhängig von institutionellen Formen des Rassismus zu sehen sind, ohne dabei jedoch eine Spezifikation dieses Zusammenhangs vorzunehmen. So bleibt bei Dovidio und Gaertner die Frage offen, inwiefern beobachtbare Formen von Diskriminierung sich tatsächlich auf unter spezifischen Kontextbedingungen zum Tragen kommende, den Akteuren weitgehend unbewusste rassistische Vorurteile, zurückführen lassen, wie es das Konzept des aversive racism vorsieht, oder ob es sich um Diskriminierungspraktiken handelt, die keiner Vorurteile bedürfen, sondern aus dem Normalvollzug etablierter gesellschaftlicher Erwartungsstrukturen in Organisationen bzw. aus der Reproduktion sozialer Ungleichheitsverhältnisse resultieren. Eine Grundproblematik, die bereits im Zusammenhang mit dem Reifikationsproblem gruppenbezogener Forschungsfragen angesprochen wurde, betrifft jedoch die rassismustheoretisch orientierte Vorurteils- und Diskriminierungstheorie insgesamt: Anders als in den an sozialphänomenologische bzw. wissenssoziologische oder sozialkonstruktivistische Theorielinien anschließenden Ansätzen, etwa bei Tajfel, wird die Präexistenz distinkter sozialer Gruppen entlang der durch die jeweiligen Rassismen hervorgebrachten Kategorien nicht hinterfragt. Zwar wird ein Wandel in den Legitimationsideologien festgestellt, nicht jedoch in Hinblick auf die adressierten Objekte im Sinne sozialer ‚Gruppen‘. Der Status der Kategorien ‚Weiße‘ und ‚Schwarze‘ als sozial hervorgebrachte Unterscheidungen im Verhältnis zu etwaigen ‚realen‘ Gruppenunterschieden bleibt daher theoretisch unterbestimmt. Damit ist ein grundlegendes Problem angesprochen, das Loic Wacquant zufolge weite Teile der anglo-amerikanischen Rassismusforschung betrifft: Diese sei „daran gescheitert, eine klare Abgrenzung zwischen volkstümlichen und analytischen Verständnisweisen von ‚Rasse‘ zu etablieren“ und durch die reifizierende Bezugnahme auf „Gruppen“, „wie sie in den offiziellen Taxinomien des Staates erscheinen“, gekennzeichnet (Wacquant 2001: 63f.). In der Folge sei die Rassismusforschung „gruppen- anstatt problemorientiert“. Dabei werde „normalerweise die Existenz dieser Gruppen an sich als gegeben akzeptiert und der dynamische Prozess verkannt, durch den diese Gruppen mittels einer komplexen Arbeit der Gruppen-Herstellung - die ethnorassische Grenzziehungen in die Objektivität des sozialen Raumes und in die Subjektivität des geistigen Raum einschreibt - erzeugt werden“ (Wacquant 2001: 68). Für eine Analyseperspektive, die unterschiedliche Formen von Rassismen weder unter ein Konzept individueller Vorurteile, noch unter ein Konzept des Rassismus subsumieren will, das von der Präkonstituiertheit seines Objekts ausgeht, kommt es daher darauf an, die Prozesse der sozialen Hervorbringung un-
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Diskriminierung in der sozialpsychologischen Vorurteilsforschung
terschiedener Gruppen soziologisch in den Blick und zum Ausgangspunkt weiterführender Analysen zu nehmen. Denn unterschiedliche Artikulationsformen von Rassismus sind weder sinnvoll als individuelle Einstellungen, noch als von historischen Veränderungsprozessen unabhängige und gleichförmige Ideologien zu betrachten. Sie sind vielmehr dahingehend zu untersuchen, auf welche Weise sie an Prozesse sozialer Differenzierung anschließen und wie sie in ihrer Aktualisierung und Reformulierung rückgebunden sind an soziale Ungleichheitsverhältnisse sowie mit diesen verbundenen Praktiken der Diskriminierung. Um auf diesen Zusammenhang näher eingehen zu können, sollen im Folgenden Ansätze diskutiert werden, die explizit beanspruchen, auf Probleme der Vorurteilsforschung zu reagieren. Die Problematik, dass rassisch oder ethnisch gefasste Gruppen nicht gleichzeitig „explanandum und explanans“ (Wacquant 2001: 66) soziologischer Analysen sein können, weist dabei auf einen grundlegenden Klärungsbedarf hinsichtlich der Tragfähigkeit des Analysekonzepts ‚Gruppe‘, das nicht nur in sozialpsychologischen Untersuchungen einen zentralen Bezugspunkt darstellt, sondern auch in der soziologischen Thematisierung von Diskriminierungen verbreitet Verwendung findet. Auf das Problem eines von Rogers Brubaker kritisierten und trotz der Dominanz „konstruktivistischer Sichtweisen“ weit verbreiteten „groupism“ in der soziologischen Forschung zu „Ethnizität“ und „Race“, verstanden als „tendency to take discrete, bounded groups as basic constituents of social life, chief protagonists of social conflicts, and fundamental units of social analysis“ (Brubaker 2004: 8), wird in Kapitel 3 dieser Arbeit auf der Grundlage der Beiträge von Herbert Blumer, Alfred Schütz und Norbert Elias zur Problematik der Konstitution asymmetrischer ‚Gruppen‘ zurückzukommen sein. Zuvor jedoch soll das Konzept des „institutionellen Rassismus“ bzw. der „institutionellen Diskriminierung“ diskutiert werden, mit dem der in der Vorurteilsforschung vorherrschende Fokus auf Vorurteile als Ausgangspunkt und mögliche Ursache für Diskriminierungspraktiken kritisiert und betont wird, dass gesellschaftlich relevante Formen der Diskriminierung weder eine Diskriminierungsabsicht der jeweiligen Akteure voraussetzen, noch an explizite rassistische und fremdenfeindliche Vorurteile und Ideologien gebunden sind.
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Institutionelle Diskriminierung: Theoretische Konzeptualisierungen und Ergebnisse der empirischen Forschung
Vor dem Hintergrund der im vorangehenden Kapitel formulierten Kritik der sozialpsychologischen Vorurteilsforschung wird im Folgenden ein sozialwissenschaftlicher Forschungsansatz diskutiert, der ausdrücklich darauf zielt, eine nicht auf Fragen individueller Einstellungen und intentional motivierter Handlungen verkürzte Analyse von Diskriminierung zu ermöglichen. Dabei handelt es sich um das Theorie- und Forschungsprogramm der institutionellen Diskriminierung, dem in jüngster Zeit auch in der Bundesrepublik gesteigerte Aufmerksamkeit zuteil wird. Das im anglo-amerikanischen Kontext entwickelte Theorem des institutionellen Rassismus bzw. der institutionellen Diskriminierung ist inzwischen auch für die Bildungspolitik und Bildungspraxis, insbesondere im Rahmen von organisatorischen Schulentwicklungskonzepten, die auf die Bildungsbenachteiligung von so genannten ethnischen Minderheiten reagieren, von Bedeutung. Die Thematisierung institutioneller Diskriminierung ist in der deutschsprachigen Fachdiskussion bereits Ende der 1980er Jahre, insbesondere im Anschluss an die Arbeiten von Joe Feagin und Clairece Booher Feagin (1986) erfolgt (s. Radtke 1988), wird aber erst in jüngster Zeit, vor allem in Bezugnahme auf die einflussreiche Studie von Mechthild Gomolla und Frank-Olaf Radtke (2002) zur institutionellen Diskriminierung in der Schule, im fachwissenschaftlichen Diskurs breit rezipiert. Als übergeordnete gesellschaftstheoretische Fragestellung kann dabei der Zusammenhang von Formen sozialer Ungleichheit, Benachteiligungen, Diskriminierungen und der Operationsweise von Organisationen angesehen werden. In der sozialwissenschaftlichen Theoriebildung fällt diesbezüglich zunächst auf, dass die Begriffe Ungleichheit, Benachteiligung und Diskriminierung nicht trennscharf voneinander unterschieden werden. Auch in einschlägigen sozialwissenschaftlichen Fachlexika wird keine begriffliche Klärung vorgenommen (s. etwa Schäfers 2003). Ursula Boos-Nünning und Yasemin Karakasoglu betonen entsprechend: "In der wissenschaftlichen und politischen Diskussion wird der Begriff ‚Benachteiligung‘ synonym mit dem der ‚Diskriminierung‘ verwandt. Eine Begriffsdefinition fehlt jedoch häufig." (Boos-Nünning/Karakasoglu 2005: 355)
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Institutionelle Diskriminierung: Theorie und Empirie
Gleichwohl ist es keineswegs kontingent, ob jeweils von Benachteiligung oder von Diskriminierung die Rede ist. Vielmehr indiziert die Verwendung der Begriffe in der Regel einen unterschiedlichen theoretischen Kontext und Gegenstandsbereich. So lässt sich etwa für die bildungstheoretischen Studien und Debatten zeigen, dass die klassen- bzw. schichtspezifische Ungleichbehandlung von einheimischen Kindern und Jugendlichen durch das Bildungssystem nur selten als Diskriminierung gefasst wird, während die Bildungsbenachteiligung von MigrantInnen auch als Diskriminierungsfrage thematisch wird (s. etwa Nauck/Diefenbach/Petri 1998; Auernheimer 2003). Dafür scheinen jedoch weniger sachliche Gründe als vielmehr überlieferte Semantiken im Kontext unterschiedlicher Gegenstandsbereiche und theoretischer Orientierungen ausschlaggebend zu sein. So ist die Semantik Diskriminierung eng an den thematischen Kontext ‚Ethnizität und Rassismus‘ und darauf bezogener Theoriebildungen gebunden, die Semantik sozialer Ungleichheit an den Kontext der Klassen- und Schichtungssoziologie. Es handelt sich dabei aber nicht nur um unterschiedliche Begriffsverwendungen in nicht oder nur wenig aufeinander bezogenen Debatten, sondern in dieser Differenzierung kommt implizit auch die Annahme zum Tragen, dass die ungleiche Behandlung auf der Grundlage von ‚Ethnizität‘ oder anderen ‚askriptiven Merkmalen‘ als in besonderer Weise problematischer und erklärungsbedürftiger Sonderfall zu verstehen ist, für den von der Reproduktion sozioökonomischer Ungleichheiten zu unterscheidende spezifische Diskriminierungsoperationen relevant sind. Inzwischen hat sich nicht nur in den Sozialwissenschaften, sondern auch in der politisch-rechtlichen Diskussion in Bezug auf die Ungleichbehandlung von MigrantInnen und Minderheiten eine Auffassung etabliert, die Diskriminierung nicht mehr nur in Form einer unmittelbar wirksamen akteurszentrierten Intentionalität interpretiert, sondern - wie etwa im Rahmen der EU-Antidiskriminierungsrichtlinien - auch mittelbare Formen einschließt.39 Dabei findet sich in den EU-Antidiskriminierungsrichtlinien insofern eine Entsprechung hinsichtlich der sozialwissenschaftlichen Differenzierung zwischen sozioökonomischen Ungleichheiten und gruppenbezogenen Diskriminierungen, als letztere als 39 So liegt der Richtlinie 2004/43/EG des Rates vom 29. Juni 2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft zufolge eine mittelbare Diskriminierung dann vor, „wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen, die einer Rasse oder ethnischen Gruppe angehören, in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt, und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich“. Diese Unterscheidung zwischen mittelbarer und unmittelbarer Diskriminierung korrespondiert mit der zwischen direkter und indirekter Diskriminierung, wie sie in der Antidiskriminierungsgesetzgebung in einigen Ländern - etwa in Großbritannien oder Frankreich üblich ist (s. Race Relations (Amendment) Act 2000; Loi portant création de la haute autorité de lutte contre les discriminations et pour l'égalité. Loi n°2004-1486 du 30 décembre 2004).
Theorien des institutionellen Rassismus und der institutionellen Diskriminierung
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diskriminierungsrelevante Unterscheidungen gewertet werden, während klassen- und schichtenspezifische Benachteiligung - aber auch die Ungleichbehandlung von Staatsangehörigen und Nicht-Staatsangehörigen - im Unterschied zur Diskriminierung auf der Grundlage ‚askriptiver‘ Merkmale keine Thematisierung erfahren.40 Der damit vollzogenen normativen Festlegung, welche Unterscheidungen und Ungleichbehandlungen als Diskriminierungen gelten, und welche Formen der Ungleichbehandlung als nicht diskriminierungsrelevante Unterscheidungen betrachtet werden, soll hier jedoch nicht gefolgt werden. Aus einer analytischen Perspektive ist demgegenüber die Frage, ob ‚Diskriminierung‘ als ein von klassen-, schichten- und milieubezogenen Ausprägungen sozialer Ungleichheiten kategorial zu unterscheidendes, distinktes soziales Phänomen zu betrachten ist, nicht theoretisch vorzuentscheiden. Vielmehr sind die Plausibilitätsbedingungen der Beschreibungsform ‚Diskriminierung‘ und die Frage, welche Semantiken relevant werden, die bestimmte soziale Phänomene als Diskriminierungen thematisch werden lassen und andere nicht, mit zu reflektieren.Der Fokus richtet sich damit auf unterschiedliche, operativ an basalen Unterscheidungen ansetzende Prozesse, die zu Benachteiligungen führen. Auf dieser Grundlage soll im Weiteren anhand der Diskussion von Ansätzen des institutionellen Rassismus bzw. der institutionellen Diskriminierung geklärt werden, inwiefern diese ein Verständnis von Diskriminierung ermöglichen, das die Unterscheidungslogiken und -praktiken, die zu Benachteiligungen von MigrantInnen und zur Soziogenese von Minderheiten in der Einwanderungsgesellschaft führen, differenziert in den Blick zu nehmen erlaubt. 2.1
Theorien des institutionellen Rassismus und der institutionellen Diskriminierung
Das Konzept des institutionellen Rassismus hat seinen Ursprung in den angloamerikanischen Debatten seit den 1960er-Jahren und ist dort inzwischen nicht nur in der fachwissenschaftlichen Diskussion etabliert, sondern - worauf David 40 Die im Dezember 2000 verabschiedete, bisher aber nicht rechtsverbindliche EUGrundrechtscharta beinhaltet zwar einen erweiterten Katalog des Diskriminierungsverbots, der auch die Diskriminierung auf der Grundlage der „sozialen Herkunft“, also ein potentiell ‚klassenrelevantes‘ Merkmale einschließt; es ist jedoch davon auszugehen, dass auch damit nicht auf die gesellschaftsstrukturell verankerte Reproduktion sozioökonomischer Ungleichheiten abgehoben wird. So heißt es in Artikel 21, Absatz 1: „Diskriminierungen, insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion oder der Weltanschauung, der politischen oder sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung, sind verboten.“ (s. Charta der Grundrechte der Europäischen Union 2000)
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Institutionelle Diskriminierung: Theorie und Empirie
Gillborn (2005: 4) für den britischen Kontext hinweist - auch in gesellschaftspolitischer Hinsicht relevant, da es einen programmatischen Bezugspunkt für ‚race equality‘-Politiken und die staatliche Antidiskriminierungsgesetzgebung darstellt. Der Begriff des institutionellen Rassismus wurde von Stokely Carmichael und Charles V. Hamilton, zwei Protagonisten der Black-Power-Bewegung, in ihrem 1967 erschienenen Buch ‚Black-Power‘ eingeführt. In ähnlicher Weise wie die in der Vorurteilsforschung entwickelten Ansätze eines „modern racism“ bei Pettigrew/Meertens und Dovidio/Gaertner (s. Kapitel 1.3.) unterscheiden Carmichael und Hamilton zwischen offenen und verdeckten/subtileren Formen des Rassismus. Während in der Vorurteilsforschung jedoch mit dieser Differenzierung eher ein Wandel in den Artikulationsformen von Rassismus, d.h. z.B. eine Verschiebung von biologistischen hin zu kulturalistischen Argumentationen, beschrieben wird, wird bei Carmichael und Hamilton diese Unterscheidung mit der zwischen individuellem und institutionellem Rassismus gleichgesetzt. Institutioneller Rassismus wird charakterisiert als „weniger offensichtlich, viel subtiler und schwieriger nachzuweisen als die Handlung Einzelner“. Er geht den Autoren zufolge „auf das Wirken innerhalb der Gesellschaft vorhandener und anerkannter Kräfte zurück und wird deshalb weit weniger öffentlicher verurteilt“ als der individuelle Rassismus (Carmichael/Hamilton 1968: 16). Anknüpfend an das „American-Dilemma“- Motiv eines Widerspruchs zwischen dem auf die Ideen von Freiheit und Gleichheit gründenden usamerikanischen Gesellschaftsverständnis und der faktischen Ungleichheit entlang rassialisierender Unterscheidungen, wird institutioneller Rassismus gegenüber individuellem Rassismus als charakteristisch für die us-amerikanische Gesellschaft der damaligen Zeit angesehen, insofern „offene, individuell begangene Handlungen nicht typisch für die Gesellschaft [sind], wohl aber der institutionelle Rassismus, der sich auf die verborgene rassistische Haltung des Einzelnen stützt“ (Carmichael/Hamilton 1968: 17). Folglich werden Rassismus und Diskriminierungen hier nicht mehr an die Handlungen des einzelnen Individuums geknüpft, die Einstellung/attitude - im Sinne einer unterschwelligen rassistischen Haltung - bleibt jedoch der Bezugspunkt, an die der institutionelle Rassismus rückgebunden ist und durch die dieser abgestützt wird. Der Begriff des institutionellen Rassismus wird bei Carmichael und Hamilton tendenziell eher als politisch-strategischer Begriff genutzt, der der Skandalisierung der sozial benachteiligten Situation der ‚schwarzen‘ Bevölkerung jenseits von offenen Rassismen und individuellen Praktiken dient, als dass hier ein systematisch ausformulierter analytischer Ansatz entwickelt würde.41
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Zur Begriffsgeschichte und Ausdifferenzierung des Konzepts, s. Feagin/Booher Feagin 1986 und 2003 sowie Gomolla/Radtke 2002.
Theorien des institutionellen Rassismus und der institutionellen Diskriminierung
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2.1.1 Die britische Diskussion im Kontext des ‚MacPherson Reports‘ Auf den bei Carmichael und Hamilton formulierten Ansatz wird gleichwohl in der aktuellen Diskussion ausdrücklich Bezug genommen, so auch in gegenwärtigen Konzepten des institutionellen Rassismus, die etwa in dem für die britische Diskussion und Politik einflussreichen Macpherson Report von 1999 zu Grunde gelegt werden (s. auch Cashmore/Jennings 2001: 111). Hintergrund dieser, von der britischen Regierung offiziell in Auftrag gegebenen Untersuchung ist das Versagen der britischen Polizei bei der Aufklärung eines rassistisch motivierten Mordes, das dem Bericht zufolge nicht auf die rassistische Haltung einzelner Polizeibeamter zurückführt werden kann, sondern auf das „kollektive Versagen“ einer durch institutionellen Rassismus gekennzeichneten Organisation.42 Der Macpherson Report akzentuiert nicht nur die institutionelle Verankerung von Rassismus innerhalb der britischen Polizei, sondern zieht die Schlussfolgerung, dass institutioneller Rassismus auch in anderen gesellschaftlichen Teilbereichen eine zentrale Rolle spielt. So enthält er eine Reihe von Empfehlungen, die unter anderem auch das Bildungssystem betreffen und veranlasste in der Folge das Eingeständnis der Regierung, dass ein über die Polizei weit hinausreichender institutioneller Rassismus innerhalb der britischen Gesellschaft existiert und als gesellschaftspolitische Herausforderung begriffen werden muss.43 In Reaktion auf den Bericht und die dort formulierten Empfehlungen wurde schließlich auch das britische Antidiskriminierungsgesetz von 1976 überarbeitet und der nunmehr gültige Race Relations (Amendment) Act von 2000 als gesetzliche Grundlage geschaffen.
42 Es handelt sich dabei um den Mord an dem ‚schwarzen‘ Jugendlichen Stephen Lawrence, der am 22.04.1993 im Beisein mehrerer Zeugen von fünf ‚weißen‘ Jugendlichen angegriffen und erstochen wurde. Die Polizei weigerte sich nicht nur den Vorfall als rassistischen einzustufen, sondern behandelte den ‚schwarzen‘ Freund und Begleiter von Stephen Lawrence, Duwayne Brooks, als Verdächtigen. Auf Drängen der Eltern, die sich über das rassistische Verhalten seitens der Untersuchungsbehörden beklagten, wurde schließlich 1997 von der Labour-Regierung eine umfassende Untersuchung veranlasst. Der abschließende Untersuchungsbericht von 1999 (MacPherson Report) führte das Verhalten und die professionelle Inkompetenz auf einen in der Institution der Polizei verankerten Rassismus zurück, der nicht hinreichend als individuelles Fehlverhalten einzelner Personen verstanden werden kann (s. Hall 2001: 154ff.). 43 Die im Report enthaltenen Empfehlungen für das Erziehungssystem waren für die britische bildungspolitische Diskussion und Entwicklung folgenreich. So finden Theoreme, wie sie von VertreterInnen antirassistischer Erziehung bereits Anfang der 1980er Jahre formuliert wurden, mit dem MacPherson Report Eingang in die offizielle bildungspolitische Diskussion: Fokussiert wird der Zusammenhang zwischen der gesellschaftsweiten Diskriminierung von so genannten ethnischen Minderheiten mit deren systematischer Reproduktion durch die Strukturen und Praktiken des Erziehungssystems (s. Gaine 2000: 45ff.).
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Institutionelle Diskriminierung: Theorie und Empirie
Der als „turning point of attitudes towards race in Britain“ (Ignatieff 2000: 21) gewertete Macpherson Report legt folgende Definition des institutionellen Rassismus zugrunde, auf die auch in neueren sozialwissenschaftlichen Handbüchern zu Race- and Ethnic-Studies Bezug genommen wird (s. Cashmore 2004: 205): „The collective failure of an organisation to provide an appropriate and professional service to people because of their colour, culture, or ethnic origin. It can be seen or detected in processes, attitudes and behaviour which amount to discrimination through unwitting prejudice, ignorance, thoughtlessness and racist stereotyping which disadvantage minority ethnic people. It persists because of the failure of the organisation openly and adequately to recognise and address its existence and causes by policy, example and leadership. Without recognition and action to eliminate such racism it can prevail as part of the ethos or culture of the organisation. It is a corrosive disease.“ (The Stephen Lawrence Inquiry, Macpherson 1999: Chapter 6.34)
Mit dieser, mittlerweile in der offiziellen britischen Regierungspolitik programmatisch beanspruchten und in öffentlichen Debatten einflussreichen Definition (s. Gillborn 2005: 4), wird der auch innerhalb der Vorurteilsforschung in Frage gestellte unmittelbare Zusammenhang von Vorurteilen und Diskriminierungen in einer umgekehrten Perspektive fokussiert: Institutioneller Rassismus wird als Bezeichnung für diskriminierende Praktiken eingeführt, für die weder entscheidend ist, ob diese auf der Grundlage von rassistischen Vorurteilen vollzogen werden, noch, ob diese von einer Diskriminierungsabsicht beteiligter Akteure getragen sind. Angenommen wird, dass infolge der Weigerung von Organisationen, die Existenz von Rassismus anzuerkennen und dessen Ursachen entgegenzutreten, Rassismus zum Teil ihrer eigenen Organisationskultur werden kann. Das so konturierte Konzept des institutionellen Rassismus wird eng verbunden mit der Idee eines ungewollten, unbeabsichtigten Rassismus: „Unwitting racism can arise because of lack of understanding, ignorance or mistaken beliefs. It can arise from well intentioned but patronising words or actions. It can arise from unfamiliarity with the behaviour or cultural traditions of people or families from minority ethnic communities. It can arise from racist stereotyping of black people as potential criminals or troublemakers. Often this arises out of uncritical self-understanding born out of an inflexible police ethos of the ‘traditional‘ way of doing things. Furthermore such attitudes can thrive in a tightly knit community, so that there can be a collective failure to detect and to outlaw this breed of racism. The police canteen can too easily be its breeding ground” (Macpherson Chapter 6.17)
Diese Bestimmung des institutionellen Rassismus leitet das Vorhandensein von Rassismus letztlich von den diskriminierenden Effekten und deren Konsequenzen für die davon Betroffenen ab. So wie dem Macpherson-Bericht zufolge die Kennzeichnung einer Handlung oder eines Vorfalls als rassistisch von der subjektiven Wahrnehmung der davon Betroffenen abhängig gemacht werden sollte,
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wird - einer ähnlichen Logik folgend - bestehende Ungleichheit entlang von rassialisierenden Unterscheidungen als hinreichendes ‚Indiz‘ für institutionellen Rassismus gewertet. So heißt es in den abschließenden Empfehlungen zum Umgang mit Rassismus in der britischen Gesellschaft: "A racist incident is any incident which is perceived to be racist by the victim or any other person." (Macpherson Chapter 47.12)
Die so eingenommene Position greift Forderungen auf, die immer wieder seitens sozialer und politischer Bewegungen formuliert werden und die eine ‚Definitionsmacht‘ in Bezug auf Sexismus, Rassismus etc. auf der Seite der Betroffenen und potentiellen Opfer beanspruchen. Dabei wird eine Figur der ‚Umkehrung der Beweislast‘ zugrunde gelegt, die auch in der bundesdeutschen Diskussion in Bezug auf gesetzliche Regelungen im Rahmen des Schutzes vor Diskriminierungen Anlass für Kontroversen geboten hat.44 Es soll hier zwar nicht in Frage gestellt werden, dass eine solche Sichtweise für den konkreten Umgang mit Konfliktsituationen und für rechtliche Verfahrensweisen hilfreich sein kann, insofern damit die Seite der potentiellen Opfer diskriminierender Praktiken gestärkt sowie Auseinandersetzungs- und Klärungsbedarf angezeigt wird, der dazu beitragen kann, Sensibilität gegenüber rassistischen Praktiken und Diskriminierungen herzustellen. Für eine theoretisch fundierte Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Artikulationsformen von Rassismus und mit voneinander zu unterscheidenden Formen von Diskriminierungen, ist eine solche Setzung, die der Logik folgt, dass Rassismus dann vorliegt, wenn jemand einen Vorfall als rassistisch klassifiziert, jedoch nicht wei-
44 So sah der ursprüngliche Gesetzentwurf zu einem bundesdeutschen Antidiskriminierungsgesetz vor, dass die Beweislast bei den Beklagten liegt, d.h. dass diese nachweisen müssen, dass keine diskriminierenden Praktiken vorliegen bzw. unterschiedliche Behandlungen nicht aus unzulässigen (strafbewehrten) Motiven erfolgten. Dort heißt es in Übereinstimmung mit den EU-Richtlinien: „Wenn im Streitfall der Betroffene Tatsachen glaubhaft macht, die eine Verletzung des Benachteiligungsverbots durch eine bestimmte Person vermuten lassen, trägt diese Person die Beweislast dafür, dass schon eine Benachteiligung nicht vorliegt oder eine zulässige Unterscheidung gegeben ist.“ (s. Bundestagsdrucksache 16/1780; http://dip.bundestag.de/btd/16/017/1601780.pdf) Das inzwischen in Kraft getretene Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz sieht jedoch in § 22 folgende Regelung vor: „Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.“ (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz 2006; http://www.gesetze-im-internet.de/agg/). Mit der Auflage, ‚Indizien zu beweisen‘, sind die Anforderungen an die Beweisführung gegenüber der EU-Richtlinien-Diktion, ‚Tatsachen glaubhaft zu machen‘, deutlich erhöht. In der juristischen Debatte wird darauf bezogen eine mögliche Europarechtswidrigkeit des AGGs diskutiert (s. dazu http://www.allgemeinesgleichbehandlungsgesetz.de/060806.html)
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terführend. Denn damit tritt die Zuweisung von Definitionsmacht an die Stelle einer theoretischen Klärung und begrifflichen Definition.45 Entsprechend problematisiert auch Gurchand Singh im Rahmen eines Sammelbandes, der sich mit den Folgen des Macpherson Reports beschäftigt, dass die Setzung, institutioneller Rassismus sei dann existent, wenn eine soziale Benachteiligung der ‚schwarzen‘ Bevölkerung in einem bestimmten Bereich vorliegt, und zwar unabhängig davon, ob diese auf eine Absicht beteiligter Akteure zurückgeführt werden kann oder nicht - es verunmöglicht, den komplexen und keineswegs linearen Zusammenhang von Absichten und Effekten, Überzeugungen und Handlungen zu bestimmen (s. Singh 2000: 34). Anhand der theoriegeschichtlichen Rekonstruktion des Begriffs zeigt er auf, dass das Konzept des institutionellen Rassismus in den 1970er Jahren in diffuser Weise auf sehr unterschiedliche Ebenen bezogen wurde: „Hence, the term institutional racism covered three different ‚levels‘: the organisation of the social formation, single institutions, and individuals. In turn, this generated a variety of different definitions that fitted the level of analysis. In effect, the concept of institutional racism became confused and muddled.” (Singh 2000: 34).
In der Folge hat die Konstruktion eines institutionellen, Gesellschaft insgesamt strukturierenden Rassismus dazu geführt, diesen de facto strukturanalog zum Klassenantagonismus zu fassen: „’black‘ people are identified as a subordinate class, or even underclass, while ‚white‘ people are seen to be a dominant and exploitative class“ (Singh 2000: 35). Dabei wurde nicht nur ignoriert, dass Angehörige sowohl der ‚schwarzen‘ als auch der ‚weißen‘ Bevölkerung durchaus unterschiedliche soziale Positionen innehaben, sondern es wurde zudem aus dem Blick gerückt, dass die Benachteiligung der ‚schwarzen‘ Bevölkerung auch durch andere (diskriminierende) Faktoren mit hervorgebracht werden kann, die nicht ausschließlich auf den gesellschaftlich einflussreichen Rassismus zurückgeführt werden können. Hingewiesen ist damit auf die Notwendigkeit, unterschiedliche, nicht nur entlang ethnisierender oder rassialisierender Unterscheidungen operierende Diskriminierungen in ihren potentiellen Wechselwirkungen zu untersuchen. Insofern dies aber in Konzepten institutionellen Rassismus nicht systematisch geschieht, liegt dort die Tendenz vor, Benachteiligungen, die sich anhand ethnisierender bzw. rassialisierender Grenzziehungen realisieren, gerad-
45 Loic Wacquant weist im Zusammenhang sozialwissenschaftlicher Auseinandersetzungen mit Rassismus pointiert darauf hin, „dass eine soziologische Analyse keineswegs gleichbedeutend mit einem Gerichtsverfahren ist. Der Sinn sozio-historischer Untersuchungen liegt nicht darin, Schuldfragen zu klären und Schuldzuweisungen für wenig angenehme soziale Tatsachen vorzunehmen, sondern diese in ihre konstitutiven Bestandteile zu zerlegen sowie den sozialen und symbolischen Mechanismus aufzudecken, der sie über Zeit und Raum hinweg produziert, reproduziert und transformiert.“ (Wacquant 2001: 70)
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linig auf Mechanismen zurückzuführen, für die angenommen wird, dass diese operativ auch an rassialisierenden bzw. rassistischen Merkmalen ansetzen. Singh plädiert jedoch keineswegs dafür, den Begriff des institutionellen Rassismus zu verabschieden, sondern kritisiert dessen unpräzise und inflationäre Verwendung und daraus resultierende mangelnde Erklärungskraft (Singh 2000: 34): „Thus in effect we have an inflated concept of institutional racism that has no discriminatory powers between the effects of racism and other social processes. This in turn, weakens the analysis and suggests inappropriate policies that designed to alleviate ‘black‘ disadvantage.”
Auf diese Problematik weisen auch andere kritische Auseinandersetzungen mit dem Macpherson Report hin: So stellt Robert Skidelsky (2000: 2) fest, dass der Bericht die Existenz eines institutionellen Rassismus innerhalb der Polizei als vorempirischen Ausgangspunkt setzt, der dann anhand der Praktiken und Vorgehensweisen bei der Untersuchung des Mordes an Stephen Lawrence belegt wird. Dabei geraten andere mögliche Faktoren, die den Verlauf der polizeilichen Ermittlungen mit geprägt haben können, tendenziell aus dem Blick. So müsste Skidelsky zufolge bspw. auch die Überlegung einbezogen werden, ob die Aufklärung des Mordfalls, wäre er an einem ‚weißen‘ Jungen der unteren sozialen Schichten begangen worden, nicht in ähnlicher Weise verlaufen wäre: „It is curious that the inquiry never considered social class as a possible explanation of the poor police performance. Poor people, or neighbourhoods, get poor service, whatever their race.“ (Skidelsky 2000: 4).
Und Michael Ignatieff stellt in einem Beitrag mit dem programmatischen Titel „Less race, please“ die Frage: „Why were we talking about institutionalised racism, when the issue was institutionalised incompetence? Why were we talking about ‘race awareness‘, when the issue was equal justice before the law?” (Ignatieff 2000: 21)
Die Schlussfolgerung, die Ignatieff aus seinen, Vorsicht gegenüber rassialisierenden Wahrnehmungen und Deutungen in antirassistischer Absicht anmahnenden, Überlegungen zieht, ist allerdings in ihrer Konsequenz nicht überzeugend: “Training the police is a matter of training them to treat people as individuals, and not as genders, races or classes. The point is to make them less ‘sensitive‘, less aware of difference, and more aware of one single identity: that the people they police are their equals, with rights and recourse. (....) We need a dose of liberalism” (Ignatieff 2000: 22f.)
Damit wird zunächst zwar eine im Kern sinnvolle Perspektive zu Grunde gelegt, die normativ betont, dass es darum gehen muss, Individuen nicht als Gruppenangehörige, sondern als singuläre Einzelne zu behandeln. Unterstellt wird dabei
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jedoch, dass dies durch die Anwendung eines universalistisch orientierten Gerechtigkeitsprinzips in Abstraktion von allen ‚Differenzen‘ nach ‚race‘, ‚gender‘ und ‚class‘ realisiert werden könnte. Die empirische kriminologische und soziologische Forschung zeigt aber, dass polizeiliche Ermittlungsstrategien und die richterliche Verurteilungspraxis mit Annahmen über klassen-, schichten- und milieuspezifische sowie geschlechts-, herkunfts- und altersgruppenspezifische Delinquenz operieren, die nicht einfach außer Kraft treten, wenn normativ eine Abstraktion davon eingefordert wird (s. etwa Schwind 2005). Stuart Hall weist in seiner Auseinandersetzung mit dem Macpherson Report darauf hin, dass innerhalb der britischen Gesellschaft von einem „Prozess einer durchgreifenden Differenzierung innerhalb der sogenannten ethnischen Minderheiten“ auszugehen ist, der die „abgegriffene Vorstellung von einem einheitlichen Block der ‚ethnischen Minderheiten‘ untergraben hat. [....] Die inneren Klassendifferenzen zwischen einer in die Mittelschichten aufsteigenden Minderheit und einer armen Mehrheit, wie wir sie schon aus der afroamerikanischen Erfahrung nach den Bürgerrechtsauseinandersetzungen kennen, beginnen auch hier aufzubrechen“ (Hall 2001: 160). Dieser Differenzierungsprozess hat auch zur Folge, dass ein aufgeklärter Multikulturalismus gegenüber bestimmten, sozial aufsteigenden Minderheitengruppen durchaus mit zunehmender rassistischer Ausgrenzung, Diskriminierung, Benachteiligung anderer Minderheitengruppen einhergeht. Der von Ignatieff formulierten Forderung nach einer „Dosis Liberalismus“ (s.o.) wäre vor diesem Hintergrund aus Halls Perspektive entgegenzuhalten, dass die „Vorstellung eines ‚institutionellen Rassismus‘ den Kern eines sehr englischen Rassismus [trifft], der nicht in Konfrontation mit dem Liberalismus, sondern hübsch in ihn eingefügt gedeiht“ (Hall 2001: 164). Zudem verweist Hall im konkreten Fall des Mordes an Stephen Lawrence darauf hin, dass es innerhalb der polizeilichen Ermittlungen deutliche Hinweise auf eine „kollektive ‚institutionelle‘ Weigerung [gab], diesen Vorfall als einen rassischen (‚racialized‘)46 Angriff zu begreifen“ (Hall 2001: 163): Die involvierten Polizeibeamten schenkten dem von dem Angriff mit betroffenen Freund von Stephen Lawrence keinen Glauben, und dies, obwohl es auch damals bereits auf der Grundlage zahlreicher rassistisch motivierter Gewalttaten in dem Stadtteil und auch rassistischer Vorfälle innerhalb einzelner Polizeieinheiten verbindliche Vorgaben der „Association of Chief Police Officers“ gab, „wonach dann, wenn einer der an einem Vorfall Beteiligten annimmt, dass es ein rassisches Motiv gab, man hiervon solange ausgehen muss, bis gegenteilige Beweise auftauchen“ (Hall 2001: 46 Der Begriff „racialized“ ist in der vorliegenden deutschen Fassung mit „rassisch“ übersetzt worden, damit geht jedoch die Dimension der Prozesshaftigkeit und der Zuschreibung im Sinne einer Rassialisierung oder Rassifizierung, die für den Terminus charakteristisch ist, verloren. Diese ist aber im Folgenden bei den jeweiligen Zitaten in Rechnung zu stellen.
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163). Damit ist darauf hingewiesen, dass es sich bei dem konkreten Vorfall nicht um ein vom spezifischen lokalen Kontext unabhängiges, singuläres Ereignis handelte. Doch genau von diesem Kontext zurückliegender rassialisierter Auseinandersetzungen und Gewalttaten sowie rassistischer Vorfälle auch innerhalb der Polizei, abstrahiert, Hall zufolge, der Macpherson Report: „Er sieht vollständig davon ab, das Ereignis in einen weiteren historischen Zusammenhang der Beziehungen zwischen Schwarzen und Polizei einzuordnen und trennt es vom örtlichen Kontext rassischer Gewalt.“ (Hall 2001: 164)
Diese Ausblendung der geschichtlichen und sozialen Situiertheit des Vorfalls gilt allerdings auch für die angesprochenen Kritiken von Skidelsky und Ignatieff, die dem Bericht eine unbegründete, vorab rassialisierende Sichtweise des Verhaltens der Polizei und eine daraus resultierende eindimensionale Analyse und dem Vorfall unangemessene Empfehlungen unterstellen (s.o.). Der grundlegende Einwand, den Colin Wight gegenüber der Aussagekraft des Macpherson Reports erhebt, zielt demgegenüber auf die unzureichende theoretische Klärung dessen, was institutionellen Rassismus kennzeichnet und durch welche Mechanismen und Operationen sich dieser realisiert. Er charakterisiert damit zutreffend eine zentrale Problematik, die über den konkreten Bericht hinausgehend, zahlreiche, sich im weitesten Sinne normativprogrammatisch auf einen antirassistischen Diskurs beziehende sozialwissenschaftliche Analysen und pädagogische Ansätze, die das Konzept des Institutionellen Rassismus für sich beanspruchen, betrifft: „The report provides a strong case for the acceptance of institutional racism, but a weak account of its nature and sources – it acknowledges the existence of institutional racism, but sees it only located in the overt or unwitting practices of individuals.” (Wight 2003: 721)
Infolge der analytischen Engführung des institutionellen Rassismus auf die Summe - beabsichtigter oder unbeabsichtigter - rassistischer Praktiken kann die angestrebte Überwindung des handlungs- und damit akteurszentrierten Modells der Diskriminierung nicht eingelöst werden und die spezifisch institutionelle Dimension bzw. das strukturelle Moment, das den im Bericht zugrunde gelegten Begriff des institutionellen Rassismus von der konzeptionellen Anlage her kennzeichnen soll, bleibt letztlich unexpliziert. Dies korrespondiert teilweise mit der Einschätzung Halls, dass der Report nicht hinreichend genau und präzise entwickelt, was institutionellen Rassismus kennzeichnet. Hall betont jedoch, wie auch Ellis Cashmore, die praktisch-politische Bedeutung, die der Ansatz des institutionellen Rassismus in Folge des Macpherson Reports potentiell erlangt: „Conceptual criticism apart, institutional racism has demonstrated practical value in highlighting the need for positive, continuous action in expunging racial discrimination rather than assuming it will fade. Even organizations commited to ‘worthy‘
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causes, which would seem to complement the efforts of civil rights and equal opportunities, are bound to inspect their own procedures for ensuring equality of opportunities and outcomes [...]” (Cashmore 2004: 205).
Damit ist darauf hingewiesen, dass das Konzept insofern praktische Relevanz entfaltet, als Organisationen systematisch darauf verpflichtet werden, eingehend zu prüfen, ob sie nicht-diskriminierende Verfahrensweisen realisieren und Chancengleichheit gewährleisten können. Die tatsächlichen gesellschaftlichen Folgen, die die Empfehlungen des Berichts haben werden, schätzt Hall jedoch recht pessimistisch ein. Mit einer vom Macpherson Report abweichenden Konkretisierung des Konzepts des institutionellen Rassismus stellt er gerade die durch informelle Handlungsroutinen sich etablierenden, sozial geteilten Gewohnheiten und Verhaltensnomen als spezifisches Charakteristikum eines überindividuellen Rassismus heraus, der mit sozialen Praktiken verbunden ist, die ‚auf Dauer gestellt‘ und auf einer informellen Ebene institutionalisiert sind und damit einer gewissen Veränderungsresistenz bzw. „Unzerstörbarkeit“ unterliegen: „Der Begriff (institutioneller Rassismus, U.H.) versteht Rassismus als hervorgehend aus sozialen Prozessen – eine schwierige Idee für die englische Vorstellungswelt, die [...] kein Konzept des ‚Gesellschaftlichen‘ kennt, das sich nicht auf die ‚Individuen und ihre Familien‘ reduzieren lässt. Zweitens geht der Begriff des institutionellen Rassismus davon aus, dass kulturelle Faktoren das Verhalten bestimmen. Solche Verhaltensnormen sind im beruflichen Selbstverständnis einer Organisation enthalten und werden auf informellen und unausgesprochenen Wegen durch ihre Routinen und täglichen Verfahren als ein unzerstörbarer Teil des institutionellen Habitus weitergegeben“ (Hall 2001: 165)
Im Unterschied zum Macpherson Report und zu anderen einflussreichen Bestimmungen des institutionellen Rassismus verzichtet Hall in seinen Ausführungen ausdrücklich darauf, zwischen offenem, direkten und einem Rassismus, der sich unabsichtlich, unbewusst oder unbeabsichtigt vollzieht, grundlegend zu unterscheiden. Während mit einem auf Nicht-Intentionalität aufbauenden Konzept des institutionellen Rassismus die Überwindung der akteurszentrierten Perspektive kaum erreicht werden kann, weil die Handlungsmotivation des Individuums - wenn auch in ihrer Negation - Bezugspunkt bleibt, stehen in Halls Ausführungen die „sozialen Prozesse“ - verstanden als routinisierte, sozial geteilte Praktiken - im Vordergrund.47
47 Es wird also nicht unterstellt, dass institutioneller Rassismus quasi jenseits der Absichten und des Wissens von Akteuren angesiedelt ist, sondern eine Begriffsfassung vorgenommen, die Überlegungen zur sozialen Verortung von institutionellem Rassismus beinhaltet und damit auch empirische Studien ermöglicht, die Praktiken in Organisationen in den Blick nehmen.
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2.1.2 Zur Problematik des Konzepts ‚Institutioneller Rassismus‘ Im Folgenden soll darauf hingewiesen werden, dass es auch in sozialwissenschaftlich ausgerichteten Analysen nicht unüblich ist, die Existenz eines institutionellen Rassismus zu proklamieren und als programmatischen Referenzpunkt für eine antirassistische Perspektive in Anspruch zu nehmen und zugleich auf eine analytisch tragfähige Grundlegung des Konzepts weitgehend zu verzichten. So wird in der bundesrepublikanischen Diskussion bei Margarete und Siegfried Jäger eine Begriffsbestimmung des institutionellen Rassismus vorgenommen, die mit dem Anspruch verknüpft ist, diesen in Abgrenzung zu einer gängigen alltagssprachlichen Verwendung theoretisch zu fundieren (s. Jäger/Jäger 2002: 18). Demnach sei institutioneller Rassismus u.a. dadurch gekennzeichnet, dass es „um administratives Handeln auf der Grundlage von Gesetzen, Verordnungen etc. geht“ und dass „dieses Handeln durch Verfassung und Recht autorisiert ist“ (Jäger/Jäger 2002: 25). In ähnlicher Weise argumentiert auch Ute Osterkamp: „Ausdruck des institutionellen Rassismus ist z. B. eine Ausländergesetzgebung, die bestimmten Gruppen von Nichtdeutschen wesentliche Rechte vorenthält und diese damit im Vergleich zu den Einheimischen zu Menschen zweiter Klasse macht.“ (Osterkamp 1997: 95)
Damit wird institutioneller Rassismus mit einer direkten, institutionalisierten und legalen Diskriminierungspraxis gleichgesetzt, für die allerdings klärungsbedürftig ist, inwiefern diese sinnvoll in verallgemeinernder Weise mit dem Terminus Rassismus charakterisiert werden kann: Denn die rechtlich abgesicherte, unterschiedliche Behandlung von StaatsbürgerInnen und Nicht-StaatsbürgerInnen stellt zwar unzweifelhaft eine Form struktureller Diskriminierung dar, die auf der Grundlage der im Kontext der nationalen Verfasstheit moderner Staaten zentralen Rechtsform der Staatsbürgerschaft operiert; sie ist damit aber nicht notwendigerweise eine genuin rassistische Praxis in dem Sinne, dass das vorrangige Operationsprinzip das einer rassialisierenden (biologisch-rassistischen oder kulturrassistischen) Unterscheidung wäre. Die mit der ‚Ausländergesetzgebung‘ angesprochene explizite, durch gesetzliche Regelungen festgeschriebene Diskriminierung ist vor diesem Hintergrund nicht als Ausdruck eines institutionellen Rassismus, sondern vielmehr als Effekt einer für nationalstaatlich verfasste Gesellschaften konstitutiven folgenreichen Unterscheidung von Staatsbürgern und Nicht-Staatsbürgern zu interpretieren. Vor diesem Hintergrund sind Formen von Rassismus, Nationalismus, die nationalstaatliche Kontrolle über das Staatsangehörigkeitsrecht und die rechtsstaatlich legitimierte Ungleichbehandlung von StaatsbürgerInnen und NichtStaatsbürgerInnen in der Einwanderungsgesellschaft als zwar relevante und mit-
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einander zusammenhängende, aber analytisch und empirisch voneinander zu unterscheidende Diskriminierungsressourcen48 zu betrachten (s. dazu Kapitel 5). Bei Jäger und Jäger geht es mit dem Fokus auf institutionellen Rassismus hingegen generalisierend „um das Verhalten von Ämtern und Behörden, etwa um Sozialämter und die dort Ausländer benachteiligende Sozialpolitik, um soziale Ausgrenzung durch Ausländerämter, Benachteiligung durch Schule, Kirche, die private Wirtschaft; es geht um die Polizei und die Gerichte, um die Rolle des Grenzschutzes usw.“ (Jäger/Jäger 2002: 27). Dabei bleibt ungeklärt, wie Institutionen, verstanden als „Vergegenständlichungen von bestimmten Wissenselementen, von Normen und Werten und sonstigen Ideologemen.“ (Jäger/Jäger 2002: 21) im Verhältnis zu den diskriminierenden Operationsweisen von Organisationen sowie zu ökonomischen, politischen und rechtlichen Strukturen zu fassen sind. Der damit angezeigte gesellschafts- und organisationstheoretische Klärungsbedarf ist insbesondere auch für Analysen von Bedeutung, die die Bildungsbenachteiligung von MigrantInnen mit dem Konzept des Institutionellen Rassismus zu erklären versuchen. So argumentiert David Gillborn bezogen auf das Beispiel der Bildungsbenachteiligung von MigrantInnen und Minderheiten, dass das Konzept des institutionellen Rassismus es ermöglicht, Aufmerksamkeiten für Praktiken zu erzeugen, die gängige Erklärungsmuster dieser Benachteiligung in Frage stellen: „[It] calls attention to the effects of policies, actions and assumption. If one or more minority groups are, on average, disadvantaged in an organisation, then that organisation (be it a classroom, a school, or an entire national educational system) stands accused of institutional racism. In this view, intentions are irrelevant: it does not matter whether politicians and/or teachers genuinely believe that they are doing their very best for everyone; if their actions have the effect of disadvantaging minority pupils, then their actions are racist in their consequences”. (Gillborn 2005: 5)
Die hier fokussierte Diskriminierung von MigrantInnen und Minderheiten innerhalb des Bildungssystems wendet sich also mit dem Konzept des institutionellen Rassismus dezidiert gegen eine solche problematische Sichtweise, die 48 Hier stellt sich vielmehr die Frage, ob die Unterscheidung von Staatsbürgern und NichtStaatsbürgern als Effekt eines ‚institutionellen Nationalismus‘ zu beschreiben wäre. Der bei Hans Ulrich Wehler im Anschluss an die neuere Nationalismusforschung zu Grunde gelegte nichtpejorative Begriff von Nationalismus im Sinne einer „neutrale[n] Abkürzung für ein extrem einflussreiches Ideensystem“ (Wehler 2001: 12) bietet hierfür zunächst eine sinnvolle analytische Perspektive, muss aber insofern als unzureichend angesehen werden, als dass dabei der im Verlauf des 19. Jahrhunderts entstehende innere Zusammenhang zwischen der Souveränität des Staates und der Erzeugung eines ‚Volkes‘ auf der Grundlage der ethnisierenden Konstruktion der Nation als Abstammungsgemeinschaft und die so etablierte enge Verbindung von Rassismus und Nationalismus im Sinne eines nicht ursächlichen, aber „historischen Reziprozitätszyklus“ (s. Balibar 1992a: 68) tendenziell aus dem Blick rückt.
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den überproportional schlechten Schulerfolg von Angehörigen bestimmter Minderheitengruppen wesentlich auf individuelle Defizite der SchülerInnen oder das sozio-kulturelle Umfeld zurückführt. Insofern dabei auch politische Vorgaben und organisatorische Festlegungen als relevant betrachtet werden, ist damit prinzipiell eine Perspektive eröffnet, die es erlaubt, nach den komplexen Mechanismen zu fragen, die zur Hervorbringung von sozialen Ungleichheiten und Diskriminierungen beitragen. In der konkreten Analyse bezieht sich das Konzept des Institutionellen Rassismus meist auf die Funktionen und Operationsweisen von Organisationen; die begrifflich reklamierte Dimension des Institutionellen wird jedoch nicht näher bestimmt. Bei Gillborn werden (s.o.) beispielhaft für organisatorische Aspekte der Klassenraum, die Schule oder das nationale Bildungssystem genannt und damit unterschiedliche Ebenen eingeführt, die ohne weitergehende organisationstheoretische Differenzierung als Organisation und/oder Institution firmieren. Denn weder die Binnenstruktur des nationalen Bildungssystem als Funktionssystem noch der einzelne Klassenraum als Interaktionssystem können konsistent als formale Organisationen beschrieben werden: Sofern man Schulen als Organisationen in den Blick nimmt, entfaltet sich das Erklärungspotential des Konzepts des institutionellen Rassismus bzw. der institutionellen Diskriminierung aber erst dann, wenn damit der spezifischen Operationsweise des Organisationstyps Schule innerhalb des nationalen Schulwesens Rechung getragen wird. Barry Troyna und Jenny Williams kritisierten bereits 1986, dass es in der Theorie- und Begriffsgeschichte des Konzepts des institutionellen Rassismus vielfältig zu theoretisch unterkomplexen kausalen Rückschlüssen von den Wirkungen auf die Ursachen gekommen sei, indem etwa direkte Zusammenhänge zwischen spezifischen Erscheinungsformen rassialisierender Ungleichheit und dem angenommenen institutionellen Rassismus einer Einzelorganisation hergestellt wurden (s. Troyna/Williams 1986: 54f.). So erheben die beiden Autoren Einwände gegen die These, dass institutioneller Rassismus ausschließlich von den Effekten her abgelesen werden könnte, da damit andere Mechanismen, die mit zu beobachtbaren diskriminierenden Effekten führen, potentiell ausgeblendet werden. Sie werfen dabei folgende Frage auf: „If institutional racism is defined by its consequences does the presence of any form of racial inequality imply its existence?” Daran anschließend argumentieren sie, dass sie etwa den Sachverhalt einer stark verbreiteten Bildungsbenachteiligung von MigrantInnen und Minderheiten zwar nicht in Zweifel ziehen, sie aber nicht davon ausgehen, „that these inequalities are produced and reproduced in the same way“ (Troyna/Williams 1986: 55). Demzufolge wären also nicht nur unterschiedliche Ausprägungen und Formen der Bildungsbenachteiligung zu berücksichtigen, sondern auch zu unterscheidende Produktions- und Reproduktionsweisen von Diskriminierungen. Inwiefern sich diese
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durch rassistische Praktiken, die mit rassistischen Legitimationen gerechtfertigt werden, oder x durch Praktiken, die ursprünglich nicht-rassialisiert sind und nichtrassistisch gerechtfertigt werden, aber rassialisierende Effekte hervorbringen können, x oder durch Praktiken, die ursprünglich nicht-rassialisiert sind, aber durch uneingestandene rassistische Rechtfertigungen aufrechterhalten werden, realisieren, muss dann den Autoren zufolge primär empirisch geklärt werden (s. Troyna/Williams 1986: 56).49 Troyna und Williams wenden sich also gegen eine Deduktionslogik, die Institutionellen Rassismus als Mechanismus von den Effekten her erschließt und damit implizit einen linearen UrsacheWirkungszusammenhang zwischen (beabsichtigten und unbeabsichtigten) rassistischen Praktiken und diskriminierenden Effekten unterstellt, ohne die spezifischen Operationen und Mechanismen, die zu jeweiligen Diskriminierungen führen, zu untersuchen. x
2.1.3 Institutionelle Diskriminierung als analytisches Konzept Vor dem Hintergrund der hier exemplarisch diskutierten problematischen Verwendung des Konzepts ‚institutioneller Rassismus‘ sind im Folgenden solche Ansätze zu behandeln, die darauf zielen, analytische Differenzierungen zwischen unterschiedlichen Formen von Diskriminierungen und eine theoretische Bestimmung des Stellenwerts von organisatorischen Strukturen und Entscheidungen vorzunehmen. Im Unterschied zur bloß deklarativen Bezugnahme auf den Begriff des institutionellen Rassismus werden in den einflussreichen Arbeiten von Joe Feagin und Clairece Booher Feagin (1986) sinnvolle analytische Unterscheidungen eingeführt. An die Begrifflichkeit des institutionellen Rassismus angelehnt, entwickeln Feagin und Booher Feagin ein Konzept der institutionalisierten Diskriminierung, indem sie die im Rahmen der Vorurteilsforschung bei Thomas Pettigrew vorgenommene Differenzierung von direkter und indirekter Diskriminierung (s. Kapitel 1.3.) aufgreifen und diese mit einer weiteren Differenzierung anhand des Kriteriums der Intentionalität verbinden. Auf dieser Grundlage unterscheiden Feagin und Booher Feagin vier Diskriminierungstypen (s. Feagin/Booher Feagin 1986: 28 und 2003: 16f.):
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S. hierzu auch Gomolla/Radtke 2002: 50f., die an die bei Troyna/Williams vorgeschlagene Unterscheidung anschließen.
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Intentionale Diskriminierung als individuelle Praxis (isolate discrimination) Intentionale Diskriminierung als Intergruppen-Praxis (small-groupdiscrimination) Intentionale, direkte institutionalisierte Diskriminierung (direct institutionalized discrimination) Nicht-intentionale, indirekte institutionalisierte Diskriminierung (indirect institutionalized discrimination)
Die beiden ersten Typen der intentionalen Diskriminierung als individuelle Praxis und als Intergruppen-Praxis sind im Unterschied zu den beiden Formen institutionalisierter Diskriminierung auch Gegenstand der Vorurteilsforschung, wobei in der neueren Vorurteilsforschung übereinstimmend mit den Ausführungen bei Feagin und Booher-Feagin eingeräumt wird, dass Diskriminierungspraktiken nicht alleine als Folge vorgängiger Vorurteile erklärbar sind. Formen direkter und indirekter institutionalisierter Diskriminierung unterscheiden sich den AutorInnen zufolge im Wesentlichen dadurch, dass erstere infolge gesetzlicher Regelungen oder aber auch auf der Grundlage informeller Normen von Organisationen intentional vollzogen werden, während letztere auf organisationsspezifische Erwartungen und Regulierungen, die nicht mit einer Diskriminierungsabsicht verknüpft sind, zurückzuführen sind. Vor diesem Hintergrund eröffnet ein Begriff der institutionalisierten oder institutionellen Diskriminierung, der nicht pauschal einen institutionellen Rassismus voraussetzt, prinzipiell die Möglichkeit, zunächst offen zu halten und genauer zu untersuchen, wodurch diskriminierende Effekte hervorgerufen und welche Unterscheidungskriterien dabei als Diskriminierungsressourcen relevant werden bzw. ob und wie sich diese ggf. verschränken. Direkte institutionalisierte Diskriminierung vollzieht sich Feagin und Booher Feagin zufolge nicht nur auf der Grundlage rechtlich kodifizierter, sondern auch auf der Grundlage informeller Regelungen - der „ungeschriebenen Gesetze“ (Gomolla/Radtke 2002: 44) - von Organisationen. Feagin und BooherFeagin betonen, dass Mechanismen direkter institutionalisierter Diskriminierung divergierende Artikulationsformen annehmen und auch sehr unterschiedlich motiviert sein können: „These discriminatory actions can be blatant, door-slamming or subtle and covert practices. The motivation for such discrimination can also vary. Some such practices are creatures of prejudice and intolerance, while others reflect economic or political self-interest.” (Feagin/Booher-Feagin 1986: 31)
Formen indirekter institutionalisierter Diskriminierung sind demgegenüber Feagin und Booher Feagin zufolge dadurch gekennzeichnet, dass sie sich weder auf der Grundlage von Vorurteilen, noch infolge einer Diskriminierungsabsicht
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Institutionelle Diskriminierung: Theorie und Empirie
vollziehen. Auch hier nehmen die AutorInnen eine Unterscheidung zweier Formen vor, die der „side-effect discrimination“ und die der „past-in-present discrimination“. Mit Seiteneffekt-Diskriminierung wird der „inter-institutional character“ von Diskriminierungen betont: „Intentional discrimination by persons in one sphere can result in unintentional discrimination by those in another sphere, because most societal spheres (the economy, the polity, etc.) are intimately linked to one another.” (Feagin/Booher Feagin 1986: 32)
Die AutorInnen akzentuieren damit einen Aspekt, der explizit auf eine strukturelle, die einzelne Organisation und deren spezifische Diskriminierungspraxis überschreitende Dimension hinweist. So können Diskriminierungen von MigrantInnen und so genannten Minderheiten nicht nur als direkte (intentionale) Diskriminierungen erfolgen, sondern auch an sekundären Merkmalen, die ihrerseits mögliche Effekte von Diskriminierungen - wie Einkommensniveau, Bildungsniveau und Aufenthaltsstatus - sind, ansetzen. Damit ist darauf hingewiesen, dass Diskriminierungen in bestimmten gesellschaftlichen Bereichen an Diskriminierungen in anderen gesellschaftlichen Bereichen anschließen können, ohne dass diesen jeweils die gleiche Operationsweise zugrunde liegt und ohne dass diese den gleichen Grad an Intentionalität aufweisen. “Past-in-present discrimination” verweist demgegenüber auf eine Diskriminierungsform, die dann gegeben ist, wenn vermeintlich neutrale Praktiken eine bestimmte Minderheiten-Gruppe auf der Grundlage des Fortbestehens von Effekten, die aus ihrer historischen (direkten) Diskriminierung resultieren, benachteiligen. Dies ist etwa der Fall, wenn Minderheitengruppen historisch vom Zugang zu höherer Bildung ausgeschlossen waren, in der Folge die Aneignung und Vermittlung kulturellen Kapitals nur eingeschränkt erfolgen konnte und die Nachfolgegeneration dann an vermeintlich neutralen Auswahlmechanismen der Bildungsinstitutionen scheitert. Feagin und Booher Feagin weisen zudem darauf hin, dass unterschiedliche Diskriminierungsformen nicht unabhängig voneinander analysiert werden können, da diese faktisch in zahlreichen Kombinationen und Verschränkungen in Erscheinung treten: „Various combinations of blatant, cover, and subtle forms of discrimination usually coexist in a given organization or community“ (Feagin/Booher Feagin 2003: 18).
Diese Koexistenz unterschiedlicher Diskriminierungsformen in einem gegebenen lokalen Handlungskontext bezeichnen die Autoren als „systemische Diskriminierung“ und akzentuieren damit nicht nur eine die Einzelhandlung, sondern auch die Strukturen und Praktiken von Einzelorganisationen überschreitende Dimension. Zur Kennzeichnung der potentiellen Effekte von systemischer Diskriminierung auf der Seite der davon Betroffenen, sprechen sie von „kumulativer Diskriminierung“. Sie weisen in Bezug auf diese Begriffswahl darauf hin,
Theorien des institutionellen Rassismus und der institutionellen Diskriminierung
81
dass deren Bedeutung nur unzureichend erfasst wird, wenn diese lediglich additiv, als Summe von Einzeldiskriminierungen betrachtet werden und damit sowohl deren innerer Zusammenhang als auch die sich wechselseitig verstärkende Dynamik von Formen direkter und indirekter Diskriminierung ausgeblendet wird (Feagin/Booher Feagin 2003: 18). In einer Reihe von Beiträgen hat Frank-Olaf Radtke in Anlehnung an die Überlegungen von Feagin und Booher Feagin auch für die bundesrepublikanische Debatte eine Analyseperspektive der „institutionellen Diskriminierung“ vorgeschlagen (s. etwa Radtke 1988). Im Rahmen einer empirischen Studie zur institutionellen Diskriminierung von Kindern mit Migrationshintergrund in der Schule nehmen Mechthild Gomolla und Frank-Olaf Radtke eine theoretische Weiterentwicklung dieses Ansatzes auf der Basis einer Rückbindung an organisationssoziologische und gesellschaftstheoretische Überlegungen vor (s. Gomolla/Radtke 2002; vgl. Gomolla 2005). Sie formulieren dabei die These, dass „die allermeisten Möglichkeiten der Diskriminierung von Migranten als formale Rechte, etablierte Strukturen, eingeschliffene Gewohnheiten, etablierte Wertvorstellungen und bewährte Handlungsmaximen ‚in der Mitte der Gesellschaft‘ institutionalisiert“ (Gomolla/Radtke 2002: 14) sind. Bevor das Erklärungs- und Analysepotential dieser inzwischen innerhalb der Pädagogik und Bildungsforschung einflussreichen Studie (s. dazu etwa Mecheril 2004: 154ff.; Dravenau/Groh-Sambert 2005: 111ff.) einer näheren Überprüfung unterzogen wird, wird im Folgenden zunächst eine Diskussion der auf der Basis der verfügbaren quantitativen Datenlage zur Bildungsbenachteiligung naheliegenden Interpretationen und Schlussfolgerungen zur Erklärung der Bildungsbenachteiligung von MigrantInnen vorgenommen.50 Insofern sich diese Benachteiligungen zwar mit den empirisch erhobenen Daten statistisch beschreiben lassen, sich jedoch die operativen Prozesse, die zu Benachteiligungen führen, in den Daten nicht abbilden, wird damit nicht der Anspruch erhoben, auf dieser Grundlage abschließende Erklärungen für die benachteiligenden resp. diskriminierenden Mechanismen bereitstellen zu können.
50 In Bezug auf die Untersuchung institutioneller Diskriminierung in Organisationen ist es nach Rodolfo Alvarez notwendig, zunächst den quantitativen Nachweis für eine Benachteiligung bestimmter, identifizierbarer Gruppen in Organisationen und damit für die Relevanz des Problemzusammenhangs zu führen (s. Alvarez 1979; s. dazu auch Gomolla/Radtke 2002: 42). Die folgenden Ausführungen intendieren in diesem Sinn die Spezifizierung und Präzisierung von Problemkomplexen innerhalb des Schulsystems und gehen damit über die einzelschulische resp. lokale oder regionale Organisationsebene hinaus.
82
2.2
Institutionelle Diskriminierung: Theorie und Empirie
Zur Empirie der Bildungsbenachteiligung von MigrantInnen
Als relevante Datenquellen für die empirische Beschreibung der Bildungsbenachteiligung von MigrantInnen sind neben den amtlichen Schulstatistiken und darauf bezogenen Berechnungen insbesondere die Daten der Längsschnittstudie des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP) sowie die Daten der Schulleistungsstudien IGLU und PISA zu nennen. Damit liegt eine auf den ersten Blick umfangreiche und differenzierte Datenlage von der Gesamterhebung der amtlichen Statistik über Längsschnittstudien bis hin zu aktuellen Stichprobenuntersuchungen vor. Diese Datenlage stellt sich aber schon insofern als problematisch dar, als sowohl die amtliche Bildungsstatistik als auch das SOEP ihre Daten auf der Grundlage der Unterscheidung zwischen deutschen StaatsbürgerInnen und nicht-deutschen StaatsbürgerInnen erheben, also mit einem Kriterium, das kaum, und im Zuge der Erleichterung der Einbürgerung im Rahmen der Reformierung des Staatsangehörigkeitsrechts perspektivisch zunehmend weniger, in der Lage ist, den für die Thematik Benachteiligung und Diskriminierung auch unabhängig von der Staatsangehörigkeit relevanten Migrationshintergrund zu erfassen.51 Die im Rahmen einer Längsschnittstudie erhobenen SOEP-Daten werden jedoch in offiziellen Beschreibungen der Bildungsbenachteiligung als zentrale Grundlage (s. Statistisches Bundesamt 2004; Sachverständigenkommission 11. Kinder- und Jugendbericht 2002) mit der Argumentation herangezogen, dass diese die einzige Datengrundlage bieten, die es erlaubt, Aussagen über das Bildungsverhalten und die Bildungskarrieren von MigrantInnen52 zu machen. Außerdem seien die PISA-Studien „nicht dazu geeignet, die Effekte der ethnischen Zugehörigkeit und der Schulkarriere auf den tatsächlich von Schülern erreichten Schulabschluss zu klären, der als Bildungszertifikat [...] letztlich für die weitere Bildungs- oder Erwerbskarriere entscheidend ist“ (Diefenbach 2003/04: 228). Einschränkend weist Heike Diefenbach jedoch daraufhin, dass in Hinblick auf „Subgruppenanalysen“ die SOEP-Daten teilweise aufgrund geringer Fallzahlen nicht repräsentativ und damit in ihrer Aussagekraft eingeschränkt sind (s. Diefenbach 2003/04: 228). Mit den IGLU- und PISA-Studien wurde hingegen versucht, nicht nur den Migrationshintergrund differenziert zu erheben, sondern auch das Merkmal des 51 Laut einer Presseerklärung vom 06.06.2006 der Beauftragten für Migration, Flüchtlinge und Integration haben „[d]em Mikrozensus zufolge [...] 15,3 Millionen Menschen oder jeder fünfte Einwohner in Deutschland einen Migrationshintergrund, sind also Zuwanderer oder deren Kinder. Davon besitzen 8,0 Millionen Personen die deutsche Staatsangehörigkeit“.(http://www.bun desregierung.de/nn_56680/Content/DE/Pressemitteilungen/BPA/2006/06/2006-06-06-ib-einwohnermit-migrationshintergrund.html) 52 Diefenbach spricht von Kindern aus Migrantenfamilien, de facto wird im SOEP-Panel aber die Staatsangehörigkeit zu Grunde gelegt und nicht der Migrationshintergrund (s. Diefenbach 2002).
Zur Empirie der Bildungsbenachteiligung von MigrantInnen
83
sozio-ökonomischen sowie des sprachlichen Hintergrunds. Damit werden Kriterien zugrunde gelegt, bei denen davon auszugehen ist, dass sie von zentraler Relevanz für die Analyse von Bildungskarrieren und deren Bedingungen sind. Jedoch sind auch die dort erhobenen Daten in ihrer Aussagefähigkeit nicht unumstritten und es liegen darauf bezogen widersprüchliche Interpretationen und Analysen vor (s.u.). Vor diesem Hintergrund ist von einer unmittelbaren Vergleichbarkeit der verfügbaren Daten, die auch im Folgenden als Ausgangspunkt genommen werden, nicht auszugehen. Bei den weiteren Ausführungen ist daher zu berücksichtigen, dass keine einheitliche und umfassend aussagefähige Empirie zur Bildungsbenachteiligung von MigrantInnen vorliegt, die zudem aufgrund des föderalen Bildungssystems für die unterschiedlichen Bundesländer differenziert realisiert werden müsste. Die weitere Darstellung kann daher nur eine annähernde Beschreibung der Bildungssituation von MigrantInnen auf der Grundlage der empirisch verfügbaren Daten und dessen, was die einzelnen Studien an Einschätzungen zulassen, vornehmen und wird sich auf die für die im vorliegenden Kontext bedeutsame Frage nach Formen institutioneller Diskriminierung in und durch das Bildungssystem zentralen Dimensionen der Bildungsbenachteiligung von MigrantInnen beschränken.53 2.2.1. Ergebnisse der amtlichen Bildungsstatistik und des Sozioökonomischen Panels (SOEP) Der Bericht über „die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland“ der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration (2005: 36) gibt auf der Grundlage der amtlichen Schulstatistik Auskunft über die Verteilung von deutschen und ausländischen SchülerInnen auf verschiedene Schulstufen in der Sekundarstufe I im Schuljahr 2002/2003: So besuchen, wie Tabelle 1 zeigt, 18,6% der deutschen gegenüber 43,8% der ausländischen SchülerInnen die Hauptschule, in der Realschule liegt das Verhältnis bei 24,5% zu 18,9%, im Gymnasium bei 32,3% zu 13,9%, in der Gesamtschule bei 8,4% zu 12,8%. Damit ist das relative Risiko des Besuchs einer Hauptschule für ein Kind mit ausländischer Staatsangehörigkeit mehr als doppelt so groß wie für ein Kind mit deutscher Staatsangehörigkeit; der Besuch eines Gymnasiums ist hingegen weniger als halb so wahrscheinlich. Geringer ist demgegenüber der Unterschied bei einer mittleren Bildungslaufbahn wie dem Realschulbesuch, obwohl hier ausländische SchülerInnen auch noch relativ benachteiligt sind. Im Fall des Ge53
So bleibt etwa der Vorschulbereich im Weiteren unberücksichtigt.
84
Institutionelle Diskriminierung: Theorie und Empirie
samtschulbesuchs, der tendenziell die Option eines höherwertigen Abschlusses offen lässt, kehrt sich das Verhältnis um.54 Die Ausländeranteile an den jeweiligen Schulformen ergeben für die Hauptschulen 18,2%, für die Realschulen 6,8%, für die integrierten Gesamtschulen 12,5% und für die Gymnasien 3,9% (s. Statistisches Bundesamt 2004: 67). Zudem sind ausländische SchülerInnen mit 16% auf Sonderschulen überproportional repräsentiert: Das relative Risiko eine Sonderschule mit dem Schwerpunkt „Lernen“ zu besuchen, ist für ausländische SchülerInnen mit 19% gegenüber einem Anteil von 9,8% an der Gesamtschülerzahl um nahezu ein zweifaches höher als für deutsche SchülerInnen (s. Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration 2005: 37). Da der Besuch einer bestimmten Schulform aufgrund der Wechselmöglichkeiten zwischen Schulformen und des weiterführenden Schulbesuchs keine direkte Aussage darüber zulässt, welche Abschlüsse am Ende der Schullaufbahn erreicht werden, ergibt sich ein vollständigeres Bild erst dann, wenn die formalen Schulabschlüsse hinzugezogen werden. Vergleicht man die erzielten Schulabschlüsse in einer Bandbreite zwischen Nichterwerb eines formalen Abschlusses und Hochschulreife als höchstem Abschluss des primären Ausbildungssektors, mit dem Besuch der Sonderschule als niedrigster Schulstufe und dem Besuch des Gymnasiums als höchster Schulstufe im viergliedrigen Schulsystem, dann stellt sich die Benachteiligung der ausländischen Jugendlichen im Verhältnis zu den deutschen Jugendlichen am Ende ihrer Schullaufbahn nochmals gravierender dar. So ist für ausländische Jugendliche das relative Risiko, die Schule ohne einen formalen Abschluss zu verlassen, doppelt so hoch, während die Wahrscheinlichkeit, die allgemeine Hochschulreife zu erwerben, um mehr als das zweieinhalbfache geringer ist (s. Tabelle 1). Die im Vergleich zu deutschen Jugendlichen relative Chance, die allgemeine Hochschulreife zu erwerben, ist damit nochmals geringer als die Chance, das Gymnasium zu besuchen. Berücksichtigt man zusätzlich den im Verhältnis überproportionalen Anteil an ausländischen SchülerInnen in der Gesamtschule der ja den Bildungsweg zur allgemeinen Hochschulreife offen lässt - und damit die Tatsache, dass vor diesem Hintergrund ein Teil der SchülerInnen faktisch als potentielle Abiturienten zu berücksichtigen wäre, dann wird aus der Diskrepanz zwischen dem Anteil an Gymnasiasten und Gesamtschülern und denjenigen, die das Abitur tatsächlich erreichen, deutlich, dass die relative Benachteiligung von ausländischen Kindern zu Beginn ihrer Schulkarriere nicht nur nicht kompensiert werden kann, sondern sich bei den Schulabschlüssen erneut verschärft. 54 Im Bericht der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration wird dies als Folge davon erklärt, dass der Gesamtschulbesuch auch unabhängig von der Übergangsempfehlung erfolgen kann (s. Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration 2005: 36).
Zur Empirie der Bildungsbenachteiligung von MigrantInnen
85
Ausländische Jugendliche verlassen die Schule mehr als doppelt so häufig ohne formalen Abschluss wie mit allgemeiner Hochschulreife, während deutsche Jugendliche über dreimal häufiger die Schule mit der allgemeinen Hochschulreife verlassen wie ohne Abschluss (s. Tabelle 1). Tabelle 1: Ausländische und deutsche SchülerInnen in allgemeinbildenden Schulen nach Schulart der Sekundarstufe I im Schuljahr 2002/2003 Hauptschule
Realschule
Gymnasium
Gesamtschule
AusländerInnen (n=462 755)
43,8 %
18,9 %
13,9 %
12,8 %
Deutsche (n= 4882 478)
18,6 %
24,5 %
32,3 %
8,4 %
Ausländeranteile im Schuljahr 2002/2003 nach ausgewählten Schularten Sonderschule
Hauptschule
Realschule
Gymnasium
Gesamtschule
15,8 %
18,2 %
6,8 %
3,9 %
12,5 %
Deutsche und ausländische AbsolventInnen nach Abschlussarten 2002 Ohne Abschluss
Hauptschulabschluss
Realschulabschluss
Allgemeine Hochschulreife
AusländerInnen
19,5 %
40,8 %
28,8 %
9,5 %
Deutsche
8,2 %
24,1 %
41,3 %
25,1 %
Quelle: Statistisches Bundesamt (2004: 67f.) und Bericht der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration (2005: 36)
Da die dem Vergleich der Verteilung auf die Schultypen und den erreichten Abschlüssen zugrunde gelegten Zahlen aber faktisch unterschiedliche Schülerjahrgänge betreffen, wäre eine aussagefähige Bilanz zum Verhältnis Schulbesuch und Schulabschluss nur über eine Längsschnittuntersuchung jeweiliger Schülerjahrgänge und deren Besuch verschiedener Schulstufen bis zu ihrem Schulabschluss zu ziehen. Geht man allerdings davon aus, dass die im Lagebericht der Beauftragen der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration (2005: 37) gegebene Einschätzung der Entwicklungstendenz des Schulerfolgs von AusländerInnen seit den 1990er Jahren zutrifft und der Anteil derjenigen, die ein Gymnasium besuchen, sich nicht verändert hat, der Anteil an HauptschülerInnen geringfügig abnahm, während er an Real- und Gesamtschulen schwach
86
Institutionelle Diskriminierung: Theorie und Empirie
und an Sonderschulen sehr stark anstieg, dann ist über die Zeit gerade nicht von einem Bildungsaufstieg der ausländischen Kinder und Jugendlichen auszugehen. Die aus den Daten ablesbare, sich verschärfende Benachteiligung zum Ende der Schulkarriere in Form der Schulabschlüsse wäre damit nicht als Effekt eines unzulässigen Vergleichs von Daten zu interpretieren, in denen unterschiedliche Schülerjahrgänge erfasst sind. Dies kann jedoch mit den verfügbaren Daten nicht verlässlich geklärt werden. Heike Diefenbach hat im Rahmen einer Expertise für den 11. Kinder- und Jugendbericht auf der Datengrundlage des SOEP die Bildungsbeteiligung von Kindern und Jugendlichen aus Migrantenfamilien analysiert (s. Diefenbach 2002). Hinsichtlich der Verteilung der SchülerInnen auf die jeweiligen Schulstufen stimmen die Daten des Sozioökonomischen Panels, obwohl deren letzte zugängliche und hier zugrunde gelegte Datenbasis von 1998 stammt, weitgehend mit den amtlichen Bildungsstatistiken, die sich auf das Jahr 2002 beziehen, überein. Im ausgewiesenen Zeitraum von 1985 bis 1995 lässt sich eine deutliche Abnahme der Häufigkeit des Hauptschulbesuchs zugunsten einer Zunahme des Realschulbesuchs bei ausländischen Kindern und Jugendlichen beschreiben. Diese tendenzielle Aufstiegsbewegung vollzieht sich jedoch nicht in gleichem Maße und vor allem auch nicht ausgehend von einem gleichen Ausgangsniveau wie bei deutschen Kindern und Jugendlichen. Insbesondere der kontinuierlichen Zunahme des Gymnasialbesuchs bei deutschen SchülerInnen steht die weitgehende Stagnation des Besuchs dieser Schulform bei ausländischen SchülerInnen gegenüber. Die SOEP-Daten weisen im deutlichen Widerspruch zur amtlichen Bildungsstatistik keine überproportional häufige Überweisung von ausländischen Kindern auf Sonderschulen auf.55 Während die amtliche Bildungsstatistik darauf verzichtet, die sozioökonomische Lage der SchülerInnen zu erfassen, differenzieren die SOEPDaten nicht nur zwischen Migrantengruppen unterschiedlicher Nationalität und Geschlechtszugehörigkeit, sondern es werden dort auch Variablen wie Haushaltseinkommen, Schulbildung des Haushaltsvorstands, Anzahl der Kinder im Haushalt, Geburtsland, kulturelles Milieu, nationale Identifikation, Rückkehrabsicht und damit potentielle Einflussfaktoren bzw. Faktoren, die in je unterschiedlichen Erklärungsansätzen für die Bildungsbenachteiligung von MigrantInnen als relevant betrachtet werden, erhoben (s. Diefenbach 2002: 53f.). Diese sollen im Folgenden nicht im Einzelnen referiert werden, sondern in Hinblick auf die bei Diefenbach dargestellten wichtigsten Ergebnisse und darauf bezogene Analysen diskutiert werden.
55
Diefenbach weist in diesem Zusammenhang daraufhin, dass diese Zahlen angesichts geringer Fallzahlen nicht repräsentativ seien (s. Diefenbach 2002: 22).
Zur Empirie der Bildungsbenachteiligung von MigrantInnen
87
Bildungsbeteiligung in unterschiedlichen Zuwanderungsnationalitäten In Hinblick auf die Frage, welche Zuwanderergruppen wie in das Bildungssystem einbezogen sind, kommt dem Übergang in die Sekundarstufe besondere Bedeutung zu, da dieser in Form einer institutionellen Selektionsschwelle im drei- bzw. viergliedrigen Schulsystem der Bundesrepublik nach wie vor entscheidend für die Bildungsbiographie und den späteren Schulabschluss ist. Hierzu liegen aber, worauf Diefenbach (2003/04: 229) hinweist, keine umfassenden amtlichen Statistiken vor. Den SOEP-Daten lässt sich entnehmen, dass Kinder und Jugendliche mit türkischer und italienischer Staatsangehörigkeit hinsichtlich des Übergangs in die Sekundarstufe die am stärksten benachteiligten Gruppen darstellen, während Kinder und Jugendliche mit griechischer Staatsangehörigkeit zwar auch gegenüber deutschen SchülerInnen deutlich öfter die Hauptschule, jedoch in nur etwas geringerem Maß das Gymnasium besuchen (s. Diefenbach 2002: 53).56 Auf die besonders starke Benachteiligung von italienischen SchülerInnen innerhalb des Bildungssystems weisen auch andere Studien hin: Uwe Hunger und Dietrich Tränhardt (2001: 51ff.) akzentuieren in einem Beitrag mit dem programmatischen Titel „Vom ‚katholischen Arbeitermädchen vom Lande‘ zum ‚italienischen Gastarbeiterjungen aus dem Bayerischen Wald‘“, dass die Diskussion um die Bildungsbenachteiligung von MigrantInnen auf die „Problemgruppe“ der türkischen Kinder und Jugendlichen fokussiert sei, während die im Verhältnis dazu noch größeren Schwierigkeiten italienischer Kinder und Jugendlicher in der öffentlichen Diskussion kaum Berücksichtigung fänden (s. Hunger/Tränhardt 2001: 52). Ein Grund hierfür könnte, wie die Autoren andeuten, darin liegen, dass italienische MigrantInnen gegenüber Einheimischen als kulturell weniger different angesehen werden, während das Postulat einer grundlegenden kulturellen Differenz im Hinblick auf türkische MigrantInnen eine zentrale Rolle spielt. Dass Kinder mit italienischem Migrationshintergrund im Unterschied zu Kindern mit türkischem Migrationshintergrund im bildungspolitischen und medialen Diskurs in Bezug auf ihre Bildungsbenachteiligung nicht als eine ‚Problemgruppe‘ in den Blick geraten, ist also keineswegs von der Sachlage her begründet, sondern weist daraufhin, dass der im Fall der türkischen MigrantInnen im öffentlichen und (bildungs-)politischen Diskurs einflussreiche ‚Kulturkonflikttopos‘ (s. dazu Kapitel 5.2.2.) nicht nur als problematisches Deutungsmuster zur Analyse und Erklärung von Benachteiligungsprozessen zum Tragen kommt, sondern bereits in dem vorausgehenden Prozess der Beobachtung und Wahrnehmung von Prob56 Erhoben wurden alle Schulformen, die von einer Person im Beobachtungszeitraum besucht wurden. Wenn ein Schulformwechsel stattgefunden hat, wurden beide (oder mehrere) Schulformen aufgenommen.
88
Institutionelle Diskriminierung: Theorie und Empirie
lemlagen und der Etikettierung von Gruppen als Problemgruppen seine Wirkung entfaltet. Während die überproportional starke Benachteiligung von Kindern und Jugendlichen mit türkischer oder italienischer Staatsangehörigkeit hinsichtlich ihrer Positionierung im Bildungssystem sowie die gegenüber diesen Einwanderergruppen weitaus bessere Positionierung von griechischen MigrantInnen durch die amtliche Bildungsstatistik (s.u.) bestätigt wird, gibt es zur Bildungssituation von Kindern und Jugendlichen aus Migrantenfamilien aus (Ex-)Jugoslawien und Spanien widersprüchliche Daten. Diese nehmen hinsichtlich ihrer Positionierung nach den SOEP-Daten innerhalb der verschiedenen Einwanderergruppen eine mittlere Stellung ein. Demgegenüber weisen die PISA-Daten SchülerInnen mit (ex-)jugoslawischem Migrationshintergrund als eine ähnlich stark benachteiligte Gruppe wie diejenige mit türkischem Migrationshintergrund aus. Hunger und Tränhardt (2003: 71) problematisieren hierauf bezogen jedoch, dass die in der PISAErhebung zusammengefasste Gruppe von SchülerInnen mit ex-jugoslawischem Hintergrund eine hinsichtlich ihres Bildungserfolgs sehr heterogene Gruppe darstellt und dass die amtlichen Bildungsstatistiken zeigen, dass SchülerInnen mit kroatischem und slowenischen Familienhintergrund relativ bildungserfolgreich, während SchülerInnen aus dem Kosovo oder Serbien stark benachteiligt sind. Diese Problematik betrifft entsprechend auch die SOEP-Daten, die ebenfalls mit der Zuordnung von SchülerInnen unterschiedlicher Herkunft zu der Gruppe aus Ex-Jugoslawien arbeiten, allerdings gegenüber den PISA-Daten abweichende Ergebnisse liefern. Wie Tabelle 2 zu entnehmen ist, zeigen die amtlichen Bildungsstatistiken in Bezug auf SchülerInnen spanischer Staatsangehörigkeit eine im Verhältnis zu SchülerInnen türkischer und italienischer Staatsangehörigkeit weitaus geringere Benachteiligung auf und sie sind den offiziellen Statistiken zufolge und im Widerspruch zu den SOEP-Ergebnissen auch im Verhältnis zu SchülerInnen griechischer Staatsangehörigkeit wesentlich bildungserfolgreicher (s. dazu auch Hunger/Tränhardt 2001: 53f.).
Zur Empirie der Bildungsbenachteiligung von MigrantInnen
89
Tabelle 2 Ausländische SchülerInnen in der Bundesrepublik Deutschland nach ausgewählten Staatsangehörigkeiten und Schulart der Sekundarstufe I und II (allgemeinbildende Schulen im Schuljahr 2002/2003 in %) Staatsangehörigkeit
Hauptschule
Realschule
Gymnasium
Integrierte Gesamtschule
Sonstige
Griechenland (n=17.347)
43,7
20,9
21,1
9,4
4,9
Italien (n=35.391)
51,5
19,8
11,9
10,7
6,1
Portugal (n=6.950)
44,2
20,6
16,2
11,8
7,2
Spanien (n=4.188)
28,3
24,2
26,6
14,0
6,9
Türkei (n=210.273)
45,7
18,4
10,8
16,3
8,8
Quelle: Bericht der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration (2005: 589) auf der Basis der Daten des Statistischen Bundesamtes
Die vorliegenden, nach Zuwanderungsnationalität unterscheidenden Daten können jedoch genauso wenig als eigenständige Grundlage für die Erklärung der Benachteiligung im Bildungssystem beansprucht werden, wie die mittels der Rechtskategorie Staatsbürgerschaft oder des übergeneralisierten Kriteriums des Migrationshintergrunds erhobenen Daten. Denn weder stellen die jeweiligen Einwandernationalitäten homogene soziale Milieus dar, noch ist die Annahme plausibel, dass Bildungsaspirationen national konturiert sind, insofern eine solche Perspektive von den je spezifischen schicht- und klassenbezogenen Ungleichheitsverhältnissen, die auch für die betreffenden Herkunftsgesellschaften gelten, abstrahiert. Relevanz erhält hingegen die Unterscheidung nach nationaler Herkunft, wenn die - allerdings nur empirisch zu klärende - Frage, ob Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund nicht nur auf der Grundlage ihres sozioökonomischen Status und des sprachlichen Hintergrunds, sondern auch auf der Grundlage nationalisierender, ethnisierender und kulturalisierender Unterscheidungen Diskriminierung erfahren, positiv beantwortet werden muss. Hunger und Tränhardt (2001: 54) konstatieren, dass sich der ungleiche Einbezug verschiedener Zuwanderernationalitäten in das Bildungssystem weder „allein mit sozio-ökonomischen Randvariablen (wie dem unterschiedlichen Bildungsgrad der Eltern, Aufenthaltsdauer oder Haushaltseinkommen) erklären“
90
Institutionelle Diskriminierung: Theorie und Empirie
lasse, noch mit „kulturellen Erklärungsmodelle[n]“. Vergleicht man etwa den unterschiedlichen Bildungserfolg von italienischen und spanischen SchülerInnen, so lässt sich die deutliche Bildungsbenachteiligung der italienischen Einwanderergruppe weder mit der Aufenthaltsdauer noch mit dem sozioökonomischen Status oder einer vermeintlichen Kulturdifferenz plausibel erklären. Vor dem Hintergrund, dass die italienischen MigrantInnen die Einwandergruppe mit der längsten Aufenthaltsdauer sind, kann Hunger und Tränhardt zufolge Erklärungskraft allenfalls die unterschiedliche „Selbsthilfekraft der verschiedenen Gruppen“ beanspruchen:
„Während Spanier und Griechen bereits sehr früh Eigeninitiative in der Frage der Beschulung ihrer Kinder in Deutschland entfalteten und sich in Vereinen und Selbsthilfegruppen organisierten, findet man bis heute so gut wie keine derartigen Aktivitäten bei Italienern. Von allen italienischen Vereinen in Deutschland sind aktuell nur etwa 2,5% mit Fragen der Schulbildung der Einwandererkinder beschäftigt. Bei den Spaniern ist dagegen jeder vierte Verein ein Elternverein, der als Unterstützungsnetzwerk für spanische Familien zur Organisierung von Hausaufgabenhilfen und Elternberatung fungiert.“ (Hunger/Tränhardt 2001: 54)
Die nationale Herkunft lässt zwar aufgrund der spezifischen Geschichte und Struktur der Migration aus jeweiligen Ländern einen Rückschluss auf die Wahrscheinlichkeit, dass diese überproportional mit einem bestimmten sozioökonomischen Status korreliert, zu, eine sinnvolle Bestimmung der Bedingungen von Bildungserfolg bzw. -misserfolg wäre jedoch nur über die differenzierte Untersuchung theoretisch konturierter Teilgruppen auf der Ebene sozialer Milieus innerhalb der Einwanderergruppen möglich, da die soziale Lage nicht unmittelbar auf die Bildungschancen durchschlägt, sondern vermittelt über milieugebundene Orientierungen im Bildungssystem (s. Willis 1977; Bourdieu/Passeron 1978; Vester 2004). Am Fall der spanischen MigrantInnen etwa wird zudem deutlich, dass aktive Strategien des Umgangs mit der Einwanderungssituation in Form von gezielter Sprachförderung und Netzwerkbildung von erheblicher Bedeutung sind. Insofern die vorliegende sozialstatistische Forschung eine solche Differenzierung nicht vornimmt und die Statistiken durch die Operation mit Durchschnittswerten die reale sozioökonomische Heterogenität und die unterschiedlichen Bildungsstrategien jeweiliger Einwanderergruppen nivellieren, wäre eine differenzierte Betrachtung der sozialen Milieuunterschiede innerhalb der ‚Nationalitäten‘ und ihrer Folgen für das Bildungssystem Voraussetzung für eine Analyse der Bedingungen des relativen Bildungserfolgs oder -misserfolgs bzw. für eine Klärung der Frage, ob und wie je spezifische Bildungsstrategien von Migrantengruppen sowie nationalisierende und ethnisierende Stereotype auf der Ebene der Mechanismen der Binnenselektion des Schulsystems in den jeweiligen Bildungskarrieren wirksam werden. Eine nicht weiter differenzierte Daten-
Zur Empirie der Bildungsbenachteiligung von MigrantInnen
91
erhebung nach Nationalitäten läuft demgegenüber Gefahr, der Staatsangehörigkeit oder dem Migrationshintergrund einen eigenständigen Erklärungswert zuzuschreiben und diese damit als Kategorien zu reifizieren. Diese Problematik findet sich auch in der Analyse der SOEP-Daten durch Diefenbach, indem dort „statistisch signifikante Effekte der Nationalität der Migrantenkinder“ ausgemacht werden und aus der Tatsache, dass die Nationalität kaum einen Einfluss auf die Effekte der anderen erhobenen Variablen (s.u.) hat, geschlossen wird, dass „jeweils eigenständige, voneinander unabhängige Effekte der Nationalität und der anderen erklärenden Variablen“ vorliegen (Diefenbach 2002: 62). Geschlechterdifferenzen in der Bildungsbeteiligung von ausländischen Kindern und Jugendlichen Mit der Fragestellung, ob die Bildungsbenachteiligung von ausländischen Kindern und Jugendlichen eine starke geschlechtsspezifische Ausprägung aufweist, vergleicht Diefenbach (2002: 25f.) die Bildungsbeteiligung von ausländischen Jungen und Mädchen und unterzieht diese einem Vergleich mit der Bildungsbeteiligung von deutschen Jungen und Mädchen. Die aus den SOEP-Daten ablesbare geringfügige Bildungsbenachteiligung von deutschen Jungen gegenüber deutschen Mädchen findet sich im Verhältnis zwischen ausländischen Jungen und ausländischen Mädchen in nochmals abgeschwächter Form wieder. So „lassen sich weder bei deutschen Kindern noch bei Kindern aus Migrantenfamilien nennenswerte Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen hinsichtlich der Bildungsbeteiligung in der Sekundarstufe erkennen. Sofern überhaupt vorhanden, sind die Unterschiede zwischen deutschen Mädchen und Jungen eher etwas größer als die Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen aus Migrantenfamilien“ (Diefenbach 2002: 26).
Dieser Befund kann allerdings durch die amtlichen Bildungsstatistiken nicht bestätigt werden: Diese weisen, wie Tabelle 3 zeigt, hinsichtlich der formalen Schulabschlüsse seit den 1990er Jahren eine nicht unerhebliche Bildungsbenachteiligung deutscher Jungen gegenüber deutschen Mädchen auf, die - wenn auch in abgeschwächter Form - eine Entsprechung in der Relation des Bildungserfolgs von ausländischen Jungen zu ausländischen Mädchen hat. Diese genderspezifische Bildungsbenachteiligung hat jedoch kaum einen relativierenden Effekt auf die eklatante Differenz hinsichtlich der Bildungschancen von Deutschen und AusländerInnen bzw. SchülerInnen mit und ohne Migrationshintergrund. So sind die deutschen Jungen (als im Verhältnis zu deutschen Mädchen benachteiligte) gegenüber den ausländischen Mädchen (als im Verhältnis zu ausländischen Jungen privilegierte), immer noch deutlich bildungserfolgreicher. Insofern kann in der Tat nicht davon ausgegangen werden, dass geschlechtsspezifische Unterschiede der Bildungsbenachteiligung bedeutsamer sind, als die zwischen Deutschen und AusländerInnen.
92
Institutionelle Diskriminierung: Theorie und Empirie
Tabelle 3 Schulabschlüsse von deutschen und ausländischen Schulentlassenen an allgemeinbildenden Schulen nach Geschlecht in den Schuljahren 1991/92 und 2001/02 Deutsche Schulentlassene Insgesamt
Männlich
Weiblich
1991/92
2001/02
1991/92
2001/02
1991/92
2001/02
Ohne Abschluss
6,7
8,2
8,4
10,4
5,0
6,0
Hauptschulabschluss
25,1
24,1
27,7
27,6
22,2
20,5
Realschulabschluss
41,6
41,3
39,2
39,4
44,2
43,2
Fachhochschulreife
0,8
1,3
0,8
1,2
0,8
1,4
Hochschulreife
25,8
25,1
23,9
21,4
27,8
29,0
Ausländische Schulentlassene Insgesamt
Männlich
Weiblich
1991/92
2001/02
1991/92
2001/02
1991/92
2001/02
Ohne Abschluss
20,9
19,5
23,9
23,1
17,5
15,6
Hauptschulabschluss
44,4
40,8
44,6
41,8
44,1
39,7
Realschulabschluss
26,3
28,8
23,5
25,8
29,4
31,9
Fachhochschulreife
0,6
1,4
0,6
1,3
0,6
1,5
Hochschulreife
7,8
9,5
7,4
7,9
8,3
11,3
Quelle: Bericht der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration (2005: 590) auf der Basis der Daten des Statistischen Bundesamtes
Zur Empirie der Bildungsbenachteiligung von MigrantInnen
93
Bildungsbeteiligung von ausländischen SchülerInnen in Abhängigkeit von der sozio-ökonomischen Lage Im Rahmen des SOEP-Panels wurde erhoben, inwiefern das durchschnittliche Haushaltseinkommen, der Bildungsstatus des Haushaltsvorstands und die durchschnittliche Anzahl der Kinder im Haushalt Einfluss auf die Bildungschancen sowohl der deutschen als auch der ausländischen Kinder und Jugendlichen haben (s. Diefenbach 2002: 52f.). Für deutsche Kinder und Jugendliche wird darauf bezogen festgestellt, dass alle drei Faktoren einen statistisch signifikanten Effekt auf einen Hauptschul- oder Gymnasialbesuch haben. Dabei gilt: Je niedriger das Haushaltseinkommen und der Bildungsabschluss und je höher die Anzahl der Kinder im Haushalt, desto wahrscheinlicher der Hauptschulbesuch und desto unwahrscheinlicher der Gymnasialbesuch. Auf den Realschulbesuch hat unter allen drei Faktoren jedoch nur das Haushaltseinkommen statistisch signifikanten Einfluss. Für ein deutsches Kind ist die Wahrscheinlichkeit, eine Hauptschule zu besuchen, dann besonders groß, wenn auch der Haushaltsvorstand einen Hauptschulabschluss besitzt; sie steigt in diesen Fällen um das 2,87-fache an. Der am unteren Segment des Bildungssystems angesiedelte Hauptschulabschluss ist demzufolge also in besonderem Maße vom Bildungsgrad bzw. -milieu abhängig, die anderen sozioökonomischen Merkmale treten in diesem Fall in ihrer Bedeutung zurück (s. Diefenbach 2002: 52). Für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund stellt sich demgegenüber die Datenlage anders dar. Es gibt keinerlei signifikanten Einfluss der drei Faktoren auf die Bildungschancen, lediglich die Wahrscheinlichkeit des Realschulbesuchs wird mit steigendem Einkommen größer (s. Diefenbach 2002: 55). Diefenbach zieht daraus folgende Schlussfolgerungen: „Erstens sind es bei Kindern aus Migrantenfamilien offensichtlich nicht die sozioökonomischen Faktoren, die erklären, welchen Schultyp sie in der Sekundarstufe besuchen. Zweitens besteht diesbezüglich ein grundlegender Unterschied zwischen deutschen Kindern und Kindern aus Migrantenfamilien, denn bei deutschen Kindern haben die sozioökonomischen Merkmale durchaus einen – teilweise erheblichen – Einfluss auf den Besuch eines bestimmten Schultyps.“ (Diefenbach 2002: 56)
Diese Zurückweisung sozioökonomischer Faktoren als Erklärung für die Bildungsbenachteiligung korrespondiert mit diesbezüglichen Ausführungen Diefenbachs in einem Artikel neueren Datums, der bereits die PISA-Ergebnisse berücksichtigt: „Weil also bei deutschen Familien sowohl die Bildung der Eltern als auch das Einkommen die Wahrscheinlichkeit eines Kindes einen bestimmten Schulabschluss zu erreichen, beeinflussen, während dies bei Migrantenfamilien nicht der Fall ist, kann die Behauptung, nach welcher der mangelnde Schulerfolg von Kindern aus Migrantenfamilien ihrer Zugehörigkeit zu den unteren sozialen Schichten (und nicht ihrer
94
Institutionelle Diskriminierung: Theorie und Empirie
Migrationsbiografie bzw. ihrer Nationalität) geschuldet sei, zurückgewiesen werden“ (Diefenbach 2004: 235).
Die Annahme, dass sozioökonomische Faktoren bei der Bildungsbenachteiligung von MigrantInnen in den Hintergrund treten, wäre jedoch auf der Grundlage der PISA-Daten in Frage zu stellen. Denn als dominante und starke Korrelation tritt, wie u.a. die PISA-Daten zeigen (s.u.), auch bei Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund diejenige zwischen sozioökonomischem Status und Bildungserfolg in Erscheinung. Zu untersuchen ist vor diesem Hintergrund also, in welchem Ausmaß eine über diese Diskriminierung als Angehörige der sozialen ‚Unterschicht‘ hinausgehende ethnisierende Diskriminierung stattfindet; das hier postulierte eigenständige und von sozioökonomischen Faktoren vermeintlich unabhängige Erklärungspotential der „Migrationsbiografie“ oder der „Nationalität“ muss auf der Grundlage der vorliegenden Daten und Analysen hingegen zurückgewiesen werden. Dass die mit dem SOEP-Panel erhobenen Daten für MigrantInnen einen weitaus weniger großen Einfluss sozioökonomischer Faktoren aufzeigen, ergibt sich daraus, dass dieser Einfluss nur für die Binnendifferenzierung innerhalb der Gruppe der MigrantInnen ermittelt wird und nicht ins Verhältnis zu allen SchülerInnen gesetzt wird. Da MigrantInnen sowohl in den unteren sozialen Schichten als auch in den unteren Segmenten des Bildungssystems stark überrepräsentiert sind, ist es nicht erstaunlich, dass in der Binnenbetrachtung dieser hinsichtlich ihres sozioökonomischen Status relativ homogenen Gruppe keine signifikanten Korrelationen zwischen sozioökonomischem Status und Bildungserfolg ausgemacht werden können. An anderer Stelle modifiziert Diefenbach im Sinne dieser Kritik entsprechend die Einschätzung, dass sozioökonomische Faktoren für die Analyse der Bildungsbenachteiligung von MigrantInnen zu vernachlässigen sind, indem sie darauf hinweist, dass „Migrantenfamilien in Deutschland hinsichtlich dieser Faktoren weit weniger stark variieren als deutsche Familien, sodass statistische Analysen naturgemäß keine Effekte ausweisen können und - zweitens – dass dort, wo die entsprechende Varianz bei Migrantenfamilien gegeben ist, sie dennoch keine Effekte produziert, weil die Ressourcen, über die Migranten de facto verfügen, wie ggf. über einen Abschluss einer weiterführenden Schule, in der Migrationssituation teilweise ihren Wert verlieren und damit weder dem Migranten selbst noch seinen Kindern im Zuge intergenerationaler Transmission zugute kommen können.“ (Diefenbach 2002: 64f.)
Der hier benannte und m. E. zentrale Sachverhalt relativiert jedoch nicht nur die oben getroffene Einschätzung, sondern stellt deren Aussagekraft generell in Frage. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass auch sozioökonomische Faktoren keinen eigenständigen Erklärungswert besitzen, sondern nur sinnvoll im Zusammenwirken der sozialen Lage von SchülerInnen, den kollektiven Bildungsstrategien
Zur Empirie der Bildungsbenachteiligung von MigrantInnen
95
der sozialen Klassen bzw. den sozialen Milieus und den familialen Sozialisationsbedingungen einerseits, den gesellschaftsstrukturellen Voraussetzungen und institutionellen Bedingungen andererseits, zu analysieren sind. Bildungsbenachteiligung von ausländischen Kindern und Jugendlichen in Abhängigkeit von „kulturellen Faktoren“ und der Rückkehrabsicht“ Im Rahmen der Datenerhebung des SOEP-Panels wurden so genannte „kulturelle Faktoren“ erhoben, die sich aufschlüsseln nach Geburtsland des Kindes (Deutschland vs. nicht Deutschland), der Identifikation des Haushaltsvorstands mit der deutschen Nationalität oder der seines Herkunftslandes sowie das „kulturelle Milieu“ im Elternhaus.57 Als unterschieden von diesen „kulturellen Faktoren“ wurde zusätzlich die „Rückkehrabsicht“ als Variable eingeführt. Diefenbach folgert aus der Analyse dieser Daten, dass das Geburtsland des Kindes sowie die geäußerte „Rückkehrabsicht“ keinerlei signifikanten Einfluss auf den Schulbesuch haben und die statistische Relevanz der Identifikation des Haushaltsvorstands mit der deutschen Nationalität vernachlässigbar sei; dagegen steige „mit einer Annäherung des kulturellen Milieus im Elternhaus an die deutsche Kultur die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind die Realschule bzw. das Gymnasium besucht“ (Diefenbach 2002: 56). Hierbei wird allerdings nicht nur in problematischer Weise die Existenz einer homogenen „deutschen Kultur“ vorausgesetzt und unterstellt, dass eine Annäherung an die solchermaßen konstruierte nationale Kultur darin zum Ausdruck kommt, dass deutsche Zeitungen, deutsche Musik und deutsche Küche präferiert werden. Zudem wird die Unterscheidung zwischen einer Orientierung an der „deutschen Kultur“ und anderen national konstruierten Kulturen mit der Einbettung in unterschiedliche „kulturelle Milieus“ gleichgesetzt. Die genannten Indikatoren sind jedoch keineswegs geeignet, um für die ungleiche Bildungsbeteiligung sozialer Gruppen potentiell relevante soziale Milieus und dort vorfindbare Bildungsstrategien bzw. die ungleiche Verfügung über kulturelles Kapital in unterschiedlichen sozialen Gruppen zu erfassen. So würde etwa bei deutschen SchülerInnen die - auch dort keineswegs als selbstverständlich zu unterstellende - Präferierung deutscher Musik durch den Haushaltsvorstand entweder nicht als bildungsrelevante Variable in Betracht kommen oder aber als möglicher Hin57
Das „kulturelle Milieu“ wird über einen Index ermittelt, der sich aus der Beantwortung der Fragen des Haushaltsvorstands, ob dieser jeweils die deutsche Küche, deutsche Musik und deutsche Zeitungen oder die Küche, Musik und Zeitung seiner Herkunftsgesellschaft präferiert, additiv ergibt. Bei der Identifikation des Haushaltsvorstands mit der deutschen Nationalität oder der Herkunftsnationalität wurde über drei verschiedene Antwortenmöglichkeiten des Haushaltsvorstandes ermittelt, ob dieser sich ganz oder mehr als Türke, Spanier etc., oder aber ganz oder mehr als Deutscher fühlt, oder aber in mancher Hinsicht und situationsspezifisch mal als Deutscher, mal als Türke, Spanier etc. fühlt. Beide Variablen wurden im SOEP-Panel nicht durchgängig erhoben und daher nur die Daten der Befragung von 1984 zugrunde gelegt. (s. Diefenbach 2002: 51).
96
Institutionelle Diskriminierung: Theorie und Empirie
weis auf ein tendenziell eher ‚bildungsfernes‘ Milieu herangezogen werden. Um das „kulturelle Milieu“ und die damit verbundenen Bildungsstrategien zu erfassen, ist es demgegenüber sinnvoller - wie dies im Rahmen der PISA-Studie geschehen ist - nach „schulrelevanten Besitztümern“ wie etwa der Anzahl der Bücher im Haushalt oder nach dem „kulturellen Leben der Familie“ zu fragen (s. Baumert/Schümer 2001: 333), also nach möglichen ergänzenden Indikatoren für vorliegende familiale Bildungsorientierungen, über die der formale Bildungsabschluss der Eltern nicht hinreichend Auskunft geben kann. 2.2.2 Ergebnisse der Schulforschung: PISA und IGLU Während die amtliche Bildungsstatistik zum einen die für die Analyse der Problematik der Bildungsbenachteiligung von MigrantInnen wenig geeignete Unterscheidungskategorie der Staatsbürgerschaft zugrunde legt, zum anderen keine Aussagen darüber zulässt, welche Einflussfaktoren hier relevant werden, wird die Bildungsbenachteiligung von MigrantInnen mit den PISA- und IGLU-Daten (s. Baumert/Schümer 2001 u. 2002; Schwippert/Bos/Lankes 2003 u. 2004) empirisch differenzierter beschreibbar. Auf der Grundlage der beiden Studien stellt sich insbesondere die Frage, ob MigrantInnen aufgrund ihrer sozial-strukturellen Positionierung eine Benachteiligung erfahren, oder ob sie darüber hinaus auf der Grundlage von Unterscheidungen benachteiligt sind, die spezifisch mit dem Merkmal Migrationshintergrund zusammenhängen. Klärungsbedürftig ist vor diesem Hintergrund, inwiefern die Situation der Benachteiligung von SchülerInnen mit Migrationshintergrund eine den Aspekt der Reproduktion sozioökonomischer Ungleichheit durch das Bildungssystem überschreitende Dimension annimmt. Dadurch, dass die PISA-Stichprobe leistungsbezogene Informationen über die Feststellung von Kompetenzen - so genannter „literacy-Fähigkeiten“58 - 15jähriger SchülerInnen schulformübergreifend ermittelt, kann die Frage des ungleichen Einbezugs verschiedener sozialer Gruppen in das Bildungssystem nicht nur in Abhängigkeit von Faktoren wie sozioökonomische Lage oder Migrati58
Die PISA-Studien arbeiten mit einem Konzept der „Basiskompetenzen“ bzw. der „Grundbildung“, dabei wird die Lesekompetenz (reading literacy) in der „deutschen Umsetzung von PISA als fächerübergreifende Schlüsselqualifikation betrachtet, für deren Aneignung in der Phase des Schriftspracherwerbs die Hauptverantwortung zunächst beim muttersprachlichen Unterricht liegt ,die dieser mit zunehmender Schulbesuchsdauer mehr und mehr mit allen anderen Unterrichtsfächern teilt“ (Baumert/Stanat/Demmrich 2001: 21). Diese als zentral herausgestellte allgemeine Bedeutung der Lesekompetenz erhält insbesondere auch für die Analyse der Bildungsbenachteiligung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund Relevanz. Im obigen Zitat wird jedoch in problematischer Weise der muttersprachliche Unterricht mit dem Deutschunterricht gleichgesetzt und dabei ignoriert, dass die deutsche Sprache für einen großen Teil der SchülerInnen nicht die Erstsprache darstellt (s. dazu auch Gogolin 2003: 42).
Zur Empirie der Bildungsbenachteiligung von MigrantInnen
97
onshintergrund59 dargestellt, sondern die Bedeutung dieser Faktoren für die ungleiche Verteilung auf unterschiedliche Schulformen auch unter Kontrolle des Leistungsstandes beschrieben werden. Während die amtliche Schulstatistik über ihr Erfassungskriterium der Staatsbürgerschaft nur auf einen Ausländeranteil von knapp 10% in der Gesamtschülerschaft kommt, sind es bei PISA 21,8% SchülerInnen, bei denen mindestens ein Elternteil im Ausland geboren wurde und die damit den bei PISA zugrunde gelegten Kriterien zufolge einen Migrationshintergrund aufweisen. Obwohl eine solche Feststellung des Migrationshintergrund eine notwendige Voraussetzung darstellt, um über die Frage der Bildungsbenachteiligung von MigrantInnen (und nicht über ausländische Staatsangehörige) sinnvolle Aussagen treffen zu können, ist auch die Kategorie des Migrationshintergrund in hohem Maße übergeneralisierend. Denn Migration ist sowohl hinsichtlich des Ausmaßes als auch ihrer Formen regional sehr spezifisch ausgeprägt, worauf die PISA-AutorInnen Jürgen Baumert und Gundel Schümer auch hinweisen (Baumert/Schümer 2002: 190ff.). So ist die Durchschnittszahl von 21,8% SchülerInnen mit Migrationshintergrund insbesondere aufgrund der großen Ost-West-Unterschiede, der StadtLand-Unterschiede und der in jeweiligen Regionen unterschiedlichen Migrationsstruktur wenig aussagefähig. Betrachtet man nur die westdeutschen Bundesländer, erhöht sich der Anteil der SchülerInnen mit Migrationshintergrund auf 26,6%, wobei dieser auch zwischen den Bundesländern starke Differenzen (von 14,4% in Schleswig-Holstein bis zu 32,2% in Nordrhein-Westfalen) aufweist. Insgesamt ergibt sich hier jedoch das Bild einer „Normalität der Migration in der alten Bundesrepublik“ (Baumert/Schümer 2002: 191), während dies in den ostdeutschen Ländern mit einem im Verhältnis dazu marginalen Anteil von 3,6% der SchülerInnen mit Migrationshintergrund nicht der Fall ist. Unterzieht man die Großstädte einer gesonderten Betrachtung, dann liegt dort der Anteil von Jugendlichen mit Migrationshintergrund bereits bei über einem Drittel. Während MigrantInnen in den ostdeutschen Bundesländern nahezu ausschließlich aus Polen oder Ländern der ehemaligen Sowjetunion stammen, weisen die westdeutschen Länder eine wesentlich heterogenere und teilweise regional sehr spezifisch ausgeprägte Migrationsstruktur auf. So lässt sich den PISA-Daten bspw. entnehmen, dass der Anteil der 15-jährigen SchülerInnen mit Migrationshintergrund, deren Väter in der Türkei geboren sind, in Niedersachsen bei 9,3%, während dieser in Nordrhein-Westfalen bei 21,4% liegt, oder etwa der Anteil der SchülerInnen, deren Vater in Polen oder der ehemaligen Sowjetunion gebo59 Gefragt wurde bei PISA nach dem Geburtsland, dem Geburtsland der Eltern, der familialen Verkehrssprache sowie, in Deutschland abweichend zur internationalen Untersuchung, auch nach der Erstsprache (s. Baumert/Schümer 2002: 189).
98
Institutionelle Diskriminierung: Theorie und Empirie
ren ist, in Baden-Württemberg bei 23,0%, in Niedersachsen hingegen bei 52,5% liegt (s. Baumert/Schümer 2002: 190ff.). Hierauf kann im Weiteren nicht im Einzelnen eingegangen werden. Hinzuweisen ist aber darauf, dass MigrantInnen aus Polen und der ehemaligen Sowjetunion mittlerweile über ein Drittel der Einwanderungsgesamtpopulation ausmachen und damit eine mehr als doppelt so große Gruppe wie die der ehemals größten Einwanderungsgruppe der türkischen MigrantInnen darstellen. Eine zahlenmäßig relevante Migration aus Polen und den Ländern der ehemaligen Sowjetunion gibt es erst seit 15 Jahren im Rahmen der Ermöglichung der Einwanderung so genannter Aussiedler bzw. Spätaussiedler. Da diese somit ein gegenüber der Migration aus den ehemaligen Anwerbeländern relativ neues Phänomen darstellt, sind im Unterschied zu vielen SchülerInnen mit etwa türkischem oder griechischem Migrationshintergrund, die der zweiten und dritten Generation angehören, die meisten 15-jährigen ‚neuen‘ ‚deutschstämmigen‘ MigrantInnen im Ausland geboren. Tabelle 4 Geburtsland des Vaters (in % der 15-jährigen mit Migrationshintergrund) Jugendl.m. DeutschMigratiland onshintergr. (in % der 15jährigen insgesamt)
Griechenland, Italien
Türkei
Polen, ehemaligeSowjetunion
Ehemalig. Anderes JugosLand lawien
Alte Länder
26,6
12,9
7,7
16,0
34,2
6,7
22,5
Neue Länder
3,6
18,1
2,3
4,2
38,7
4,8
31,9
Großstädte
36,1
17,0
8,5
18,8
19,9
8,9
26,9
Deutsch -land insg.
21,8
13,0
7,5
15,7
34,5
6,5
22,8
Quelle: Baumert/Schümer 2002: 190
Zur Empirie der Bildungsbenachteiligung von MigrantInnen
99
Die PISA-Daten zeigen auf, dass Kinder, deren Eltern beide im Ausland geboren wurden, hinsichtlich ihres Einbezugs in das Bildungssystem nach Bildungsgang erheblich benachteiligt sind. Kinder mit nur einem im Ausland geborenen Elternteil besuchen zwar etwas häufiger die Hauptschule und seltener die Realschule als SchülerInnen, deren Eltern beide in Deutschland geboren wurden; sie finden sich jedoch gegenüber diesen etwas häufiger auf dem Gymnasium und der Gesamtschule. So ist zwar von einer unterschiedlichen Repräsentanz von SchülerInnen ohne Migrationshintergrund und SchülerInnen mit einem im Ausland geborenen Elternteil auf unterschiedlichen Schulformen auszugehen, ihr Einbezug in das Bildungssystem ist jedoch weitgehend dem der Jugendlichen ohne Migrationshintergrund angeglichen. Ganz anders stellt sich dies im Fall der SchülerInnen aus ‚reinen‘ Zuwandererfamilien, bei denen beide Elternteile im Ausland geboren wurden, dar, diese besuchen mit fast 50% doppelt so häufig die Hauptschule wie Jugendliche, deren Eltern in Deutschland geboren wurden (s. Baumert/Schümer 2002: 195). Neben diesem erheblichen Unterschied zwischen ‚gemischten‘ und ‚reinen‘ Zuwandererfamilien weist die Bildungsbenachteiligung auch einwanderergruppenspezifische Ausprägungen auf. Am stärksten benachteiligt sind, wie die unten stehende Tabelle (5) zeigt, Jugendliche, deren Väter in der Türkei geboren wurden (von diesen besuchen 56,6 % eine Hauptschule oder berufliche Schule und nur 10,2 % ein Gymnasium) sowie Jugendliche, deren Väter im ehemaligen Jugoslawien geboren wurden (von diesen besuchen 56% eine Hauptschule oder berufliche Schule, aber nur 15,3 % ein Gymnasium). Hingegen ist bei den unter „anderen Ländern“ aufgeführten Jugendlichen zwar auch ein überdurchschnittlich hoher Hauptschüleranteil zu finden, während aber der Gymnasiastenanteil von 29,5% kaum gegenüber dem von 32,5% unter denjenigen Jugendlichen, deren Vater in Deutschland geboren wurde, zurückbleibt. Hier ist davon auszugehen, dass es sich um eine nicht nur hinsichtlich der nationalen Herkunft, sondern auch hinsichtlich des sozioökonomischen Status und der Bildungsstrategien sehr heterogene Gruppe handelt. Die Nationalitätenauswertung ist jedoch für einige der hier zusammengefassten Gruppen nur sehr begrenzt aussagefähig: So fasst die PISA-Studie griechische und italienische SchülerInnen als eine Gruppe, die nach der amtlichen Bildungsstatistik als auch den SOEP-Daten sehr unterschiedlich in das Bildungssystem einbezogen sind (s. Tabelle 5). Während sich bei SchülerInnen griechischer Herkunft eine tendenzielle Angleichung an die Bildungsbeteiligung deutscher SchülerInnen beschreiben lässt, stellen italienische Kinder und Jugendliche eine der am stärksten bildungsbenachteiligten Einwanderergruppen dar (s. Diefenbach 2002: 11). Entsprechendes gilt für die im Hinblick auf ihren Einbezug in das Bildungssystem sehr heterogene Gruppe der SchülerInnen aus dem ehemaligen Jugoslawien (s. Hunger/Tränhardt 2003: 71).
100
Institutionelle Diskriminierung: Theorie und Empirie
Tabelle 5 15-Jährige nach Geburtsland des Vaters und Bildungsgang in % (ohne SonderschülerInnen) Bildungsgang (Anteil in %) Hauptschule od. berufliche Schule
Realschule
Niveau des Bildungsganges (in %) Gymnasum Integrierte Gesamtschule
Unteres Niveau
Mittleres u. höheres Niveau
Geburtsland des Vaters Deutschland
23,6
34,5
32,5
9,3
26,6
73,4
Griechenland/Italien
47,0
26,4
17,9
8,8
49,2
50,8
Türkei
56,6
19,3
10,2
13,9
62,8
37,2
Polen/ehem. Sowjetunion
42,1
29,5
17,6
10,7
45,4
54,6
Ehem. Jugoslawien
56,0
19,9
15,3
8,8
60,0
40,0
Andere Länder
33,9
24,9
29,5
11,7
37,7
62,3
Insgesamt
27,4
32,8
30,1
9,7
30,6
69,4
Die Einteilung in Bildungsniveaus erfolgt darüber, dass für das untere Niveau Hauptschule, berufliche Schule und das untere Niveau der Gesamtschule zusammengefasst werden, während für das mittlere und höhere Niveau Realschule, Gymnasium und das obere Niveau der Gesamtschule zusammengefasst werden.
Quelle: Baumert/Schümer 2002: 196
Die PISA-AutorInnen Baumert und Schümer fragen danach, inwiefern die in den verschiedenen Bundesländern unterschiedlich ausgeprägte Bildungsbenachteiligung auf die dort je unterschiedliche spezifische Migrationspopulation zurückzuführen ist und sich dies etwa in Bundesländern mit einem hohen Anteil
Zur Empirie der Bildungsbenachteiligung von MigrantInnen
101
an türkischen MigrantInnen entsprechend deren überproportional hoher Bildungsbenachteiligung gegenüber anderen MigrantInnengruppen statistisch niederschlägt. Diese Logik bestätigen jedoch die PISA-Untersuchungen nicht: Baumert und Schümer stellen vielmehr fest, dass die Differenzen zwischen den Bundesländern hinsichtlich des Einbezugs von MigrantInnen „nicht primär durch die unterschiedliche ethnische Zusammensetzung der zugewanderten Bevölkerungsgruppen und die damit einhergehenden Unterschiede der Bildungsnähe zu erklären“ sind; in den feststellbaren Differenzen „spiegeln sich zunächst Unterschiede in der länderspezifischen Angebots- und Nutzungsstruktur, die auch die Bildungsbeteiligung der Jugendlichen aus Familien ohne Migrationshintergrund reguliert“ (Baumert/Schümer 2002: 196). Auch wenn der Konnex zwischen „ethnischer Zusammensetzung“ und „Bildungsnähe“, der hier zwar als nicht primär relevant, aber doch als gegeben unterstellt wird, problematisch ist, ist damit ein Sachverhalt benannt, der strukturelle Voraussetzungen der Benachteiligung von MigrantInnen in den Blick rückt und die eigenständige Erklärungskraft der nationalen bzw. ‚ethnischen‘ Herkunft in Frage stellt. Der Anteil der Jugendlichen, deren Eltern beide im Ausland geboren sind und die eine Hautschule besuchen, liegt in Baden-Württemberg bei 60,3%, in Bayern bei 65,6%, während dieser in Hessen demgegenüber um die Hälfte reduziert bei 31,4%, in Nordrhein-Westfalen bei 42,9% liegt. Da in Bayern und Baden-Württemberg allerdings auch ein erheblich größerer Anteil von Jugendlichen ohne Migrationshintergrund die Hauptschule besucht (40,4% in Bayern bzw. 31,8% in Baden-Württemberg gegenüber 17,6% in Hessen und 18,4 % in Nordrhein-Westfalen), relativiert sich diese Gegenüberstellung zunächst wieder, wenn man nur die Hauptschule oder nur das Gymnasium ohne Berücksichtigung der unterschiedlichen Angebotsstruktur hinsichtlich der mittleren Bildungsgänge betrachtet. In diesem Fall ist das relative Risiko für einen Jugendlichen mit Migrationshintergrund im Verhältnis zu einem Jugendlichen ohne Migrationshintergrund in Baden-Württemberg doppelt so hoch, in Nordrhein-Westfalen aber mehr als doppelt so hoch, eine Hauptschule zu besuchen - allerdings auf der Basis einer insgesamt weitaus geringeren Quote von HauptschülerInnen (s. Baumert/Schümer 2002: 196). Betrachtet man schließlich die Unterschiede nach unterem Bildungsniveau und mittlerem/höheren Bildungsniveau, sind es jedoch Länder, deren gemeinsames Kennzeichen darin gesteht, dass dort „Bildungsgänge an Integrierten Gesamtschulen und/oder Realschulen deutlich stärker nachgefragt“ (Baumert/Schümer 2002: 196f.) werden - wie Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und das Saarland -, in denen sich deutlich geringere Übergangsschwellen zu einem mittleren und höheren Bildungsgang für Jugendliche mit Migrationshintergrund als in den anderen alten Bundesländern feststel-
102
Institutionelle Diskriminierung: Theorie und Empirie
len lassen.60 Dies führt jedoch auch in den Ländern mit einer Angebotsstruktur, die die Selektivität des dreigliedrigen Schulsystems tendenziell abschwächt, nicht automatisch zu einer Angleichung der Bildungschancen von Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund. Die entsprechenden Disparitäten stellen sich dennoch in den Bundesländern als sehr unterschiedlich dar: Während in Niedersachsen und Hessen für Jugendliche ohne Migrationshintergrund die relative Chance einen Bildungsgang des mittleren und oberen Niveaus zu besuchen um ein ca. 1,8-faches höher liegt als für Jugendliche mit Migrationshintergrund, sind diese relativen Chancen in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg um das ca. 3,3-fache höher (s. Baumert/Schümer 2002: 197f.; Tabelle 6). Für die Einschätzung der für die Bildungsbenachteiligung von MigrantInnen relevanten Faktoren ist der durch die PISA-Studie aufgewiesene enge Zusammenhang von Sozialschichtzugehörigkeit und Bildungsbeteiligung von zentraler Bedeutung. Bei erheblichen Unterschieden in den einzelnen Bundesländern61 ist im Durchschnitt die Chance eines Jugendlichen aus der Oberschicht ein Gymnasium zu besuchen, 5,96 mal so groß wie die eines Jugendlichen aus einer Arbeiterfamilie (s. Baumert/Schümer 2002: 167). In Großstädten ist die Schichtabhängigkeit des Schulbesuchs demgegenüber nochmals deutlich erhöht, hier liegt der Faktor bei 14,36. Die Studie weist darüber hinausgehend auf, dass diese deutliche Schichtabhängigkeit des Bildungserfolgs auch bei Kontrolle der Lesekompetenz und kognitiver Grundfähigkeit zwar ein reduziertes, aber immer noch erhebliches Ausmaß annimmt. So ist die Chance für Jugendliche aus der Oberschicht bei gleicher Lesekompetenz und gleichen kognitiven Grundfähigkeiten im Durchschnitt um ein 3,12-faches höher das Gymnasium zu besuchen als für Jugendliche aus der Unterschicht; in Bayern und Schleswig-Holstein ist diese relative Chance für Oberschichtangehörige sogar um über ein 6-faches höher. Vor dem Hintergrund dieser ausgeprägten sozialen Selektivität des Bildungssystems auf der Grundlage der sozialen Schicht, die auch bei gleicher Leseleistung und kognitiven Grundfähigkeiten noch beachtliche Ausmaße annimmt, stellt sich die Frage, inwiefern und in welchem Maß diese auch in der Bildungsbenachteiligung von Kindern mit Migrationshintergrund zum Tragen kommt (s. Baumert/Schümer 2002: 167 ff.).
60 Dies lässt aber noch keine Aussage darüber zu, was jeweilige Schulabschlüsse an Möglichkeiten der beruflichen Bildung eröffnen oder erschließen, da diese abhängig sind von der regionalen Bewertung des Schulabschlusses sowie der Arbeitslosenquote. 61 So ist die relative Chance eines Jugendlichen aus der Oberschicht gegenüber einem Jugendlichen aus der Arbeiterschicht ein Gymnasium zu besuchen, in Bayern um ein 10,46-faches höher, während in den neuen Bundesländern, die insgesamt eine deutlich geringere Korrelation zwischen sozialer Schicht und Schulformbesuch aufweisen, dieser Faktor im Durchschnitt bei 3,89 liegt (s. Baumert/Schümer 2002: 167).
Zur Empirie der Bildungsbenachteiligung von MigrantInnen
103
In Tabelle 6 wird die Bildungsbenachteiligung von Jugendlichen, deren Eltern beide eingewandert sind, unter Kontrolle der sozialen Schicht sowie der Lesekompetenz ausgewiesen. Tabelle 6 Relative Chancen von Jugendlichen ohne Migrationshintergrund zu Jugendlichen, deren beide Eltern im Ausland geboren wurden, einen mittleren oder höheren Bildungsgang (Realschul- oder gymnasialer Bildungsgang) zu besuchen [odds ratios] Ohne Kontrolle von Kovariaten
Unter Kontrolle der Sozialschichtzugehörigkeit
Unter Kontrolle der Lesekompetenz
Baden-Württemberg
3,28
1,89
0,86 (ns)
Bayern
2,90
2,20
1,10 (ns)
Hessen
1,88
1,09 (ns)
0,48
Niedersachsen
1,84
1,21 (ns)
0,58
Nordrhein-Westfalen
3,30
1,99
0,83 (ns)
Rheinland-Pfalz
2,40
1,46
0,74 (ns)
Saarland
2,63
1,75
0,75 (ns)
Schleswig-Holstein
2,97
1,91
0,81 (ns)
Alte Länder (o. Stadtstaaten)
2,45
1,52
0,70
Neue Länder
1,64
1,34
0,47
Großstädte
2,32
1,15
0,34
Deutschland
2,88
1,96
1,15 (ns)
Quelle: Baumert/Schümer 2002: 198
Da die Bildungsbenachteiligung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund sich unter Kontrolle der Sozialschichtzugehörigkeit verringert, liegt die Schlussfolgerung nahe, dass sich ein erheblicher Teil der ungleichen Bildungschancen daraus ergibt, dass MigrantInnen aufgrund ihrer sozial-strukturellen Positionierung im Bildungssystem benachteiligt sind. Die PISA-AutorInnen folgen jedoch nicht dieser Interpretation, sondern sie weisen insbesondere auf die Kompetenzen in der Verkehrssprache als dominierendem Faktor hin, da sich aus den erhobenen Daten ergibt, dass bei gleicher Lesekompetenz und ohne Kontrolle der Sozialschichtzugehörigkeit keine Benachteiligung mehr von MigrantInnen vor-
104
Institutionelle Diskriminierung: Theorie und Empirie
liegt (s. Baumert/Schümer 2002: 199). Daraus wird folgende Schlussfolgerung gezogen: „Für die Disparitäten der Bildungsbeteiligung sind primär weder die soziale Lage der zugewanderten Familien noch die Distanz zur Majoritätskultur als solche verantwortlich. Von entscheidender Bedeutung ist vielmehr die Beherrschung der deutschen Sprache auf einem dem jeweiligen Bildungsgang angemessenen Niveau. Für Kinder aus Zuwandererfamilien ist die Sprachkompetenz die entscheidende Hürde in ihrer Bildungskarriere. Bei gleicher Lesekompetenz machen Kinder aus Zuwandererfamilien vom Übergang in einen mittleren oder höheren Bildungsgang tendenziell häufiger Gebrauch als die Altersgleichen, die aus deutschsprachigen Familien stammen“ (Baumert/Schümer 2002: 199).
Mit dieser Interpretation der vorliegenden Daten wird nahe gelegt, dass MigrantInnen eine hinsichtlich der Schichtabhängigkeit des Bildungserfolgs in geringerem Maße benachteiligte Gruppe darstellen, wenn der hier als neutral gefasste, sich auf den Leistungsstand beziehende Faktor der Lesekompetenz hinzugezogen wird. Damit wird jedoch aus dem Blick gerückt, dass die Genese von Sprachfähigkeit in hohem Maße von der sozialen Positionierung und Lebenssituation abhängig ist und daher die Lesekompetenz keineswegs als ein eigenständiger, gegenüber der Schichtabhängigkeit des Bildungserfolgs dominanter Faktor betrachtet werden kann. Baumert und Schümer (2001: 360) weisen an anderer Stelle auf „relativ straffe Zusammenhänge zwischen Lesekompetenz und Merkmalen der sozialen Herkunft“ im allgemeinen und insbesondere bei denjenigen hin, die nicht über die bei PISA gemessene Kompetenzstufe I und damit ein gegenüber den vorliegenden Standards für einen Hauptschulabschluss unzureichendes Niveau hinauskommen. Dies betrifft von den Jugendlichen, deren beide Eltern eingewandert sind, immerhin 50% (s. Baumert/Schümer 2001: 379). Die im Vergleich zu den anderen PISA-Teilnehmerstaaten deutlich stärkeren Effekte der sozialen Herkunft auf die Lesekompetenz (s. Baumert/Schümer 2002: 183) - bei insgesamt sehr niedrigem Niveau der Lesekompetenz im internationalen Vergleich - wirken sich insofern auf den Schulerfolg insgesamt aus, als die Defizite in der Lesekompetenz auch in den vermeintlich nicht sprachorientierten Fächern zu Buche schlagen. So stellen Baumert und Schümer fest: „Die Entwicklung des Zusammenhangs zwischen Herkunft und Leistung scheint ein kumulativer Prozess zu sein, der lange vor der Grundschule beginnt und an Nahtstellen des Bildungssystems verstärkt wird. Soweit die Schulformen der Sekundarstufe I unterschiedliche Entwicklungsmilieus darstellen, tragen sie zu einer engeren Kopplung von sozialer Herkunft und Kompetenzerwerb bei.“ (Baumert/Schümer 2001: 372)
Mit dieser Einschätzung wird eine Hypothese über unterschiedliche Bildungsvoraussetzungen und Bildungskarrieren formuliert, die insofern über die mit der
Zur Empirie der Bildungsbenachteiligung von MigrantInnen
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PISA-Studie erhobenen Daten weit hinausgeht, als diese ausschließlich Stichprobendaten der Bildungssituation der 15-Jährigen und keine Längsschnittdaten bereit stellen. Baumert und Schümer betonen zwar, dass der oben beschriebene kumulative Prozess mit den PISA-Daten nicht rekonstruierbar sei, die vorliegende Forschung aber übereinstimmend davon ausgehe, „dass die entscheidenden Situationen der Entstehung von Bildungsungleichheiten die Gelenkstellen von Bildungskarrieren sind, an denen primäre Ungleichheiten – also Unterschiede in den bis dahin erworbenen und für die nächste Etappe vorausgesetzten Kompetenzen, die von der sozialen Herkunft nicht unabhängig sind – und sekundäre soziale Ungleichheiten zusammenwirken“. Diese sekundären Ungleichheiten ergeben sich „aus einem je nach sozialer Lage der Familien unterschiedlichen Entscheidungsverhalten“. (Baumert/Schümer 2001: 354) Primäre Ungleichheiten sind demnach die ungleichen, schichtabhängigen Voraussetzungen, die Kinder zu Beginn ihrer Schulkarriere mitbringen ebenso wie die „durch Leistung gedeckten Ungleichheiten“, die bei der Übergangsschwelle zur Sekundarstufe und der Verteilung der Schülerschaft auf unterschiedliche Schulformen zum Tragen kommen. Davon zu unterscheiden seien hingegen die sekundären, nicht durch Leistung gedeckten Ungleichheiten (s. Baumert/Schümer 2001: 358). In dieser Logik verweisen insbesondere „sekundäre“ schichtabhängige Disparitäten auf eine Problematik, die das meritokratische Bildungsideal in Frage stellt. Die eklatante Benachteiligung von SchülerInnen der sozialen Unterschichten im Bildungssystem wäre demnach nur dann als Diskriminierung zu werten, wenn dessen Selektionsprinzipien bei gleicher Leistung schichtspezifisch erfolgen. Die AutorInnen kommen jedoch zu der Auffassung, dass der „Löwenanteil der ungleichen Bildungsbeteiligung [...] auf den gemeinsamen Einfluss von kognitiven Grundfähigkeiten, Lesekompetenz und Sozialschichtzugehörigkeit zurück[geht]. Die sekundären Disparitäten, die allein auf Sozialschichtzugehörigkeit zurückzuführen sind, fallen demgegenüber vergleichsweise bescheiden aus, auch wenn die Differenzen der Beteiligungschancen immer noch substanziell sind.“ (Baumert/Schümer 2002: 168).
Vor diesem Hintergrund weisen sie nicht nur die bei Hans-Günter Rolff (1997) formulierte These der „sozialen Diskriminierung von Arbeiterkindern“ zurück, sondern auch die „Bourdieusche Vermutung, dass die Schule gerade durch ihre institutionalisierte Wertordnung, den verlangten Sprachcode und die Verkehrsformen - Merkmale, die an den Normen der Mittelschicht orientiert seien - sozial diskriminierend wirke“ (Baumert/Schümer 2001: 352).
Indem Baumert und Schümer die Kategorie des Leistungsstandes neutral fassen, d.h. die soziale Genese der Leistungskompetenzen ignorieren, wird die Frage ausgeblendet, inwiefern die Schulen auch in Bezug auf den Kompetenzerwerb
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Institutionelle Diskriminierung: Theorie und Empirie
aktiv zur Reproduktion von sozialer Ungleichheit durch das Bildungssystem beitragen, indem diese (mittelschichtsorientierte) Kenntnisse, Fähigkeiten und Kompetenzen voraussetzen und bewerten, die sie selbst nicht vermitteln. Die daraus resultierenden diskriminierenden Effekte ergeben sich nicht notwendig aus einer Ungleichbehandlung, sondern können gerade dadurch entstehen - und das ist ein für Pierre Bourdieu und Claude Passeron (1978) sowie Basil Bernstein (1981) zentrales Argument -, dass SchülerInnen mit ungleichen Voraussetzungen gleich behandelt werden. Dabei kommt der Sprachfähigkeit und der Entwicklung der Lesekompetenz, wie PISA zeigt, eine entscheidende Rolle zu: So hat Ingrid Gogolin (2003: 33f.) in der Auseinandersetzung mit den PISAErgebnissen darauf hingewiesen, dass das „Deutsch, das den Kindern aktiv und passiv in der Schule abverlangt wird“, „eigene Gesetzmäßigkeiten“ hat: „Schulische Kommunikation hat, auch wenn sie sich mündlich vollzieht, deutliche Merkmale konzeptioneller Schriftlichkeit. Sie ist situationsentbunden, arbeitet stark mit symbolischen Mitteln und kohärenzbildenden Redemitteln [...] Damit unterscheidet sich das Deutsch der Schule sehr deutlich von den Sprachvarianten, die in der alltäglichen mündlichen Kommunikation eine Rolle spielen; in dieser überwiegen die kontextabhängigen und bedeutungstragenden Elemente.“ Dies hat zur Folge, dass Kinder, „deren Familien nicht schriftsprachbeflissen sind, also nicht systematisch für den Zugang zur Schriftförmigkeit der Kommunikation sorgen, [...] so gut wie keinen anderen Lernort dafür [haben] diese Anforderungen erfüllen zu lernen, als die Schule“. (Gogolin 2003: 40f.)
Wenn die Beherrschung der schulischen Verkehrssprache aber im Rahmen von Normalitätserwartungen vorausgesetzt wird, werden die damit adressierten Kinder aus sozial benachteiligten Schichten diskriminiert. Kinder mit Migrationshintergrund erfahren hingegen potentiell eine doppelte Diskriminierung, indem diese über die Schichtgebundenheit von Sprachfähigkeit hinausgehend, mit dem Problem konfrontiert sind, dass die Bildungsvoraussetzung Zwei- oder Mehrsprachigkeit im Bildungssystem keine systematische Berücksichtigung findet, die Beherrschung der Nationalsprache vorausgesetzt und die Aufgabe der Schule nicht grundlegend darin gesehen wird, diese zu vermitteln. Insofern diese ungleichen sprachlichen Voraussetzungen bei Baumert und Schümer als primäre Disparitäten konstruiert werden, wird implizit nahe gelegt, dass deren Genese und Bearbeitung tendenziell dem Zuständigkeitsbereich der Schule entzogen ist oder zumindest nicht zu deren grundlegenden allgemeinen Aufgabenstellung gehört.62 Während das Verhältnis von den so in problematischer Weise gefassten primären und sekundären Disparitäten beim Übergang von der Grundschule in 62 Als kritische Analyse zu der bei Baumert und Schümer vorgelegten Dateninterpretation s. Wulf Hopf (2003).
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die Sekundarstufe bei Baumert und Schümer auf Schätzungen beruht, da die PISA-Daten diesbezüglich keine Aussagen zulassen, enthält die IGLU-Studie Daten zu den Übergangsempfehlungen nach der vierten Klasse in Abhängigkeit von Leistung und sozialer Herkunft (s. Bos/Voss/Lankes/Schwippert/ Thiel/Valtin 2004: 211ff.). Auch die IGLU-Daten weisen zunächst auf einen engen Zusammenhang zwischen sozioökonomischer Lage und Leistungen im Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften hin, jedoch fällt dieser geringer aus als in der Sekundarstufe. Knut Schwippert, Wilfried Bos und Eva-Maria Lankes formulieren entsprechend: „Die Leistungen in der Grundschule sind somit signifikant weniger vom sozialen Hintergrund abhängig als in späteren Schulstufen.“ (Schwippert/Bos/Lankes 2003: 284)
Kinder mit Migrationshintergrund sind auch in der Grundschule gegenüber Kindern ohne Migrationshintergrund deutlich benachteiligt, wobei dies im Unterschied zu den PISA-Ergebnissen auch diejenigen Kinder betrifft, bei denen nur ein Elternteil im Ausland geboren wurde, wenn auch in deutlich reduziertem Ausmaß als diejenigen, deren Eltern beide im Ausland geboren wurden (s. Schwippert/Bos/Lankes 2003: 285). Die Benachteiligung von Kindern mit Migrationshintergrund wirkt sich in der mathematischen Kompetenz weniger aus als in der Lesekompetenz und in der naturwissenschaftlichen Kompetenz. Die AutorInnen führen dies darauf zurück, dass in Bezug auf die mathematische Kompetenz Sprachdefizite nicht in gleichem Maß Auswirkungen auf die Leistungen haben wie in den anderen Kompetenzbereichen. Die kumulative Wirkung einer defizitären Lesekompetenz auf die Sachfächer ist zwar in der Grundschule auch vorhanden, im Fall der mathematischen Kompetenz ist diese aber weniger ausgeprägt als am Ende der Sekundarstufe (s. Schwippert/Bos/Lankes 2003: 286). Im Unterschied zur PISA-Studie fällt das Leistungsniveau der deutschen GrundschülerInnen im internationalen Vergleich wesentlich besser aus, dies gilt jedoch nicht für Kinder mit Migrationshintergrund, diese erfahren eine im internationalen Vergleich sehr stark ausgeprägte Benachteiligung: „Hier zeigt sich, dass Deutschland nach Norwegen die nominell größte Diskrepanz zwischen Kindern aus Familien ohne Migrationshintergrund und Kindern aus Familien, in denen beide Eltern einen Migrationshintergrund haben, in den Leistungen aufweist, wie in keinem anderen vergleichbaren europäischen Staat.“ (Schwippert/Bos/Lankes 2003: 299)
Mit der IGLU-Studie können, wie bereits erwähnt, nicht nur Aussagen über den Zusammenhang von Schulleistungen und sozialer Herkunft, sondern auch zu den Schullaufbahnempfehlungen in Abhängigkeit von sozio-ökonomischer Lage
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Institutionelle Diskriminierung: Theorie und Empirie
und Migrationshintergrund nach der Grundschulzeit getroffen werden. Hier zeigt sich, dass soziale Merkmale auch dann bedeutsam sind, wenn die Leistung kontrolliert wird (s. Tabelle 7 und 8). Tabelle 7 Relative Chancen der Schullaufbahnempfehlung der Lehrkräfte in Abhängigkeit von der Sozialschicht der Familie in Deutschland (Verhältnisse der Bildungschancen [odds ratios]) Sozialschicht der Bezugsperson im Haushalt
Bildungsgang (Referenz: Realschule) Hauptschule Modell I
Modell II
Gymnasium Modell III
Modell I
Modell II
Modell III
Obere Dienstklasse (I)
0,57
0,58
0,75
3,33
3,27
2,68
Untere Dienstklasse (II)
0,59
0,59
0,66
2,27
2,00
1,76
Routinedienstleistung (III)
ns
ns
ns
1,33
1,33
ns
Selbstständige (IV)
1,27
Ns
1,36
1,62
1,68
1,51
0,79
ns
ns
Facharbeiter und leitende Angestellte (V, VI) Un- und angelernte Arbeiter (VII)
Referenzgruppe (odds ratio = 1)
1,58
1,40
1,28
Modell I: Ohne Kontrolle von Kovariaten; Modell II: Kontrolle von kognitiven Grundfähigkeiten; Modell III: Kontrolle von kognitiven Grundfähigkeiten und Lesekompetenz. Referenzgruppen: Realschule, Facharbeiter.
Quelle: Bos/Voss/Lankes/Schwippert/Thiel/Valtin (2004: 213), IEA: Progress in International Reading Literacy Study
Die für die weiteren Bildungslaufbahnen entscheidenden Übergangsempfehlungen weisen einen deutlichen Zusammenhang zwischen sozioökonomischer Lage und der als geeignet erachteten Schulform auf. So ist für ein Kind der oberen Dienstklasse die relative Chance, ein Gymnasium zu besuchen, um über ein dreifaches höher als für die gewählte Referenzgruppe der Facharbeiter und leitenden Angestellten. Dieser Faktor ist zwar bei Kontrolle von kognitiven Grundfähigkeiten und Lesekompetenz geringer; er bleibt aber auch dann noch um über ein 2,5-faches erhöht (s. Tabelle 7). Damit weisen die Übergangsentscheidungen einen starken Konnex zur sozialen Herkunft auf, der nicht allein durch Kompe-
Zur Empirie der Bildungsbenachteiligung von MigrantInnen
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tenzunterschiede am Ende der Grundschulzeit erklärt werden kann. Berücksichtigt man zusätzlich, dass sich die Genese von Kompetenzunterschieden auch nicht schichttunabhängig vollzieht, werden Kinder der unterprivilegierten Schichten nicht nur auf der Grundlage der ungleichen Startbedingungen für ihren Kompetenzerwerb diskriminiert, sondern sie erfahren zusätzlich an der bedeutsamen Selektionsschwelle zur Sekundarstufe eine direkte Form der Diskriminierung, die nicht durch die Bedingungen der Genese und Bewertung von Leistungen vermittelt ist. Tabelle 8 Relative Chancen der Realschul- und Gymnasialempfehlung der Lehrkräfte in Abhängigkeit vom Migrationshintergrund der Familie in Deutschland (Verhältnisse der Bildungschancen [odds ratios]) Bildungsgang (Referenz: Hauptschule) Migrationsstatus der Familie
Realschule
Gymnasium
Modell I
Modell II
Modell III
Modell IV
Modell I
Modell II
Modell III
Modell IV
Beide Eltern in Deutschland geboren
2,73
2,43
1,83
1,73
4,69
3,27
2,11
1,66
Ein Elternteil in Deutschland geboren
1,55
1,43
ns
ns
2,14
1,65
ns
ns
Kein Elternteil in Referenzgruppe (odds ratio = 1) Deutschland geboren Modell I: Ohne Kontrolle von Kovariaten; Modell II: Kontrolle von Sozialschichtzugehörigkeit; Modell III: Kontrolle von Lesekompetenz; Modell IV: Kontrolle von Sozialschichtzugehörigkeit und Lesekompetenz
Quelle: Bos/Voss/Lankes/Schwippert/Thiel/Valtin (2004: 211), IEA: Progress in International Reading Literacy Study
Zudem weisen die Übergangsempfehlungen eine deutliche Diskrepanz zwischen Kindern ohne Migrationshintergrund und Kindern, bei denen beide Elternteile im Ausland geboren sind, auf: Die Chance eines Kindes ohne Migrationshintergrund, das Gymnasium zu besuchen, ist eine um den Faktor 4,69 gegenüber einem Kind aus ‚reinen‘ Zuwandererfamilien erhöhte (s. Tabelle 8). Dieser Faktor reduziert sich bei Kontrolle der Sozialschichtzugehörigkeit um etwa ein Drittel, bei Kontrolle der Lesekompetenz um über die Hälfte und liegt bei Kontrolle von Schichtzugehörigkeit und Lesekompetenz bei 1,66. Diese auch noch bei
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Institutionelle Diskriminierung: Theorie und Empirie
gleicher Leistung und Kontrolle der Schichtzugehörigkeit greifende Benachteiligung findet sich nicht nur im Verhältnis zur relativen Chance einer Gymnasialempfehlung, sondern wird in ähnlicher Größenordnung (Faktor 1,73) auch bei den Chancen, eine Realschulempfehlung zu erhalten, wirksam. Kinder, bei denen nur ein Elternteil im Ausland geboren wurde, nehmen demgegenüber eine mittlere Position zwischen diesen beiden Gruppen ein - auch dann, wenn die Sozialschichtzugehörigkeit kontrolliert wird. Nicht mehr signifikant ist der Unterschied hingegen zwischen Kindern aus ‚reinen‘ und ‚gemischten‘ Zuwandererfamilien, wenn die Lesekompetenz mitkontrolliert wird (s. Tabelle 8).63 Dieser Sachverhalt der leistungsunabhängigen Benachteiligung weist - im Unterschied zu den PISA-Daten, bei denen bei gleicher Lesekompetenz keine Benachteiligung der SchülerInnen mit Migrationshintergrund hinsichtlich der Verteilung auf unterschiedliche Schulformen mehr erkennbar ist (s.o.) - auf eine Diskriminierungspraxis bei den Übergangsempfehlungen hin, die auch spezifisch auf der Grundlage des Merkmals des Migrationshintergrunds operiert. Setzt man vor diesem Hintergrund die PISA-Studie und die IGLU-Studie in Relation zueinander, so zeigt sich zum einen, dass sich der bereits in der Grundschule deutliche Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und erzielten Leistungen in der Sekundarstufe verschärft. Zum anderen wird an der für die weitere Bildungskarriere ersten relevanten Selektionsschwelle beim Übergang zur Sekundarstufe I deutlich, dass neben der Schichtabhängigkeit und der Sprachabhängigkeit des Bildungserfolgs, infolge derer Kinder aus den sozial unteren Schichten und Kinder mit Migrationshintergrund benachteiligt werden, auch direkte, ‚nicht durch Leistung gedeckte‘ Formen der Diskriminierung vorliegen, die an den Merkmalen der sozialen Herkunft und des Migrationshintergrunds ansetzen. Der letzte Befund steht im deutlichen Widerspruch zu den Modellrechnungen von Baumert und Schümer, die auf der Grundlage der PISA-Daten feststellen: „Vergleicht man Jugendliche mit gleicher Lesekompetenz ohne Berücksichtigung der Sozialschichtzugehörigkeit, ist keine Benachteiligung von Jugendlichen aus Zuwandererfamilien mehr nachweisbar. Vielmehr zeigt sich eine Tendenz, dass die Bildungsaspirationen dieser Familien - wenn die Hürden der Verkehrssprache genommen sind - beim Übergang in die weiterführenden Schulen erfolgreicher umgesetzt werden.“ (Baumert/Schümer 2002: 199)
63 Diese Tendenz zeigt sich, wie die IGLU-E-Studie aufweist, in fast allen Bundesländern, wenn auch in sehr unterschiedlichen Ausprägungen: Während in Baden-Württemberg die Chance eines Kindes ohne Migrationshintergrund auf eine Gymnasialempfehlung bei Kontrolle von Sozialschichtzugehörigkeit und Lesekompetenz um ein 2,61-faches gegenüber einem Kind mit Migrationshintergrund erhöht ist, fällt dieser Unterschied in Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen nicht signifikant aus (s. Bos/Voss/Lankes/Schwippert/Thiel/Valtin 2004: 212).
Zur Empirie der Bildungsbenachteiligung von MigrantInnen
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Nun sind zwar die bei IGLU zugrunde gelegten Übergangsempfehlungen nicht in allen Bundesländern bindend und daher spiegeln diese nicht die faktischen Sekundarstufenübergänge wider. Eine mit den IGLU-Daten nachweisbare Ungleichbehandlung von Kindern mit Migrationshintergrund bei den Übergangsempfehlungen durch die LehrerInnen stellt jedoch auch dann eine Diskriminierung dar, wenn die Eltern sich entgegen dieser Empfehlung für eine höhere Schulform entscheiden.64 Zudem stellen sich bspw. die Daten für BadenWürttemberg und damit für ein Bundesland, in dem die Übergangsempfehlung rechtlich bindend ist, so dar, dass bei Kontrolle der Lesekompetenz den PISADaten zufolge die Chance für einen Jugendlichen ohne Migrationshintergrund ein Gymnasium zu besuchen im Verhältnis zu einem Jugendlichen, dessen Eltern beide im Ausland geboren wurden, bei einem Faktor von 0,86 liegt und damit nicht signifikant ist (s. Baumert/Schümer 2002: 198), während die IGLUDaten auf eine 3,1-fache höhere Chance hinweisen, eine entsprechende Übergangsempfehlung zu erhalten (s. Bos/Voss/Lankes/Schwippert/Thiel/Valtin 2004: 212). Damit ist eine äußerst widersprüchliche Datenlage gegeben und es ist davon auszugehen, dass eine solche ‚nicht durch Leistung gedeckte‘ - und etwa im Fall Baden-Württembergs eklatante - Benachteiligung von Kindern mit Migrationshintergrund, wie sie bei den Sekundarschul-Übergangsempfehlungen zum Tragen kommt, bei den 15-jährigen SchülerInnen aber nicht mehr nachweisbar ist, nicht auf eine geringer werdende Bildungsbenachteiligung im weiteren Gang der Bildungslaufbahn hinweist, sondern vielmehr ein Ausdruck davon ist, dass die Abhängigkeit der Leistungen vom Migrationshintergrund auch durch die Schulformen vermittelt wird und diese folglich u. a. als Effekt der Verteilung unterschiedlicher Schülerpopulationen auf unterschiedliche Schultypen betrachtet werden muss. Damit trifft die hohe Selektivität des deutschen Bildungssystems Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund in besonderer Weise. Dass diese eine spezifische Form der Diskriminierung in und durch das Bildungssystem erfahren, wird in den vorliegenden Interpretationen der PISA-Daten durch Baumert und Schümer (2001 u. 2002) jedoch ausgeschlossen, da es sich in der dort verfolgten Logik primär um durch „Leistung gedeckte“ Disparitäten, die auf Defizite in der Sprachentwicklung zurückgeführt werden sowie um eine schichtspezifische Benachteiligung handelt, wobei letztere den AutorInnen zufolge zudem geringer ausfällt als bei Kindern und Jugendlichen ohne Migrationshintergrund. Die IGLU-Daten legen demgegenüber eine dieser Interpretation deut64
Zudem weisen nach Vester nicht nur die PISA-Daten, sondern auch andere Studien daraufhin, dass bei freiem „Elternwillen“ „Ungleichheiten eher verstärkt werden“, da hier die höheren Bildungsaspirationen der privilegierteren sozialen Schichten und Milieus durchschlagen (s. Vester 2006: 24).
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Institutionelle Diskriminierung: Theorie und Empirie
lich widersprechende Analyse nahe: Diese werfen die Frage auf, inwiefern die Bildungsbenachteiligung von MigrantInnen über den vermittelten Bezug auf die sozioökonomische Lage und die in der Schule vorausgesetzten Sprachkompetenzen hinausgehend, auch als ein Effekt einer spezifisch am Migrationshintergrund ansetzenden Diskriminierungspraxis gesehen werden muss. Dieser Frage gehen die AutorInnen der IGLU-Studie allerdings nicht nach und die Benachteiligung von MigrantInnen wird dort auch nicht als Diskriminierungsfrage thematisch. So ist den vorliegenden widersprüchlichen Daten der Hinweis zu entnehmen, dass Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund potentiell mindestens entlang der drei Achsen der Klassen- bzw. Schichtzugehörigkeit, der ungleichen sprachlichen Voraussetzungen sowie des Migrationshintergrunds bzw. der ethnisierenden und kulturalisierenden Zuschreibungen bildungsrelevanter Eigenschaften Diskriminierung erfahren können. In welcher Weise und in welchem Ausmaß insbesondere der letzte Aspekt empirisch zum Tragen kommt, ist mit der vorliegenden Datenlage jedoch nicht zu klären, sondern es kann nur mit qualitativen Studien untersucht werden, ob und inwiefern solche spezifischen Diskriminierungsoperationen, die an ‚askriptiven Merkmalen‘ wie ‚Ethnizität‘ und ‚Kultur‘ ansetzen, für die Entscheidung über Bildungskarrieren und damit für die Bildungsbenachteiligung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund eine Relevanz haben. Da es sich bei einer solchen, potentiell MigrantInnen in spezifischer Weise betreffenden Diskriminierungspraxis im Regelfall nicht um Rassismus in seiner offenen Form handelt, und da auszuschließen ist, dass direkte, aktiv herbeigeführte Formen von Diskriminierung den durchschnittstypisch erwartbaren Fall der schulischen Diskriminierung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund darstellen, kann sich eine solche Analyse nicht auf ein Verständnis von Diskriminierung beschränken, das dieses auf individuelles und absichtsvolles Verhalten reduziert. In welcher Hinsicht Ansätze des ‚institutionellen Rassismus‘ bzw. der ‚institutionellen Diskriminierung‘ von MigrantInnen und Minderheiten für die Beschreibung der ‚Institutioneneffekte‘, die zu einer Bildungsbenachteiligung und damit zu ungleichen Allokationschancen führen, über ein hinreichendes analytisches Potential verfügen, soll im Folgenden anhand der einschlägigen Studie von Gomolla und Radtke (2002) diskutiert werden. Zu fragen ist abschließend, inwiefern das durch die Studie empirisch belegte Phänomen einer ethnisierenden institutionellen Diskriminierung in und durch das Bildungssystem trennscharf gegenüber den genannten Dimensionen der Diskriminierung auf der Grundlage von Klassen- bzw. Schichtzugehörigkeit einerseits, den sprachlichen Bildungsvoraussetzungen andererseits, gefasst werden kann bzw. ob und wie diese beiden Dimensionen ineinander greifen und sich wechselseitig überlagern.
Institutionelle Diskriminierung in und durch die ‚organisierte Institution’ Schule
2.3
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Institutionelle Diskriminierung in und durch die „organisierte Institution“ Schule
Im Unterschied zur etablierten bildungssoziologischen und erziehungswissenschaftlichen Forschung, die unterschiedliche Bildungsbeteiligungen von MigrantInnen und ihre scheiternden Schulkarrieren als Effekte schulexterner Faktoren (Sprachdefizite, soziale Herkunft, Familiensituation, Bildungsaspirationen) begreift, wird in Mechthild Gomollas und Frank-Olaf Radtkes Studie ‚Institutionelle Diskriminierung. Die Herstellung ethnischer Differenz in der Schule‘ eine Perspektive eingenommen, die darauf zielt, die „ungleiche Bildungsbeteiligung“ als „Effekt des Organisationshandelns“ zu fassen (Gomolla/Radtke 2002: 28). Im Zentrum ihres Forschungsinteresses steht daher die Frage nach den Mechanismen, „die in den schulischen Organisationen mit ihren Selektionsentscheidungen Effekte der Ungleichheit hervorbringen“. Solche schul- bzw. organisationsinternen Mechanismen sollen „auf der Mikroebene der einzelnen Schule in Fallstudien rekonstruiert und aufgedeckt werden“ (Gomolla/Radtke 2002: 84). Problematisiert wird damit die in Bildungsinstitutionen und unter PädagogInnen verbreitete Tendenz, die Gründe für die relative Bildungsbenachteiligung von bestimmten sozialen Gruppen aus den Verantwortungsbereichen der schulischen Organisation und des professionellen Entscheidungsverhaltens auszuschließen und stattdessen herkunftsbedingte, weder durch pädagogische noch organisatorische Maßnahmen zu beeinflussende Ursachen, die diese Gruppen jeweils vermeintlich kennzeichnen, als Erklärung heranzuziehen. In einer Umkehrung dieser in der Regel an individuellen bzw. kollektiven Defizitzuschreibungen orientierten und die Schule als Trägerin weitreichender Bildungsentscheidungen entlastenden Sichtweise, werden demgegenüber die organisationsspezifischen Praktiken untersucht, durch die gruppenbezogene Differenzierungen von SchülerInnen hergestellt und als Entscheidungs- und damit potentielle Diskriminierungsressource wirksam werden. „Ein nicht unbedeutender Teil der Ungleichheit in der Bildungsbeteiligung von deutschen im Vergleich mit nicht-deutschen Schülern lässt sich - so lautet die These - nicht auf die Eigenschaften der Kinder und ihre migrationsbedingten Startnachteile zurechnen, sondern wird in der Organisation Schule selbst erzeugt. Die geläufige Unterstellung einer Milieu- bzw. Umweltabhängigkeit des Schulerfolgs, den die Schule mit Verweis auf die Familie und ihr soziales Umfeld als Erklärung bevorzugt, wird auf Unterscheidungen der Schule zurückgeführt und als Herstellungsvorgang von Differenz reformuliert.“ (Gomolla/Radtke 2002: 17)
Damit wird nicht grundsätzlich bestritten, dass schulexterne Bedingungen Auswirkungen auf Bildungskarrieren haben, sondern nur behauptet, dass ein „nicht
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Institutionelle Diskriminierung: Theorie und Empirie
unbedeutender Teil“ von Ungleichheiten schulintern erzeugt werden. Die zum meritokratischen Prinzip der herkunftsabhängigen Gewährung von Bildungschancen im Widerspruch stehende Benachteiligung von MigrantInnen wird folgerichtig in Hinblick auf die Binnenorganisation des Schulsystems und der dadurch erzeugten ‚Institutioneneffekte‘ untersucht. Die zentrale Annahme der AutorInnen ist dabei in Anschluss an Rodolfo Alvarez (1979), dass die „Distributionsaktivitäten sozialer Institutionen“ (Gomolla/Radtke 2002: 42) und die diesem Zweck unterworfenen schulinternen Entscheidungsoperationen den Kern institutioneller Diskriminierung ausmachen. Vor diesem Hintergrund stellen sie im Rahmen ihres der Frage nach institutioneller Diskriminierung in und durch die Organisation Schule nachgehenden Forschungsprogramms vor allem den bei Feagin und Booher Feagin konzipierten vierten Typus der nicht-intentionalen, indirekten institutionalisierten Diskriminierung (s. Kapitel 2.1.3.) ins Zentrum, der als maximaler Kontrastfall der intentionalen, vom Individuum ausgehenden Diskriminierung entgegengestellt wird (s. Gomolla/Radtke 2002: 80). Da davon auszugehen ist, dass SchuldirektorInnen und das Lehrpersonal nicht nur durch staatliche und bildungspolitische Vorgaben auf die Idee der Leistungsgerechtigkeit unter der Absehung von Herkunft verpflichtet sind, sondern dass diese darüber hinaus auch für deren Selbstverständnis und das professionelle Handeln grundlegend ist, können Gomolla und Radtke zufolge zwar Formen aktiver, direkter und intentionaler Diskriminierung durch einzelne Lehrkräfte nicht ausgeschlossen werden; diese stellen aber keineswegs den typischen Fall der schulischen Diskriminierung von Kindern mit Migrationshintergrund dar. Während Feagin und Booher Feagin zum einen an die Vorurteilsforschung und dort vorgenommene Unterscheidungen von Formen der Diskriminierung, zum anderen an das seit den 1960er Jahren entwickelte Konzept des institutionellen Rassismus anknüpfen und auf dieser Grundlage den Zusammenhang und die Wechselwirkungen zwischen unterschiedlichen, absichtsvollen Diskriminierungen als Einzelhandlungen oder durch Gruppen und institutionellen direkten wie indirekten Diskriminierungen betonen (s. Kapitel 2.1.3.), grenzt sich der bei Gomolla/Radtke ausformulierte Ansatz der institutionellen Diskriminierung in und durch die Organisation Schule dezidiert gegen die Akteurszentrierung der Vorurteilsforschung und der sozialpsychologischen Rassismusforschung ab. Der Akzent wird vielmehr darauf gelegt, das „in der Organisation Schule institutionalisierte[s] und geteilte[s] Wissen“ in den Blick zu nehmen, das „ethnische Unterscheidungen legitimiert und darstellbar macht. Individuelle Einstellungen in bezug auf die Migrantenkinder und auf Seiten des Personals, also der Lehrerinnen und Schulleiter, ob positiv oder negativ, können dabei relativ belanglos sein, liegen jedenfalls nicht im Fokus der Untersuchung.“ (Gomolla/Radtke 2002: 17)
Institutionelle Diskriminierung in und durch die ‚organisierte Institution’ Schule
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Entsprechend lehnen Gomolla und Radtke ihre Ausführungen zwar einerseits an Feagin und Booher Feagin an und greifen deren analytische Unterscheidungen auf, kritisieren andererseits aber, dass dem dort formulierten Konzept der institutionalisierten Diskriminierung keine analytisch tragfähige Begrifflichkeit zugrunde liegt, die es erlauben würde, zwischen Institution und Organisation zu unterscheiden und auch kein Konzept des Organisationshandelns entwickelt wird, auf dessen Grundlage Mechanismen institutioneller Diskriminierung in Hinblick auf die organisationsinternen Operationen theoretisch erfasst und empirisch beschrieben werden könnten (s. Gomolla/Radtke 2002: 28). Das Fehlen eines analytisch tragfähigen Organisationsbegriffs innerhalb der Theorie der institutionellen Diskriminierung veranlasst Gomolla und Radtke, diese mit neueren organisationssoziologischen Ansätzen zu konfrontieren, um vor diesem theoretischen Hintergrund ihrer für die Untersuchung grundlegenden Fragestellung nach dem genuinen Beitrag, den die “Schule als organisierte Institution“ (Gomolla/Radtke 2002: 54) zur empirisch beobachtbaren Bildungsbenachteiligung von MigrantInnen leistet, nachgehen zu können. 2.3.1 Organisation und Institution Eine in Theorien des institutionellen Rassismus und institutioneller Diskriminierung deutlich werdende Problematik betrifft die theoretisch unterentwickelte Unterscheidung zwischen Institution und Organisation. Wie Gomolla und Radtke betonen, fehlt etwa auch bei Feagin und Booher Feagin eine tragfähige und plausible Begründung für die Subsumption von so unterschiedlichen sozialen Gebilden wie das Funktionssystem Wirtschaft, Unternehmen, Schulen oder Familien unter den Begriff der Institution. Damit seien sowohl „konkrete Organisationen“ als auch „unorganisierte Institutionen“, „mehrdeutig und unscharf“ unter einen Begriff gefasst (Gomolla/Radtke 2002: 38). ‚Institution‘ erweist sich daher in der Regel als ein catch-all Begriff, auf dessen Grundlage und infolge eines fehlenden „entwickelte[n] Konzept[s] von Organisationen bzw. Organisationshandeln“ (Gomolla/Radtke 2002: 28) eine differenzierte Beschreibung organisatorischer Binnenprozesse kaum möglich ist. Gomolla und Radtke schließen mit der als notwendig erachteten organisationstheoretischen Präzisierung der Theorie institutioneller Diskriminierung an Überlegungen an, die in der sozialwissenschaftlichen Diskussion zu einer erneuten und intensivierten Auseinandersetzung mit Organisationen und ihrer gesellschaftlichen Funktion geführt haben. In neueren verhaltenswissenschaftlichen, neo-institutionalistischen und systemtheoretischen Ansätzen der Organisationstheorie (s. Kieser 2002), die sich gegen ein ausschließlich rationalbürokratisches Verständnis von formalen Organisationen abgrenzen, wird davon ausgegangen, dass für die individuelle Lebensführung zentrale gesellschaftliche
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Institutionelle Diskriminierung: Theorie und Empirie
Leistungen und Ressourcen durch Organisationen (Schulen, Universitäten, Betriebe, Krankenhäuser, öffentliche Verwaltungen usw.) erbracht bzw. verwaltet werden. Dabei wird akzentuiert, dass Organisationen nicht als rational steuerbare ‚triviale Maschinen‘ verstanden werden können; vielmehr ist das organisationsinterne Geschehen mit einer operativen Eigenlogik ausgestattet, die in der Metapher von Organisationen als „organisierten Anarchien“ zum Ausdruck kommt: „Organisierte Anarchien sind Organisationen, die durch problematische Präferenzen, unklare Technologien und fluktuierende Partizipation gekennzeichnet sind.“ (Cohen/March/Olsen 1990: 330).
In Anschluss an diese Überlegungen gehen Gomolla und Radtke davon aus, dass für eine Analyse der Bedingungen, Formen und Folgen von Diskriminierungen die Operationsweisen und die Prozessrationalität von Organisationen von zentraler Bedeutung sind (s. Gomolla/Radtke 2002: 58ff.). Mit der Betonung, dass sich Organisationen auf gesellschaftlich vorhandene Wissensbestände, Deutungs- und Handlungsangebote nicht in Form einer einfachen Adaption und Anwendung beziehen, sondern dass diese durch die Organisation auf der Grundlage organisationsinterner Vorgaben selegiert und interpretiert werden, stellen die AutorInnen zunächst die „Eigenrationalität von Organisationen“ heraus: „Handeln in Organisationen entsteht nicht durch die Übernahme und Ausführung extern von der Organisationsspitze oder der Politik vorgegebener Ziele und Normen, sondern durch den eigenlogischen und selbstreferentiellen Umgang mit vielfältigen und widersprüchlichen Umwelterwartungen, die von der Organisation wahrgenommen und in der Organisation verarbeitet werden.“ (Gomolla/Radtke 2002: 59)
Wie Gomolla und Radtke in Referenz auf Erkenntnisse der verhaltenswissenschaftlichen Organisationsforschung, die primär das Entscheidungsverhalten in Organisationen untersucht, betonen, werden Entscheidungsprämissen in der Regel erst nachträglich konstruiert und es wird auf der Grundlage von Wissensbeständen entschieden, deren Rückbindung an formal verankerte Entscheidungsstrukturen nicht linear gegeben ist. In der neueren Organisationstheorie werden Phänomene beschrieben, die darauf hinweisen, dass Entscheidungsverfahren, die in den organisatorischen Selbstbeschreibungen nach dem Ablaufmuster Problemanalyse-Problemlösung interpretiert werden, de facto als unwahrscheinlich gelten können: Es ist vielmehr zu beobachten, dass in der Regel Probleme organisationsintern so konstruiert werden, dass sie zu bereits zur Verfügung stehenden, etablierten Lösungsverfahren und Handlungsroutinen ‚passen‘. Diese organisatorischen Entscheidungsprozesse werden in der Organisationsforschung
Institutionelle Diskriminierung in und durch die ‚organisierte Institution’ Schule
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in Anschluss an Cohen/March/Olsen als „garbage can decision process“ beschrieben: Organisationen sind demnach „in mancher Hinsicht als Ansammlung von Auswahlmöglichkeiten“ zu betrachten, „die nach Problemen Ausschau halten, als Ansammlung von Sachverhalten und Gefühlen, die nach Entscheidungssituationen Ausschau halten, in denen sie sich kundtun können, als Ansammlung von Lösungen, die nach Sachverhalten Ausschau halten, auf die sie als Antwort dienen können“ (Cohen/March/Olsen 1990: 330).
Mit neo-institutionalistischen Theorieansätzen wird demgegenüber eine Perspektivverschiebung vorgenommen, die weniger das Entscheidungsverhalten in Organisationen, als vielmehr die Legitimitätserzeugung auf Grundlage institutionalisierter Deutungsmuster als grundlegendes Handlungsmotiv beschreibt (s. Meyer/Boli/Thomas 2005: 29ff.; Hasse/Krücken 2005). Damit rücken primär Prozesse der Sinnstiftung (sense making) bzw. der Ausstattung organisationsinterner Entscheidungen mit Legitimität in das Zentrum des Forschungsinteresses. Die neoinstitutionalistische Unterscheidung zwischen Rationalitätsanforderungen, die auf der Ebene der formalen Organisation mit dem Ziel einer Steigerung der operativen Effizienz anzusiedeln sind, einerseits und Legitimitätsanforderungen, die auf der Ebene institutionalisierter Sinnordnungen sozial verfügbare Deutungsmuster organisationsintern prozessieren (s. Hasse/Krücken 2005: 22f.), andererseits, wird bei Gomolla und Radtke durch die Differenzierung von „Eigenrationalität der Organisation“ und „Eigenlogik der Institution“ aufgegriffen und pointiert (Gomolla/Radtke 2002: 76). In Abgrenzung zu der prominent von Luhmann vertretenen Auffassung, der Institutionenbegriff stelle in Hinblick auf die Operationsweisen von Organisationen in funktional differenzierten Gesellschaften keine adäquate Beschreibungsmatrix zur Verfügung (s. Luhmann 2000a: 35ff.)65, gehen Gomolla und Radtke davon aus, dass Organisationen aus „Handlungsschemata, aber zugleich auch aus institutionell approbierten Redeweisen/Semantiken über die Handlung, die sich selektiv aus den Wissenschaften bedienen“, bestehen (Gomolla/Radtke 2002: 75). 65 Luhmann betrachtet den Institutionenbegriff insofern als untauglich für die Beschreibung von Prozessen funktionaler Differenzierung, als sich die spezifische Operationslogik der Funktionssysteme und Organisationen gegenüber den ohnehin nicht umfassend gegebenen einheits- und sinnstiftenden Erwartungsstrukturen und übergreifenden normativen Prinzipien, auf die der Institutionenbegriff verweist, durchsetzt. Zudem sei eine spezifische, soziologisch tragfähige Bestimmung des Institutionenbegriffs bisher nicht vorgelegt worden: „Eine begriffliche Ausarbeitung ist (wie typisch für Rückgriffe auf alte Theoriebestände, auch zum Beispiel für nahe stehende Bemühungen um Wiedereinführung von ‚Kultur‘ oder ‚Ethik‘) nicht gelungen, und alle Erläuterungen machen es nur noch schlimmer.“ (Luhmann 2000a: 36) In den aktuellen sozialwissenschaftlichen Debatten wird darauf bezogen kontrovers diskutiert, wie das Verhältnis von Organisationen und Gesellschaft (s. Tacke 2001) bzw. von Organisationen und Kultur angemessen zu fassen ist (s. Burkhart/Runkel 2004).
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Institutionelle Diskriminierung: Theorie und Empirie
Das Begriffspaar Institutionalisierung und Legitimierung, das in den theoretischen Bezügen des Neo-Institutionalismus ein zentrales Motiv bildet, entstammt den wissenssoziologischen Betrachtungen Berger und Luckmanns zur ‚gesellschaftlichen Konstruktion von Wirklichkeit‘ (s. Berger/Luckmann 1980). Unter Institutionalisierung verstehen Berger und Luckmann den soziokulturellen Prozess, durch den sich das „Alltagswelt-Wissen“ (Berger/Luckmann 1980: 46) sozialer Akteure als sozial geteiltes, selbstverständliches und allgemeingültiges Wissen über ihre Lebenswelt herstellt. Dabei gehen Berger und Luckmann zunächst handlungspraktisch davon aus, dass „[a]lles menschliche Tun [...] dem Gesetz der Gewöhnung unterworfen [ist]“ (Berger Luckmann 1980: 56) und dass diese Gewöhnung in eine soziale Erwartbarkeit von Handlungsabläufen mündet, die als Habitualisierung bezeichnet wird (s. Berger/Luckmann 1980: 56). Institutionalisierung stellt darauf aufbauend die interaktionell-reziproke Typisierung erwartbarer Handlungen dar: „Institutionalisierung findet statt, sobald habitualisierte Handlungen durch Typen von Handelnden reziprok typisiert werden. Jede Typisierung, die auf diese Weise vorgenommen wird, ist eine Institution.“ (Berger /Luckmann 1980: 58)
Institutionalisierung bedeutet, so die Autoren weiter, dass die entsprechenden Typisierungen zu einem Allgemeingut werden und somit eine soziokulturelle (Sinn-)Ordnung konstituieren. Legitimierung wird notwendig, wenn eine institutionalisierte Ordnung „einer neuen Generation vermittelt werden muss“: „Legitimation ‚erklärt‘ die institutionale Ordnung dadurch, dass sie ihrem objektivierten Sinn kognitive Gültigkeit zuschreibt. Sie rechtfertigt die institutionale Ordnung dadurch, dass sie ihren pragmatischen Imperativen die Würde des Normativen verleiht.“ (Berger/Luckmann 1980: 100).
In der Übertragung bzw. Weitergabe eines institutionalisierten Wissens entsteht folglich ein Legitimationsbedarf. Vor dem Hintergrund dieses Zusammenhangs von Institutionalisierung und Legitimierung wird deutlich, dass sich im Kern der beschriebenen Prozesse eine sinnbasierte Deutung von objektiver und allgemeingültiger Wirklichkeit etabliert, die der Vorstellung einer vorgefundenen sozialen ‚Realität‘ wie Rationalität widerspricht. Mit der an diese wissenssoziologischen Theoriegrundlagen anschließenden institutionalistischen Sichtweise auf den Zusammenhang von Institution und Organisation66 geht sowohl eine theoretische Akzentuierung der Be66
Bei Meyer/Boli/Thomas (2005: 46) etwa findet eine Übertragung des Institutionenbegriffs auf Organisationen und deren Steuerungsmechanismen statt. Institutionen werden dabei verstanden als „kulturelle Regeln, die soziales Handeln mit allgemein verständlicher Bedeutung versehen und in strukturierter Weise steuern. Institutionalisierung ist dann der Prozess, der solche Regeln als natürlich und selbstverständlich etabliert und gleichzeitig alternative Bedeutungen und Steuerungsregeln ausschaltet.“
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deutung von (Sinn-)Ordnung und ‚Kultur‘67 zugunsten der Bedeutung der Funktion von Organisationen einher, als auch eine spezifische Interpretation der bereits in den Ansätzen der weitgehend kognitionspsychologisch argumentierenden Organisationstheorie als grundlegend erachteten Unterscheidung von Organisationssystem und Umwelt. Während bei Luhmann die operative Schließung (Autopoiesis) konstitutiv für den Systemerhalt und die Konstitution des Umweltbezugs ist, interessieren sich neoinstitutionalistische Organisationstheorien gerade für die strukturbildenden Interdependenzen zwischen sozialer Umwelt und Organisation, weil „organisationale Strukturen durch die größere Umwelt nicht nur beeinflusst, sondern intern konstituiert werden. [...] Die Grenze zwischen Akteur und Umwelt ist nicht nur extrem fließend, sondern auch als solche extrem fragwürdig.“ (Meyer/Boli/Thomas 2005: 26). Diese Beschreibung des Organisation-Umwelt-Verhältnisses kommt als grundlegendes Motiv bei Gomolla und Radtke insofern zum Tragen, als ihre Hypothese, dass die Schule ethnische Differenz als Organisationseffekt herstellt, nur durch die Annahme von korrespondierenden Strukturbildungen zwischen sozial institutionalisierten Wissensbeständen und organisatorischen Binnenoperationen plausibel wird. Gomolla und Radtke betonen allerdings mit dem Fokus auf die „konkrete Entfaltung des institutionellen Wissens in der Praxis einer Organisation unter den jeweils gegebenen Bedingungen“ (Gomolla/Radtke 2002: 77) die Relevanz der organisatorischen Binnenrationalität und die notwendigerweise selektiven Bezugnahmen auf institutionalisierte Wissensbestände. Dabei sehen Gomolla und Radtke den Organisationszweck der Einzelschule - wie bereits erwähnt primär im Zusammenhang der „Distributionsmechanik“ des gegliederten Schulsystems verankert. Die Prozesse der Binnenselektion innerhalb des Schulsystems, die nachweisbar ungleiche Bildungschancen herstellen und damit letztlich den meritokratischen Selbstanspruch der Schule unterlaufen, erzeugen dabei schulintern wie -extern einen gesteigerten Legitimationsbedarf.68 67 „Der soziologische Neo-Institutionalismus sieht [..] die sich entwickelnde moderne Gesellschaft als angefüllt mit lediglich vermeintlich zweckgerichteten Akteuren oder Handlungen; das Bild ist eher das eines kulturellen oder religiösen Dramas.“ (Meyer in: Hasse/Krücken 2005: 11) Die in der Organisationssoziologie in den letzten Jahren entstandene Kontroverse zwischen systemtheoretischen und neo-institutionalistischen Theorien (s. dazu etwa Tacke 1999) kann im Rahmen dieser Arbeit nicht aufgearbeitet werden. 68 Im Anschluss an Karl E. Weick kann die Binnendifferenzierung des Schulsystems und damit zwischen Einzelschule und Schuladministration bzw. zwischen Schulorganisation und Professionshandeln als ein System „loser Kopplungen“ (s. Weick 1985: 163ff.) beschrieben werden. Obwohl zwischen den unterschiedlichen Systemebenen keine Kausalitätsverkettungen existieren, lässt sich als Effekt der losen Kopplung die relative Stabilisierung des Organisationssystems beobachten. Lose Kopplungen verursachen jedoch nicht nur hinsichtlich der Entscheidungsprozesse innerhalb der Organisation, sondern auch hinsichtlich der Begründungsfähigkeit von Organisationsentscheidungen
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Institutionelle Diskriminierung: Theorie und Empirie
In Anlehnung an Karl E. Weick (1985) wird in Hinblick auf die Ausstattung von Entscheidungen mit Legitimität ein Nachrangigkeitsprinzip zwischen institutionellen Anforderungen und organisationsspezifischen Rationalitäten angenommen: „Pointiert formuliert, heißt das bei Weick: erst wird gehandelt in den von Organisationen vorgegebenen, von Kontingenz und Kompromiss gekennzeichneten Mustern/Lösungen, danach wird das zugehörige Problem definiert und dargestellt. Erst an dieser Stelle der nachträglichen Begründung wird das institutionelle Wissen zur Erzeugung von Sinn gebraucht.“ (Gomolla/Radtke 2002: 73)
Ausgegangen wird also davon, dass Entscheidungen, die der Eigenrationalität und den etablierten Erwartungsstrukturen der Organisation folgen, mit dem Rückgriff auf institutionell verankerte Wissensbestände nicht begründet, sondern ‚nur‘ retroaktiv plausibilisiert und legitimiert werden. Entsprechend ihrer organisations- bzw. institutionalisierungstheoretischen Bestimmung der Forschungsperspektive nehmen Gomolla und Radtke daher primär organisatorische Operationen nach dem Prinzip des ‚sense making‘ in den Blick, d.h. ihr Beobachtungsschwerpunkt betrifft entscheidungsbezogene Legitimationsbemühungen. Untersuchungsgegenstand sind dabei nicht nur die institutionalisierten professionellen Deutungs- und Handlungsmuster, die zu jeweiligen (Selektions)Entscheidungen auf der Ebene der Schule als Einzelorganisation zum Tragen kommen, sondern auch die Rückbindung dieser Entscheidungen an die Voraussetzungen der Selektions- und Verteilungsprozesse innerhalb des Schulsystems, insbesondere an die Struktur des lokalen Schulplatzangebots (s. Gomolla 2003: 101). 2.3.2 Direkte und indirekte institutionelle Diskriminierung: Die Ergebnisse der empirischen Studie Vor dem Hintergrund „statistischer Auffälligkeiten“, die eine Diskriminierung von Kindern mit Migrationshintergrund nahe legen (Gomolla/Radtke 2002: 119ff.) und die darin deutlich wird, dass bei diesen sowohl von der Möglichkeit der Zurückstellung von der Einschulung wegen diagnostizierter mangelnder „Schulfähigkeit“ als auch von der Einleitung eines Sonderschulaufnahmeverfahrens überproportional häufig Gebrauch gemacht wird, sowie darin, dass diese Ungewissheiten. Als prekär erweist sich vor allem die Zurechnung von Prozess und Effekt schulischer Interaktionen: Lernleistungen können als empirisches Ergebnis nicht nach einem UrsacheWirkungs-Schema auf Unterrichtsprozesse zurückgeführt werden, da „Ursachen und Motive für ‚schlechte Leistungen und ihre Wahrnehmung, Interpretation und Behandlung durch die Organisation [...] voneinander unabhängige Prozesse [sind]“ (Gomolla/Radtke 2002: 55).
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signifikant häufiger nach der Grundschule auf Hauptschulen verwiesen werden, stellt sich für Gomolla und Radtke die Frage nach den Mechanismen, die dazu führen, dass die Unterscheidung Deutsche-AusländerInnen bzw. EinheimischeMigrantInnen zu einer bedeutsamen schulintern generierten Differenzierungsform wird.69 Die empirische Studie fokussiert diesbezüglich vor allem die im Kontext der für Bildungskarrieren bedeutsamen Selektions- und Übergangsschwellen der Einschulung, der Überweisung auf die Sonderschule für Lernbehinderte sowie des Übergangs auf die Sekundarstufe I im lokalen Schulsystem der Stadt Bielefeld (s. Gomolla/Radtke 2002: 89). Die Ergebnisse der Untersuchung weisen nicht nur auf Formen der indirekten institutionellen Diskriminierung, sondern auch auf zahlreiche Formen der direkten institutionellen Diskriminierung hin. Dabei werden als direkte Diskriminierung alle Verfahren bezeichnet, „die Migrantenkinder zu Kandidaten für Sonderbehandlung machen“, was „positive Diskriminierung“, d.h. unterschiedliche Behandlung „in fördernder Absicht“ einschließt (Gomolla/Radtke 2002: 266).Diese reichen von der Überweisung von Kindern mit Migrationshintergrund in spezielle Sprachförderklassen über die Rückstellung in den Schulkindergarten und die Überweisung auf Sonderschulen für Lernbehinderte auf der Grundlage der Diagnose von Sprachdefiziten in der deutschen Verkehrssprache – und damit im deutlichen Widerspruch zu den rechtlichen Vorgaben, die dies explizit als Begründung ausschließen – bis hin zum (mit den Ergebnissen der IGLU-Studie übereinstimmenden) Phänomen, dass SchülerInnen mit Migrationshintergrund auch bei gleichem Leistungsstand und gleichen Noten am Ende der Grundschulzeit gegenüber SchülerInnen ohne Migrationshintergrund überproportional häufiger eine Empfehlung für die Hauptschule als für die Realschule oder das Gymnasium erhalten. Hinzu kommt, dass einzelne Schulen entweder in fördernder Absicht oder aber um dem Stigma der „Ausländerschule“ zu entgehen, „Ausländerquoten“ einführen (s. Gomolla/Radtke 2002: 266ff.). Neben diesen direkten Formen institutioneller Diskriminierung, die sich auf der Grundlage einer differenzierenden, ungleichen Behandlung von SchülerInnen mit und ohne Migrationshintergrund realisieren, stellen Gomolla und Radtke aber vor allem eine Reihe von Mechanismen heraus, die auf der Grundlage der „Anwendung gleicher Regeln“ (Gomolla/Radtke 2002: 270) und orga69 Hier führen Gomolla und Radtke selbst Unterscheidungen ein, die auf unterschiedliche Differenzierungskategorien verweisen: zum einen die rechtliche und verwaltungstechnische Unterscheidung zwischen deutschen und nicht-deutschen SchülerInnen, zum anderen das damit nicht identische Unterscheidungskriterium des Migrationshintergrunds. Dies resultiert daraus, dass Gomolla und Radtke ihre statistischen Daten zur Ausweisung der Benachteiligung der SchülerInnen mit Migrationshintergrund Studien entnehmen, die nach der Kategorie der Staatsangehörigkeit differenzieren. (Gomolla/Radtke 2002: 18f.).
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Institutionelle Diskriminierung: Theorie und Empirie
nisationsspezifischer Normalitätserwartungen ethnische Differenz herstellen und als indirekte institutionelle Diskriminierung wirksam werden: „Diese Handlungsstrategien, die vermittelt über die Mitgliedschaftsrolle auf der pragmatischen Erwartung einer möglichst homogenen Klasse beruhen, stellen eine strukturelle Benachteiligung von ZweitsprachlerInnen dar und lassen die spezifischen Lernvoraussetzungen und Lebensbedingungen von Kindern aus ausländischen Herkunftsfamilien unberücksichtigt. Dabei werden im Fall von MigrantInnen die vermeintlich ‚neutralen‘ Leistungskriterien vielfach mit askriptiven Merkmalen in bezug auf den kulturell und religiösen Hintergrund der Kinder und ihrer Familien gefüllt.“ (Gomolla/Radtke 2002: 270)
Analog zu den beschriebenen Formen direkter institutioneller Diskriminierung werden Mechanismen der indirekten institutionellen Diskriminierung ebenfalls insbesondere an den genannten Selektions- und Übergangsschwellen wirksam. Während direkte institutionelle Diskriminierung etwa dann vorliegt, wenn ein Kind wegen Defiziten in der deutschen Verkehrssprache in den Schulkindergarten zurückgestellt wird und dies auch auf der Grundlage der geltenden Vorschriften einen Diskriminierungstatbestand erfüllt, vollzieht sich dies in der indirekten Variante typischerweise so, dass „Sprachdefizite“ als „Entwicklungsverzögerungen“ und als „Hinweis auf andere Fähigkeits- und Leistungsdefizite betrachtet und damit indirekt zu einem Schul(un)fähigkeitskriterium erhoben“ werden und dies schließlich dazu führt, dass „Migrantenkinder mit (vermuteten) Sprachdefiziten [...] einer gründlicheren Untersuchung auf mangelnde Schulfähigkeit unterzogen [werden] als ihre Mitschülerinnen“ (Gomolla/Radtke 2002: 270). Es findet also eine Umdeutung des diagnostizierten oder vermuteten Sprachdefizits dahingehend statt, dass eine Zurückstellung in den Schulkindergarten auf der Grundlage anderer Kriterien als der der Sprachkompetenz erfolgen kann, da diese durch die Erlasslage als Rückstellungskriterium ausgeschlossen wird: „Darin liegt eine Umgehung von rechtlichen Rahmenvorgaben, die sich von [...] Form[en] direkter Diskriminierung nur dadurch unterscheidet, dass sie nicht offen, bzw. ‚naiv‘, sondern verdeckt bzw. ‚reflexiv‘ geschieht“ (Gomolla/Radtke 2002: 270).
Die direkte und indirekte Diskriminierung auf der Grundlage diagnostizierter Sprachdefizite kommt auch bei den weiteren von den AutorInnen fokussierten Selektionsschwellen der Einleitung eines Sonderschulaufnahmeverfahrens oder der Überweisung in die Sekundarstufe I eine besondere Bedeutung zu. Bei Formen der indirekten institutionellen Diskriminierung kommen zusätzlich aber vor allem auch ethnisierende bzw. kulturalisierende Argumentationen als Entscheidungsgrundlage oder als Legitimationsmuster für getroffene Entscheidungen zum Tragen – dies entweder in Verknüpfung mit der Diagnose vorhandener Sprachdefizite oder als Konstruktion eines „kulturellen Passungsproblems“ zwi-
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schen migrationstypischem Familienhintergrund und Schule, etwa im Fall der Feststellung eines zusätzlichen vorschulischen Förderbedarfs (s. Gomolla/Radtke 2002: 270f.).70 Direkte Formen institutioneller Diskriminierung, die aus der Ungleichbehandlung von SchülerInnen mit Migrationshintergrund und SchülerInnen ohne Migrationshintergrund resultieren, verschränken sich den AutorInnen zufolge mit Mechanismen der indirekten institutionellen Diskriminierung, die sich auf der Grundlage spezifischer Normalitätserwartungen der Organisation Schule vollziehen und in ihrem Effekt SchülerInnen mit Migrationshintergrund benachteiligen. Vor diesem Hintergrund ergibt sich die definitorische Bestimmung, dass institutionelle Diskriminierung von Kindern mit Migrationshintergrund dann vorliegt, wenn x „regelmäßig von der Organisation Schule vorgenommene (Selektions-) Entscheidungen, die in ihrer eigenen Logik und Pragmatik getroffen werden, ungleiche Wirkungen auf die Schüler haben, und x wenn diese in der Organisation selbst hergestellten Unterschiede durch Merkmale/Eigenschaften, die der benachteiligten Gruppe zugeschrieben werden, mit Sinn ausgestattet werden, und x wenn es sich dabei um das Kollektivmerkmal der ‚nationalen Herkunft‘/’Kultur‘ handelt.“ (Gomolla/Radtke 2002: 264) Die Ethnisierungseffekte der Organisation Schule werden dabei nachträglich mit Legitimität versehen, insofern „ethnisierende Begründungen dann bemüht werden, wenn die Schule eine Entscheidung bereits getroffen hat, die ihrer eigenen Logik der Problemlösung folgt, aber negative Auswirkungen auf die Bildungskarriere eines Kindes hat. Im Kontext der notwendigen Begründungen (sensemaking) macht die Organisation Schule vorgefundene ethnische Unterscheidungen und Merkmalszuschreibungen auch in ihrer Zuständigkeit sozial bedeutsam.“ (Gomolla/Radtke 2002: 274) In Bezug auf die Frage, welchen Anteil institutionalisiertes Wissen an Mechanismen der Diskriminierung in und durch die Organisation Schule hat, stellen Gomolla und Radtke – ihre Ergebnisse resümierend – „einen Vorrang der organisationellen Logik“, d.h. der ‚Eigenrationalität der Organisation‘ gegenüber der ‚Eigenlogik der Institution‘ heraus. So kann „die Organisation Schule“ den AutorInnen zufolge zwar „institutionelle Erwartungen/Ordnungen aus der Umwelt zum Thema Migration für ihre Ziele in Anspruch nehmen“; allerdings 70 Gomolla und Radtke nennen etwa für Sonderschulaufnahmeverfahren Legitimationsfiguren wie „Sozialisationsdefizite und fehlende Angepasstheit im Sozialverhalten“, den Verweis auf „Temperament“, „Aggressivität“, „Kulturkonflikt“ und „Mentalitätsunterschiede“ sowie „fehlende/falsche Unterstützung durch die Eltern“, „fehlende Integrationswilligkeit und Selbstsegregation der Eltern“ oder der schlichte Hinweise auf den „Koranschulbesuch“ und einen vorhandenen „islamischen Fundamentalismus“ (s. Gomolla/Radtke 2002: 271).
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wird die Schule als Organisation „nicht passiv durchdrungen von äußeren Ordnungsmustern oder von den einverleibten Haltungen und Gewissheiten ihres Personals, sondern sie eignet sich solche institutionellen Muster im Prozess des Organisierens an, sei es ethnische Hierarchisierung/Monolingualismus/ Rassismus oder Gerechtigkeit/Mehrsprachigkeit/’Multikulturalismus‘. Sie werden aktiv in die eigenen Operationen dann eingearbeitet, wenn sie gebraucht werden – aber auch nur dann“ (Gomolla/Radtke 2002: 257). 2.3.3 Ethnische Differenz als Organisationseffekt? Zur Diskussion des Konzepts institutioneller Diskriminierung Die von Gomolla und Radtke für die Frage der institutionellen Diskriminierung von MigrantInnen zentral herausgestellten ethnisierenden bzw. kulturalisierenden Argumentations- und Legitimationsfiguren sind den AutorInnen zufolge durch ein institutionelles Wissen abgesichert, das selektiv auf das „Deutungsangebot der Ausländerpädagogik und neuerdings der Interkulturellen Pädagogik“ zurückgreifen kann (Gomolla/Radtke 2002: 274; s. auch Dittrich/Radtke 1990). Verwiesen ist damit auf die auch noch in aktuellen Varianten der interkulturellen Pädagogik einflussreiche Vorstellung einer basalen und u.a. auch in Bildungsprozessen relevant werdenden Kulturdifferenz (s. dazu Hormel/Scherr 2004b). Gemäß dieser Vorstellung sind MigrantInnen in ihrem Erleben, Denken und Verhalten durch sozialisatorische Einflüsse ihrer Herkunftskultur festgelegt, weshalb mit Integrations- und Identitätsproblemen von MigrantInnen in der Aufnahmegesellschaft zu rechnen ist. Dabei kommen in problematischer Weise Annahmen über spezifische kulturelle Eigenschaften von MigrantInnen zum Tragen, die dann als Interpretationshintergrund für vermeintlich typische Probleme jeweiliger Migrantengruppen formuliert werden (s. dazu auch Kapitel 5.2.2.) Auch wenn Gomolla und Radtke betonen, dass ein solcher Kulturdifferenzoder Kulturkonflikttopos in den Erziehungswissenschaften Ähnlichkeiten mit dem öffentlichen und medialen Diskurs zur Migrationsthematik aufweist, spitzen sie ihre Argumentation dahingehend zu, dass die Legitimation der Unterscheidung entlang des Kriteriums der ‚Ethnizität‘ oder ‚Kultur‘ wesentlich durch ein spezifisches professionskulturelles Wissen hervorgebracht wird, das in den Rationalisierungsbemühungen hinsichtlich der Selektionsentscheidungen relevant wird: „Fast nirgends sonst wird so intensiv über ‚Kultur‘, ‚Kulturkonflikt‘, ‚kulturelle Identität‘ nachgesonnen, wie in den Schulen (und ihren Betreuungswissenschaften), wenn es darum geht, negative Selektionsentscheidungen zu begründen und die Ursachen bei den Migrantenkindern und ihren Familien zu suchen“ (Gomolla/Radtke 2002: 277).
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Demgegenüber ist jedoch relativierend einzuwenden, dass die Kritik kulturalistischer und ethnisierender Konzepte im Fachdiskurs der interkulturellen Pädagogik inzwischen weitgehend konsensuell ist und es sich tendenziell eher um das Problem handelt, dass sich der fachwissenschaftliche Diskurs nur in geringem Maße im verfügbaren Professionswissen niederschlägt. Daher ist es zunächst erklärungsbedürftig, dass und wie von einem innerhalb der Erziehungswissenschaften nachweisbaren spezifischen Diskurs über kulturelle Differenz zum einen auf seine Reproduktion auf der Ebene des verfügbaren Professionswissen, und zum anderen auf dessen handlungsleitende praktische Wirksamkeit geschlossen werden kann. Insofern Ansätze interkultureller Pädagogik und die Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex Migration und Bildung nicht zum Basiscurriculum der Lehrerausbildung gehören, ist zudem davon auszugehen, dass die gängigen Bemühungen des Kulturdifferenztopos auf der Ebene pädagogischer Praxis in Schulen und in der außerschulischen Jugend- und Erwachsenenbildung weniger aus einer eingehenden Auseinandersetzung mit dem Fachdiskurs und einer spezifisch interkulturell ausgerichteten Ausbildung resultieren, als aus der unreflektierten Übernahme entsprechender Argumentationsund Deutungsmuster aus dem öffentlichen und medialen Diskurs. Für das bei Gomolla und Radtke entwickelte Verständnis institutioneller Diskriminierung sowie für eine Perspektive zu deren Überwindung ist der Vergleich der Bildungsbenachteiligung von MigrantInnen mit dem historischen Fall der Bildungsbenachteiligung von Mädchen bedeutsam: So argumentieren sie, dass diese nicht dadurch überwunden worden sei, dass „Defizite diagnostiziert und die Mädchen individuell gefördert und in Sonderkursen und durch intensive nachmittägliche Betreuung und Hausaufgabenhilfe kompensatorisch auf ihren heutigen Schulerfolg vorbereitet worden wären. Erreicht wurde die Veränderung der Verhältnisse nicht mit Pädagogik, sondern durch eine Politisierung der Diskussion über Ungleichheit und Ungleichbehandlung, in deren Folge es zu einer Reorganisation der Struktur des Bildungsangebots für Mädchen, einer Änderung der Selektionspraktiken in den Schulen und einer Delegitimation von Begründungshaushalten kam, die bis dahin die Entscheidungen gültig machten.“ (Gomolla/Radtke 2002: 18)
Sie grenzen sich damit implizit gegen Vorschläge ab, die eine Überwindung der Bildungsbenachteiligung von MigrantInnen von pädagogischen Sondermaßnahmen erwarten und legen nahe, dass Bildungsgleichheit für MigrantInnen entsprechend ‚durch eine Reorganisation der Struktur des Bildungsangebots‘, ‚Änderung der Selektionspraktiken in den Schulen‘ und eine ‚Delegitimation von Begründungshaushalten‘ erreicht werden kann. Diese instruktive Vergleichsperspektive ist jedoch aus zumindest drei Gründen zu relativieren:
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Im Unterschied zu MigrantInnen verteilen sich Mädchen gleichermaßen auf alle sozialen Statusgruppen und weisen gegenüber Jungen keine spezifischen Defizite in der in der Schule als normal betrachteten Varietät der deutschen Verkehrssprache auf. Die ungleichen Bildungschancen von Mädchen und Jungen waren deshalb ausschließlich als Folge einer spezifischen Diskriminierung auf der Grundlage von Geschlechtszugehörigkeit zu werten. Folglich konnte eine Institutionalisierung des Postulats gleicher Fähigkeiten beider Geschlechter unmittelbare Auswirkungen auf den Bildungserfolg haben. Als Ergebnis der damit eingetretenen Entwicklungen ist für die gegenwärtige Situation festzustellen, dass nicht mehr Mädchen, sondern eher Jungen als relativ Benachteiligte auf der Ebene der formal erworbenen Bildungsabschlüsse in der Schule gelten müssen. Gleichwohl ist aber zu berücksichtigen, dass die „Erfolgsgeschichte“ der Mädchengleichstellung im Bildungssystem weiterhin auch eine Problemseite aufweist: Dass sich die Bildungschancen von Mädchen und Jungen hinsichtlich der formalen Bildungsabschlüsse angeglichen haben, bedeutet nicht, dass die Herstellung von Geschlecht im schulischen Interaktionsgeschehen an Bedeutung verloren hätte und Geschlecht als Diskriminierungsressource irrelevant geworden wäre. Vielmehr ist die Darstellung und Herstellung von Geschlecht ein mitlaufendes Element alltäglicher Interaktion und Formen geschlechtsspezifischer schulischer Sozialisation sind keineswegs überwunden (s. dazu Faulstich-Wieland/Weber/Willems 2004). Zudem deuten vorliegende Daten und Analysen daraufhin, dass einerseits Jungen spezifischen schulischen Benachteiligungen unterliegen (s. Diefenbach/Klein 2002)71, andererseits Mädchen ihre Privilegierung im Rahmen der schulischen Sozialisation und ihre ‚Vorteile‘ hinsichtlich der erworbenen formalen Schulabschlüsse in Folge einer stark ausgeprägten Geschlechtstypik hinsichtlich der Fächerwahl, Berufs- und Studienwahl nicht adäquat in entsprechende berufliche Qualifizierungen und auf dem Arbeitsmarkt umsetzen können (s. dazu Lemmermöhle 1998: 74ff.).
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Der Bildungsaufstieg der Mädchen hat sich unter den Bedingungen der Bildungsexpansion realisiert und ist untrennbar verbunden mit einer gesteigerten Nachfrage nach höher Qualifizierten auf den Arbeitsmärkten in Zeiten sehr geringer Arbeitslosigkeit. Vor diesem Hintergrund
71 Umgekehrt lässt sich aber für die gegenwärtige Situation feststellen, dass sich bei den Jungen die schichtspezifische Benachteiligung stärker auswirkt als bei den Mädchen, insofern der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungschancen deutlich enger ist als bei den Mädchen.
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muss auch die Frage gestellt werden, ob unter Bedingungen eines Lehrlings- und Facharbeitermangels nicht auch mit verstärkten Bemühungen zu rechnen wäre, MigrantInnen entsprechend höher zu qualifizieren. x
Die Überwindung der genuin gesellschaftspolitisch motivierten Bildungsbenachteiligung der Mädchen muss im Zusammenhang mit dem allgemeinen zentralen Wandlungsprozess der Familie, der Pluralisierung von Lebensformen und der Veränderung der Lebensentwürfe von Frauen gesehen werden und kann nicht nur der politischen Skandalisierung der ungleichen Bildungschancen in den Reformdebatten der 1960er Jahre zugerechnet werden. Als strukturelle Voraussetzung müssen vielmehr die zunehmende Präsenz von Frauen auf dem Arbeitsmarkt inklusive der sich wandelnden Betrachtung der Berufsausübung von Frauen nicht nur als Interimstätigkeit bis zur Familiengründung, sondern potentiell auch als kontinuierliche Erwerbsphase sowie sinkende Kinderzahlen und steigende Scheidungsraten seit Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre in Rechnung gestellt werden. Diese Entwicklungen weisen nicht nur auf generelle Veränderungen traditioneller Lebensverlaufmuster von Frauen hin, vielmehr haben sie auch direkte Auswirkungen auf die Bildungsstrategien von Familien mit der Folge, dass nicht nur in die Bildung von Jungen, sondern auch in die der Mädchen investiert wird.
Die Herstellung einer Strukturanalogie zwischen der historischen Bildungsbenachteiligung der Mädchen und der anhaltenden Bildungsbenachteiligung von MigrantInnen ist also keineswegs unproblematisch, weil bei der Analyse der Diskriminierung von MigrantInnen die Frage nach den gesellschaftsstrukturellen, nicht auf ethnisierende, kulturalisierende Zuschreibungen reduzierbaren Bedingungen mitzuführen ist. Denn eine Untersuchung der Bildungsbenachteiligung von MigrantInnen kann die zuletzt erneut durch die PISA-Studien (s.o.) aufgezeigte hohe Korrelation von sozialer Herkunft und Bildungschancen nicht sinnvoll ignorieren. Zwar weisen Gomolla und Radtke (2002: 16) darauf hin, dass „das Wissen über die Schichtabhängigkeit von Schulerfolgen in der Rede von der ‚Schule als Mittelschichteinrichtung‘ Allgemeingut“ sei und dass dies in der Praxis kaum Konsequenzen gezeitigt hat, sie verknüpfen diese Einsicht jedoch nicht systematisch mit der Frage nach der spezifischen Bildungsbenachteiligung der Kinder mit Migrationshintergrund. Vielmehr wird der Rekurs auf „die Deutungsressourcen ‚Ethnizität‘ und/oder ‚Kultur‘ in der Bildungskarriere ausländischer SchülerInnen“ als zentral bedeutsam herausgestellt:
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„Die Herstellung von Ethnizität als Prädiktor von Erfolg oder Misserfolg in der Schule lässt sich [...] begreifen als ein Prozess, in dem der Unterscheidung von Herkunftskulturen soziale Bedeutung im Kontext der Organisation und der von ihr zu treffenden Entscheidung zugemessen wird“ (Gomolla/Radtke 2002: 57).
Entsprechend liegt der Akzent bei Gomolla und Radtke in absichtsvoller Einschränkung der Forschungsperspektive auch auf der „Herstellung ethnischer Differenz in der Schule“ und nicht auf einer Untersuchung der Reproduktion sozialer Ungleichheiten auf der Grundlage der sich potentiell überlagernden Diskriminierungsressourcen sozialer Herkunft und zugeschriebener Ethnizität in und durch das Bildungssystem. Demgegenüber ist jedoch die Frage aufzuwerfen, ob und in welcher Weise sich die Herstellung von Ethnizität mit der Unterscheidungsressource der sozialen Herkunft verschränkt und inwiefern zusätzlich die Wahrnehmung bestimmter Migrantengruppen als in den unteren Schichten Überrepräsentierte Konstruktionen von ethnischer und kultureller Differenz beeinflusst und überformt. So sind die spezifischen Ausprägungen eines in der Bundesrepublik einflussreichen Kulturrassismus nicht allein auf diskursive Verschiebungen von „Rasse“ zu „Ethnizität“ oder „Kultur“ im Kontext eines modernisierten NeoRassismus (Balibar 1992a) reduzierbar, sondern diese sind auch nicht unabhängig von der sozial benachteiligten Situation von MigrantInnen und einer darauf nahezu reduzierten Repräsentation von MigrantInnen als Angehörige dieser Schichten im öffentlichen, medialen und politischen Diskurs verständlich. Denn Konstruktionsprozesse von Ethnizität operieren nicht klassen- bzw. schichtenblind, sondern in diesen ist historisch und aktuell vielfach der Bezug auf soziale Positionierungen enthalten (s. Bommes/Scherr 1991; s. dazu auch Kapitel 5.2.). Ethnisierungsprozesse richten sich somit nicht gleichermaßen und gleichförmig auf MigrantInnen im allgemeinen, sondern sie betreffen MigrantInnen aus den sogenannten bildungsfernen Schichten in anderem Maße und in anderer Weise als MigrantInnen, die etwa einen akademischen Familienhintergrund haben. Damit handelt es sich nicht um zwei unabhängige Diskriminierungsressourcen ‚soziale Herkunft‘ und ‚Ethnizität‘, die sich in bestimmten Fällen additiv verschränken, sondern es stellt sich auch die Frage, inwiefern sich diese wechselseitig überlagern und überformen. Dies bedeutet zwar nicht generalisierend, dass sich ethnisierende Zuschreibungen in erster Linie auf Angehörige der unteren sozialen Schichten richten, sie artikulieren sich aber deutlich anders. Für die Bildungsbenachteiligung von MigrantInnen in der Bundesrepublik ist aber insbesondere die Verknüpfung von Ethnisierung und Unterschichtung von Bedeutung, d.h. es geht um eine spezifische Teilgruppe, für die der Konnex
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Migrationshintergrund und Benachteiligung durch soziale Lage gilt.72 Zudem produziert Schule nicht lediglich ‚ethnische Differenz‘ entsprechend der organisationsintern operationalisierten, extern generierten und ‚vorgefundenen‘ institutionellen Wissensbestände; sie reproduziert ebenso ungleiche Startvoraussetzungen dadurch, dass sie von der Fiktion der Homogenität der Eingangsvoraussetzungen von SchülerInnen ausgeht und deshalb insbesondere die aktive Herstellung gleicher Sprachkompetenz nicht als ihre Kernaufgabe begreift, sondern nur als Aufgabe ergänzender Maßnahmen der kompensatorischen Erziehung. Insofern werden SchülerInnen mit Defiziten hinsichtlich der in Schule als normal betrachteten Varietät der deutschen Verkehrssprache - und dies auch unabhängig von ihrer Nationalität und ihrem Migrationshintergrund - durch das normale Operieren von Schule diskriminiert. Denn Schule bewertet sprachliche Kompetenzen, die sie voraussetzt und selbst nicht vermittelt (s. Bernstein 1981). Wenn Gomolla und Radtke darauf hinweisen, dass mit dem Fokus auf die schulischen Ethnisierungsprozesse „nicht gesagt [ist], dass es nicht auch in den besonderen Merkmalen der Schüler, ihrer Familien und ihrer sozialen Milieus Ungleichheit gäbe, die sich in ihrer Lern- und Leistungsfähigkeit zeige“ (Gomolla/Radtke 2002: 26), dann wäre zudem in Rechnung zu stellen, dass auch Leistungskompetenzen und Bildungsaspirationen in Abhängigkeit von der sozialen Positionierung und Lebenssituation keinesfalls als externer herkunftsbedingter Ungleichheitsfaktor betrachtet werden können, sondern dass auch hier die Schule durch ihre spezifischen Operationen zur sozialen Genese und Modifikation solcher milieu- und schichtspezifischer Leistungskompetenzen und Bildungsaspirationen und damit ebenso zu einer Gestaltung ihrer Umwelt73 bei72 Vor diesem Hintergrund ist z. B. die kanadische Situation, in der MigrantInnen nicht typischerweise Angehörige sozial benachteiligter Gruppen sind, sondern infolge der selektiven Einwanderungspolitik, insbesondere der gezielten Förderung der Einwanderung von qualifizierten Fachkräften, viele MigrantInnen zu den relativ privilegierten Schichten gehören, nicht analog zur deutschen Situation zu fassen (s. dazu Hormel/Scherr 2004: 82). Dies geschieht aber häufig in den „NachPisa“-Debatten, indem Kanada als positives Beispiel des Umgangs des Bildungssystem mit den Realitäten der Einwanderungsgesellschaft genannt wird (s. etwa Bundesministerium für Bildung und Forschung 2003: 45ff.). 73 Im Sinne Weicks wäre hier auf Interdependenzen in der Strukturbildung zwischen sozialer Umwelt und Organisation hinzuweisen: „Wenn eine sich entwickelnde Organisation nicht bloß ein kleiner Teil der Umwelt ist, werden ihre Handlungen das in dieser Umwelt enthaltene Selektionssystem verändern. In dem Maß, wie sich der Umfang einer Organisation vergrößert, wird sie ihr eigenes Selektionssystem und erlegt buchstäblich die Umwelt auf, die sich ihr auferlegt. Es sollte klar sein, dass die Unterscheidung zwischen Organisation und Umwelt hoffnungslos unklar wird.“ (Weick 1985: 241) Insofern die „Gestaltung“ der Umwelt durch die Organisation als ein Versuch der Komplexitätsbewältigung zu betrachten ist, rückt die Tragweite der „gesellschaftlichen Konstruktion von Wirklichkeit“ (s. Weick 1985: 237) als organisationsintern wirksames, institutionalisiertes Prinzip einer Kontingenzbegrenzung qua ‚Gestaltung‘ in den Blick. In Bezug auf die möglichen Einflussnahmen der Organisation Schule auf das Entscheidungsverhalten von Eltern wäre daher zu fragen, in welcher Weise der Schule eine Übertragung ihres intern operationalisierten institutionalisierten Wissens, d.h. ihres ‚Selektionssystems‘ auf ihre soziale Umwelt gelingt.
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trägt. Hingewiesen ist damit auf Formen der durch die Organisation Schule miterzeugten Benachteiligung, die durch das gedeckt ist, was Schule als individuelle Leistungsfähigkeit und Leistungswillen definiert und damit nicht als Diskriminierungsfrage thematisch wird. Jedoch bilden auch milieuspezifische Bildungsvoraussetzungen und Bildungsaspirationen keinen eigenständigen Erklärungsfaktor für Bildungschancen, denn diese schlagen nicht unmittelbar auf den Bildungserfolg durch, sondern werden ebenfalls schulintern interpretiert, kommuniziert und als entscheidungsrelevante Faktoren mit Sinn ausgestattet. Davon zu unterscheiden sind Formen der ethnisierenden und kulturalisierenden Diskriminierung, die keinen Bezug haben zu dem, was Schule als individuelle Leistungsfähigkeit und Leistungswilligkeit definiert, sondern sich dadurch realisieren, dass soziale Gruppen in Referenz auf ethnisierende Eigenschaftszuschreibungen generalisierend als Problemgruppen der Schule und des Bildungssystems gefasst werden. Solche Formen von Ungleichbehandlung gelten im meritokratischen Selbstverständnis von Schule im Unterschied zur Ungleichbehandlung leistungsdifferenter SchülerInnen nicht als legitim und realisieren sich daher - wie Gomolla und Radtke aufzeigen - vorrangig als indirekte institutionelle Diskriminierungen. In Hinblick auf das bei Gomolla und Radtke theoretisch zugrunde gelegte Primat der Eigenrationalität der Organisation Schule muss jedoch angenommen werden, dass schulexterne Faktoren wie die sozial-strukturell ungleiche Positionierung der SchülerInnen als ‚Inputbedingungen‘ schulischer Organisation schulintern ebenso eigenlogisch operationalisiert werden, wie dies für ethnisierende Zuschreibungspraktiken gilt. In welcher Weise sich in der Diskriminierung von SchülerInnen daher ethnisierendes und sozial klassifizierendes ‚Alltags-Welt‘- und Professionswissen durchdringen und welche gruppenbezogenen Unterscheidungen und Typisierungen aufgrund welcher Operationsmechanismen diskriminierungsrelevant werden, wäre daher zunächst empirisch zu untersuchen. Um eine Einschränkung der Diskriminierungsfrage auf die auch im politisch-rechtlichen Diskurs vorgenommene selektive Thematisierung von Diskriminierung von MigrantInnen, mit der die ungleiche Behandlung auf Grundlage des Merkmals ‚Ethnizität‘ als von der Reproduktion sozioökonomischer Ungleichheiten zu unterscheidender diskriminierungsrelevanter Sonderfall in den Blick genommen wird, zu überwinden, ist ein möglicher Zusammenhang von Migration und Diskriminierung in und durch die Organisation Schule und das Bildungssystem entlang zumindest dreier Unterscheidungsoperationen zu konturieren: x die Diskriminierung von MigrantInnen als Angehörige benachteiligter sozialer Klassen, Schichten und Milieus,
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x x
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die Diskriminierung von MigrantInnen aufgrund von Defiziten in der deutschen Verkehrssprache bzw. des „monolingualen Habitus der multilingualen Schule“ (s. Gogolin 1994), die Diskriminierung von MigrantInnen auf der Grundlage rassialisierender, ethnisierender und kulturalisierender Zuschreibungen bildungsrelevanter Eigenschaften.
Vor dem Hintergrund dieser Aspekte ist die Frage, inwieweit Organisationen jeweils eine operative Eigenständigkeit gegenüber sozialen Strukturbedingungen sowie gesellschaftsweit verbreiteten Wissensbeständen, Diskursen und Ideologien aufweisen, keineswegs abschließend beantwortet. Vielmehr wäre die Interaktion der oben genannten potentiell zu erwartenden Diskriminierungsressourcen ohne Festlegung auf ‚Ethnisierung‘ ergebnisoffen zu untersuchen, d.h. letztlich zu überprüfen, entlang welcher Kategorisierungen und Typisierungen Unterscheidungsoperationen als Benachteiligungen wirksam werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass in Schulen als Organisationen des Erziehungssystems keineswegs nur spezifisch professionelles Wissen bedeutsam wird, sondern auch Alltagswissen von PädagogInnen. Insofern ist es gerade im Fall von Erziehungsorganisationen plausibel anzunehmen, dass gesellschaftlich zirkulierende Diskurse und Ideologien einen relevanten Bezugspunkt für organisationsinterne Interpretationen und Entscheidungen darstellen. Die damit aufgeworfenen Fragen betreffen nicht nur den Kontext eines institutionalisierten Alltagswissens, das das Professionswissen überlagert und in den Entscheidungsprozessen an den Selektionsschwellen des Schulsystems praktische Relevanz erlangt, sondern auch das Problem, wie sich die ‚regelmäßigen‘ Effekte der ‚Herstellung ethnischer Differenz‘ primär der ‚Eigenrationalität der Schule‘ und weniger der ‚Eigenlogik der Institutionen‘ zurechnen lassen - wie Gomolla und Radtke in ihrem Resümee nahe legen (s. Gomolla/Radtke 2002: 257). Denn folgt man ihrer Analyse, erschließt sich die ethnisierende Systematik im Entscheidungsverhalten weniger durch den organisatorisch auferlegten Selektionszwang des Schulsystems, sondern durch den Bezug der ‚Entscheider‘ auf professionalisierte resp. institutionalisierte Wissensbestände. In Hinblick auf die ‚Organisation Schule‘ ist damit zunächst auf ein organisationsinternes Entscheidungsvakuum hingewiesen, das nicht durch verfügbare Entscheidungsprogramme, sondern durch ein innerhalb der Schulorganisation relativ ‚lose gekoppeltes‘ Professions- und Alltagswissen gefüllt wird. Als institutionell werden damit Gomolla und Radtke zufolge diskriminierungsrelevante Regelmäßigkeiten im Entscheidungsverhalten der Akteure bezeichnet, die vor dem Hintergrund der organisationstheoretisch zu erwartenden Unwahrscheinlichkeit ‚regelmäßig‘ (im Sinne organisationsintern transparenter Entscheidungsregeln) ablaufender Entscheidungsprozesse auf eine jenseits der formalen organisatorischen Abläufe generierte Strukturiertheit schließen lassen, die
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im und durch das Medium Sinn hergestellt wird - und zwar im Sinnhorizont ethnisierender Unterscheidungen und Typisierungen. Dabei legt der Hinweis auf die schulinterne Implementierung „vorgefundene[r] ethnische[r] Unterscheidungen und Merkmalszuschreibungen“ (Gomolla/Radtke 2002: 274) zudem nahe, dass deren organisationsinterne Operationalisierung die Unterscheidungslogik der institutionalisierten Wissensbestände de facto reproduziert, d.h., dass die Eigenlogik institutionalisierter Unterscheidungsoperationen organisationsintern Entscheidungsprämissen erzeugt. Das Erklärungspotential der ethnische Differenz herstellenden Regelmäßigkeit im Entscheidungsverhalten verlagert sich damit jedoch auf die Seite institutionalisierter Wissensbestände. Dass innerhalb dieser Wissensbestände ein wesentlich weiter gefasstes Spektrum an migrationsbezogenem Alltagswissen sowie Annahmen über den sozio-ökonomischen Familienhintergrund zu erwarten ist, wäre für künftige Forschungsfragen im Kontext institutioneller Diskriminierung zu berücksichtigen. Damit bliebe die Frage nach einer zu erwartenden Regelhaftigkeit der Entscheidungsprämissen zunächst offen: Als Ursache für die beobachtbare Strukturiertheit diskriminierender Effekte sind deshalb auch soziale Ungleichheitsstrukturen plausibel, deren sinnbasierte organisationsinterne Operationalisierung ebenfalls in Hinblick auf ihr ethnisierendes Strukturierungspotential untersucht werden müsste. Vor diesem Hintergrund muss auch die Frage gestellt werden, inwiefern der entlang der Differenzierungsachse ‚Schüler mit und ohne Migrationshintergrund‘ bzw. ‚Deutsche und Ausländer‘ bei Gomolla und Radtke angenommene Prozess der Herstellung ethnischer Differenz nicht in ähnlicher Weise wie das für die quantitative Erhebung der Bildungsbenachteiligung herangezogene Kriterium Migrationshintergrund als übergeneralisierend gelten muss. Denn es muss bezweifelt werden, dass auf Grundlage dieser Beobachtungsdifferenz bspw. statistisch signifikante Unterschiede hinsichtlich der Bildungsbeteiligung verschiedener Einwanderergruppen (s. dazu Kapitel 2.2.) plausibilisiert werden und im Kontext ethnisierender Diskriminierung durch die Organisation Schule interpretiert werden können. Infolgedessen ist auch nicht davon auszugehen, dass die operativen Mechanismen, die zu diskriminierenden Effekten im Bildungssystem führen, hinreichend auf das Zusammenspiel der ‚Eigenrationalität von Organisationen‘ und der ‚Eigenlogik von Institutionen‘ zurückgeführt können. So kann mit der hier eingenommenen Perspektive der ‚Herstellung ethnischer Differenz‘ als Organisationseffekt gezeigt werden, dass die Diskriminierung von MigrantInnen im Bildungssystem nicht allein als Folge von ihrerseits soziologisch zu erklärenden Sprachdefiziten sowie als Reproduktion sozioökonomischer Ungleichheiten verstanden werden kann, sondern in Verbindung mit ethnisierenden und kulturalisierenden Sichtweisen, die in der Organisation Schule gemäß ihrer Binnenrationalität operationalisiert werden, analysiert werden muss. An diesen Ansatz anschließende sinnvolle Forschungsstrategien wä-
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ren m. E. jedoch dahingehend zu entwickeln, dass nicht nur die Frage, entlang welcher Kategorisierungen und Typisierungen Unterscheidungsoperationen als Benachteiligungen wirksam werden, ohne Festlegung auf ‚Ethnisierung‘, empirisch offen gehalten wird, sondern dass auch der für Formen direkter und indirekter institutioneller Diskriminierung bedeutsamen Verschränkung von sozialstruktureller Positionierung, damit zusammenhängenden sozialen Bedingungen des Spracherwerbs, von Bildungsaspirationen und unterschiedlichen Bildungsstrategien mit schulinternen Prozessen hinreichend Rechnung getragen werden kann.
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Asymmetrische Gruppenbeziehungen und Diskriminierung
Im vorangehenden Kapitel wurde in Bezug auf die Bildungsbenachteiligung von MigrantInnen exemplarisch gezeigt, dass Organisationen mit ihren spezifischen Normalitätserwartungen und Operationsweisen im Kontext gesellschaftlicher Diskriminierung von zentraler Bedeutung sind. Mit vorliegenden theoretischen Ansätzen, die Mechanismen institutioneller Diskriminierung in der Einwanderungsgesellschaft in den Blick nehmen, steht vor allem die Frage im Vordergrund, wie ethnisierende Differenzierungen auf der Grundlage institutionalisierten Wissens organisationsimmanent operationalisiert und gesellschaftlich wirksam werden. Allerdings rückt dabei der Einfluss, den organisationsexterne gesellschaftliche Bedingungen auf organisationsinterne Entscheidungsprozesse ausüben sowie der Zusammenhang zwischen an so genannten askriptiven Merkmalen ansetzenden Differenzierungen, die zu Benachteiligungen führen, und Mechanismen der Reproduktion sozioökonomischer Ungleichheitsstrukturen tendenziell in den Hintergrund. Am Beispiel des Bildungssystems wurde jedoch gezeigt, dass die gesellschaftlichen Bedingungen und die spezifischen Operationsweisen der Diskriminierung von MigrantInnen weder hinreichend als Nebeneffekt der Reproduktion sozioökonomischer Ungleichheiten, noch als Folge einer davon analytisch isolierbaren ethnisierenden Unterscheidungspraxis der Organisation Schule verstanden werden können. Damit ist auf die Notwendigkeit einer Analyse des Zusammenhangs zwischen den Reproduktionsprozessen sozioökonomischer Ungleichheiten und den Mechanismen, die MigrantInnen darüber hinausgehend in spezifischer Weise benachteiligen, hingewiesen. Für die Entwicklung eines gesellschaftstheoretisch fundierten Verständnisses von Diskriminierungen in der Einwanderungsgesellschaft sind daher auf unterschiedlichen Ebenen ansetzende Unterscheidungslogiken und -praktiken, die zu Benachteiligungen von MigrantInnen und zur Soziogenese von Minderheiten führen, analytisch in den Blick zu nehmen. Auf zentrale Aspekte des dabei klärungsbedürftigen Zusammenhangs von sozialen Differenzierungsprozessen und asymmetrischen74 Gruppenkonstitutionsprozessen ist bereits die klassische So74 S. dazu das bei Luhmann in Anschluss an Koselleck und Dumont formulierte Verständnis „asymmetrischer Gegenbegriffe“ als „Unterscheidungen, bei denen die Höherwertigkeit der einen Seite nicht nur ihre Gegenstellung, sondern zugleich die Zughörigkeit des Unterschiedenen zu einer hierarchischen Ordnung bestätigt“ (Luhmann 1996: 220).
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ziologie gestoßen. Dabei liegen mit den Ansätzen von Herbert Blumer, Alfred Schütz und Norbert Elias, die eine je eigenständige Theoretisierung der Soziogenese von „race relations“ (Blumer), „Mehrheiten-Minderheitenbeziehungen“ (Schütz) und „Etablierten-Außenseiterbeziehungen“ (Elias) vorgenommen haben, genuin soziologische Kritiken der sozialpsychologischen Vorurteilsforschung sowie instruktive Überlegungen vor, die auf mögliche Anknüpfungspunkte für eine gesellschaftstheoretische Rückbindung der Diskriminierungsthematik hin diskutiert werden sollen. Denn als grundlagentheoretisches Kernproblem der sozialpsychologischen Vorurteilsforschung kann, wie gezeigt, die Referenz auf die sozialtheoretisch unterbestimmte Kategorie der ‚Gruppe‘ gefasst werden. Die Annahme, dass ‚Gesellschaft‘ auf Grundlage voneinander unterschiedener und unterscheidbarer Gruppen hinreichend beschrieben werden kann, führt zu zwei problematischen Verkürzungen: Zum einen werden Gruppen - und insbesondere ethnisch definierte Gruppen - selbst als vorsoziale Entitäten aufgefasst und zum anderen wird Gesellschaft implizit als die Form verstanden, in der diese Gruppen zueinander in Beziehung treten. Mit anderen Worten stellt sich Gesellschaft damit als Summe von Gruppenkonstellationen dar, ohne dass die Soziogenese von Gruppen dabei selbst als erklärungsbedürftiger Sachverhalt in den Blick gerät. Dies gilt auch für die avancierteren Ansätze der neueren Vorurteilsforschung, die die rein individualpsychologische Dimension des Problemzusammenhangs von Vorurteil und Diskriminierung zugunsten einer gruppenpsychologischen Fundierung von Stereotypenbildung, Vorurteilskomplexen und Diskriminierungen zu überschreiten beanspruchen. Insbesondere explizit rassismustheoretisch orientierte Forschungsansätze operieren dabei mit der vortheoretischen Differenzierung zwischen ‚Schwarzen‘ und ‚Weißen‘ als basaler sozialer Strukturmatrix, ohne danach zu fragen, welche Prozesse die Hervorbringung dieser als unterschieden aufgefasste Gruppen und ihrer Beziehung im Sinne von race relations ermöglichen (s. Kapitel 1.3.). Die im Folgenden zu diskutierenden genuin soziologisch argumentierenden Ansätze eröffnen vor diesem Hintergrund bereits durch die gegenüber der sozialpsychologischen Vorurteilsforschung erkenntniskritisch begründete Perspektivumkehr, dass soziale Gruppen selbst als Ergebnis soziogenetischer Prozesse und nicht lediglich als Ausgangspunkt für die Erforschung von Binnenkohäsionsprozessen und Intergruppenkonflikten entlang der In-/OutgroupUnterscheidung bestimmt werden können, eine komplexe Analyse der sozialen Voraussetzungen von Diskriminierungen.
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Herbert Blumers Ausgangsfrage, ob und inwiefern „race relations“ eine eigenständige Form sozialer (Gruppen-)Beziehungen darstellen75, exponiert sozialtheoretisch die Problematik der spezifischen soziohistorischen Bedingungen, unter denen race relations als Matrix der Selbstbeschreibung von Gesellschaft Plausibilität gewinnen. Dabei sind, wie im Folgenden nicht nur anhand der Blumerschen Diskussion, sondern auch bei Schütz und Elias deutlich wird, nicht nur biologistische Annahmen über präexistente gesellschaftsbildende ‚Rassen‘ im Sinne einer „pure fantasy“ (Blumer) und ‚falscher‘ Beschreibungen von Gesellschaft Gegenstand der Problematisierung; vielmehr rückt die Frage in den Vordergrund, weshalb die Kategorien race bzw. racial- oder ethnic group eine soziale Bedeutung resp. einen sozialen Sinn erhalten. Die dabei gleichzeitig vollzogene Infragestellung von race relations als genuinem und strukturbildendem Typus sozialer Beziehungen ist nicht zuletzt deshalb von Bedeutung, weil für das klassische Modell sozialer Beziehungen - das der Marxschen Klassenbeziehungen - nicht nur das Charakteristikum der ökonomischen Positionszuweisung konstitutiv ist, sondern auch, dass diese strukturbildend für die Gesellschaft sind. Ob und inwiefern eine solche gesellschaftsstrukturelle Spezifik für race relations in Differenz zu Klassenbeziehungen angenommen werden kann, steht vor diesem Hintergrund zur Disposition. Im Unterschied zu neueren, als makrosoziologische Theorie angelegten Versuchen, Formen ethnisierender Diskriminierung in die Ungleichheitsforschung zu integrieren, wird somit keine theoretische Vorentscheidung hinsichtlich des Stellenwerts von race oder Ethnizität als eines analog zur Klassenkategorie bestimmbaren „relevanten Strukturgeber[s]“ (Klinger/Knapp 2005: 72) getroffen. Vielmehr wird bei Blumer, Schütz und Elias mit je unterschiedlichen Akzentuierungen die Problematik exponiert, ob und inwiefern race relations, Mehrheiten-Minderheitenbeziehungen und Etablierten-Außenseiter-Beziehungen als gesellschaftsstrukturell verankerte Relationen sozialer ‚Gruppen‘ zu fassen sind. Damit wird eine Perspektive aufgezeigt, die es - im Unterschied zu der für die Ungleichheitsforschung charakteristischen Vorgehensweise, ihren Untersuchungsgegenstand in Hinblick auf die soziale Positionierung von „Großkollektiven“ (Stichweh 2004: 353) zu konturieren - erlaubt, Klassifikationspraktiken und Unterscheidungslogiken zu fokussieren, die sowohl für den Herstellungsprozess sozialer Gruppen als auch für deren Positionierung im gesellschaftlichen Kontext relevant werden. Im Weiteren sollen deshalb zunächst die soziologischen Analysen von Blumer, Schütz und Elias daraufhin diskutiert 75 So schreibt Blumer: „To conceive a group of people as a race is obviously only one of many ways in which that group might be conceived. It might be regarded as a set of dwellers, a social class, a territorial group, a national, or one of countless other groups. Thus, we are compelled to ask what is involved in conceiving a group as being a race; what sets off this kind of conception from other kinds of conception.“ (Blumer 1973/1955: 5)
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werden, ob und inwiefern diese ein gesellschaftstheoretisches Verständnis von Diskriminierungen in der Einwanderungsgesellschaft eröffnen. 3.1
Herbert Blumer: Zur Soziogenese von ‚race relations‘
Mit der Akzentuierung von „race relations“ als Ergebnis sozialer oder kollektiver Definitionsprozesse profiliert Blumer einen eigenständigen Theorieentwurf, den er als „collective definition“-Ansatz nicht nur von der Vorurteilsforschung, sondern auch vom Konzept des institutionellen Rassismus und der institutionellen Diskriminierung sowie von struktur-funktional und marxistisch orientierten Analysen abgrenzt (s. Blumer/Duster 1980: 211ff.). Vor dem Hintergrund einer dezidierten Kritik an der sozialpsychologischen Vorurteilsforschung plädiert Blumer für eine Betrachtung, die die Analyse der Vorurteilsproblematik nicht von den im Individuum verankerten Gefühlen und Erfahrungen ausgehen lässt, sondern den „kollektiven Prozess“ in den Vordergrund stellt, durch den „a racial group comes to define and redefine another racial group“ (Blumer 1975: 217). Mit der Betonung, dass das rassistische Vorurteil notwendigerweise voraussetzt, dass die Vorurteilsträger sich als Angehörige einer gegebenen racial group und die ‚Anderen‘ als Angehörige einer anderen racial group imaginieren, lenkt Blumer die Aufmerksamkeit auf den Definitionsprozess, der dazu führt, dass diese sich wechselseitig als voneinander unterscheidbare Gruppen kategorisieren. In den Vordergrund rückt „the operation and importance of a defining process through which given racial groups categorize one another and form their pictures of one another. The area of race relations is constituted by this process of definition“ (Blumer/Duster 1980: 222).
So sind race relations in der dabei zugrunde gelegten Perspektive Vorurteilen nicht vorgängig, sondern Vorurteile sind ein Moment der für die Herausbildung, Konsolidierung und Transformation von race relations konstitutiven kollektiven Selbst- und Fremdbeschreibungen. Entsprechend fasst Blumer rassistische Vorurteile als „a matter (a) of the racial identification made of oneself and of others, and (b) of the way in which the identified groups are conceived in relation to each other [...] A basic understanding of race prejudice must be sought in the process by which racial groups form images of themselves and of others.“ (Blumer 1975: 218).
Damit stellen sich Vorurteile in Blumers Argumentation als sozial geteilte Auffassungen über das angemessene Verhältnis zwischen sich als unterschieden definierenden und identifizierenden racial groups dar. Er akzentuiert damit, dass rassistische Vorurteile nur als innerhalb einer relationalen Struktur hervorge-
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brachte Effekte von Rassenkonstruktionen verständlich sind. Dieser Sachverhalt ist jedoch nicht nur eingeschränkt für die Vorurteilsproblematik relevant, sondern für eine soziologische Analyse von race relations insgesamt grundlegend: Denn folgt man Blumers Argumentation, kann diese generell nicht von der Annahme präexistenter und unterscheidbarer ‚realer‘ Gruppen ausgehen. Sie hätte vielmehr die Konstruktion solcher Unterschiede selbst als Moment der Prozesse zu untersuchen, in denen Gruppenbeziehungen entstehen. 3.1.1 ‚Sense of social position‘ Vor diesem Hintergrund geht die bei Blumer angestrebte Analyse nicht nur davon aus, dass Vorurteile keine individuellen Einstellungen, Gefühle oder psychische Dispositionen darstellen und es sich bei der Genese von Vorurteilen um einen notwendig kollektiven, imaginäre Einheiten konstituierenden Prozess handelt, sondern er betont darüber hinausgehend, dass die Gewissheit über die Zugehörigkeit und Positionierung im sozialen Gefüge die entscheidende Basis für die Genese rassistischer Vorurteile darstellt: „It is the sense of social position emerging from this collective process of characterization which provides the basis of race prejudice.” (Blumer 1975: 219).
Dieser „sense of social position“ oder auch „sense of group position“76 ist dadurch charakterisiert, dass die „dominant racial group“ durch eine spezifische historische Entwicklung in die Situation versetzt wurde, die „subordinate racial group“ sowie die Beziehungen zwischen den beiden Gruppen zu definieren und zu redefinieren (s. Blumer 1975: 222f.). Nun kann die Akzentuierung des Definitionsprozesses in der Genese unterschiedener Gruppen und in der Konstruktion bzw. Relevanzsetzung von Unterschieden noch innerhalb der klassischen Parameter des Symbolischen Interaktionismus verortet werden und korrespondiert mit der durch Blumer formulierten Prämisse, dass Individuen „‚Dingen‘ gegenüber auf der Grundlage der Bedeutungen handeln, die diese Dinge für sie besitzen“ und „dass die Bedeutung solcher Dinge aus der sozialen Interaktion, die man mit seinen Mitmenschen eingeht, abgeleitet ist oder aus ihr entsteht“ (Blumer 1981: 81). Für die von Blumer beabsichtigte soziologische Analyse von race relations und rassistischen Vorurteilen scheint eine solche, den Aspekt der Bedeutungskonstitution in intersubjektiven Handlungskontexten herausstellende, interaktionstheoretische Grundlegung jedoch nicht hinreichend zu sein, da diese, wie er 76 Blumer benutzt beide Wendungen. Ein systematischer Unterschied in der Bedeutung und der Verwendung dieser Termini lässt sich nicht erkennen.
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immer wieder betont, die historischen und sozialstrukturellen Bedingungen zu berücksichtigen habe, auf deren Grundlage sich Individuen als Angehörige von racial groups imaginieren (s. Blumer 1973: 9; 1975: 223). Der sense of social position nimmt in Blumers Analyse vor diesem Hintergrund insofern eine theoretische Schlüsselstellung ein, als damit der Wahrnehmung der eigenen sozialen Positionierung, auf deren Grundlage Individuen handeln, eine zentrale Bedeutung für die Genese von race relations zukommt: Race wird so als historische (symbolische) Form gefasst, die heterogene, diskontinuierliche und variable soziale Beziehungen mit einem kohärenten ‚sozialen Sinn‘ auszustatten erlaubt. Blumer betont dabei jedoch, dass der sense of social position keineswegs als Widerspiegelung ‚objektiv‘ gegebener gesellschaftlicher Strukturbedingungen etwa im Sinne eines Klassenbewusstseins - verstanden werden kann. Vielmehr handelt es sich bei dem sense of social position um eine Selbstdefinition und Selbstverortung von Individuen und Gruppen im gesellschaftlichen Kontext und damit um eine gleichermaßen soziohistorisch verankerte wie in Interaktionsprozessen vollzogene Definition sozialer Beziehungen. Sich aktualisierende, auf die Vergewisserung der sozialen Zugehörigkeit und der Konsolidierung der sozialen Positionierung zielende Definitionspraktiken stellen für Blumer bei allen Unterschieden in der historischen Entwicklung und den gesellschaftlich spezifischen Ausprägungen jeweiliger race relations den zentralen Mechanismus der Etablierung, Konsistenz oder Transformation dieser Beziehungen dar. Race relations werden dabei als permanent in der Formierung befindliche, dynamische Beziehungen beschrieben. Entsprechend stellt sich die Herstellung des sense of group position als eine Art kollektiver, aber stets unabgeschlossener Aushandlungsprozess dar, der sich durch „komplexe Interaktion und Kommunikation“ der Mitglieder der dominanten Gruppe untereinander realisiert über Geschichten, Klatsch, Anekdoten und die Artikulation von Zuschreibungen und Empfindungen, die die Mitglieder der untergeordneten Gruppe betreffen und ein abstraktes Bild von dieser erzeugen (s. Blumer 1975: 224). Das Phänomen der Imagination einer abstrakten Gruppe der Untergeordneten stellt Blumer dabei als zentrales Merkmal von race relations heraus: „The collective image of the abstract group grows up not by generalizing from experiences gained in close, first-hand contacts but through the transcending characterizations that are made of the group as an entity.“ (Blumer 1975: 224f.)
Auf den ersten Blick ist damit eine Übereinstimmung zur klassischen Vorurteilsforschung hergestellt, die als zentrale Merkmalsbestimmung für den Prozess der Vorurteilsbildung eine vom einzelnen Individuum abstrahierende Verallge-
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meinerung von Eigenschaftszuschreibungen akzentuiert.77 Jedoch - und dies ist entscheidend - handelt es sich bei Blumer um keinen aus Erfahrungen abgeleiteten, unzulässigen Übertragungs- und Verallgemeinerungsvorgang, sondern um einen notwendig in Abstraktion von konkreten Interaktionen mit Angehörigen der ‚untergeordneten Gruppe‘ gewonnen Klassifizierungsvorgang. Eine Konkretisierung dessen, was dieser sense of social position umfasst, wird bei Blumer und Troy Duster vorgenommen, indem zwei charakteristische Elemente herausgestellt werden: „One of the two elements is the concern for the racial or ethnic specialness of the group. The other element is the concern for the group’s relative social economic, cultural, and political status.“ (Blumer/Duster 1980: 223)
Der sense of social position als Prinzip der sozialen Selbstverortung auf Grundlage bedeutungsgenerierender Unterscheidungen umfasst damit sowohl die Gewissheit, einer ‚rassisch‘ oder ‚ethnisch‘ unterscheidbaren Gruppe anzugehören, als auch die Gewissheit über deren gesellschaftliche Positionierung in Relation zu anderen Gruppen entlang des sozioökonomischen, kulturellen/zivilisatorischen und politischen Status. Im Gegensatz zur klassischen Vorurteilsforschung betont Blumer dabei zum einen den sozialen Konstruktionscharakter von race relations78, zum anderen verweist er - neben der ‚horizontalen‘ Selbstzurechnung zu rassialisierten bzw. ethnisch definierten Gruppen - grundlegend auf den Einfluss ‚vertikaler‘ Statusunterscheidungen und damit auf die Bedeutung von im eigentlichen Sinn sozialstrukturellen Kriterien im Zusammenhang der Soziogenese von racial groups. Für Blumer geht es entsprechend darum, der theoretischen Herausforderung Rechnung zu tragen, dass „the explanation of the identification of peoples as races has to be sought in the historical conditions under which such people meet and in the experiences which lead them to single each other out as distinctive groups believed to be biologically different.“ (Blumer 1973: 8) Blumer verdeutlicht damit die Notwendigkeit einer Analyse der historischen Voraussetzungen, unter denen race relations durch die Umdefinition der Ergebnisse sozialer Differenzierungsprozesse in eine vorgesellschaftlich gegebene biologische Existenz von racial groups Plausibilität und Bedeutung erlangen konnten.
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So heißt es in der klassischen Definition bei Allport: „Ein ethnisches Vorurteil ist eine Antipathie, die sich auf eine fehlerhafte und starre Verallgemeinerung gründet. Sie kann ausgedrückt oder auch nur gefühlt werden. Sie kann sich gegen eine Gruppe als ganze richten oder ein Individuum, weil es Mitglied einer solchen Gruppe ist.“ (Allport 1971: 23; s. dazu Kapitel 1) 78 Dies stellt etwa Mark Terkessidis als zentrales Verdienst Blumers gegenüber der Vorurteilsforschung heraus (s. Terkessidis 1998: 57f.).
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3.1.2 ‚Race relations‘ als sozialer Strukturtypus? Ein Versuch der sozialstrukturellen Rückbindung von race relations ist jedoch vor dem Hintergrund, dass diese konstitutiv an einen wechselseitigen Klassifikationsprozess, durch den sich Individuen als Angehörige einer racial group wahrnehmen, gebunden sind, mit der Problematik konfrontiert, dass race relations nicht als objektivierbare soziale Verhältnisse bestimmt werden können. So betont Blumer: „Sociologically it is not a mere reflection of the objective relations between racial groups. Rather, it stands for ‚what ought to be‘ rather than for ‚what is‘. It is a sense of where the two racial groups belong.“ (Blumer 1975: 221)
Blumer betont hier den normativen Charakter des sense of group position, er bezeichnet ihn auch als „Norm“ und „Imperativ“ (Blumer 1975: 221). Damit erscheint dieser wesentlich als ein Selbstbeschreibungsmuster, das zugleich die Funktion eines sozialen Allokationsmechanismus annimmt. Folgt man dieser Charakterisierung, dann können race relations und Klassenbeziehungen - wobei Blumer einen darauf bezogenen Vergleich nur andeutet, aber nicht systematisch ausführt79 - nicht als strukturanalog betrachtet werden: Denn Klassenbeziehungen im Marxschen Sinne sind zwar auch strikt relational gefasst, d.h. es gibt keine sozialen Klassen jenseits von Klassenverhältnissen; mit dem Konzept der Klassen wird aber beansprucht, dass diese aus der Stellung im Produktionsprozess ableitbar und somit als objektivierbare Lagen (‚Klasse an sich‘) beschreibbar sind - unabhängig von der sinnhaften Verwendung dieser Kategorie durch soziale Akteure (‚Klasse für sich‘) und unabhängig davon, ob sich jeweilige Individuen als Angehörige einer Klasse imaginieren oder nicht. Die Bestimmung von racial groups als unabhängig von den Definitions- und Klassifizierungsvorgängen der handelnden Individuen beschreibbare Gruppen ist Blumer zufolge jedoch unmöglich: „People in actual life act towards one another on the basis of how they classify and see one another and not on the basis of how they may be seen by outside scholars using technical criteria.“ (Blumer/Duster 1980: 222).
Da eine soziologische Analyse von race relations vor diesem Hintergrund auf Annahmen über Unterschiede zwischen gegebenen racial groups ebenso konsequent verzichten muss wie auf den Versuch, diese als von den Imaginationsund Klassifikationsprozessen und den darauf bezogenen Handlungen von Individuen abstrahierende, objektive soziale Verhältnisse zu beschreiben, ist diese 79
Blumer problematisiert strukturanalytische Theoretisierungen von race-relations und fasst darunter sowohl struktur-funktionalistische als auch marxistische Ansätze: „It should be apparent that structural theories of race relations break down precisely at the points where the relations and their accompanying action fall outside of the imputed structure.” (Blumer/Duster 1980: 216)
Herbert Blumer: Zur Soziogenese von ‘race relations’
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veranlasst, ihren Ausgangspunkt und Gegenstand allererst auszuweisen. Diese Problematik führt bei Blumer schließlich zu der Frage, ob und inwiefern race relations als ein durch eigenständige Strukturmerkmale gekennzeichneter Typus sozialer Beziehungen gefasst werden können. So gibt er zu bedenken: „As far as I can see, there is no evidence whatsoever for assuming that race relations are a special class or kind of social relations with a distinct generic character that sets them apart - as when we speak of economic relations or intimate relations or impersonal relations or conflict relations [...] all of the relations found between races are also found between groups that are not races.“ (Blumer 1973: 6)
Blumer entfaltet das theoretische Problem, ob und inwiefern race relations einen genuinen sozialen Beziehungstypus darstellen, indem er von einem abstrakten Schema von „major-lines of social relations in group life“ (Blumer 1973: 6) ausgeht. Vor diesem Hintergrund unternimmt Blumer den Versuch einer differenzierenden Analyse, die race relations auf der Grundlage nicht nur der sozioökonomischen Verhältnisse, sondern hinsichtlich heterogener, voneinander zu unterscheidender ‚Achsen‘ sozialer Beziehungen betrachtet. Blumer benennt dabei sieben Typen (s. Blumer 1973: 6f.): (1) „Formal economic relations“ - betreffen den ungleichen Zugang zu Arbeit, Einkommen, Eigentum und Gesundheitsversorgung, Differenzen hinsichtlich ökonomischer Macht und im Lebensstandard. (2) „Formal status relations“ - betreffen die sozialen Statuspositionen, einschließlich Klassenpositionen, den ungleichen Zugang zu Macht, Prestige und Autorität, Unterschiede in Rechten, Privilegien und Verpflichtungen. (3) „Preferential relations“ - betreffen die unterschiedliche Akzeptanz und Zurückweisung im sozialen Umgang, Mechanismen der Bevorzugung und Benachteiligung. (4) „Ideological relations“ - betreffen die unterschiedlichen Sichtweisen und Konzeptionen, einschließlich stereotypisierter Ideen und Bildern sowie Überzeugungen und Mythen, die Gruppen voneinander bilden. (5) „Attitudinal or feeling relations“ - betreffen den Bereich der affektiven Einstellungen und Gefühle. (6) „Orderly or discordant overt relations“ - betreffen den Bereich der offen unproblematischen, harmonischen oder offen konflikthaften Beziehungen. (7) „Organized manipulative relations“ - betreffen den Bereich der aktiven Positionsverteidigung oder -veränderung von ‚Gruppen‘. Blumer stellt heraus, dass sich race relations auf Grundlage dieser, für Formen sozialer Gruppenbeziehungen gültigen Achsen hinreichend beschreiben lassen. Jede einzelne dieser verschiedenen Beziehungsebenen hängt wiederum von
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Asymmetrische Gruppenbeziehungen und Diskriminierung
zahlreichen Faktoren ab: So kann das Verhältnis dieser unterschiedlichen und in sich heterogenen Ebenen untereinander eines der wechselseitigen Abstützung sein, aber auch ein konflikthaftes. Blumer zufolge können etwa die ideologischen Beziehungen80 die Struktur der sozioökonomischen und der formalen Statusbeziehungen rechtfertigen und legitimieren, sie können diese aber auch in Frage stellen. So versucht er mit diesen unterschiedlichen Ebenen sowohl sozioökonomische Dimensionen der Etablierung von race relations als auch die in Interaktionen ausgehandelten Definitionen dieser Beziehungen zu berücksichtigen. Keineswegs jedoch bildet nach Blumer ‚race‘ die Grundlage für einen systematisch eigenständigen sozialen Beziehungstypus: „(T)he factor of race per se seems to have no influence on race relations.“ (Blumer 1973: 9). Wenn sich race folglich nicht systematisch als soziologische Kategorie bestimmen lässt, so können dennoch die historischen Bedingungen angegeben werden, unter denen sich die Plausibilität der Selbstbeschreibung von Gruppen auf Grundlage ihrer Unterscheidung als races etablieren konnte. Race relations konstituieren sich Blumer zufolge auf Grundlage drei idealtypischer historischer Formen als eine „hierarchische Ordnung“ (Blumer 1973: 13): x x x
Die Invasion einer dominierenden Gruppe, die der einheimischen Bevölkerung eine ökonomische, politische und kulturelle Ordnung oktroyiert. Eine Gruppe wird in ein Land gebracht und dort gezwungen, sich in die bestehende Ordnung einzugliedern. Die mehr oder minder freiwillige Migration in ein Land, in dem die Eingewanderten die sozial benachteiligten Positionen innerhalb der Gesellschaft einnehmen und mit den Einheimischen in ökonomischer Hinsicht konkurrieren (s. Blumer 1973: 13).
Blumer weist in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf die Geschichte des europäischen Kolonialismus, der europäischen Industrialisierung sowie die damit verbundenen Armutsmigrationen als historische Referenzpunkte hin. Entscheidend ist somit, dass die Gruppenkonstitutionsprozesse, die im Horizont biologisierender Redefinitionen als ‚race relations‘ beschrieben wurden, sich soziohistorisch unter manifesten sozialstrukturellen Ungleichheitsbedingungen - Kolonialismus, Sklaverei, Armutsmigration - realisiert haben. 80 Blumer verwendet hier einen zunächst neutral gefassten Ideologiebegriff, der die unterschiedlichen Sichtweisen umfasst, die Gruppen voneinander haben. Im Rahmen von race relations relevant werdende Stereotype und Mythen finden dabei besondere Erwähnung und werden als Teil der ideologischen Beziehungen gewertet und von den affektiven, emotionalen Relationen unterschieden. Damit wird eine Unterscheidung zugrunde gelegt, die sich auch in der Vorurteilsforschung mit der Differenzierung zwischen der kognitiven und der affektiven Dimension des Vorurteils findet.
Herbert Blumer: Zur Soziogenese von ‘race relations’
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Die Gemeinsamkeit dieser voneinander zu unterscheidenden Formen besteht Blumer zufolge darin, dass „in all cases the dominant group occupies the higher levels of the economy, has control of political power, enjoys a superior status, and, on the basis of these privileged positions, draws a line between it and the subordinate racial group or groups.“ (Blumer 1973: 13)
Diese Hierarchisierung und klare Grenzziehung zwischen unterschiedenen racial groups stellt schließlich die Basis für die Entwicklung von Vorurteilen dar, die sich wiederum in Formen von Diskriminierung, Segregation und Repression artikulieren können (s. Blumer 1973: 13f.). Eine solche Charakterisierung von race relations als eindeutig hierarchische Ordnung trifft jedoch Blumer zufolge für die damals zeitgenössischen Ausprägungen dieser Beziehungen Mitte des 20. Jahrhunderts in den USA nicht mehr zu, da diese sich dadurch auszeichnen, dass die Position und Macht der ‚untergeordneten Gruppe‘ allmählich gestärkt und der hegemoniale Status der Sichtweise der ‚dominanten Gruppe‘ zunehmend in Frage gestellt wird. Die Heterogenität und Inkonsistenz auch innerhalb der eingeführten Ebenen - etwa der ideologischen oder sozioökonomischen -, die Blumer bereits für die ‚klassische‘, hierarchisch strukturierte Form von race relations geltend macht, ist vor diesem Hintergrund für die modernisierte Variante dieser Beziehungen in besonderem Maße prägend. Bei diesen handelt es sich um keine klaren, weder notwendig durch Hierarchie und Unterordnung charakterisierten, noch um unilinear strukturierte, sondern durch eine zunehmende Diversität gekennzeichnete asymmetrische Beziehungen (s. Blumer 1973: 16). Blumer spricht in diesem Zusammenhang davon, dass sich race relations unter diesen Bedingungen von einem einst horizontal-separierenden zugunsten eines „diagonalen“ Feldes verschieben und geht zudem in seinen gesellschaftsdiagnostischen Aussagen über die Zukunft von race relations davon aus, dass diese unter den Bedingungen der industrialisierten Massengesellschaft zunehmend an Bedeutung verlieren werden (s. Blumer 1973: 18f.). Wenngleich der hier zum Tragen kommende Fortschrittsoptimismus in seiner prognostischen Aussagefähigkeit inzwischen fragwürdig geworden ist81, ist Blumers Ansatz im vorliegenden Kontext insofern von Interesse, als er eine Systematik vorschlägt, die es erlaubt, Gruppenbeziehungen im Kontext der sozio-historisch spezifischen Bedingungen ihrer Herausbildung zu untersuchen.
81 Auch bei Blumer selbst findet sich gegenüber dieser 1955 getroffenen Prognose des zunehmenden Bedeutungsverlusts von race relations später eine wesentlich skeptischere Einschätzung: „There is little to suggest that racial considerations are likely to diminish their influence on the world scene in the immediate future. On the contrary, reasonable reflection points to continuation of racial problems as serious domestic matters in many countries.“ (Blumer/Duster 1980: 211)
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Asymmetrische Gruppenbeziehungen und Diskriminierung
Für die hier zu diskutierende Frage nach der gesellschaftsstrukturellen Rückbindung von Praktiken der Diskriminierung ist eine solche, im Unterschied zur Vorurteilsforschung die Vielschichtigkeit der Konstitution von Gruppenrelationen berücksichtigende Perspektive bedeutsam: Denn auch der Versuch einer theoretischen Konturierung der Diskriminierungsthematik hat die Soziogenese von race- bzw. ethnic relations und darauf bezogene Formen der Benachteiligung als relational auf unterschiedlichen Ebenen zu denkenden Prozess zu berücksichtigen. Blumers Achsenmodell der Gruppenbeziehungen hat den Vorteil eines offenen, aus empirischen Beobachtungen entwickelten Modells, das auch für Brüche und Inkohärenzen dieser Beziehungen untereinander theoretisch anschlussfähig bleibt. Blumers Hinweis darauf, dass ethnic- oder racial groups keine genuinen und sozialwissenschaftlich objektivierbaren sozialen Strukturtypen darstellen und infolgedessen nicht als strukturelle Momente in der Reproduktion sozialer Ungleichheitsverhältnisse gewertet werden können, wird insbesondere in Hinblick auf die im Weiteren zu diskutierende Frage nach dem Zusammenhang von sozialer Ungleichheit und der Soziogenese unterscheidbarer und als ethnisch definierter Gruppen relevant. Obwohl Blumer selbst keine explizite Theoretisierung dieses Zusammenhangs leistet und sich vorwiegend auf die Zurückweisung der Deduktion von race relations aus abstrakten Gesellschaftsstrukturen beschränkt, wird im Rahmen seiner Ausführungen dennoch die Notwendigkeit zur soziologischen Bestimmung der jenseits des Gruppenparadigmas beschreibbaren Genese (globaler) sozialer Strukturbedingungen deutlich. Jedoch zeigt sich hierbei die Begrenztheit des handlungstheoretischen und gruppensoziologischen Ansatzes, etwa wenn Blumer im Fall sozioökonomischer Beziehungen lediglich die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Gruppen im Blick hat. Für ein gesellschaftstheoretisches Verständnis asymmetrischer Gruppenbeziehungen und darauf bezogener Diskriminierungen stellt sich demgegenüber die Frage, ob die von Blumer ausgewiesenen Beziehungsachsen lediglich einen Katalog empirisch in Erscheinung tretender sozialer Relationen darstellen oder ob diese einen Ausgangspunkt bieten, etwaige Verweisungs- und Bedingungsstrukturen zwischen den damit benannten Ebenen systematisch zu entfalten. Blumers Achsenschema erhält seine Plausibilität zunächst gerade dadurch, dass es sich im Unterschied zur sozialpsychologischen Vorurteilsforschung nicht auf der Stufe einer Reduktion komplexer sozialer Konstellationen und Dynamiken auf ein gruppenpsychologisches In-/Outgroup-Schema bewegt, sondern die gesellschaftlichen Voraussetzungen der Genese sozialer Gruppen in den Blick nimmt. Blumer entwickelt seinen „collective definition“- Ansatz allerdings durch die Übertragung von Annahmen über Beziehungen, die aus der Analyse von Interaktionen gewonnen werden, auf soziale Verhältnisse, die nicht auf unmittelbaren Inter- und Intragruppenbeziehungen basieren. Die Möglichkeit einer un-
Herbert Blumer: Zur Soziogenese von ‘race relations’
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problematischen Übertragung des in der Analyse von konkreten Interaktionsbeziehungen gewonnen Theoriemodells auf imaginäre Gruppenbeziehungen wird bei Blumer allerdings nicht theoretisch begründet, sondern unterstellt. Die damit vollzogene Nivellierung der grundlegenden Differenz zwischen einer gruppensoziologischen und einer gesellschaftstheoretischen Perspektive hat schließlich zur Folge, dass Blumer keine systematischen Unterscheidungen einführt, auf deren Grundlage zwischen konkreten Gruppenbeziehungen und imaginären Gruppenbeziehungen analytisch unterschieden werden kann. Für eine theoretische Konturierung von Mehrheiten-/Minderheitenbeziehungen im Horizont der Diskriminierungsthematik ist demgegenüber von zentraler Bedeutung, dass der dabei zugrunde gelegte Gruppenbegriff nur als theoretische Abstraktion Verwendung finden kann. Hierfür finden sich aus sozialphänomenologischer Perspektive in den Arbeiten Alfred Schütz’ relevante Anknüpfungspunkte, die im Folgenden diskutiert werden sollen. 3.2
Alfred Schütz: Mehrheiten-Minderheitenbeziehungen als Effekt sozialer Typisierungen
Bei Alfred Schütz liegt im Rahmen einer Studie, die den Begriff der Gleichheit im „Alltags-Denken von bestimmten konkreten sozialen Gruppen“ untersucht (Schütz 1972/1957: 203), eine frühe soziologische Kritik der Vorurteilsforschung vor, die in Auseinandersetzung mit dem politischen und rechtlichen Diskriminierungsdiskurs auch eine explizite Theoretisierung der Diskriminierungsthematik vornimmt.82 Schütz knüpft dabei an die gruppensoziologisch angelegte Diskussion an - so z.B. an die bei William Graham Sumner vorgenommene Unterscheidung zwischen in-group und out-group -, hinterfragt diese jedoch kritisch und reinterpretiert die Kategorie der sozialen Gruppe vor dem Hintergrund der sozialphänomenologischen Prämisse, dass sich Prozesse der subjektiven Wirklichkeitskonstruktion auf der Grundlage sozial vorgefundener „Typisierungen“ und „Relevanzstrukturen“ vollziehen (Schütz 1972; Schütz/Luckmann 1979; Schütz 1982). Von der Annahme ausgehend, dass die Wahrnehmung der sozialen Welt kein individuelles, sondern ein genuin soziales Phänomen darstellt und diese als ein „festes Netzwerk von sozialen Beziehungen [...], von Zeichen- und Symbolsystemen mit ihren jeweiligen Sinnstrukturen, von institutionalisierten Formen der sozialen Organisation, von Status- und Prestigesystemen usw.“ (Schütz 82
Mir ist für den deutschsprachigen Raum keine systematische Rezeption der Schützschen Ausführungen zur Diskriminierungsthematik bekannt. Den Hinweis auf die Relevanz von Schütz für eine soziologische Konturierung der Diskriminierungsthematik und auf den dafür einschlägigen, ganz offensichtlich jedoch weitgehend in Vergessenheit geratenen, Text von 1957 aus den ‚Collected Papers‘ verdanke ich Albert Scherr.
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Asymmetrische Gruppenbeziehungen und Diskriminierung
1972: 208) erlebt wird, entwickelt Schütz einen Ansatz, der vor allem in Hinblick auf die soziologisch bedeutsamen sozialpsychologischen Dimensionen der Diskriminierungsproblematik relevant wird. Im Unterschied zu der in der sozialpsychologischen Vorurteilsforschung vorliegenden Tendenz einer individualistischen bzw. gruppenpsychologischen Verkürzung der Diskriminierungsproblematik wird hier nicht das handelnde Individuum, sondern das bei Schütz als ubiquitär gefasste Phänomen der Strukturierung des Alltagswissens, der Alltagserfahrungen und der Alltagshandlungen durch ein „System von Relevanzen und Typisierungen“ (Schütz 1972: 215) zum Ausgangspunkt der theoretischen Überlegungen genommen. In Schütz’ wissenssoziologischer Perspektive stellen „Typisierungen“ als Wahrnehmungen von Sachverhalten oder Personen auf der Grundlage sozial vorgegebener Kategorien die basale Grundoperation der sinnhaften Strukturierung der Lebenswelt und der Produktion von Alltagswissen dar (s. Schütz/Luckmann 1979: 29). Typisierungen werden hier also nicht als problematischer ‚Sonderfall‘ im Kontext der Genese von Vorurteilen relevant, wie dies in der klassischen Vorurteilsforschung mit dem Fokus auf Stereotypen als kognitive Dimension von Vorurteilen der Fall ist. Wenn Schütz konstatiert, dass alle „innerhalb der Sozialwelt vorfindliche[n] Sinngebilde“ „weiter auflösbar [sind] in Sinnsetzungs- und Verstehensprozesse von Handelnden in der Sozialwelt, aus denen sie sich konstituiert haben, und zwar in Deutungsvorgänge fremden und Sinngebungen eigenen Verhaltens, deren sich der Einzelne in Selbstauslegung bewusst wird“ (Schütz 1981/1932: 19), dann wird hier zwar in ähnlicher Weise wie im Symbolischen Interaktionismus der auf Praktiken der Bedeutungsgenierung gründende Prozess der Konstitution sozialer Wirklichkeit in den Vordergrund gestellt. Im Unterschied zu Letzterem rücken dabei aber nicht die Interaktionen zweier oder mehrerer Individuen und die in solchen Interaktionsprozessen aktual generierten oder ausgehandelten Bedeutungen in den Blick; Schütz betont vielmehr die sozialhistorische Rückbindung bedeutungskonstituierender Praktiken, indem er darauf verweist, dass die „soziokulturelle Welt“ eine „vorkonstituierte und vororganisierte Welt [ist], deren besondere Struktur das Ergebnis eines historischen Prozesses ist und daher sich für jede Kultur und jede Gesellschaft anders darstellt.“ (Schütz 1972: 206). 3.2.1 Homogene Selbsttypisierung Im Kontext der hier im Weiteren im Vordergrund stehenden Gleichheits- und Diskriminierungsthematik bildet die Annahme, dass die Bedeutung des Begriffs der Gleichheit in Abhängigkeit von gruppenspezifischen Wissensbeständen generiert wird, den zentralen Ansatzpunkt der Schützschen Analyse:
Alfred Schütz: Mehrheiten-Minderheitenbeziehungen
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„Unsere Hauptthese lautet, dass die Bedeutung, die der Alltags-Begriff der Gleichheit für eine bestimmte soziale Gruppe hat, als solche schon Element eines Systems von Typisierungen und Relevanzen ist, die von ihr anerkannt werden, und somit zur soziokulturellen Situation gehört, welche in jedem Augenblick der Geschichte der Gruppe als fraglos gegeben und selbstverständlich angenommen wird.“ (Schütz 1972: 203).
Damit wird die für den Schützschen Ansatz zentrale Überlegung, dass der lebensweltliche Wissensvorrat, der auf der Grundlage eines soziokulturell tradierten und gegebenen Bezugs- und Kategoriensystems als fraglos selbstverständliches Hintergrundswissen wirksam ist, sowie die Annahme, dass „die typischen ‚Inhalte‘ des subjektiven Wissensvorrats [...] weitgehend nicht in eigenen Auslegungsvorgängen gewonnen, sondern sozial abgeleitet“ werden (Schütz/Luckmann 1979: 293), auf die Analyse von sozialen Gruppen und Gruppenbeziehungen übertragen. Die dabei zunächst im Vordergrund stehende subjektive Bedeutung der Gleichheits-Vorstellung wird folglich nicht als individuelle, sondern als soziale, durch die Gruppe geteilte Bedeutung gefasst. Damit wird ein im Rahmen der zugrunde gelegten wissenssoziologischen Perspektive allgemeines Phänomen beschrieben, das darin besteht, dass sich die Bedeutung eines beliebigen Gegenstandes auf der Grundlage eines gruppenspezifischen Wissensvorrats konstituiert, aber auch - in einem nächsten Schritt - die für die Diskriminierungsthematik spezifisch relevante Annahme formuliert, dass dieser geteilte Wissensvorrat ein gruppeninternes Verständnis davon erzeugt, was die Gruppe als solche charakterisiert.83 Der für die Gruppe konstitutive Wissensbestand schließt somit grundlegend die „homogene Selbsttypisierung“ der Gruppenmitglieder ein (Schütz 1972: 231). Der geteilte Wissensvorrat stellt sich als eine „von der ingroup selbstverständlich hingenommene Welt“ dar, die insgesamt die Alltagserfahrung strukturiert. Sie „ist eine Welt gemeinsamer Situation, in der gemeinsame Probleme aus einem gemeinsamen Horizont auftauchen, Probleme, die typische Lösungen durch typische Mittel fordern, um damit typische Zwecke zu erreichen“ (Schütz 1972: 215).
Typisierungen vollziehen sich auf der Grundlage von unterschiedlichen Relevanzsystemen, die den je spezifischen „Lebensstil“ oder die „Volksweisen“ wie Schütz dies im Anschluss an Sumner formuliert - jeweiliger Gruppen konstituieren (s. Schütz 1972: 208). Der Fokus auf das innerhalb einer Gruppe anerkannte System von Typisierungen und damit deren je spezifische Weise der sinnhaft-sozialen Strukturierung der Lebenswelt bietet jedoch noch keinen hin83
In ähnlicher Weise zählt auch Blumer die Gewissheit über die „racial or ethnic specialness“ der eigenen Gruppe zu einem der beiden Grundelemente des sense of social position (s. Blumer/Duster 1980: 223; s. Kapitel 3.1.).
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Asymmetrische Gruppenbeziehungen und Diskriminierung
reichenden Ausgangspunkt, um das Problem der Gruppenmitgliedschaft und der Gruppenbeziehungen zu analysieren. Denn eine solche Analyse kann sich Schütz zufolge nicht auf die subjektive Dimension der Sichtweise der in-group und deren Selbsttypisierungen beschränken, sondern muss auch die Sichtweise der out-group in Rechnung stellen, die diese bezogen auf das System der Typisierungen und Relevanzen der in-group entwickelt (s. Schütz 1972: 222ff). 3.2.2 Subjektiver und objektiver Sinn der Gruppenmitgliedschaft Im Anschluss an Max Webers Terminologie fasst Schütz diese Konstellation als „Dichotomie von subjektivem und objektivem Sinn“, die zunächst das unabhängig von der hier spezifisch verhandelten Thematik allgemeine Phänomen betrifft, dass sich der „subjektive Sinn, den eine Situation für die betroffene Person hat (oder den eine bestimmte Handlung für die Handelnden selbst hat), [...] vom objektiven Sinn, d.h. von der Auslegung der gleichen Situation oder der gleichen Handlung durch jemand anders“ unterscheidet (Schütz 1972: 204). So gesehen ist das Auseinandertreten von subjektivem und objektivem Sinn notwendige Folge davon, dass soziale Erfahrungen und soziales Handeln mit Prozessen des Deutens und Verstehens verbunden sind. Bezogen auf die Frage von Gruppenkonstruktionen und Gruppenkonstellationen weist diese „Dichotomie“ einen Intragruppenaspekt und einen Intergruppenaspekt auf: Sie kommt sowohl in der Divergenz zwischen der Sichtweise des Individuums im Hinblick auf seine Positionierung innerhalb einer Gruppe und der diesbezüglichen Sichtweise der Gruppe zum Tragen, als auch in der Divergenz zwischen den Sichtweisen, die eine Gruppe von sich selbst hat und den Sichtweisen, die eine andere Gruppe von dieser Gruppe und ihren Sichtweisen entwickelt (s. Schütz 1972: 205). Die Betonung der Notwendigkeit, auch eine objektive Dimension zu berücksichtigen, zielt also nicht auf die Entwicklung einer vermeintlich auf Neutralität oder Objektivität basierenden Perspektive, sondern darauf, dass soziale Gruppen nicht als von Selbst- und Fremdzuschreibungen unabhängig gegebene Gebilde konzipiert werden können und folglich „der Begriff der ‚Gruppe‘ überhaupt, wie er von deren Mitglieder[n] definiert und wie er von Außenstehenden definiert“ (Schütz 1972: 205) wird, analysiert werden muss. Vor diesem Hintergrund diskutiert Schütz den Unterschied zwischen dem subjektiven und dem objektiven Sinn von Gruppenmitgliedschaft und betont, dass dieser nicht in der verbreiteten Unterscheidung zwischen freiwilliger und unfreiwilliger Gruppenmitgliedschaft aufgeht, sondern dass mit dem Kriterium der Freiwilligkeit die „grundlegende Antithese von subjektivem und objektivem Sinn“ keine Berücksichtigung findet und das damit benannte Problem eher „verdunkelt“ wird (s. Schütz 1972: 230). Gleichwohl schließt er in seinen weiteren Ausführungen an die Unterscheidung zwischen freiwilligen und unfreiwilli-
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gen (in der Schützschen Diktion „existentiellen“) Gruppen an. Dabei nimmt er jedoch, was die Charakterisierung des subjektiven Sinns betrifft, eine Abgrenzung gegenüber gängigen sozialwissenschaftlichen Untersuchungen vor, die als wesentliches Merkmal des subjektiven Sinns das Zusammengehörigkeitsgefühl oder die gemeinsamen Interessen der Gruppenmitglieder beschreiben (Schütz 1972: 231). Zum einen sind diese Merkmale keineswegs für alle Gruppen charakteristisch, zum anderen stellen sie, auch wenn sie für bestimmte Gruppen tatsächlich zutreffen, Effekte von Prozessen der Ausbildung eines sozial geteilten Relevanzsystems dar und nicht deren Ausgangspunkt. Insofern ist mit diesen Charakteristika Schütz zufolge der Konstitutionsprozess von Gruppen und das Verhältnis von Gruppen untereinander nicht hinreichend beschrieben. Er weist damit auf die Problematik solcher Ansätze hin, die Gruppenmitgliedschaft über die Grundaxiomatik von kognitiven und affektiven Gemeinsamkeiten zu bestimmen versuchen. Denn werden die Aspekte des Zusammengehörigkeitsgefühls und der geteilten Interessen als konstitutive Merkmale für die Entstehung und für die Kohäsion sozialer Gruppen gefasst, dann rückt dabei nicht nur die unfreiwillige und zugeschriebene Gruppenbildung aus dem Blick. Auch im Fall der so genannten freiwilligen Gruppen geht die Analyseperspektive in problematischer Weise von den einzelnen Individuen aus, die sich mit ihren genuinen Eigeninteressen oder ihrem Streben nach sozialer Identifikation und Zugehörigkeit in einem voluntaristischen Akt zusammenschließen, und nicht etwa von den Strukturbedingungen, die zu entsprechenden Gruppenbildungsprozessen bzw. Gruppenkonstruktionen führen. In Hinblick auf das für jeweilige Gruppen konstitutive Relevanzsystem macht Schütz einen systematischen Unterschied zwischen existentiellen Gruppen, die dadurch charakterisiert sind, dass die Zugehörigkeit nicht individuell verfügbar ist (er nennt hier z. B. „Geschlecht“, „Rasse“, „sozialer und ökonomischer Status der Familie“) und freiwilligen Gruppen (z. B. „Freundschaften“, „Ehegemeinschaften“). Während im ersten Fall das gemeinsame System von Typisierungen und Relevanzen, dessen Anerkennung für die Gruppenmitgliedschaft bestimmend ist, strukturell vorgefunden wird und als „soziales Erbe“ tradiert wird, muss dieses im Fall der so genannten freiwilligen Gruppen erst ausgehandelt und hervorgebracht werden (s. Schütz 1972: 230ff.). Der subjektive Sinn der Gruppenmitgliedschaft gründet sich jedoch, unabhängig davon, ob die Gruppenmitgliedschaft als freiwillige oder unfreiwillige zu charakterisieren ist, auf die Ausbildung eines gemeinsamen Wissensvorrates, über den sich Gruppen innerhalb einer Gesellschaft konstituieren und von anderen abgrenzen. Dieser durch Selbsttypisierungen charakterisierbare Prozess veranlasst die Individuen einer Gruppe, „von einander als ‚wir‘ [zu] sprechen“ (Schütz 1972: 234). Der davon zu unterscheidende objektive Sinn der Gruppenmitgliedschaft basiert hingegen nicht auf Selbstypisierungsprozessen als „re-
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lativ natürliche Weltanschauung“84; vielmehr stellt „die objektive Auslegung des Begriffs der Gruppe [...] ein begriffliches Konstrukt des Außenseiters“85 (Schütz 1972: 235) dar. Dabei unterscheidet Schütz zwei Varianten der aus einer solchen Beobachterperspektive konstruierten Gruppe: Zum einen kann sich diese als Gruppenkonstruktion vollziehen, die „der sozialen Wirklichkeit entspricht“ und damit eine Referenz zur Selbstdefinition der in-group als Gruppe hat. Zum anderen kann die Gruppenkonstruktion ausschließlich auf der Basis der homogenisierenden Typisierung durch den Außenseiter erfolgen und damit Effekt einer Fremdtypisierung bzw. einer Zuschreibungspraxis sein, die die Gruppe als solche hervorbringt. Letzteres trifft dann zu, wenn „die Leute, die einander als heterogen erscheinen, durch die Typisierung des Außenseiters unter dieselbe Kategorie gebracht werden, die dann so behandelt wird, als wäre sie eine homogene Einheit“ (Schütz 1972: 235).
Im ersten Fall stellt sich das Verhältnis zwischen subjektivem und objektivem Sinn als eines der „Diskrepanz“ dar, insofern die Sichtweise, die eine Gruppe von sich selbst auf der Grundlage ihres Relevanzsystems entwickelt, niemals identisch sein kann mit der Sichtweise, die eine andere Gruppe auf der Grundlage ihres eigenen Relevanzsystems von der anderen Gruppe und deren Sichtweisen auf sich selbst hat. Im zweiten Fall reduziert sich die Problematik nicht auf einen Widerspruch zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung und auf das Auseinandertreten zwischen subjektivem Sinn und objektivem Sinn, sondern es handelt sich um eine Gruppenkonstruktion, die keine Entsprechung in der Selbstwahrnehmung der als Gruppe betrachteten und behandelten Individuen hat. Diese stellt sich letztlich dar als Gruppenkonstruktion ohne subjektiven Sinn oder - genauer gesagt - ohne vorgängigen subjektiven Sinn, insofern die Fremdtypisierungen in einem zweiten Schritt auch entsprechende Selbsttypisierungen als Reaktionen veranlassen können: Denn auf der Grundlage von Fremdtypisierungen und infolge der Behandlung als Gruppe kann das von außen auferlegte Relevanzsystem auch subjektiv für die davon Betroffenen bedeutsam werden. Zum Problem wird der Fall einer auf homogenisierenden Fremdtypisierungen basierenden Gruppenmitgliedschaft Schütz zufolge insbesondere dann, wenn „der Außenseiter die Macht hat, sein Relevanzsystem den von ihm typisierten Individuen aufzuerlegen und vor allem dessen Institutionalisierung zu erzwingen“ (Schütz 1972: 235f.). Dieser durch „den Außenseiter“ vollzogene Gruppenkonstruktionsprozess ist in dem Maße folgenreich, wie sich die Zu84
Diese Wendung verwendet Schütz in Anknüpfung an Max Scheler (s. Schütz 1972: 205). Mit dem Begriff des Außenseiters ist – anders etwa als bei Elias Unterscheidung zwischen Etablierten und Außenseitern (s. Kapitel 3.3.) – keine hierarchische Konstellation markiert, sondern die Position des außerhalb einer Gruppe Stehenden gemeint. 85
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schreibungen als hegemoniale Sichtweisen etablieren können und als Grundlage sozialer Strukturierungen und Grenzziehungen wirksam werden. Dies betrifft Schütz zufolge zwar letztlich „alle administrativen und legislativen Maßnahmen“, die „eine Unterwerfung von Individuen unter auferlegte soziale Kategorien“ vornehmen. Schütz nennt hier etwa Steuergesetze, die Individuen zu Einkommensklassen gruppieren oder Mietgesetze, die Mieter von Vermietern unterscheiden (Schütz 1972: 236). Diese können auch durchaus für die Lebenssituation und -praxis von Individuen hoch folgenreich sein. Da mit den genannten Unterscheidungen jedoch nicht unterstellt wird, dass sie an Merkmalen und Eigenschaften der mit diesen Kategorien klassifizierten Individuen ansetzen, werden sie in aller Regel subjektiv nicht als die individuelle Persönlichkeit in Frage stellende Zuschreibungsprozesse gewertet, sondern als mehr oder minder akzeptierte Zuordnungen, die das Relevanzsystem der jeweiligen Individuen relativ unberührt lassen. 3.2.3 Typisierung und Diskriminierung Von diesen, in die Alltagspraxis eingelassenen, durch gesellschaftliche Normen und rechtliche Kodifizierungen abgesicherten Kategorisierungen von Individuen, die sich selbst nicht als soziale Gruppe in dem Sinn verstehen, dass sie ein gemeinsames System von Typisierungen und Relevanzen aufweisen, unterscheidet Schütz solche auferlegten Gruppenzuordnungen, die darüber erfolgen, dass die „ganze Persönlichkeit, oder breite Schichten, mittels besonderer Merkmale typisiert“ wird (Schütz 1972: 236). Diese, an Merkmals- und Eigenschaftszuschreibungen ansetzenden Gruppenzuordnungen, bieten für Schütz den Referenzpunkt, an dem er die Theoretisierung der Diskriminierungsthematik entfaltet: „Wir nehmen an, dass das Gefühl der Erniedrigung, das durch die Identifizierung der ganzen Persönlichkeit oder breiter Schichten ihrer mit auferlegten typisierten Charakterzügen eines der Grundmotive für die subjektive Erfahrung der Diskriminierung ist.“ (Schütz 1972: 237)
Dabei stellt Schütz die Frage, ob die Praxis der Zuordnung von Individuen zu einer Gruppe auf der Grundlage homogenisierender Fremdtypisierungen schon als solche als Diskriminierung zu bezeichnen ist, ob also „Diskriminierung die notwendige Konsequenz der Auferlegung eines Schemas von Typisierungen und Relevanzen im objektiven Sinn“ darstellt oder nicht (Schütz 1972: 240). Da er dies im Anschluss umgehend verneint, stellt sich jedoch die Frage nach der Grenzziehung zwischen Fremdtypisierungen, die diskriminierende Effekte haben, und solchen, die nicht als Diskriminierung gefasst werden können. Wenn homogenisierende Zuschreibungspraktiken, infolge derer Gruppen als solche
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erst hervorgebracht werden, nicht zwingend diskriminierend sind, dann ist klärungsbedürftig, was spezifisch hinzutreten muss, damit vom Sachverhalt der Diskriminierung ausgegangen werden kann. Für Diskriminierungen sei konstitutiv, so Schütz, dass die davon betroffenen Individuen diese subjektiv auch als Diskriminierungen erfahren: „Daher setzt die Diskriminierung sowohl die Auferlegung einer Typisierung vom objektiven Standpunkt aus voraus als auch eine angemessene Bewertung dieser Auferlegung vom subjektiven Standpunkt des betroffenen Individuums aus.“ (Schütz 1972: 242)
Schütz wendet damit die „Antithese vom subjektiven und objektiven Sinn“, die er in Bezug auf die Untersuchung von Gruppenmitgliedschaften geltend gemacht hat, konsequent auch auf die Diskriminierungsthematik an. Dabei formuliert er eine Kritik an solchen Ansätzen der Vorurteilsforschung, die auf der Grundlage der problematischen Behauptung operieren, dass Diskriminierungen ursächlich auf Vorurteile zurückzuführen seien und er fordert dazu auf, die „wohlgemeinte Vorstellung aufzugeben, dass Diskriminierung und andere soziale Übel ausschließlich in Vorurteilen gründen und dass diese wie von Zauberhand verschwänden, wenn wir nur die Übeltäter informierten, dass sie Vorurteile pflegen“ (Schütz 1972: 242).
Schütz weist daraufhin, dass die Vorurteilsforschung schon mit ihrer Basiskategorie des Vorurteils nicht in der Lage sei, die subjektive Dimension der Diskriminierungsproblematik in den Blick zu nehmen: „Die Kategorie ‚Vorurteil‘ gehört selbst ausschließlich in die Sphäre der objektiven Auslegung. Im Alltags-Denken hat nur der Partner Vorurteile“ (Schütz 1972: 242).
Vorurteile können sich also per definitionem nicht auf die Art und Weise der subjektiven Auslegung der Welt beziehen, insofern sie sich subjektiv immer als Wahrheit darstellen. Dabei sind Schütz zufolge Vorurteile aufs engste mit der „relativ natürlichen Weltanschauung“ einer spezifischen Gruppe und mit dem ihr eigenen System von Typisierungen und Relevanzen verbunden, zu dessen Plausibilisierung und Legitimation sie einen wesentlichen Beitrag leisten. Sie sind also nicht sinnvoll - und dies stellt eine weitere, zumindest implizite Kritik an der klassischen Vorurteilsforschung dar - auf Grundlage einer individuellen Trägerschaft zu verorten, sondern in Hinblick auf ihre Verankerung innerhalb einer sozial geteilten Weltsicht zu analysieren. Die Schützsche Argumentation unterscheidet sich aber auch von der sozialpsychologisch ausgerichteten Intergruppenforschung, die in kritischer Auseinandersetzung mit der klassischen Vorurteilsforschung und deren Zentrierung auf das Individuum die soziale Dimension von Vorurteilen betont: Denn Schütz geht, anders als es dort der Fall ist, nicht von der unhinterfragten Prämisse klar unterscheidbarer Gruppen aus,
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sondern von den Prozessen der Selbst- und Fremdtypisierung, die Gruppen als unterscheidbare Einheiten mit einer geteilten Weltsicht erst hervorbringen. Akzeptiert man die Schützsche Argumentation, dass Vorurteile nicht unabhängig von der soziohistorischen Genese spezifischer Mehrheiten-MinderheitenVerhältnisse und den in diese eingelassenen Systeme von Selbst- und Fremdtypisierungen verstanden werden können und legt diese der Beurteilung der sozialpsychologischen Intergruppenforschung zugrunde, dann verfehlt diese mit ihrem Fokus auf experimentell konstruierte ‚in-groups‘, die keinen Bezug zu gesellschaftlich relevanten sozialen Gruppenzugehörigkeiten, -abgrenzungen und konflikten haben, zwangsläufig die spezifische Logik von Vorurteilen. Am Beispiel wissenschaftlich nicht haltbarer biologistischer ‚Ideologien‘ weist Schütz - mit einer ähnlichen Argumentation wie Adorno86 - daraufhin, „dass die Vorurteile selbst Elemente der Auslegung der sozialen Welt sind und sogar deren Triebfeder ausmachen. Vorurteile sind Rationalisierungen und Institutionalisierungen des zugrunde liegenden ‚Zentral-Mythos‘, auf den die Selbstauslegung der Gruppe gegründet ist. Es ist nicht sinnvoll, dem Negerfresser des Südens zu sagen, dass es im biologischen Sinn keine Neger-Rasse gibt.“ (Schütz 1972: 242)
Nicht zuletzt bedeutsam ist eine solche Analyse für die Auseinandersetzung mit politischen und pädagogischen Programmatiken zur Überwindung von Diskriminierungen, die ihren Fokus in erster Linie darauf richten, Vorurteile durch Aufklärung und Informationen zu widerlegen, insofern diese die Logik und Funktion von Vorurteilen im Hinblick auf den Sachverhalt verkennen, dass diese nicht als unabhängiges oder isolierbares Phänomen von dem für die Gruppe konstitutiven System von Typisierungen und Relevanzen verstanden werden können. 3.2.4 Diskriminierung im Kontext formaler und realer Gleichheit In Auseinandersetzung mit einem klassischen Dokument der Vereinten Nationen zur Diskriminierungsthematik von 194987 betont Schütz, dass Praktiken der Unterscheidung und das Vorhandensein sozialer Unterschiede nicht notwendigerweise im Widerspruch zum Gleichheitsgrundsatz der Allgemeinen Erklärung 86
So formuliert Theodor W. Adorno (1951: 130): „Das geläufige Argument der Toleranz, alle Menschen, alle Rassen seien gleich, ist ein Bumerang. Es setzt sich der bequemen Widerlegung durch die Sinne aus, und noch die zwingendsten anthropologischen Beweise dafür, dass die Juden keine Rasse seien, werden im Fall des Pogroms kaum etwas daran ändern, dass die Totalitären ganz gut wissen, wen sie umbringen wollen und wen nicht.“ 87 Schütz bezieht sich hier auf das United Nations Memorandum of the Secretary-General über The Main Types and Causes of Discrimination, Dokument E/Cn/Sub 2/40 Rev. of June 6, 1949 (s. Schütz 1972: 226)
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Asymmetrische Gruppenbeziehungen und Diskriminierung
der Menschenrechte stehen und damit einen Diskriminierungstatbestand erfüllen. So differenziert er in Übereinstimmung mit dem UNO-Memorandum zwischen einer Unterscheidungspraxis, die einen Konnex zum individuellen Verhalten einer Person hat und damit dem Individuum zurechenbar ist und einer solchen, die „a) darauf beruht, dass man sie dem Individuum nicht vorwerfen kann, und die keine soziale oder rechtliche Bedeutung haben darf: z. b. Hautfarbe, Rasse oder Geschlecht, und die b) auf sozialen Kategorien gründet wie z. b. Sprache, politische oder andere Meinungen, nationale oder soziale Herkunft, Eigentum, Geburt, oder ein anderer Status.“ (Schütz 1972: 243)
Für diskriminierende Unterscheidungen ist demzufolge charakteristisch, dass diese keinerlei Bezug zu individuellen Eigenschaften und individuellem Verhalten aufweisen, sondern dass sie auf der Grundlage gruppenbezogener Merkmalszuschreibungen und sozialer Kategorisierungen erfolgen. Diese homogenisierenden, auf der Basis einer sozialen Gruppenkonstruktion erfolgenden Klassifikations- und Zuschreibungspraktiken stellen als solche, wie Schütz feststellt, noch keine Diskriminierung dar. Als Diskriminierungen können diese nur gefasst werden, wenn sich die Praxis der Auferlegung eines Systems von Relevanzen und Typisierungen mit einer „ungleichen und unvorteilhaften Behandlung“ (Schütz 1972: 244) verknüpft. Gleichzeitig scheint für Schütz eine solche definitorische Bestimmung von Diskriminierungen und daran orientierten Antidiskriminierungsmaßnahmen zu defensiv zu sein, um eine Gleichstellungspraxis von Mehrheiten und Minderheiten zu realisieren. Denn diese ist als Bezugspunkt insofern unzureichend, als bestimmte Minderheitengruppen „fühlen, dass selbst die volle Verwirklichung des Prinzips der Nichtdiskriminierung ihrer Gruppe nicht die reale Gleichheit brächte, - sondern nur formale Gleichheit mit Bezug auf die herrschende Gruppe“ (Schütz 1972: 246).
Deshalb gilt es Schütz zufolge, wie dies auch das Memorandum der UNO vorsieht, einen besonderen Minderheitenschutz zu realisieren, der nicht nur auf das Prinzip der Nicht-Diskriminierung im Sinne einer formalen Gleichheit zielt, sondern berücksichtigt, dass es Minderheiten gibt, „deren Mitglieder zusätzlich die Anerkennung von Sonderrechten und bestimmte positive Hilfeleistungen wünschen“ (Schütz 1972: 246), welche dazu beitragen sollen, ihre soziale Position zu verbessern. Grundlegend dafür ist, dass der Minderheitenstatus nicht auf der Basis einer objektiven Auslegung der Gruppenmitgliedschaft und damit durch Zuschreibung erfolgt, sondern dass die Entscheidung über die Zugehörigkeit zu einer Minderheitengruppe ausschließlich bei dem einzelnen Individuum liegt, das sich als Teil einer Minderheit definiert oder nicht (s. Schütz 1972: 247).
Alfred Schütz: Mehrheiten-Minderheitenbeziehungen
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Damit werden bei Schütz Minderheiten - etwa im Sinne ‚ethnischer Gruppen‘ nicht als unabhängig von sozialen Interpretationen und Definitionen gegebene Gruppen, sondern als in sozialen Prozessen der Selbst- und Fremdtypisierung relevant werdende Konstellationen von Mehrheiten und Minderheiten gefasst. Mit der Betonung, dass die Einzelnen allein bestimmen sollen, ob sie Teil einer Minderheit sind, wird jedoch implizit die Behandlung von Individuen als Angehörige einer Minderheit auf der Grundlage einer homogenisierenden Zuordnungspraxis zum problematischen Sachverhalt erklärt, unabhängig davon ob diese mit einer „ungleichen und unvorteilhaften Behandlung“, wie dies bei Schütz definitionsgemäß für Diskriminierungspraktiken gilt, einhergeht (s. Schütz 1972: 244). Das im UNO-Memorandum formulierte, sich auf die allgemeine Menschenrechtserklärung beziehende Prinzip der Nicht-Diskriminierung bleibt für Schütz also interessanterweise auf die Dimension der „formalen Gleichheit“ beschränkt, insofern das Antidiskriminierungsgebot offensichtlich keine hinreichende Antwort auf die Problematik der realen sozioökonomischen Ungleichheitsverhältnisse gibt, während die Frage der Minderheitenrechte das Problem der „realen Gleichheit“, die er auch als „materielle Gleichheit“ bezeichnet, betrifft (s. Schütz 1972: 246). Zur weiteren Diskussion dieses Spannungsfeldes zwischen formaler und realer Gleichheit greift Schütz einen Topos auf, der in Gunnar Myrdals klassischer Studie „An American Dilemma“ thematisiert wird (s. Schütz 1972: 246). Myrdal verweist darauf, dass die subjektive Wahrnehmung der Reichweite von Diskriminierung der schwarzen Bevölkerung in den USA sich innerhalb der schwarzen und weißen Bevölkerung je unterschiedlich darstellt und diese also in der Schützschen Terminologie - wesentlich abhängig von den Relevanzstrukturen ist, die für die jeweiligen ‚Gruppen‘ charakteristisch sind. Myrdal geht davon aus, dass für ‚Weiße‘ und ‚Schwarze‘ unterschiedliche Rangordnungen in Hinblick darauf gelten, welche Formen von Diskriminierungen diese jeweils als besonders bedeutsam einschätzen (s. Myrdal 1944: 60f.). So rangiert für ‚Weiße‘, wenn diese aufgefordert werden, Formen von Diskriminierung in Hinblick auf ihre Relevanz zu sortieren, die Verhinderung von Mischehen an oberster Stelle der Hierarchie, gefolgt von der Verweigerung der „sozialen Gleichheit“ in den direkten interpersonalen Beziehungen. An dritter Stelle folgt die Praxis der Rassensegregation in öffentlichen Räumen, in Kirchen und Schulen, an vierter Stelle die Verweigerung der politischen Gleichheit. Erst an fünfter Stelle steht die Verweigerung der Gleichheit vor dem Gesetz sowie die Diskriminierung durch Gerichte und Polizei und an letzter Stelle werden Formen der ökonomischen Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt und in Bezug auf wohlfahrtsstaatliche Leistungen genannt. Die Diskriminierungshierarchie der ‚Schwarzen‘ stellt sich demgegenüber in Bezug auf diese Rangordnung geradezu spiegelbildlich verkehrt dar: „[T]he Negro’s own rank order is just about parallel, but inverse,
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Asymmetrische Gruppenbeziehungen und Diskriminierung
to that of the white man“ (Myrdal 1944: 61). Als größtes Problem für die von Diskriminierungen betroffene ‚schwarze‘ Bevölkerung innerhalb der usamerikanischen Gesellschaft stellt sich folglich die Situation der sozioökonomischen Benachteiligung dar, gefolgt von der rechtlichen und politischen Ungleichbehandlung. Diese Differenz hinsichtlich der subjektiven Relevanz von Diskriminierungen resultiert Schütz zufolge aus einer Diskrepanz zwischen der Gleichheit, die die von Diskriminierung betroffenen Minderheiten anstreben, und der Gleichheit, die privilegierte Gruppen Minderheiten zuzugestehen bereit sind: „Die vorherrschende Gruppe interpretiert die zu verleihende Gleichheit als formale Gleichheit, und mag sogar willens sein, die volle Gleichheit vor dem Gesetz und volle politische Gleichheit zu gewähren, aber dennoch entschieden der Forderung nach Sonderrechten widerstehen.“ (Schütz 1972: 249)
Die Herstellung realer Gleichheit im Sinne einer umfassenden politischen, rechtlichen und sozioökonomischen Gleichstellung kann demzufolge durch das Prinzip der Nicht-Diskriminierung, das darauf zielt, Benachteiligungen auf der Grundlage homogenisierender Gruppenkonstruktionen zu überwinden, nicht realisiert werden. So weist Schütz in der Diskussion über „Sonderrechte“ für Minderheiten und über das Problem der „Chancengleichheit“ dezidiert auf „Faktoren“ hin, die hinsichtlich der vielfältigsten Lebensbereiche „einen gleichen Start unmöglich machen: Materielle Unterschiede, der Druck rein materieller Schwierigkeiten, z. B. Wohnung, sanitäre Anlagen usw., ökonomische Voraussetzungen“ (Schütz 1972: 254). Schütz thematisiert somit das zentrale Problem, dass Diskriminierungen sich auf der Grundlage zweier prinzipiell zu unterscheidender Mechanismen vollziehen: Neben der durch die gängigen Antidiskriminierungserklärungen fokussierten politischen, rechtlichen, sozialen und ökonomischen Ungleichbehandlung auf der Basis homogenisierender Gruppenkonstruktionen sind solche Formen von Diskriminierung bedeutsam, bei denen soziale Benachteiligungen dadurch reproduziert werden, dass Problemlagen, die aus der gesellschaftlichen Situation einer benachteiligten Gruppe resultieren, in Organisationen resp. Institutionen keine Berücksichtigung finden. Demzufolge realisieren sich Diskriminierungen nicht ausschließlich durch direkte Ungleichbehandlung auf Grundlage sozialer Gruppenkonstruktionen, sondern auch infolge einer formalen Gleichbehandlung, die im Fall ungleicher Chancen und Startbedingungen zu einer Benachteiligung bestimmter Gruppen und zur Privilegierung anderer Gruppen führt. Im ersten Fall vollziehen sich Diskriminierungen dadurch, dass unzulässige Unterscheidungen getroffen werden, im zweiten Fall dadurch, dass historisch gewordene, sozial relevante Unterschiede ignoriert werden.
Alfred Schütz: Mehrheiten-Minderheitenbeziehungen
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Jedoch fasst Schütz den zweiten Fall nicht mehr kategorial unter den Begriff der Diskriminierung; vielmehr weist er darauf hin, dass das Prinzip der NichtDiskriminierung, wie es den zeitgenössischen Rechtsdokumenten der UNO zugrunde liegt, nicht in der Lage ist, solche Ungleichheiten zu überwinden, die nicht Ergebnis der Ungleichbehandlung aufgrund zugeschriebener Gruppenzugehörigkeiten, sondern Folge der Reproduktion sozialstrukturell verankerter Ungleichheitsverhältnisse sind. Damit liegen bei Schütz bereits zu einem frühen Zeitpunkt instruktive Überlegungen zur Diskriminierungsthematik vor, die teilweise eine Entsprechung zu der in der Diskriminierungsschutzdiskussion inzwischen etablierten Differenzierung zwischen direkten/unmittelbaren und indirekten/mittelbaren Formen der Diskriminierung haben (s. dazu Kapitel 2). Schütz geht jedoch einen entscheidenden Schritt über die in den einschlägigen aktuellen Antidiskriminierungsdokumenten zum Tragen kommenden Fassungen von Diskriminierungen hinaus. Diskriminierungen vollziehen sich in der Schützschen Fassung nicht als Ungleichbehandlung einer Person „aufgrund ihrer Rasse oder ethnischen Herkunft“, sondern als Ungleichbehandlung auf der Grundlage einer zugeschriebenen Gruppenzugehörigkeit. Schütz bindet also den Herstellungsprozess sozialer Gruppen im Kontext von Mehrheiten- und Minderheitenkonstellationen durch homogenisierende Selbst- und Fremdtypisierungen an die Diskriminierungsthematik zurück. In den EU-Richtlinien wird demgegenüber zwar keineswegs die unproblematische Verwendung des ‚Rasse‘Begriffs unterstellt und ausdrücklich formuliert: „Die Europäische Union weist Theorien, mit denen versucht wird, die Existenz verschiedener menschlicher Rassen zu belegen, zurück. Die Verwendung des Begriffs ‚Rasse‘ in dieser Richtlinie impliziert nicht die Akzeptanz solcher Theorien.“ (Richtlinie 2000/43/EG) Geht man davon aus - auch wenn das Dokument darauf keinen Hinweis gibt -, dass hier eine Verwendung des Rasse-Begriffs zugrunde gelegt wird, wie er inzwischen in der anglo-amerikanischen sozialwissenschaftlichen Diskussion verbreitet ist und mit dem akzentuiert wird, dass es sich bei der Kategorie race um keine ‚Rassen‘ im biologischen Sinne handelt, sondern um eine historisch relevant gewordene soziale Strukturkategorie, dann wird hier dennoch unterstellt, dass es sich dabei um objektivierbare soziale Gruppen handelt, die als solche Ungleichbehandlung aufgrund dieser Gruppenzugehörigkeit erfahren. Dass die EU-Richtlinie von der faktischen Existenz von ‚rassischen‘ oder ‚ethnischen‘ Gruppen und der Zugehörigkeit von Menschen zu diesen als zwar nicht biologisch, aber sozial verstandenen Gruppen ausgeht, wird dadurch gestützt, dass gegenüber der Verwendung der Kategorie der ‚ethnischen Herkunft‘ keine analoge problematisierende Einschränkung geltend gemacht wird. In einer Interpretation des Diskriminierungsverbots in einem aktuellen Policy-Paper des Deutschen Instituts für Menschenrechte wird entsprechend formuliert:
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Asymmetrische Gruppenbeziehungen und Diskriminierung
„Das Diskriminierungsverbot erhält seine konkreten Konturen anhand bestimmter Merkmale, an die keine Benachteiligung oder Bevorzugungen angeknüpft werden dürfen. Es handelt sich dabei entweder um unabänderliche persönliche Merkmale oder um eng mit der persönlichen Identität eines Menschen verbundene Merkmale, die deshalb auch durch besondere Freiheitsrechte geschützt werden.“ (Bielefeldt/Follmar-Otto 2005; Hervorh. U.H.)
Insofern die ‚ethnische Herkunft‘ auch als ein unter diese Charakterisierungen fallendes Merkmal gefasst wird, rückt dabei aus dem Blick, dass die Zugehörigkeit von Individuen zu einer ethnischen Gruppe nicht als schlicht gegebene Tatsache vorausgesetzt werden kann und dass in Rechnung gestellt werden muss, dass die Unterstellung einer zweifelsfreien Unterscheidung von Individuen nach ethnischer Herkunft ein der Diskriminierungsfrage keineswegs äußerliches und vorgängiges Phänomen darstellt. Weil ‚ethnische Gruppen‘ nicht unabhängig von den Selbst- und Fremdtypisierungen, die diese als jeweilige Gruppen konstituieren, betrachtet werden können und diese zudem mit sozio-historischen Konstruktionsprozessen von Mehrheiten und Minderheiten verknüpft sind, gewinnt die Kategorie der ‚ethnischen Herkunft‘ ihre Plausibilität als beschreibbare soziale Kategorie nicht isoliert von diskriminierenden Praktiken, die solche in Macht- und Ungleichheitsverhältnisse eingelassenen Konstellationen hervorbringen (s. dazu Kapitel 5.2.). Mit Schütz kann vor diesem Hintergrund - und dies in Übereinstimmung mit der Blumerschen Argumentation - herausgestellt werden, dass es sich bei Diskriminierungen nicht um die Ungleichbehandlung von Individuen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu ‚realen‘ Gruppen handelt, sondern um eine Ungleichbehandlung von Individuen auf der Basis einer auf imaginäre Einheiten bezogenen Unterscheidung. 3.3
Norbert Elias: Zur Soziogenese von Etablierten-Außenseiter-Beziehungen
In ähnlicher Weise wie bei Blumer und Schütz findet sich auch bei Norbert Elias eine Herangehensweise an die Diskriminierungsthematik, die die Soziogenese des Diskriminierungsobjekts als klärungsbedürftiges Theorieproblem in den Blick nimmt. Elias Ansatz weist zudem dahingehend Übereinstimmungen zu denjenigen Blumers und Schütz’ auf, als auch hier eine Analyseperspektive problematisiert wird, die davon ausgeht, dass racial groups oder ‚ethnische Minderheiten‘ unabhängig von soziohistorischen Konstellationen und Konstitutionsprozessen beschreibbare, vorgesellschaftlich gegebene Gruppen darstellen. Im Unterschied zu Blumer und Schütz wird die Diskriminierungsproblematik jedoch nicht ausgehend von Mehrheiten-Minderheiten-Relationen, die sich als Konstellationen von racial groups bzw. ethnischen Gruppen darstellen, thematisiert, sondern als „Etablierten-Außenseiter-Beziehung“ (s. Elias/Scotson 1993).
Norbert Elias: Etablierte-Außenseiter-Beziehungen
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Im Rahmen einer Gemeindestudie, die Elias gemeinsam mit John. L. Scotson Anfang der 1960er Jahre durchgeführt hat, richtet sich das Erkenntnisinteresse nicht nur auf die Soziogenese asymmetrischer Gruppenbeziehungen, sondern auch auf die Frage, auf welchen soziologisch beschreibbaren Prämissen Gruppenbildungsprozesse basieren. Die Studie ‚Etablierte und Außenseiter‘ bildet nicht zuletzt deshalb einen Schlüsseltext für die soziologische Analyse der Entstehung von Feindbildern, Vorurteilen und Formen von Diskriminierung, weil sie ihre theoretische Überzeugungskraft durch das empirische Forschungsmaterial und die dichte Beschreibung von Prozessen der Genese von Gruppenbeziehungen gewinnt, das ihr zugrunde liegt. Insbesondere innerhalb der Migrationsforschung (s. etwa Waldhoff 1995; Treibel 1999) ist ‚Etablierte und Außenseiter‘ in Hinblick auf Gruppenkonstellationen in der Einwanderungsgesellschaft rezipiert worden. Es handelt sich dabei im Unterschied zur sozialpsychologisch ausgerichteten Vorurteilsforschung insofern um einen genuin soziologischen Ansatz, als davon ausgegangen wird, dass x
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die Entstehung von Vorurteilen und Praktiken der Diskriminierung keine Frage individualpsychologisch ausgeprägter Charakterstrukturen oder individueller Einstellungen und Überzeugungen ist, sondern dass sich diese aus einer bestimmten Dynamik sozialer Gruppenbeziehungen heraus entwickeln; Vorurteile nicht die Ursache von Konflikten darstellen, sondern in Machtkonstellationen zwischen interdependenten Gruppen generiert werden und die soziale Funktion übernehmen, Machtasymmetrien abzustützen.
Elias und Scotson formulieren nicht nur Kritik an einer individualistischen Verkürzung der Vorurteilsproblematik, wie sie sich auch in anderen, bereits diskutierten Ansätzen findet, sondern gehen davon aus, dass die Entstehung von Vorurteilen und Diskriminierungspraktiken auf Mechanismen beruht, die sich auf ein Machtungleichgewicht in sozialen Beziehungen zurückführen lassen. Vorurteile und Diskriminierungen basieren demzufolge nicht auf einer Diskrepanz zwischen subjektiven Vorstellungen resp. Bewusstseinszuständen und (sozialer) Wirklichkeit, sondern sie sind rückgebunden an soziale Praktiken, die nicht jenseits der historischen Voraussetzungen analysiert werden können, aus denen sie entstehen. Die in der sozialpsychologischen Vorurteilsforschung anzutreffende Selbstevidenz gegebener ethnischer Gruppen muss aus dieser Perspektive als ein Erkenntnishindernis gewertet werden, das eine Analyse der sozialen Mechanismen, die der Gruppenbildung zugrunde liegen, erschwert. Elias’ und Scotsons Untersuchungsgegenstand stellt ein ‚Konflikt‘ zwischen zwei sozialen Gruppen dar, die weder relevante Differenzen hinsichtlich
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Asymmetrische Gruppenbeziehungen und Diskriminierung
ihres sozioökonomischen Status, noch hinsichtlich ihrer ‚ethnischen‘ Herkunft oder Hautfarbe aufweisen. Die spezifische Machtkonstellation EtablierteAußenseiter, die sie am Beispiel dieses empirischen Falls als soziale ‚Figuration‘ herausarbeiten, stellt Elias und Scotson zufolge jedoch einen verallgemeinerungsfähigen Fall dar, der in seinen grundlegenden Merkmalen auch für Beziehungen zwischen so genannten ethnischen Gruppen eine gültige Beschreibungsmatrix bereitstellt. Mit Hilfe dieser Matrix können demzufolge die konstitutiven Machtmechanismen innerhalb von Figurationsprozessen aufgezeigt werden, die sonst häufig im Rekurs auf ethnische oder kulturelle Differenzen verschleiert werden. 3.3.1 Etablierte-Außenseiter-Beziehungen in figurationssoziologischer Perspektive Wie im Folgenden zu zeigen sein wird, ist dabei die von Elias bereits in seinem Hauptwerk ‚Der Prozess der Zivilisation‘ entwickelte Figurationstheorie (s. Elias 1977 und 1978) als gesellschaftstheoretischer Hintergrund der Analyse des empirisch vorgefundenen Falls einer Etablierten-Außenseiter-Beziehung von Bedeutung. Die damit gegebene, auf interdependente und relationale Gruppenbildungsprozesse orientierte Forschungsperspektive erlaubt Elias und Scotson eine machtheoretisch fundierte soziologische Beschreibung des Entstehungsprozesses zweier sozial ungleich positionierter Gruppen anzufertigen. Die Beschreibung von Etablierten-Außenseiter-Beziehungen als Figurationen ist innerhalb des Theorieprogramms einer allgemeinen Figurationssoziologie zu verorten, mit der Elias die in der soziologischen Theoriebildung verbreitete Aufspaltung zwischen Handlungs- und Strukturtheorien grundlegend kritisiert. Mit dem Begriff Figurationen kennzeichnet er so genannte „Interdependenzgeflechte“ zwischen Individuen und sozialen Gruppen, aus denen das individuelle Handeln analytisch nicht sinnvoll herauszulösen ist. Individuen sind Elias zufolge immer als Individuen in Figurationen und nicht als davon unabhängige Einzelne in den Blick zu nehmen (s. Elias 2000: 139ff.). Vor diesem Hintergrund betrachtet Elias die Annahme einer Dichotomie bzw. „Polarität“ von Gesellschaft und Individuum für die soziologische Analyse als Erkenntnishindernis, das in der Theoriebildung häufig auch dann noch reifiziert wird, wenn versucht wird, den fiktionalen Charakter dieser Dichotomie zu berücksichtigen. So weist er darauf hin, dass sich die damit angesprochene Problematik „nicht einfach durch die Versicherung, man wisse, dass die Polarität fiktiv ist, umgehen“ (Elias/Scotson 1993: 263) lässt und kommt an anderer Stelle zu der Einschätzung, dass „soziologische Theorien [...] zumeist das Problem des Verhältnisses von Individuum und Gesellschaft ungelöst“ lassen (Elias 2003: 89; s. dazu auch Elias 1983: 51ff.).
Norbert Elias: Etablierte-Außenseiter-Beziehungen
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Im Vordergrund steht bei Elias folgerichtig nicht mehr das Individuum als Akteur, sondern die sich als Interdependenzgeflechte konstituierenden Relationen, in denen Individuen handeln: Soziale Figurationen haben als relationale Beziehungsgefüge zwischen Individuen und zwischen sozialen Gruppen überindividuellen Charakter. Ausgehend davon, dass sich soziale Handlungen nicht zureichend auf individuelle Motive, Interessen und Eigenschaften der Einzelnen zurückführen lassen, rücken so die soziale Genese von Motiven und Interessen, die Individuen aneinander binden und die sozialen Handlungen, die Individuen in Abhängigkeitsrelationen vollziehen, in den Vordergrund. Aus der Problematisierung einer akteurszentrierten Perspektive - und darauf weist Elias nachdrücklich hin - kann jedoch nicht im Umkehrschluss die Folgerung gezogen werden, dass soziale Figurationen von Individuen unabhängig existierende Strukturen darstellen. So betont er, dass „[d]er Begriff der Figuration [...] sich dadurch von vielen anderen theoretischen Begriffen der Soziologie [unterscheidet], dass er die Menschen ausdrücklich in die Begriffsbildung einbezieht“ (Elias 2003: 88f.).88 Die mit dem Figurationsansatz gegebene Perspektive ist für die im vorliegenden Kontext im Vordergrund stehende Auseinandersetzung mit der Diskriminierungsproblematik nicht nur insofern bedeutsam, als bei Elias auf dieser Grundlage eine Kritik an der Vorurteilsforschung bzw. der Vorurteilskategorie mit ihrem Fokus auf individuelle Akteure als Träger von Vorurteilen entwickelt wird. Indem die Genese von Vorurteilen und Praktiken der Diskriminierung im Kontext der Erzeugung und Abstützung sozialer Machtbeziehungen bzw. Ungleichheitsverhältnisse analysiert wird, berührt Elias Analyse darüber hinausgehend grundlagentheoretische Fragestellungen der soziologischen Ungleichheitsforschung: So untersucht Elias am Fall der Etablierten-Außenseiter-Figuration Diskriminierung als in ungleichheitstheoretischer Sicht relevante Problematik und formuliert eine Kritik an der an Marx angelehnten Ungleichheitssoziologie, die seines Erachtens infolge ihrer Fokussierung sozioökonomischer Verteilungsstrukturen unabhängig von diesen bestehende Macht- und Ungleichheitsverhältnisse aus dem Blick verliert. Eine Schwierigkeit der damit intendierten machttheoretischen Reformulierung der Ungleichheitsthematik besteht jedoch darin, dass Elias den Machtbegriff in seinen Analysen zwar als grundlegend einführt, es aber nur wenige Stellen in seinen Arbeiten gibt, an denen er sich selbst explizit zum Machtbegriff äußert. Auch in der Sekundärliteratur wird der Eliassche Machtbegriff als Zentralbegriff gewertet und vor allem dadurch charakterisiert, dass er „relational“ und nicht „substanziell“ oder „objektivistisch“ gefasst ist (Barlösius 2004: 62; s. auch Baumgart/Eichener 1991: 114ff.); eine systematische Diskussion des 88
In der Luhmannschen Systemtheorie wird dagegen eine Verwendung der Begriffsoption „Mensch“ im Kontext soziologischer Theorie problematisiert (s. Luhmann 1995).
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Asymmetrische Gruppenbeziehungen und Diskriminierung
Machtbegriffs wird dort jedoch nicht vorgenommen. In der Regel beziehen sich die formulierten Einschätzungen auf die diesbezüglichen Ausführungen von Elias in „Was ist Soziologie“ (Elias 2000: 76ff. und 96ff.). Es erscheint für die weitere Argumentation daher notwendig, Elias’ Charakterisierung von ‚Macht‘ als grundlegender sozialer Beziehungsform eingehender zu diskutieren. Exkurs: Soziale Beziehungen als Machtrelationen In Übereinstimmung mit der vorliegenden Sekundärliteratur ist davon auszugehen, dass Elias Machtbegriff im Kontext der für die Figurationstheorie zentralen Annahme steht, dass sich soziale Beziehungen als wechselseitige Abhängigkeitsverhältnisse konstituieren: „Wir hängen von anderen ab, andere hängen von uns ab. Insofern als wir mehr von anderen abhängen als sie von uns, haben sie Macht über uns.“ (Elias 2000: 97)
Mit der damit vorgenommenen Bestimmung von Macht als ungleiche Verteilung von Chancen der Einflussnahme im Kontext eines asymmetrischen Abhängigkeitsverhältnisses ist auf den ersten Blick, wie etwa Eva Barlösius als Einschätzung formuliert (s. Barlösius 2004: 61), durchaus eine Affinität zum Machtbegriff bei Max Weber nahe gelegt, der Macht als "jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehungen den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht" (Weber 1980: 28), fasst. Elias kritisiert jedoch eine Auffassung, die eine Engführung des Machtbegriffs auf eine an den individuellen Willen und rationale Zwecksetzungen gebundene Interessensverfolgung vollzieht. Auch eine Einschränkung von Macht auf das Modell ungleicher Chancen der Einflussnahme, wie sie im obigen Elias-Zitat anklingt, birgt Elias zufolge eine Verkürzung, da, wie er im Anschluss an dieses Zitat ausführt, auch in einer Figuration, in der Individuen mit „annähernd gleichen Machtchancen ausgestattet“ sind, ihre Interdependenz „mit hoher Wahrscheinlichkeit die einzelnen Menschen häufig genug dazu zwingen [wird], in einer Weise zu handeln, in der sie ohne diesen Zwang nicht handeln würden. In diesem Falle ist man geneigt, diese Interdependenz begrifflich zu personifizieren oder zu reifizieren […] So erfindet man zu der ‚Macht‘, deren Druck man sich ausgeliefert fühlt, immer auch eine Person, die sie ausübt“ (Elias 2000: 98). Entsprechend fasst Elias Macht nicht als etwas, „das der eine besitzt und der andere nicht“; Macht stellt vielmehr eine „Struktureigentümlichkeit menschlicher Beziehungen - aller menschlichen Beziehungen“ (Elias 2000: 77) dar. Macht leitet sich in dieser Perspektive weder aus objektiv gegebenen Machtchancen ab, noch tritt sie sozialen Beziehungen als diesen äußerliches Moment hinzu. Insofern soziale Beziehungen immer Machtbeziehungen sind, stellt sich Macht als ein allgegenwärtiges Phänomen dar (s. Elias 2000: 97). Elias vermei-
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det eine positiv-definitorische Bestimmung dessen, was Macht ‚ist‘ und äußert sich vorrangig in negativer Abgrenzung dazu, was Macht nicht ist.89 In seinen ‚Notizen zum Lebenslauf‘ (1984) vollzieht Elias dabei eine doppelte Abgrenzung zu Weber90: Zum einen sind Machtbeziehungen nicht an Individuen und einen individuellen Willen gebunden, sondern resultieren aus den Strukturmerkmalen einer Figuration. Zum anderen beruhen diese Beziehungen weniger auf Gehorsamsbereitschaft und Zustimmung, als vielmehr auf Interdependenzen und Zwängen – was bei Weber aufgrund der theoretischen Fokussierung auf ‚Herrschaft‘ Elias zufolge tendenziell aus dem Blick gerät (s. Elias 1984: 69ff.). Insofern nicht nur alle sozialen Beziehungen Machtbeziehungen darstellen, sondern ‚Macht‘ selbst konstitutiv beziehungsförmig ist, verwendet Elias den Machtbegriff vorrangig als einen Begriff, in dem sich ein Verhältnis ausdrückt und spricht daher von Machtbalancen und Machtdifferentialen (s. hierzu auch Baumgart/Eichener 1991: 115). Da es sich auch bei extrem verschobenen ungleichen Machtbalancen Elias zufolge niemals nur um einseitige Abhängigkeiten, sondern entsprechend seiner Figurationstheorie immer auch um, wenngleich asymmetrisch gelagerte, wechselseitige Abhängigkeitsbeziehungen handelt, sind weder nicht-machtförmige Beziehungen, noch solche Beziehungen denkbar, in denen Machtüberlegene im exklusiven Machtbesitz gegenüber Machtunterlegenen wären. Figurationen sind auf der Grundlage des so gefassten Machtbegriffs als Interdependenzgeflechte, die auf Machtbeziehungen beruhen, zu verstehen. Entsprechend der für Elias Theorie zentralen Annahme, dass Figurationen keinen Ursprung und keinen Endpunkt haben, sondern sich in einer ständigen Bewegung finden (s. Elias 2000: 180), handelt es sich bei Machtbeziehungen nicht um statische, sondern um dynamische Balancen. Mit der in diesem Zusammenhang formulierten These, dass „[m]ehr oder weniger fluktuierende Machtbalancen [...] ein integrales Element aller menschlichen Beziehungen [bilden]“ (Elias 2000: 76f.), legen Elias und Scotson ihrer Studie eine Perspektive zugrunde, die davon ausgeht, dass das Verhältnis zwischen sozialen Gruppen entscheidend von den Machtbeziehungen zwischen die89
Elias erachtet dabei bereits die Begriffsbildung als problematisch, da ‚Macht‘ als verdinglichender, objektivierender Begriff die Suggestion einer dahinter stehenden Substanz erzeugt: „Nicht nur der Begriff der Macht, sondern auch sehr viele Begriffe unserer Sprache zwingen uns dazu, die Eigenheiten von beweglichen Beziehungen als ruhende Substanzen vorzustellen. Man wird noch sehen, wieviel sachgerechter es ist, von vorneherein in Balancebegriffen zu denken. Sie sind dem, was man tatsächlich beobachten kann, wenn man menschliche Beziehungen, menschliche Interdependenzen und Funktionszusammenhänge untersucht, weit angemessener als die an ruhenden Objekten modellierten Begriffe, die bei der Erschließung solcher Phänomene noch weitgehend vorherrschen.“ (Elias 2000: 77f.) 90 Elias zufolge hat Weber „trotz seiner Scharfsicht für Machtverhältnisse in der gesellschaftlichen Praxis theoretisch wenig zum Machtproblem beizutragen vermocht[e]“ (Elias 1984: 72) Auf Elias Auseinandersetzung mit Weber und deren Problematik kann hier nicht eingegangen werden (s. dazu Breuer 1996).
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sen bestimmt wird. Insofern bestehende Machtbeziehungen als ein universelles Moment sozialer Beziehungen gefasst werden, sind diese gegenüber der Herausbildung von Ungleichheitverhältnissen und Diskriminierungspraktiken als vorgängig anzusehen. Machtbeziehungen sind also nicht lediglich Element bzw. Folge von Ungleichheitsverhältnissen, Gruppenasymmetrien und Diskriminierungspraktiken, sondern diese etablieren sich als sekundäre Phänomene auf der Grundlage primärer Machtbeziehungen. Elias geht dabei von einem „polymorphen Charakter der Machtquellen“ (Elias 2000: 97) aus und betont in kritischer Auseinandersetzung mit Marx, dass ungleiche Machtverhältnisse weder ausschließlich ökonomischer Art sind, noch dass ungleiche Machtbeziehungen - selbst in Fällen ökonomischer Unterdrückungsverhältnisse - lediglich auf der ungleichen Verteilung materieller Ressourcen basieren, sondern diese allererst ermöglichen (s. Elias 1993: 28f.; s. auch Barlösius 2004: 58). Damit wird keineswegs die zentrale Bedeutung der sozioökonomischen Dimension in sozialen Ungleichheitsverhältnissen bestritten. Vielmehr wird darauf hingewiesen, dass es sich bei der Annahme, „Klassenbeziehungen“ seien der alleinige „Schlüssel zur Gestaltung aller anderen menschlichen Beziehungen und die letztliche Triebkraft sozialer Dynamik“, um ein „reduktionistisches Modell“ handelt (Elias/Scotson 1993: 292f.). Elias’ Marxkritik zielt dabei nicht nur auf die Ausblendung der Bedeutung nicht-ökonomischer Ressourcen bei der Genese spezifischer, von sozioökonomischen Ungleichheiten zu unterscheidenden Machtungleichheitsverhältnissen; er stellt darüber hinausgehend auch in Bezug auf Konflikte zwischen sozialen Gruppen, die wesentlich ökonomischer Art sind oder sich als solche darstellen, in Rechnung, dass in diesen fast immer auch andere Machtdimensionen sowie der „Kampf“ um nicht-ökonomische Ressourcen eine Rolle spielen: „Selbst in Fällen, wo der Kampf um die Verteilung ökonomischer Ressourcen die Szene zu beherrschen scheint, wie etwa in der Konfrontation zwischen den Arbeitern und dem Leitungs-Establishment einer Fabrik, geht es noch um andere Streitpunkte außer dem Verhältnis zwischen Löhnen und Profiten.“ (Elias 1993: 29)
An anderer Stelle konkretisiert Elias, um welche anderen Machtdimensionen es dabei potentiell geht: „Die Machtbalance innerhalb eines industriellen Unternehmens aber findet ihren Ausdruck nicht nur in der Verteilung ökonomischer Chancen, sondern ebenso in der Verteilung der Chancen, die die Inhaber einer dieser Positionsgruppen haben, die anderen im Arbeitsprozess zu kontrollieren, zu entlassen, zu kommandieren.“ (Elias 2000: 156)
Elias weist in diesem Zusammenhang zudem auf den Sachverhalt hin, dass die Arbeiterklasse im England des 19. Jahrhunderts nicht nur ökonomischer Unterdrückung, sondern auch Prozessen der sozialen Stigmatisierung ausgesetzt war,
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insofern diese als „The Great Unwashed“ klassifiziert und wahrgenommen wurde (s. Elias 1993: 23). Die Betonung, dass auch in Fällen, in denen ausschließlich ökonomische Konfliktlinien zwischen sozialen Gruppen als evident erscheinen, der Rückgriff auf andere Machtressourcen zur Genese und Aufrechterhaltung sozialer Ungleichheitsverhältnisse zum Tragen kommt, bedeutet im konkreten Fall, dass die Arbeiterklasse nicht nur hinsichtlich ihrer sozioökonomischen Positionierung benachteiligt, sondern auch auf der Grundlage gruppenbezogener abwertender Zuschreibungen diskriminiert wurde. Dies ist - über das konkrete, hier vorliegende Beispiel hinausgehend - für das Verhältnis von soziologischer Ungleichheitsforschung und Diskriminierungsforschung insofern relevant, als sich die Frage stellt, ob und inwiefern sich an der sozioökonomischen Position ansetzende und Ungleichheiten reproduzierende Mechanismen mit an Eigenschaftszuschreibungen ansetzenden Diskriminierungspraktiken verschränken und überlagern, bzw. ob und wie diese überhaupt trennscharf voneinander unterschieden werden können. Für den sozialen Beziehungstypus Etablierte-Außenseiter ist Elias zufolge gerade charakteristisch, dass „nicht-ökonomische Aspekte der Spannungen und Konflikte“ (Elias 1993: 29) bedeutsam sind und dass sich das Verständnis der spezifischen Konfliktdynamik wesentlich über die Analyse der darin zum Tragen kommenden nicht-materiellen „Bedürfnisse“ erschließt (s. Elias 1993: 31), die Elias an dieser Stelle mit den mit Fragezeichen versehenen Stichworten „Wert“, „Sinn“, „Selbstliebe“, „Selbstachtung“ (Elias 1993: 32) jedoch nur andeutet. Dieser recht unbestimmte und anthropologisch argumentierende Verweis auf grundlegende menschliche Bedürfnisse, die Elias immer wieder in seinen theoretischen Reflexionen zur empirischen Studie anführt - und zwar insbesondere dann, wenn es um die Verallgemeinerungsfähigkeit und Übertragbarkeit der Etablierten-Außenseiter-Figuration geht (s. u.) -, korrespondiert mit dem Anspruch, das für diese Figuration charakteristische Machtverhältnis und die dieser zugrunde liegende Soziodynamik als „universal-menschliches Thema“ (Elias 1993: 7) herausarbeiten zu können. In den Vordergrund tritt dabei das von Elias als universell erachtete - und damit in seiner Gültigkeit auch nicht auf den historischen Zusammenhang der Entstehung der kapitalistischen Wirtschaftsbzw. Gesellschaftsordnung beschränkte - Phänomen, dass sich in sozialen Beziehungen „Machtstärkere“ im Verhältnis zu „Machtunterlegenen“ die Eigenschaft der Höherwertigkeit zuschreiben. 3.3.2 Etablierte und Außenseiter: Der empirische ‚Paradefall‘ Winston Parva In der Studie ‚Etablierte und Außenseiter‘ wird das Verhältnis von Alteingesessenen und Neuzuwanderern in der Vorortgemeinde einer englischen Industriestadt, die Elias und Scotson „Winston Parva“ nennen, untersucht. Die Feldfor-
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schung vor Ort wurde Elias und Scotson zufolge begonnen, „weil uns Einheimische darauf aufmerksam machten, dass eine der drei Nachbarschaften eine konstant höhere Delinquenzrate habe als die anderen. Am Ort selbst war das betreffende Viertel schlecht angesehen und als kriminell verrufen.“ (Elias/Scotson 1993: 59) In Winston Parva existierten zum Beobachtungszeitpunkt drei sozialräumlich unterscheidbare Bezirke: eine ‚bürgerliche‘, mittelstandsgeprägte Wohngegend und zwei Arbeiterwohngebiete. Innerhalb dieser lokalen sozialen Figuration entdecken Elias und Scotson nach eigener Aussage jedoch „Probleme“, von denen manche einen „paradigmatischen Charakter hatten: Sie warfen Licht auf Probleme, denen man in größerem Maßstab auf vielen Ebenen des gesellschaftlichen Lebens begegnet.“ (Elias/Scotson 1993: 59) Wie sich im Laufe der Beobachtung herausstellte, herrschte zwischen den Bewohnern der beiden Arbeiterwohngebiete eine starre soziale Barriere und eine ungleiche Machtbalance, obwohl diese sich hinsichtlich klassischer sozialstruktureller Merkmale wie Einkommen, Berufsstatus, Bildung etc. nur unwesentlich voneinander unterschieden. Während in Hinblick auf die beobachteten Abgrenzungen und die geringen sozialen Kontakte zwischen den Bewohnern des bürgerlichen Wohngebietes auf der einen und den beiden Arbeiterwohnbezirken auf der anderen Seite sozialstrukturelle Merkmale ein Erklärungspotential bereitstellten, waren die Unterschiede zwischen den beiden Arbeiterbezirken weder durch die faktischen sozio-ökonomischen Positionierungen noch durch Unterschiede in der „Nationalität, der ethnischen Herkunft, der ‚Hautfarbe‘ oder ‚Rasse‘“ beschreibbar, die innerhalb des sozialwissenschaftlichen Diskurses oftmals als Erklärung für Machtungleichgewichte zwischen sozialen Gruppen herangezogen werden (s. Elias 1993: 10). Beide Gruppen unterschieden sich lediglich dadurch, dass sich der eine Arbeiterwohnbezirk aus alteingesessenen Familien zusammensetzte, die bereits seit Generationen dort lebten, während der andere eine neue Siedlung mit Zugezogenen darstellte. 3.3.2.1 Soziodynamik der Stigmatisierung Die Beziehungen zwischen den beiden Arbeiterwohnbezirken waren dadurch geprägt, dass die alteingesessenen Bewohner des ‚alten‘ Arbeiterviertels sich gegenüber den zugezogenen Bewohnern des ‚neuen‘ Arbeiterviertels als statushöher empfanden, den privaten Kontakt mit den Zugezogenen vermieden und diese von innerhalb der Gemeinde einflussreichen Ämtern sowie zentralen Orten des sozialen Verkehrs, wie etwa Kneipen und Clubs, erfolgreich fernhielten. Zudem war zu beobachten, „dass die Mitglieder der einen Gruppe (die der Alteingesessenen, U.H.) das Bedürfnis empfanden und imstande waren, die der anderen als minderwertig abzustempeln, und dass sie ihnen ein Stück weit selbst das Gefühl der Minderwertigkeit einflößen konnten.“ (Elias 1993: 10) Das Ver-
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hältnis zwischen den Bewohnern der beiden Wohnbezirke war folglich dadurch charakterisiert, dass die einen sich erfolgreich als Etablierte positionieren sowie die andere Gruppe als Außenseiter behandeln konnten und dass die damit verbundenen Zuschreibungen von Höher- und Minderwertigkeit tendenziell auch in die Selbstbeschreibungen der als Außenseiter Behandelten Eingang fanden. Die zentrale Frage, die sich Elias und Scotson im Verlauf der Untersuchung stellte, war, was es den Mitgliedern der einen Gruppe erlaubte, die Mitglieder der anderen Gruppe erfolgreich zu stigmatisieren und das Verhältnis zwischen beiden Gruppen als soziales Ungleichheitsverhältnis zu etablieren. Sie arbeiteten dabei zwei wesentliche Punkte heraus: x
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Die Gruppe der Alteingesessenen zeichnete sich durch enge soziale Bindungen und eine „intime Vertrautheit“ untereinander sowie durch einen über Generationen tradierten, geteilten Normen- und Verhaltenskanon aus und verfügte damit im Verhältnis zu der Gruppe der Zuwanderer über einen bedeutend stärkeren Zusammenhalt der Familien untereinander. Darüber hinausgehend übten die Alteingesessenen gegenüber den Mitgliedern der eigenen Gruppe ein hohes Maß an sozialer Kontrolle aus, was die weitgehende Einhaltung der etablierten Gruppennormen garantierte und u.a. sicherstellte, dass der außerberufliche Verkehr mit den Neuankömmlingen als Verstoß gegen diese Gruppennormen geahndet wurde (s. Elias 1993: 39f.).
Der sich durch den inneren Zusammenhalt der Gruppe in Verbindung mit der nach innen wirkenden sozialen Kontrolle ergebende wesentlich stärkere Organisationsgrad der Alteingesessenen war Elias zufolge für deren „höhere Machtrate“ ausschlaggebend. Diese Charakteristika stellt Elias über den konkreten Fall hinausgehend als grundlegend für Etablierten-Außenseiter-Figurationen heraus: „Ihr stärkerer Zusammenhalt gibt einer solchen Gruppe die Möglichkeit, soziale Positionen mit einem hohen Machtgewicht für die eigenen Leute zu reservieren, was seinerseits ihren Zusammenhalt verstärkt, und Mitglieder anderer Gruppen von ihnen auszuschließen; und genau das ist der Kern einer Etablierten-AußenseiterFiguration.“ (Elias 1993: 12)
Elias zieht daraus die Schlussfolgerung, „dass das bloße ‚Alter‘ einer Formation mit allem, was es in sich schließt, einen Grad an Gruppenzusammenhalt, kollektiver Identifizierung und Gemeinsamkeit der Normen zu schaffen vermag, der genügt, um bei Menschen das befriedigende Hochgefühl zu erzeugen, das mit dem Bewusstsein, einer höherwertigen Gruppe anzugehören, und der komplementären Verachtung für andere Gruppen verbunden ist“ (Elias 1993: 11).
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Die Herausbildung der Etablierten-Außenseiter-Figuration ließ sich aber im Fall von Winston Parva nicht nur aus den ‚objektiv‘ gegebenen Ausgangsbedingungen der längeren Wohndauer erklären, sondern war in ihrer Entwicklung und Ausprägung aufs engste verbunden mit einer fortlaufenden Dynamik der Abgrenzung gegenüber den Neuzugezogenen und ihrer Abwertung und Stigmatisierung als Außenseiter. Während das eingesetzte Machtmittel der Stigmatisierung den Identifikationsgrad mit der Gruppe auf der Seite derer, die sich in diesem Prozess als Etablierte positionieren konnten, erhöhte, war auf der Seite der als Außenseiter Behandelten genau der umgekehrte Fall zu beobachten, da die Abwertungserfahrungen dazu führten, dass das Gefühl der Minderwertigkeit weitgehend internalisiert und in das eigene Selbstbild integriert wurde. Das Potential, andere zu stigmatisieren, wurde so in dem sich herstellenden Verhältnis zwischen Alteingesessenen und Neuzugezogenen zur ungleichheitsrelevanten Ressource: „Ausschluss und Stigmatisierung der Außenseiter waren per se mächtige Waffen, mit deren Hilfe die Etabliertengruppe ihre Identität behauptete, ihren Vorrang sicherte und die anderen an ihren Platz verbannte.“ (Elias 1993: 12)
Elias betont damit die Eigenständigkeit von Stigmatisierungen als Machtquelle, die er über die hier im konkreten Fall fokussierten sozialen Beziehungen hinausgehend für die Erzeugung, Konsolidierung und Verschärfung von Ungleichheitsverhältnissen nach dem Etablierten-Außenseiter-Typus charakteristisch hält: „Schmähungen, die das eigene Scham- oder Schuldgefühl einer Gruppe in bezug auf bestimmte Unterlegenheitssymbole, bestimmte Zeichen der ihnen zugeschriebenen Minderwertigkeit mobilisieren und auf diese Weise ihr Vermögen zur Gegenwehr lähmen, sind daher ein Teil des sozialen Apparats, mit dem herrschende, ranghöhere Gruppen ihre Herrschaft und Überlegenheit gegenüber rangniedrigeren Gruppen aufrechterhalten.“ (Elias/Scotson 1993: 183)
Die Erhöhung des Selbstwertgefühls der einen Gruppe und die Erzeugung von Minderwertigkeits- und Schuldgefühlen bei der anderen Gruppe stellen somit irreduzibel aufeinander bezogene Mechanismen dar und sind Element eines Prozesses, den Elias als „Soziodynamik der Stigmatisierung“ (Elias 1993: 13) bezeichnet. Dabei entsteht eine für die Etablierten-Außenseiter-Figuration charakteristische „Komplementarität von (eigenem) Gruppencharisma und (fremder) Gruppenschande“ (Elias 1993: 16).
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3.3.2.2. Gruppenkonstitution und Konflikt Elias und Scotson weisen in Bezug auf die entstehende Etablierte-AußenseiterFiguration Interpretationen zurück, die die zwischen Alteingesessenen und Zugezogenen entstehende soziale Asymmetrie ursächlich auf einen Konflikt um knappe ökonomische Ressourcen zurückführen: „Man kann nicht ausschließen, dass die etablierten Arbeiter, als in ihrer Nachbarschaft neue Häuser gebaut wurden, zunächst auch befürchteten, die Zuzügler könnten ihnen ihre Arbeitsplätze streitig machen, und dass sie darum eine Abneigung gegen sie empfanden. Aber wenn es so war, dann waren zur Untersuchungszeit alle greifbaren Spuren einer Befürchtung verschwunden. Während des Krieges traf die größte Gruppe neuer Arbeiter zusammen mit der Fabrik ein, in der sie beschäftigt waren, und aufs ganze gesehen expandierten Industrie und Arbeitsangebote am Ort.“ (Elias/Scotson 1993: 237)
Im exemplarischen Fall von Winston Parva greift folglich eine Erklärung des Gruppenkonfliktes als Konflikt um ökonomische Ressourcen zu kurz. Es stellt sich darüber hinausgehend jedoch die Frage, ob die Entstehung des Beziehungstypus Etablierten-Außenseiter überhaupt als konfliktbasiert gelten kann. In der Elias-Rezeption ist jedoch eine Lesart verbreitet, die die Genese der Etablierten-Außenseiter-Beziehung auf der Grundlage einer konflikttheoretischen Achse interpretiert, wobei es Unterschiede in der Akzentuierung der jeweiligen Konfliktgeneratoren gibt: So stellt etwa Volker Eichener die „unterschiedlichen Verhaltensstandards“ und „Verhaltensstile“ als Konfliktbezugspunkte, die zur Etablierten-Außenseiter-Figuration führen, in den Vordergrund. Demzufolge hätten Elias und Scotson „festgestellt, dass selbst feinste Verhaltensunterschiede innerhalb der gleichen sozioökonomischen Schicht zu massiven sozialen Konflikten führen können.“ (Eichener 1990: 168). Diese Interpretation bezieht sich vermutlich auf Elias Ausführungen dazu, dass die alteingesessenen Familien „unter sich eine gemeinsame Lebensweise und einen Normenkanon ausgebildet“ hatten und „eine Bedrohung ihrer eingebürgerten Lebensweise“ durch die Zugezogenen fürchteten (Elias 1993: 16). Dabei stellt Elias die im Unterschied zu den Zugezogenen hohen „Standards der Selbstbeherrschung“ (Elias 1993: 55) als ein potentiell ungleichheitsgenerierendes Machtdifferential heraus und beansprucht damit einen über das konkrete Beispiel hinausgehenden, verallgemeinerbaren Zusammenhang beschreiben zu können: „Unter halbwegs stabilen Bedingungen ist ein artikulierterer Verhaltenskanon und ein höherer Grad an Selbstzwang in der Regel verkoppelt mit einem höheren Grad an Ordentlichkeit, Umsicht, Voraussicht und Gruppenkohäsion. Er bietet Statusund Machtprämien zum Ausgleich für die auferlegten Versagungen und den relativen Verlust an Spontaneität. Kollektive Tabus, die auszeichnende Disziplin festigen die Bande innerhalb des Netzwerks der ‚besseren Familien‘. “ (Elias/Scotson 1993: 243)
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Elias Beschreibungen changieren zwischen einer Sichtweise, die diesen unter den Etablierten herausgebildeten Normen- und Verhaltenskanon im Sinne „besonderer Verhaltensmerkmale“ (Elias/Scotson 1993: 242) als gegebene Tatsache fasst und damit dessen Faktizität auch unabhängig von der EtabliertenAußenseiter-Figuration unterstellt, und einer Sichtweise, die diesen in Abhängigkeit von der Figuration, die die Etablierten gemeinsam mit den Außenseitern bilden, betrachtet. Während erstere durchaus eine Argumentation stützt, die, wie Eichener, die Zentralität der „unterschiedlichen Verhaltensstandards“ herausstellt, soll hier im Weiteren der Fokus auf diejenigen Argumentationslinien bei Elias gerichtet werden, mit denen er m. E. konsistenter an seine allgemeinen figurationstheoretischen Überlegungen anschließt, indem er betont, dass die reale oder unterstellte Abweichung gegenüber den etablierten Normen konstitutiv für den Grenzziehungsprozess gegenüber den Außenseitern im Sinne einer „sozialen Kennmarke“ (Elias/Scotson 1993: 243) ist und der Normen- und Verhaltenskanon der Etablierten sich damit als ein von der Figuration nicht unabhängiger darstellt. Dass die Etablierten diesem System von Normen und Verhaltensstandards einen so großen Stellenwert einräumen, ist vor diesem Hintergrund auch darauf zurückzuführen, dass dessen Herausbildung, Festigung und Transformation mit den Gruppenkonstitutions- und Abgrenzungsstrategien verbunden ist, die das Etablierten-Außenseiterverhältnis als solches herstellen. Elias fasst dabei das „System von Einstellungen und Glaubensaxiomen“, das die Etablierten herausbilden, als eine „Statusideologie“ (Elias/Scotson 1993: 85). D.h., es handelt sich nicht einfach um unterschiedliche Normengefüge und Verhaltensstandards, die miteinander in Konflikt geraten. Im Sinne einer Statusideologie der Etabliertengruppe sind diese vielmehr tragend für die Gruppendefinition und die Entscheidung über Zu- bzw. Nichtzugehörigkeit sowie für die Legitimation in Hinblick auf die soziale Positionierung bzw. relative Privilegierung der Etablierten gegenüber den Außenseitern. Damit erfährt die Konstruktion der Zugezogenen als Abweichler eine zentrale Rolle für den gruppenbezogenen Selbstverortungsprozess der Etablierten im lokalen sozialen Gefüge. Zudem ist ein in Elias empirischer Untersuchung deutlich werdender, in seinen theoretischen Ausführungen und in der Rezeption des EtabliertenAußenseiter-Modells aber weitgehend vernachlässigter Aspekt zu berücksichtigen: Zu dem Zeitpunkt, an dem der neue Arbeiterwohnbezirk entsteht, existiert bereits eine soziale Figuration und eine relativ stabile Machtbalance zwischen dem bürgerlichen Viertel und dem ‚alten‘ Arbeiterviertel. Die Bewohner des älteren Arbeiterbezirks sind folglich sozial und statusmäßig bereits positioniert innerhalb eines etablierten Machtungleichgewichts, das selbst Resultat eines vorgängigen Figurationsprozesses ist. Das von Elias beobachtete Phänomen der Erhöhung des Normierungsdrucks innerhalb der etablierten Arbeitergruppe kann daher als eine Reaktion darauf interpretiert werden, dass die Neuankömmlinge eine Destabilisierung der Machtbalance sowohl innerhalb der Etabliertengrup-
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pe als auch in Hinblick auf die Figuration zwischen diesen und dem bürgerlichen Bezirk hervorriefen. Ein zentraler Aspekt hinsichtlich der Konfliktproblematik scheint damit zu sein, dass der Zuzug der Außenseiter innerhalb der Gruppe der etablierten Arbeiter einen Binnenkonflikt um Werte, Normen bzw. eine Verunsicherung über die eigene soziale Positionierung evozierte. Wie Elias und Scotson betonen, stellte die Bedrohung des Gruppencharismas für die Etablierten ein zentrales Abwehrmotiv gegenüber den als anomisch markierten Außenseitern dar: „Interdependente Außenseiter, die es mit dem Gehorsam gegen Zwänge, denen sich die Mitglieder der etablierten Gruppe unterwerfen müssen, wenn sie ihren Status unter ihren Gruppengenossen wahren wollen, tatsächlich oder auch nur vermeintlich weniger genau nehmen (Hervorh. U. H.), werden daher von diesen als eine Bedrohung ihres Status, ihrer besonderen Begnadung und Höherwertigkeit empfunden.“ (Elias 1993: 55)
Dass es sich hierbei, wie Eichener nahe legt, um eine Konstellation handelt, bei der unterschiedliche, reale Verhaltenstandards zweier realer Gruppen aufeinander treffen und konfliktgenerierende Wirkung entfalten, ist vor diesem Hintergrund aus zumindest zwei Gründen zu relativieren: x Die ‚Gruppe‘ der Außenseiter bildet keine Gruppe mit einheitlichen Verhaltensstandards, deren Gruppennormen mit anderen Gruppennormen in Konflikt geraten könnten. Die Konstatierung eines abweichenden Verhaltens gegenüber den Normen der alteingesessenen Familien folgt vielmehr einer auf Grundlage eines Machtdifferentials funktionierenden „pars-pro-toto“-Logik, in der die Etabliertengruppe auf der Folie der „Minorität ihrer ‚besten‘ Mitglieder“, die Außenseitergruppe durch die ‚schlechten‘ Eigenschaften der ‚schlechtesten ihrer Teilgruppen, ihrer anomischen Minorität“ (Elias 1993: 13) wahrgenommen wurde. D.h., der Befund eines anomischen Verhaltens ist Teil und Effekt eines homogenisierenden Zuschreibungsprozesses, der die Gruppe der Außenseiter als solche konstituiert. Entsprechend formuliert Elias: „Selbstverständlich sieht es dann so aus (Hervorh. U.H.), dass die Mitglieder einer Außenseitergruppe diesen Normen und Zwängen (der Etablierten, U.H.) nicht gehorchen. Das ist das dominante Bild, das Etablierte von einer solchen Gruppe haben. Außenseiter werden, in Winston Parva wie anderswo, kollektiv und individuell als anomisch empfunden.“ (Elias 1993: 18) x Zwar beschreibt Elias für die Gruppe der Etablierten die Zentralität verbindlicher Gruppennormen im Umgang mit den Außenseitern und interpretiert das Zusammenwirken eines relativ rigiden „Verhaltenskanons“ und eines „höheren Grad[s] an Selbstzwang“ vor dem Hintergrund seiner Zivilisationstheorie als „generellen Grundzug“ „alter Fa-
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milien“ bzw. statushöherer, ‚zivilisierterer‘ Gruppen. (Elias/Scotson 1993: 242; s. dazu auch Elias 1977: 312ff.). Jedoch transformieren sich diese Gruppennormen im Kontext der Etablierten-Außenseiter-Beziehung, indem der Kontakt zu den Außenseitern als Verstoß gegen die Gruppennormen geahndet und damit gerade entlang der Grenzziehung zu den Außenseitern ein dichterer Normenkanon hervorgebracht wird, als er zuvor gegeben war. Zudem erhalten die Gruppennormen und Verhaltensstandards im Kontext der Etablierten-AußenseiterFiguration eine zusätzliche Verbindlichkeit und regulative Funktion: Denn die Kontrolle über die Einhaltung der Gruppennormen erlangt darüber eine besondere Qualität, dass die Zugehörigkeit zur privilegierten Gruppe und damit der „monopolitische[n] Zugang zu Machtquellen und Gruppencharisma“ als Sanktionsandrohung bei Verstoß gegen die Gruppennormen zur Disposition steht (Elias 1993: 39). Vor diesem Hintergrund kann nicht davon ausgegangen werden, dass unterschiedliche Verhaltensstandards und Verhaltensweisen der Figuration vorgängig sind. Vielmehr sind diese bereits Teil eines für die Etablierten-AußenseiterKonstellation konstitutiven Zuschreibungsprozesses und stellen eher eine in den Selbstbeschreibungen der Etabliertengruppe zum Tragen kommende rationalisierende Legitimationsbasis für den entstehenden Konflikt dar, als eine tragfähige Beschreibungsgrundlage für die Analyse der Konfliktgenese. Im Unterschied zu Eichener verhandelt Hermann Korte den Konflikt zwischen Etablierten und Außenseitern in der Übertragung auf das Verhältnis zwischen „etablierten Deutschen“ und „ausländischen Außenseitern“ als einen um knappe Ressourcen (Korte 1984: 274): „In einer Etablierten-Außenseiter-Figuration versucht die etablierte Gruppe ihre Position zu halten, abzusichern und - wenn möglich - auszubauen, während die Außenseiter danach streben, ihre Stellung zu verbessern und der der Etablierten anzugleichen, da der Zugang zu den Machtpositionen Vorteile vielfältigster Natur mit sich bringt. Diese Vorteile sind nicht nur materieller Natur, sondern es handelt sich dabei z. B. auch um Bildungschancen oder um Wohnverhältnisse, ganz allgemein um den Abbau von sozialer Ungleichheit und Machtlosigkeit.“
Demgegenüber ist jedoch einzuwenden, dass bei Elias letztlich nicht systematisch bestimmt wird bzw. möglicherweise bewusst offen gelassen wird, was der Entstehung der Figuration zugrunde liegt. Darauf, dass eine ursächliche Erklärung, die einen Konflikt um knappe Ressourcen oder „unterschiedliche Verhaltensstile“ als Ausgangspunkt setzt, ausgeschlossen wird, deuten Elias Ausführungen auch an anderer Stelle hin: Er betont, dass die von ihm angestrebte „Entwicklungssoziologie“ und deren prozessuale Beschreibungslogik
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„Modelle von Figurationen in einem ständigen Fluss braucht, in dem es überhaupt keine Anfänge gibt [...] Hier handelt es sich immer darum, Veränderungen von Figurationen aus Veränderungen von Figurationen zu erklären, Bewegungen aus Bewegungen, nicht aus einer ‚Ur-Sache‘, die sozusagen einen Anfang bildet und sich nicht bewegt.“ (Elias 2000: 180)
Implizite Voraussetzung für diese Idee einer auf Kausalitätsannahmen verzichtenden „Entwicklungssoziologie“ scheint jedoch die anthropologische Annahme der aus den beschriebenen Transformationsprozessen ausgegliederten ubiquitären Existenz von Machtbeziehungen zu sein, die jeder Entwicklung vorausgehen und die basale Grundlage von gesellschaftlichen Prozessen darstellen. Denn Sozialität als solche erklärt sich bei Elias über den Begriff der Interdependenzen, denen immer auch Machtbeziehungen inhärent sind (Elias 1984: 68ff.). Zwar fasst Elias das sich entwickelnde Verhältnis zwischen Etablierten und Außenseitern, wenn er etwa auf die „nicht-ökonomischen Ebenen des Konflikts“ (Elias 1993: 29) hinweist, durchaus auch in einer Terminologie des Konflikts, aber eben nicht als ein Interessenskonflikt, der den Stigmatisierungs- resp. Diskriminierungspraktiken vorausgehen und diese erst sekundär veranlassen würde. Eine - bei Elias nicht ausformulierte - Pointe dieser Perspektive wäre so vielleicht gerade darin zu sehen, dass die Praktiken der Stigmatisierung, deren wesentlichen Effekt Elias darin sieht, dass die machtunterlegene Gruppe der Außenseiter die zugeschriebene Minderwertigkeit in ihr eigenes Selbstbild integriert, tendenziell konfliktverhindernd in dem Sinne sind, dass diese als Machtmittel und ungleichheitsrelevante Ressource dazu führen, dass die machtunterlegene Gruppe erst gar nicht in die Situation gelangt, in einen offenen Positionskampf bzw. einen Konflikt um Interessen und Ressourcen einzutreten. Elias weist an anderer Stelle darauf hin, dass „eine verachtete und stigmatisierte, relativ machtlose Außenseitergruppe [geduldet wird], solange sich deren Angehörige mit dem niedrigeren Platz, der ihrer Gruppe nach dem Empfinden der Etablierten zukommt, abfinden und sich ihrem niedrigen Status entsprechend als untergeordnete und unterwürfige Menschen benehmen.“ (Elias 1984: 50)
Zu einer konflikthaften Konstellation zwischen Etablierten- und Außenseitern im engeren Sinne kommt es in aller Regel erst dann, „wenn Mitglieder der Außenseitergruppe sozial aufsteigen oder wenn die Außenseitergruppe legale und soziale Gleichstellung mit den überlegenen Etabliertengruppen anstrebt“ (Elias 1984: 50).
Einer Lesart, die die Entstehung der am empirischen Fall untersuchten Etablierten-Außenseiter-Figuration wesentlich konfliktbasiert analysiert, ist zudem entgegenzuhalten, dass bei Elias nicht die Motive und Interessen der Einzelnen oder der Figuration vorgängiger Gruppen, die zueinander in einen Konflikt treten
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könnten, den Ausgangspunkt darstellen, sondern die „Soziodynamik“, die in der Etablierung einer sozialen Beziehung als Machtbeziehung zum Tragen kommt: „Beide Seiten agierten in dieser Lage ohne viel Nachdenken in einer Weise, die man hätte voraussehen können. Einfach weil sie als Nachbarn interdependent wurden, trieben sie in eine Gegnerschaft hinein, ohne recht zu verstehen, was da geschah, und gewiss ohne eigenes Verschulden.“ (Elias/Scotson 1993: 247)
Vor diesem Hintergrund ist m. E. davon auszugehen, dass sich Elias Ansatz insofern gegenüber konflikttheoretischen Ansätzen profilieren lässt, als hier nicht sich gegenüberstehende Gruppen mit unterschiedlichen Interessen in einen Konflikt um begrenzte Ressourcen treten, sondern dass die entstehenden Konflikte Element und Folge einer umfassenderen Dynamik sind, in denen ein bestehendes Machtdifferential und die Verfügung über überlegene Machtmittel Ungleichheiten verfestigende bzw. generierende Relevanz erlangt. 3.3.2.3 Vorurteile und die ‚Soziodynamik der Stigmatisierung‘ In durchaus ähnlicher Weise wie in der sozialpsychologisch ausgerichteten Theorie der Intergruppenbeziehungen, wie sie mit den Arbeiten Tajfels (s. Kapitel 1.2.) vorliegt, rücken hier also nicht intentionale Strategien der Verfolgung von Interessen als Ausgangspunkt von Konflikten, sondern eine Dynamik der Aufwertung der ‚eigenen‘ und der Abwertung der ‚anderen‘ Gruppe als Teil der Konfliktgenese in den Vordergrund. So wie Tajfel mit seinem experimentellen Versuch91 der Ermittlung eines „minimal group paradigm“ gezeigt hat, dass eine - mit Elias Worten – ‚Soziodynamik der Stigmatisierung‘ bereits dann in Gang gesetzt werden kann, wenn den Beteiligten erfolgreich suggeriert wird, dass sie Mitglied einer Gruppe seien, auch wenn diese Gruppenzugehörigkeit keine Referenz zu realen Gruppen und mit dieser Gruppenzugehörigkeit ggf. verknüpften Interessen hat, so entstehen entsprechend in der EtabliertenAußenseiter-Figuration Konflikte aus einer imaginären Gruppenzugehörigkeit, die sich nicht hinreichend als Interessens- oder Ressourcenkonflikte beschreiben lassen. Zwar handelt es sich im Unterschied zum laborexperimentellen Versuch Tajfels bei Elias nicht um einen wechselseitigen Kategorisierungs- und Abwertungsprozess, sondern um einen durch ein spezifisches Machtungleichgewicht einseitig verlagerten Prozess der Stigmatisierung; in ähnlicher Weise wie Tajfel stellt er jedoch die Bedeutung der Grenzziehungsprozesse, über die Gruppenzugehörigkeit konstituiert wird, heraus: 91
Zur Problematik des bei Tajfel formulierten Anspruchs auf Übertragbarkeit dieser unter rein experimentellen Bedingungen gewonnen Einsichten s. Kapitel 1.2. dieser Arbeit.
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„Die Frage ist, wie und warum Menschen sich als zur selben Gruppe gehörig betrachten und einander in die Gruppengrenzen einschließen, die sie aufrichten, wenn sie das Wort ‚Wir‘ gebrauchen, während sie gleichzeitig andere Menschen als einer anderen Gruppe zugehörig ausschließen, zu der sie kollektiv ‚Sie‘ sagen.“ (Elias 1993: 36)
Wir- und Sie-Gruppen bzw. in- und out- groups werden folglich bei Elias nicht als Kategorisierungs- und Eigenschaftszuschreibungen vorgängige Gruppen, sondern als Ergebnis eines interdependenten Gruppenkonstitutionsprozesses gefasst, der sich als asymmetrische Machtbeziehung realisiert. Vor diesem Hintergrund verkennt eine die ungleichen Machtverhältnisse und die Soziodynamik sozialer Beziehungen ignorierende Analyse von Vorurteilen Elias und Scotson zufolge die Logik und Funktion von Vorurteilen, da sich diese nur bezogen auf ihren sozialen Kontext hin analysieren lassen. Sie zeigen sich „als ein normales Element der Glaubensvorstellungen einer etablierten Gruppe, die ihren Status und ihre Macht gegen den Angriff, wie sie es erlebt, von Außenseitern verteidigt. Es ist heute üblicher, ‚Vorurteil‘ in Isolierung zu erforschen und begrifflich zu fassen. Die Figuration, in der es auftritt, wird oft lediglich als ein ‚Hintergrund‘ wahrgenommen.“ (Elias/Scotson 1993: 253)
Und in seinen theoretischen Reflexionen zur Etablierten-Außenseiter-Figuration schlussfolgert Elias: „Man kann den Schlüssel zu dem Problem, das gewöhnlich unter Überschriften wie ‚soziales Vorurteil‘ diskutiert wird, nicht finden, wenn man ihn allein in der Persönlichkeitsstruktur einzelner Menschen sucht. Er liegt in der Figuration der zwei (oder mehr) betroffenen Gruppen, d.h. im Muster ihrer Interdependenz.“ (Elias 1993: 14)
In diesem figurationssoziologischen Zugriff auf die Vorurteils- und Diskriminierungsthematik liegt die spezifische Relevanz von Elias Beitrag zur Kritik an einer individualistischen Verkürzung der Vorurteilsforschung, die einerseits Affinitäten zu Schütz’ Argument aufweist, dass Vorurteile nicht als unabhängige oder isolierbare Phänomene von dem für die ‚Gruppe‘ konstitutiven System von Typisierungen und Relevanzen verstanden werden können, und andererseits mit Blumers Argumentation darin übereinstimmt, dass Vorurteile als auf die Konsolidierung der sozialen Positionierung zielende Praktiken der Definitionszuweisung nicht unabhängig von gruppenbezogenen imaginären Selbstverortungsprozessen im gesellschaftlichen Kontext gesehen werden können. Mit der Etablierten-Außenseiter-Figuration werden Vorurteile nicht als Diskriminierungspraktiken vorgängige negative, wirklichkeitsverzerrende Einstellungen gegenüber Individuen und Gruppen, sondern als konstitutiv mit einem Prozess der sozialen Stigmatisierung verbundene, gleichermaßen ungleichheitsgenerierende wie ungleichheitslegitimierende Machtmittel gefasst (s. dazu auch Barlösius 2004: 64). Die Verwendung von Vorurteilen als Machtmittel
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dient sowohl dazu, den privilegierten Status der etablierten Gruppe herzustellen, als auch als Legitimationsbasis dafür, dass diese ihre machtstärkere Position dadurch zu erhalten sucht, dass sie den Machtunterlegenen den Zugang zu bedeutenden gesellschaftlichen Positionen und Ressourcen verwehrt. Die Akzentuierung des Prozesses sozialer Stigmatisierung als ungleichheitsgenerierendes Machtmittel impliziert dabei eine doppelte Kritik an der Vorurteilsforschung: x
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Zum einen betont Elias, dass Vorurteile nicht auf individuelle Dispositionen zurückzuführen, sondern ausgehend von den Bedingungen zu analysieren sind, die es ermöglichen, dass Vorurteile sich zum gängigen Repertoire der sozial geteilten Überzeugungen einer Gruppe entwickeln Zum anderen sind es nicht Vorurteile, die den Ausgangspunkt für soziale Konflikte, Stigmatisierungen und Diskriminierungen bilden, sondern die Genese von Vorurteilen und der Glaube an die Andersartigkeit und Minderwertigkeit der als Außenseiter behandelten Gruppe ist Element und Folge der sich in der Etablierten-Außenseiter-Figuration entfaltenden Soziodynamik der Stigmatisierung bzw. Diskriminierung.
Dass Vorurteile in sozialen Beziehungen nicht unabhängig von den Machtverhältnissen betrachtet werden können, von denen sie ausgehend ihre Wirkung entfalten, kommt in der sozialwissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Phänomen des Vorurteils Elias und Scotson zufolge implizit darin zum Tragen, dass Vorurteile nur dann als sozial relevant erachtet und thematisiert werden, wenn sie von Machtstärkeren gegenüber Machtschwächeren formuliert werden; weniger „begreift man als ‚Vorurteil‘ [...] die entsprechenden Verzerrungen und unrealistischen Wahrnehmungsmuster in den Bildern, die relativ machtlose Gruppen von ihren etablierten Gegenübern haben, solange sie ihnen an Macht und Status klar unterlegen sind“ (Elias/Scotson 1993: 253f.).
Diese kontextabhängige Thematisierung von Stereotypen und Vorurteilen reagiert implizit darauf, dass Vorurteile von Außenseitern gegenüber den Etablierten keinen „Stachel“ (Elias/Scotson 1993: 254) haben und dass eine ungleiche Machtbalance und eine einseitig verlagerte Definitionsmacht konstitutiv für soziale Vorurteile sind. Dies wird jedoch den Autoren zufolge in der Vorurteilsforschung nicht reflexiv eingeholt. Vielmehr kommt in dem beobachtbaren Phänomen, dass Vorurteile meist nur dann zum Untersuchungsgegenstand werden, wenn stereotypisierende Sichtweisen von Machtstärkeren gegenüber Machtschwächeren formuliert werden, lediglich eine „ungeprüfte Selektivität“ (Elias/Scotson 1993: 253) zum Ausdruck, deren implizite Grundannahme für die theoretischen Konzepte weitgehend folgenlos bleibt.
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3.3.3 Die sozialtheoretischen Herausforderungen des Etablierten-Außenseiter- Modells Der Figurationstheorie entsprechend handelt es sich bei der sich herausbildenden Etablierten-Außenseiter-Beziehung im Fall Winston Parvas um eine interdependente Konstellation, in der sich „zwei Menschengruppen in eine nicht von ihnen selbstgeschaffene Figuration verstrickten und die bestimmte Spannungen und Konflikte zwischen ihnen erzeugten“ (Elias/Scotson 1993: 246). Damit legt Elias zunächst nahe, dass es sich um zwei der Figuration vorgängige Gruppen handelt, die zueinander in Beziehung treten. Für die Gruppe der Etablierten betont er in diesem Zusammenhang ausdrücklich die Zentralität einer „diachronischen Gruppendimension“ (Elias 1993: 37), d. h. die historische Genese eines über Generationen reichenden Prozesses, der dazu geführt hat, dass diese sich als „geschlossene Gruppe ansahen, zu der sie ‚Wir‘ sagten“ (Elias 1993: 36). Diese, den Gruppenformierungsprozess und Konstruktionscharakter herausstellende genetisch-soziologische Perspektive auf die Etablierten würde aber auf die Außenseiter angewandt bedeuten, dass auch hier der Prozess ihrer Soziogenese als ‚Gruppe‘ zu fokussieren wäre: Dieser nimmt jedoch erst in der sich herstellenden Figuration mit den Etablierten seinen Anfang. Denn während die Etablierten eine unter bestimmten historischen Bedingungen entstandene Gruppe darstellten, deren Mitglieder sich wechselseitig kannten, enge soziale Bindungen untereinander unterhielten und ein kollektives ‚Wir‘ ausbilden konnten, zeichnete sich die ‚Gruppe‘ der Außenseiter dadurch aus, dass für sie gerade keine der Figuration vorgängige „diachronische Gruppendimension“ angegeben werden konnte und sie entsprechend keine Gruppe im soziologischen Sinne darstellten. Während im Fall der Etablierten eine Binnenorganisation in einem Stadium vorlag, das bereits Ergebnis eines Entwicklungsprozesses war, handelte es sich bei den Zugewanderten lediglich um eine Ansammlung von Individuen bzw. Familien ohne eine vorgängige Binnenorganisation, die noch zum Zeitpunkt von Elias und Scotson Untersuchung „nicht nur für die Alteingesessenen, sondern auch füreinander Fremde waren“ (Elias/Scotson 1993: 11). Elias Schlussfolgerung, dass der gegenüber den Zugezogenen höhere Kohäsionsgrad der alteingesessenen Familien eine ungleiche Machtbalance begründete, ließe sich vor diesem Hintergrund dahingehend pointieren, dass es sich nicht nur um einen graduellen Unterschied in Hinblick auf die Gruppenintegration handelte, der für die Herausbildung dieser spezifischen Figuration wesentlich war, sondern dass die Zugewanderten keine der Behandlung als Außenseiter vorgängige Gruppe darstellten. Wenn Elias von zwei Gruppen spricht, die miteinander in Beziehung treten, handelt es sich um voneinander zu unterscheidende Gruppenformen, die einen je unterschiedlichen Referenzpunkt aufweisen:
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im Fall der Etablierten um eine Gruppe, die sich auch in ihren Selbstbeschreibungen als Gruppe versteht und zudem nicht losgelöst von einer bereits vor dem Zuzug der ‚neuen‘ Arbeiter bestehenden Figuration zwischen dem bürgerlichen Wohnviertel und dem ‚alten‘ Arbeiterwohnviertel betrachtet werden kann; im Fall der Außenseiter um eine sich erst in der Figuration mit den Etablierten auf der Grundlage einer homogenisierenden Gruppenkonstruktion von Elias beschriebenen Soziodynamik der Stigmatisierung konstituierenden ‚Gruppe‘.
Elias weist an anderer Stelle zudem darauf hin, dass „[k]eine dieser beiden Gruppierungen [...] unabhängig von der anderen [hätte] werden können, was sie war. Nur durch ihre Interdependenz konnten sie in die Rollen von Etablierten und Außenseitern hineinwachsen“ (Elias/Scotson 1993: 261). Mit dieser Wendung stellt sich die Etablierten-Außenseiter-Konstellation nicht als Verhältnis zwischen zwei präkonstituierten Gruppen, sondern als Effekt einer durch Machtungleichgewichte dynamisierten Figurationsentwicklung dar, in der sich beide Gruppen innerhalb eines Interdependenzgeflechts konstituierten. Mit einer solchen prozesslogischen Betrachtungsweise kann nicht nur dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die Außenseiter keine von der Figuration unabhängige ‚Gruppengeschichte‘ besaßen. Damit ist ebenso darauf hingewiesen, dass auch die Etabliertengruppe nicht als invariante Entität betrachtet werden kann, sondern im Rahmen der ‚neuen‘ Figuration einem hinsichtlich ihrer Gruppenkonstitutionsmechanismen nicht nur akzidentiellen Transformationsprozess unterlag. Sowohl vor dem Hintergrund der theoretischen Annahmen der Figurationssoziologie als auch auf der Grundlage der Beschreibung des Entwicklungsprozesses der sich etablierenden Figuration ist es mit Elias folgerichtig, nicht von vorab existierenden Gruppen auszugehen, sondern den Gruppenkonstitutionsprozess systematisch zu berücksichtigen. 3.3.3.1
Etablierte-Außenseiter-Beziehungen im sozio-historischen Kontext
Mit ihrer Analyse der Etablierten-Außenseiter-Figuration beabsichtigten Elias und Scotson eine machttheoretische Beschreibung der grundlegenden sozialen Mechanismen, die zu Vorurteilsbildungen führen und in Erklärungsmodellen verschleiert werden, die Vorurteile als Ausgangspunkt für Konflikte zwischen sozialen Gruppen nehmen. Dabei beanspruchen sie, dass diese Figuration eine zutreffende Beschreibungsmatrix für bestimmte, durch ein Machtungleichgewicht charakterisierbare Beziehungen zwischen sozialen Gruppen bereitstellt, die nicht nur für die Analyse lokaler Konflikte auf Gemeindeebene Gültigkeit
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hat, sondern als „empirisches Paradigma“ Anwendung auf einen Beziehungstypus finden kann, der auch in anderen gesellschaftlichen Kontexten weit verbreitet ist (s. Elias/Scotson 1993: 55). Das Winston-Parva-Modell stellt aufgrund seiner Rahmenbedingungen einen nahezu idealtypischen „Paradefall“ dar. Mit dessen Hilfe wird man, so Elias, auf „Regelmäßigkeiten eines Geschehenszusammenhangs aufmerksam und kann dann durch Untersuchung anderer Fälle nachprüfen, ob sie sich dort ebenfalls beobachten lassen und, wenn nicht, warum nicht“ (Elias 1993: 293).
Diesen Übertragungsanspruch des Etablierten-Außenseiter-Modells formulieren Elias und Scotson insbesondere auch in Hinblick auf das Verhältnis von Mehrheiten und Minderheiten bzw. Beziehungen zwischen ‚ethnisch‘ und ‚rassisch‘ gefassten Gruppen und darauf bezogene Formen der Diskriminierung. Diese werden als Fall einer Etablierten-Außenseiter-Figuration gefasst, deren Spezifikum darin besteht, dass das charakteristische Machtungleichgewicht durch die Referenz auf „Rasse“ und „ethnische Minoritäten“ legitimiert wird (s. Elias/Scotson 1993: 248f.): „Was man ‚Rassenbeziehungen‘ nennt, sind also im Grunde EtabliertenAußenseiter-Beziehungen eines bestimmten Typs. Dass sich die Mitglieder der beiden Gruppen in ihrem körperlichen Aussehen unterscheiden oder dass eine von ihnen die Sprache, in der sie kommunizieren, mit einem anderen Akzent und anderer Flüssigkeit spricht, dient lediglich als ein verstärkendes Schibboleth, das die Angehörigen der Außenseitergruppe leichter als solche kenntlich macht.“ (Elias 1993: 26)
Elias problematisiert vor diesem Hintergrund dezidiert eine in den Sozialwissenschaften verbreitete Sichtweise, die soziale Konflikte mit dem Verweis auf ‚rassische‘, ‚ethnische‘ und ‚kulturelle‘ Unterschiede interpretiert und so in der Analyse verkennt, dass Konflikte zwischen sozialen Gruppen Resultat von Machtungleichgewichten und Machtkämpfen sind, die durch ethnisierende und rassialisierende Ideologien nachträglich Legitimation erfahren: „Es scheint, dass Begriffe wie ‚rassisch‘ oder ‚ethnisch‘, die in diesem Zusammenhang sowohl in der Soziologie als auch in der breiteren Gesellschaft weithin gebraucht werden, Symptome einer ideologischen Abwehr sind.“ (Elias 1993: 26)
So bietet das Etablierten-Außenseiter-Paradigma als theoretisches Modell zwar in instruktiver Weise einen Kontrapunkt gegenüber ethnisierenden und rassialisierenden Beschreibungen von sozialen Verhältnissen im sozialwissenschaftlichen Diskurs; es steht jedoch auch in einem deutlichen Spannungsverhältnis zu solchen Ansätzen in der neueren Ungleichheitsforschung, die auf der Grundlage der Kritik an der klassischen Ungleichheitsforschung und ihrem exklusiven Fokus auf Klassen bzw. Schichten die sozial-strukturelle Relevanz der Kategorie
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Ethnizität betonen und deren Berücksichtigung als eigenständige Strukturkategorie fordern (s. dazu Kapitel 4). In seinen nachträglich zur empirischen Studie verfassten Reflexionen zur Theorie von Etablierten-Außenseiter-Beziehungen und in seinem erst 1990 entstandenen Nachwort zu ‚Etablierte und Außenseiter‘ sowie in seinen ‚Notizen zum Lebenslauf‘ (1984) nennt Elias zahlreiche soziale Konstellationen, die sich als typische Etablierten-Außenseiter-Figurationen beschreiben lassen und in denen folglich das mit dem konkreten Fall von Winston Parva herausgearbeitete „empirische Paradigma“ potentiell Anwendung finden kann: „Männer und Frauen, Regierungen und politische Parteien, Dutzende von Gruppen, die wir durch ihre „ethnische“ Herkunft zu kennzeichnen pflegen, waren und sind in vielen Gesellschaften als Etablierte und Außenseiter verflochten.“ (Elias 1993: 294)
Zudem beschreibt er das Verhältnis von Juden und Nicht-Juden in Deutschland seit dem Kaiserreich als typisches „Etablierten-Außenseiter-Problem“ (Elias 1984: 49) und nennt an anderer Stelle auch das Verhältnis zwischen Arbeitern und Unternehmern, Kolonisierten und Kolonialmächten als Beispiele (s. Elias 1977a: 130). In Anbetracht dieser Ausdehnung des anhand der lokal begrenzten mikrosoziologisch ansetzenden Winston-Parva-Studie erworbenen EtabliertenAußenseiter-Modells auf die Analyse makrosoziologischer Ungleichheitsphänomene ist in der an Elias anschließenden Diskussion die Frage nach der Legitimität einer derartigen Übertragung aufgeworfen worden: „By overlooking the gap between the role and mode of cohesion in small groups vs large groups, Elias falls into the very trap of the micro-macro gap he so vigorously tries to bridge with his figurational approach.“ (May 2004: 2169)
Hier stellt sich jedoch die Frage, ob eine Kritik, die Elias vorwirft, dass er seine aus face-to-face-Interaktionen abgeleitete Mikrostudie in problematischer Weise auf makrosoziologische Zusammenhänge überträgt, nicht die Komplexität seiner theoretischen Argumentation tendenziell unterschätzt. Zum einen muss hier der erkenntnistheoretischen Anlage des Figurationsansatzes Rechnung getragen werden, insofern sich die durch die Soziologie selbst geschaffene Kluft, die Elias zu überbrücken versuchte, zwischen den Kategorien Individuum und Gesellschaft bzw. zwischen Sozio- und Psychogenese (s. Elias 1978) entsteht und weniger zwischen Mikro- und Makrosoziologie; zum anderen lässt sich vor diesem Hintergrund die These formulieren, dass die Winston-Parva-Studie als eine mikrosoziologisch ansetzende empirische Spezifizierung eines explizit die jeweiligen soziohistorischen Bedingungen berücksichtigenden soziologischen Figurations- und Prozessmodells verstanden werden kann. Dieser letztgenannte Aspekt erschließt sich, wie im Weiteren zu zeigen sein wird, anhand der von Elias
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selbst vorgenommenen Übertragungen des Etablierten-Außenseiter-Modells, die deutlich auf die makrosoziologisch je spezifischen Kontextbedingungen der beschriebenen Figurationsprozesse verweisen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, was das übergreifende Moment der von Elias als Etablierten-Außenseiter-Figurationen fokussierten Beziehungen darstellt und was es ihm erlaubt, die Dynamiken und Problematiken, die sich mit diesem Beziehungstypus herstellen, als „universal-menschliches Thema“ (Elias 1993: 7) zu fassen. Wie Elias schreibt, handelt es sich im Fall dieser Etablierten-AußenseiterFiguration um ein „standardisierte[s] empirische[s] Modell“, das als analytische Grundlage fungiert, um die „strukturellen Ähnlichkeiten und Differenzen“ verschiedener Figurationen erklären zu können (Elias 1993: 294). Nach Elias und Scotson ist für den Figurationsprozess in Winston Parva charakteristisch, dass „Machtdifferentiale aus Kohäsionsdifferentialen“ resultieren, d.h. aus der schlichten Tatsache, dass auf dem Gemeindegebiet seit mehreren Generationen Familien lebten, die eine lokale „Lebensweise“ und einen „Normenkanon“ ausgebildet haben (Elias 1993: 16), sodass die Etabliertengruppe über ein entwickeltes Kohäsionspotential verfügte, das es ihr ermöglichte, die Zugezogenen als Außenseiter zu behandeln, sie durch Stigmatisierungen abzuwerten und einer niedrigeren Statusposition zuzuweisen. Elias argumentiert weiter, dass der Bedeutung von „Kohäsions- und Integrationsdifferentiale[n] als Aspekte von Machtdifferentialen“ (Elias 1993: 16) bislang nicht genügend Beachtung geschenkt worden sei, sich jedoch „mühelos andere Beispiele“ finden ließen. Anhand Elias vergleichender Diskussion unterschiedlicher EtabliertenAußenseiter-Figurationen wird deutlich, dass das für den am konkreten Fall von Winston Parva herausgestellte Machtdifferential des ‚soziologischen Alters‘ in dem Moment in Reinform hervortritt, in dem keine sozio-ökonomisch verankerten bzw. keine rechtlich kodifizierten Ungleichheiten und damit staatlich geschützten Machtdifferentiale wirksam werden. So betont Elias etwa, dass die formalrechtliche Gleichstellung der ehemaligen Sklaven in den Südstaaten der USA nicht zu einer sozialen Gleichheit geführt hat, sondern zu einer Verschärfung der diskriminierenden Distinktionsbemühungen bei den „Nachfahren“ der ehemaligen „Sklavenhalter“, die ihr Gruppencharisma bedroht sahen: „Darum wird die Welle der Gegenstigmatisierung, sobald sich im MachtbalanceKampf die Disparität der Machtraten zu vermindern beginnt, merklich stärker.“ (Elias 1993: 17).
Mit anderen Worten setzt der Kampf um die Wiederherstellung des Machtdifferentials seitens der ‚Weißen‘ gerade deshalb ein, weil es durch staatsbürgerliche Emanzipation der ‚Schwarzen‘ prekär geworden ist und an die Stelle des vormals stabilen Sklaven-Sklavenhalter-Gefüges tritt ein Prozess der erneuten Fi-
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gurierung auf Grundlage des ‚Kohäsionsdifferentials‘ der weißen Bevölkerungsschichten. In seinem 1990 verfassten Nachwort zu ‚Etablierte und Außenseiter‘ vergleicht Elias den Figurationsprozess in der englischen Kleinstadt Winston Parva mit demjenigen der Südstaatengemeinde ‚Maycomb‘, wie sie in Harper Lees Roman ‚To kill a Mockingbird‘ dargestellt wird. Maycomb wird von Elias als ein lokaler sozialer Raum geschildert, dessen vormals herrschende Machtbalancen gerade durch die rechtliche Gleichstellung und die damit verbundene soziale Emanzipation der afroamerikanischen Einwohner ins Wanken geraten ist. Elias akzentuiert im Vergleich der beiden Gemeinden zwei Momente: x
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die Bedeutung des „sozialen Alters“ in Hinblick auf die Elitenbildung innerhalb der Etabliertengruppen, insofern man „in beiden Fällen (…) eine größere Etabliertengruppe [hat], aus der eine kleinere Führungsschicht hervorragt“ (Elias 1993: 299); die zentrale Rolle, die die staatliche Legitimierung der ungleichen Verfügung über physische Gewaltmittel im Fall Maycombs spielt, während in Winston Parva „das Recht einen unparteiischen Vater repräsentiert“ (Elias 1993: 304).
Der erste Aspekt bezieht sich im Fall Maycomb auf den Einfluss der „alten Familien“ innerhalb des lokalen „Kastensystems“, in dem die städtische Führungsschicht von den „Bauern der Umgegend“ unterstützt wurde, die dadurch ihrerseits – ebenso wie „blutarme Weiße“ - zum Establishment zählten (Elias 1993: 299f.). In beiden Fällen haben die diskriminierenden Praktiken der Mitglieder der jeweiligen etablierten Gruppe einen egalisierenden Effekt, der sich verstärkend auf die Binnenkohäsion auswirkt. Der zweite Aspekt stellt hingegen nach Elias tatsächlich das zentrale Unterscheidungskriterium der beiden Gemeinden dar: Der entscheidende Faktor dafür, dass das Töten eines „schwarzen Mannes“ in Maycomb als keine „große Sache“ angesehen wurde, war, wie Elias herausstellt, „dass die Weißen die Schwarzen nicht im selben Sinne als Menschen betrachteten wie sich selbst“. Diese Haltung ist ein Relikt der „Sklavenhalterstaaten Amerikas“, in der die „Monopole der physischen Gewalt und der Gunst weißer Frauen unabdingbare Ingredienzen der Selbstachtung weißer Männer“ waren (Elias 1993: 304). Anders als in Winston Parva gilt hier nicht das „soziologische Alter“ als zentraler analytischer Bezugspunkt der Intergruppenfiguration, sondern der gewalttätige rassistische Habitus des weißen Sklavenhalters sowie dessen ideologische Legitimierung im geltenden Recht, das den Afroamerikanern das Tragen von Waffen verbietet:
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„Tatsächlich lässt sich die Struktureigentümlichkeit Amerikas, die auf den ersten Blick als ein Rassenproblem erscheinen mag, nur als Staatsproblem wirklich begreifen.“ (Elias 1993: 303)
Die rechtlich legitimierte rassistische Gewalt, getragen von der ‚weißen‘ ungebildeten und armen Unterschicht, dient im Fall Maycombs dazu, die Binnenkohäsion des ‚weißen‘ Establishments und damit das Machtdifferential gegenüber den afroamerikanischen Einwohnern über die immanenten sozioökonomischen Grenzen hinweg wiederherzustellen: „In dieser Hinsicht spielte Reichtum als legitimierender Faktor der sozialen Überordnung in Maycomb - wie in Winston Parva - eine bemerkenswert geringe Rolle.“ (Elias 1993: 300)
Somit stellt Winston Parva das Modell einer rein ‚zivilgesellschaftlichen‘ Figuration auf der Grundlage von Kohäsionsdifferentialen dar, während in Maycomb durch das institutionalisierte Privileg des Waffentragens, d.h. auf Grundlage eines rechtlich kodifizierten Machtdifferentials, ein Zivilisationsgrad vorherrschte, der im England der 1960er Jahre längst überwunden war: „Das Modell der Etablierten-Außenseiter-Beziehung in Winston Parva ist erstaunlich frei vom Gebrauch physischer Gewaltmittel. Verglichen damit steht das Maycomb-Modell für eine andere Entwicklungsstufe der Organisation und Regulierung physischer Gewalt.“ (Elias 1993: 303)
Der Vergleich zwischen Winston Parva und Maycomb zeigt damit deutlich, dass die vollkommen unterschiedlichen staatlichen Entwicklungen und rechtlichen Traditionen in den Südstaaten der USA in den 1930er Jahren und im England der 1960er Jahre zu je spezifischen Formen der Etablierten-AußenseiterFiguration und zu unterschiedlichen Diskriminierungspraktiken führten: In Winston Parva fehlte nicht nur die staatliche Legitimierung der Ausübung der physischen Gewalt durch die Etablierten, es fehlte ebenso das bereits durch staatliche Regulierungen ‚dehumanisierte‘ Objekt, an das sich explizit rassistische Ressentiments anschließen konnten. In einer weiteren Hinsicht - die Elias allerdings nicht thematisiert - lässt sich eine grundlegende Differenz zwischen den beiden Gemeinden aufweisen: Im Gegensatz zu den Außenseitern in Winston Parva, die nicht nur keine gruppentypischen Differenzierungen gegenüber den etablierten Arbeitern, sondern ebenso keine vorgängigen Bindungen untereinander aufwiesen, verfügten die afroamerikanischen Einwohner Maycombs bereits über eine Binnenkohäsion, die ihrerseits nicht unabhängig von der Geschichte ihrer Familien als Sklaven gesehen werden kann. In Winston Parva wird das Binnengefüge der etablierten Arbeitergruppe durch den Zuzug neuer Familien gestört, d.h. durch eine Veränderung im horizontalen sozialräumlichen Gefüge; in Maycomb zeigen sich dagegen die Folgen der Emanzipation der vormals nicht zur Gesellschaft zählenden
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Gruppe der bereits seit langem vor Ort lebenden afroamerikanischen Einwohner, d.h. eine Veränderung im vertikalen sozialen Gefüge, das die Position der weißen Unterschichten prekär werden ließ – und gerade dies führt zu einem Konflikt. Vor dem Hintergrund dieser vergleichenden Analyse lässt sich folglich zeigen, dass mit Elias makrosoziale Ungleichheitsstrukturen – wie das staatlich geregelte Privileg auf physische Gewalt oder die soziohistorische Verankerung der Sklavenhalterkultur in der Alltagsideologie der weißen Bevölkerungsschichten der Südstaaten der USA - hochgradig Einfluss nehmen auf lokale, d.h. mikrosoziale Figurationsprozesse. Das bedeutet nicht zuletzt, dass das „soziologische Alter“ in Winston Parva zwar als maßgeblicher Faktor der EtabliertenAußenseiter-Figuration herausragt – allerdings eingebettet in spezifische soziohistorische Figurationsprozesse sowohl auf lokaler wie auf staatlicher Ebene. Eine analytische Anwendung des Etablierten-Außenseiter-Modells setzt folglich eine Rekonstruktion der spezifischen Ausgangsbedingungen der beobachteten Figurationen voraus. D.h. letztlich, dass auch die mikrosoziologischen Phänomene, die anhand der Winston Parva-Studie analysiert werden konnten, an eine makrosoziologisch ausgerichtete soziohistorische Kontextualisierung auf Grundlage des prozesstheoretischen Zivilisationsmodells rückgebunden sind. Vor diesem Hintergrund ist das am Fall von Winston Parva entwickelte, voraussetzungsarm gefasste Modell, das in durchaus instruktiver Weise die nicht auf vorgängige Ideologien zurückgehende Soziogenese und performative Hervorbringung von Vorurteilen zu beschreiben versucht, von MehrheitenMinderheiten-Beziehungen zu unterscheiden, für die ein Konstruktionsprozess auf der Grundlage ethnisierender, rassialisierender und kulturalisierender Zuschreibungen, d.h. eine Referenz auf verfügbare Ideologien und Diskurse und damit - in Elias Terminologie - eine ‚diachronische Dimension‘ kennzeichnend ist. Die Annahme, dass Vorurteile sich in erster Linie performativ aus einer konkreten sozialen Konstellation heraus generieren, gewinnt ihre Plausibilität im Kontext des auf direkten Interaktionsbeziehungen beruhenden Modells von Winston Parva. Was Elias im Fall von Winston Parva folglich vorfand, war eine in figurationstheoretischer und prozesssoziologischer Hinsicht besondere Forschungssituation: Es ließen sich dort die unmittelbaren Folgen einer Emergenz ungleichheitsgenerierender und ungleichheitslegitimierender Vorurteilsstrukturen und Ideologien auf Grundlage eines spezifischen Figurationsprozesses nachzeichnen. Die von Elias beschriebene Soziodynamik der Stigmatisierung und Diskriminierung als der Genese von Vorurteilen vorgängige Praxis ist allerdings insofern von allgemeiner Bedeutung für die Vorurteils- und Diskriminierungsproblematik, als damit darauf hingewiesen wird, dass sich rassistische, nationalistische und ethnisierende Deutungs- und Interpretationsmuster nicht als von
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den konkreten sozialen Beziehungen, Ungleichheitsverhältnissen und Diskriminierungspraktiken sowie staatlichen Regulierungen unabhängige, invariante Ideologien darstellen. Vielmehr sind Ideologien (und hier insbesondere auf der Ebene von Alltagsideologien), so ließe sich an Elias anknüpfen, deshalb sozial wirksam, insofern und weil sie aus je spezifischen historischen Entwicklungen sozialer Figurationen stammen. Vor diesem Hintergrund können auch die sozialpsychologischen Anleihen, die von Elias ins Spiel gebracht werden, nicht jenseits ihrer Referenz auf historische spezifische Figurationen adaptiert werden. So stellt Elias im Nachwort zu seiner Untersuchung als grundlegendes Charakteristikum heraus, „dass eine Gruppe eine andere von Macht- und Statuschancen ausschließt, dass sie diese Chancen für sich zu monopolisieren vermag“ (Elias 1993: 305). Zur Erklärung des für die Etablierten-Außenseiter-Figuration zentralen Aspekts, der darin besteht, dass sich die Etablierten durch stigmatisierende und diskriminierende Praktiken als Menschen mit höherwertigen Eigenschaften positionieren können, greift Elias auf sozialpsychologische Erklärungsmodelle zurück, die auch hier eine gewisse Analogie zu Tajfels Theorie der „sozialen Identität“ aufweisen: So wie Tajfel davon ausgeht, „dass ein Individuum, zumindest in unserer Gesellschaftsform, nach einem zufriedenstellenden Selbstkonzept oder Selbstbild strebt“ (Tajfel 1982: 101) und den Beitrag der Gruppenidentifikationen und abgrenzungen bei der Konsolidierung eines positiven Selbstwertgefühls betont, spricht Elias von einem „nie gestillten menschlichen Bedürfnis nach einer Erhöhung der Selbstachtung, nach einer Verbesserung des Marktwerts der eigenen Person oder eigenen Gruppe“ (Elias 1993: 307). In beiden Argumentationen wird dabei ein Primat des Sozialen - oder wie man mit Elias sagen müsste, soziohistorisch spezifischer Figurationen - gegenüber den individuellen Dispositionen deutlich, die sich als gesellschaftsspezifisches ‚Selbstkonzept‘ und ‚Selbstbild‘ in der Diktion Tajfels oder als ‚Selbstachtung‘ und personaler oder gruppentypischer ‚Marktwert‘ – wie beim Habitus92 der ‚weißen‘ Unterschichten in Maycomb - bei Elias artikulieren. Hinsichtlich der Frage, ob und inwiefern das von Elias und Scotson entwickelte Winston-Parva-Modell eine hinreichende theoretische Grundlage für die Beschreibung der bundesdeutschen Einwanderungsgesellschaft bereitzustellen in der Lage ist, bedeuten diese instruktiven Vorgaben nicht zuletzt, dass eine Analyse der Soziogenese möglicher Etablierten-Außenseiter-Figurationen zum einen von den konkreten sozio-historischen Bedingungen auszugehen hat, zum 92 Elias Habitusmodell beansprucht bereits die in den Sozialwissenschaften problematische Unterscheidung von Mikro- und Makroprozessen zu überwinden. Gegen eine sozialpsychologische Lesart, die strukturbildende Prozesse auf psychische Determinationen zurückführen will, argumentiert Elias im Rahmen seiner Habituskonstruktion auf der Grundlage einer Vorrangigkeit sozialer Figurationen, die in Hinblick auf die sozialisatorische Psychogenese einen primären Status einnehmen.
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anderen jedoch auch, dass die Erklärungskraft des Modells selbst fallspezifisch zu verifizieren ist. Vor diesem, mit Elias verfügbaren theoretischen Hintergrund werden Beschreibungen der Einwanderungsgesellschaft, die von der Existenz ethnisch differenzierter Einwanderergruppen ausgehen, erklärungsbedürftig, insofern die soziale und rechtliche Geschichte der Bundesrepublik als Einwanderungsland als maßgeblich für die spezifische nationale Figuration und damit Konstitution von sozialen Gruppen entlang der Klassifikation ‚Ethnizität‘ angenommen werden muss. Mit dem voraussetzungsarm gestalteten Etablierten-AußenseiterKonzept liegt eine Perspektive vor, mit der der spezifischen Situation einer Einwanderungsgesellschaft Rechnung getragen werden kann und Gruppenfigurationen differenziert beschreibbar gemacht werden können.93 Gegenüber Ansätzen, die nach dem Schema Deutsche/Ausländer, Migranten/Einheimische usw. verfahren, liegt der Vorteil des Etablierten-AußenseiterSchemas auch darin, Soziodynamiken sichtbar machen zu können, die das soziale Beziehungsgefüge nicht nur auf die abstrakte Unterscheidung zwischen einer ‚deutschen‘ Mehrheit und minoritären Einwanderergruppen reduziert, sondern bis hinunter auf die lokale sozialräumliche Figuration die Genese von inhomogenen ‚Gruppen‘ empirisch beschreibbar machen kann.
93 Annette Treibel greift das von Elias im Fall von Winston Parva herausgearbeitete ausschlaggebende Kriterium der Kohäsion bzw. des soziologischen Alters auf und wendet dies auf die Migrationsgeschichte der Bundesrepublik an: „Ist das soziologische Alter [...] einer Gruppe relativ niedrig und kann man sie außerdem ethnisieren [...], so lässt sich die Abwehr der Einheimischen geradezu prognostizieren. So ist die Rede vom sog. Türkenproblem in der Bundesrepublik der 80er Jahre nicht überraschend, wenn man bedenkt, dass die Türkinnen und Türken die ‚jüngste‘ Gruppe der Angeworbenen (also diejenigen mit dem niedrigsten soziologischen Alter) und gleichzeitig die größte Gruppe waren und sind.“ (Treibel 1999: 217) Unabhängig von der zu prüfenden Plausibilität dieser unmittelbaren Übertragung des Kriteriums des ‚soziologischen Alters‘ auf die differenzierte Beschreibung der Situation unterschiedlicher Migranten’gruppen‘ bleibt hier jedoch das von Elias eingeforderte kontextspezifisch zu entwickelnde Analysepotential des ‚Etablierten-AußenseiterModells‘ nicht vollständig ausgeschöpft.
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Zwischenbetrachtung: Jenseits des Gruppenparadigmas Soziogenese asymmetrischer Gruppenbeziehungen und strukturelle Ungleichheiten
Wie in der vorangehenden Diskussion klassischer Ansätze einer soziologischen Theoretisierung asymmetrischer Gruppenbeziehungen deutlich wurde, ist die Frage, unter welchen sozio-historischen Bedingungen die Beschreibung von Gesellschaft entlang der Unterscheidung ethnisch gefasster Gruppen Plausibilität erlangen kann, auf Grundlage der interaktionistischen, sozialphänomenologischen und figurationstheoretischen Theorieprämissen dann nicht hinreichend beantwortbar, wenn auf die über symbolische, sinnvermittelte oder machttheoretisch begründete soziokulturelle Ordnungsschemata hinausgehende Kontextualisierung von Prozessen der Gruppenkonstitution und ihrer sozialstrukturellen Voraussetzungen verzichtet wird. Aus den Analysen Blumers, Schütz und Elias kann der Schluss gezogen werden, dass die Beschreibungsmatrix race oder Ethnizität selbst soziologisch nicht als Strukturkategorie verstanden werden kann. Insbesondere Blumer hat eingewandt, dass die ‚Fluidität‘ von Gruppenkohäsionen und Intergruppenbeziehungen ihre Reformulierung als relativ invarianten Strukturtypus ausschließt. Sowohl Blumer als auch Schütz und Elias weisen in ihren Auseinandersetzungen mit diesem Problem jedoch auf gesellschaftliche Entwicklungen hin, die über das ‚Gruppenparadigma‘ hinausgehen und wesentlich den Bereich dessen berühren, der gemeinhin unter strukturtheoretischen Gesichtspunkten thematisiert wird: Kolonialismus, Sklaverei, Industrialisierung, Massenpauperisierung, staatliche und rechtliche Traditionen. Mit anderen Worten verweisen diese Momente einer die soziale Gruppe transzendierenden Sozialität auf die (globale) Soziogenese von Macht- und Ungleichheitsverhältnissen. Für eine gesellschaftstheoretische Rückbindung der Diskriminierungsthematik sind die im vorangehenden Kapitel diskutierten Analysen insofern instruktiv, als Diskriminierungen in Anschluss an Blumer, Schütz und Elias als auf imaginäre Einheiten bezogene, in die Soziogenese asymmetrischer Gruppenziehungen eingelassene Unterscheidungspraktiken gefasst werden können, die zu Benachteiligungen führen. Aufgezeigt werden kann damit, dass race relations, Mehrheiten-Minderheiten-Beziehungen, Etablierten-Außenseiter-Beziehungen ihre Plausibilität als beschreibbare soziale Sachverhalte nicht unabhän-
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gig von diskriminierungsrelevanten Klassifikationen und Praktiken gewinnen, die solche Konstellationen hervorbringen. Vor diesem Hintergrund ergibt sich jedoch nicht nur das Desiderat einer systematischen Kategorienunterscheidung und der Differenzierung der an basalen Unterscheidungen ansetzenden Diskriminierungsprozesse; darüber hinaus führt dies zu einem Klärungsbedarf hinsichtlich des für die Analyse von Diskriminierungen bedeutsamen Zusammenhangs zwischen ordnungsstiftenden Klassifikations- und Gruppenkonstruktionsprozessen, die mit diskriminierungsrelevanten Unterscheidungen einhergehen, und politischen, sozio-ökonomischen und rechtlichen Macht- und Ungleichheitsverhältnissen, in denen diskriminierungsrelevante Unterscheidungen eine strukturelle Verankerung aufweisen. Die klassische soziologische Ungleichheitsforschung hat jedoch die Diskriminierung von MigrantInnen und Minderheiten bis vor kurzem weitgehend als Randthema verhandelt und bezieht diese nicht als eigenständige Problematik systematisch in ihre Analysen ein. Klassische Ungleichheitstheorien operieren dabei mehr oder weniger mit der modernisierungstheoretischen Annahme, dass ethnisierende Differenzierungen zunehmend an Relevanz verlieren und räumen daher der Kategorie der Ethnizität und der Frage der Diskriminierung aufgrund ethnisierender Unterscheidungen keinen systematischen Stellenwert ein. Thematisiert wird die Bedeutung von ‚Ethnizität‘ und ‚race‘ hingegen weiterhin vor allem in der sozialpsychologischen Vorurteilsforschung und in der sozialwissenschaftlichen Rassismusforschung bzw. in der Theoriebildung zu race- and ethnic relations (s. dazu als Übersicht Bader 1995: 15f.; Bös 2005). Diese ‚Arbeitsteilung’ und die darin generierten unterschiedlichen Gegenstandsbereiche setzen sich auch in der jeweils gewählten Terminologie fort: Die Ungleichheitsforschung operiert mit dem Ungleichheitsbegriff, die Vorurteils- und die Rassismusforschung mit dem Diskriminierungsbegriff - ohne dass geklärt wäre, ob eine solche Unterscheidung nur Folge einer konventionalisierten Semantik ist oder sich durch den Gegenstand legitimiert und somit sachlich begründet ist. Vor dem Hintergrund der Kritik der modernisierungstheoretischen Annahme eines zunehmenden Bedeutungsverlusts ethnisierender Unterscheidungen liegen jedoch mittlerweile verschiedene Ansätze zur Reformulierung von Ungleichheitstheorien vor, die versuchen, die gesellschaftsstrukturelle Bedeutung von Ethnizität zu bestimmen und systematisch in die Theoriebildung zur sozialen Ungleichheit zu integrieren. Dabei findet auch die Kategorie der Diskriminierung in einem allgemeinen Sinn Verwendung: Es werden damit Formen der politischen, rechtlichen und ökonomischen Benachteiligungen bezeichnet, die sich nicht aus Ungleichheitsverhältnissen zwischen Klassen und Schichten deduzieren lassen und sich mit ideologischen Konstruktionen ungleicher und ggf. ungleichwertiger Gruppen verbinden. So wurde in Teilen der soziologischen Ungleichheitsforschung bereits seit Mitte der 1970er Jahre wiederkehrend die Notwendigkeit betont, die Analyse
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insbesondere geschlechtsbezogener und ethnisierender, aber auch alters- und milieubezogener Diskriminierungen systematisch in die Ungleichheitsforschung einzubeziehen. Diese wurden in der Folge als „soziale Diskriminierung bestimmter Personengruppen“ (Vester/Gardemin 2001: 250), als „nicht-vertikale Ungleichheiten“ (Kreckel 2004: 18), „askriptive“ oder „allokative Ungleichheiten“ (Bader/Benschop 1989: 16ff.), als „horizontale Disparitäten“ (s. dazu Schwinn 2004: 11) zum Thema und zusammenfassend unter dem Label „neue soziale Ungleichheiten“ oder auch „neue soziale Frage“ diskutiert (s. dazu Vester/Gardemin 2001: 250). Reinhard Kreckel exponiert dabei als grundlegende Schwierigkeit, dass eine systematische Berücksichtigung etwa rassistisch oder religiös begründeter Diskriminierung und geschlechts- oder altersbezogener Ungleichheiten daran scheitere, dass soziale Ungleichheit in gängigen Theorien auf der Grundlage vertikal konstruierter Gesellschaftsmodelle konzipiert werde, mit denen eine theoretisch konsistente Thematisierung der damit bezeichneten Phänomene nicht möglich sei (s. Kreckel 1987: 93ff., 2004: 18). Während von Kreckel wiederkehrend die Diagnose eines Forschungsdesiderats in Hinblick auf die Integration von als „nicht-vertikal“ oder „horizontal“ verstandenen Ungleichheiten in die soziologische Ungleichheitsforschung gestellt wird, wird in neueren, einflussreichen Ansätzen angestrebt, „Geschlecht“ und „Ethnizität“ als „kulturelle Klassifikationen“, aber als gleichwohl „eigenständige und vertikale Dimensionen sozialer Ungleichheit“ (Weiß/Koppetsch/Scharenberg/Schmidtke 2001: 11; Hervorhebung U. H.) zu konzipieren. Damit wird an Forschungstraditionen in der Geschlechterforschung einerseits, der Rassismusforschung andererseits angeknüpft, mit denen die gesellschaftsstrukturierende, d.h. gegenüber Klassenverhältnissen keineswegs nachrangige oder nur akzidentielle Bedeutung von Geschlechts- und Ethnizitätskonstruktionen akzentuiert wird. In einer solchen Konzeption zeichnet sich jedoch die Tendenz ab, den Unterschied zwischen zum einen ungleichen sozial-strukturellen Positionierungen, wie sie mit der Kategorie der Klasse oder auch der Staatsbürgerschaft bezeichnet werden, zum anderen geschlechtsbezogenen oder ethnisierenden Gruppenkonstruktionen, die für die Zuweisung zu strukturell ungleichen Positionen im sozialen Gefüge potentiell Relevanz erhalten, zu nivellieren (zu dieser Unterscheidung s. Bader/Benschop 1989: 42f.). Zwar ist die in den beschriebenen Ansätzen zum Tragen kommende Kritik an der Ausblendung von Geschlechterund Ethnizitätskonstruktionen als Faktoren sozialer Ungleichheit damit genauso wenig obsolet wie die Frage, ob Klassentheorien aktuell noch eine hinreichend komplexe Beschreibung von Allokations- und Vergesellschaftungsprozessen liefern können. Zu fragen wäre, in welcher Hinsicht diese Problematik im Rahmen eines Programms bearbeitet werden kann, das beabsichtigt,
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Jenseits des Gruppenparadigmas
„unterschiedliche Dimensionen sozialer Ungleichheit, vor allem rassistische, klassenspezifische, geschlechtsspezifische Ungleichheit in ein allgemeines Modell zu integrieren und verallgemeinerbare Aussagen über die Reproduktion kultureller Klassifikationen im Medium symbolischer Auseinandersetzungen zu gewinnen.“ (Weiß/Koppetsch/Scharenberg/Schmidtke 2001: 22; Hervorh. U. H.).
Die dabei zugrunde gelegte Konzeption von ‚Klasse‘, ‚Geschlecht‘ und ‚Ethnizität‘ bzw. ‚Rasse‘ als je eigenständige Variationen sozialer Ungleichheitsverhältnisse korrespondiert mit der in verschiedenen Theoriekontexten aktuell verbreiteten Forderung, diese als gleichrangige Strukturkategorien systematisch in Gesellschaftsanalysen zu integrieren. In einem neueren Beitrag zur Theoretisierung des Verhältnisses von „Klasse, Geschlecht, ‚Rasse‘/Ethnizität“ kommen Cornelia Klinger und Gudrun-Axeli Knapp hinsichtlich des deutschsprachigen Forschungsstandes zu der Einschätzung, dass „sich zur Beschreibung der Diskussionslage in der Gesellschaftstheorie sagen [lässt], dass die Kategorien Klasse, ‚Rasse‘/Ethnizität und Geschlecht bislang mit sehr unterschiedlichem Gewicht und noch nie in einer systematisch integrierten Perspektive verhandelt wurden“ (Klinger/Knapp 2005: 83). Den Autorinnen zufolge bietet die unter dem Stichwort „intersectionality“ firmierende anglo-amerikanische Forschung diesbezüglich insofern weiterführende Perspektiven, als hier die „Trias“ von „Class, Gender, Race“ nicht lediglich additiv, sondern in Hinblick auf Überschneidungen und Interdependenzen theoretisiert wird. Grenzen weist die amerikanische Debatte Klinger und Knapp zufolge allerdings dahingehend auf, dass „mikro- bis mesotheoretische Aspekte von Identität und Diskriminierung“ im Vordergrund der Analysen stehen, „während die auf der programmatischen Ebene vorausgesetzten gesellschafts- bzw. makrotheoretischen Perspektiven auf Achsen der Ungleichheit eher selten in den Blick rücken“ (Klinger/Knapp 2005: 87). Eine fundierte Analyse des Verhältnisses von „Klasse, Geschlecht und ‚Rasse‘/Ethnizität“ steht, so bilanzieren die Autorinnen, immer noch aus und „stellt methodologisch und (gesellschafts)theoretisch ein Novum dar, dem es erst noch gerecht zu werden gilt“ (Klinger/Knapp 2005: 88). Die damit seit nunmehr über zwanzig Jahren mit je unterschiedlicher Akzentuierung formulierte und bislang nicht eingelöste Forderung, Klasse, Geschlecht, Ethnizität als gesellschaftliche Strukturkategorien in ihrem wechselseitigen Zusammenhang im Kontext einer als Makro-Analyse angelegten Großtheorie zu bestimmen, scheint jedoch mit grundlegenden, mit den Mitteln der soziologischen Ungleichheitsforschung nicht aufzulösenden theoretischen Schwierigkeiten konfrontiert zu sein. Diese artikulieren sich, wenn die Prämisse, dass Klasse, Geschlecht und Ethnizität die „für das Verständnis der Gegenwartsgesellschaft relevanten Strukturgeber von Ungleichheit“ darstellen und damit „Verhältnisse bezeichnet [sind], die auf ebenso unterschiedliche wie nachhaltige Weise die Ungleichheitsstruktur nahezu aller Gesellschaften prägen“ (Klin-
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ger/Knapp 2005: 72), selbst nicht mehr im Rahmen des Theorieprogramms hinterfragt werden kann. Ansätzen, die Ethnizität bzw. Rasse als zwar im Verhältnis zu Klasse und Geschlecht interdependente, aber eigenständige (‚vertikale‘) Strukturkategorie zu fassen versuchen, liegt damit eine Tendenz zur Übergeneralisierung der Ethnizitätskategorie als für den gesellschaftlichen Reproduktions- bzw. Funktionszusammenhang konstitutive Unterscheidung zugrunde und führt letztlich dazu, dass den prinzipiell vielfältigen und hochflexiblen Bezugnahmen auf Kultur, Ethnizität, Religion, Staatsbürgerschaft und Klassenlage, die im Rahmen von Inklusions- und Exklusionsprozessen in der Einwanderungsgesellschaft potentiell wirksam werden, nicht hinreichend Rechnung getragen werden kann. Eine differenzierte Analyse der komplexen und heterogenen Mechanismen, die für die Positionierung von MigrantInnen im gesellschaftlichen Macht- und Ungleichheitsgefüge und für die Konstruktion und Reproduktion von Minderheiten auf der Grundlage ethnisierender und kulturalisierender symbolischer Grenzziehungen in der Einwanderungsgesellschaft kennzeichnend sind, kann auf dieser Grundlage nur begrenzt erfolgen. Für eine Analyse der Diskriminierung von MigrantInnen und Minderheiten in der Einwanderungsgesellschaft ergibt sich daraus die konzeptionelle Notwendigkeit einer Bestimmung des Zusammenhangs von Prozessen der Benachteiligung, die sich a) auf der Grundlage sozialstrukturell relevanter Unterscheidungen - wie Klassenlage und Staatsbürgerschaft - als Reproduktion sozialer Ungleichheiten und b) auf der Grundlage der sich potentiell überlagernden Diskriminierungsressourcen soziale Herkunft und zugeschriebene Ethnizität vollziehen.
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Diskriminierung auf der Grundlage von Staatsbürgerschaft, Nationalstaatlichkeit und Ethnizitätskontruktionen
In den vorangehenden Kapiteln wurde in der Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Herangehensweisen an die Diskriminierungsthematik aufgezeigt, dass eine angemessene Analyse von Formen der Diskriminierung rückverwiesen ist auf die gesellschaftstheoretische Klärung ihrer Bedingungen und Grundlagen. Denn Praktiken der Diskriminierung in Interaktionen und Inter-GruppenBeziehungen sind, wie im Vorstehenden wiederkehrend deutlich wurde, rückgebunden an sozialstrukturell verankerte Ungleichheiten und/oder tradierte Gruppenkonstruktionen sowie Vorurteile und Ideologien, die mit vorrangig auf der Ebene von Interaktionsbeziehungen bzw. Beziehungen zwischen realen Gruppen ansetzenden Theoretisierungen nicht angemessen analysiert werden können. Entsprechend weist Veit Bader daraufhin, dass auf der Interaktionsebene ansetzende soziologische Analysen in ähnlicher Weise wie sozialpsychologische Ansätze „der Gefahr ausgesetzt [sind], Prozesse für spontan zu halten, die in Wirklichkeit das Ergebnis komplexer Wechselbeziehungen von ideologischen und organisatorischen Strategien sind“ (Bader 1995: 22). Mit Theorien institutioneller Diskriminierung wird zwar versucht, dieser Problematik insofern Rechnung zu tragen, als diskriminierende Operationen in und durch Organisationen fokussiert werden und damit eine die Handlungen und Motive individueller Akteure überschreitende Dimension von Diskriminierung in den Blick gerückt wird. Aber auch diese Ansätze verweisen - wie gezeigt - in Hinblick auf die Verschränkung von organisationsinternen und organisationsexternen Bedingungen auf die Notwendigkeit einer stärkeren gesellschaftstheoretischen Rückbindung der Analyse von Formen der Diskriminierung. Eine solche kann jedoch im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht umfassend geleistet werden, denn dies würde einerseits eine Klärung des Gesellschaftsbegriffs, anderseits eine Bestimmung des Verhältnisses von Gesellschaftsstruktur und Semantik bzw. Gesellschaftsstrukturen und Ideologien voraussetzen. Damit sind grundlagentheoretische Probleme und Kontroversen der Soziologie angesprochen, die hier nicht in der Form einer systematischen Auseinandersetzung mit dafür relevanten Theorien bearbeitet werden können; sie
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Staatsbürgerschaft, Nationalstaatlichkeit und Ethnizität
sollen aber auch nicht theoriedogmatisch - also durch eine Festlegung auf eine der einflussreichen Theorieschulen94 - aufgelöst bzw. umgangen werden. Davon ausgehend, dass sich in nationalstaatlich verfassten Einwanderungsgesellschaften ökonomische, politische und rechtliche Diskriminierungen zum einen in Abhängigkeit von der Institution Staatsbürgerschaft realisieren, zum anderen einen Konnex zu ethnisierenden und kulturalisierenden Sichtweisen aufweisen, die bedeutsam werden, wenn es um die Frage der legitimen Zugehörigkeit und gleicher sozialer Teilhabe geht, sollen im Folgenden vor allem die Kategorien ‚Staatsbürgerschaft‘ und ‚Ethnizität‘ als diskriminierungsrelevante Bezugspunkte einer näheren Betrachtung unterzogen werden.95 Dazu wird zunächst in Auseinandersetzung mit soziologischen Theorien zur Bedeutung von Staatsbürgerschaft zu bestimmen versucht, weshalb und wie die Unterscheidung von Staatsbürgern und Nicht-Staatsbürgern mit strukturell verankerter Ungleichbehandlung einhergeht. Daran anschließend wird die Frage im Vordergrund stehen, in welchem Verhältnis Ethnizitätskonstruktionen zu historisch entstandenen Ungleichheiten stehen und ob diesen als sozial relevanten Unterscheidungen und Grenzziehungen in Hinblick auf Diskriminierungspraktiken eine gesellschaftsstrukturelle Bedeutung zukommt. 5.1
Staatsbürgerschaft als Diskriminierungsressource
Zentrales Thema der klassischen soziologischen Ungleichheitsforschung sind ungleiche Lebensbedingungen und Lebenschancen zwischen sozialen Klassen bzw. Schichten innerhalb nationalstaatlich verfasster Gesellschaften. In der neueren Ungleichheitsforschung liegen jedoch Ansätze vor, die in kritischer Auseinandersetzung mit der traditionellen Ungleichheitssoziologie versuchen, die Betrachtung gesellschaftlicher Ungleichheiten und Diskriminierungen an die Analyse weltgesellschaftlicher Strukturen sozialer Ungleichheiten rückzubin94 Siehe dazu insbesondere die Kontroverse zwischen differenzierungstheoretischen und ungleichheitstheoretischen Gesellschaftstheorien sowie die Kontroversen um eine angemessene Bestimmung des Verhältnisses von Gesellschaftsstruktur und Kultur. Zu neueren Versuchen der Verknüpfung von sozialen Ungleichheitstheorien und Differenzierungstheorien s. Schwinn 2004. 95 Dass die Benachteiligung von MigrantInnen und Minderheitenangehörigen nicht unabhängig von der Reproduktion sozioökonomischer Ungleichheitsverhältnisse analysiert werden kann, ist in Theorien sozialer Ungleichheit (s. Geißler 1996: 214ff. und 2006: 231ff.) und innerhalb der Migrationsforschung (s. etwa Hoffmann-Nowotny 1970; Heckmann 1992; Treibel 1999) übereinstimmend aufgezeigt worden. Auch die damit fokussierte Benachteiligung von MigrantInnen und Minderheiten als Angehörige sozial benachteiligter Schichten und Milieus, die, wie gezeigt, auch zentral in Rechnung zu stellen ist, wenn es um die Analyse der Bildungsbenachteiligung von Kindern mit Migrationshintergrund geht, soll im Weiteren keiner eigenständigen Betrachtung unterzogen werden. Vielmehr soll es um darüber hinausreichende diskriminierungsrelevante Bezugspunkte gehen, die spezifisch in der Einwanderungsgesellschaft zum Tragen kommen.
Staatsbürgerschaft als Diskriminierungsressource
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den. So formuliert Reinhard Kreckel als Postulat, dass die „Weltgesellschaft der allgemeinste Rahmen für die Analyse von intra- und internationalen Ungleichheitsverhältnissen sein muss“ (Kreckel 2004: 320). Die Bedeutung von Staatlichkeit und Staatsangehörigkeit als eine primäre Bestimmungsgröße ungleicher Lebensbedingungen bleibt jedoch – entgegen der Prämisse Kreckels – in einflussreichen Ansätzen auch der aktuellen soziologischen Ungleichheitsforschung (s. Hradil 2004; Geißler 2006) nahezu unberücksichtigt. Im Kontext systemtheoretischer Analysen lassen sich hingegen Ansätze zu einer Rückbindung soziologischer Ungleichheitstheorie an eine Theorie der Weltgesellschaft erkennen, die auf die Bedeutung der für die moderne Gesellschaft charakteristischen segmentären Differenzierung in Staaten (s. dazu Luhmann 1997: 1045; Hahn 2000; Holz 2000) und der daraus resultierenden Bedeutung von Nationalstaatlichkeit und Staatsangehörigkeit für typische Lebensbedingungen und den Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen verweisen.96 Dabei wird akzentuiert, dass eine Analyse des nationalen Wohlfahrtsstaats als „Instrument der Inklusionsvermittlung“ (Stichweh 2004: 363) ein Verständnis von staatlichen Grenzen als „institutionalisierten Ungleichheitsschwellen“ (Stichweh 1998: 52) voraussetzt. Demzufolge ist eine Analyse von Ungleichheitsverhältnissen und Verteilungsordnungen innerhalb von Nationalstaaten darauf verwiesen, die an globale Verteilungsordnungen zwischen Staaten gebundenen Konstitutionsbedingungen moderner nationaler Wohlfahrtsstaatlichkeit mit zu berücksichtigen. Damit liegen in der systemtheoretischen Theorie Ansatzpunkte vor, die eine Beschränkung der Ungleichheitsforschung auf Verteilungsfragen innerhalb nationalstaatlich verfasster Gesellschaften nicht primär aus normativmoralischen, sondern aus analytischen Gesichtspunkten als unzureichend erscheinen lassen. Ein theoretischer Zugriff auf die Ungleichheits- und Diskriminierungsthematik kann sich vor diesem Hintergrund nicht auf die Analyse von Ungleichheitsverhältnissen zwischen Klassen und Schichten innerhalb eines Staates beschränken, sondern muss die Zugehörigkeit zu einem Staat und die Zugangsregulierung zum legalen Aufenthalt auf einem staatlichen Territorium und damit zu den Leistungen nationaler Wohlfahrtsstaaten und national regulierten Arbeitsmärkten als einen erheblichen Prädiktor für ungleiche Lebenschancen (s. UN Weltentwicklungsbericht 2006)97 systematisch berücksichtigen. 96
Dies geschieht im augenfälligen Kontrast zu der in verschiedenen Kontexten getroffenen Behauptung, die systemtheoretische Differenzierungstheorie würde eine Theorie sozialer Ungleichheiten ausschließen (s. etwa Kronauer 2002: 126ff.; Kreckel 2004: 30). 97 Was vor allem in Hinblick auf die Landbevölkerung, das städtische Subproletariat sowie die abhängigen Beschäftigen in Arbeiter-, Angestellten- und Beamtenberufen gilt, weniger für die ökonomischen und politischen Eliten, denen es gelingt, auch in benachteiligten Regionen der Weltgesellschaft für sich Bedingungen herzustellen, die denen der Eliten in privilegierten Regionen entsprechen.
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Staatsbürgerschaft, Nationalstaatlichkeit und Ethnizität
In diesem Zusammenhang situiert Rogers Brubaker die Bedeutung der Staatsbürgerschaft als zwar insofern nicht kategorial die Möglichkeit des Zugangs zu einem Staat bestimmenden Größe, als Staaten prinzipiell auch – unter ausgewiesenen Bedingungen – den Zugang von Nicht-Staatsbürgern zu ihrem Territorium vorsehen; gleichwohl dient die Staatsbürgerschaft aber als legitimer Bezugspunkt der Regulierung und Beschränkung des Zugangs zu einem Staat und der konkreten Ausgestaltung jeweiliger „administrativer Apparat[e] der Schließung“ in Abhängigkeit von demographischen, politischen und wirtschaftlichen Erfordernissen und Interessen (Brubaker 2000: 77). Daraus schlussfolgert Rogers Brubaker: „In globaler Perspektive führen die folgenreichen Auswirkungen selbst einer selektiven territorialen Schließung gegen Nichtbürger [...] dazu, dass der Staatsbürgerschaft eine Schlüsselbedeutung für den Zugang zu den wichtigsten, die Lebenschancen bestimmenden Gütern und Möglichkeiten zukommt. (Brubaker 2000: 77)
Die Bedeutung der Staatsangehörigkeit als zentraler Bezugspunkt ungleicher Lebensbedingungen wird aber nicht nur in der klassischen Ungleichheitsforschung, sondern auch in der menschenrechtlichen und politischen AntiDiskriminierungsdebatte systematisch ausgeblendet. So ist vom Grundsatz der Gleichheit aller Menschen und dem Verbot diskriminierender Ungleichbehandlung aufgrund von Geschlecht, ‚Rasse‘ und ethnischer Herkunft etc. die Ungleichbehandlung von Staatsbürgern und Nicht-Staatsbürgern ausdrücklich ausgenommen: Diesbezüglich heißt es in § 13 der ‚Richtlinie 2004/43/EG des Rates vom 29. Juni 2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft‘: „Daher sollte jede unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aus Gründen der Rasse oder der ethnischen Herkunft in den von der Richtlinie abgedeckten Bereichen gemeinschaftsweit untersagt werden. Dieses Diskriminierungsverbot sollte auch hinsichtlich Drittstaatsangehörigen angewandt werden, betrifft jedoch keine Ungleichbehandlungen aufgrund der Staatsangehörigkeit und lässt die Vorschriften über die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen und ihren Zugang zu Beschäftigung und Beruf unberührt.“
Zwar enthält der Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft ein explizites Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit98; dessen Anwendungsbereich bezieht sich jedoch nicht auf alle Drittstaatsangehörigen, sondern ausschließlich auf die Ungleichbehandlung von Staatsangehörigen und Unions-Bürgern aus anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft. Im Folgenden wird davon ausgegangen, dass eine soziologische Analyse der Diskriminierungsthematik in kritischer Auseinandersetzung mit dieser 98
s. Art. 12 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft. Amtsblatt Nr. C 325 vom 24. Dezember 2002 (konsolidierte Fassung)
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Blindstelle des politischen Antidiskriminierungsdiskurses zu entwickeln und so anzulegen ist, dass sie Staatlichkeit und Staatsangehörigkeit gerade nicht als selbstverständlich gegebene Tatsachen voraussetzt, sondern nach den Implikationen des Sachverhaltes fragt, dass Diskriminierungen unter den Bedingungen der Einwanderungsgesellschaft zentral mit der in- und exkludierenden Institution der Staatsangehörigkeit bzw. Staatsbürgerschaft verschränkt sind. 5.1.1 Staatsbürgerschaft, Staatlichkeit und funktionale Differenzierung Seit den klassischen Arbeiten von Thomas H. Marshall (1992/1949) gibt es eine Tradition der soziologischen Auseinandersetzung mit der Staatsbürgerschaftskategorie - verstanden als „spezifische Statuskonfiguration innerhalb einer Gesellschaft“ (s. Bös 2000: 96f.) -, an die auch aktuell einflussreiche Debatten und Kontroversen etwa im Kontext der feministischen Demokratietheorie (s. Young 1993) und in der Diskussion um die Notwendigkeit von spezifischen Minderheitenrechten (s. Kymlicka 2005) anschließen. Dort wird davon ausgegangen, dass nicht lediglich die Unterscheidung von Staatsangehörigen und Nicht-Staatsangehörigen für die Frage gleicher staatsbürgerlicher Teilhabe entscheidend ist und dass es zur Überwindung von gesellschaftlichen Ungleichheiten nicht genügt, eine formale Gleichstellung aller Individuen auf der Grundlage eines universell geltenden Staatsbürgerschaftsstatus anzustreben. Begründet ist dies in der Annahme, dass das „strikte Festhalten an einem Prinzip der Gleichbehandlung zu einer Verstetigung von Unterdrückung und Benachteiligung“ in dem Fall führen kann, „wo zwischen den Gruppen Unterschiede in den Fähigkeiten, der Kultur, den Werten und den Verhaltensstilen vorhanden sind, einige dieser Gruppen aber privilegiert sind“ (Young 1993: 269). Dies mündet in die Forderung nach einem gruppenspezifisch ausdifferenzierten Staatsbürgerschaftskonzept, das historisch gewordene Differenzen zwischen unterschiedenen sozialen Teilgruppen wie „Frauen“, „Homosexuellen“, „Schwarzen“ etc. berücksichtigt. Dabei bezieht sich jedoch auch diese neuere Debatte um einen „differenzierten Staatsbürgerschaftsstatus“, wie sie bei Iris Marion Young ausformuliert ist, ebenso wie die bei Will Kymlicka diskutierte Variante einer „multikulturellen Staatsbürgerschaft“ (Kymlicka 2005: 57) nahezu ausschließlich auf die Problematisierung ungleicher Teilhabechancen im Mitgliedschaftsgefüge innerhalb nationalstaatlich verfasster Gesellschaften. Staatsbürgerschaft wird dabei nicht analytisch gefasst, sondern als normativpolitische Zielperspektive eines umfassenden sozialen Mitgliedschaftsstatus konzipiert. In Auseinandersetzung mit Youngs Konzept eines „differenzierten Staatsbürgerschaftsstatus“ weist Rogers Brubaker daraufhin, dass dieses auf der prob-
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Staatsbürgerschaft, Nationalstaatlichkeit und Ethnizität
lematischen Annahme unterschiedlicher Erfahrungen, Bedürfnissen und Fähigkeiten klar differenzierbarer Gruppen basiert: „Social und cultural heterogeneity is construed here as a juxtaposition of internally homogeneous, externally bounded blocs. The ‚principles of unity‘ that Young repudiates at the level of the polity as whole, because they ‚hide difference‘ – are reintroduced, and continue to hide difference, at the level of the constituent ‚groups‘“ (Brubaker 2004: 59).99
Die damit angesprochene Problematik des Konzepts der ‚Gruppe‘ als Bezugseinheit soziologischer Untersuchungen ist insofern für die Frage nach der Diskriminierungsrelevanz von Staatsangehörigkeit, Ethnizität, Religion etc. von grundlegender Bedeutung, als die Diskriminierung einer sozialen ‚Gruppe‘ nicht unabhängig von jeweiligen Unterscheidungsoperationen zu betrachten ist, die diese ‚Gruppen‘ als kategoriale Bezugspunkte der Benachteiligung hervorbringen. In Abgrenzung zu einer solchen „Definition von citizenship, die auf die Einheit einer umfassenden sozialen Mitgliedschaft abhebt“, plädiert Klaus Holz entsprechend aus differenzierungstheoretischer Perspektive dafür, von „den Differenzen sozialer Praktiken und damit differenten sozialen Positionierungen auszugehen, ohne deren Zusammenspiel per definitionem als Einheit zu postulieren: als Staatsangehöriger vs. als Mann vs. als Weißer usw. Dann ist es nahe liegend, jede dieser Positionen durch eine Unterscheidung explizit zu bezeichnen: Staatsangehörige/Ausländer, Männer/Frauen, Weiße/Farbige usw.“ (Holz 2000b: 190). Die Unterscheidung von Staatsangehörigen und Nicht-Staatsangehörigen stellt vor diesem Hintergrund den spezifischen Fall einer folgenreichen Unterscheidung dar, der aber keineswegs mit einer in der Tradition Thomas H. Marshalls stehenden Konzeption von Staatsbürgerschaft als Citizenship im Sinne eines „Set[s] von Statusfigurationen“ (Bös 2000: 97) zusammenfällt.100 Im Unterschied zu einer mittlerweile recht breit entfalteten soziologischen Debatte zur Staatsbürgerschaft auf der Grundlage von citizenships rights (s. dazu Mackert/Müller 2000), wurde und wird jedoch der Frage, welche Bedeutung der Staatsangehörigkeit bzw. Staatsbürgerschaft101 als ungleichheitsrelevanter 99
Nina Yuval-Davis problematisiert ebenfalls - mit einer anderen Akzentuierung - die Tendenz zur Reifikation von sozialen Gruppen in Bezug auf Kymlicka’s Ansatz einer „multikulturellen Staatsbürgerschaft“: „[H]e reifies and naturalizes the groups‘ boundaries and does not differentiate between people with specific power positionings within the groups (which are not homogenous and can be with differing and conflicting interests) and ‚the group‘ (Yuval-Davis 1997: 11). 100 Im Verhältnis hierzu wäre „Staatsangehörigkeit dann eine Unterkategorie von Staatsbürgerschaft“, beide können „zumindest teilweise unabhängig voneinander variieren“ (Bös 2000: 97). 101 Im Folgenden wird hier nicht von Staatsbürgerschaft als durch die Verfügung über Bürgerrechte unabhängig von der Staatsangehörigkeit gekennzeichneten Status ausgegangen, wie er in den angesprochenen einschlägigen soziologischen Debatten um citizenship zum Tragen kommt. Insofern für
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Strukturkategorie im weltgesellschaftlichen Gefüge, also als dem ungleichen Zugang zu staatsbürgerlichen Rechten innerhalb von Nationalstaaten vorgelagerter in- und exkludierender Modus, zukommt, in soziologischen Gesellschaftsanalysen vielfach kein systematischer Stellenwert zugewiesen (s. dazu kritisch Holz 2000a). Die darin deutlich werdende Ausblendung des in Hinblick auf internationale Ungleichheitsverhältnisse zentral relevanten Zusammenhangs von Staatlichkeit, Staatsangehörigkeit und Nation verweist auf eine grundlegendere Problematik eines in unterschiedlichen soziologischen Theorien zum Tragen kommenden Verständnisses von Gesellschaften als Nationalstaaten. So betont Ulrich Bielefeld in seiner Studie „Nation und Gesellschaft“, dass „Nation weder zu einem soziologischen Begriff noch zu einer als solcher explizit bezeichneten Beobachtungseinheit der Soziologie wurde - und das, obwohl moderne Gesellschaften selbstverständlich als national begrenzte Gesellschaften wahrgenommen wurden und obwohl nationalistische Bewegungen und die Erregungen des Nationalismus die europäischen Gesellschaften des 19. und 20. Jahrhunderts prägten“ (Bielefeld 2003: 52f.).
Niklas Luhmann argumentiert im Unterschied dazu jedoch, dass die weitgehende Ausblendung des Zusammenhangs von Staat, Staatsangehörigkeit und Nation in der Soziologie sich nicht trotz, sondern wegen eines verbreiteten Verständnisses von Gesellschaften als Nationalstaaten vollzieht. Der dabei zugrunde gelegte reduktionistische Begriff von Gesellschaften als „territorial begrenzte[n] Einheiten“ (Luhmann 1997: 25) führt demnach gerade dazu, dass die Analyse der Etablierung von moderner Staatlichkeit, der Herausbildung der „Idee der Nation als Normalform und als normativer Anspruch“ (Luhmann 1997: 1050) und des Stellenwerts der Entstehung der Staatsangehörigkeit als „Schlüsselinstitution“ „im Prozess der Nationalisierung staatlicher Herrschaft“ (Gosewinkel 2001: 11) in ihrem Zusammenhang weitgehend unthematisiert bleiben. Mit Luhmann lässt sich folglich die Gleichsetzung von Gesellschaft und Nationalstaat als selbstverständlichem Ausgangspunkt soziologischer Theoriebildung als „Erkenntnisblockierung“ (s. Luhmann 1997: 24) qualifizieren, in deren Folge sich die Frage, welche Bedeutung der Verfasstheit von Staaten als Nationalstaaten zukommt den hier in Rede stehenden Problemzusammenhang insbesondere solche soziologischen Konturierungen der Staatsbürgerschaft von Interesse sind, die diesen im Sinne der Zugehörigkeit zu einem Staat und damit analog zum Begriff der Staatsangehörigkeit (s. dazu auch Bommes/Halffmann 1998: 84) konzipieren, werden im Folgenden beide Begriffe synonym verwandt. Dies entspricht auch der uneinheitlichen Verwendung im offiziellen Sprachgebrauch der mit Migration befassten Behörden in der Bundesrepublik (s. dazu http://www.bamf.de/nn_566482/DE/Migration/Infor mationen/informationen-04-inhalt.html). Damit soll die Plausibilität der von Matthias Bös (2000) und Klaus Holz (2000) vorgeschlagenen Differenzierung zwischen Staatsbürgerschaft und Staatsangehörigkeit nicht bestritten werden (s. dazu aus sozialhistorischer Perspektive auch Dieter Gosewinkel 1995).
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Staatsbürgerschaft, Nationalstaatlichkeit und Ethnizität
und was Staatlichkeit als Form des politischen Systems charakterisiert, gar nicht erst stellt. Aus differenzierungstheoretischer Perspektive wird Staatsangehörigkeit als Form der Inklusion in das in Staaten ausdifferenzierte politische System der modernen Gesellschaft thematisiert (s. Luhmann 2000b: 214; Stichweh 2000: 159). Vor dem Hintergrund, dass für die moderne Gesellschaft ein Prinzip der funktionalen Differenzierung in ungleichartige Subsysteme charakteristisch ist, wird auf den spezifischen Charakter der politischen Inklusion qua Staatsbürgerschaft hingewiesen: In anderen Funktionssystemen erfolgt Inklusion als „Form der Berücksichtigung oder der Bezeichnung von Personen in Sozialsystemen“ (Stichweh 2000: 159) und damit in einer Weise, in der „Individuen immer nur anlässlich der Erbringung von Leistungsbeiträgen oder des Bezugs von Leistungen einbezogen [sind], also zum Beispiel als Unternehmer, Arbeiter oder Käufer, Rechtsanwalt, Richter oder Angeklagter, Lehrer, Eltern oder Schüler, Arzt, Pflegepersonal oder Patient“ (Bommes/Scherr 2000: 118). Inklusion bleibt in diesen Fällen zeitlich begrenzt und verbindet sich nicht mit dauerhaften, die Person insgesamt berücksichtigenden Mitgliedschaften. Dagegen weist die Inklusion in das sich durch segmentäre Differenzierung herausbildende politische System in Nationalstaaten spezifische Besonderheiten auf: Sie ist „im Prinzip als lebenslange, unmittelbare und exklusive [...] konzipiert“ (Bommes/Scherr 2000: 118). Aus differenzierungstheoretischer Perspektive stellt sich die Form des Einbezugs von Individuen in das politische System über die Staatsangehörigkeit damit als ein besonderer, sich von Inklusionen in alle anderen Funktionssysteme unterscheidender Inklusionsmodus dar, der daraus resultiert, dass das politische System sich als Funktionssystem basierend auf der segmentären Differenzierung in Staaten herausbildet: „Die nationale Staatsbürgerschaft und ihr partikularer Universalismus sind auf dem Hintergrund der strukturell etablierten segmentären Differenzierung des politischen Systems in Staaten zu interpretieren. Mit der historischen Durchsetzung ihrer Souveränität über ein Territorium und seine Bevölkerung, der Institutionalisierung von territorialer und rechtlicher Zugehörigkeit erhält die Inklusion in das politische System im Unterschied zur Inklusion in die übrigen Funktionssysteme die Form des Status.“ (Bommes 1999: 124f.; s. Bommes/Scherr 2000: 121)
Die funktionale Ausdifferenzierung des politischen Systems führt zwar dazu, dass politische Partizipation nicht mehr über die Klassenlage bzw. ständische Unterschiede oder auch askriptive Merkmale wie Geschlechtszugehörigkeit vermittelt wird, da das politische System „ein unmittelbares Verhältnis zu den ‚Staatsbürgern‘ zu realisieren und sich damit von Vermittlungsinstanzen unabhängig zu machen“ sucht (Luhmann 2000b: 212). Die Kategorie der Staatsbürgerschaft stellt aber selbst einen askriptiven Status dar, der nicht erworben, son-
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dern zugewiesen wird. Die politische Inklusion qua Staatsbürgerschaft hebt folglich die Bedeutung askriptiver Statusmerkmale nicht auf, sondern ersetzt historisch vorgängige Statuskategorien durch die ‚moderne‘ Statuskategorie der Staatsbürgerschaft. Auch Rogers Brubaker weist in seiner für die soziologische Staatsbürgerschaftsdebatte einflussreichen Studie daraufhin, dass „für die große Mehrheit der Menschen [...] Staatsbürgerschaft nur ein auferlegter, zugewiesener Status“ ist, und dass diese Zuschreibungspraxis - unabhängig von den unterschiedlichen Varianten der in Staaten festgelegten Regulierungen des Staatsbürgerschaftserwerbs - auf „Präsumtion der Zugehörigkeit“ beruht (Brubaker 1994: 58). Das Verhältnis zwischen Staat und den Individuen, die der Staat als seine Staatsbürger adressiert, konstituiert sich entgegen den Prämissen eines auf einem liberalen Vertragsmodell beruhenden Politik- und Staatsverständnis folglich nicht als „Freiwilligenverband“ (Brubaker 1994: 58), sondern auf der Grundlage zugeschriebener Zugehörigkeiten. Die Statusförmigkeit der Staatsbürgerschaft als institutionalisierte Zugehörigkeit zu einem Staat innerhalb einer segmentär differenzierten Ordnung von Nationalstaaten fasst Stichweh als das „vielleicht [...] dominante askriptive Moment in der modernen Gesellschaft“ (Stichweh 1998: 54). Dieses ist dadurch charakterisiert, dass es insofern ein ubiquitäres Phänomen darstellt, als mit dem historischen Prozess der weltweiten Durchsetzung des modernen Nationalstaates prinzipiell alle Individuen als Angehörige eines bestimmten Staates gelten.102 Auf der Grundlage dessen, dass diese mit dem historischen Prozess der weltweiten Durchsetzung des Modells des modernen Nationalstaats eine universelle Form annehmende staatsbürgerliche Inklusion aber prinzipiell auf Ausschließlichkeit und Dauerhaftigkeit beruht, also nicht beliebig wechsel- und kündbar ist und Staaten das Recht nicht preisgeben, den Zugang zum Nationalstaat und zur Staatsangehörigkeit zu regulieren103, hat sie jedoch in Hinblick auf diejenigen,
102
Auch die Allgemeine Menschenrechtserklärung von 1948 setzt Nationalstaatlichkeit und Staatsbürgerschaft als selbstverständliche Prämissen voraus und beinhaltet ausdrücklich ein Recht auf Staatsangehörigkeit. Die historische Referenz stellt dabei die Problematik der Aberkennung von Staatsangehörigkeit dar (s. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Artikel 15). 103 Das Prinzip der Ausschließlichkeit wird in den Staaten, die die doppelte Staatsangehörigkeit vorsehen, zwar relativiert, aber auch diese behalten auf der Grundlage der völkerrechtlich garantierten staatlichen Zuständigkeit hinsichtlich der Regulierung der Staatsangehörigkeit die Souveränität darüber, nach welchen Modi sie den Mitgliedschaftsstatus zusprechen oder verweigern (vgl. hierzu aus juristischer Perspektive Siehr 2001: 150ff.) Dies gilt in analoger Weise für die Regulierung des Zugangs zum Territorium: „Auf völkerrechtlicher Ebene ist allgemein anerkannt, dass jeder Staat selbst bestimmen kann, unter welchen Voraussetzungen ein Ausländer in sein Gebiet einreisen darf.[...] Das exklusiv den Staatsangehörigen vorbehaltene Recht des freien Zugangs, das als solches menschenrechtlich nicht zu vermitteln ist, wird damit zum kaum passierbaren Nadelöhr der menschenrechtlichen Verheißungen des Verfassungsstaates.“ (Siehr 2001: 147)
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Staatsbürgerschaft, Nationalstaatlichkeit und Ethnizität
die nicht als eigene Staatsangehörige adressiert werden, konstitutiv exkludierenden Charakter: „Staatsbürgerschaft heißt immer Inklusion in einen spezifischen Nationalstaat und Exklusion von allen anderen Nationalstaaten. Staatsbürgerschaft ist permanent, exklusiv und unmittelbar.“ (Halfmann/Bommes 1998b: 84)
Entsprechend versteht auch Brubaker Staatsbürgerschaft als „soziale Schließung“, die zwar nach innen einschließend, nach außen aber ausschließend verfährt (s. Brubaker 1994: 45). Während Brubaker mit seiner Studie am Beispiel einer vergleichenden Betrachtung von Deutschland und Frankreich die Bedeutung der mit dem jeweiligen Staatsselbstverständnis zusammenhängenden zugrunde liegenden Prinzipien des Zugangs zur Staatsbürgerschaft innerhalb eines staatlichen Territoriums herausstellt, kritisieren differenzierungstheoretisch argumentierende Analysen hingegen an dieser kontrastierenden Gegenüberstellung, dass dabei tendenziell die strukturelle Ähnlichkeit der in den engen Zusammenhang von moderner Gesellschaft, Nationalstaatlichkeit und nationalen Semantiken eingelassenen Institution der Staatsbürgerschaft aus dem Blick gerät: Zum einen nivelliert sich, worauf Klaus Holz hinweist, zunehmend der Unterschied zwischen Staaten, die ihr Staatsbürgerschaftsrecht primär auf dem ‚ius sanguinis‘ gründen und solchen, die auf dem ‚ius soli‘ aufbauen, insofern z. B. Frankreich und die USA Elemente eines ‚ius sanguinis‘ in ihre Staatsangehörigkeitsregulierungen aufnehmen, während in der Bundesrepublik das bis ins Jahr 2000 vorherrschende ‚ius sanguinis‘ durch Elemente des ‚ius soli‘ bzw. ‚ius domicili‘ ergänzt wird (s. Holz 2000: 15).104 Zum anderen - und dies ist das entscheidendere Argument kann die unterschiedliche Regulierung des Zugangs zur Staatsbürgerschaft105 nicht damit kurzgeschlossen werden, dass im einen Fall - so eine von Will Kymlicka vorgenommene Unterscheidung - ein exkludierender Nationalismus, im anderen ein inkludierender Nationalismus vorliegt (s. dazu Holz 2000: 16). Vielmehr „liegt die Gemeinsamkeit aller Staatsangehörigkeitsgesetze und beider
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Gleichwohl ist zwar die Frage nach der rechtlichen Regulierung des Zugangs zur Staatsbürgerschaft, wie in den die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts im Jahr 1999 begleitenden Debatten darüber, wie weitreichend das bis dahin geltende Abstammungsprinzip durch ein Territorialprinzip ergänzt werden soll und über die Zulässigkeit der „doppelten Staatsangehörigkeit“ sowie zuletzt auch um die Einführung eines „Einbürgerungstests“ für Muslime, die die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben wollen, deutlich wird, immer wieder Teil politischer Kontroversen mit hoher öffentlicher Resonanz. 105 Damit soll nicht bestritten werden, dass diese zwar für die Differenzen in der jeweiligen Einbürgerungspraxis und damit verbunden der symbolischen Mitteilung, wer als zugehörig betrachtet wird und wer nicht, nicht unwesentlich ist.
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Formen des Nationalismus gerade darin, konstitutiv inkludierend und exkludierend zu sein“ (Holz 2000: 17).106 Holz stellt dabei die grundlegende Funktion beider Nationalismen heraus als „Konstruktion der Zugehörigkeit von Personen zu einem Kollektiv, dessen besondere kollektive Identität den Anspruch auf politische Souveränität legitimiert“ (Holz 2000: 17). Hingewiesen ist damit auf den historisch engen Zusammenhang zwischen x
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der Herausbildung der modernen Staatsbürgerschaft als institutionalisierter Modus der politischen Zugehörigkeit von Individuen auf der Grundlage der Organisierung des „modernen Weltsystems“ (Wallerstein) nach dem nationalstaatlichen Prinzip und dem Aufkommen einer nationalen Semantik, in der „Volk und Nation als verallgemeinerte Entitäten des Politischen erscheinen“ (Müller 1995: 69).
Bommes und Scherr sprechen in diesem Kontext von einer „doppelte[n] Lagerung des Begriffs eines nationalen Volkes als politischer Gemeinschaftsbegriff und als Begriff, der das Inklusionsverhältnis der Individuen zum Staat formuliert“ (Bommes/Scherr 2000: 122). 5.1.2 Staatsbürgerschaft und Nation Während die Institution der Staatsangehörigkeit die Abhängigkeit des formalrechtlichen Status von einem ständischen Ungleichheitsgefüge überwindet (s. Luhmann 2000b: 212), ist es auf der kulturellen bzw. ideologischen Ebene die die „imaginäre Gemeinschaft“ (Anderson 1998) eines nationalen Volkes herstellende Semantik, welche die Relevanz ständischer Differenzen transzendiert: „Man stützt sich dabei auf den Nationalstaat und damit auf die Nation als diejenige Differenz, die es ermöglicht - und darin liegt der Grund für ihre semantische Aufwertung -, viele andere Differenzen, zum Beispiel religiöse oder schichtspezifische, in den Hintergrund treten zu lassen.“ (Luhmann 2000b: 212)
106 In einem Vergleich zwischen französischer und deutscher Nationalstaatsbildung und darauf bezogener Nationalismen formuliert Ulrich Bielefeld (1992: 38) entsprechend: „Beiden Formen des Nationalstaats, die sich mit der Industrialisierung durch Verwaltung, Grenzkontrollen, Schul- und Sprachpolitik und vor allem auch einer bewussten Arbeitsmarktpolitik entwickeln, ist auch gemeinsam, dass sie neben Homogenität genau ihr Gegenteil produzieren. Der ethnische Nationalismus produziert im Rahmen seiner Ideologie ‚Minderheiten‘ als ‚vorübergehend‘ geduldete Abweichung von einer Norm, der politische Nationalismus ‚Fremde‘“.
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Nationalstaat und Nation werden damit nicht als selbstverständlich gegebene Vergesellschaftungsformen, sondern als Ergebnisse gesellschaftsgeschichtlicher Konstruktionsprozesse in den Blick gerückt. Auch in der neueren geschichtswissenschaftlichen Forschung seit Anfang der 1980er Jahre ist in kritischer Auseinandersetzung mit der älteren Nationalismusforschung ein Verständnis von Nationen als „quasi-natürlichen Einheiten“ aus unterschiedlichen Theorietraditionen heraus überwunden worden (Wehler 2001: 7; s. auch Kunze 2005). Varianten eines aus anthropologischer107 (Anderson 1983/1998), aus modernisierungstheoretischer (Gellner 1983/1995) und aus (neo-)marxistischer (Hobsbawm 1991/2004) Perspektive entwickelten Konzepts von Nationen als historischen Konstrukten108 haben dabei auch Eingang in über die Geschichtswissenschaft hinausgehende sozialwissenschaftliche Debatten zum Themenkomplex Nationalismus und Rassismus, Nationalstaatlichkeit und Ethnizität gefunden (s. Day/Thompson 2004). Diese Ansätze akzentuieren mit unterschiedlichen Ausprägungen die Prozesshaftigkeit des „nation-building“ und verweisen auf eine die Herausbildung von Nationalstaaten begleitende nationale Mythenbildung, in der eine gemeinsame Sprache, Kultur, Tradition und Abstammung postuliert wird und für die eine legitimatorische Ausrichtung auf eine gemeinsame Vergangenheit charakteristisch ist. Der Prozess der semantischen Aufwertung der Nation stellt vor diesem Hintergrund den Akt der Konstruktion eines sozialen Gefüges dar, in welchem sich die Vorstellung einer Kongruenz von Volk und Nation als einer homogenen Gemeinschaft durch die Imagination von Merkmalen wie gemeinsame Sprache, Abstammung, Kultur, Geschichte realisiert. Die Entwicklung des modernen Nationalismus wird in den neueren geschichtswissenschaftlichen Ansätzen entsprechend als dem Konstitutionsprozess von Nationen vorgängiges ideologisches Moment verstanden (s. Gellner 1995: 87; Hobsbawm 2004: 21). Dies kann Ernest Gellner zufolge jedoch insofern nicht alleine als Effekt der Durchsetzung der Idee des Nationalismus durch soziale Trägergruppen verstanden werden, als es sich um ein funktionales Erfordernis für die Herstellung moderner Nationalstaaten handelt und daher - so auch Eric Hobsbawm - „im Hinblick auf die politischen, technischen, administrativen, wirtschaftlichen und sonstigen Bedingungen und Erfordernisse analysiert werden“ muss (Hobsbawm 2004: 21). 107 Benedict Anderson charakterisiert seinen Ansatz selbst als „anthropologischen“ (s. Anderson 1998); Anthony D. Smith (1986) Typologie fasst Anderson wie Gellner unter die modernisierungstheoretischen Ansätze. 108 Auf die im engeren Sinne geschichtswissenschaftliche Diskussion und die unterschiedlichen Akzente, die in den jeweiligen Ansätzen gesetzt werden, bzw. die Kontroversen, die diese innerhalb der historischen Forschung ausgelöst haben, kann hier nicht eingegangen werden (s. dazu Wehler 2001). Von Interesse sind hier vorrangig die Strukturmerkmale, die sich aus der Entstehung moderner Nationalstaatlichkeit für Vergesellschaftungszusammenhänge ergeben.
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Nach Gellner realisiert sich der Nationalismus als „politisches Prinzip, das besagt, politische und nationale Einheiten sollten deckungsgleich sein“ (Gellner 1995: 8; s. Gellner 1995: 181). Bedeutsam für die staatlich-politische Durchsetzung dieses Prinzips ist Gellner zufolge die Etablierung einer nationalen Hochkultur und damit verbunden einer zentral über die Herausbildung eines staatlichen Schulsystems vermittelten Institutionalisierung einer vereinheitlichten Nationalsprache (s. Gellner 1995: 89). Hobsbawm betont demgegenüber, dass das bei Gellner im Kontext einer „Modernisierung von oben“ in den Blick genommene Phänomen des Nationalismus um eine Perspektive ergänzt werden müsse, die die „Annahmen, Hoffnungen, Bedürfnisse, Sehnsüchte und Interessen der kleinen Leute“ in den Blick rückt, an die der Nationalismus - als in seiner Genese zwar wesentlich ein von den Eliten forciertes Projekt - als politische Ideologie anknüpfen und sich verallgemeinern konnte (Hobsbawm 2004: 21f.). Für die sich im Zuge der Nationalisierung staatlicher Politik vollziehende Konsolidierung des Nationalstaats als „allgemeiner Form des Politischen“ (Bielefeld 2003: 40) ist das Zusammenwirken staatlicher Praktiken mit nationalen Semantiken, die der ethnisierenden Fassung der „Formel ‚Nation ist gleich Staat ist gleich Volk‘“ (Hobsbawm 2004: 30) folgen, konstitutiv. Indem die Konstruktion einer nationalen imaginären Gemeinschaft, die Etablierung der Rechtsinstitution der Staatsangehörigkeit und die Konsolidierung eines politischen Staatsvolkes als aufeinander bezogene Einheit hervorgebracht werden, entfaltet sich ein zirkulärer Legitimationszusammenhang, den Armin Nassehi und Marcus Schroer wie folgt charakterisieren: „Die Legitimationsquelle des klassischen Staatsbürgerschaftsprinzips ist der klassische Nationalstaat, und dessen Legitimationsbasis ist die Existenz eines einheitlichen nationalen Staatsvolks, das über Staatsangehörigkeit geregelt wird.“ (Nassehi/Schroer 2000: 40)
Die Konstruktion einer ‚nationalen Gemeinschaft‘ bzw. einer ‚nationalen Identität‘ stellt dabei den Fluchtpunkt eines Imaginären dar, das den inneren Zusammenhang zwischen der Vorstellung der natürlichen Einheit eines Volkes, der Souveränität des Staates und der Nation als relevanten Vergesellschaftungsmodus in Erscheinung treten lässt. Nationale Vergesellschaftungsprozesse realisieren sich dabei Ulrich Bielefeld zufolge als paradigmatischer Fall eines Vergesellschaftungsmodus „in der Form von ‚Als-Ob-Vergemeinschaftungen‘“ (Bielefeld 2003: 33). Nationale Semantiken bzw. nationalistische Ideologien stellen aber nicht nur eine zentrale Voraussetzung für die Herausbildung von Nationalstaatlichkeit im Sinne eines vorgängigen Entwurfs politischer Eliten dar; sie erlangen in dem Moment, in dem sich Nationalstaaten als politische Einheiten entwickeln, eine zentrale Bedeutung, insofern der faktisch entstehende Vergesellschaftungszu-
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sammenhang einen Legitimationsbedarf erzeugt und auf der Ebene von Kultur und Ideologie eine Entsprechung verlangt: „Um das, was Nation sein soll, von Imagination in Realität zu überführen, muss man mit politischen (staatlichen) Mitteln für sprachliche und religiöse, kulturelle und organisatorische Vereinheitlichung in dem Territorium sorgen, das der Nationalstaat für sich in Anspruch nimmt. Insofern verschmelzen Sprache, Kultur und Staatlichkeit zu einer politischen Aufgabe, die sich nur noch nach ihrer jeweils unterschiedlichen historischen Ausgangslage unterscheidet. Nationale Identität ist nicht gegeben, sie muss definiert, gewonnen und gesichert werden.“ (Luhmann 2000b: 210)
Die damit implizit angesprochene Frage nach der gesellschaftsstrukturellen Relevanz von Nationalismen verknüpft sich mit der Frage, was Staatsangehörigkeit als ungleichheitsrelevante Kategorie charakterisiert, insofern, als „[d]ie Aufrechterhaltung einer Ungleichheitsschwelle nach außen [...] Bestandteil des Funktionierens von Wohlfahrtsstaaten“ ist und „historisch ihre Legitimität aus der Umschreibung der Staatsbürger als nationale Gemeinschaft“ bezieht (Bommes/Halfmann 1998a: 24). Die moderne Staatsbürgerschaft nimmt dabei eine über den Staat als „Apparat legitimer Ausschließung“ (Balibar 1993: 91) vermittelte und konstitutiv mit dem historischen Prozess der „Verschmelzung von Sozialstaat und Nationalstaat“ (Balibar 1993: 95) verbundene besondere Form an.109 Etienne Balibar betont dabei im Rekurs auf historisch angelegte Untersuchungen zur Genealogie des „Vorsorgestaats“ (Ewald 1993) bzw. zur Entstehung einer neuen Realität des „Sozialen“ (Donzelot 1984) den Zusammenhang zwischen einer historisch spezifischen Herausbildung von Sozialstaatlichkeit und der „Nationform“, wie sie sich im Verlauf der 19. Jahrhunderts herausgebildet hat (s. Balibar 1993: 93ff.). Als Nationform bezeichnet Balibar dabei eine „bestimmte Kombination von ökonomischen und ideologischen Strukturen. Sie ist insbesondere auch ein Modell der Artikulation von administrativen und symbolischen Staatsfunktionen, durch die der Staat für die in der Gesellschaft agierenden Gruppen und Kräfte als ein Zentrum [...] fungiert“ (Balibar 2003: 42). Damit sind Nationalismen nicht lediglich als Semantiken wirksam, sondern strukturell in der Regulierung des Zugangs zur Staatsbürgerschaft im Modus nationaler Zugehörigkeit verankert und stellen in der Folge eine für den legalen Zugang zu Recht, Ökonomie, Bildung, Gesundheitsversorgung hoch bedeutsame Vergesellschaftungsform dar. 109
Rudolf Stichweh formuliert in deutlicher Nähe zu dem, was Balibar in historischer Perspektive als sich herausbildende „Verbindung zwischen dem sozialen und dem nationalen Staat“ (Balibar 1993: 94) beschreibt, die den modernen Wohlfahrtsstaat betreffende These, „dass die Muster, die [..] in einem relativ abstrakten Sinn als national und als wohlfahrtsstaatlich“ charakterisiert werden können, „Bestandteile jenes Modells von Staatlichkeit sind, das im Prozess der Entstehung der Weltgesellschaft weltweit diffundiert“ (Stichweh 1998: 50).
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Dieser Konnex realisiert sich historisch gesehen als „Nationalisierung des Staatsbürgertums, als ein durch nationale Zugehörigkeit, Assimilation an die ‚Nationalkultur‘ und ‚Naturalisierung‘ teils wirklich, teils imaginär garantierter Status“ (Balibar 1993: 96; s. dazu in sozialhistorischer Perspektive Gosewinkel 2001), der nach innen egalisierend wirkt, nach außen eine ungleichheitsrelevante, mit ethnisierenden Grenzziehungen verbundene Demarkationslinie etabliert. Nassehi und Schroer sehen vor diesem Hintergrund „die Funktion des Staatsbürgerschaftsrechts darin, den Normalfall einer ethnisch bzw. national einheitlich verfassten Nation zu symbolisieren und normativ zu repräsentieren, die den Nicht-Bürger ausschließlich als Abweichungsfall auf dem eigenen Territorium gelten lassen kann. Damit trägt die Rechtsform der Staatsbürgerschaft ihre Legitmationsquelle letztlich immer mit sich mit, weil sie unentrinnbar mit der ethnischen bzw. nationalen Verfasstheit moderner Staatlichkeit verknüpft ist.“ (Nassehi/Schroer 2000: 40)
Vor diesem Hintergrund kann der moderne Staatsbürgerschaftsstatus auf der Grundlage der nationalen Zugehörigkeit - und dies nicht nur im Fall eines eindeutig auf dem Abstammungsprinzip basierenden Staatsangehörigkeitsrechts nicht unabhängig von ethnisierenden Mechanismen der Konstitution nationaler Gemeinschaften betrachtet werden. Das moderne Staatsbürgertum realisiert sich vielmehr - zumindest in seiner historischen Genese - auf der Basis einer „fiktiven Ethnizität“ (Balibar 1992b: 118). Hierauf bezogen stellt sich die Frage, ob der Kategorie der Ethnizität lediglich als diskursiver Bezugspunkt von Vorurteilen und Ideologien bzw. als legitimatorische Abstützung von Ungleichbehandlung - und damit im Unterschied zur Staatsbürgerschaftskategorie keine strukturell verankerte - Bedeutung hinsichtlich der Diskriminierungsfrage zukommt oder ob vielmehr auf der Grundlage dessen, dass sich ethnisierende Kategorien in die moderne Form der „politischen Positionierung“ (Holz 2000: 13) qua nationalem Mitgliedschaftsstatus eintragen, davon ausgegangen werden muss, dass Ethnizität auch als gesellschaftsstrukturell verankerte Diskriminierungsressource bedeutsam ist. Hierauf wird im Weiteren noch in der Diskussion zur Ethnizitätskategorie zurückzukommen sein (s. Kapitel 5.2.4). 5.1.3 Staatsbürgerschaft als Diskriminierungsressource unter Bedingungen nationaler Wohlfahrtsstaatlichkeit Der aktuelle Stellenwert von Staatlichkeit und Staatsangehörigkeit als diskriminierungsrelevante Bezugspunkte resultiert daraus, dass Territorialstaaten - trotz aller Entwicklungen, die für die Verabschiedung von einem Verständnis von Gesellschaften als räumlich abgegrenzten Einheiten sprechen - auch gegenwärtig für die Aufrechterhaltung und Verfestigung ungleicher Lebensbedingungen
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in der Weltgesellschaft von zentraler Bedeutung sind. Dies gilt hinsichtlich des für Staatsbürger innerhalb der Grenzen eines Staates durchschnittstypisch erreichbaren Niveaus an erzielbaren Einkommen, verfügbaren Konsumgütern, der Versorgung im Krankheitsfall usw. sowie der jeweiligen Mindeststandards der sozialstaatlich garantierten Versorgung. Wie die Migrationsforschung zeigt, sind es nicht zuletzt diese weltgesellschaftlichen Ungleichheiten, die Migrationsnotwendigkeiten und Migrationsbereitschaften veranlassen (s. Nuscheler 2004) und die gleichzeitig für die gegen unerwünschte Einwanderung gerichteten Schließungstendenzen seitens entwickelter Wohlfahrtsstaaten und Regionen - vor allem der EU und Nordamerika - bestimmend sind. Rudolf Stichweh (1998: 54) stellt dabei folgenden Zusammenhang her: „Ein [...] Vorliegen von Migrationsbereitschaften wird einerseits durch die Institutionalisierung von Ungleichheit im System der Weltgesellschaft und andererseits durch die gleichzeitig im System ermöglichte weltweite Wahrnehmung von Chancen wahrscheinlich. Das Abschneiden von Migrationschancen wird [...] durch dieselbe Form der Institutionalisierung des nationalen Wohlfahrtsstaates bedingt, die die institutionalisierten Ungleichheiten perpetuiert.“
Vor dem Hintergrund eines Verständnisses des modernen nationalen Wohlfahrtsstaats als „Akteur, der durch partikulare Zugehörigkeitskriterien Ungleichheiten zwischen den Nationalstaaten erzeugt und reproduziert“ (Eder 1998: 78), nimmt die Regulierung von politischer Zugehörigkeit über die Institution der Staatsangehörigkeit unter den Bedingungen der Moderation von Inklusionsbedingungen durch den Wohlfahrtsstaat (s. Bommes/Scherr 2000: 131) eine spezifische Form an, die diese als diskriminierungsrelevante Kategorie in besonderer Weise bedeutsam werden lässt: Die ungleiche Verteilung von Chancen zwischen Staatsangehörigen, Nicht-Staatsangehörigen mit legalem Aufenthaltsstatus und sog. Illegalen innerhalb eines Staates sowie solche Diskriminierungen, die sich in Abhängigkeit von unterschiedlichen Aufenthaltstiteln als hierarchisierte Ordnungen des Zugangs zu staatsbürgerlichen Rechten und der Chancen auf soziale Teilhabe realisieren, steht in einem Zusammenhang mit der weltgesellschaftlichen Ordnung der Ungleichheit zwischen Staaten. Von zentraler Bedeutung ist dabei nicht nur die formal-rechtlich abstrakte Unterscheidung zwischen Staatsangehörigen und Nicht-Staatsangehörigen, sondern auch die zwischen Nicht-Staatsangehörigen aus privilegierten und benachteiligten Regionen der Weltgesellschaft. Denn die legalen Zugangsmöglichkeiten zu einem Territorium und zu staatsbürgerlichen Rechten außerhalb des Geburts- bzw. Herkunftslandes sowie darauf bezogene politische und rechtliche Regulierungen basieren in nicht unerheblichem Maß auf der Privilegierung bestimmter Staatsangehörigkeiten. Im Fall der europäischen Union findet dies vor allem in der Unterscheidung zwischen EU-Bürgern und Nicht-EU-Bürgern in der Form differenzierter rechtlicher Regulierungen seinen Ausdruck, kommt
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darüber hinausgehend aber auch im Rahmen von Abkommen, die die Freizügigkeit und die Arbeitsaufnahme für Bürger bestimmter EU-Staaten einschränken, als Differenzierung selbst noch innerhalb der Europäischen Gemeinschaft zum Tragen.110 Der Status des Herkunftslandes evoziert somit einen relevanten Unterschied hinsichtlich der Chancen und Lebensbedingungen auf dem Territorium des Einwanderungslandes, sei es in Hinblick auf den Schutz vor politischer Verfolgung oder auf die Chance, der Armut zu entkommen. Auf diesen Zusammenhang weist auch Brubaker hin: „Staaten brauchen ihre Macht, Nichtbürger auszuschließen, nicht auszuüben und tun dies auch oft nicht; und wenn sie diese Macht ausüben, dann tun sie es meist selektiv, nicht unterschiedslos.“ (Brubaker 1994: 48)
Der Kategorie der Staatsangehörigkeit kommt vor diesem Hintergrund auch deshalb ein spezifischer Status zu, weil sie im Unterschied zu Kategorien wie ‚Geschlecht‘, ‚Rasse‘ oder ‚ethnische Herkunft‘ eine legale Form diskriminierender Unterscheidung darstellt, die in der Debatte um Diskriminierung und die Notwendigkeit eines institutionell abgesicherten Diskriminierungsschutzes nur hinsichtlich der Ungleichbehandlung von Staatsangehörigen und NichtStaatsangehörigen aus anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zum Thema wird oder aber in solchen Fällen, in denen die Behandlung von NichtStaatsbürgern hinter das zurückfällt, was unterhalb allgemeiner menschenrechtlicher Standards liegt.111 Die Institution der Staatsbürgerschaft und die darauf bezogene politisch und rechtlich abgesicherte Ungleichbehandlung auf der Grundlage legaler Unterscheidungen stellt somit ein im Verhältnis zu dem aus den Menschenrechten abgeleiteten Antidiskriminierungsgebot quer liegendes Prinzip dar und ist in zweifacher, verschränkter Weise für ein Verständnis von Diskriminierung relevant: x
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zum einen als selektive Zugangsregulierung zum staatlichen Territorium und damit verknüpft zu staatlich garantierten Rechten und Leistungsansprüchen;
So hat etwa die Bundesrepublik von den im Rahmen der EU-Osterweiterung vorgesehenen Übergangsregelungen bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit, mit denen die ‚alten‘ Mitgliedsstaaten gegenüber den neuen Mitgliedsstaaten Einschränkungen hinsichtlich der Freizügigkeit vornehmen können, Gebrauch gemacht (s. http://www.lpb.bwue.de/aktuell/eu_osterweiterung.php3, s. dazu auch Cyrus 2003; Hönekopp 2003) 111 Es wäre daher verfehlt, den sukzessiven Prozess der Angleichung der Rechte von NichtStaatsangehörigen aus EU-Mitgliedsstaaten und Staatsangehörigen im Sinne eines Bedeutungsverlusts der nationalen Staatsangehörigkeit zu interpretieren. Während die Binnengrenzen innerhalb der EU in bestimmter Hinsicht ihre Bedeutung verlieren, erfährt die EU-Außengrenze im Kontext einer forciert auf Abschottung zielenden EU-Asyl- und Migrationspolitik eine starke Aufwertung (s. Mannitz 2006).
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zum anderen in Hinblick auf ein rechtlich abgestuftes System der innerstaatlichen Ungleichbehandlung von StaatsbürgerInnen, NichtStaatsbürgerInnen mit legalem sowie Personen ohne legalen Aufenthaltsstatus.
5.1.4 Thematisierung und De-Thematisierung staatsbürgerlicher Diskriminierung im Menschenrechtsdiskurs Das für die Institution der Staatsbürgerschaft konstitutive Prinzip der internen und externen Ungleichbehandlung von StaatsbürgerInnen und NichtStaatsbürgerInnen wird jedoch nicht nur in den einschlägigen öffentlich-medial geführten Debatten in aller Regel als nicht hinterfragbare Grundlage vorausgesetzt. Auch im sozialphilosophisch ausgerichteten Menschenrechtsdiskurs sowie in den politischen Auseinandersetzungen um eine Antidiskriminierungsgesetzgebung und seitens der BefürworterInnen eines weit reichenden Diskriminierungsschutzes findet die Frage nach der Legitimation dieser folgenreichen Unterscheidung kaum systematische Erörterung. Fasst man den Diskriminierungsschutz als „Strukturprinzip der Menschenrechte“ (Bielefeldt/Follmar-Otto 2005: 5), dann läuft dieser jedoch auf die Problematik auf, dass die Menschenrechte vor allem vermittels nationalstaatlicher Gesetze in einklagbare Rechte übersetzt werden, d. h. gerade nicht als unmittelbar geltende subjektive Rechte jedes Individuums wirksam sind. In einem von Hauke Brunkhorst u. a. herausgegebenen Band, in dem sich einflussreiche Autoren aus sozialphilosophischer Sicht zur Menschenrechtsdebatte äußern, wird demgegenüber formuliert: „Heute stößt die Geltung der Menschenrechte nicht mehr auf nationale und staatsbürgerliche Grenzen [...] Der Status der Rechtsperson ist nicht mehr zwingend an Staatsbürgerschaft gekoppelt. Alle Menschen sind heute vor deutschem Gesetz gleich, in der Weimarer Republik waren es nur alle Deutschen“ (Brunkhorst/Köhler/Lutz-Bachmann 1999: 8).
Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt auch Jürgen Habermas: „Da die Architektonik des Grundgesetzes durch die Idee der Menschenrechte bestimmt ist, genießen alle Einwohner den Schutz der Verfassung. Fremde haben den gleichen Pflichten-, Leistungs- und Rechtsstatus wie Inländer; auch im Hinblick auf den Wirtschaftsstatus besteht, mit wenigen Ausnahmen, Gleichbehandlung. Die große Zahl der angehörigkeitsneutralen Gesetze relativiert die tatsächliche Bedeutung der fehlenden Staatsangehörigkeit.“ (Habermas 1991: 26f.)
Was hier als vernachlässigbare Ausnahme der rechtlichen Ungleichbehandlung von Staatsbürgern und Nichtsstaatsbürgern vor dem Hintergrund einer allgemeinen Ausdehnung der Menschenrechtsidee verhandelt wird, stellt unter Juris-
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ten jedoch den Referenzpunkt einer kontroversen Debatte um das Verhältnis zwischen den so genannten „Jedermannsrechten“ und den so genannten „Deutschenrechten“ des Grundgesetzes dar. So betont Angelika Siehr im Kontext einer grundlegenden juristischen Studie zur Problematik der Deutschenrechte im Grundgesetz, dass die „den Neubeginn bundesrepublikanischer Staatlichkeit tragende ‚menschenrechtlich-universalistische Wende‘ des Grundgesetzes“ in einem deutlichen Spannungsverhältnis zu dem in den „nationalen Vorbehalten der Deutschengrundrechte“ zum Ausdruck kommenden „Privilegierung der eigenen Staatsangehörigen bzw. der ‚Deutschen‘ im Sinne des Art. 16 GG.“ steht (Siehr 2001: 136). Und sie weist auf das damit verbundene grundlegendere Problem hin, dass sich die „Menschenrechte als unveräußerliche, dem bloßen Menschsein entspringende Rechte [...] nicht nur über biologische, soziale oder kulturelle Unterschiede, über Privilegien jedweder Art und allgemein über alle aus Herkunftsbindungen folgenden Besonderheiten hinweg [setzen], sondern in gleicher Weise über die rechtliche Differenzierung zwischen Staatsangehörigen und Ausländern und in ihrer Idee nach damit auch über staatliche Grenzen. Gleichzeitig wird dieser im Wortsinne ‚grenzüberschreitende‘ Universalismus aber theoretisch wie praktisch zurückgenommen, sobald die nationalstaatliche Souveränität berührt ist.“ (Siehr 2001: 132f.)
Auf den im engeren Sinne juristischen Diskurs kann im Weiteren nicht ausführlich eingegangen werden; in Hinblick auf die hier im Vordergrund stehende Frage, wie die Kategorie der Staatsbürgerschaft soziologisch sinnvoll zu fassen ist und wie die Relevanz des Staatsbürgerschaftsstatus hinsichtlich seiner sozialstrukturell diskriminierende Wirkungen entfaltenden Unterscheidungsfähigkeit zu bestimmen ist, ist der aus differenzierungstheoretischer Perspektive formulierte Einwand von Armin Nassehi und Markus Schroer gegenüber der bei Habermas getroffenen Einschätzung des Bedeutungsverlusts der Staaatsbürgerschaftskategorie und der Ausdehnung eines menschenrechtlichen Universalismus bedeutsamer: Zwar gehen Nassehi und Schroer in Übereinstimmung mit Habermas und auch mit den im Kontext der Staatsbürgerschaftsdebatte einflussreichen Arbeiten von Yasemin Soysal (1996) davon aus, dass sich der Bürgerstatus von Nicht-Staatsbürgern mit dauerhaftem Aufenthaltsrecht dem der Staatsbürger mit Ausnahme des Wahlrechts angenähert hat; sie analysieren dies aber als Folge eines Auseinanderfallens von „politischer und rechtlicher Inklusion“ im Kontext der „Entkoppelung von Inklusionsformen im Gefolge funktionaler Differenzierung“ und als Reaktion darauf, dass „[z]umindest dem Immigranten mit dauerndem Aufenthaltsrecht [...] rechtliche Inklusion und ökonomische Verkehrsfähigkeit nicht abgesprochen werden zu können [scheint]“ (Nassehi/Schroer 2000: 44). Nassehi und Schroer stellen damit ein Modell in Frage, das Staatsbürgerschaft als „Vollinklusionsformel“ (Nassehi/Schroer 2000: 32) konzipiert bzw. Staatsbürgerschaft mit „gesellschaftlicher Mitgliedschaft oder
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gar gesellschaftlicher Integration“ (Nassehi/Schroer 2000: 45) gleichsetzt. Denn diesen Modellen liegt nicht nur die nicht tragfähige Annahme zugrunde, dass sich aus der die politische Zugehörigkeit zu einem Staat markierenden Rechtsform der Staatsbürgerschaft die Art und Weise der rechtlichen, politischen, sozio-ökonomischen etc. Inklusionen ableiten ließe, sondern auch ein aus systemtheoretischer Sicht problematisches Verständnis von Gesellschaften als territorial begrenzten Einheiten resp. Nationalstaaten. Nassehi und Schroer zufolge ist das zu beobachtende Phänomen der Abkoppelung von Inklusionen in unterschiedliche Teilsysteme vom formalen Staatsbürgerschaftsstatus kein Ausdruck einer den Menschenrechten zur Durchsetzung verhelfenden Migrationspolitik und Gesetzgebung oder einer am Universalismus der Menschenrechte orientierten Regulierung des Zugangs zum Arbeitsmarkt und zu den sozialstaatlichen Sicherungssystemen, sondern vielmehr Folge davon, „dass die funktionssysteminternen Diskriminierungsprogramme v. a. in Politik und Recht - sich gewissermaßen selbst dazu zwingen, nichtintendierte Migrationsfolgen in ihrer Faktizität anzuerkennen“ (Nassehi/Schroer 2000: 45). Verwiesen ist damit implizit auf den für die Geschichte der Nachkriegsmigration in die Bundesrepublik charakteristischen Sachverhalt eines „nicht konzeptionell, sondern korporatistisch in verschiedenen Verhandlungssystemen zwischen politischen Verwaltungen und Wohlfahrtsorganisationen ausgehandelt[en]“ administrativ-pragmatischen Umgangs mit der faktischen Einwanderungssituation, der nicht nur im deutlichen Widerspruch zum bis in die 1990er Jahre andauernden Selbstverständnis der Bundesrepublik als „NichtEinwanderungsland“ (Bade/Bommes 2004: 441) steht, sondern auch lange keine Entsprechung auf der Ebene der Regulierung des Zugangs zur Staatsbürgerschaft fand.112 Bezogen auf die bundesrepublikanischen Verhältnisse lässt sich empirisch zeigen, dass die Unterscheidung von Staatsbürgern und Nicht-Staatsbürgern nicht nur als Regulierung des legalen Zugangs und des legalen Aufenthalts auf dem Territorium bedeutsam ist, sondern dass sich die Staatsbürgerschaftskategorie mit einem differenzierten System von teilsystemischen Zugangsregulierungen für Staatsbürger, MigrantInnen mit legalem Aufenthaltsstatus und sogenannten Illegalen verbindet. So ist etwa 112
So weist Dieter Oberndörfer darauf hin, dass bis zur Novellierung des Einbürgerungsrechts Anfang der 1990er Jahre eine andere als durch Abstammung erworbene Staatsbürgerschaft auf der Grundlage der Einbürgerung von dauerhaft in der Bundesrepublik lebenden MigrantInnen nicht nur restriktiv gehandhabt wurde, sondern als rechtlich kodifizierter Vorgang faktisch gar nicht vorgesehen war: „Charakteristisch für das Fortwirken völkischer Traditionen war das noch bis 1991 gültige Einbürgerungsrecht. Die Einbürgerung wurde Ausländern nur in Ausnahmefällen als Akt des ‚Ermessens‘ nach dem Kriterium des öffentlichen Interesses gewährt, so etwa Nobelpreisträgern oder olympiaverdächtigen Sportlern. Erst im neuen Einbürgerungsrecht von 1991 wurde die Einbürgerung nach einem Aufenthalt von 15 Jahren ein Rechtsanspruch.“ (Oberndörfer 2005: 730).
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das aktive und passive Wahlrecht Staatsbürgern vorbehalten, politische Repräsentation von MigrantInnen ist nur in der Form sogenannter Ausländerbeiräte bzw. durch außerparlamentarische Organisationen gewährleistet; der Zugang zum legalen Arbeitsmarkt durch ein fein abgestuftes System von arbeitsrechtlichen Regulierungen moderiert, das zwischen Staatsbürgern und Nicht-Staatsbürgern, EU-Angehörigen, ArbeitsmigrantInnen aus den ehemaligen Anwerbeländern, Drittstaatenangehörigen und Flüchtlingen unterscheidet. Weitere Differenzierungen werden in Abhängigkeit vom Aufenthaltsstatus vorgenommen;113 durch die UN-Kinderrechtskonvention de jure der Zugang zum allgemeinbildenden Schulsystem auch für Kinder von Flüchtlingen und so genannten Illegalen gewährleistet; de facto sind jedoch vielfach nicht die Bedingungen gegeben, die eine Inanspruchnahme dieses Inklusionsrechts ermöglichen würden.
Resümierend lässt sich folglich die Annahme formulieren, dass ‚Staatsbürgerschaft‘ in den gegenwärtigen weltgesellschaftlichen Verhältnissen nach wie vor eine diskriminierungsrelevante Kategorie darstellt - trotz der Prozesse, die eine enge Kopplung von Staatsangehörigkeit und wohlfahrtsstaatlichen Inklusionsmechanismen aufbrechen, aber keineswegs außer Kraft setzen. Zudem sind staatsbürgerliche Rechte, die Nicht-Staatsangehörigen zugestanden werden und die über die Bestimmungen der Menschenrechte hinausreichen, prinzipiell reversibel, d.h. sie können durch Gesetzgebungsakte außer Kraft gesetzt werden. 5.2
Ethnizitätskonstruktionen als Diskriminierungsressource
Während die Unterscheidung von Staatsbürgern und Nicht-Staatsbürgern rechtlichen Regulierungen unterliegt, die - wie gezeigt - legale Formen der Ungleichbehandlung ermöglichen und erzeugen, gilt die Ungleichbehandlung entlang „ethnischer“ Kategorien als unzulässige Form der Diskriminierung und wird in der Auseinandersetzung um Antidiskriminierungsmaßnahmen und 113
Auf die komplexen rechtlichen Regulierungen ist hier nicht einzugehen. S. dazu das ‚Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet‘ (http://bundesrecht.juris.de/bundesrecht/aufenthg_2004/gesamt.pdf), das ‚Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern‘ (http://bundesrecht.juris.de/bundesrecht/freiz_gg_eu_2004/ gesamt.pdf) sowie das ‚Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern‘ (http://www.zuwanderung.de/downloads/Zuwanderungsgesetz_gesamt.pdf).
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gesetzgebung thematisch. Dabei ist die Ethnizitätskategorie im Unterschied zur Staatsbürgerschaftskategorie nicht nur explizit Gegenstand des Antidiskriminierungsdiskurses; Diskriminierungen auf der Grundlage der ‚ethnischen Herkunft‘ stellen geradezu einen zentralen Fokus menschenrechtlich begründeter Antidiskriminierungsmaßnahmen dar. Die im politisch-rechtlichen Antidiskriminierungsdiskurs gängige Kategorie der ‚ethnischen Herkunft‘, mit der die Unterscheidung von Ethnien als distinkten Gruppen im Sinne einer gegebenen gesellschaftlichen Tatsache vorausgesetzt wird, ist jedoch in den Sozial- und Erziehungswissenschaften umfassend kritisiert worden. Die darauf bezogene Debatte bewegt sich in einem Spannungsfeld zwischen der Kritik an einem primordialen und essentialistischen Verständnis von Ethnizität (und Kultur) und daran anschließenden Versuchen einer Reformulierung des Ethnizitätsbegriffs als sozialer Konstruktion - mit kognitionstheoretischen, ideologietheoretischen, konstruktivistischen, interaktionistischen und ethnomethodologischen Akzentuierungen (s. zusammenfassend Stender 2000; Groenemeyer 2003) 114 - bis hin zu Ansätzen, die die analytische Tragfähigkeit der Ethnizitätskategorie grundlegend in Frage stellen (s. Radtke 1991). Neben diesen aus ganz unterschiedlichen und im weitesten Sinne erkenntniskritisch begründeten Perspektiven geführten Auseinandersetzungen um die theoretische Konturierung des Ethnizitätsbegriffs, wird seit Ende der 1980er Jahre auch immer wieder die Frage nach dem strukturellen Stellenwert der Ethnizitätskategorie im Kontext gesellschaftstheoretisch ansetzender Analysen so in der Ungleichheitstheorie und in der Theorie funktionaler Differenzierung erörtert. Ausgehend von der Kritik an der modernisierungstheoretischen Annahme einer zunehmenden Irrelevanz herkunftsbezogener Vergemeinschaftungsformen und damit auch der Ethnizitätskategorie (s. Esser 1988), bewegt sich diese Debatte zwischen Positionen, die auf eine Konturierung des Stellenwerts „ethnischer Differenzierung“ im Kontext moderner, funktional differenzierter und nationalstaatlich verfasster Gesellschaften (s. hierzu die inzwischen einschlägige Debatte zwischen Esser 1988, Kreckel 1989 und Nassehi 114 Als grundlegend für einen konstruktivistischen Zugriff auf die Ethnizitätskategorie kann dabei die Arbeit von Frederick Barth (1969): „Ethnic Groups and Boundaries. The Social Organization of Cultural Difference“ gelten, an die relevante Arbeiten anschließen. (s. etwa Jenkins 1997: 17ff.; Lentz 1995: 29ff.; Groenemeyer 2003: 23). Im Folgenden soll auf die anglo-amerikanische Theoriedebatte zum Ethnizitätsbegriff und die diesbezüglichen Auseinandersetzungen und Weiterführungen im bundesrepublikanischen Diskurs nicht ausführlich eingegangen werden. Vielmehr steht im Interesse der Bestimmung des Stellenwerts von Ethnizität im Kontext der Diskriminierungsthematik zum einen die Frage nach der strukturellen Relevanz von Ethnizität in modernen, nationalstaatlich verfassten Gesellschaften im Vordergrund. Zum anderen soll die Bezugnahme auf die Ethnizitätskategorie in Hinblick auf ihre spezifische ideologische bzw. diskursive Funktion in der Auseinandersetzung mit der Einwanderungsgesellschaft innerhalb des bundesrepublikanischen Kontextes diskutiert werden.
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1990/1999) zielen und dem Versuch, Ethnizität als eigenständige, kultursoziologisch begründbare Ungleichheitskategorie zu fassen (s. Weiß u.a. 2001). Hintergrund der folgenden Auseinandersetzungen mit dem Topos Ethnizität ist nicht zuletzt die im Anschluss an Blumer, Schütz und Elias aufgeworfene Frage, unter welchen spezifischen (national-)staatlichen, rechtlichen und sozialen Bedingungen eine Selbstbeschreibung von Gesellschaft entlang der Differenzierungsachse Ethnizität Plausibilität und soziale Durchsetzungsfähigkeit erlangt (s. dazu Kapitel 3). 5.2.1 Zur Popularisierung und Transformation des Konzepts ‚Ethnizität‘ in der bundesrepublikanischen Diskussion Trotz aller bereits thematisierten und im Weiteren noch zu vertiefenden fachwissenschaftlichen Problematisierungen der deskriptiven und analytischen Tragfähigkeit der Kategorie Ethnizität wird diese im politischen, medialen und auch im wissenschaftlichen Diskurs anhaltend im Sinne der Behauptung, dass ethnische Gruppen, ethnische Konflikte und ethnische Diskriminierungen gegebene soziale Tatsachen darstellen, verwendet. Dabei wird die Existenz von unterscheidbaren ethnischen Gruppen und die Relevanz von Ethnizität als Bezugspunkt sozialer Beziehungen bzw. als Vergemeinschaftungsform und als Konfliktpotential oftmals ohne begriffliche Klärung und theoretische Reflexion als empirisch evident vorausgesetzt (s. etwa Schmalz-Jacobsen/Hansen 1997; Pfeiffer/Wetzels 2001; Avci-Werning 2004). Die (Wieder-)Entdeckung115 von Ethnizität als Referenzpunkt von Gesellschaftsbeschreibungen seit Anfang der 1980er Jahre hat sich in der Bundesrepublik in Anlehnung an den anglo-amerikanischen Diskurs116 zu einem Zeitpunkt vollzogen, an dem deutlich wurde, dass sich die Arbeitsmigration in die Bundesrepublik - entgegen der ursprünglichen politischen Intention - nicht als Phänomen eines vorübergehenden Aufenthalts der 115
Es handelt sich dabei auch in Europa keineswegs um eine neue Kategorie. So hat insbesondere bereits Max Weber 1922 eine differenzierte Diskussion der Ethnizitätskategorie vorgelegt, an die kritische Analysen seit den späten 1980er Jahren anschließen (s.u.). Mit Weber lässt sich die Heterogenität der Formen des ‚ethnisch‘ bedingten Gemeinschaftshandelns“ (Weber 1980/1922: 241f.) aufzeigen, die an anderer Stelle (s. dazu Hormel/Scherr 2003: 61) bereits diskutiert wurde. Im Folgenden soll es demgegenüber ausschließlich um Formen von Ethnisierung gehen, die im Kontext einer angemessenen Analyse von Diskriminierungsprozessen in der Einwanderungsgesellschaft relevant sind. 116 Auch wenn die Referenz auf Ethnizität und Multikulturalismus im bundesrepublikanischen Kontext seit den 1980er Jahren als Import aus der anglo-amerikanischen Debatte betrachtet werden muss, sind die jeweiligen Bezugnahmen in ihren konkreten Entwicklungen und Ausformulierungen nur sehr begrenzt vergleichbar. Zur Theoriegeschichte von „Rasse“ und „Ethnizität“ im usamerikanischen Diskurs s. Bös 2005.
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angeworbenen MigrantInnen zur Schließung von Arbeitsmarktlücken, sondern als irreversibler Prozess der mittelfristigen bzw. dauerhaften Niederlassung eines großen Teils der ArbeitsmigrantInnen und ihrer Familien darstellte (s. Herbert 2001; Meier-Braun 2002; Bade/Oltmer 2004). Die damalige Verwendung der Ethnizitätskategorie im sozialwissenschaftlichen Diskurs ist somit historisch an den Versuch der Bearbeitung der Folgen der Nachkriegsmigration rückgebunden und vor diesem Hintergrund auch als Reaktion auf die politisch ungewollte Transformation der Bundesrepublik in eine Einwanderungsgesellschaft zu bewerten. Die Bezugnahme auf die Ethnizitätskategorie in sozialwissenschaftlichen Analysen sowie in der Migrationsforschung wurde dabei mit dem Anspruch verknüpft, eine Blindstelle älterer Gesellschaftstheorien aufzuzeigen (s. dazu Esser 1989). Dem korrespondierte auf der politischen Ebene ein sich wandelndes gesellschaftliches Selbstverständnis, das die Faktizität der Einwanderungsgesellschaft zunehmend unter der programmatischen Formel ‚multikulturelle Gesellschaft‘ zu fassen und zu interpretieren suchte. Es etablierten sich damit in den Sozial- und insbesondere auch in den Erziehungswissenschaften in Distanzierung zu den Defizitannahmen und Assimilationskonzepten der älteren Ausländerpädagogik und Ausländerforschung (s. dazu Griese 1984) veränderte Beobachtungsperspektiven auf mit Migration verbundene soziale Phänomene - wie etwa die Benachteiligung von MigrantInnen auf dem Arbeitsmarkt und im Bildungssystem - die dazu beitrugen, dass soziale Ungleichheitsverhältnisse unter dem Vorzeichen der Ethnizität bzw. ethnischer Unterschiede interpretiert und reformuliert wurden. Diese tendenziell ethnisierende Perspektive auf soziale Ungleichheiten stand - so die Einschätzung von Michael Bommes (1994: 370) nicht zuletzt in Zusammenhang mit der fehlenden politischen Bearbeitung der Einwanderungssituation, der Nicht-Anerkennung der Bundesrepublik als Einwanderungsland und dem Festhalten an einer auf dem Abstammungsprinzip basierenden Staatsangehörigkeitsregelung, das dazu führte, dass MigrantInnen der Zugang zur Staatsbürgerschaft weitgehend versperrt blieb. Die „nicht vollzogene politische Inklusion von Migranten als Staatsbürger, die politische Verweigerung von Einbürgerungsoptionen als Rechtsanspruch“ führte auf der Seite der „Organisationen, die mit der Bearbeitung der sozialen Folgen von Einwanderung befasst sind“ zu einer „Kulturkompromissformel“, die es diesen ermöglichte, „ihre Praxis in ethnisierend kulturalisierender Semantik zu beschreiben“ (Bommes 1994: 371). Folglich konnte Ethnizität in diesem Kontext nicht im Sinne einer analytischen Kategorie begriffen werden, auf deren Grundlage ethnisierende Klassifikationen und darauf beruhende soziale Praktiken als erklärungsbedürftiger Sachverhalt in den Blick genommen werden; vielmehr wurde das Selbsterklärungspotential von Ethnizität für die aus dem gesellschaftspolitischen Umgang mit der Einwanderungssituation resultierenden Problemlagen unhinterfragt vor-
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ausgesetzt. Die Ethnizitätskategorie kommt jedoch nicht nur als ideologische Interpretation und Fehldeutung sozialer Ungleichheitsverhältnisse zum Tragen, sondern erlangt, indem sie auch zur handlungsleitenden Vorstellung wird, eine praktische Relevanz. Mit der Referenz auf Ethnizität und Kultur etwa im Kontext der Jugendarbeit und Sozialpädagogik wird nicht nur die „Typisierung“ eines (neuen) Klientels vorgenommen (s. Bommes/Scherr 1993: 140); es werden auf der Grundlage dieser komplexitätsreduzierenden Deutungsschablone auch Probleme so konstruiert, dass sie mit den zur Verfügung stehenden Mitteln gelöst werden können und die pädagogische Arbeit mit Sinn ausgestattet werden kann: So führen Bommes und Scherr die Attraktivität des Multikulturalismus für die Jugendarbeit nicht zuletzt darauf zurück, dass die „Identifizierung eines Problems als ethnisch-kulturelles [...] die Auseinandersetzung mit der jeweils konkreten, mehrdeutigen Problemsituation verzichtbar [macht]. Komplizierte, uneindeutige, ungeklärte Konstellationen erhalten einen Sinn, der sie vermeintlich handhabbar macht und zugleich den übergeordneten Wert der eigenen Arbeit demonstriert.“ (Bommes/Scherr 1993: 143)
Ethnisierende Semantiken stellen folglich nicht nur ideologisch verzerrte Deutungs- und Wahrnehmungsmuster zur Interpretation sozialer Phänomene zur Verfügung, sondern sie sind in dem Maße realitätskonstituierend, wie sie sich „bei der Bearbeitung der sozialen Folgeprobleme von Migration im Kontext von Schule, Jugendarbeit, Sozialpädagogik, Wohlfahrtsverbänden und Sozialarbeit sowie im politischen Kontext vor allem auf der Ebene der Kommunen als praktische Organisationsressource“ erweisen (Bommes 1994: 372). Vor diesem Hintergrund verknüpft sich der pädagogisch-moralische Appell an einen gesellschaftlichen Umgang mit MigrantInnen auf der Grundlage von Toleranz und des Respekts gegenüber „ethnischen Differenzen“ (s. Radtke 1991: 82) mit dem Versuch einer operativen Bewältigung von Strukturproblemen, die durch die Situation der dauerhaften Anwesenheit von MigrantInnen im erklärten „NichtEinwanderungsland“ (Bade/Bommes 2004; s. Oberndörfer 2005) entstehen. Entsprechend wird der Multikulturalismus-Diskurs von Frank-Olaf Radtke auch im Horizont einer „Sozialtechnologie“ interpretiert, „mit der ein Steuerungsproblem der Gesellschaft durch gezielte Kommunikation und die Kraft der Moral gelöst werden soll“ (Radtke 1991: 90). Während ethnisierende Semantiken im Multikulturalismus-Diskurs der 1980er Jahre vor allem für die mit Migration und MigrantInnen befassten Organisationen relevant wurden, erlangte der Rückgriff auf Ethnizität Anfang der 1990er Jahre im Zuge der Vereinigung der beiden deutschen Staaten eine über das im Wissenschaftsdiskurs verankerte (sozial-)pädagogische Deutungsangebot und verfügbare Organisationswissen hinausgehende Bedeutung: „In den Verhältnissen der alten BRD unter Bedingungen relativ funktionierender Sozialstaatlichkeit gewann diese Semantik in der alltäglichen Indifferenz gegenüber
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Migranten keine allgemeine soziale und politische Relevanz über den Horizont der mit Migration und Migranten befassten Berufsgruppen, Professionen und Politiker hinaus. In den Verhältnissen der neuen BRD aber kann an sie in der modernisierten Fassung mit verändertem Vorzeichen angeschlossen werden, sie erhält neue Brisanz als Artikulationsform für sich nun anders stellende Problemlagen.“ (Bommes 1994: 372)
Dies geschieht im Rahmen einer paradoxen Konstellation, die dadurch gekennzeichnet ist, dass Anfang der 1990er Jahre im sozial- und erziehungswissenschaftlichen Fachdiskurs bereits eine umfassende, aus unterschiedlichen Perspektiven formulierte avancierte Kritik einer unreflektierten Verwendung des Ethnizitätsbegriffs vorliegt (s.u.), während sich ungeachtet dessen die Bezugnahme auf Ethnizität in praxisnahen pädagogischen Kontexten ausweitet und darüber hinaus eine Verbreitung und Verselbständigung der Ethnizitätskategorie als Deutungsschablone im medialen, politischen und alltagssprachlichen Diskurs erfolgt (s. dazu Bukow 1996; Hoffmann 1999). Dabei kann die Aufwertung der Ethnizitätskategorie im öffentlichen Diskurs nicht zureichend als Verallgemeinerung der bis zu diesem Zeitpunkt vor allem in den mit Migration befassten Organisationen gepflegten Multikulturalismus-Semantiken interpretiert werden, sondern diese erhält unter den Bedingungen der Vereinigung der beiden deutschen Staaten eine neue Kontur. So steht der Rekurs auf Ethnizität in engem Zusammenhang der mit dem Vereinigungsprozess zunehmend als politisches Programm in Anspruch genommenen (wieder)herzustellenden Einheit zwischen Staat, Volk und Nation und der damit in zugespitztem Maße virulent werdenden Frage nach legitimer politischer Zugehörigkeit. Ermöglicht wird damit eine Interpretation der durch den Zusammenschluss der beiden deutschen Staaten mit beförderten sozialen Problemlagen unter den Vorzeichen eines (Interessens-)Konflikts zwischen deutscher Mehrheitsgesellschaft und als ethnisch verstandenen Minderheiten. Die damit verbundene Wiederbelebung nationalisierender Semantiken auf der Ebene des etablierten politischen und medialen Diskurses steht in einem Bedingungszusammenhang mit der eklatanten Zunahme rassistisch motivierter Gewalttaten Anfang der 1990er Jahre117 und damit mit „einer nicht nur artifiziellen, aggressiv nationalistischen Wende der politischen Artikulationsformen“ (Bommes 1994: 373). Vor allem in der sich in der Debatte um die Änderung des Asylrechts realisierenden Inszenierung von Einwanderung als Bedrohung und Ursache gesellschaftlicher Problemlagen - insbesondere strukturelle Massenarbeitslosigkeit und Abbau sozialstaatlicher Sicherungen - (s. Bommes/Scherr 1992) kommt dabei die enge 117 So weisen vorliegende Studien daraufhin, dass der Anfang der 1990er Jahre geführte Asyldiskurs der etablierten Parteien und die mediale Inszenierung von Einwanderung als Ursache vielfältiger gesellschaftlicher Problemlagen und Bedrohung in einem deutlichen Zusammenhang mit dem zeitgleichen massiven Anstieg der Gewalttaten gegen Flüchtlinge stehen (s. dazu Ohlemacher 1993; Gerhard 1993; Koopmans 2001).
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Verknüpfung von ethnisierenden und nationalisierenden Semantiken und der Frage nach legitimer sozialer Teilhabe zum Tragen. Die Referenzen auf die Ethnizitätskategorie im bundesrepublikanischen Diskurs weisen damit eine heterogene und inkonsistente Bandbreite von Verwendungsweisen auf. Diese reichen von der Verwendung als operative Organisationsressource im Kontext der innerstaatlichen Verwaltung von Einwanderung bis hin zu einem Gebrauch als politisch-strategische Mobilisierungsressource, die mit der Infragestellung legitimer Zugehörigkeiten entlang nationalisierender und ethnisierender Grenzziehungen auf eine Abwehr von Zuwanderung zielt. Von einer inhaltlich klar konturierten und konsistenten Bestimmung von Ethnizität innerhalb der unterschiedlichen Diskurse kann vor diesem Hintergrund nicht ausgegangen werden. Gerade dadurch, dass die unterschiedlichen Verwendungsweisen lediglich in der Unspezifik der Kategorie selbst konvergieren, werden heterogene Bezugnahmen mit je spezifischen Akzentuierungen in unterschiedlichen Diskursfeldern und gesellschaftlichen Kontexten ermöglicht. Entsprechend betont Bommes die Notwendigkeit, „Valorisierungs- und Devalorisierungsprozesse“ von Ethnizität im Zusammenhang ihres „politische[n] Artikulationspotential[s] in historischen Kontexten“ (s. Bommes 1994: 365) zu analysieren. Ein weiterer Grund für die bis in die Gegenwart anhaltende politische und pädagogische Popularität der Kategorie Ethnizität ist jedoch nicht zuletzt darin zu sehen, dass sie als Import aus den Sozial- und Erziehungswissenschaften (s. Dittrich/Radtke 1990) mit szientifischer Autorität ausgestattet ist. Als wissenschaftlich legitimierter Containerbegriff ermöglicht Ethnizität die Veralltäglichung von Klassifikationsprozessen, mit denen die Fremdheit von MigrantInnen bzw. bestimmter Migrantengruppen als selbstverständlich gegebene, empirisch evidente Tatsache postuliert wird. Dabei steht diese Verwendung des Ethnizitätsbegriffs aber in einem deutlichen Widerspruch zur fachwissenschaftlichen Diskussion, in der inzwischen die analytische Tragfähigkeit einer solchen Konzeption von Ethnizität umfassend in Frage gestellt wurde. Die Erklärungskraft ethnisierender Beschreibungsschemata basiert damit auch auf der Fähigkeit zur Perpetuierung eines Wissenschaftsdiskurses, der in einer historisch spezifischen Situation Deutungsmacht erlangt hat und nachhaltig die Interpretation sozialer Strukturbildungsprozesse überlagert sowie in weiten Bereichen hegemonisiert. 5.2.2 Zur Problematisierung der Ethnizitätskategorie im erziehungs- und sozialwissenschaftlichen Diskurs Wie erwähnt, entfaltet sich Anfang der 1990er Jahre in kritischer Auseinandersetzung mit der Migrationsforschung und der interkulturellen Pädagogik eine grundlegende Problematisierung der theoretisch unreflektierten Inanspruchnah-
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me von Ethnizität. So wird die für Ansätze interkultureller Pädagogik zentrale Prämisse, dass Konfliktlagen in der Einwanderungsgesellschaft wesentlich auf kulturelle Differenzen zwischen Einheimischen und MigrantInnen sowie auf Probleme der interkulturellen Verständigung zurückgeführt werden können, in Frage gestellt. Die kritisierten Konzepte interkultureller Pädagogik operieren in problematischer Weise auf der Grundlage der fraglos postulierten Existenz von ethnisch und national definierten Einwanderergruppen und zielen darauf, Verstehen und Verständigung zwischen den so bezeichneten Kollektiven zu fördern. Der dabei zum Tragen kommenden Kategorisierung von Individuen als Mitglieder und Angehörige kultureller bzw. ethnischer Gruppen korrespondiert ein Konzept von Gesellschaft, das die Einwanderungsgesellschaft wesentlich als Gefüge unterschiedlicher religiöser, kultureller und ethnischer Gruppen oder Gemeinschaften auffasst. Das damit verbundene, in sozialwissenschaftlicher Perspektive unterkomplexe Gesellschaftsverständnis und die Problematik eines Denkens in der Logik primordialer kultureller oder ethnischer Gruppen sowie einer analytischen und normativen Kategorisierung von Individuen als Angehörige dieser Gruppen, wurde in einer bis heute anhaltenden Fachdiskussion umfassend aufgezeigt (s. etwa Bukow/Llayora 1988; Bommes/Scherr 1991; Radtke 1991; Hamburger 1994; Scherr 2001; vgl. dazu als Überblick Hormel/Scherr 2004b). Innerhalb der Migrationsforschung wurde zudem vielfach darauf hingewiesen, dass die Herausbildung ‚ethnischer‘ Gruppen und Minderheiten in der jeweiligen Aufnahmegesellschaft nicht unabhängig von Formen ökonomischer, politischer und rechtlicher Diskriminierung sowie sozialräumlicher Segregation interpretiert werden kann: Auch wenn Prozesse der Selbstethnisierung und der ethnischen Identifikation nicht als linear ableitbare Reaktionen auf Diskriminierungserfahrungen analysiert werden können, sind sie nur vor dem Hintergrund individueller und kollektiver Auseinandersetzungen mit den vorgefunden Bedingungen in der Aufnahmegesellschaft verständlich und nicht etwa als eine Folge vorausgehender kultureller oder ethnischer Unterschiede zwischen Einheimischen und MigrantInnen (s. etwa Esser 1980; Heckmann 1992; Pries 1998; vgl. Hormel/Scherr 2003: 59). In empirischen Studien wurde darauf bezogen gezeigt, dass „Migranten im Ankunftsland eine ethnische Identität entwickeln, die nicht einfach die Kulturmuster der Herkunftsgesellschaft mechanisch reproduziert, sondern vor dem Hintergrund der Migrationserfahrungen gemeinschaftsstiftende symbolische Vorstellungen (re-)konstruiert“ (Pries 1998: 71).
Hingewiesen ist damit auf die Notwendigkeit, ‚ethnische‘ Unterschiede, Grenzziehungen und Konflikte nicht als Phänomene zu betrachten, denen Ethnizität als eine eigenständige und vorgängige Ursache zu Grunde liegt, sondern vielmehr als erklärungsbedürftige, in Hinblick auf ihre gesellschaftliche Situiertheit
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zu untersuchende soziale Dynamiken und Praktiken (s. Bommes/Scherr 1991; Scherr 1998a; vgl. Hormel/Scherr 2003: 48). In den Vordergrund der Analyse rücken daher im Anschluss an Max Webers kritische Auseinandersetzung mit der Ethnizitätskategorie Prozesse der Ethnisierung, verstanden als „soziale Konstruktionsprozesse“, „in denen der Glaube an eine gemeinsame Abstammung, Geschichte und Kultur entwickelt und durchgesetzt wird. Ethnien stellen folglich durch Akte der Sinnsetzung erst geschaffene Tatsachen dar, sie sind Produkt einer zugrundeliegenden kulturellen Praxis, die den subjektiven Glauben an entsprechende Gemeinsamkeiten hervorbringt.“ (Scherr 2000: 410) Vor dem Hintergrund der verbreiteten problematischen Verwendung der Ethnizitätskategorie in den Sozial- und Erziehungswissenschaften sind verschiedene Autoren zu der Einschätzung gelangt, dass Ethnizität eine vor allem im wissenschaftlichen Diskurs generierte, analytische nicht tragfähige Kategorie sei (s. Bukow/Llayora 1988; Dittrich/Radtke 1990). Die ebenfalls bei Max Weber bereits in seinen frühen, differenzierten Ausführungen zur Ethnizitätskategorie getroffene Einschätzung, dass Ethnizität lediglich einen „Sammelname[n]“ markiert, der „für jede exakte Untersuchung ganz unbrauchbar“ ist (Weber 1980/1922: 242), wird dabei in einer prominent von Frank-Olaf Radtke vertretenen Position radikalisiert und führt zur grundsätzlichen Infragestellung der Verwendung von Ethnizität als analytischer Kategorie: „Der Diskurs des Multikulturalismus verstärkt das traditionale Denken. Innen und Außen, eigen und fremd betreffen in differenzierten Gesellschaften kontextabhängig jeweils nur Teilsysteme, deren Regeln funktional bestimmt sind. Die Unterscheidung nach ethnischen Kriterien jedoch ist die Konstruktion eines nahezu unverlierbaren übergreifenden Merkmals, das früheren Formen der Vergesellschaftung angehört.“ (Radtke 1991: 93)
Sowohl der deskriptiven Inanspruchnahme von Ethnizität im Kontext sozialwissenschaftlicher Analysen als auch deren normativ gewendete affirmative Bezugnahme in der politisch-pädagogischen Programmatik des Multikulturalismus liegt demzufolge eine ideologische Fehldeutung der in Folge rechtlicher Diskriminierungen von MigrantInnen und Flüchtlingen entstehenden Ungleichheitsrelationen zugrunde. So schlussfolgert Radtke: „Die nicht zu übersehende Ungleichheit in der Gesellschaft ist keine der Kulturen. Die Unterscheidung von Kulturen und Ethnien verfehlt ein Strukturproblem ihres Funktionierens. Zuwanderung von ‚Fremden‘ und ihr dauerhafter Aufenthalt setzt voraus, dass ihnen Rechtsgleichheit zugestanden wird [...]“ (Radtke 1991: 94)
Die damit vorliegende weitreichende Kritik am Ethnizitätsbegriff auf der Grundlage des Postulats einer strukturellen Irrelevanz von Ethnizität hat eine Affinität zur modernisierungstheoretischen, sowohl in der klassischen Ungleichheitstheorie als auch in der Differenzierungstheorie zum Tragen kommenden Annahme, dass ethnisierende Unterscheidungen mit fortschreitender gesell-
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schaftlicher Entwicklung bzw. im Zuge funktionaler Differenzierung zunehmend an Bedeutung verlieren werden. Die Deutung sozialer Praxis durch Individuen und Organisationen auf der Grundlage ethnisierender Semantiken stellt sich entsprechend bei Radtke folgendermaßen dar: „Sie hinken mit ihren Deutungen hinter der realen Entwicklung her. Die Gesellschaft ist weiter als die Form der Kommunikation über sie.“ (Radtke 1991: 93)
Demnach realisiert sich der Modernisierungsprozess insofern als ungleichzeitiger, als sich auf der kulturell-semantischen Ebene noch nicht vollzogen hat, was sich auf der Ebene der strukturellen Erfordernisse der modernen Gesellschaft bereits realisiert hat. Dies erscheint zunächst insoweit plausibel, als moderne Gesellschaften nicht auf einer übergreifenden, in sich homogenen Kultur geteilter Normen und Werte und darauf bezogener Vorgaben für die individuelle Lebensführung, sondern auf rechtlichen Regulierungen, abstrakten ökonomischen Prinzipien und politischen Strukturen basieren (s. Hormel/Scherr 2004b: 36). Sie beruhen folglich auch nicht auf Mechanismen, die Individuen als Angehörige ethnischer bzw. kultureller Gruppen vergesellschaften. Konzepte, die Individuen primär als Angehörige voneinander abgrenzbarer ethnischer oder kultureller Gruppen fassen, haben hingegen eine Affinität zu einem Gesellschaftsverständnis, das die Differenz zwischen Gemeinschaft und Gesellschaft nivelliert. Mit der Unterstellung, dass Individuen durch ethnische Zugehörigkeit und kulturelle Traditionen umfassend geprägt sind, werden folgenreiche Zuschreibungen etabliert, die zu einem Zirkelschluss führen: Die aus einer bestimmten Beobachterperspektive konstruierten ethnischen Gruppen werden als Ursache der Verhaltensweisen behauptet, die dann - abgeleitet aus der zugrunde gelegten Beobachterperspektive - als ethnisch klassifiziert werden. Gegenüber einer solchen Setzung von Ethnizität als fraglos gegebenem Unterscheidungsmerkmal von Kollektiven ist jedoch einzuwenden, dass Individuen ihr Welt- und Selbstverständnis in Auseinandersetzung mit ihren ökonomischen, politischen, rechtlichen usw. Lebensbedingungen und bezogen auf vielfältige sozio-kulturelle Kontexte entwickeln (s. Hormel/Scherr 2004a: 12f.). Insofern moderne Gesellschaften keine Gemeinschaften darstellen, sondern Individuen strukturell aus verwandtschaftlichen und lokalen Bindungen sowie kulturellen Traditionen freisetzen (s. Hormel/Scherr 2003: 49) und ethnisierende Unterscheidungen in den ökonomischen, politischen und rechtlichen Strukturen gerade nicht als für den gesellschaftlichen Reproduktions- bzw. Funktionszusammenhang konstitutive Unterscheidungen verankert sind, erscheint Ethnizität als ein Relikt bzw. als eine einwanderungsgesellschaftliche Variante quasi-ständischer Vergemeinschaftungsformen. Die damit nahe liegende Schlussfolgerung, dass Ethnizität als Bezugspunkt gruppenkonstituierender Klassifikationen und darauf bezogener Diskriminierungen keine Rückbindung an die Strukturprinzipien moderner Vergesellschaf-
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tung hat, operiert jedoch mit der problematischen Annahme eines kategorialen Widerspruchs zwischen funktionaler Differenzierung und „ethnischer Vergesellschaftung“ (s. dazu Nassehi 1999: 155). Armin Nassehi zeigt dagegen in historischer Perspektive auf, dass „Nationalbewusstsein und Ethnizität als wesentliche Kategorien kollektiver Identifikationen eine genuin moderne Erscheinung sind, mithin also mit funktionaler Differenzierung ursächlich verknüpft sind“ (Nassehi 1999: 157).
Funktionale Differenzierung evoziert demnach einerseits in struktureller Hinsicht einen Wandel, infolge dessen sich Inklusionen nur teilsystemspezifisch und nicht als Vollinklusionen vollziehen und der von Luhmann als Umstellung von „Inklusionsindividualität auf Exklusionsindividualität“ (Luhmann zit. in: Nassehi 1999: 158) beschrieben wird. Die weitgehende Freisetzung von Individuen aus einer durch soziale und regionale Herkunft vorstrukturierten gesamtgesellschaftlichen Inklusion, wie sie für stratifizierte Gesellschaften kennzeichnend war, befördert auf der semantischen Ebene die mit den bürgerlichen Revolutionen sich verallgemeinernden Ideen der individuellen Würde, Freiheit und Gleichheit (s. Nassehi 1999: 156 u. 165). Diese auf das Individuum zentrierten Ideen stehen aber andererseits in einem Zusammenhang und gleichzeitigen Spannungsverhältnis zu nationalisierenden und ethnisierenden Semantiken, die sich auf der Grundlage der Herausbildung von Nationalstaaten als partikulare politische Gemeinschaften etablieren. Die semantische Aufwertung der Nation füllt die Leerstelle einer in Folge funktionaler Differenzierung nicht mehr gegebenen Vollinklusion. Als Bezugspunkt dient dabei die auf der Basis imaginierter Merkmale wie gemeinsame Sprache, Abstammung, Kultur und Geschichte als exklusiv konzipierte nationale Gemeinschaft. Dies geschieht, so Reinhard Kreckel, vor dem Hintergrund der historischen Bedingung, „dass das Prinzip der nationalstaatlichen Einbindung von Individuen in der abendländischen Geschichte erst dann Gewicht gewonnen hat, als die segmentärverwandtschaftlichen und die ständisch-mediatisierten Formen der sozialen Integration an Einfluss zu verlieren begannen. [...] Der Nationalismus ist die dazugehörige Integrationsideologie, er bedient sich typischerweise einer ‚unmodernen‘ ethnischen Rhetorik - und dies mitten im Herzen der ‚modernsten‘ Gesellschaften“ (Kreckel 1989: 164).
Mit dem Hinweis auf diesen Bedingungszusammenhang werden ethnisierende Konstruktionen als genuin anti-universalistische Semantiken nicht im Sinne eines Ungleichzeitigkeitsphänomens gegenüber den Strukturen der modernen Gesellschaft gewertet; vielmehr werden die Plausibilitätsbedingungen für Prozesse der semantischen Aufwertung von Ethnizität auf die tendenzielle Auflösung ständischer Vergesellschaftungsformen im Zuge funktionaler Differenzierung und die Herausbildung einer segmentär ausdifferenzierten Ordnung in National-
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staaten zurückgeführt. Ethnizität bildet sich so als spezifische, auf den Nationalstaat bezogene, historisch im Prozess der Nationalstaatenbildung generierte Beschreibungsmatrix und damit als genuin modernes Phänomen heraus. Damit ist jedoch noch nicht die im vorliegenden Kontext im Vordergrund stehende Frage beantwortet, ob Ethnizitätskonstruktionen eine gesellschaftsstrukturelle Bedeutung zukommt. Vor dem Hintergrund der bisher referierten Argumentationen scheint jedoch die Notwendigkeit angezeigt, zu unterscheiden zwischen der strukturellen Relevanz bzw. Irrelevanz von ethnisierenden Klassifikationen einerseits und einer spezifischen historischen Entwicklung andererseits, die Plausibilitätsbedingungen für ethnisierende Semantiken, Ideologien, Diskurse und Praktiken herstellt. 5.2.3 Dimensionen der sozialen Konstruktion von Ethnizität: Nationalstaatlichkeit, soziale Ungleichheit und symbolische Ordnung Im Weiteren wird darauf bezogen argumentiert, dass Ethnizität nicht der Status einer analog zu ‚Klasse‘ oder ‚Staatsbürgerschaft‘ konturierbaren Strukturkategorie zukommt, sondern dass die strukturelle Verankerung von Ethnizität darüber vermittelt ist, dass sie als Bezugspunkt und Diskriminierungsressource für die Zuweisung zu Positionen im Macht- und Ungleichheitsgefüge Relevanz erlangt. Dies vollzieht sich potentiell innerhalb drei zu unterscheidender Dimensionen: Nationalstaatlichkeit und Ethnizität Erstens steht die Entwicklung der modernen Staatsbürgerschaft auf der Basis nationaler Zugehörigkeit - wie bereits in Kapitel 5.1. gezeigt - in einem engen Zusammenhang mit der Begründung der Nation auf Grundlage einer als ethnisch homogen verstandenen ‚nationalen Gemeinschaft‘. Die moderne Form der politischen Positionierung qua nationalem Mitgliedschaftsstatus auf der Grundlage des nach innen hin einschließenden, vereinheitlichenden und auf universalistischen Grundsätzen basierenden Rechtsprinzips der Staatsbürgerschaft beruht auf einer Grenzziehung nach außen, für die Ethnizitätskonstruktionen eine zentrale Legitimationsgrundlage bieten. Auf dieser Grundlage tragen sich ethnisierende Klassifikationen in die moderne Form der Staatsbürgerschaft als ein für den ungleichen Zugang zu Recht, Ökonomie, Politik etc. hoch bedeutsames differenzierendes Ordnungsschema ein. In einer soziologischen Perspektive lässt sich dieser historisch beschreibbare Prozess der „Ethnisierung der Staatsangehörigkeit“ (Bös 2000: 111) - wie bereits erwähnt - nicht darüber bestimmen, welche Rechtsprinzipien für den Erwerb der Staatsangehörigkeit in bestimmten Staaten vorrangig sind. Vielmehr ist die Logik der unterschiedlichen Rechts-
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prinzipien insofern als strukturanalog zu werten, als die jeweiligen Nationalstaaten naturalisierende Kriterien setzen, „die soziologisch als ethnisch zu bezeichnen sind, da sie an partikularen Ideen über die Lebensweise orientiert sind, die sich aus den gemeinsam zelebrierten kulturellen Formen ableiten lassen: Sprache, Geschichte, Wirtschaftsweise und vor allem das politische Schicksal sind Kern jeder ethnischen Selbstbeschreibung und Kern aller Naturalisierungskritieren“ (Bös 2000: 113f.).118
Die über das Staatsangehörigkeitsrecht vermittelte „politische Positionierung“ (Holz 2000: 13) innerhalb national verfasster Gesellschaften generiert eine fundamentale symbolische Differenz: Sie sichert angesichts einer real gegebenen Einwanderungssituation weiterhin ein Ordnungsschema, das an der territorialen Segregation nationaler Gesellschaften orientiert ist. Das Ordnungsschema ‚Ethnizität‘ organisiert eine Binnendifferenzierung, die minoritäre soziale Gruppen und Lebensbereiche partikularisiert, indem es das Territorialitätsprinzip nationalstaatlicher Ordnungen symbolisch als Ethnizitätsprinzip reproduziert. Entsprechend weist Stuart Hall daraufhin, dass der Nationalstaat niemals nur eine „politische Einheit“ war, sondern immer auch eine „symbolische Form“ (Hall 1995: 32).119 Soziale Ungleichheit und Ethnizität Zweitens sind ethnisierende Unterscheidungen historisch-genetisch mit der Reproduktion sozialer Ungleichheiten verschränkt. Blumers Bemerkung, dass in modernen Nachkriegsgesellschaften soziale Beziehungen, die die Form ethnischer Differenzierung annehmen, nicht mehr als horizontal, sondern als ‚diagonal‘ beschrieben werden müssen (s. Kapitel 3.1.), weist darauf hin, dass, entgegen der vortheoretischen Annahme einer Ungleichartigkeit ethnisch unterschiedener ‚Gruppen‘, der Reproduktion sozialer Ungleichheit ein wesentlicher Ein118 Bös weist in Kritik an der in der Staatsbürgerschafts- und Nationalismusforschung lange gängigen Vorgehensweise, die Rechtsprinzipien des ius sanguinis oder des ius soli als Indikatoren für den Stellenwert ethnisierender Dimensionen zu werten, daraufhin, dass der beobachtbare weitgehende Bedeutungsverlust eines reinen ius sanguinis nicht mit einem Bedeutungsverlust ethnisierender Kriterien hinsichtlich der Vorstellungen, wer einen legitimen Anspruch auf politische Zugehörigkeit hat, einhergeht: „Die zunehmend komplexer werdenden Kriterien der Einbürgerung, die in weiten Teilen auf erworbenen Merkmalen beruhen, sind immer stärker an Ideen ausgerichtet, die aus soziologischer Sicht als partikular und ethnisch bezeichnet werden können.“ (Bös 2000: 115f.) 119 Dass sich ethnisch gefasste Kriterien in die Zugangsregulierungen zur Staatsbürgerschaft eintragen und dass diese anhaltend Bezugspunkte von gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen um Fragen der legitimen Zugehörigkeit sind, wird auch an Auseinandersetzungen um die Einführung eines Gesprächsleitfadens in Baden-Württemberg für einbürgerungswilige Muslime bzw. für Einwanderer, die aus einem Staat kommen, der der Islamischen Konferenz angehört, und damit als Muslime kategorisiert werden, deutlich (zur Nicht-Vereinbarkeit dieses Leitfadens mit der Rassendiskriminierungskonvention aus juristischer Sicht: s. Wolfrum/Röben 2006).
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fluss auf die Soziogenese gruppenbezogener Benachteiligung zuerkannt werden muss. Damit stellen sich Ethnizitätskonstruktionen nicht nur als ein abgeleitetes, soziale Ungleichheiten nachträglich rationalisierendes und legitimierendes, sondern auch als ungleichheitsgenerierendes Phänomen dar: „Ethnische Klassifikationen reproduzieren nicht die sozialen Bedingungen, deren Produkt sie sind, sie organisieren die veränderten Bedingungen in einer ethnischen Weise, und schaffen sich damit ihre Fundierung in den sozialen Strukturen.“ (Dittrich/Lentz 1995: 35)
Ethnizität ist insofern nicht lediglich als eine auf Prozessen der Zuschreibung basierende Kategorie zu betrachten, als sich Ethnizitätskonstruktionen als etablierte Semantiken realisieren und eine eigenständige Relevanz für die (Re-)Produktion von Ungleichheitsverhältnissen erlangen. Im Unterschied zu formell rassistisch strukturierten Gesellschaften, in denen rassialisierende und ethnisierende Unterscheidungen den Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen auf der Basis rechtlich konstituierter Ausschließung ‚legitim‘ regeln, gilt für demokratisch verfasste Gesellschaften jedoch, dass Ethnizität hier kein die gesellschaftlichen Verhältnisse insgesamt strukturierender Status zukommt.120 Die aktuelle Bedeutung „ethnischer Ungleichheit“ ist so für die Bundesrepublik nur unter Berücksichtigung der infolge der historischen Situation der Anwerbung von MigrantInnen für niedrig qualifizierte, schlecht entlohnte Arbeitsmarktsegmente entstehenden „ethnischen Schichtung“ (s. Esser 1980; Treibel 1999: 199ff.) und deren Reproduktionsbedingungen diskutierbar. Bezogen auf die anhaltende Benachteiligung von MigrantInnen auf dem Arbeitsmarkt, im Bildungssystem etc. sind daher Mechanismen, die sich als Reproduktion sozialer Ungleichheiten auf der Basis der sozialstrukturellen Lage vollziehen, zu unterscheiden von Formen einer darüber hinausgehenden Diskriminierung, die an ethnisierenden Zuschreibungen ansetzt. Dies erfordert eine analytische Differenzierung zwischen den Reproduktionsbedingungen und den Verteilungskonflikten auf der Ebene sozialer Strukturen einerseits und den Effekten ethnisierender Klassifikationen und Zuschreibungen auf der Ebene symbolischer Grenzziehungen andererseits. Diese analytische Unterscheidung erlaubt jedoch nicht den Rückschluss, dass es sich dabei um systematisch voneinander getrennte Mechanismen handelt; vielmehr sind diese in ihrem Verweisungszusammenhang zu betrachten. Vor diesem Hintergrund sind soziale Ungleichheiten, die sich als ‚ethnische Ungleichheiten‘ darstellen, nicht unabhängig von historisch sedimentierten sozialen Grenzziehungen und tradierten Verteilungsordnungen zu verstehen. 120 Die von Anja Weiß angestrebte grundlegende Berücksichtigung kultureller Klassifikationen im Rahmen von Ungleichheitsanalysen führt demgegenüber dazu, dass die bundesrepublikanische Gesellschaft dort als „rassistisch strukturierte[n] Gesellschaft“, gefasst wird, in der eine „spezifische rassistische Form des symbolischen Kapitals“, „den sozialen Raum objektiv mitstrukturiert“ (Weiß u.a. 2001: 19, s. Weiß 2001: 79ff.).
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Zudem ist der enge Konnex zwischen sozialer Lage und ethnisierenden Kategorisierungen nicht nur darauf zurückzuführen, dass diese in der Zuweisung sozialer Positionen potentiell zum Tragen kommen können, sondern ethnisierende Zuschreibungen sind auch durch Annahmen über die angenommene soziale Lage derjenigen, an die sie adressiert werden, überformt. Sich als ‚ethnisch‘ darstellende soziale Ungleichheiten verleihen Annahmen über die Ungleichwertigkeit unterscheidbarer ethnischer Gruppen Plausibilität, die schließlich wiederum bei der Genese von Ungleichheitsverhältnissen und deren Legitimation Bedeutung erlangen können. Diese wechselseitige Durchdringung von ethnisierenden Zuschreibungen und sozialen Ungleichheitsverhältnissen kann daher nur in ihrem historisch-spezifischen Bedingungszusammenhang analysiert werden. Eine allgemeine, von den konkreten historischen Situierungen abstrahierende Bestimmung des Verhältnisses von sozialer Lage bzw. Klasse und Ethnizität, stellt sich hingegen als notwendigerweise übergeneralisierend dar. Ethnizität als Element symbolischer Ordnung Drittens bilden ethnisierende Klassifikationen ein historisch gewachsenes Repertoire von Annahmen über unterscheidbare ethnische Gruppen, das unter bestimmten Bedingungen abrufbar ist und sich mit Ungleichwertigkeitszuschreibungen verknüpft. Ethnisierung bedeutet hierbei nicht nur, dass Individuen ethnisch definierten sozialen Gruppen zugewiesen und auf Grundlage dieser Klassifikation behandelt werden. Ethnisierende Klassifikationsmuster verallgemeinern darüber hinaus ein im Sinne einer ‚gültigen‘ Selbstbeschreibung entworfenes Gesellschaftsbild, mit dem soziale Verhältnisse als Intergruppenbeziehungen bzw. Intergruppenkonflikte interpretiert und repräsentiert werden. Sowohl wissenschaftlich als auch alltagstheoretisch begründete Ethnizitätskonzepte lassen sich vor diesem Hintergrund primär als Beschreibungsmodi analysieren, auf deren Grundlage nicht lediglich ideologische Vorstellungen im Sinne ‚falscher‘ oder verzerrter Annahmen über die Realität sozialer Verhältnisse generiert werden; vielmehr operieren Ethnizitätsvorstellungen auf der Ebene symbolisch strukturierter, überindividueller Klassifikationen. Es handelt sich hierbei Miles zufolge um einen grundlegenden Prozess der „Bedeutungskonstitution“ (Miles 2000) oder - mit Schütz gesprochen - um die sinnhafte Strukturierung der Lebenswelt auf der Grundlage von „Typisierungen“ (s. Kapitel 3.2.). Ethnisierende Differenzierungen generieren Vorstellungen über grundlegende Ordnungsfaktoren der sozialen Wirklichkeit - und zwar in einer von den Strukturbedingungen wie Klassenlage und Staatsangehörigkeit zu unterscheidenden Weise. Folglich produzieren Klassifikationen, die imaginäre ethnische Gruppen hervorbringen, innerhalb sozialer Interaktionen und Organisationen Bedeutung erlangende handlungsrelevante Muster. Sie können mit einem von Stuart Hall in Anschluss an Althusser in Anspruch genommenen Ideologiever-
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ständnis als „Systeme der Repräsentation“ verstanden werden, „die sich in Praxen realisieren“ (Hall 2004: 51). Da die Etablierung ethnisierender symbolischer Grenzziehungen von den Machtverhältnissen abhängt, die soziale Akteure dazu befähigen, diese als anerkannte Sichtweisen durchzusetzen, lässt sich das Beschreibungsschema Ethnizität in Anschluss an Ernesto Laclau und Chantal Mouffe selbst als eine Form der „hegemonialen Artikulation“121 (Laclau/Mouffe 2000: 127ff.) charakterisieren, dessen historische Durchsetzung und Popularisierung weniger struktur- als machttheoretisch in den Blick genommen werden kann. Ethnisierende Zuschreibungen setzen, wie schon Elias anhand des Modells der EtabliertenAußenseiter-Figuration aufzeigt (s. dazu Kapitel 3.3.), eine ungleiche Machtbalance und eine einseitig verlagerte Definitionsmacht voraus und sind in dem Maße ordnungsstiftend, wie sie die Markierung von Abweichungen und die Differenz des Partikularen gegenüber einem universell gesetzten, als homogene Ordnung verstandenen Sozialen vollziehen. Entsprechend betont Stuart Hall, dass die soziale Bedeutung ethnisierender Zuschreibungen nicht zuletzt davon abhängt, welchen sozialen „Gruppen“ es gelingt, sich in einem universellen Gestus mit universellen Ansprüchen zu generieren und sich als „das leere Zeichen, die Norm, an der ‚Differenz‘ (Ethnizität) gemessen“ (Hall 2004: 203) wird, zu setzen.122 Symbolische Grenzziehungen auf der Grundlage ethnisierender Unterscheidungen werden damit als genuin politischer Prozess der Repräsentation des Sozialen als einer scheinbar universellen Objektivität verstanden (s. dazu auch Laclau/Mouffe 2000). Ethnisierung und ethnisierende Praktiken operieren daher nicht auf der Ebene der Strukturbedingungen sozialer Reproduktion, sondern auf der Ebene 121
Die Kategorie der Artikulation bei Laclau/Mouffe grenzt sich insofern von einer Beschreibung herrschender Ideologien oder einem totalisierenden Diskurs ab, als es nicht um die Errichtung fixierter diskursiver Strukturen oder Ideologien geht, sondern um den Prozess der Herstellung privilegierter diskursiver Positionen, die notwendig partiell bleiben, aber gleichzeitig darauf ausgerichtet sind, diese Fixierung als Totalität und Objektivität im Sinne eines hegemonialen Diskurses durchzusetzen. Und Stuart Hall formuliert im Anschluss an Laclau: „Eine Artikulation ist demzufolge eine Verknüpfungsform, die unter bestimmten Umständen aus zwei Elementen eine Einheit herstellen kann. Es ist eine Verbindung, die nicht für alle Zeiten notwendig, determiniert, absolut oder wesentlich ist.“ (Hall 2000: 65) 122 Was Stuart Hall hier für die britische im Unterschied zur us-amerikanischen Situation, wo sich die weiße Mehrheit auch als „ethnisch“ definiert, betont, gilt in ähnlicher Weise auch für die bundesrepublikanische Situation. Mit anderer Akzentuierung weist Wolf-Dietrich Bukow daraufhin, dass die „Soziogenese ethnischer Minoritäten [...], bei der Bevölkerungsgruppen über den Weg ethnischer Aufladung zu politischen Größen von (fremd-)nationaler Qualität transformiert werden“ (Bukow 2000: 171) darüber erfolgt, dass „der ethnische Aspekt vorwiegend abgrenzend gegenüber dem anderen und der nationale Aspekt vorwiegend in eigener Sache eingebracht wird“ (Bukow 2000: 170). Hier wird also eine Logik zugrunde gelegt, die das Nationale als das Universelle, das Ethnische als das Partikulare setzt.
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grundlegender gesellschaftsbezogener Wahrnehmungskategorien und klassifizierender Ordnungsvorstellungen und somit auf dem Feld politischer Artikulation und Repräsentation; ihre Effekte sind nicht primär als strukturbildende, sondern als sinnkonstituierende und ordnungsstiftende in den Blick zu nehmen. Die Erlangung der Definitions- und Deutungsmacht ist jedoch wiederum an strukturbedingte Macht- und Verteilungschancen gebunden, zu denen Staatsangehörigkeit und Klassenlage zählen. Die Hegemonisierung der Selbstbeschreibungsformen nationalstaatlich verfasster Gesellschaften korrespondiert vor diesem Hintergrund mit grundlegenden Reproduktionsstrukturen, ohne jedoch aus diesen ableitbar zu sein. Eine soziologische Analyse des Stellenwerts von Ethnizität muss vor diesem Hintergrund auf Annahmen über Unterschiede zwischen gegebenen ethnischen Gruppen ebenso konsequent verzichten wie auf den Versuch, Verhältnisse zwischen ethnisch identifizierten Gruppen als von den Klassifikationsprozessen und den darauf bezogenen Handlungen von Individuen abstrahierende, ‚objektive‘123 soziale Verhältnisse zu beschreiben.124 Ethnisierende Klassifikationen erhalten dadurch soziale Bedeutung, dass Individuen auf der Grundlage imaginärer Vorstellungen über die soziale Wirklichkeit handeln, die ihrerseits jedoch nicht losgelöst von symbolisch generierten Ordnungsmustern und sozialstrukturellen Bedingungen betrachtet werden kann. Zudem sind auf ethnisierenden Zuschreibungen basierenden Gruppenkonstruktionen insofern nicht kontingent, als sie sich mit historisch sedimentierten, in die Struktur sozialer Ungleichheiten eingelassenen sozialen Grenzziehungen verknüpfen. Dieser machttheoretisch rekonstruierbare Zusammenhang stellt sich jedoch nicht als unmittelbarer, sondern in Form einer ‚losen Kopplung‘ her, so dass ethnisierende Klassifikationen, ohne selbst unmittelbar strukturbildend zu sein, in dem Maße strukturell rückgebunden sind, wie sie zum einen nicht ohne 123 Jedoch ist für die Kategorie der Klasse oder der Staatsangehörigkeit zur Kennzeichnung ‚objektiver‘ Lagen ebenso charakteristisch, dass diese Ergebnis von Klassifikationsprozessen sind (s. dazu Barlösius 2004: 33; sowie grundlegend zur Problematik „objektivistischer“ Ungleichheitstheorien Berger 1989). Zum Problem der ‚Objektivität‘ von Klassenlagen formulieren Sighard Neckel und Ferdinand Sutterlüty: Mit sozialstrukturellen Differenzen gehen immer auch Deutungen sozialer Ungleichheit einher, welche die Interaktion zwischen verschiedenen Akteuren bis in die kleinsten lebensweltlichen Episoden hinein prägen [...].“ (Neckel/Sutterlüty 2005: 410) 124 Entsprechend weist Brubaker (2004) in Hinblick auf den anglo-amerikanischen Diskurs auf die Notwendigkeit hin, dass sich die sozialwissenschaftiche Diskussion um Ethnizität nach wie vor eines „groupisms“ zu entledigen habe, der sich trotz des mittlerweile im Wissenschaftsdiskurs nahezu konsensuell etablierten Verständnisses von Ethnizität als Konstruktion hartnäckig erhalte. Dies erfordere eine nicht nur terminologische, sondern auch analytische Distanznahme zu einer Konzeption von Ethnizität „in terms of substantial groups or entities“ zugunsten einer Fassung von Ethnizität „in terms of practical categories, situated actions, cultural idioms, cognitive schemas, discursive frames, organizational routines, institutional forms, political projects, and contingent events.“ (Brubaker 2004: 11)
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Referenz auf reale Strukturbedingungen ‚funktionieren‘, und wie sie zum anderen als Ressource für die Zuweisung zu strukturell ungleichen Lagen Bedeutung erlangen können. Umgekehrt gewinnen ethnisierende Klassifikationen als genuin politische „Definitionen interner und externer Nicht-Zugehörigkeiten“ (Bukow 2000: 169) ihre Plausibilität als beschreibbare soziale Sachverhalte nicht unabhängig von den imaginären Gruppenkonstruktionen und symbolischen Grenzziehungen, die Mehrheiten-/Minderheiten-Konstellationen hervorbringen. Der ordnungsstiftende Konnex zwischen realen Strukturbedingungen und symbolisch generierten Differenzierungen wird auf der Ebene der imaginären Vorstellungen der sozialen Akteure wie auch auf der Ebene institutionalisierter Wahrnehmungsmuster, Routinen und Erwartungsstrukturen innerhalb von Organisationen vollzogen und in diesem Zusammenspiel etablieren sich ethnisierende Zuschreibungen als diskriminierungsrelevante Semantiken.
5.2.4 Ethnische Herkunft als Kategorie des Antidiskriminierungsdiskurses Die im Antidiskriminierungsdiskurs gängige Kategorie der ‚ethnischen Herkunft‘ weist insofern Entsprechungen zu einem theoretisch unterkomplexen, substantialistischen Verständnis von Ethnizität auf, als die Zugehörigkeit von Individuen zu ethnischen Gruppen als Diskriminierungspraktiken vorgängiger, empirisch evidenter Sachverhalt vorausgesetzt wird. So heißt es in § 1 des inzwischen vom Bundestag beschlossenen „Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes“125: „Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.“
Augenfällig ist hier zunächst die analoge Typisierung der Merkmale „Rasse“ und „ethnische Herkunft“, die der Diktion der EU-Richtlinien folgt. Während der Rassebegriff in Übereinstimmung mit den EU-Richtlinien in der Begründung des Gesetzesentwurfs126 problematisiert wird, findet die Kategorie der „ethnischen Herkunft“ jedoch keine entsprechende Problematisierung.127 125 S. Bundesgesetzblatt Jahrgang 2006, Teil I Nr. 39, ausgegeben zu Bonn am 17.August 2006 (http://217.160.60.235/BGBL/bgbl1f/bgbl106s1897.pdf) 126 S. Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung (www.bmj.bund.de/media/archive/1213.pdf) 127 Dies gilt auch für die vorgetragene Kritik am Gesetzentwurf, die dazu auffordert, gänzlich auf den Rasse-Begriff zu verzichten. Dies geschieht mit dem Verweis darauf, dass der Rasse-Begriff im deutschen Diskurs gegenüber etwa dem anglo-amerikanischen ausschließlich als biologische und nicht soziale Kategorie gefasst wird (s.etwa http://www.aric.de/aktuelles/stellungnahme_
Ethnizitätskonstruktionen als Diskriminierungsressource
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Die angestrebte Überwindung der Ungleichbehandlung auf der Grundlage von „Rasse oder ethnischer Herkunft“ weist dabei insofern eine implizite Entsprechung zu solchen Gesellschaftsanalysen auf, die von einer zunehmenden strukturellen Irrelevanz ethnisierender Unterscheidungen im Zuge funktionaler Differenzierung ausgehen, wie ethnische Ungleichheiten in beiden Fällen als überwindbar bzw. überwindungsbedürftig betrachtet werden. Vor diesem Hintergrund ist die im Antidiskriminierungsdiskurs angestrebte Überwindung von ‚Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft‘ nicht nur als normatives und an einem für moderne Gesellschaften charakteristischen Gerechtigkeitsideal orientiertes Postulat zu verstehen. Insofern Antidiskriminierungsgesetze als politisch-rechtliche Steuerungsinstrumente selbst Momente von Modernisierungsprozessen darstellen, werden mit ihnen auch Annahmen darüber institutionell festgeschrieben, welche Diskriminierungsformen mit den Funktionsprinzipien moderner Gesellschaften vereinbar oder unvereinbar sind. Auf dieser Grundlage stellen sie Kriterien bereit, welche Unterscheidungen als diskriminierungsrelevant betrachtet werden und welche keine Berücksichtigung finden. Deshalb ist die Ausklammerung der Kategorie der Staatsangehörigkeit als legales Instrument der Ungleichbehandlung im Antidiskriminierungsdiskurs nicht hinreichend historisch erklärbar, sondern dieser kommt ein für den gesellschaftlichen Reproduktionszusammenhang systematisch anderer Stellenwert zu als der Ethnizitätskategorie. Vor diesem Hintergrund stellen sich gesellschaftliche Aushandlungsprozesse bezüglich der in den Antidiskriminierungsbestimmungen aufgenommenen relevanten Kategorien (s. zuletzt am Beispiel des „Gleichbehandlungsgesetzes“) nicht nur als durch ideologisch-weltanschauliche Kontroversen geleitete politisch motivierte Auseinandersetzungen (wie etwa im Fall der Kategorie „Homosexualität“ deutlich wird) dar; vielmehr gehen dort auch interessengeleitete Annahmen darüber ein, welche Unterscheidungen auf der Grundlage der in Rede stehenden Kategorien als in funktionaler Hinsicht verzichtbar oder unverzichtbar erachtet werden. Antidiskriminierungsgesetze schreiben angesichts der diffusen, unklaren und wissenschaftlich nicht tragfähigen Zuordnung von Individuen zu ethnisch differenzierten Gruppen eine problematische Definitions- und Zuweisungspraxis vor, die sie für ihre operative Anwendbarkeit voraussetzen. So wie im Multikulturalismusdiskurs der 1980er Jahre die mit Migration befassten Organisationen von ihren operativen Problemen ausgehend ihre Klientel definiert und auf der Grundlage der Beschreibungsmatrix unterscheidbarer ethnischer Gruppen kategorisiert haben, so sind Antidiskriminierungsbestrebungen als staatliche Maßantidiskriminierungsgesetz/netz_gegen_rassismus_stellungnahme_lesung). Dort findet sich auch eine Problematisierung der Nicht-Berücksichtigung der Staatsangehörigkeit bzw. Nationalität, eine Problematisierung der Verwendung der Kategorie der „ethnischen Herkunft“ findet sich hingegen nicht.
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Staatsbürgerschaft, Nationalstaatlichkeit und Ethnizität
nahmen zur Steuerung von sozialen Prozessen vor die Aufgabe gestellt, Problembeschreibungen anzufertigen, auf die sie reagieren wollen und können. Die im Antidiskriminierungsdiskurs in den Blick genommene Kategorie der ethnischen Herkunft nimmt dabei einen etablierten Beschreibungsmodus auf und folgt so jener paradoxen Logik, die Radtke Anfang der 1990er Jahr für den Multikulturalismusdiskurs beschrieben hat: „Ethnizität soll als Anderssein verstanden und dennoch nicht im sozialen Prozess als Ressource der Unterscheidung (d.h. der Diskriminierung) verwendet werden.“ (Radtke 1991: 92)
Mit der Fokussierung der Diskriminierungsgrundlagen „Rasse oder der ethnischen Herkunft“ wird eine hoch selektive Thematisierung der Diskriminierung von MigrantInnen und ‚Minderheiten‘ vorgegeben - mit der Folge, dass die Beanspruchung eines Schutzes vor Diskriminierung an die Voraussetzung gebunden ist, dass sich MigrantInnen selbst ethnisieren, indem sie sich als zugehörig zu einer als ethnisch gefassten Minderheit beschreiben und somit die Definitionen der entscheidenden Instanzen übernehmen. So wird über den Rechtsdiskurs eine Zuschreibungspraxis institutionalisiert und eine Beobachtungsperspektive verfestigt, die eine Engführung komplexer, mit der Diskriminierungsthematik in Zusammenhang stehenden Problemlagen in der Einwanderungsgesellschaft vornimmt. Der auf Ethnizität als Diskriminierungsressource zielende Antidiskriminierungsdiskurs ist vor diesem Hintergrund nicht nur aufgrund seiner unreflektierten Übernahme ethnisierender Gruppenkonstruktionen, die nicht als solche zum Problem erklärt werden, sondern erst dann, wenn auf deren Grundlage Ungleichbehandlung erfolgt, skandalisiert werden, problematisch. Darüber hinausgehend sitzt er einem meritokratischen Selbstverständnis auf, das zur Folge hat, dass die strukturelle Dimension der Diskriminierung von MigrantInnen und Minderheiten, d.h. die in gesellschaftliche Prozesse der Reproduktion sozialer Ungleichheit eingelassene Problematik der Unterscheidung von Staatsbürgern und Nicht-Staatsbürgern und der Benachteiligung von MigrantInnen als Angehörige sozial unterprivilegierter Schichten bzw. Klassen, unberücksichtigt bleibt. Zwar wird mit der Kategorie der „mittelbaren“ bzw. der „indirekten“ Diskriminierung versucht, auch solchen Diskriminierungen Rechnung zu tragen, die sich nicht als Ungleichbehandlung unterschiedener Gruppen, sondern durch die Gleichbehandlung benachteiligter Gruppen realisieren. Diese finden jedoch nur dann Berücksichtigung, wenn sie den Vorgaben der Antidiskriminierungsrichtlinien entsprechend als Diskriminierung auf der Grundlage der „ethnischen Herkunft“ kategorisiert werden können. Dies hat zur Folge, dass der Verknüpfung ethnisierender Unterscheidungen mit der Reproduktion sozialer Ungleichheit auf der Grundlage strukturell ungleicher Lagen nicht Rechnung getragen werden kann.
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Eine sozialwissenschaftliche Analyse von Diskriminierungen in der Einwanderungsgesellschaft ist vor diesem Hintergrund in Auseinandersetzung mit dem politischen Antidiskriminierungsdiskurs zu einer erkenntniskritischen Analyse der Ethnizitätskategorie aufgefordert und kann weder von der Existenz ethnischer Gruppen ausgehen noch ‚ethnische Diskriminierung‘ als empirisch gegebenen Fall voraussetzen. Zudem kann sich eine theoretisch informierte Antidiskriminierungsstrategie, die auf MigrantInnen und Minderheiten bezogene Diskriminierungsformen fokussiert, nicht darauf beschränken, die dort in problematischer Weise verwendete Ethnizitätskategorie zu kritisieren. Vielmehr muss diese auch in reflektierter Auseinandersetzung mit der hoch selektiven Thematisierung von Diskriminierungen in der Einwanderungsgesellschaft erfolgen.
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Schlussbetrachtung: Möglichkeiten und Grenzen einer sozialwissenschaftlich fundierten Theorie der Diskriminierung in der Einwanderungsgesellschaft
Der Versuch einer gesellschaftstheoretischen Fundierung der Diskriminierungsthematik ist zunächst mit der Problematik konfrontiert, dass die Kategorie ‚Diskriminierung‘ im Rahmen sozialwissenschaftlicher Theoriebildung bislang nicht systematisch als Wissensgegenstand entwickelt worden ist. Vielmehr steht die Karriere dieses Terminus in engem Zusammenhang mit der zunehmenden internationalen politischen und rechtlichen Institutionalisierung einer durch den Menschenrechtsdiskurs beförderten, auf das Individuum bezogenen universalistischen Semantik, die im Zuge von Modernisierungsprozessen an Plausibilität gewinnt. Referenz des auf der Basis des Menschenrechtsdiskurses operierenden Antidiskriminierungsparadigmas ist dabei kein analytisches Gesellschaftsmodell, sondern ein an den Ideen der individuellen Würde, Freiheit und Gleichheit orientiertes (Selbst-)verständnis moderner Gesellschaften. Als normativ gefasste Prinzipien stellen diese zwar eine Matrix für die Skandalisierung bestehender Ungleichheiten bereit, nicht aber ein begriffliches Instrumentarium, mit dem die sozialen Bedingungen von Diskriminierungen beobachtbar und beschreibbar gemacht werden könnten. Mit dem Fokus auf menschenrechtliche Prinzipien als universell geltende und unveräußerliche Rechte operiert der politische und rechtliche Antidiskriminierungsdiskurs ohne eine ausgewiesene theoretische Gegenstandsbestimmung dessen, was Diskriminierung als soziales Phänomen charakterisiert. Die Faktizität von Diskriminierungen wird gleichwohl als politisch wie rechtlich zu bearbeitendes Problem postuliert. Insbesondere durch die einschlägigen Richtlinien der Europäischen Union und die Debatten um das inzwischen in Kraft getretene Gleichbehandlungsgesetz gewinnt der Topos der Diskriminierung damit auch in der Bundesrepublik an gesellschaftlicher Bedeutung, während diesem im sozialwissenschaftlichen Diskurs ein bislang eher randständiger Stellenwert zukommt. Obwohl der Diskriminierungsbegriff seit den 1970er Jahren im Kontext der Thematisierung ‚neuer sozialer Ungleichheiten‘ und ‚horizontaler Disparitäten‘ auch in der soziologischen Ungleichheitsforschung verwendet wird, steht die theoretische Erörterung der Frage, ob und anhand welcher Unterscheidungen sich Diskriminierungen und soziale Ungleichheiten analytisch differenzieren lassen und ob ‚Diskriminierung‘ als eine eigenständige sozialwissenschaftliche
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Schlussbetrachtung
Kategorie erforderlich bzw. sinnvoll ist, in diesem Zusammenhang noch aus. Vielmehr erfolgte und erfolgt die Bezugnahme auf den Diskriminierungsbegriff, wie sich auch anhand neuerer Publikationen zeigen lässt, in der Regel unsystematisch und sein (Selbst-)Erklärungspotential wird im Kontext der differenzierenden Beschreibung von Ungleichheitsformen, die als „soziale Diskriminierung bestimmter Personengruppen“128 (Vester/Gardemin 2001: 250) verstanden werden, weitgehend vorausgesetzt. Verwiesen wird damit auf politische, rechtliche und ökonomische Benachteiligungen, die sich nicht auf vertikal gefasste Ungleichheitsverhältnisse zwischen Klassen und Schichten reduzieren lassen und sich mit ideologischen Konstruktionen ungleicher bzw. ungleichwertiger Gruppen verknüpfen. So ist die Verwendung des Diskriminierungsbegriffs nicht von einer sozialwissenschaftlichen Kritik des etablierten soziologischen Konzepts ‚soziale Ungleichheit‘ motiviert, sondern durch das Interesse veranlasst, bislang unzureichend thematisierte Ausprägungen sozialer Ungleichheiten in den Theoriezusammenhang zu integrieren. Die systematische Berücksichtigung der als ‚horizontale Disparitäten‘ oder auch als Diskriminierungen thematisierten heterogenen Phänomene - insbesondere geschlechts- und ‚ethnizitäts‘-bezogene Benachteiligungen - im Rahmen eines analytischen Gesellschaftsmodells erweist sich dabei als insistierende und wiederkehrend problematisierte Schwierigkeit der soziologischen Ungleichheitsforschung. Gerd Nollmann und Hermann Strasser formulieren diesbezüglich die Einschätzung, dass „[m]it der Erweiterung des vertikalen, primär an distributiven Merkmalsverteilungen ausgerichteten Ungleichheitsverständnisses zu einem pluralen, auch horizontale, ‚neue‘ soziale Ungleichheiten umfassenden Konzept [...] die Forschung ihre begriffliche Ordnung teilweise verloren zu haben [scheint].“ (Nollmann/Strasser 2002: 4).
Ein Grund hierfür kann darin gesehen werden, dass die Thematisierung der mit Diskriminierungen bezeichneten Phänomene in gewisser Hinsicht querliegt zum Anspruch der macht- und konflikttheoretisch orientierten Ungleichheitsforschung, soziale Beziehungen zwischen kollektiven Akteuren als strukturierte zu beschreiben. Denn der „gesellschaftstheoretische Anspruch der Ungleichheitsforschung und ihre Bedeutung für die Makrosoziologie“ gründet, so Thomas Schwinn (2004: 28), darauf, ungleiche Ressourcenverteilung als „nicht zufällig“, sondern „über mehrere Dimensionen hinweg strukturiert“ zu analysieren. Den klassischen Modellfall hierfür gibt der Typus klassenförmiger Beziehungen ab, für den die Annahme konstitutiv ist, dass diese für die Gesellschaft insgesamt strukturbildend sind. Auch Ansätze, die von einer „klassen- oder schichtentheoretischen Vorentscheidung“ Abstand nehmen und „sozial strukturierte 128
Genannt wird hier „die Diskriminierung nach Alter, Geschlecht, Ethnie und Milieu“ (Vester/ Gardamin 2001: 250).
Schlussbetrachtung
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Verteilungsungleichheit“ von „sozial strukturierter Beziehungsungleichheit“ unterscheiden, gehen dabei vom Sachverhalt einer Strukturiertheit des Sozialen aus und leiten daraus den Stellenwert von „sozialer Ungleichheit als gesellschaftstheoretischer Schlüsselfrage“ ab (s. dazu Kreckel 2004: 19ff.). Dabei erscheint im vorliegenden Zusammenhang insbesondere problematisch, dass die soziologische Ungleichheitsforschung ihren Gegenstand im Wesentlichen als Untersuchung der sozialen Positionierung von „Großkollektiven“ (Stichweh 2004: 353) konstruiert. So kann zwar im Fall der Kategorie ‚Klasse‘ davon ausgegangen werden, dass diese ihre analytische Tragfähigkeit gerade daraus bezieht, die Genese sozialer Beziehungen im gesellschaftlichen Entwicklungsprozess beschreibbar zu machen; im Fall der unter eine „soziale Diskriminierung bestimmter Personengruppen“ subsumierten Kategorien „Geschlecht“ und „Ethnie“ (Vester/Gardemin 2001: 250) liegt jedoch die Tendenz vor, in Großgruppen unterschiedene Einheiten als gegebene soziale Tatsachen vorauszusetzen. Sighard Neckel unterstreicht darauf bezogen das Problem, dass die „moderne Sozialstrukturanalyse [...] zwar hinsichtlich der Frage ‚wer bekommt was?‘ kaum eine Antwort offen [lässt]; wenn aber gefragt wird, ‚wer gehört zu wem‘, [...] die Erklärungen weit sparsamer aus[fallen]“ (Neckel 2003: 160). Damit ist darauf hingewiesen, dass die soziologische Ungleichheitsforschung den Sachverhalt, dass die mit Großgruppenkategorien bezeichneten Zugehörigkeiten auch „Ergebnis sozialer Interaktionen“ darstellen und „Beziehungskategorien, die zwischen Akteuren ausgehandelt werden“ (Neckel 2003: 161), nicht systematisch zu beschreiben in der Lage ist. Mit der vorliegenden Arbeit wurde im Unterschied zu den als allgemeine Gesellschaftstheorie angelegten Versuchen, in die soziologische Ungleichheitsforschung bislang nicht hinreichend berücksichtigte Formen von Ungleichheit systematisch zu integrieren, ein anderer Weg beschritten. Vor dem Hintergrund der aufgezeigten grundlagentheoretischen Schwierigkeiten in der Bestimmung des Stellenwerts von als Diskriminierung beschriebenen Phänomenen innerhalb ungleichheitssoziologisch angelegter Großtheorien129, kann eine Analyse der sozialen Bedingungen und Formen von Diskriminierungen in der Einwanderungsgesellschaft weder von dem Versuch der Entwicklung einer allgemeinen Diskriminierungstheorie, noch von einer systematischen Bestimmung des Diskriminierungsbegriffs in Abgrenzung zur Kategorie sozialer Ungleichheit sinnvoll ausgehen. Denn die Frage, ob ‚Diskriminierung‘ als ein distinktes soziales Phänomen verstanden werden kann, das von klassen-, schichten- und milieubezogenen Ausprägungen sozialer Ungleichheiten kategorial zu unterscheiden ist, ist schon angesichts der internen Heterogenität dessen, was im politischen, rechtlichen und z. T. auch im wissenschaftlichen Diskurs generalisierend als Diskri129
Zur Problematik von soziologisch angelegten „Großtheorien“ bezogen auf den Themenkomplex ‚Ethnizität‘ s. Bader (1995: 39f.)
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Schlussbetrachtung
minierung bezeichnet wird, nicht abschließend zu beantworten. Da die unterschiedlichen, als Diskriminierung thematisierten sozialen Phänomene - Benachteiligungen etwa auf der Grundlage ‚geistiger oder körperlicher Behinderung‘, von ‚Alter‘, ‚Geschlecht‘, ‚Rasse‘ oder ‚ethnischer Herkunft‘ - und darauf bezogene Prozesse der Gruppenkonstruktion und der Zuschreibung gruppenbezogener Eigenschaften, eine ganz unterschiedliche Rückbindung an gesellschaftsstrukturelle Konstellationen und Problemlagen aufweisen, wäre eine allgemeine soziologische Theorie der Diskriminierung mit grundlagentheoretischen Problemstellungen konfrontiert, die im Rahmen dieser Arbeit nicht gelöst werden können. Mit dem spezifischen Fokus ‚Diskriminierung in der Einwanderungsgesellschaft‘ wurde demgegenüber versucht, ein Verständnis von Diskriminierung zu entwickeln, das es erlaubt, Unterscheidungslogiken und -praktiken, die zu Benachteiligungen von MigrantInnen, Nicht-StaatsbürgerInnen und zur Soziogenese von Minderheiten in der Einwanderungsgesellschaft führen, analytisch in den Blick zu nehmen und diese auf der Grundlage der im Forschungsprojekt ‚Bildung für die Einwanderungsgesellschaft‘ vorgeschlagenen Ebenenunterscheidung zwischen interaktioneller, institutioneller und struktureller Diskriminierung beschreibbar zu machen. Zur Bearbeitung der damit unterschiedenen Dimensionen, in denen Prozesse der Diskriminierung in der Einwanderungsgesellschaft relevant werden, stand kein theoretisch ausgearbeiteter Ansatz zur Verfügung, der für sich beanspruchen könnte, die Komplexität der Phänomene, Ursachen, Erscheinungsformen und Bedingungen, die im Kontext der Diskriminierungsthematik Relevanz erhalten, stringent und umfassend in den Blick zu nehmen. Daher wurden für die hier verfolgte Fragestellung auf heterogenen Theorietraditionen basierende Zugänge zur Diskriminierungsthematik untersucht, deren unterschiedliche theoriearchitektonische Anlage es jedoch nicht erlauben, auf der Grundlage einer Vermittlung dieser Perspektiven zu einer in sich konsistenten Begriffsfassung von Diskriminierung zu gelangen. Für die mit der Arbeit intendierte Analyse der sozialen Bedingungen von Diskriminierungen in der Einwanderungsgesellschaft ist daher ein unmittelbarer Anschluss an einen der diskutierten Ansätze genauso wenig möglich wie die Entwicklung eines allgemeinen theoretischen Modells, das eine problemlose Integration der mit den unterschiedlichen Theoriesträngen aufgezeigten Ebenen und Dimensionen ermöglichen würde. Dabei wurde im Verlauf der Arbeit zunehmend deutlich, dass jeder Versuch, die unterschiedlichen Theorieperspektiven und die darin fokussierten Ebenen in ein einheitliches analytisches Modell zu überführen, mit einer Komplexität konfrontiert ist, die die Gegenstandskonstitution selbst betrifft: So zeigt sich in der Auseinandersetzung mit den diskutierten Ansätzen, dass auf der Ebene von Interaktionen, von Organisationen bzw. Institutionen und auf der Ebene gesellschaftlicher Strukturen ansetzende
Schlussbetrachtung
241
Diskriminierungen Unterscheidungsoperationen implizieren, die nicht unabhängig voneinander funktionieren, deren Bezugspunkte und Mechanismen aber keineswegs als auf allen Ebenen homologe verstanden werden können - wie dies etwa Ansätze nahe legen, die ‚Ethnizität‘ als gegenüber ‚Klasse‘ und ‚Geschlecht‘ eigenständige Strukturkategorie konzipieren und damit eine ebenenübergreifende Bedeutung ethnisierender Unterscheidungen unterstellen. Eine solche Übergeneralisierung der Bedeutung von Ethnizität als für den gesellschaftlichen Reproduktions- bzw. Funktionszusammenhang konstitutive Unterscheidung ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass die analytisch notwendige Differenzierung zwischen Antagonismen und Konflikten, die auf der Ebene sozialer Strukturen zu verorten sind, den Operationsweisen von Organisationen als „paradigmatische Form der Vermittlung von gesellschaftlichen Strukturen und Dynamiken und konkreten Lebenslagen“ (Nassehi 2004: 342) und den gemeinschaftsbildenden imaginären Effekten kulturalisierender und ethnisierender Diskurse und Ideologien auf der Ebene sozialer Interaktionen unterlaufen wird. Vor dem Hintergrund der damit angezeigten Notwendigkeit, die analytisch zu differenzierenden Ebenen Struktur - Institution/Organisation - Interaktion im Rahmen einer Analyse von Diskriminierungen systematisch zu berücksichtigen, ist nicht nur die sozialpsychologische Vorurteilsforschung mit ihrer aus soziologischer Sicht zu kritisierenden individualistischen bzw. interaktionsbezogenen Verkürzung der Diskriminierungsthematik problematisch. Auch eine allein die Ebene gesellschaftlicher Strukturen fokussierende ungleichheitssoziologische Perspektive muss insofern als unzureichend angesehen werden, als diese über keine ausgearbeitete Organisationstheorie verfügt und damit den zentralen Stellenwert von Organisationen in Prozessen der Produktion und Reproduktion sozialer Ungleichheit unberücksichtigt lässt, wie dies mit differenzierungstheoretischen und organisationssoziologischen Analysen aufgezeigt werden kann (s. dazu Bommes 2004: 400; Nassehi 2004: 393f.). Mit den im Rahmen dieser Arbeit diskutierten Ansätzen liegt in Abhängigkeit von den jeweils zugrunde gelegten Theorieprämissen eine je unterschiedliche Gewichtung der einzelnen Ebenen vor, auf denen sich Diskriminierungen vollziehen. Dies lässt aber keinesfalls den Rückschluss zu, dass das analytische Potential zur Beschreibung der auf diesen unterschiedenen Ebenen ansetzenden Mechanismen, den jeweiligen Ansätzen arbeitsteilig - im Sinne einer exklusiven Zuständigkeit auf der Grundlage einer Mikro-Meso-Makro-Kategorisierung von Theorien - zugewiesen werden kann. So gilt, wie gezeigt, etwa für die diskutierten soziologischen Klassiker aus der symbolisch-interaktionistischen oder der sozialphänomenologischen Theorietradition, dass sie die Analyse von Diskriminierungsphänomenen und -prozessen keineswegs ausschließlich auf dem Interaktionsniveau verhandeln; vielmehr werden dort auch in strukturtheoretischer Hinsicht relevante Überlegungen entwickelt.
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Schlussbetrachtung
Vor diesem Hintergrund wird der theoretische Ertrag, den die mit der vorliegenden Arbeit vollzogene kritische Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Zugängen zur Diskriminierungsthematik für eine sozialwissenschaftliche Analyse bietet, darin gesehen, unter Verzicht auf theoriedogmatische Engführungen, das analytische Potential der Diskriminierungskategorie anhand der Matrix ‚interaktionell - institutionell - strukturell‘ (s. Hormel/Scherr 2004a: 27) beschreibbar zu machen. Damit kann jedoch keine abschließende Analyse unterschiedlicher Formen von Diskriminierungen in der Einwanderungsgesellschaft vorgelegt werden, die eine unmittelbare und deduktive Ableitung politischer Strategien und pädagogischer Programme ermöglichen würde. Vielmehr sollen die entwickelten Problematisierungen vorliegender Ansätze zur Diskriminierungsthematik dazu beitragen, den theoretischen wie empirischen Klärungsbedarf künftiger Diskriminierungsforschung hinsichtlich der Analyse der sozialen Bedingungen und des operativen Vollzugs von Diskriminierungen in der Einwanderungsgesellschaft genauer aufzeigen zu können. Als zentrale Einsicht kann dabei herausgestellt werden, dass der Diskriminierungsbegriff analytisch gewinnbringend nur dann verwendet werden kann, wenn dieser hinreichend abstrakt gefasst wird und die Beschreibung der Unterscheidungsoperationen und -prozesse, durch die ‚Kulturen‘, ‚Ethnien‘, ‚Staatsbürger‘ etc. sozial hervorgebracht werden, mit impliziert. Ein nicht nur strategisch gewählter, sondern theoretisch konturierter Diskriminierungsbegriff muss vor diesem Hintergrund die Plausibilitätsbedingungen der Beschreibungsform ‚Diskriminierung‘ und die Semantiken, die normativ bestimmte soziale Phänomene als Diskriminierungen zum Thema machen und andere nicht, mitreflektieren. Ermöglicht wird dies durch einen zugleich als Beobachtungskategorie verstandenen Diskriminierungsbegriff, mit dem sowohl die Konstitutionslogik, als auch die benachteiligenden Effekte der operativ an basalen Unterscheidungen ansetzenden Diskriminierungsprozesse beschrieben werden können. Eine in dieser Weise konturierte Perspektive auf die Diskriminierungsthematik ist nicht nur für eine sozialwissenschaftliche Analyse der sozialen Bedingungen von Diskriminierungen in der Einwanderungsgesellschaft von Bedeutung, sondern auch für die Entwicklung politischer und pädagogischer Antidiskriminierungsstrategien folgenreich. Dies betrifft zunächst die auf der Grundlage des Menschenrechtsdiskurses als zentralem Bezugspunkt des Antidiskriminierungsparadigmas begründete Normativität, welche aus einer sozialwissenschaftlichen Perspektive auf ihre sozial-historischen Plausibilitätsbedingungen hin zu befragen ist. Modernisierungstheoretisch gesehen schafft funktionale Differenzierung Voraussetzungen für die Infragestellung nicht-universalistischer Semantiken und die Durchsetzung und Akzeptanz der das Selbstverständnis moderner Gesellschaften kennzeichnenden Ideen von Freiheit und Gleichheit (s. Luhmann 1997: 1026ff.). Diese stehen jedoch in deutlichem Widerspruch zu weiterhin bestehenden, sich reproduzierenden und transformierenden welt-
Schlussbetrachtung
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gesellschaftlichen Ungleichheiten. Dem politischen Antidiskriminierungsdiskurs liegt darauf bezogen implizit eine Sichtweise zugrunde, die diesen Widerspruch als Differenz zwischen faktischem Sein und normativem Sollen versteht. Wie anhand der selektiven Thematisierung diskriminierungsrelevanter Unterscheidungen im Antidiskriminierungsdiskurs und darauf bezogener politischer und pädagogischer Strategien deutlich wird, kommen hier jedoch auch Annahmen darüber zum Tragen, welche Unterscheidungen und Ungleichbehandlungen als dysfunktional für die Struktur moderner Gesellschaften gelten und überwunden werden sollen und welchen Unterscheidungen und Ungleichbehandlungen konstitutive Bedeutung für den gesellschaftlichen Funktionszusammenhang zugeschrieben wird. Dabei etablieren Antidiskriminierungsgesetze als politischrechtliche Steuerungsinstrumente folgenreiche Unterscheidungen diskriminierungsrelevanter Kategorien - wie etwa ‚Rasse‘ und ‚ethnische Herkunft‘, ‚Religion/Weltanschauung‘ - und legen somit normativ fest, was als Diskriminierung zu gelten hat und was nicht. Wie an der expliziten Ausklammerung der Kategorie der Staatsangehörigkeit aus dem Diskriminierungsverbot und der durch die einschlägigen EU-Richtlinien und Gesetzestexte rechtlich abgesicherten Ungleichbehandlung von Staatsbürgern und Nicht-Staatsbürgern deutlich wird, erfüllt der Antidiskriminierungsdiskurs dabei eine Legitimationsfunktion hinsichtlich des unter den Bedingungen nationalstaatlicher Vergesellschaftung zentral diskriminierungsrelevanten Status der Staatsbürgerschaft als Modus sozialer Schließung. Politische und pädagogische Antidiskriminierungsstrategien sind vor diesem Hintergrund soziologisch daraufhin zu befragen, ob sie das Kategoriensystem des Rechtsdiskurses reproduzieren oder aber dessen Relevanz- bzw. Irrelevanz-Setzung von Unterscheidungen und die Problematik der Legitimation bzw. Delegitimation unterschiedlicher Formen von Diskriminierung mit berücksichtigen. Dies soll im Folgenden anhand aktueller Ansätze, die mit einer DiversityProgrammatik arbeiten und explizit auf die Diskriminierungsproblematik zu reagieren beanspruchen, diskutiert werden. Der Diversity-Ansatz ist inzwischen als offizielle politische Antidiskriminierungsstrategie auf der Ebene der Europäischen Kommission etabliert und gewinnt zunehmend auch im pädagogischen Diskurs an Bedeutung. 6.1
‚Diversity‘ als Reifikation diskriminierungsrelevanter Klassifikationen
Die unter dem Titel „Für Vielfalt - Gegen Diskriminierung“ entwickelte Diversity-Orientierung der Europäischen Union greift Konzepte der Organisationsund Personalentwicklung auf, die in den USA bereits seit längerem etabliert sind. Dabei zielt die in Kontexten des Unternehmensmanagements formulierte
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Schlussbetrachtung
Forderung nach Anerkennung und Wertschätzung der Diversität der MitarbeiterInnen im Wesentlichen darauf, personelle Vielfalt als Ressource zur Leistungssteigerung des jeweiligen Unternehmens zu nutzen. Eine solche Perspektive gewinnt in der Bundesrepublik nicht nur innerhalb der Vermarktung von Diversity-Strategien als avancierte Konzepte der effizienten Unternehmensführung an Bedeutung, sondern auch im Rahmen der Thematisierung der gesellschaftlichen Bedeutung gesetzlicher Antidiskriminierungsregelungen und -maßnahmen. So wird auf dem Web-Portal der Heinrich-Böll-Stiftung - als Stiftung mit dezidiert gesellschaftspolitischem Anspruch - unter dem thematischen Fokus ‚MigrationIntegration-Diversity‘ von Michael Stuber als ausgewiesenem DiversityExperten folgender Zusammenhang zwischen Diversity und Antidiskriminierung hergestellt: „Diversity ist kein Antidiskriminierungskonzept im engeren Sinne. Zwar zielt Diversity darauf ab, Systeme durchlässig und neutral, und Kulturen offen und flexibel zu gestalten, allerdings nicht mit politischen Zielsetzungen. Vielmehr ist eine diskriminierungsfreie und belästigungsfreie Arbeitsumgebung, in der Frauen und sogenannte Minderheiten erfolgreich sein können, das Resultat der Maßnahmen von Diversity. Diversity strebt als geschäftszentrierter Ansatz eine Steigerung von Erfolg, Produktivität und Kundennähe an. Durch das ADG gewinnt der Ansatz weiter an Bedeutung, da er hilft, die rechtlichen Anforderungen auf eine positive, erfolgsorientierte Weise zu erfüllen.“130
Die Antidiskriminierungsperspektive erscheint hier als abgeleitete Dimension von wesentlich an Effizienz- und Wirtschaftlichkeitskalkülen orientierten Diversity-Strategien. Diversity kann damit als Programmatik ausgewiesen werden, die zwar allgemein auf der Ebene von Organisationen ansetzt, jedoch aus einer primär betriebswirtschaftlich orientierten Perspektive. Damit sind Implikationen hinsichtlich der Reichweite vorliegender Diversity-Programme verbunden: Diese sind nicht entlang von Anforderungen entwickelt worden, die eine Demokratisierung gesellschaftlicher Organisationen, wie etwa der öffentlichen Verwaltungen, befördern sollen, sondern entlang von Anforderungen, die eine Optimierung organisatorischer Binnenoperationen ermöglichen. So zielt der DiversityAnsatz in seiner gegenwärtigen Form primär auf die Verbesserung innerbetrieblicher Interaktionsstrukturen. Plausibel wird eine Übertragung des Ansatzes auf ‚Non-Profit‘-Bereiche jedoch vor dem Hintergrund der gesamteuropäisch zu verzeichnenden Deregulierung resp. Privatisierung wohlfahrtsstaatlicher Verwaltungssektoren (New Public Management). Mit anderen Worten ist Diversity in dieser Variante kein auf die Veränderung von sozialen Strukturbedingungen zielendes emanzipatorisches Programm, sondern ein sozialtechnologisch operie-
130
Stuber 2005 (http://www.diversity-boell.de/web/diversity/48_158.asp; s. ausführlicher auch Stuber 2004)
‚Diversity’ als Reifikation diskriminierungsrelevanter Klassifikationen
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rendes Zweckprogramm auf der Steuerungsebene von Organisationen und/oder Institutionen. Die auf der Ebene der Europäischen Kommission aufgegriffene DiversityProgrammatik ist demgegenüber jedoch explizit von einer gesellschaftspolitisch und rechtlich begründeten Antidiskriminierungsorientierung getragen. Von der Expertengruppe des europäischen Rates wird bereits 1998 die Notwendigkeit formuliert, Gender-Mainstreaming in eine „Non-hierarchical diversity“Strategie einzubinden und damit vielfältigen potentiellen Diskriminierungsformen Rechnung zu tragen (s. Council of Europe 1998). Die rechtliche Grundlage hierfür wurde schließlich mit den im Jahre 2000 erlassenen Richtlinien und der damit verbundenen Ausweitung der „Befugnisse zur Bekämpfung von Diskriminierung aufgrund der Rasse, der ethnischen Herkunft der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Orientierung“ 131 geschaffen. Eine eigenständige und fundierte Diversity-Programmatik als Grundlage einer ‚nicht-hierarchisch‘ gefassten Antidiskriminierungsstrategie wurde in diesem Kontext bislang jedoch nicht entwickelt. Zwar wird hier im Unterschied zu den neo-liberalen Management-Konzepten keine primär ökonomistischfunktionale Perspektive eingenommen; gleichzeitig wird aber die dort im Vordergrund stehende Argumentation der Optimierung der ökonomischen Leistungsfähigkeit aufgegriffen und zur Akzeptanzbeschaffung für Antidiskriminierungsmaßnahmen genutzt: „Immer mehr europäische Unternehmen fördern Gleichstellung und personelle Vielfalt in ihrer Belegschaft, nicht nur aus ethischen und rechtlichen Gründen, sondern auch wegen der erwarteten wirtschaftlichen Vorteile. Dazu gehören unter anderem die Verbesserung des Firmenimages, ein erhöhtes Innovations- und Marketingpotenzial sowie bessere Möglichkeiten, hochqualifiziertes Personal zu gewinnen und an das Unternehmen zu binden.“ 132
Damit liegt der Versuch vor, zwei unterschiedliche Perspektiven miteinander zu verbinden: Zum einen die Perspektive einer an Fragen der sozialen Gerechtigkeit orientierten Antidiskriminierungsprogrammatik, zum anderen die Perspektive einer auf Wertschätzung sozialer Vielfalt ausgerichteten Steigerung des Leistungspotentials von Unternehmen. Diversity-Management-Konzepte und Antidiskriminierungsmaßnahmen operieren aber notwendigerweise auf der Grundlage unterschiedlicher, nicht umstandslos integrierbarer Ausgangsvoraussetzungen: So fokussieren Diversity-Management-Konzepte im Unterschied zu Antidiskriminierungsstrategien nicht ausschließlich solche Erscheinungsformen 131 „Bekämpfung von Diskriminierungen in der europäischen Union“ – Broschüre, hg. von der Europäischen Kommission (http://web20.s112.typo3server.com/fileadmin/pdfs/Nationale_Inhalte/ Brochures/Brochures_2005/online_NIB_05_DE.pdf) 132 s. ebd.
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Schlussbetrachtung
von ‚Vielfalt‘ und ‚Unterschieden‘, die einen engen Zusammenhang zu Strukturen sozialer Ungleichheit und Praktiken der Diskriminierung aufweisen, sondern sie definieren unterschiedliche Erfahrungen, Sichtweisen, Wertorientierungen und Lebensmodelle primär als individualisierte und persönlichkeitsbildende Eigenschaften, die ihre organisationsinterne Relevanz im Rahmen von Personalund Organisationsentwicklungsprogrammen (s. dazu Stuber 2003: 55ff.) erlangen. Sie haben damit eine Affinität zu den unter Stichworten wie ‚Individualisierung‘, ‚kultureller Pluralisierung‘ und der ‚Ausdifferenzierung von Lebensstilen‘ vorgetragenen Gesellschaftsdiagnosen und wenden die Beobachtung der weitgehenden Freisetzung der individuellen Lebensführung aus verbindlichen kulturellen Vorgaben unter der Maßgabe der konstruktiven Konfliktlösung und der Verbesserung von Interaktionsstrukturen innerhalb von Organisationen normativ und programmatisch: Vielfalt wird nicht nur als Tatsache und Effekt des gesellschaftlichen Modernisierungsprozesses reklamiert, sondern als ein produktiver und wünschenswerter Zustand gefasst (s. dazu auch Hormel/Scherr 2004: 209). Bezogen auf die im Antidiskriminierungsdiskurs und in den einschlägigen Richtlinien als zentrale Diskriminierungsressourcen fokussierten Kategorisierungen ist die Übertragung eines solchen - in sozialwissenschaftlicher Hinsicht unterkomplexen - Plädoyers für Vielfalt und für die Anerkennung und Wertschätzung von Unterschieden jedoch insofern problematisch, als hier soziale Zuordnungs- und Zuschreibungsprozesse im Kontext gesellschaftlicher Ungleichheitsverhältnisse thematisch werden, die Bedingungen der Einschränkung von Teilhabechancen für Individuen etablieren und gerade nicht aus der freien Verfügung von Individuen über ihre Lebensentwürfe resultieren. Es handelt sich vielmehr um konstitutiv asymmetrisch gefasste Unterscheidungen, in denen eine Hierarchie zwischen den Seiten der getroffenen Unterscheidung festgelegt wird: Unterscheidungen etwa zwischen Männern und Frauen, zwischen Behinderten und Nicht-Behinderten, zwischen Heterosexuellen und Homosexuellen sind historisch und aktuell eng mit rechtlicher, politischer und ökonomischer Ungleichbehandlung und ungleichen Chancen sozialer Wertschätzung verbunden.133 In besonderem Maße gilt dies aber für solche in der Einwanderungsgesellschaft diskriminierungsrelevanten Unterscheidungen, die auch im Antidiskriminierungsdiskurs ausgeblendet bleiben: So handelt es sich im Fall der Staatsbürgerschaftskategorie um eine mit der Zuweisung eines ungleichen sozialen Status verschränkte Zuordnung und Klassifikation, für die das Postulat der NichtHierarchisierung und Anerkennung von Unterschieden insofern paradox ist, als die Operation des Unterscheidens in Staatsbürger und Nicht-Staatsbürger der 133 Nach Luhmann ist davon auszugehen, dass etwa in Bezug auf die Unterscheidung Männer/Frauen „die Asymmetrien die Brauchbarkeit einer Unterscheidung erst konstituieren“ (Luhmann 1996: 125).
‚Diversity’ als Reifikation diskriminierungsrelevanter Klassifikationen
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Praxis der Diskriminierung nicht vorgängig ist.134 Auch im Fall der im Antidiskriminierungsdiskurs zentral beanspruchten Kategorie der ‚ethnischen Herkunft‘ erweist es sich in sozialwissenschaftlicher Perspektive nicht nur als problematisch, dass - wie gezeigt - die Unterscheidung von ‚Ethnien‘ als distinkten sozialen Gruppen im Sinne einer gegebenen Tatsache vorausgesetzt wird und ‚ethnische‘ Unterschiede und Grenzziehungen als Phänomene betrachtet werden, denen Ethnizität als eine eigenständige und vorgängige Ursache zugrunde liegt. Vielmehr ist auch in Rechnung zu stellen, dass ethnisierende Unterscheidungen historisch-genetisch mit der (Re-)Produktion sozialer Ungleichheiten verschränkt sind und sich als Markierung von Abweichungen und als Konstruktion einer als partikular verstandenen Differenz gegenüber einem universell gesetzten, als homogene Ordnung verstandenen Sozialen vollziehen. Die Diskriminierungsressource der ethnischen Herkunft wird erst im Rahmen einer in hierarchisierender Weise ordnungsstiftenden Klassifikation relevant, die zwischen ethnischen Minderheiten und einer als nicht ethnisch verstandenen Mehrheit unterscheidet. Mit der im Antidiskriminierungsdiskurs formulierten Zielsetzung der Überwindung von Diskriminierungen aufgrund der ‚ethnischen Herkunft‘ oder mit dem positiv gewendeten Postulat der Anerkennung ‚ethnischer Differenz‘, wie es in Diversity-Programmatiken zum Tragen kommt, wird daher die Reifikation einer sozialen Klassifikationspraxis vollzogen, die aus sozialwissenschaftlicher Perspektive auf Distanz zu bringen und zu hinterfragen ist. 6.2 Die Unterscheidung interaktioneller, institutioneller und struktureller Diskriminierung als sozialwissenschaftliche Beobachtungsstrategie Vor diesem Hintergrund wird mit der vorliegenden Arbeit argumentiert, dass eine Entwicklung sozialwissenschaftlich fundierter pädagogischer Antidiskriminierungsstrategien auf ein Verständnis von Diskriminierung als interaktionell, institutionell und strukturell rückgebundener Praxis des Unterscheidens verwiesen ist. Dabei ist davon auszugehen, dass unterschiedliche, je konkrete Formen von Diskriminierung einer „praktischen Logik“ (s. Bourdieu 1979: 228ff.) folgen, die nicht deduzierbar ist aus Interaktions-, Organisations- und Gesellschaftsstrukturen. Dies hat zur Folge, dass die für interaktionelle, institutionelle und strukturelle Diskriminierungen jeweiligen kategorialen Bezugspunkte des Unterscheidens und deren benachteiligende Effekte nicht abstrakt vorausgesetzt 134 Nancy Fraser (2003: 29) verdeutlicht dies bezogen auf die Klassenposition am exemplarischen Fall des Industrieproletariats in der Frühphase der Industrialisierung: „Das letzte, was es braucht, wäre die Anerkennung seiner Andersartigkeit. Im Gegenteil, der einzige Weg der Ungerechtigkeit zu begegnen, ist es, das Proletariat als eigenständige Gruppe verschwinden zu lassen.“ (s. dazu auch Hormel/Scherr 2004a: 211)
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Schlussbetrachtung
werden können, sondern in je unterschiedlichen sozialen Feldern, sozialräumlichen Figurationen und Konstellationen empirisch rekonstruiert werden müssen. Dabei bezieht eine sozialwissenschaftliche Analyse von Diskriminierungen auf der Ebene von Interaktionen ihr Erklärungspotential nicht ausschließlich aus der Beobachtung und Beschreibung der unmittelbaren Interaktionsprozesse von Individuen und Gruppen, die sich aus einer spezifischen Situation heraus als ‚face-to-face‘-Beziehungen entwickeln. Vielmehr rücken für eine systematische Bestimmung des Stellenwerts interaktioneller Diskriminierung Prozesse der symbolischen Grenzziehung und der Konstruktion von Zugehörigkeiten in den Vordergrund, d.h. soziale Prozesse, die sich als abstrakte, nicht auf konkrete Individuen und Gruppen bezogene Interaktionen vollziehen. Dabei kann im Unterschied zu weiten Teilen der sozialpsychologischen Vorurteilsforschung nicht das Handeln von Individuen und Gruppen als Ausgangspunkt genommen werden, sondern es sind die sozialen Voraussetzungen für gruppenbezogene Klassifikationsprozesse als Moment einer homogenisierenden Abgrenzungs- und Zuordnungspraxis zu untersuchen, in denen die Selbstbeschreibung von Gesellschaft im Modus imaginärer Gruppenbeziehungen Plausibilität erlangt. In Bezug auf die für Diskriminierungen in der Einwanderungsgesellschaft relevante Kategorie ‚Ethnizität‘ etwa bedeutet dies, dass deren systematischer Stellenwert nur vor dem Hintergrund der historisch-spezifischen Bedingungen, unter denen Ethnizitätskonstruktionen als Diskriminierungsressource im Rahmen der Reproduktion sozialer Ungleichheitsverhältnisse an Bedeutung gewinnen, analysiert werden kann; es gilt aber umgekehrt auch, dass erst auf der Grundlage der Klassifikations- und Kategorisierungsprozesse, die ethnisierende Unterscheidungen als relevante Unterscheidungen hervorbringen, die sozialen Bedingungen analysierbar sind, unter denen diskriminierende Praktiken mit sozialem Sinn ausgestattet werden. Aus einer interaktionstheoretischen Perspektive stellen sich MehrheitenMinderheitenbeziehungen nicht als aus sozialstrukurellen Bedingungen ableitbar oder durch diese determiniert dar. Vielmehr sind für diese - worauf die im Rahmen der Arbeit diskutierten soziologischen Klassiker Blumer, Schütz und Elias übereinstimmend hinweisen - auf die Vergewisserung der sozialen Zugehörigkeit zielende und in Interaktionsprozessen reformulierte Selbst- und Fremdverortungen imaginärer Gruppen im gesellschaftlichen Kontext konstitutiv. Vor diesem Hintergrund sind Mehrheiten-Minderheiten-Beziehungen nicht nur auf ihre historische Genese und ihre sozialstrukturelle Situierung hin zu befragen, sondern ihre Etablierung, Konsistenz oder auch Transformationsfähigkeit hängt nicht zuletzt von der Definitionsmacht ab, symbolisch erzeugte Grenzziehungen und Zuschreibungen in Interaktionsprozessen zu reaktualisieren und zu einer alltagsweltlichen Gültigkeit zu verhelfen. Eine Prozesse interaktioneller Diskriminierung fokussierende Analyse kann folglich aufzeigen, dass Mehrheiten-Minderheitenbeziehungen nicht als
Interaktionelle, institutionelle und strukturelle Diskriminierung
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objektive soziale Verhältnisse verstanden werden können, sondern als permanent in der Formierung befindliche, in Interaktionen aktualisierte dynamische Beziehungen. In Hinblick auf die Kategorie Ethnizität als diskriminierungsrelevanter Bezugspunkt in Einwanderungsgesellschaften kann mit einer interaktionstheoretischen Konturierung der Diskriminierungsthematik aufgezeigt werden, dass die Konstruktion ethnischer Unterschiede als Moment der Prozesse zu untersuchen ist, durch die und in denen ‚ethnische Gruppen‘ entstehen. Die diskriminierungsrelevante Unterscheidung von Staatsbürgern und NichtStaatsbürgern stellt demgegenüber zwar auch ein Ergebnis von Klassifikationsprozessen dar; im Unterschied zur Ethnizitätskategorie ist die Kategorie der Staatsbürgerschaft jedoch als ein Effekt gesellschaftlicher Strukturen zu analysieren. Die Relevanz der Staatsbürgerschaftskategorie ergibt sich primär aus ihrem Status einer unter den Bedingungen moderner, nationalstaatlich verfasster Gesellschaften für den legalen Zugang zu Recht, Ökonomie, Bildung, Gesundheitsversorgung hoch bedeutsamen ‚realen‘ Vergesellschaftungsform und weniger aus in Interaktionsprozessen dynamisch reinterpretierten symbolischen Grenzziehungen und Zuschreibungen. Eine den Herstellungsprozess sozialer Gruppen durch homogenisierende Selbst- und Fremdzuschreibungen fokussierende Perspektive ist jedoch insofern für einen allgemeinen theoretischen Zugriff auf die Diskriminierungsthematik von Bedeutung, als damit der für diskriminierende Unterscheidungen charakteristische Sachverhalt, dass diese keinen Bezug zu individuellen Eigenschaften und individuellem Verhalten aufweisen, sondern auf der Grundlage zugeschriebener Gruppenzugehörigkeiten und gruppenbezogener Merkmalszuschreibungen erfolgen, einer näheren Betrachtung unterzogen werden kann. Vor dem Hintergrund einer Prozesse symbolischer Grenzziehungen und sozialer Kategorisierungen ins Zentrum stellenden interaktionstheoretischen Reformulierung der Diskriminierungsthematik stellt sich das im sozialpsychologischen, politischen und pädagogischen Diskurs einflussreiche Verständnis von Diskriminierungen als - willkürlich oder unwillkürlich - durch Vorurteile motiviertes Handeln von Individuen und Gruppen als unzureichend und unterkomplex dar. Damit ist bereits aus einer quasi mikrosoziologischen Perspektive ein Problemzusammenhang aufgezeigt, der in Analysen zur institutionellen Diskriminierung eine spezifische Akzentuierung und theoretische Grundlegung erfährt. Mit dem dort etablierten Verständnis von Diskriminierungen als Effekt institutionalisierter Wahrnehmungs- und Handlungsstrukturen rücken die in die Funktionsweise von Institutionen resp. Organisationen eingelassenen Operationen in den Blick, die Benachteiligungen als Effekt organisatorischer Prozesse erkennbar werden lassen. Für eine nicht individualistisch verkürzte Analyse der Bedingungen, Formen und Folgen von Diskriminierung sind Organisationen insofern von zentraler Be-
250
Schlussbetrachtung
deutung, als der (moderne) Vollzug von Gesellschaft nicht primär auf intentionalen Handlungsmotiven beruht, sondern auf einer fortschreitenden Ausdifferenzierung funktionaler sozialer Kommunikationszusammenhänge und „die Bedingungen und Chancen der Inklusion und Exklusion in die Funktionssysteme und Regulationen von Verteilungen zu einem großen Teil durch Organisationen vermittelt und aufeinander bezogen“ werden (Bommes 2004: 404). Dabei wird in der systemtheoretischen Soziologie akzentuiert, dass Organisationen nicht nach dem Modell der bürokratischen Rationalität als Agenten der gesamtgesellschaftlichen Reproduktion sozialer Ungleichheitsverhältnisse beschrieben werden können, sondern über spezifisch eigenlogische Operationsweisen verfügen, die einen kausalen Zusammenhang zwischen organisationsexternen sozialstrukturellen Bedingungen und organisationsinternen Prozessen unwahrscheinlich werden lassen. Ein organisationstheoretisch ausgearbeiteter Ansatz zur Analyse von Formen institutioneller Diskriminierung bezieht sein über interaktionstheoretisch angelegte Analysen hinausgehendes Erklärungspotential vor diesem Hintergrund insbesondere daraus, dass damit Mechanismen der Diskriminierung aufgezeigt werden können, die aus dem Normalvollzug von Organisationen und deren spezifischen Normalitätserwartungen resultieren. Wie Armin Nassehi (2004: 340) feststellt, sind Organisationen „nicht nur Exklusionsmaschinen nach außen, sondern auch Ungleichheitsmaschinen nach innen.“ Für Organisationen als ein bestimmter Typus sozialer Systeme ist demnach nicht nur charakteristisch, dass diese sich über die Zuweisung exklusiver Mitgliedschaften definieren - was zur Folge hat, dass im Fall von Organisationen Exklusionen und nicht Inklusionen den „Normfall“ darstellen (Luhmann 2000a: 390); vielmehr produzieren Organisationen auch „per se soziale Ungleichheit, indem sie Personen Stellen, Funktionen, Ansprechbarkeiten zuweisen und entsprechend verwehren - und das sowohl nach innen als auch nach außen“ (Nassehi 2004: 340). Damit ist ein Verständnis von sozialer Ungleichheit als quasi ubiquitäres Phänomen der für moderne Gesellschaften charakteristischen Organisationsförmigkeit der Vermittlung gesellschaftlicher Teilhabechancen und sozialer Lebenslagen nahe gelegt und entsprechend formuliert Luhmann auch pointiert: „Mit Hilfe ihrer Organisationen lässt die Gesellschaft die Grundsätze der Freiheit und der Gleichheit, die sie nicht negieren kann, scheitern.“ (Luhmann 2000a: 394)
Dabei ist jedoch zwischen Prozessen der Inklusion und Exklusion einerseits und Prozessen der Diskriminierung bzw. Effekten der Benachteiligung und sozialer Ungleichheit andererseits zu unterscheiden. So ist die moderne Gesellschaft aus differenzierungstheoretischer Perspektive gerade dadurch gekennzeichnet, dass Individuen nicht als Ganze vergesellschaftet werden, sondern Inklusion bezeichnet ihre Berücksichtigung als Person durch Kommunikation in jeweiligen
Interaktionelle, institutionelle und strukturelle Diskriminierung
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Interaktions-, Organisations- und Funktionssystemen (s. Luhmann 1995: 142ff.; Nassehi 2004: 328). „Bedingung der Teilnahme von Individuen an der Gesellschaft ist also ihre Freisetzung, ihre Exklusion als Ganze.“ (Bommes 2004: 401)
Voraussetzung für Inklusionen in Funktionssysteme und Organisationen ist damit gerade die strukturelle Herauslösung von Individuen aus einer durch soziale und regionale Herkunft vorstrukturierten gesamtgesellschaftlichen Inklusion, die ihrerseits die Voraussetzung darstellt für die Herausbildung einer auf Freiheit und Gleichheit der Individuen zielenden Semantik als formaler Bezugspunkt für Inklusions- und Exklusionsprozesse in der modernen Gesellschaft. Die Frage der In- und Exklusion und damit der Berücksichtigung und Adressierung von Individuen (s. dazu Stichweh 2006) durch Organisationen kann insofern nicht mit der Ungleichheitsfrage kurzgeschlossen werden, als es „unter Bedingungen der funktionalen Differenzierung für die Vielzahl von Inklusionen und Exklusionen keine einheitliche Regelung und damit auch keine in der primären Differenzierungsform selbst strukturell verankerbare Regelung von Verteilungen geben [kann]. [...] Probleme der Verteilung und sozialen Ungleichheit haben daher in der modernen Gesellschaft ihre Grundlage darin, dass sie dafür keine prinzipielle Lösung hat.“ (Bommes/Scherr 2000: 125)
Auch wenn „Inklusions- und Exklusionsordnungen“ (Bommes/Scherr 2000: 138) weder auf der Ebene der Funktionssysteme noch auf der Ebene von Organisationen als Verteilungsordnungen zu rekonstruieren sind, wird jedoch „soziale Ungleichheit in der klassischen Industriegesellschaft gerade durch das Inklusions- und Exklusionsarrangement von Organisationen [...] hergestellt und stabilisiert“. (Nassehi 2004: 341) Inwiefern Prozesse der Zugangsregulierung, der Inklusion und der Exklusion in Organisationen einerseits, der Gleichbehandlung und Ungleichbehandlung von Individuen innerhalb von Organisationen andererseits, benachteiligende Effekte evozieren und mit Prozessen der Diskriminierung einhergehen, ist vor diesem Hintergrund jedoch nur empirisch rekonstruierbar.135 Prozesse institutioneller Diskriminierung können sich dabei potentiell sowohl als selektive Zugangsmöglichkeit zu Organisationen als auch als positionale Zuweisung innerhalb von Organisationen realisieren. 135 Entsprechend verweist Albert Scherr auf die Problematik einer vortheoretischen Unterscheidung, die Exklusion als zu vermeidenden und Inklusion als anzustrebenden Bezugspunkt einer Theorie und Praxis sozialer Arbeit und Sozialpolitik konturiert. Vielmehr sei jeweils klärungsbedürftig, „wann und unter welchen Bedingungen Teilnahme unverzichtbar oder lebenspraktisch anstrebenswerter ist als Nicht-Teilnahme und auch nicht, wann und unter welchen Bedingungen Teilnahme oder aber Ausschluss als Problemgenerator bedeutsam ist.“ (Scherr 2005: 80)
252
Schlussbetrachtung
In vorliegenden Analysen zu institutioneller Diskriminierung rücken insbesondere organisationsinterne Prozesse in den Blick, die unter den Bedingungen der Inanspruchnahme des modernen Prinzips formaler Gleichheit eine symbolische Generierung von Gruppenunterscheidungen vollziehen, die zu Benachteiligungen führen. So wie die beiden Unterscheidungen von Inklusion und Exklusion und von Gleichheit und Ungleichheit „nicht aufeinander abbildbar [sind], weil es die Produktion von Ungleichheit (und Gleichheit) auf beiden Seiten der Unterscheidung von Inklusion und Exklusion gibt“ (Stichweh 2006: 4), gilt für Praktiken der Diskriminierung, dass diese keineswegs nur als Folge von Ungleichbehandlungen verstanden werden können, sondern auch als Folge formeller Gleichbehandlung unter den Bedingungen jeweils spezifischer Normalitätserwartungen von Organisationen der Analyse zugänglich gemacht werden müssen. Vor dem Hintergrund einer theoretischen Bestimmung von Organisationen als Generatoren sozialer Ungleichheit „richtet sich das analytische Interesse darauf herauszufinden, auf der Basis welcher Mechanismen (kumulativer Vorteil; Verstärkung kleiner Differenzen etc.) die Institutionen der Gleichheit (der Inklusion) unablässig Ungleichheit produzieren.“ (Stichweh 2006: 4) Was hier als strukturelles Moment der Funktionsweise von Organisationen analytisch in den Blick rückt, ist für ein Verständnis von Diskriminierungen als Effekt institutioneller Mechanismen von zentraler Bedeutung. Für die theoretische und empirische Diskriminierungsforschung mit dem Bezugspunkt Einwanderungsgesellschaft ist damit zugleich die Notwendigkeit angezeigt zu unterscheiden zwischen: x
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Mechanismen, die sich als Ungleichbehandlung von Individuen, die unterschiedenen Gruppen zugerechnet werden, vollziehen, sei es auf der Grundlage expliziter - etwa ethnisierender, kulturalisierender oder religionsbezogener - Gruppenkonstruktionen oder aber auf der Basis der legalen Unterscheidung zwischen Staatsbürgern und NichtStaatsbürgern; Mechanismen, die sich durch die Gleichbehandlung privilegierter und benachteiligter sozialer „Gruppen“ als Reproduktion sozialer Ungleichheitsverhältnisse realisieren und/oder auf der Basis der spezifischen Normalitätserwartungen von Organisationen - etwa vorausgesetzter Sprachkompetenzen - unterschiedene soziale Gruppen hervorbringen und damit Benachteiligungen organisationsintern generieren und reproduzieren.
Zwar zielt der politische Antidiskriminierungsdiskurs nicht nur auf Interaktionsformen, sondern auch auf die Steuerungsebene von Organisationen, wie dies explizit etwa mit Antidiskriminierungsstrategien, die mit dem Diversity-Ansatz arbeiten, geschieht. Im Fall von Diskriminierungen als Ungleichbehandlung un-
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terschiedener Gruppen liegt jedoch insofern eine selektive Thematisierung von Diskriminierungen in der Einwanderungsgesellschaft vor, als die legale Unterscheidungspraxis und damit legitimierte Ungleichbehandlung auf der Grundlage der Staatsbürgerschaft hier unberücksichtigt bleibt. Die Ausblendung der Staatsbürgerschaftskategorie in diversity-orientierten Antidiskriminierungsstrategien stellt aber nicht nur eine normative Festlegung dar, sondern hat auch eine Referenz dazu, dass der operative Bezugspunkt dieser Ansätze die Binnenprozesse von Organisationen sind. Die Relevanz der Staatsbürgerschaft als für den ungleichen Zugang zu Recht, Ökonomie, Bildung, Gesundheitsversorgung bedeutsame Strukturkategorie ergibt sich weniger aus Unterscheidungsoperationen auf der Ebene organisatorischer Binnenstrukturen, sondern aus einer organisationsinternen Prozessen vorausgehenden selektiven Zugangsregulierung sowohl zu den Funktionssystemen als auch zu Organisationen. Die Diskriminierungsrelevanz der Staatsbürgerschaftskategorie ist damit nicht primär auf Prozesse symbolischer Grenzziehungen und Unterscheidungen, die innerhalb von Organisationen generiert werden, zurückzuführen, sondern auf eine den organisatorischen Operationen vorgelagerte staatlich regulierte Unterscheidungspraxis, die für die Inklusions- und Exklusionsmodi von Organisationen Vorgaben etabliert. Auf der Ebene von Organisationen ansetzende Strategien, die auf die Überwindung von Diskriminierungen auf der Grundlage der Staatsbürgerschaft zielen, sind so mit externen politisch-staatlichen Regulierungen konfrontiert, die etwa die Zugangsmöglichkeiten zum Arbeitsmarkt oder zu staatlichen Leistungen in Abhängigkeit von der Staatsbürgerschaft festlegen. Der Fall der Diskriminierung durch Gleichbehandlung findet im Antidiskriminierungsdiskurs als Form der mittelbaren Diskriminierung Berücksichtigung und wird dort gefasst als Praxis der Anwendung vermeintlich neutraler Erwartungen und Regeln, die „Personen, die einer Rasse oder ethnischen Gruppe angehören, in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt, und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.“136 Die Frage, ob eine mittelbare Diskriminierung im Sinne der gesetzlichen Vorgaben vorliegt, erschließt sich somit in erster Linie von den Effekten her, die eine ‚Gruppe‘ de-facto benachteiligen. Eine mittelbare Diskriminierung ist folglich dann nahe gelegt, wenn sich die Unterrepräsentanz bestimmter ‚Gruppen‘ in Organisationen bzw. in statushöheren Positionen innerhalb von Organisationen statistisch abbildet. Eine solche statistisch nachweisbare Benachteiligung sozialer „Gruppen“ lässt den Rückschluss zu, dass hier Mechanismen mittelbarer bzw. indirekter institutioneller Diskriminierung vorliegen, die daraus resultie136
Richtlinie 2004/43/EG des Rates vom 29. Juni 2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse und der ethnischen Herkunft.
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Schlussbetrachtung
ren, dass historisch gewordene, sozial relevante Unterschiede, die aus der gesellschaftlichen Situation einer benachteiligten Gruppe resultieren, von Organisationen keine Berücksichtigung finden. Insofern jedoch in Bezug auf Diskriminierungen in der Einwanderungsgesellschaft lediglich „Rasse“ und „ethnische Herkunft“ in den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen als „geschützte Merkmale“ etabliert sind und damit Diskriminierungen, die sich auf der Grundlage strukturell ungleicher Lagen entlang von sozialer Klasse und Staatsangehörigkeit vollziehen, unberücksichtigt bleiben, kann der Verknüpfung von Diskriminierungen, die im Rückgriff auf Gruppenkonstruktionen - wie ‚Rasse‘ oder ‚ethnische Herkunft‘ - wirksam werden, mit der Reproduktion sozialer Ungleichheit auf der Grundlage strukturell ungleicher Lagen nicht Rechnung getragen werden. Die Ausblendung dieser gerade für Formen der indirekten institutionellen Diskriminierung relevanten Verknüpfung von sozialstrukturell ungleichen Lagen und imaginären Gruppenkonstruktionen sowie darauf bezogener organisatorischer Prozesse hat so zur Folge, dass der Antidiskriminierungsdiskurs einer meritokratischen Logik aufsitzt: Dieser Logik zufolge liegt Diskriminierung nur dann vor, wenn die Benachteiligung von Individuen, die auf der Grundlage der gesetzlichen Bestimmungen als Angehörige von „Gruppen“ mit „geschützten Merkmale“ klassifiziert werden können, in keinem Bezug steht zu dem, was jeweilige Organisationen in ihrer eigenen Binnenlogik als zu erbringende Leistungen, Anforderungen Kompetenzen, Qualifikationen etc. voraussetzen. Im Fall der Bildungsbenachteiligung von MigrantInnen führt dies - wie gezeigt - zur Problematik, dass diese zwar von ihren statistischen Effekten her als Form der mittelbaren oder institutionellen Diskriminierung beschreibbar ist. Wie die für die aktuelle Bildungsdiskussion einflussreichen Auswertungen der großen Schulleistungsstudien zeigen, werden dort jedoch insbesondere jene Formen der Benachteiligung problematisiert und als Diskriminierung thematisch, die nicht durch das gedeckt sind, was Schule als individuelle Leistungsfähigkeit und Leistungswillen definiert. Dabei wäre jedoch die erneut nachgewiesene, in engem Zusammenhang mit der Bildungsbenachteiligung von MigrantInnen stehende hohe Korrelation von sozialer Herkunft und Bildungschancen daraufhin zu untersuchen, ob und in welcher Form hier auch ein Phänomen mittelbarer bzw. indirekter institutioneller Diskriminierung auf der Grundlage der sozialen Lage vorliegt. Von zentraler Bedeutung hierfür ist der Sachverhalt, dass die Benachteiligung spezifischer Teilgruppen in und durch das Bildungssystem sich auch dadurch realisiert, dass auf der Grundlage der Fiktion der Homogenität der Eingangsvoraussetzungen der SchülerInnen und unter dem Paradigma der Chancengleichheit ‚neutrale‘ Erwartungen und Regeln zur Anwendung kommen. Indem die soziale Genese von Leistungskompetenzen und damit deren Abhängigkeit von der sozialen Positionierung und Lebenssituation ausgeblendet wird, wird jedoch der Blick auf institutionelle Mechanismen verstellt,
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die dadurch diskriminierende Effekte hervorbringen, dass Schulen, wie die ältere Bildungssoziologie nachgewiesen hat, (mittelschichtsorientierte) Kenntnisse, Fähigkeiten und Kompetenzen voraussetzen und bewerten, die sie selbst nicht vermitteln. Mit dem Blick auf Prozesse in Organisationen, die auf der Grundlage von Gleichbehandlung diskriminierende Effekte erzeugen, ist zugleich ein auf strukturelle Bedingungen verweisender Problemzusammenhang angesprochen, der die Frage betrifft, wie das Verhältnis von Diskriminierungen in formalen Organisationen zu gesellschaftlich einflussreichen Wissensbeständen, Diskursen und Ideologien sowie sozialen, ökonomischen, politischen und rechtlichen Strukturen, die zur Reproduktion sozialer Ungleichheitsverhältnisse beitragen, zu fassen ist. Dies jedoch überschreitet insofern die Erklärungskompetenz und Reichweite organisationsbezogener Ansätze, als es weder sinnvoll ist, „Organisationseffekte“ „auf die Ebene des Gesellschaftssystems hochzurechnen“ (Luhmann 2000a: 384), noch von einem linearen Durchgreifen gesellschaftlicher Strukturen auf die Operationsweisen von Organisationen auszugehen. Auf der Ebene struktureller Diskriminierung werden daher Mechanismen thematisch, für die gilt, dass sie als diskriminierungsrelevante Unterscheidungen eine gesellschaftsstrukturelle Verankerung aufweisen, die weder aus Interaktionsprozessen sozialer Akteure resultieren noch auf in Organisationsprozessen generierte symbolische Klassifikationen zurückgeführt werden können. Wie an der Diskussion der Bedeutung der Unterscheidung von Staatsbürgern und NichtStaatsbürgern deutlich wurde, realisieren sich ökonomische, politische und rechtliche Diskriminierungen in Einwanderungsgesellschaften zentral in Abhängigkeit von der Institution der Staatsbürgerschaft, bzw. der damit verknüpften Zuweisung unterschiedlicher Aufenthaltstitel. Die Unterscheidung von Staatsbürgern und Nicht-Staatsbürgern geht mit strukturell verankerter Ungleichbehandlung einher - und dies auch unabhängig von der sinnhaften Bezugnahme auf diese Unterscheidung durch soziale Akteure. Sie ist jedoch folgenreich nicht nur für den Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen und für die Konstitution von Verteilungsordnungen, sondern etabliert auch Vorgaben für die ‚Exklusions- und Inklusionsarrangements‘ von Organisationen. Auf der Ebene symbolischer Grenzziehungen verdichten sich in der Institution der Staatsbürgerschaft und der nationalstaatlichen Regelung des Zugangs zur Staatsbürgerschaft darüber hinausgehend Mitteilungen über Fragen der legitimen Zugehörigkeit bzw. Nicht-Zugehörigkeit, die potentiell auch in Interaktionsprozessen relevant werden können. Als ‚reale‘, rechtlich-politische Zuordnung übersetzt sich die Unterscheidung Staatsbürger/Nicht-Staatsbürger jedoch gerade nicht linear in entsprechende Klassifikationsmuster, die in Interaktionszusammenhängen zum Tragen kommen. So folgt etwa aus den Möglichkeiten des Erwerbs der formalen Staatsbürgerschaft für MigrantInnen und dem damit verbunden Zugang zu glei-
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Schlussbetrachtung
chen Rechten nicht gleichzeitig die symbolische Anerkennung legitimer Zugehörigkeit und eines gleichen Anspruchs auf soziale Teilhabe auf der Ebene von Interaktionen und Organisationen. Vielmehr können Fremdheit und NichtZugehörigkeit markierende, ungleichheitslegitimierende ethnisierende oder kulturalisierende Zuschreibungen quer liegen zum Staatsbürgerschaftsstatus oder sie können sogar mit Prozessen der voranschreitenden formal-rechtlichen Gleichstellung als Differenzmarkierungen zunehmende Relevanz erlangen. Entsprechend bemerkt Claus Offe: „Wo die rechtlich-politische Modernisierung ‚zuviel‘ Differenz für unmaßgeblich erklärt, ist zu beobachten, das individuelle und kollektive soziale Akteure sich ihren Abstraktionspflichten durch eine Re-Biologisierung von Differenz entziehen und die Angleichung von Rechten so unterlaufen.“ (Offe 1996: 280)
Der systematische Stellenwert von Ethnizität als Fall einer solchen „ReBiologisierung von Differenz“ und damit als abstrakt-formale Unterscheidungen transzendierender diskriminierungsrelevanter Bezugspunkt im Kontext Einwanderungsgesellschaft kann dabei nur vor dem Hintergrund der historischspezifischen Bedingungen, unter denen ethnisierende Klassifikationen als Ressource im Rahmen der Reproduktion sozialer Ungleichheitsverhältnisse Relevanz erhalten, bestimmt und nicht als invariante Strukturkategorie vorausgesetzt werden. Die Kategorie Ethnizität bezieht ihre analytische Relevanz im Unterschied zu den Kategorien ‚Klasse‘ und ‚Staatsangehörigkeit‘ nicht in Hinblick auf die Analyse ‚realer‘ Bedingungen sozialer Reproduktion, sondern als Bezugspunkt einer auf imaginäre Einheiten bezogenen, in die soziale Genese von Mehrheiten-/Minderheiten-Beziehungen eingelassenen Unterscheidungspraxis. Eine Formen interaktioneller, institutioneller und struktureller Diskriminierung berücksichtigende Antidiskriminierungsperspektive als Grundlage einer auf die Einwanderungsgesellschaft reagierenden pädagogischen Programmatik kann bestimmte Problematiken, die etwa interkulturellen oder antirassistischen Konzepten innewohnen, überwinden. Indem mit dem Fokus auf Diskriminierungen sowohl die Konstitutionslogik als auch die benachteiligenden Effekte der operativ an basalen Unterscheidungen ansetzenden Diskriminierungsprozesse in den Blick genommen werden, kann hier auf vortheoretische Annahmen verzichtet werden, mit denen - wie in Varianten interkultureller Pädagogik - ein Verständnis von Gesellschaft als kulturell und nicht funktional differenzierter nahe gelegt wird oder - wie in Ansätzen antirassistischer Pädagogik - eine umfassende, auf der Ebene von Interaktionen, Organisationen und Gesellschaftsstrukturen funktionierende rassistische Ideologie als zentraler Bezugspunkt von Vergesellschaftungsprozessen unterstellt wird (s. dazu Hormel/Scherr 2004a und 2005a und b). Eine pädagogische Antidiskriminierungsperspektive führt aber auch in neue Problematiken hinein und ist selbst erklärungsbedürftig in Hinblick auf ih-
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re konzeptionellen Grundlagen. So kann eine sozialwissenschaftliche Begründung pädagogischer Antidiskriminierungsstrategien im Horizont einer kritischen Pädagogik, die sich nicht nur als Praxeologie versteht, die kategorialen Unklarheiten aus dem sozialpsychologischen, soziologischen, rechtlichen und politischen Diskurs nicht übernehmen, sondern ist darauf verwiesen, Aussagen über Prozesse der Diskriminierung auf ein analytisches Gesellschaftsmodell rückzubeziehen. Vor dem Hintergrund der aufgezeigten immanenten Probleme des politisch-rechtlichen Antidiskriminierungsdiskurses können sich pädagogische Antidiskriminierungsstrategien nicht an dessen normativen Vorgaben orientieren, sondern müssen insbesondere in Distanz gehen zu der dort vollzogenen selektiven Thematisierung von Diskriminierungen und der in sozialwissenschaftlicher Perspektive problematischen Reifikation sozialer Klassifikationen. Die dabei relevant werdenden Gruppenkonstruktionen sind zwar abstrakt-analytisch, nicht aber in ihrer sozial-historischen Genese von Prozessen der Benachteiligung zu unterscheiden. Annahmen über unterschiedene Ethnien, Rassen, Kulturen und Religionen dürfen nicht gesetzter Ausgangspunkt pädagogischer Strategien sein, sondern es bedarf zum einen einer Analyse der historisch-spezifischen Genese von kategorialen Unterscheidungen als nicht beliebiger Bezugspunkt für Diskriminierungsprozesse, zum anderen einer kontextspezifischen Analyse, in welchen sozialen Konstellationen bzw. Feldern und auf der Grundlage welcher operativen Prozesse welche Unterscheidungen auf welchen Ebenen Diskriminierungsrelevanz erhalten. Erst auf dieser Grundlage lässt sich eine Spezifizierung und Konkretisierung pädagogischer Interventionskonzepte realisieren. Konzepte, die auf der Ebene von individuellen Lernprozessen ansetzen, sind darauf verwiesen, Vorurteile, Diskurse und Ideologien zum einen in ihrer spezifischen situativen Konstellation, zum anderen in ihrer Verschränkung mit politischen, rechtlichen Strukturen und Ungleichheitsverhältnissen zu bearbeiten. Eine gesellschaftspolitische Bildung, die sich dies reflexiv zum pädagogischen Gegenstand macht, muss dabei auf eine essentialisierte Setzung von Gruppenkonzepten verzichten und den Herstellungsprozess von Identifikationen und Abgrenzungen in ihrer sozialen und gesellschaftspolitischen Situiertheit in den Blick nehmen. Auch wenn solche, primär auf der Ebene individueller Bildungsprozesse ansetzenden Konzepte ein sinnvoller Bezugspunkt pädagogischer Antidiskriminierungsstrategien darstellen, sind diese jedoch kaum in der Lage, der strukturellen Problematik, die sich im Kontext der Diskriminierung von MigrantInnen und Minderheiten in und durch das Bildungssystem stellt, Rechnung zu tragen. Ethnisierende Zuschreibungen und Identifikationen auf der Ebene von Interaktionen sind aber gleichzeitig auch mit hervorgerufen durch ein Ungleichheiten reproduzierendes Bildungssystem, das entsprechende Klassifikationen und Grenzziehungen nahe legt. Schon deshalb sind Antidiskriminierungsstrategien, die auf Aus-
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Schlussbetrachtung
einandersetzungen mit dem Themenkomplex ‚Migration-DiskriminierungRassismus‘ auf der Ebene individueller Lernprozesse sowohl auf Seiten der PädagogInnen als auch auf Seiten der Adressaten pädagogischer Interventionen ansetzen, nicht sinnvoll in Konkurrenz zu Antidiskriminierungsstrategien zu diskutieren, die die strukturelle Benachteiligung von MigrantInnen als gesellschaftspolitische Herausforderung akzentuieren. Im Fall von auf der Strukturebene des Bildungssystems ansetzenden Analysen, die Formen und Ursachen der Bildungsbenachteiligung von MigrantInnen aufzeigen, hat sich jedoch gezeigt, dass hier nicht nur eine widersprüchliche Datenlage vorliegt, sondern dass in Hinblick auf die Frage nach den konkreten Prozessen, die zur Diskriminierung von MigrantInnen in und durch das Bildungssystem führen, empirischer wie theoretischer Klärungsbedarf angezeigt ist. Dies betrifft zum einen die Bezugspunkte, an denen diskriminierende Unterscheidungen operativ ansetzen, wie auch das Zusammenspiel organisationsinterner und organisationsexterner Prozesse – etwa in Hinblick auf die Verschränkung der sozialen Bedingungen des Spracherwerbs, von unterschiedlichen Bildungsstrategien und Bildungsaspirationen mit schulinternen Prozessen. Hierauf bezogen wären nicht in erster Linie pädagogische Programmatiken, sondern sozialwissenschaftliche Analysen und bildungspolitische Strategien weiterzuentwickeln. Erst vor diesem Hintergrund kann die Frage nach den Möglichkeiten pädagogischer Interventionsstrategien in Hinblick etwa auf Curricula- und Organisationsentwicklung und den Grenzen, die diesen nicht nur durch die strukturellen Bedingungen des Bildungssystems und bildungspolitische Vorgaben, sondern auch durch den komplexen Reproduktionszusammenhang von Bildung und Prozessen sozialer Ungleichheit gesetzt sind, genauer bestimmt werden. Sozialwissenschaftlich fundierte pädagogische Antidiskriminierungsstrategien sind vor diesem Hintergrund vor die Aufgabe gestellt, einerseits die Grenzen ihrer Reichweite in Hinblick auf strukturelle Bedingungen, Formen und Prozesse der Diskriminierung von MigrantInnen und Minderheiten auszuweisen, andererseits aber gerade diese strukturelle Dimension als unhintergehbaren Bezugspunkt einer kritischen Pädagogik in der Einwanderungsgesellschaft anzuerkennen.
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