Springer-Lehrbuch
Florian Lang Philipp Lang
Basiswissen Physiologie 2., vollständig neu bearbeitete und aktualisiert...
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Springer-Lehrbuch
Florian Lang Philipp Lang
Basiswissen Physiologie 2., vollständig neu bearbeitete und aktualisierte Auflage
Mit 189 vierfarbigen Abbildungen und 46 Tabellen
123
Prof. Dr. Florian Lang Physiologisches Institut der Universität Tübingen Gmelinstraße 5 72076 Tübingen
Dr. Philipp Lang Im Rotbad 52 72076 Tübingen
ISBN-13 978-3-540-71401-9 Springer Medizin Verlag Heidelberg Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer Medizin Verlag springer.de © Springer Medizin Verlag Heidelberg 2000, 2007 Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutzgesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen. Produkthaftung: Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Planung: Kathrin Nühse, Heidelberg Projektmanagement: Sigrid Janke, Heidelberg Lektorat: Bernadette Gmeiner, Edingen-Neckarhausen Zeichnungen: BITmap, Mannheim; Otto Nehren, Ladenburg Fotosatz-Service Köhler GmbH, Würzburg Layout und Umschlaggestaltung: deblik Berlin Satz: Fotosatz-Service Köhler GmbH, Würzburg SPIN 10743171 Gedruckt auf säurefreiem Papier
15/2117 – 5 4 3 2 1 0
V
Vorwort zur 2. Auflage Sinnvolles ärztliches Handeln erfordert Wissen und Verständnis derjenigen Mechanismen, die von der Krankheitsursache zum Krankheitsbild führen, also zu den für Patient und Arzt sichtbaren Veränderungen des erkrankten Körpers. Die zur Krankheit führenden Mechanismen folgen den gleichen Gesetzen wie diejenigen, welche die Funktionstüchtigkeit des gesunden Körpers gewährleisten. Das Buch setzt sich zum Ziel, Wissen und Verständnis dieser Mechanismen in kurzer, prägnanter Weise zu vermitteln. Das Buch konzentriert sich auf die Inhalte und folgt der Gliederung des IMPP Gegenstandskataloges und soll auf diese Weise die IMPP Prüfungsvorbereitung erleichtern. In Gliederung und Darstellung sind die noch relativ frischen Lern- und Prüfungserfahrungen des neu gewonnenen Coautors Philipp Lang eingeflossen. Die einzelnen Kapitel der ersten Auflage wurden von herausragenden Vertretern der jeweiligen Fachgebiete kritisch überarbeitet. Für die sorgfältige Prüfung der Texte danken wir Christian Bauer, Zürich (Blut), Niels Birbaumer, Tübingen (Integrative Leistungen des Gehirns), Hans K. Biesalski, Stuttgart (Ernährung, Verdauung), Wolfgang Clauss, Giessen (Ernährung, Verdauung), Urs Boutelier, Zürich (Leistungsphysiologie), Rainer Greger, Freiburg (Wasser- und Elektrolyt-Haushalt), Gerolf Gros, Hannover (Atmung), Helmut L. Haas, Düsseldorf (Sensomotorik), Hanns Hatt, Bochum (Geruch-Geschmack), Jürgen Hescheler, Köln (Zellphysiologie), Wilfried Jänig, Kiel (Vegetatives Nervensystem), Armin Kurz, Regensburg (Niere), Wolfgang Kuschinski, Heidelberg (Liquor und Blut-Hirn-Schranke), Frank Lehmann-Horn, Ulm (Muskulatur), Gabriele Pfitzer, Köln (Ernährung, Verdauung), Pontus Persson, Berlin (Kreislauf), Peter Ruppersberg, Tübingen (Gleichgewichtssinn, Gehör und Phonation), Hans-Georg Schaible, Jena (Somatoviszerale Sensibilität), Irene Schulz, Homburg (Hormone), Olaf Strauss, Berlin (Sehen), Michael Wiederholt, Berlin (Sehen), Karlheinz Voigt, Marburg (Hormone), Eugen Zeisberger, Giessen (Energie- und Wärmehaushalt) und Heinz-Gerhard Zimmer, Leipzig (Herz). Auch die vorliegende Auflage wurde von mehreren Kollegen sorgfältig gelesen. Allen voran danken wir Herrn Dr. Michael Fischer, Mainz für das Einbringen seines brillanten physiologischen Wissens in mehrere Kapitel des Buches. Herzlicher Dank für das kritische Lesen einzelner Kapitel gilt ferner den Mitarbeitern und Kollegen Horst Apfel (Sehen), Jutta Engel (Auditorisches System), Helmut Heinle (Blut, Ernährung, Verdauungstrakt, Leber, Energie- und Wärmehaushalt), Stefan Huber (Atmung, Chemische Sinne), Karl Lang (Immunabwehr), Monica Palmada (Somatoviszerale Sensorik), Guiscard Seebohm (Herz), Perikles Simon (Arbeits- und Leistungsphysiologie), Nathalie Strutz-Seebohm (Motorik, Integrative Leistungen des Zentralnervensystems), Susanne Ullrich (Hormonale Regulation) und Thomas Wieder (Blut, Muskulatur). Jasmin Bühringer danken wir für die Mitwirkung bei der Erstellung des Registers. Schließlich danken wir den Studenten Grammato O. Amexi, Amine Aline Aslan, Sergios Gatidis, Lisa Hellmann, Pascal Johann, Michaela Metz, Stephan Lauxmann und Jonas Schmöe für vielfältige wertvolle Hinweise. Nicht zuletzt möchten wir den Mitarbeitern des Springer-Verlages für die enthusiastische und höchst professionelle Unterstützung danken, allen voran Frau Sigrid Janke, Frau Kathrin Nühse und Frau Bernadette Gmeiner. Im August 2007
Florian Lang Philipp Lang
VII
Die Autoren
Florian Lang
Philipp Lang
geboren 1945 in Ravensburg studierte Florian Lang in München und Glasgow Medizin. Nach klinischer Weiterbildung arbeitete er als Forscher und Lehrer an der Universität Innsbruck, an der Mayo Clinic in Rochester MN, am Max-Planck-Institut für Biophysik in Frankfurt, an der Yale University in New Haven CT, und an der Universität Neapel. Er wurde 1982 in Innsbruck zum Professor ernannt und folgte 1992 einem Ruf an die Universität Tübingen. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen u. a. Transportmechanismen und die Rolle von Transport in der Regulation von Zellvolumen, Zellproliferation und Zelltod. Er ist im Herausgeberstab von mehreren europäischen, amerikanischen und japanischen Zeitschriften. Für seine Forschung erhielt er eine Reihe nationaler und internationaler Auszeichnungen. Im Unterricht legt er besonderen Wert auf pathophysiologische Zusammenhänge.
geboren 1980 in Innsbruck studierte Philipp Lang in Tübingen Medizin. In seiner Doktorarbeit widmete er sich den Mechanismen und der pathophysiologischen Bedeutung des suizidalen Erythrozyten-Todes. Nach dem Studium arbeitete er an der Yale University und der Universität Zürich. Sein besonderes Interesse gilt der Physiologie des Immunsystems.
Basiswissen Physiologie
Schlüsselbegriffe: sind fett hervorgehoben
Leitsystem: schnelle Orientierung über alle Kapitel und den Anhang
Einleitung: thematischer Einstieg ins Kapitel
Inhaltliche Struktur: klare Gliederung durch alle Kapitel
Gleichungen, Formeln, Gesetze und Theoreme
Verweis auf Abbildungen und Tabellen: deutlich herausgestellt und leicht zu finden
Tabelle: klare Übersicht der wichtigsten Fakten
Navigation: Farbleitsystem, Seitenzahl und Kapitelnummer für die schnelle Orientierung
Über 190 farbige Abbildungen: veranschaulichen komplexe Sachverhalte
Roter Faden: Kernaussagen zu Beginn des Unterkapitels bringen das Wichtigste auf den Punkt
In Kürze: fasst ein Unterkapitel strukturiert zusammen
Aufzählungen: Lerninhalte übersichtlich präsentiert
XI
Inhaltsverzeichnis 1 1.1 1.1.1 1.1.2 1.2 1.2.1 1.2.2 1.3 1.3.1 1.3.2 1.3.3 1.3.4 1.4 1.4.1 1.4.2 1.5 1.5.1 1.5.2 1.6 1.6.1 1.6.2
Allgemeine und Zellphysiologie, Zellerregung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stoffmenge und Konzentration . . . . Konzentrationen . . . . . . . . . . . . . Lösung von Gasen . . . . . . . . . . . . Osmose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Transport von Wasser . . . . . . . . . . Onkotischer Druck . . . . . . . . . . . . Stofftransport . . . . . . . . . . . . . . . Stofftransport in Gasen und Flüssigkeiten . . . . . . . . . . . . . Stofftransport durch Membranen . . Intrazellulärer Transport . . . . . . . . . Stofftransport über Zellverbände . . . Zellorganisation und Beweglichkeit . Zellmembran und Zytosol . . . . . . . Organellen . . . . . . . . . . . . . . . . . Elektrische Phänomene an Zellen . . Grundphänomene und –funktionen . Funktion erregbarer Zellen . . . . . . . Zellproliferation und Zelltod . . . . . . Zellproliferation . . . . . . . . . . . . . . Zelltod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
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2 2 3 3 3 4 4
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4 5 7 8 9 9 10 12 12 13 15 15 16
2
Blut und Immunsystem . . . . . . . . . . . . . . 18
2.1 2.1.1 2.1.2 2.2 2.2.1 2.2.2 2.3 2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.4 2.4.1 2.4.2 2.4.3 2.5
Blut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zelluläre Blutbestandteile . . . . . . . . Plasma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erythrozyten . . . . . . . . . . . . . . . . . Eigenschaften und Funktion . . . . . . . Pathophysiologie der Erythrozyten . . Blutplasma . . . . . . . . . . . . . . . . . . Transportfunktion . . . . . . . . . . . . . Niedermolekulare Bestandteile . . . . . Plasmaproteine . . . . . . . . . . . . . . . Hämostase und Fibrinolyse . . . . . . . Thrombozyten . . . . . . . . . . . . . . . Hämostase . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fibrinolyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abwehrsystem und zelluläre Identität (Immunologie) . . . . . . . . . . . . . . . Leukozyten . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unspezifische Abwehr . . . . . . . . . . . Spezifische Abwehr . . . . . . . . . . . .
2.5.1 2.5.2 2.5.3
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18 18 18 19 19 21 23 23 23 23 27 27 28 30 32 32 34 35
2.5.4 2.5.5
Entzündungsreaktionen . . . . . . . . . . . . . . . 37 Blutgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
3
Herz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.3 3.3.1 3.3.2 3.4 3.4.1 3.4.2 3.4.3
Elektrophysiologie des Herzens . . . . . . . . Spezielle Elektrophysiologie des Myokards Erregungsbildungs und -leitungssystem . . Elektromechanische Kopplung . . . . . . . . Elektrokardiographie . . . . . . . . . . . . . . Mechanik des Herzens . . . . . . . . . . . . . . Grundlagen der Muskelkontraktion . . . . . Herzklappen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Herzzyklus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Füllung des Herzens . . . . . . . . . . . . . . . Ernährung des Herzens . . . . . . . . . . . . . Koronardurchblutung . . . . . . . . . . . . . . Energieumsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . Steuerung der Herztätigkeit . . . . . . . . . . Frank-Starling-Mechanismus . . . . . . . . . Herznerven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Funktionsabhängige Anpassung . . . . . . .
4
Kreislauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
4.1 4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.1.4 4.1.5 4.1.6 4.1.7 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4 4.3 4.3.1
Allgemeine Grundlagen . . . . . . . . . . Physikalische Gesetzmäßigkeiten . . . . Funktionelle Gefäßabschnitte . . . . . . . Druck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strömung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strömungswiderstand . . . . . . . . . . . . Blutvolumen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stoffaustausch . . . . . . . . . . . . . . . . . Hochdrucksystem . . . . . . . . . . . . . . Blutdruckregulation . . . . . . . . . . . . . Störungen der Blutdruckregulation . . . Kardiovaskulärer Schock . . . . . . . . . . Blutdruckmessung . . . . . . . . . . . . . . Niederdrucksystem . . . . . . . . . . . . . Bestandteile, Volumen und Druckwerte des Niederdrucksystems . . . . . . . . . . Zentraler Venendruck . . . . . . . . . . . . Organdurchblutung . . . . . . . . . . . . . Grundmechanismen . . . . . . . . . . . . . Lunge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gehirn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.3.2 4.4 4.4.1 4.4.2 4.4.3
. . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . .
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42 42 46 47 48 55 55 57 59 60 65 65 66 67 67 68 68
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72 72 73 75 76 77 77 78 81 81 85 86 86 88
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88 88 89 89 93 93
XII
Inhaltsverzeichnis
4.4.4 4.4.5 4.4.6 4.4.7 4.4.8 4.4.9 4.5 4.5.1 4.5.2 4.6 4.6.1 4.6.2
Niere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Herz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Skelettmuskel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Splanchnikusgebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . Durchblutungsmessung . . . . . . . . . . . . . . . Fetaler und plazentarer Kreislauf . . . . . . . . . . Blutströmung in Plazenta und fetalem Kreislauf Kreislaufumstellung nach der Geburt . . . . . . . Ischämie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ischämiefolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wiederbelebungszeit . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
Atmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
5.1 5.1.1 5.1.2 5.2 5.2.1 5.2.2 5.3 5.3.1 5.3.2 5.4 5.4.1
Morphologische Grundlagen . . . . . . . . . . Strukturen der Lunge . . . . . . . . . . . . . . . Blutversorgung der Lunge . . . . . . . . . . . . Nichtrespiratorische Lungenfunktion . . . . . Aufgaben zuführender Atemwege . . . . . . . Regulation der Atemwege . . . . . . . . . . . . Physikalische Grundlagen . . . . . . . . . . . . Eigenschaften von Gasen . . . . . . . . . . . . . Gasdiffusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Atemmechanik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lungenvolumina und Statik des Atemapparates . . . . . . . . . . . . . . . . Dynamik des Atemapparates . . . . . . . . . . Lungenperfusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eigenschaften der Lungengefäße . . . . . . . Beeinflussbarkeit der Lungenperfusion . . . . Gasaustausch in der Lunge . . . . . . . . . . . . O2-Aufnahme, CO2-Abgabe . . . . . . . . . . . Ventilation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diffusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verteilung von Ventilation und Perfusion . . . Atemgastransport im Blut . . . . . . . . . . . . O2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . CO2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wechselwirkung zwischen O2- und CO2-Bindung . . . . . . . . . . . . . . . Atmungsregulation . . . . . . . . . . . . . . . . Atemzentren, Atemreize . . . . . . . . . . . . . Formen normaler und veränderter Atmung . Atmen unter ungewöhnlichen Bedingungen Atmen in der Höhe . . . . . . . . . . . . . . . . . Tauchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Atemspende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Säure-Basen-Gleichgewicht und Pufferung .
5.4.2 5.5 5.5.1 5.5.2 5.6 5.6.1 5.6.2 5.6.3 5.6.4 5.7 5.7.1 5.7.2 5.7.3 5.8 5.8.1 5.8.2 5.9 5.9.1 5.9.2 5.9.3 5.10
93 94 94 94 94 95 96 96 97 97 97 98
. . . . . . . . . .
. 100 . 100 . 100 . 100 . 100 . 101 . 102 . 102 . 103 . 104
. . . . . . . . . . . . .
. 104 . 106 . 114 . 114 . 114 . 115 . 115 . 115 . 115 . 116 . 117 . 117 . 121
. . . . . . . . .
. 122 . 123 . 123 . 125 . 127 . 127 . 128 . 128 . 129
5.10.1 5.10.2 5.10.3 5.10.4
Pufferung und H+-Ionen . . . . . . . . . Pufferung und CO2-Austausch . . . . . Säure-Basen-Haushalt . . . . . . . . . . Störungen des Säure-Basenaushaltes
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. 129 . 131 . 131 . 134
6
Arbeits- und Leistungsphysiologie . . . . . . . 139
6.1 6.1.1 6.1.2 6.2 6.2.1 6.2.2 6.2.3 6.2.4 6.2.5 6.3
Allgemeine Grundlagen . . . . . . . . . . . Muskelarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kurzzeitbelastung und Ausdauerleistung Organbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . Blut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lunge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kreislaufsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . Skelettmuskel . . . . . . . . . . . . . . . . . . ZNS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erfassung von Leistung und Leistungsbeurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spiroergometrie . . . . . . . . . . . . . . . . Training . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ermüdung und Erholung . . . . . . . . . . .
6.3.1 6.3.2 6.3.3
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. 140 . 140 . 141 . 142 . 142 . 143 . 143 . 144 . 145
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. 146 . 146 . 146 . 147
7
Ernährung, Verdauungstrakt, Leber . . . . . . 149
7.1 7.1.1 7.1.2 7.1.3 7.2 7.2.1 7.2.2 7.2.3 7.2.4 7.2.5 7.3 7.3.1 7.3.2 7.3.3 7.3.4 7.3.5 7.3.6 7.4 7.4.1 7.4.2 7.4.3 7.5 7.5.1 7.5.2 7.5.3 7.5.4
Ernährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nahrungsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inadäquate Ernährung . . . . . . . . . . . . . . . Regulation der Nahrungsaufnahme . . . . . . . Motorik des Magen-Darm-Traktes . . . . . . . . Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kauen und Schlucken . . . . . . . . . . . . . . . . Magen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erbrechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dünn- und Dickdarm, Defäkation . . . . . . . . Sekretion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mund, Rachen, Ösophagus . . . . . . . . . . . . . Magen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pankreas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Leber und Galle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dünn- und Dickdarmsekrete, Stuhl, Darmflora . Aufschluss der Nahrung . . . . . . . . . . . . . . Kohlenhydrate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Proteine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lipide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Absorption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eigenschaften intestinaler Epithelien . . . . . . Monosaccharide, Aminosäuren, Oligopeptide . Lipide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wasser und Elektrolyte . . . . . . . . . . . . . . .
. 150 . 150 . 153 . 155 . 158 . 158 . 160 . 160 . 161 . 161 . 163 . 163 . 164 . 165 . 167 . 168 . 170 . 173 . 173 . 173 . 174 . 174 . 174 . 175 . 175 . 176
XIII Inhaltsverzeichnis
7.5.5 7.6 7.6.1 7.6.2 7.6.3
Sonstige Nahrungsbestandteile . . . . . Integrative Steuerung der Magen-Darm-Funktion . . . . . . . . . Zeitliche Koordination der digestiven und interdigestiven Verdauungsaktivität Gastrointestinale Hormone . . . . . . . . Durchfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . 176 . . . . . 178 . . . . . 178 . . . . . 178 . . . . . 178
8
Energie- und Wärmehaushalt . . . . . . . . . . 181
8.1 8.1.1 8.1.2 8.1.3 8.2 8.2.1 8.2.2 8.2.3 8.2.4 8.2.5
Energiehaushalt . . . . . . . . . . . . . Grundlagen biologischer Energetik Energiequellen . . . . . . . . . . . . . Energieumsatz . . . . . . . . . . . . . Wärmehaushalt . . . . . . . . . . . . . Körpertemperatur . . . . . . . . . . . Wärmebildung . . . . . . . . . . . . . Wärmeabgabe und -aufnahme . . . Temperaturregulation . . . . . . . . . Akklimatisation . . . . . . . . . . . . .
9
Wasser und Elektrolythaushalt, Nierenfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193
9.1 9.1.1 9.1.2 9.1.3 9.1.4 9.1.5 9.1.6 9.1.7 9.1.8 9.2 9.2.1 9.2.2 9.2.3 9.2.4 9.2.5 9.2.6 9.2.7 9.2.8 9.2.9 9.2.10
Wasser- und Elektrolythaushalt . . . . . . Allgemeine Grundlagen . . . . . . . . . . Flüssigkeitsräume . . . . . . . . . . . . . . Wasser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Natrium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kalium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Calcium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Phosphat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Magnesium . . . . . . . . . . . . . . . . . . Niere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bau und Funktion . . . . . . . . . . . . . . . Durchblutung . . . . . . . . . . . . . . . . . Filtration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Transport an renalen Epithelien . . . . . . Resorption, Sekretion . . . . . . . . . . . . Harnkonzentrierung . . . . . . . . . . . . . Globale Nierenfunktion und Regulation Stoffwechsel und Hormonbildung . . . . Ableitende Harnwege . . . . . . . . . . . . Messgrößen der Nierenfunktion . . . . .
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. 182 . 182 . 182 . 183 . 185 . 185 . 186 . 186 . 188 . 190
. 194 . 194 . 195 . 197 . 199 . 200 . 203 . 205 . 206 . 209 . 209 . 209 . 212 . 215 . 216 . 221 . 224 . 226 . 227 . 228
10
Hormonale Regulation . . . . . . . . . . . . . . . 235
10.1 10.1.1 10.1.2 10.1.3
Grundlagen und Allgemeines . . . . . . . . Funktionelle Struktur des Hormonsystems Hormoneigenschaften . . . . . . . . . . . . Signalkette . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. 236 . 236 . 239 . 243
10.1.4 10.2 10.2.1 10.2.2 10.2.3 10.2.4 10.3 10.3.1 10.3.2 10.3.3 10.3.4 10.3.5 10.3.6
Neuroendokrine Signalübertragung . . . . Wasser und Elektrolythaushalt . . . . . . . ADH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aldosteron . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Natriuretische Faktoren . . . . . . . . . . . . Calcium-Phosphat-Haushalt regulierende Hormone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Energiehaushalt und Wachstum . . . . . . STH, Somatotropin . . . . . . . . . . . . . . . Schilddrüsenhormone T3, T4 . . . . . . . . . Glukokortikoide . . . . . . . . . . . . . . . . . Insulin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Glukagon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Adrenalin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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. 247 . 249 . 249 . 250 . 252
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. 252 . 254 . 254 . 256 . 258 . 262 . 265 . 265
11
Sexualentwicklung und Reproduktionsphysiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269
11.1 11.1.1 11.1.2 11.2 11.2.1 11.2.2 11.2.3
Geschlechtsfestlegung und Pubertät . . . . Geschlechtsentwicklung . . . . . . . . . . . . Störungen der Geschlechtsentwicklung . . Weibliche Sexualhormone . . . . . . . . . . . Regulation der weiblichen Sexualhormone Wirkungen der weiblichen Sexualhormone Überschuss und Mangel an weiblichen Sexualhormonen . . . . . . . . . . . . . . . . . Oxytozin und Prolaktin . . . . . . . . . . . . . Menstruationszyklus . . . . . . . . . . . . . . . Zyklusphasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hormonelle Verhütungsmittel . . . . . . . . . Androgene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Synthese und Regulation von Testosteron . Testosteronwirkungen . . . . . . . . . . . . . Störungen der Testosteronausschüttung oder Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gameten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Oozyten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spermien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kohabitation und Befruchtung . . . . . . . . Kohabitation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Befruchtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schwangerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . Hormonelle Umstellung . . . . . . . . . . . . Plazenta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umstellung im mütterlichen Organismus . Fetus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wachstum, Endokrines System . . . . . . . . Organentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . Geburt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11.2.4 11.3 11.3.1 11.3.2 11.4 11.4.1 11.4.2 11.4.3 11.5 11.5.1 11.5.2 11.6 11.6.1 11.6.2 11.7 11.7.1 11.7.2 11.7.3 11.8 11.8.1 11.8.2 11.9
. . . . . .
. . . . . .
. 271 . 271 . 271 . 272 . 272 . 273
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. 274 . 274 . 275 . 275 . 276 . 276 . 276 . 277
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. 278 . 279 . 279 . 279 . 279 . 279 . 280 . 281 . 281 . 281 . 282 . 283 . 283 . 283 . 285
XIV
Inhaltsverzeichnis
11.9.1 Hormonelle und vegetativ-nervale Steuerung der Uteruskontraktionen . . . . . . . . . . . . . . 11.9.2 Wehentätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.9.3 Anpassung des Neugeborenen . . . . . . . . . . 11.9.4 Umstellung der Mutter nach der Geburt . . . . 11.10 Laktation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.10.1 Mechanismen und Regulation mütterlicher Milchproduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.10.2 Muttermilch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.11 Alter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.11.1 Wechseljahre, Menopause . . . . . . . . . . . . . 11.11.2 Hormonsubstitution . . . . . . . . . . . . . . . . .
. 285 . 285 . 285 . 286 . 286 . 286 . 287 . 287 . 287 . 287
12
Funktionsprinzipien des Nervensystems . . 289
12.1 12.1.1 12.1.2 12.2 12.2.1 12.2.2 12.3 12.3.1 12.3.2 12.3.3 12.3.4 12.4 12.4.1 12.4.2 12.4.3 12.4.4 12.4.5 12.5 12.5.1 12.5.2 12.6 12.6.1 12.6.2 12.6.3 12.7 12.7.1 12.7.2 12.7.3
Ionenkanäle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 Kationenkanäle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 Cl--Kanäle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 Ruhemembranpotenzial . . . . . . . . . . . . . . . 291 Ionengradienten und Permeabilitäten . . . . . . 291 Gleichgewichtspotenziale, Membranpotenzial 292 Signalübertragung in Zellen . . . . . . . . . . . . . 292 Passive elektrische Eigenschaften . . . . . . . . . 292 Aktionspotenzial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 Fortleitung des Aktionspotenzials . . . . . . . . . 295 Intrazellulärer Transport . . . . . . . . . . . . . . . 297 Signalübertragung zwischen Zellen . . . . . . . . 298 Prinzipien synaptischer Übertragung . . . . . . . 298 Transmitterfreisetzung . . . . . . . . . . . . . . . . 298 Transmitter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 Übertragung an der motorischen Endplatte . . . 301 Ligandengesteuerte Übertragung an zentralen Synapsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 Signalverarbeitung im Nervensystem . . . . . . . 305 Elementarmechanismen . . . . . . . . . . . . . . . 305 Verarbeitung in Neuronenpopulationen . . . . . 305 Funktionsprinzipien sensorischer Systeme . . . . 307 Allgemeine Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 Rezeptorpotenzial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 Transformation der Reize . . . . . . . . . . . . . . . 307 Gliazellen und Liquor . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 Gliazellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 Liquor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 Blut-Hirn-Schranke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311
13
Muskulatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313
13.1 Allgemeine Muskelphysiologie . . . . . . . . . . . 314 13.1.1 Myofilamente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 13.1.2 Sarkolemm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317
13.1.3 13.1.4 13.1.5 13.2 13.2.1 13.2.2 13.2.3 13.3 13.3.1 13.3.2
Sarkoplasmatisches Retikulum . . . . . . . Sarkoplasma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Energieumwandlung . . . . . . . . . . . . . Quergestreifte Muskulatur . . . . . . . . . . Allgemeine Grundlagen . . . . . . . . . . . Skelettmuskel . . . . . . . . . . . . . . . . . . Herzmuskel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Glatter Muskel . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kontraktionsauslösung im glatten Muskel Regulation der glatten Muskelaktivität . .
14
Vegetatives Nervensystem . . . . . . . . . . . . 327
14.1
Morphologische Grundlagen, Entwicklung, Wachstumsfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 Strukturelle Organisation . . . . . . . . . . . . . . . 328 Afferenzen, Darmnervensystem . . . . . . . . . . 329 Zelluläre und molekulare Mechanismen der Signaltransduktion im vegetativen Nervensystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 Synaptische Übertragung in den Ganglien . . . . 330 Informationsübertragung von postganglionären Axonen auf Zielorgane . . . . . . . . . . . . . . . . 330 Funktionelle Organisation des Vegetativen Nervensystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 Vegetative Steuerungen . . . . . . . . . . . . . . . 334 Vegetative Reflexe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 Supraspinale Kontrolle durch das Stammhirn . . 336 Hypothalamische und limbische Steuerung . . . 336
14.1.1 14.1.2 14.2
14.2.1 14.2.2 14.3 14.3.1 14.3.2 14.3.3 14.3.4
. . . . . . . . . .
. . . . . . . . . .
. . . . . . . . . .
. 318 . 320 . 320 . 322 . 322 . 322 . 324 . 325 . 325 . 325
15
Motorik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341
15.1 15.1.1 15.1.2 15.2 15.2.1 15.2.2 15.3 15.3.1 15.3.2 15.4 15.4.1 15.4.2 15.4.3 15.4.4 15.4.5 15.5 15.5.1 15.5.2
Programmierungder Willkürbewegung . . . . Von der Bewegungsabsicht zur Bewegung . Bewegungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . Motorische Repräsentation auf dem Kortex . Primärer motorischer Kortex . . . . . . . . . . . Prä- und supplementärmotorischer Kortex . Efferente Projektion der motorischen Kortizes Prinzipielle Verschaltungsmuster . . . . . . . . Projektion in subkortikale Gebiete . . . . . . . Neuronale Systeme des Rückenmarks . . . . . Neuronentypen und ihre Lage . . . . . . . . . Reflexsysteme des Rückenmarks . . . . . . . . Reflexsystem der Muskelspindelafferenz . . . Reflexsystem der Golgi-Sehennorgane . . . . Reflexsystem der Beugereflexe . . . . . . . . . Motorische Funktionen des Hirnstamms . . . Augenmotorik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bewegungs- und Lagesinn . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . .
. 343 . 343 . 343 . 344 . 344 . 345 . 345 . 345 . 345 . 347 . 347 . 347 . 349 . 351 . 351 . 353 . 353 . 353
XV Inhaltsverzeichnis
15.5.3 Vestibulariskerne und motorische Funktionen . 15.5.4 Andere motorische Funktionen des Hirnstammes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.6 Basalganglien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.6.1 Verschaltung/Informationsfluss . . . . . . . . . . 15.6.2 Verarbeitungsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . 15.6.3 Störungen der Motorik . . . . . . . . . . . . . . . 15.7 Cerebellum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.7.1 Verschaltung, Informationsfluss . . . . . . . . . 15.7.2 Verarbeitungsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . 15.7.3 Störungen der Motorik . . . . . . . . . . . . . . . 15.8 Integrale motorische Funktionen des Zentralnervensystems . . . . . . . . . . . . . 15.8.1 Laufen und Gehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.8.2 Stehen und Gleichgewicht . . . . . . . . . . . . . 15.8.3 Ergreifen eines Gegenstandes . . . . . . . . . . . 15.8.4 Motorisches Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.8.5 Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.9 Störungen der Motorik . . . . . . . . . . . . . . . 15.9.1 Muskeltonus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.9.2 Spastik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.9.3 Tremor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.9.4 Querschnittsverletzung des Rückenmarks . . .
. 354 . 354 . 356 . 356 . 356 . 357 . 359 . 359 . 359 . 361 . 362 . 362 . 362 . 363 . 363 . 363 . 364 . 364 . 364 . 364 . 365
16
Somatoviszerale Sensorik . . . . . . . . . . . . . 367
16.1 16.1.1 16.1.2 16.1.3 16.2 16.2.1 16.2.2 16.2.3 16.2.4 16.3 16.3.1
Funktionelle und morphologische Grundlagen 368 Einteilung, Modalitäten und Qualitäten . . . . . . 368 Rezeptive Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 Afferente und zentrale Strukturen . . . . . . . . . 370 Tastsinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 Qualitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 Eigenschaften der Rezeptoren . . . . . . . . . . . 375 Funktionelle Organisation . . . . . . . . . . . . . . 376 Besonderheiten des Tastsinnes der Hand . . . . . 376 Temperatursinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 Warm-/Kaltsensoren, afferente Bahnen und zentralnervöse Projektionen . . . . . . . . . . 377 Funktionelle Organisation des Warm/Kaltsinnes 378 Tiefensensibilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 Funktionelle Organisation . . . . . . . . . . . . . . 379 Biologische Bedeutung der Tiefensensibilität . . 379 Viszerale Sensorik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 Periphere und zentrale Sensoren . . . . . . . . . . 380 Viszerale Sensibilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 Viszerale Reflexe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 Nozizeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 Nozizeptorerregung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 Nervenläsionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382
16.3.2 16.4 16.4.1 16.4.2 16.5 16.5.1 16.5.2 16.5.3 16.6 16.6.1 16.6.2
16.6.3 Spinale Organisation der Nozizeption . . . . . 16.6.4 Supraspinale Organisation von Nozizeption und Schmerz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.6.5 Endogene Schmerzhemmung . . . . . . . . . 16.7 Störungen der somatoviszeralen Sensibilität 16.7.1 Periphere Störungen . . . . . . . . . . . . . . . . 16.7.2 Zentrale Störungen . . . . . . . . . . . . . . . .
. . 382 . . . . .
. 383 . 383 . 385 . 385 . 385
17
Visuelles System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389
17.1 17.1.1 17.1.2 17.1.3 17.1.4 17.1.5 17.1.6 17.1.7 17.1.8 17.2 17.2.1 17.2.2 17.2.3 17.2.4 17.3 17.3.1 17.3.2 17.4 17.4.1 17.4.2 17.4.3 17.4.4 17.4.5
Dioptischer Apparat . . . . . . . . . . . . . . . . . Physikalische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . Auge als optisches System . . . . . . . . . . . . . Abbildungsfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Akkomodation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pupille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Augeninnendruck . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tränen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Augenmotorik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Signalverarbeitung in der Retina . . . . . . . . . Aufbau der Retina . . . . . . . . . . . . . . . . . . Transduktionsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . Neuronale Verarbeitungsprozesse . . . . . . . . Retinale Mechanismen des Farbensehens . . . Zentrale Repräsentation des visuellen Systems Gesichtsfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verlauf der Sehbahn . . . . . . . . . . . . . . . . . Informationsverarbeitung in der Sehbahn . . . Verschaltung der Sehbahn . . . . . . . . . . . . . Retina . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Corpus geniculatum laterale . . . . . . . . . . . . Visuelle Cortices . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tiefenwahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . .
. 390 . 390 . 391 . 391 . 392 . 393 . 394 . 394 . 394 . 397 . 397 . 398 . 399 . 401 403 . 403 . 403 . 404 . 404 . 405 . 405 . 405 . 406
18
Auditorisches System . . . . . . . . . . . . . . . . 409
18.1 18.1.1 18.1.2 18.2 18.2.1 18.2.2 18.3 18.3.1 18.3.2 18.4 18.4.1 18.4.2 18.5 18.5.1
Physiologische Akustik . . . . . . . . . . . . . . . . 410 Grundbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 Testverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 Gehörgang und Mittelohr . . . . . . . . . . . . . . 413 Außenohr und Gehörgang . . . . . . . . . . . . . . 413 Mittelohr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 Innenohr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414 Bau des Innenohrs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414 Innenohrschwerhörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . 415 Zentrale Hörbahn und kortikale Repräsentation 417 Verschaltungen der Hörbahn . . . . . . . . . . . . 417 Zentrale Tonanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418 Sprachbildung und Sprachverständnis . . . . . . 419 Stimmbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419
XVI
Inhaltsverzeichnis
18.5.2 18.5.3 18.6 18.6.1 18.6.2
Sprachverständnis . . . . . . . . . . . . . . . Aphasien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gleichgewichtssinn . . . . . . . . . . . . . . Bau der Gleichgewichtsorgane . . . . . . . Reizaufnahme und Erregung im Gleichgewichtsorgan . . . . . . . . . . . 18.6.3 Verschaltungen des Gleichgewichtssinns 18.6.4 Störungen des Gleichgewichtssinns . . . . 18.6.5 Prüfung des Gleichgewichtssinns . . . . .
19
. . . .
. . . .
. . . .
. 420 . 420 . 422 . 422
19.3.2 19.3.3 19.3.4 19.3.5
Transduktionsprozesse . . . . . . . . . . . . . Bahnen und zentralnervöse Verarbeitung . Assoziationsregionen für den Geruchssinn . Störungen der Geruchswahrnehmung . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. 423 . 423 . 424 . 424
20
Integrative Leistungen des Zentralnervensystems . . . . . . . . . . . . 435
20.1
Allgemeine Physiologie und funktionelle Anatomie der Großhirnrinde . . . . . . . . . . Organisation der Großhirnrinde . . . . . . . Kortikale Felder . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kortikale Asymmetrie, Händigkeit und Sprachfunktion . . . . . . . . . . . . . . . Elektrophysiologische Analyse der Hirnrindenaktivität. . . . . . . . . . . . . . Integrative Funktionen durch Interaktionen zwischen Hirnrinde und subkortikalen Hirnregionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zirkadiane Periodik . . . . . . . . . . . . . . . . Bewusstsein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Plastizität, Gedächtnis und Lernen . . . . . . Triebverhalten, Motivationen und Emotionen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . .
. 432 . 432 . 432 . 432
. . . 436 . . . 436 . . . 437
. 428
20.1.1 20.1.2 20.1.3
. 428
20.1.4
. 429 . 430
20.2
. 430 . 430 . 430 . 431 . 432
20.2.1 20.2.2 20.2.3 20.2.4
. 432
Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455
Chemische Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427
19.1 Grundlagen chemischer Sinne . . . . . . . . . . 19.1.1 Einteilung, morphologische Grundlagen und sensorische Funktionen . . . . . . . . . . . . 19.1.2 Schutzreflexe, viszerale und sekretorische Reflexe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.2 Geschmack . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.2.1 Geschmacksqualitäten und Psychophysiologie des Geschmacks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.2.2 Sensoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.2.3 Zentrale Projektionen . . . . . . . . . . . . . . . . 19.2.4 Störungen der Geschmacksempfindung . . . . 19.3 Geruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.3.1 Sinnesmodalitäten, Qualitäten und Psychophysiologie des Geruchs . . . . . . .
. . . .
. . . 438 . . . 438
. . . .
. . . .
. 442 . 442 . 445 . 446
. . . 448
1
1 Allgemeine und Zellphysiologie, Zellerregung 1.1
Stoffmenge und Konzentration – 2
1.1.1 Konzentrationen – 2 1.1.2 Lösung von Gasen – 3
1.2
Osmose
–3
1.2.1 Transport von Wasser – 3 1.2.2 Onkotischer Druck – 4
1.3
Stofftransport
1.3.1 1.3.2 1.3.3 1.3.4
Stofftransport in Gasen und Flüssigkeiten – 4 Stofftransport durch Membranen – 5 Intrazellulärer Transport – 7 Stofftransport über Zellverbände – 8
–4
1.4
Zellorganisation und Beweglichkeit
1.4.1 Zellmembran und Zytosol 1.4.2 Organellen – 10
1.5
–9
–9
Elektrische Phänomene an Zellen – 12
1.5.1 Grundphänomene und –funktionen 1.5.2 Funktion erregbarer Zellen – 13
– 12
1.6
– 15
Zellproliferation und Zelltod
1.6.1 Zellproliferation 1.6.2 Zelltod – 16
– 15
2
1
Kapitel 1 · Allgemeine und Zellphysiologie, Zellerregung
> > Einleitung
1.1
Stoffmenge und Konzentration
Der Körper ist eine Gemeinschaft von Zellen, die unterschiedlich spezialisierte Leistungen für die »Allgemeinheit« erbringen und ihrerseits darauf angewiesen sind, dass die »Allgemeinheit« Grundvoraussetzungen für ihr Überleben gewährleistet. Die Grundvoraussetzungen sind zunächst, dass genügend Substrate für die Energieversorgung bereitstehen, Abfallprodukte des Stoffwechsels abtransportiert werden und dass die Flüssigkeit, welche die Zellen umgibt, eine hinreichend konstante Zusammensetzung und Temperatur aufweist. Schließlich muss dafür gesorgt werden, dass schädliche Substanzen oder Organismen ferngehalten werden. Die Aufnahme von Substraten geschieht über den Darm, ihre Umwandlung und teilweise Speicherung in der Leber und die Aufnahme von Sauerstoff durch die Atmung. Der Transport von Substraten und O2 zu den verschiedenen Zellen ist Aufgabe des Blutes, das vom Herzen über die Gefäße des Kreislaufes an die verschiedenen Zellen transportiert wird. Im Stoffwechsel produziertes CO2 wird wieder abgeatmet, Stoffwechselendprodukte durch die Leber über den Darm und durch die Niere ausgeschieden. Die Niere übernimmt ferner die Aufgabe, die Elektrolytzusammensetzung des Extrazellulärraums zu regulieren. Unerwünschte Fremdstoffe und Fremdorganismen werden durch das Immunsystem bekämpft. Die genannten Leistungen werden durch Zellen des Nervensystems und hormonproduzierende Zellen aufeinander abgestimmt. Darüber hinaus gewinnt das Nervensystem über Sinnesorgane Informationen aus der Umwelt und kann umgekehrt über Steuerung von Muskelkontraktionen Einfluss auf die Umwelt nehmen. Die Weitergabe des genetischen Materials an Nachkommen ist schließlich eine Funktion der Reproduktionsorgane. Die geschilderten Aufgaben erfordern eine völlig unterschiedliche Spezialisierung der Zellen. Trotz dieser Spezialisierung sind die Grundbedürfnisse der Zellen gleich geblieben. Darüber hinaus werden von verschiedensten Zellen gleiche Elemente eingesetzt, um ganz unterschiedliche Leistungen zu erbringen. Daher weisen die Zellen trotz ihrer Spezialisierung untereinander ein hohes Maß an funktioneller Ähnlichkeit auf. Aufgabe dieses ersten Kapitels ist es zunächst, diese gemeinsamen Eigenschaften aufzuzeigen. Zuvor sollen noch einige Definitionen und physikalische Grundlagen erläutert werden.
1.1.1
Konzentrationen
! Konzentrationen bzw. Aktivitäten bestimmen die biologischen Wirkungen gelöster Substanzen
Konzentration. Reaktionen im Körper werden durch die
Konzentrationen der beteiligten Substanzen beeinflusst. Die Konzentration einer Substanz kann unterschiedlich ausgedrückt werden, wie z. B. in Molarität, Molalität, Massenkonzentration oder Fraktion (. Tab. 1.1). Die Molekularmasse kann absolut (in kDa) oder relativ (Verhältnis der Molekularmasse zur atomaren Masseneinheit) ausgedrückt werden. Aktivität. Für die biologische Wirkung (z. B. von Ca2+) ist
maßgebend, welcher Anteil des gelösten Ions frei verfügbar ist und die jeweilige Reaktion eingehen kann. Diesen Anteil bezeichnet man als Aktivität (A). Der Aktivitätskoeffizient (f) ist derjenige Anteil an gelöster Substanz, der für eine Reaktion zur Verfügung steht, also »aktiv« ist. Der Aktivitätskoeffizient ist eine Funktion der Ionenstärke (µ), die aus den Ionenkonzentrationen (ci) und den jeweiligen Ladungszahlen (zi) errechnet wird: µ = 0,5 · Σ · (zi2 · ci). In einer isotonen Kochsalzlösung (150 mmol/l NaCl) ist die Ionenstärke 0,15, der Aktivitätskoeffizient von Na+ etwa 0,7, und die Aktivität somit um etwa 30% geringer als die Konzentration. Bei geringer Ionenstärke sind Ionenaktivität und Ionenkonzentration in etwa gleich. . Tab. 1.1. Konzentrationsparamenter Begriff
Definition
Beispiel
Molare Konzentration (Molarität)
Stoffmenge/Volumen
mol/l
Molare Konzentration (Molalität)
Stoffmenge/Masse Lösungsmittel
mol/kg
Massenkonzentration
Masse/Volumen
g/l
Fraktion
z. B. Volumen/Volumen
l/l oder g/g
Osmolarität
Osmol/Volumen
osmol/l
Osmolalität
Osmol/Masse Lösungsmittel
osmol/kg
kg = Kilogramm, l = Liter, g = Gramm, Osmol = Σ cosmotisch aktiver Substanzen
3
3
1.2 · Osmose
pH. Die Konzentration von H+ ([H+]) wird üblicherweise in
1.2
Osmose
einem dekadischen Logarithmus ausgedrückt: pH = -log[H+]. Ein pH von 7,0 entspricht einer H+-Konzentration von 0,1 µmol/l.
1.2.1
Transport von Wasser
! Wasser folgt einem hydrostatischen und osmotischen Druckgradienten.
1.1.2
Lösung von Gasen Treibende Kräfte des Wassertransportes. Der Transport
! Die Wirkung von Gasen ist eine Funktion ihres Partialdruckes
Partialdruck. Der Partialdruck eines Gases ist derjenige
Druck, den dieses Gas ausübt (7 Kap. 5.3). Besteht ein Druck von einer Atmosphäre (100 kPa) und besteht ein Gasgemisch zu 5% aus CO2, dann übt CO2 einen Partialdruck von 0,05 Atmosphären (5 kPa) aus. Die Fraktion eines Gases ist der Anteil, den ein Gas in einem Gasgemisch einnimmt, also im genannten Beispiel 0,05. Löslichkeitskoeffizient. Der Gasdruck und die Löslichkeit
des Gases bestimmen die Konzentration des gelösten Gases. In Wasser ist der Löslichkeitskoeffizient von CO2 0,24 mmol/ (l · kPa), bei einem Druck von 5 kPa sind daher 1,2 mmol/l CO2 gelöst. Der Löslichkeitskoeffizient nimmt bei zunehmender Temperatur ab, d. h. bei Erwärmung einer CO2-haltigen Flüssigkeit unter konstantem CO2-Druck entweicht CO2. Die Löslichkeit von O2 ist in Wasser etwa 20-fach geringer als die von CO2. In Kürze
Stoffmenge und Konzentration 4 Molarität (mol/l), Molalität (mol/kg), Massenkonzentration (g/l) 4 Für biologische Wirkung Aktivität maßgebend, bei Ionen die Ionenstärke: [µ = 0,5 · Σ(zi2 · ci)] 4 H+-Ionenkonzentrationen [H+] werden als pH (-log[H+]) angegeben 4 Partialdruck eines Gases und Löslichkeitskoeffizient o gelöste Gaskonzentration
von Wasser wird durch einen hydrostatischen (Δp) und einen effektiven osmotischen (Δπ) Druckgradienten getrieben (. Tab. 1.2). Der osmotische Druckgradient ist eine Funktion der osmolalen Konzentrationsdifferenz zwischen den Kompartimenten und den Reflektionskoeffizienten jedes einzelnen Teilchens an der Trennschicht (Beziehung nach van’t Hoff ’ und Stavermann): Δπ = R · T · Σ(σi · Δci) Dabei ist σi der Reflexionskoeffizient der einzelnen gelösten Substanzen, d. h. derjenige Anteil, der von der Trennschicht zurückgehalten wird. Die Summe der Konzentrationen osmotisch aktiver Substanzen (ci) ist die Osmolarität (osmol/l) oder Osmolalität (osmol/kg) einer Lösung. Die Tonizität ist der osmotische Druck, der durch die Lösung erzeugt wird. Bei der normalen Osmolarität des Plasma (ca. 300 mosmol/l) spricht man von isotoner Lösung, bei höheren Osmolaritäten von hypertoner, bei geringeren Osmolaritäten von hypotoner Lösung. Eine Konzentrationsdifferenz von 1 mosmol/kg Wasser bei völliger Impermeabilität der gelösten Teilchen erzeugt einen osmotischen Druckgradienten von etwa 2,2 kPa (. Tab. 1.2). Hydraulische Leitfähigkeit. Der Transport von Wasser ist
nicht nur eine Funktion der treibenden Kräfte, sondern auch der hydraulischen Leitfähigkeit der Trennschicht zwischen den beiden Kompartimenten. Die hydraulische Leitfähigkeit von Zellmembranen wird durch Wasserkanäle (Aquaporine) gesteigert. Durch den Einbau von Wasserkanälen sind Zellmembranen (mit wenigen Ausnahmen) äußerst gut für Wasser permeabel.
11
4
1
Kapitel 1 · Allgemeine und Zellphysiologie, Zellerregung
. Tab. 1.2. Formeln, die Transportprozesse quantitativ beschreiben
1.2.2
Onkotischer Druck
! Der onkotische Druck ist der durch Makromoleküle ausgeübte osmotische Druck
Transportform
Formel
Wassertransport
Jv = Lp · A (Δp – Δπ)
Solvent drag
Jis = (1 – σi) · ci · Jv
Osmotische Aktivität von Makromolekülen. Auch Makro-
Diffusion (FickDiffusionsgesetz)
Jid = D · A · Δc/Δx Jid = P · A · Δci
Sättigbarer Transport
Ji = ci · Ji,max / (Ki,½ + ci)
Diffusion geladener Teilchen
Jid = -P · A · (Δci + [(z · F) / (R · T)] · ΔE · ci)
moleküle, wie Proteine, üben einen osmotischen Druck aus. Er ist etwas größer als der osmotische Druck kleiner Moleküle gleicher Konzentration. Man spricht dabei von onkotischem Druck. Der durch Makromoleküle erzeugte onkotische Druck begünstigt den Wassereinstrom in Zellen.
Durch geladene Teilchen erzeugter Strom
I = g · ΔE
Onkotischer Druck über die Gefäßwand. Die Proteine des
Gleichgewichtspotenziall (NernstGleichung)
E = –[(R · T)/(zi · F)] ln (c1/c2) E = –61mV lg (c1/c2)
Membranpotenzial (Goldmanngleichung)
EM = (R · T/F) · ln{(PNa[Na]e + PK[K]e + PCl[Cl]i)/ (PNa[Na]i+PK[K]i+PCl[Cl]e)}
Blutplasmas üben einen onkotischen Druck von etwa 25 mmHg aus. Die Flüssigkeit außerhalb der Gefäße (interstitielle Flüssigkeit, 7 Kap. 9.1) weist in der Regel eine geringe Proteinkonzentration auf und der onkotische Druckgradient über die Gefäßwand fördert eine Wasseraufnahme in das Plasma.
Jv = Wasserfluss [m3/s] Ji = Substanztransportrate [mol/s] Δp = hydrostatischer Druckgradient [Pa] Δπ = effektiver osmotischer Druckgradient = R · T · Σ (σi · Δci) [Pa] Lp = hydraulische Leitfähigkeit [m · s-1 · Pa-1] A = Fläche des Epithels bzw. der Zellmembran [m2] Δci = Konzentrationsdifferenz zwischen den Kompartimenten [mol/m3] σ = Reflexionskoeffizient R = Gaskonstante [8,3 Joule · K-1 · mol-1] T = absolute Temperatur [0 K] Δx = Diffusionsstrecke [m] D = Diffusionskoeffizient [m2/s] P = D/Δx = Permeabilität P [m/s] zi = Ladung eines diffundierenden Teilchens F = Faraday-Konstante [~105 Cb/mol] c1, c2 = Konzentrationen der Substanz zu beiden Seiten der Membran [mol/m3] Ji,max = maximale Transportrate [mol/s] Ki,½ = Substratkonzentration, bei der Transportrate halbmaximal ist [mol/m3] ΔE = Potenzialdifferenz zwischen beiden Kompartimenten [V] I = Strom [Cb/s] g = Leitfähigkeit [Cb · s-1 · V-1] E = Gleichgewichtspotenzial für ein Ion [V] PNa, PK, PCl = Permeabilität für Na+, K+ bzw. Cl[Na+]e, [K+]e, [Cl-]e = extrazelluläre Konzentration von Na+, K+ bzw. Cl[Na+]i, [K+]i, [Cl-]i = intrazelluläre Konzentration von Na+, K+ bzw. Cl
In Kürze
Osmose 4 Wasser wird durch osmotischen (Δπ = R · T · Σ (σi · Δci), [van’t Hoff ]) und hydrostatischen DruckGradienten getrieben 4 Makromoleküle üben onkotischen Druck aus 4 Wassertransport durch Zellmembranen wird durch Wasserkanäle erleichtert
1.3
Stofftransport
1.3.1
Stofftransport in Gasen und Flüssigkeiten
! Gelöste Substanzen werden in fließendem Wasser mitgerissen oder diffundieren einem Konzentrationsgradienten folgend.
Solvent drag. Im Strom transportierten Wassers können gelöste Teichen mitgerissen werden (solvent drag). Die Menge (mol) an gelösten Teilchen, die pro Zeiteinheit über solvent drag transportiert wird, steigt mit dem Wasserfluss und der Teilchenkonzentration (. Tab. 1.2). Diffusion. Gelöste Teilchen diffundieren von Orten höherer
Konzentration zu Orten geringerer Konzentration. Die
5 1.3 · Stofftransport
Menge ungeladener Teilchen, die pro Zeiteinheit durch Diffusion transportiert wird, steigt proportional zur Konzentrationsdifferenz der Teilchen und der Diffusionsfläche und nimmt proportional zur Diffusionsstrecke ab (. Tab. 1.2). Diffusion geladener Teilchen. Geladene Teilchen (Ionen)
werden zusätzlich durch einen elektrischen Gradienten getrieben, d. h. eine Potenzialdifferenz über die Zellmembran bzw. das Epithel. Chemischer und elektrischer Gradient können sich gegenseitig aufheben und ein elektrochemisches Gleichgewicht schaffen. Die Potenzialdifferenz (∆E), welche benötigt wird, um ein solches Gleichgewicht herzustellen, ist bei 37 °C: ΔE = – 61 mV · z-1 · lg (c1/c2) Dabei ist z die Ladung, c1 und c2 die Konzentration des jeweiligen Teilchens zu beiden Seiten der Membran. Wenn zum Beispiel die zytosolische K+-Konzentration (c1) das 30-fache der extrazellulären K+-Konzentration (c2) ist (lg (c1/c2) ≈ 1,5), besteht bei etwa – 90 mV (innen negativ) ein Diffusionsgleichgewicht für K+ über die Zellmembran. Unterscheiden sich chemischer und elektrischer Gradient, dann diffundieren die Teilchen in die Richtung des überwiegenden Gradienten. Beispielsweise verlässt bei einem Gradienten von 30 zu 1 K+ die Zelle, sobald das Zellmembranpotenzial unter -90 mV sinkt.
1.3.2
Stofftransport durch Membranen
! Transportprozesse vermitteln die zelluläre Aufnahme oder Abgabe von gelösten Stoffen, wie Ionen, Substraten und Stoffwechselprodukten.
Bedeutung von Transport über die Zellmembran. Jede
Zelle ist auf die Tätigkeit von Transportprozessen angewiesen, die Aufnahme und Abgabe von Substanzen vermitteln. Darüber hinaus gibt es im Körper spezialisierte Epithelzellen, deren zentrale Aufgabe der Transport von Wasser und gelösten Teilchen (Soluten) aus einem Körperkompartiment in ein anderes ist. An dieser Stelle sollen allgemeine Gesetzmäßigkeiten von Transportprozessen erläutert werden (. Tab. 1.2). Erleichterte Diffusion. Wird die Diffusion über spezifische Transportmoleküle (Carrier) vermittelt, dann spricht man von erleichterter Diffusion. Treibende Kraft ist die Konzen-
trationsdifferenz bzw. bei geladenen Soluten der elektrochemische Gradient. Nichtionische Diffusion (nonionic diffusion). Ist die undis-
soziierte (ungeladene) Form einer schwachen Säure oder Base lipidlöslich, dann kann diese Form die Membran ohne Vermittlung von Carriern überwinden. Für den Transport ist dann die Konzentrationsdifferenz der ungeladenen Teilchen maßgebend, die neben der Konzentration an Säure bzw. Base auch vom pH zu beiden Seiten der Membran abhängt. Auch Gase (CO2, NH3, O2) können carrierunabhängig über die Zellmembran diffundieren, soweit sie eine hinreichende Lipidlöslichkeit aufweisen. Andererseits wird vermutet, dass Gase (insbesondere das gut wasserlösliche CO2) auch durch Kanäle die Zellmembran passieren können. Aktiver Transport. Durch aktiven Transport können Teil-
chen auch gegen ihr elektrochemisches Gefälle transportiert werden. Dazu ist der Einsatz von Energie erforderlich. Primär aktive Transportprozesse werden durch chemische Energie in Form von ATP getrieben. Die wichtigste Ionenpumpe ist die Na+/K+-ATPase, welche unter Verbrauch von Energie Na+ aus der Zelle und im Austausch dazu K+ in die Zelle transportiert. Da sie jeweils 3 Na+ gegen 2 K+ austauscht, verschiebt sie positive Ladung nach außen, sie ist also elektrogen. Die Na+/K+-ATPase ist verantwortlich für die niedrigen Na+- und hohen K+-Konzentrationen in der Zelle. Weitere wichtige Transport-ATPasen sind die H+-ATPase, H+/K+-ATPase und die Ca2+-ATPase (. Abb. 1.1). Wegen der hohen Energie, die beim Abbau von ATP frei wird, können primär aktive Transportprozesse in der Regel hohe elektrochemische Gradienten überwinden. Der Energieverbrauch durch aktive Transportprozesse ist erheblich. Bei einer »ruhenden« Zelle verbraucht die Na+/K+-ATPase im Mittel etwa ein Drittel der gesamten Energie. Da die aktiven Pumpen durch Abkühlung gehemmt werden, kann der Energieverbrauch durch Herabsetzung der Körperoder Organtemperatur massiv gedrosselt werden. ATP-produzierender H+-Transport in Mitochondrien. In
Mitochondrien wird der Transport über eine ATPase zur Energiegewinnung eingesetzt. Die Atmungskette schleust H+ aus dem Innenraum der Mitochondrien aus und erzeugt damit ein steiles elektrochemisches Gefälle für H+ über die innere Mitochondrienmembran. Durch »Rückwärtslaufen« einer H+-ATPase wird der Gradient zur ATP-Produktion genutzt.
1
6
Kapitel 1 · Allgemeine und Zellphysiologie, Zellerregung
1
. Abb. 1.1. Transportprozesse der Zellmembran: Transportiert werden anorganische Ionen oder organische Substanzen (»organische Substrate« wie Glukose, Aminosäuren, organische Säuren, organische
Kationen). Die Transportprozesse können in Cotransporter, Antiporter (Austauscher), Pumpen (ATPasen), Uniporter oder Kanäle eingeteilt werden
Sekundär aktive Transportprozesse. Eine Reihe von Trans-
Teilchen gegen ihr elektrochemisches Gefälle zu transportieren. Einige sekundär aktive Transportprozesse sind in . Abb. 1.1 zusammengestellt.
portprozessen setzen nicht ATP, sondern den elektrochemischen Gradienten anderer Substrate ein, um Solute gegen ihren Gradienten zu transportieren. Da die Zelle relativ geringe Na+-Konzentrationen aufweist und im Inneren negativ ist, besteht ein steiles elektrochemisches Gefälle für Na+ vom Extrazellulärraum in die Zelle. Der steile Na+-Gradient wird von vielen Transportsystemen benutzt, um andere
Sättigbarkeit von Transportprozessen. Der Transport über
spezifische Transportprozesse ist prinzipiell sättigbar, die Transportrate kann also nicht beliebig gesteigert werden, sondern erreicht bei hohen Substratkonzentrationen einen
7 1.3 · Stofftransport
. Abb. 1.2. Endozytose/Exozytose. Ein Makromolekül (z. B. ein Protein) kann durch Exozytose in den Extrazellulärraum abgegeben oder durch
Endozytose (Phagozytose, Pinozytose) aus dem Extrazellulärraum in die Zelle aufgenommen werden (nach Dudel aus Schmidt et al.)
maximalen Wert (Jmax). Bei niedrigen Substratkonzentrationen arbeitet der Carrier submaximal, wobei neben der Substratkonzentration die Affinität des Transportproteins für das Substrat über die Transportrate entscheidet (. Tab. 1.2). Bei sehr niedrigen Substratkonzentrationen nimmt die Transportrate annähernd linear proportional mit der Substratkonzentration zu.
auf der anderen Seite das Axon, das Erregungen des Neurons zu anderen Neuronen oder Zielzellen weitergeben soll. Wandernde Zellen müssen am vorderen Ende Ionen und Wasser aufnehmen und am hinteren Ende Ionen und Wasser abgeben. Die Funktion der Zellen erfordert daher die Fähigkeit, Ionenkanäle und Transportproteine gezielt in die richtige Membran einzubauen (sorting). Bei der Proteinsynthese werden die Transportproteine in die Vesikelmembran eingebaut. Die Vesikel wandern dann zu der richtigen Membran und verschmelzen mit ihr. Für den richtigen Einbau sind dabei bestimmte Sequenzen des Transportproteins maßgebend.
Endozytose, Exozytose. Zellen können Wasser und darin
gelöste Teilchen (z. B. Proteine) auch aufnehmen, indem sie ihre Plasmamembran einstülpen und sich den Inhalt in zytosolische Bläschen (Vesikel) einverleiben (Endozytose, . Abb. 1.2). Die endozytotischen Vesikel können mit Lysosomen fusionieren und der Inhalt (z. B. aufgenommene Proteine) durch lysosomale Enzyme abgebaut werden. Umgekehrt kann der Inhalt intrazellulärer Vesikel durch Fusion mit der Zellmembran nach außen entleert werden (Exozytose, . Abb. 1.2). Durch luminale Endozytose und basolaterale Exozytose können Proteine Epithelzellen durchqueren.
1.3.3
Intrazellulärer Transport
! Der gerichtete Transport intrazellulärer Vesikel ist Voraussetzung für die Funktion polarer Zellen
Funktionelle Polarisierung von Zellen. Mehrere Zellfunk-
tionen erfordern, dass die Zellen polarisiert sind, wie etwa Epithelzellen, Neurone oder wandernde Zellen. Epithelzellen dienen dem Transport von Wasser und Soluten, die über die eine Membran in die Zelle aufgenommen werden und über die gegenüberliegende Membran wieder die Zelle verlassen müssen. Neurone haben normalerweise auf der einen Seite Ausläufer (Dendriten), die Erregungen aufnehmen,
Transport intrazellulärer Vesikel. Der gerichtete Transport
intrazellulärer Vesikel wird durch Elemente des Zytoskeletts vermittelt. Endoplasmatische Vesikel können Substanzen speichern, wie etwa Neurotransmitter oder Hormone. Bei Bedarf können die Vesikel mit der Zellmembran verschmelzen und dabei den Inhalt in den Extrazellulärraum abgeben. Axonaler Transport. Nervenzellen besitzen als Ausläufer
Dendriten und Axone. Die Axone können über einen Meter lang werden. Der Zellkern einer Nervenzelle liegt im Zellkörper (Soma). Die Proteinsynthese ist damit auf diesen Bereich beschränkt und zelluläre Proteine müssen von dort in die Axone transportiert werden. Die Axone verfügen über mehrere effiziente Mechanismen des Stofftransports über die weiten Strecken innerhalb eines Axons. 4 Der schnelle anterograde axonale Transport (ca. 400 mm/Tag) bewegt Vesikel in Richtung der Axonterminalen. Er wird durch myosinartige Zytoskelettbestandteile (Kinesine) angetrieben. 4 Der langsame anterograde axonale Transport (1 mm/ Tag) wird wahrscheinlich durch Polymerisierung von
1
8
1
Kapitel 1 · Allgemeine und Zellphysiologie, Zellerregung
Zytoskelettbestandteilen selbst hervorgerufen. Der langsame axonale Transport bestimmt die Geschwindigkeit, mit der ein abgeschnittener peripherer Nerv wieder in Richtung Peripherie wächst. 4 Ein retrograder axonaler Transport (ca. 300 mm/Tag) schafft proteinhaltige Vesikel in Richtung Zellkörper. Beteiligte Motorproteine sind dabei Dyneine. Auf diese Weise wird u. a. der nerve growth factor (NGF) transportiert, der für das Überleben von Neuronen erforderlich ist. Über den retrograden axonalen Transport peripherer Nerven können jedoch auch Krankheitserreger (z. B. Herpes- und Polio-Viren) und Toxine (z. B. Tetanustoxin) in das zentrale Nervensystem gelangen.
1.3.4
Stofftransport über Zellverbände
! Epithelien dienen dem transzellulären und parazellulären Transport von Wasser und Soluten. Endothelzellen regulieren die Funktion der Gefäßmuskelzellen. Gliazellen schaffen die Voraussetzung für die adäquate Funktion der Neurone
Epithelien. Epithelien trennen verschiedene Komparti-
mente des Körpers und dienen dem Transport von Wasser und Soluten (s. u.). Das Darmepithel, beispielsweise, dient dem Transport von Wasser und Soluten aus dem Darmlumen in das Blut (Absorption) oder aus dem Blut in das Darmlumen (Sekretion). Der transepitheliale Transport ist entweder transzellulär oder parazellulär. Transzelluläre Absorption erfordert den Eintritt von Wasser bzw. Soluten über die apikale Membran und den Transport aus der Zelle über die basolaterale Membran. Die spezifischen Transportleistungen werden durch entsprechende spezifische Transportproteine und Ionenkanäle geleistet. Transzellulärer Transport kann passiv oder aktiv sein. Wasser und Solute können ferner an den Nahtstellen (Schlussleisten, tight junctions) zwischen den Zellen transportiert werden (parazellulärer Transport). Eigenschaften der tight junctions sind eine Funktion der tight junction Proteine, wie Occludin, Claudine und Junction Adhäsions Moleküle (JAM). Die Dichtheit bzw. Durchlässigkeit von tight junctions entscheidet wiederum darüber, welcher elektrochemische Gradient über das Epithel aufgebaut werden kann. Endothelzellen. Endothelien kleiden die Blutgefäße aus. Die Dichtheit der tight junctions von Endothelzellen entscheidet
über die Durchlässigkeit des Endothels (7 Kap. 4.1.7). Besonders durchlässige Endothelien kleiden die Leberkapillaren aus, besonders dichte Endothelien die Kapillaren der Hoden (Blut-Hoden-Schranke) und die Gefäße des Gehirns (Blut-Hirn-Schranke, s. u.). Endothelzellen bilden jedoch nicht nur eine Barriere, sondern beeinflussen die Eigenschaften von Blutzellen (z. B. bei der Immunabwehr, 7 Kap. 2.5) und von Gefäßmuskelzellen (7 Kap. 4.2.2). Blut-Hirn-Schranke. Die Endothelzellen der Hirnkapillaren bilden (außer im Hypophysenhinterlappen, in der Area postrema und in den Plexus chorioidei) unter dem Einfluss von Astrozyten dichte Schlussleisten (tight junctions), die keinen Durchtritt von im Blut gelösten Substanzen (Elektrolyten, Proteinen) oder Zellen zulassen (Blut-HirnSchranke oder Blut-Liquor-Schranke). Das extrazelluläre Milieu des Gehirns wird auf diese Weise vom Blut abgekoppelt, um zu verhindern, dass Nervenzellen Elektrolytschwankungen, Transmittern, Hormonen, Wachstumsfaktoren und Immunreaktionen des Blutes ausgesetzt sind. Die Versorgung des Gehirns mit Substraten wird dabei durch spezifische Transportprozesse gewährleistet (u. a. für Glukose, Aminosäuren). Pharmaka und Toxine können die Blut-Hirn-Schranke überwinden, wenn sie durch diese Transportprozesse akzeptiert werden oder eine so hohe Lipidlöslichkeit aufweisen, dass die Zellmembranen keine Diffusionsbarriere darstellen. Die tight junctions können unter pathologischen Bedingungen geöffnet und damit die Blut-Hirn-Schranke durchbrochen werden, wie etwa bei Hirntumoren (die keine funktionellen Astrozyten enthalten), bei Hyperosmolarität (durch Infusion hypertoner Mannitollösungen in hirnversorgende Arterien) und bei bakterieller Hirnhautenzündung (Meningitis). Bei Neugeborenen ist die Blut-Hirn-Schranke normalerweise noch nicht dicht. Daher kann bei Hyperbilirubinämie des Neugeborenen (nicht jedoch des Erwachsenen) Bilirubin in das Gehirn eindringen und sich in Kernen des Hirnstamms ablagern (Kernikterus). Folglich kommt es zur Schädigung der Basalganglien mit Auftreten von Hyperkinesien (7 Kap. 15.6.3). Funktion von Gliazellen. Im zentralen Nervensystem sind
die Neurone von den weitaus zahlreicheren Gliazellen umgeben. Man unterscheidet je nach Struktur und Funktion Astroglia, Oligodendroglia und Mikroglia. Die Oligodendrogliazellen bilden die Myelinscheiden der zentralen Neurone, die Schwann-Zellen die Myelinscheiden peri-
9 1.4 · Zellorganisation und Beweglichkeit
pherer Neurone (. Abb. 12.9). Astroglia und Mikroglia sind ferner zur Phagozytose befähigt (. Abb. 1.2). Wichtigste Aufgabe der Gliazellen ist die Kontrolle des extrazellulären Milieus. Der Extrazellulärraum beträgt weniger als 25 % des Gehirnvolumens. Wenn die Zellen z. B. bei einer Salve von Aktionspotenzialen nur 1 % ihres K+ abgeben, dann verdoppelt sich die extrazelluläre K+-Konzentration und das K+-Gleichgewichtspotenzial nimmt um 18 mV ab. Die Gliazellen nehmen jedoch normalerweise bei Anstieg der extrazellulären K+-Konzentration K+ aus dem Extrazellulärraum auf und halten damit die extrazelluläre K+-Konzentration niedrig. Zum Teil geben sie das K+ wieder an anderer Stelle mit niedriger extrazellulärer K+-Konzentration ab (spatial buffering). Versagen die Gliazellen, dann führt der Anstieg der extrazellulären
K+-Konzentration zur Aktivierung von Nachbarneuronen, die dabei wiederum K+ verlieren. Auf diese Weise kann sich eine Erregung ausbreiten, wie etwa bei der Epilepsie. Gliazellen sind auch in der Lage, die extrazelluläre Ca2+-Konzentration und den extrazellulären pH zu regulieren. Schließlich verhindern sie, dass Neurotransmitter aus einer Synapse zu anderen Neuronen diffundieren. Sie nehmen Transmitter auf und bauen sie wieder in ihre Vorstufen ab. Neurotransmitter können umgekehrt die Funktion von Gliazellen modulieren. Gliazellen spielen ferner eine entscheidende Rolle bei der Gehirnentwicklung, wo sie das Auswachsen von Axonen und Dendriten fördern. Umgekehrt hemmen sie im erwachsenen Gehirn das Aussprossen von Axonen und Dendriten.
In Kürze
Stofftransport 4 Soluttransport: solvent drag, Diffusion, erleichterte Diffusion und aktiv. Erleichterte Diffusion und aktiver Transport sind sättigbar 4 Sekundär aktive Transporte nutzen Gefälle von Soluten, um andere gegen ein Gefälle zu transportieren 4 Transport geladener Solute wird durch elektrochemisches Gefälle getrieben 4 Makromoleküle werden durch Endozytose/Exozytose transportiert 4 Polarisierung von Zellen (Epithelien, migrierende Zellen, Neurone) entsteht durch gezielten Einbau von Membranproteinen (sorting)
1.4
Zellorganisation und Beweglichkeit
1.4.1
Zellmembran und Zytosol
! Die Zellmembran ermöglicht spezifische Aufnahme und Abgabe von Soluten sowie die spezifische Bindung von Signalstoffen. Sie bestimmt die Zusammensetzung des Zytosols
Zellmembran. Die Zellen sind von einer Zellmembran (Plas-
mamembran) umgeben, die aus einer Lipiddoppelschicht besteht und das Passieren weitgehend aller polaren Substanzen, also von Elektrolyten und gut wasserlöslichen orga-
4 Intrazellulärer Transport von Vesikeln wird durch Zytoskelett geleitet 4 Epithelien transportieren transzellulär und parazellulär 4 tight junctions o Dichtheit bzw. Durchlässigkeit von Epithelien und Endothelien; in Hirngefäßen besonders dicht o Blut-Hirn-Schranke 4 Endothelzellen regulieren Blutzellen und Gefäßmuskelzellen 4 Gliazellen regulieren Elektrolytkonzentrationen und Transmitterkonzentrationen, für normale Gehirnentwicklung erforderlich
nischen Substanzen verhindert (. Abb. 1.3). In diese Lipiddoppelschicht sind Transportproteine eingelagert, die das Durchtreten jeweils spezifischer Elektrolyte oder organischer Substrate zulassen (. Abb. 1.3). Darüber hinaus enthält die Zellmembran u. a. Rezeptormoleküle, an die Signalstoffe von außen binden und dadurch intrazelluläre Reaktionen auslösen können. Zytosol. Im Zellinneren befindet sich das Zytosol, der eigent-
liche Lösungsraum der Zelle. Es enthält u. a. die Enzyme für mehrere Stoffwechselvorgänge. Durch die hohe Proteinkonzentration und die Strukturierung durch das Zytoskelett (7 Kap. 1.4.2) weist das Zytosol eine gallertige Konsistenz auf.
1
10
Kapitel 1 · Allgemeine und Zellphysiologie, Zellerregung
1
. Abb. 1.3. Die Zellmembran mit eingebauten Proteinen
1.4.2
Organellen
! Zellkern, endoplasmatisches Retikulum, Golgi-Apparat, Lysosomen, Oxysomen und Mitochondrien bilden abgetrennte, zelluläre Kompartimente, die jeweils spezifische zelluläre Funktionen erfüllen. Das Zytoskelett ist mehr als ein Gerüst
Aufgaben von Organellen. Die Zelle enthält verschiedene
Organellen, deren Innenraum vom Zytosol durch eine oder zwei Membranen abgetrennt ist und die, jeweils spezifische, Funktionen für die Zelle erfüllen (. Abb. 1.4). 4 Im Zellkern befindet sich die genetische Information, die für die Proteinsynthese abgelesen wird (Transkription). 4 Der Zellkern wird vom endoplasmatischen Retikulum umgeben. Das raue endoplasmatische Retikulum ist mit Ribosomen besetzt, die für die Proteinsynthese erforderlich sind (Translation). Das glatte endoplasmatische Retikulum ist nicht mit Ribosomen besetzt. 4 Ein Teil der Proteine wird zum Golgi-Apparat transportiert, der Proteine u. a. glykosyliert, bevor sie in die Membran eingebaut oder in den Extrazellulärraum abgegeben werden. 4 Proteine werden u. a. in Lysosomen abgebaut, die in ihrem Inneren proteinabbauende Enzyme (Proteasen) speichern. Bei genetischen Defekten von beteiligten Enzymen können die Substrate nicht abgebaut werden
und häufen sich in den Lysosomen an (Speicherkrankheiten). 4 Peroxysomen können aus Sauerstoff Peroxide bilden und damit Substrate oxidieren. Durch eine Katalase können sie H2O2 zu O2 und H2O entgiften. 4 Lysosomen und endoplasmatisches Retikulum speichern Calciumionen und geben sie bei entsprechender Aktivierung der Zelle in das Zytosol ab. Auf diese Weise werden calciumabhängige Proteine aktiviert. 4 Mitochondrien sind für die Synthese von energiereichen Phosphaten, wie v. a. Adenosintriphosphat (ATP) verantwortlich. Sie enthalten u. a. die Enzyme des Zitratzyklus, der Atmungskette und der Fettsäureoxidation. Bedeutung der Kompartimentierung. Die verschiedenen Organellen erfüllen somit ganz unterschiedliche biochemische Aufgaben. Die Kompartimentierung durch Membranen gewährleistet dabei einen geordneten Ablauf der jeweiligen Funktionen. So können gleichzeitig in den Lysosomen Proteine abgebaut und im rauen endoplasmatischen Retikulum andere Proteine aufgebaut werden. Zytoskelett. Die Zellen enthalten ein Zytoskelett aus Aktin-
filamenten, Mikrotubuli, Mikrofilamenten und Intermediärfilamenten, das für Form und Bewegung von Zellen und von Organellen innerhalb der Zellen bedeutsam ist. Die Kontraktion von Muskeln wird durch das Zusammenspiel von
11 1.4 · Zellorganisation und Beweglichkeit
. Abb. 1.4. Aufbau einer Zelle. Gezeigt ist die Struktur einer Epithelzelle
Aktin und Myosin (7 Kap. 13.1.1) bewerkstelligt. In ähnlicher Weise bewegt das Protein Dynein die Mikrotubuli, z. B. bei der Bewegung von Zilien. Darüber hinaus spielen
Elemente des Zytoskeletts eine wesentliche Rolle in der Regulation des Zellstoffwechsels. Unter anderem wird über das Zytoskelett eine Formveränderung der Zelle registriert.
In Kürze
Zellorganisation und Beweglichkeit 4 Transportprozesse in der Zellmembran o Konzentrationen im Zytosol 4 Die Zellmembran enthält Rezeptoren für Signalstoffe 4 Raues endoplasmatisches Retikulum o Proteinsynthese, glattes endoplasmatisches Retikulum o Speichervesikel, die mit anderen Organellen oder Zellmembran fusionieren 4 Golgi-Apparat o Glykosylierung und Transport von Proteinen
4 4 4 4
Lysosomen o Proteinabbau Peroxysomen o Peroxide Mitochondrien o Energiegewinnung Endoplasmatische Vesikel, Lysosomen o Speicherung Ca2+-Ionen 4 Zytoskelett o Gerüst, Signaltransduktion, Vesikeltransport
1
12
1
Kapitel 1 · Allgemeine und Zellphysiologie, Zellerregung
1.5
Elektrische Phänomene an Zellen
1.5.1
Grundphänomene und –funktionen
! Ungleiche Verteilung und Permeabilität von Ionen in der Zellmembran schaffen das Membranpotenzial +
+
+
+
Verteilung von Na und K . Die Na /K -ATPase in der Zellmembran transportiert unter Verbrauch von ATP Na+-Ionen aus der und K+-Ionen in die Zelle. Folglich ist die intrazelluläre K+-Konzentration etwa 30-mal höher und die intrazelluläre Na+-Konzentration etwa 10-mal geringer als die entsprechenden extrazellulären Ionenkonzentrationen (. Abb. 1.5). Der jeweilige chemische Gradient treibt demnach K+ aus der Zelle und Na+ in die Zelle. Nun ist die Zellmembran der meisten Zellen in Ruhe für Na+ schlecht und für K+ sehr gut permeabel. Im Gegensatz zu Na+ kann also K+ seinem chemischen Gradienten folgen. Die Diffusion von K+ erzeugt eine innen negative Potenzialdifferenz über
. Abb. 1.5. Aufbau des Zellmembranpotenziales. Durch die Na+/ K+-ATPase wird Na+ im Austausch gegen K+ aus der Zelle gepumpt (a, 1). Die Zelle ist normalerweise für Na+ schlecht (a, 2), für K+ gut (a, 3) permeabel. K+ diffundiert, seinem chemischen Gradienten folgend, nach außen und erzeugt damit eine außen positive und innen negative Potenzialdifferenz über die Zellmembran (a, 3). Das Potenzial erzeugt einen elektrischen Gradienten (rot), der im Gleichgewicht den chemischen Gradienten für K+ (blau) aufhebt (b). Damit kommt die Nettodiffusion von K+ zum Stillstand. Das Zellmembranpotenzial treibt Cl- aus der Zelle (a, 4), bis der chemische Gradient den elektrischen Gradienten in etwa aufhebt (b). Damit kommt auch die Cl--Nettodiffusion zum Stillstand. Die niedrigere intrazelluläre Cl--Konzentra-
die Zellmembran. Das innen negative Potenzial hält das positiv geladene K+ zurück, und es entsteht ein Gleichgewicht zwischen chemischem und elektrischem Gradienten von K+. K+-Gleichgewichtspotenzial. Ist die Zellmembran aus-
schließlich für K+ permeabel, dann erreicht die Potenzialdifferenz über die Zellmembran das K+-Gleichgewichtspotenzial EK (Nernst-Gleichung): EK = – 61 mV · lg [K+]i/[ K+]e wobei [K+]i und [K+]e die wirksamen Konzentrationen (Aktivitäten) in der intrazellulären bzw. extrazellulären Flüssigkeit sind. Durch Wechselwirkung der Ionen untereinander sind die Aktivitäten zu beiden Seiten der Membran etwas geringer als die Konzentrationen (mol/l bzw. mol/kg Wasser), der Fehler bei Verwendung der Konzentrationen ist jedoch gering.
tion wird durch negative Ladungen intrazellulärer Proteine kompensiert, so dass intra- und extrazellulär Elektroneutralität herrscht. Für Na+ zeigen sowohl chemischer (blau) als auch elektrischer (rot) Gradient in die Zelle (b). Wegen der geringen Permeabilität der Zellmembran für Na+ fließt jedoch trotzdem nur wenig Na+ in die Zelle. Dieses Na+ kann durch die Na+/K+-ATPase wieder zurücktransportiert werden. Bei Hemmung der Na+/K+-ATPase (z. B. Energiemangel) akkumuliert die Zelle jedoch selbst bei langsamem Na+-Einstrom Na+ und verliert K+ (c). Das Sinken des chemischen Gradienten für K+ führt zur Depolarisation und folgender Zunahme der intrazellulären Cl--Konzentration. Letztlich droht durch zelluläre Aufnahme von NaCl Zellschwellung und nekrotischer Zelltod (d)
13 1.5 · Elektrische Phänomene an Zellen
Membranpotenzial. Das Potenzial ist auf der Zellseite +
negativ, da positiv geladenes K die Zelle verlassen hat. Die Potenzialdifferenz (EM) über eine Zellmembran, die ausschließlich für K+ permeabel ist, wird automatisch den Wert von EK erreichen. Ist nämlich EM positiver als EK, dann wird K+ seinem elektrochemischen Gefälle folgend die Zelle verlassen und EM solange polarisieren (negativieren), bis EK erreicht wird. Ist EM negativer als EK, dann wird K+ durch das elektrochemische Gefälle in die Zelle getrieben und EM wird solange depolarisiert, bis wiederum EK erreicht ist. Der Strom I, der im Ungleichgewicht fließt (. Tab. 1.2), ist eine Funktion der Differenz von EM- EK und der Leitfähigkeit der Membran für K+ (gK): I = gK · (EM - EK) Ist die Zellmembran für mehr als ein Ion permeabel, so bestimmen die Leitfähigkeiten (gn) und Gleichgewichtspotenziale (En) aller Ionen (n) das Zellmembranpotenzial:
K+-Kanäle und Membranpotenzial. In den meisten un-
stimulierten Zellen ist gK größer als die Summe der Leitfähigkeiten für die anderen Ionen und das Membranpotenzial ist nahe dem K+-Gleichgewichtspotenzial. Die Leitfähigkeit der K+-Kanäle hängt jedoch von der K+-Konzentration ab, eine Abnahme der intra- und extrazellulären K+-Konzentration mindert die K+-Leitfähigkeit. Eine Abnahme der extrazellulären K+-Konzentration verändert das Zellmembranpotenzial durch Zunahme des EK und durch Abnahme der gK. Eine Zunahme von EK hyperpolarisiert, eine Abnahme von gK depolarisiert die Zelle. Der Nettoeffekt einer Herabsetzung der extrazellulären K+-Konzentration auf das Zellmembranpotenzial hängt von der Zahl und den Eigenschaften der jeweiligen K+-Kanäle ab. Im Allgemeinen überwiegt der Einfluss auf EK, wenn die Zellmembran eine hohe K+-Leitfähigkeit aufweist (gK/gt nahe bei 1). Wenn gK niedrig und damit der Einfluss von K+ auf das Membranpotenzial gering ist, dann überwiegt die weitere Abnahme der K+-Leitfähigkeit und die Zelle depolarisiert (7 Kap. 9.1.5).
EM = Σ (gn · En/gt) wobei gt die Gesamtleitfähigkeit der Zellmembran (für alle Ionen) ist. In unserem Beispiel (. Abb. 1.5) ist EK ≈ -90 mV und ENa ≈ +60 mV. Ist die Zellmembran zu 90% für K+ (gK/gt = 0,9) und zu 10% für Na+ leitfähig (gNa/gt = 0,1), dann stellt sich ein Zellmembranpotenzial von -75 mV ein [0,9 · (-90 mV) + 0,1 · (+60 mV)]. Wird durch Zunahme von gNa die Zellmembran gleichermaßen für Na+ und K+ leitfähig (gNa/gt und gK/gt jeweils 0,5), dann depolarisiert die Zelle auf -15 mV [0,5 · (-90 mV) + 0,5 · (+60 mV)]. Alternativ kann das Membranpotenzial mit der Goldmann-Gleichung abgeschätzt werden, wobei die Permeabilitäten und Konzentrationen für Na+, K+ und Cl- berücksichtigt werden (. Tab. 1.2). Elektrogene Transportprozesse. Neben den Ionenkanälen,
die den passiven Durchtritt von einzelnen Ionen vermitteln, tragen auch elektrogene Transportprozesse zu Leitfähigkeit und Membranpotenzial bei (z. B. Na+-3HCO3– -Cotransport, . Abb. 1.1). Schließlich kann das Zellmembranpotenzial durch elektrogene Pumpen beeinflusst werden. Da die Na+/K+-ATPase 3 Na+-Ionen gegen 2 K+-Ionen austauscht, erzeugt ihre Tätigkeit einen Strom, der die Membran hyperpolarisiert. Das Membranpotenzial wird demnach negativer als das aus den Leitfähigkeiten und Gleichgewichtspotenzialen errechnete Potenzial EM.
1.5.2
Funktion erregbarer Zellen
! Erregbare Zellen werden bei »Erregung« durch Öffnung von Na+- und/oder Ca2+-Kanälen depolarisiert. K+-Kanäle werden bei Depolarisation geschlossen oder verzögert geöffnet
Spannungsabhängige Ionenkanäle. Die Leitfähigkeit von
Ionenkanälen ist häufig eine Funktion des Zellmembranpotenzials. Potenzialabhängigkeit von K+-Kanälen. K+-Kanäle reagie-
ren unterschiedlich auf Änderungen des Membranpotenzials. Die einwärtsgleichrichtenden K+-Kanäle werden bei Depolarisation verschlossen, eine Eigenschaft, die den K+-Ausstrom bei Depolarisation unterbindet. Auswärtsgleichrichtende K+-Kanäle leiten hingegen bei Depolarisation besonders gut, begünstigen also den K+-Ausstrom. Eine dritte Gruppe von K+-Kanälen wird durch das Membranpotenzial wenig beeinflusst. Potenzialabhängigkeit von Na+-Kanälen. Auch unter den
Na+-Kanälen gibt es Kanäle, deren Leitfähigkeit nur geringfügig vom Zellmembranpotenzial beeinflusst wird, wie etwa der epitheliale Na+-Kanal (ENaC). Der Na+-Kanal in den erregbaren Zellen (z. B. Herz, Skelettmuskeln, Ner-
1
14
Kapitel 1 · Allgemeine und Zellphysiologie, Zellerregung
1
. Abb. 1.6. Aktivierung und Inaktivierung des spannungsabhängigen Na+-Kanales in erregbaren Zellen. In Ruhe (links) hält das außen positive Zellmembranpotenzial den Kanal verschlossen, da das elektrische Feld eine positive Ladung im Verschlussmechanismus (gate) zur Zellinnenseite drängt (blauer Pfeil). Bei Depolarisation (Mitte) fällt die Wirkung des elektrischen Feldes weg und das gate öffnet sich
(roter Pfeil). Na+ strömt durch den geöffneten Kanal in die Zelle. Innerhalb einer Millisekunde wird die nun frei zugängliche Öffnung des Kanals durch einen »Ball« verschlossen und damit »inaktiviert« (rechts). Erst bei Repolarisation gibt der Ball die Öffnung wieder frei und der Kanal kann erneut aktiviert werden (links) (nach Koester aus Kandel et al.)
venzellen) weist hingegen eine hohe Spannungsabhängigkeit auf. Der spannungsabhängige Na+-Kanal ist bei einem Membranpotenzial von - 90 mV (Ruhemembranpotenzial) weitgehend verschlossen. Durch Depolarisation wird er schlagartig geöffnet (aktiviert) und binnen einer Millisekunde wieder verschlossen (inaktiviert). Er bleibt dann inaktiviert, solange die Zelle depolarisiert ist. Bei einer Repolarisation der Zelle bleibt der Kanal zunächst verschlossen, er wird jedoch wieder aktivierbar, d. h. er wird durch eine erneute Depolarisation wieder geöffnet (. Abb. 1.6).
Im Herzen werden durch die initiale Depolarisation die einwärtsgleichrichtenden K+-Kanäle verschlossen und spannungsabhängige Ca2+-Kanäle geöffnet. Die Unterbindung des repolarisierenden K+-Ausstroms sowie der Na+und Ca2+-Einstrom halten die Depolarisation dann für einige hundert Millisekunden aufrecht (Plateau). Erst die verzögerte Aktivierung von K+-Kanälen und die verzögerte Inaktivierung von Ca2+-Kanälen leiten dann die Repolarisation ein.
Aktionspotenzial. Die Eigenschaft der spannungsabhängigen Na+-Kanäle ist wichtige Voraussetzung für die schnelle Depolarisation einer erregbaren Zelle während eines Aktionspotenzials (. Abb. 1.7). Wird die Zellmembran bis zur Schwelle der Na+-Kanäle depolarisiert, dann führt die Öffnung dieser Kanäle zu einem lawinenartigen Einstrom von Na+ in die erregbare Zelle und damit zu einer schlagartigen weiteren Depolarisation, die zu einem völligen Potenzialverlust oder sogar zu einer Potenzialumkehr (innen positiv) führen kann. In den Neuronen dauert diese Depolarisation wegen der sofortigen Inaktivierung der Na+-Kanäle nur etwa eine Millisekunde. Unmittelbar nach dem Aktionspotenzial hyperpolarisiert die Zellmembran (Nachpotenzial) wegen der noch anhaltenden Aktivierung der K+-Kanäle und der Transporttätigkeit der elektrogenen Na+/K+-ATPase, die das eingeströmte Na+ wieder aus der Zelle pumpt (7 Kap. 1.3.2). Durch die schnelle Inaktivierung der Na+-Kanäle fließt freilich pro Aktionspotenzial nur sehr wenig Na+ in die Zelle.
Refraktärität. Unmittelbar nach dem Aktionspotenzial kann die Zellmembran (aufgrund noch inaktiver Na+-Kanäle) gar nicht (absolute Refraktärität) oder nur schwer (relative Refraktärität) erregt werden. In Kürze
Elektrische Phänomene an Zellen 4 Ungleiche Ionenverteilung über Zellmembran, hohe K+- (und Cl--)Leitfähigkeit, geringe Na+-Leitfähigkeit o Ruhemembranpotenzial außen positiv, durch Ionenkanäle (v. a. K+) und elektrogene Transportprozesse beeinflusst. Ionenströme entstehen bei Abweichungen vom Gleichgewichtspotenzial (E = – 61 mV · lg ci/c e, NernstGleichung) 4 Potenzial K+-, Na+-, und Cl--permeabler Membranen kann durch Goldmann-Gleichung abgeschätzt werden 4 Elektrische Erregung: Depolarisation l Öffnung spannungsabhängiger Na+- und Ca2+-Kanäle
15 1.6 · Zellproliferation und Zelltod
. Abb. 1.7. Aktionspotenziale (oben) und zugrunde liegende Ionenströme (unten) im Nerven (links) und Herzmuskel (rechts). Die absoluten Ströme sind von Zelle zu Zelle sehr verschieden. Ge-
1.6
Zellproliferation und Zelltod
1.6.1
Zellproliferation
! Täglich sterben Hunderte von Millionen an Zellen in unserem Körper, die durch Neubildung von Zellen (Zellproliferation) ständig neu gebildet werden müssen.
Zellproliferation. Die kontrollierte Teilung einer Zelle in ihre Tochterzellen erfordert den Ablauf einer komplizierten Sequenz von Ereignissen, die unter anderem die Aktivierung von K+-Kanälen und Ca2+-Kanälen, von Na+/H+-Austauscher und weiteren Transportproteinen sowie eine Zellvolumenzunahme erfordert. Bei der Stimulation der Zellproliferation werden unter Vermittlung von G-Proteinen 1,4,5-InsP3 und 1,3,4,5-InsP4 gebildet, Tyrosinkinasen aktiviert und mehrere Kinasekaskaden ausgelöst (7 Kap. 10.1.3 und Lehrbücher der Biochemie). Der konzertierte Ablauf dieser Signalwege ist Voraussetzung für eine geordnete
zeigt sind daher relative Ströme (im logarithmischen Maßstab). Ferner sind absolute und relative Refraktärzeit angegeben (nach Schmidt et al.)
Zellteilung. Durch Hemmung einzelner Elemente der Signalkaskade, z. B. durch Hemmung der K+- oder Ca2+-Kanäle kann die Zellproliferation gestoppt werden. Mitogene. Die Signalkaskade der Zellproliferation wird
durch Mediatoren (Mitogene bzw. Wachstumsfaktoren) und einige Hormone (z. B. Insulin) ausgelöst. Beispielsweise wird bei Gefäßverletzung von den Blutplättchen ein Mediator abgegeben, der unter anderem die Zellproliferation stimuliert (platelet derived growth factor) und auf diese Weise die Heilung einleitet. Unkontrollierte Zellproliferation kann unter anderem durch Mutationen einzelner Signalmoleküle (Onkogene) zustande kommen, die auch ohne Stimulation durch Wachstumsfaktoren aktiviert bleiben. Die Zelle teilt sich autonom und gibt diese Eigenschaft an ihre Tochterzellen weiter. Auf diese Weise können Tumore entstehen.
1
16
1
Kapitel 1 · Allgemeine und Zellphysiologie, Zellerregung
1.6.2
Zelltod
! Man unterscheidet zwei Formen von Zelltod, die Apoptose (programmierter Zelltod) und die Nekrose. Bei der Apoptose wird der Zelltod durch ein intrazelluläres Programm aktiv eingeleitet, bei der Nekrose durch äußere Bedingungen der Zelle aufgezwungen. Nekrose ist ein a priori pathologischer Prozess, Apoptose ist ein physiologischer Vorgang, der parallel zur Zellproliferation den jeweils erforderlichen Bestand an funktionierenden Zellen gewährleistet.
Apoptose. Apoptose wird durch eine Signalkaskade ver-
mittelt, die letztlich zu Zellschrumpfung, zu Fragmentation der DNA, Kondensation des nukleären Chromatins, Fragmentation des Nukleus und zur Abschnürung kleiner Zellanteile, den apoptotischen Körperchen führt. In der Zellmembran wird Phosphatidylserin nach außen gelagert. Phosphatidylserin an der Oberfläche apoptotischer Zellen bindet an Rezeptoren von Makrophagen, welche die apoptotischen Zellen phagozytieren und dann intrazellulär abbauen. Bei Apoptose kommt es zur Aktivierung intrazellulärer Proteinasen aus der Familie der Caspasen (Cystein-haltige, bei Aspartat schneidende Proteinasen). Die oben genannten Rezeptoren bzw. Stimuli aktivieren über verschiedene intermediäre Enzyme Caspase 3, das ein Schlüsselenzym für die Exekution von Apoptose ist. Caspase 3 vermittelt direkt oder indirekt die Spaltung vieler zellulärer Proteine, eine Fragmentation der nukleären DNA, Veränderungen des Zytoskeletts und eine Disintegration der Zelle. Apoptose kann durch Einlagerung der Proteine Bax, Bad und Bid in die Mitochondrien ausgelöst werden. Folge ist eine Permeabilitätssteigerung und Depolarisation der Mitochondrienmembran mit Freisetzung von mitochondrialem Cytochrom C. Cytochrom C bindet an ein Adapterprotein (APAF-1), der Komplex bindet Caspase 9, die damit aktiviert wird und weitere Caspasen aktiviert. Die Zellschrumpfung ist u. a. Folge einer Aktivierung von Cl--Kanälen und einer Hemmung des Na+/H+-Austauschers. Apoptose wird durch bestimmte Mediatoren ausgelöst, wie etwa durch den tumor necrosis factor (TNFα) oder den CD95-Liganden. Die Signalkaskade, welche zur Apoptose
führt, kann ferner durch Strahlen und Gifte ausgelöst werden. Gehen zu viele Zellen eines Organs apoptotisch zugrunde, dann kann das Organ seine Funktion nicht mehr hinreichend erfüllen (Organinsuffizienz). Wird andererseits der apoptotische Zelltod unterbunden, dann droht die Entwicklung von Tumorzellen. Bestimmte Viren können z. B. die Apoptose der von ihnen befallenen Zellen hemmen und damit Tumore erzeugen. Nekrose. Im Gegensatz zur Apoptose ist die Nekrose keine
geordnete Entfernung von Zellen. Nekrose wird beispielsweise dann ausgelöst, wenn die Energie nicht mehr ausreicht, um die Na+/K+-ATPase zu betreiben. In der Folge schwellen die Zellen, bis die Integrität der Zellmembran nicht mehr aufrechterhalten werden kann. Das Aufbrechen der Zellmembran besiegelt in der Regel das Schicksal der Zelle, da es zum endgültigen Zusammenbruch der Gradienten führen muss. Auch eine direkte Schädigung der Zellmembran, etwa durch mechanische Einflüsse, Strahlen oder Gifte, kann Nekrose auslösen. Folge ist schließlich die Freisetzung intrazellulärer Makromoleküle und damit die Auslösung einer lokalen Entzündung (7 Kap. 2.5). In Kürze
Zellproliferation 4 Mitogene (Wachstumsfaktoren, Insulin) o Zellproliferation o u. a. K+-Kanäle n, Ca2+-Kanäle n, Na+/H+-Austauscher n, G-Proteine n, 1,4,5-InsP3 n, 1,3,4,5-InsP4 n, Tyrosinkinasen n, Kinasekaskaden n 4 Onkogene o unkontrollierte Zellproliferation
Zelltod 4 Apoptose: Aktivierung Todesrezeptoren, Einlagerung von Bax, Bad und Bid in Mitochondrien, mitochondriale Depolarisation, langanhaltende Steigerung der intrazellulären Ca2+-Konzentration o Caspase-Kaskade o DNA Fragmentierung, Phospholipid-Umlagerung der Zellmembran, Bläschenbildung, Zellschrumpfung o phagozyotische Entfernung 4 Nekrose. Energiemangel, Zellmembranleck, Na+/K+ATPase-Hemmung o Zellschwellung o Zellplatzen
2
2 Blut und Immunsystem 2.1
Blut
– 18
2.1.1 Zelluläre Blutbestandteile 2.1.2 Plasma – 18
2.2
Erythrozyten
– 18
– 19
2.2.1 Eigenschaften und Funktion – 19 2.2.2 Pathophysiologie der Erythrozyten
2.3
Blutplasma
– 23
2.3.1 Transportfunktion – 23 2.3.2 Niedermolekulare Bestandteile 2.3.3 Plasmaproteine – 23
2.4
– 21
– 23
Hämostase und Fibrinolyse
– 27
2.4.1 Thrombozyten – 27 2.4.2 Hämostase – 28 2.4.3 Fibrinolyse – 30
2.5
Abwehrsystem und zelluläre Identität (Immunologie) – 32
2.5.1 2.5.2 2.5.3 2.5.4 2.5.5
Leukozyten – 32 Unspezifische Abwehr – 34 Spezifische Abwehr – 35 Entzündungsreaktionen – 37 Blutgruppen – 38
18
2
Kapitel 2 · Blut und Immunsystem
> > Einleitung
2.1.2
Der Körper des erwachsenen Menschen enthält normalerweise 4–6 l Blut, das sind etwa 6–8% des Körpergewichts. Bei Kindern ist der relative Anteil des Blutes am Körpergewicht etwa 10%. Blut dient dem Transport von O2 und CO2, Substraten, Abfallprodukten, Hormonen und Wärme. Komponenten der Hämostase dienen bei Verletzung eines Gefäßes einer Abdichtung der defekten Stelle zur Verhinderung von Blutverlust. Komponenten der Fibrinolyse schränken andererseits die inadäquate Gerinnung des Blutes ein, welche ja sonst zum Stillstand des Blutflusses führen würde. Das Blut enthält ferner wesentliche Elemente der Immunabwehr, die v. a. fremde Organismen und Schadstoffe (Toxine), aber auch schädliche oder unnütze körpereigene Zellen entfernen sollen.
! Blutplasma ist eine proteinreiche Extrazellulärflüssigkeit
Plasma
Proteine. Der nichtzelluläre Anteil des Blutes (0,58 , 0,55 ) ist Plasma, eine proteinreiche Extrazellulärflüssigkeit. Die Plasmaproteine werden nach ihrem Verhalten in der Elektrophorese in Albumine sowie α-, β-, und γ-Globuline eingeteilt (7 Kap. 2.3). Sie dienen einer Vielzahl von Aufgaben, wie etwa dem Transport schwer wasserlöslicher Substanzen, der Immunabwehr und der Blutgerinnung. Die meisten Proteine können die Blutbahn nicht verlassen und halten daher kolloidosmotisch (bzw. onkotisch) Blutwasser zurück. Solute. Die weitere Zusammensetzung des Blutplasma ent-
2.1
Blut
2.1.1
Zelluläre Blutbestandteile
spricht im Wesentlichen der Zusammensetzung des übrigen Extrazellulärraums (. Tab. 2.1). An Plasmaproteine gebundene Substanzen (z. B. Fette, Calcium) weisen entsprechend höhere Konzentrationen im Blutplasma als im übrigen Extrazellulärraum auf.
! Blut enthält Erythrozyten, Leukozyten und Thrombozyten
Erythrozyten. Zu fast der Hälfte besteht das Blut aus roten Blutkörperchen (Erythrozyten), die im Wesentlichen den Transport von O2 und CO2 gewährleisten (7 Kap. 5.7). Leukozyten. Verschieden spezialisierte Leukozyten des
Blutes dienen der Immunabwehr des Körpers (7 Kap. 2.5.1). Nach morphologischen Kriterien werden sie in Granulozyten (enthalten intrazelluläre Granula), Monozyten (enthalten einen großen, gelappten Kern) und Lymphozyten (haben einen runden Kern) eingeteilt. Die Granulozyten lassen sich nach der Färbbarkeit ihrer Granula mit entsprechenden Farbstoffen weiter in eosinophile, neutrophile und basophile Granulozyten einteilen.
. Tab. 2.1. Bestandteile des Blutes mit gerundeten Normalwerten der Konzentrationen Sonstige Substanzen
[mmol/l]
[mg/100 ml]
Hämoglobin
2,5
16.000
Aminosäuren
2
5
Glukose
5
90
Fettsäuren (frei)
1
30
Triacylglyzerine
1
100
Cholesterin (gesamt) Cholesterin (frei)
5 2
200 80
Harnstoff
4
4
Harnsäure
0,3
5
Thrombozyten. Die Thrombozyten des Blutes sind an der
Kreatinin
0,1
1
Blutungsstillung beteiligt (7 Kap. 2.4).
Bilirubin (gesamt)
0,01
0,5
Hämatokrit. Der Anteil von roten korpuskulären Elementen
(Erythrozyten), der Hämatokrit, liegt normalerweise bei 0,42 ( ) bzw. 0,45 ( ).
Ammoniak
0,06
0,1
Eisen
0,02
0,1
Osmolarität
300 mosmol/l
19 2.2 · Erythrozyten
In Kürze
Blut 4 Zelluläre Blutbestandteile: Erythrozyten, neutrophile, basophile und eosinophile Granulozyten, Monozyten, Lymphozyten und Thrombozyten 4 Blutplasma: Albumine, α-, β-, γ-Globuline, Hormone, extrazelluläre Zusammensetzung von Soluten
2.2
Erythrozyten
2.2.1
Eigenschaften und Funktion
! Erythrozyten sind spezialisiert, den Transport von Blutgasen zu gewährleisten
Bedeutung. Entscheidende Aufgabe der Erythrozyten ist der Transport von O2 im Blut (7 Kap. 5.7). Die Erythrozyten spielen ferner beim Transport von CO2 eine wesentliche Rolle (7 Kap. 5.7). Form. Die Erythrozyten gleichen normalerweise flachen
Scheibchen mit einem Durchmesser von etwa 7,5 µm und einem etwas aufgetriebenen Rand (. Abb. 2.1). Die Erythrozyten sind normalerweise ausgesprochen verformbar und können somit die engen Blutkapillaren passieren. Die Form normaler Erythrozyten bietet ferner den Vorteil einer großen Oberfläche und von kurzen Diffusionsstrecken für O2 zum Hämoglobin. Bei Schwellung nehmen die Erythrozyten eine kugelige Form an (Sphärozyten), bei Schrumpfung Stechapfelform (Echinozyten). Sowohl die Sphärozyten als auch die Echinozyten sind in ihrer Verformbarkeit wesentlich eingeschränkt. Derart verformte Erythrozyten weisen eine verkürzte Lebensdauer auf. O2-Transport. Die entscheidende Aufgabe der Erythrozy-
ten, der Transport von O2, wird durch das Hämoglobin bewerkstelligt, das etwa ein Drittel des Feuchtgewichts von Erythrozyten ausmacht. Das Hämoglobin besteht aus vier Untereinheiten mit jeweils einer Proteinkette (Globin) und einem eisenhaltigen Porphyrinring (Häm), der eigentlichen Bindungsstelle für O2. Hämoglobin hat die Eigenschaft, reversibel O2 zu binden. Bei der Passage der Erythrozyten durch die Blutkapillaren der Lunge nimmt Hämoglobin O2 auf, bei Passage der Blutkapillaren anderer Gewebe gibt Hämoglobin O2 ab. Eine Abnahme der Konzentration an Ery-
. Abb. 2.1. Erythrozyten. Oben: Bikonkave Scheibenform normaler Erythrozyten. Unten: Stechapfelform (Echinozyt), die u. a. nach Einbringen von Erythrozyten in hypertone Salzlösungen auftritt (nach Bessis)
throzyten bzw. an Hämoglobin beeinträchtigt somit den O2-Transport im Blut und kann lebensbedrohliche Ausmaße annehmen. Der O2-Transport kann ferner bei herabgesetzter O2-Bindungsfähigkeit von Hämoglobin beeinträchtigt sein: Beispielsweise kann das Eisen des Häm von Fe2+ zu Fe 3+ oxidiert werden und damit seine O2-Bindungsfähigkeit verlieren (Methämoglobin). O2 kann ferner durch Kohlenmonoxid von der Bindungsstelle verdrängt werden (7 Kap. 5.7). Mechanische Eigenschaften. Nachdem Hämoglobin einen
wesentlichen Anteil am Erythrozytenvolumen ausmacht, bestimmt es auch die mechanischen Eigenschaften der Erythrozyten. Bei der Sichelzellanämie, ist z. B. eine Aminosäure in der Eiweißkette des Hämoglobins vertauscht. Das Hämoglobin hat dadurch die Neigung, nach Abgabe von O2 (Desoxigenierung) seine Struktur zu verändern. Die Erythrozyten nehmen in der Folge eine starre Sichelform ein
2
20
2
Kapitel 2 · Blut und Immunsystem
und bleiben in der Peripherie hängen. Die Verstopfung der Gefäße durch deformierte Sichelzellen (Beeinträchtigung der Mikrozirkulation) führt lokal zu O2-Mangel, zu weiterer »Sichelung« von Erythrozyten und letztlich zur ischämischen Schädigung des Gewebes. Membrantransport. Die Erythrozyten weisen ein Membranpotential von etwa -10 mV auf. Die Membran ist vorwiegend für Cl- leitfähig. Cl- verteilt sich weitgehend passiv über die Zellmembran und erreicht so eine intrazelluläre Konzentration von etwa 70 mmol/l. Durch die Na+/K+-ATPase in der Zellmembran wird die intrazelluläre Na+-Konzentration niedrig und die intrazelluläre K+-Konzentration hoch gehalten. Die K+-Leitfähigkeit ist gering, die Na+-Leitfähigkeit geht normalerweise gegen Null. Eine Aktivierung der K+-Kanäle führt zur Hyperpolarisation, die Cl- aus der Zelle treibt und damit die Erythrozyten schrumpfen lässt. Eine Zunahme der Na+-Leitfähigkeit depolarisiert die Erythrozyten und fördert damit Cl--Einstrom und Zellschwellung. Auch Hemmung der Na+/K+-ATPase führt letztlich zur Zellschwellung durch Depolarisation. Ein wesentliches Transportprotein in der erythrozytären Zellmembran ist der Cl-/HCO3–-Austauscher (Bande-3-Protein), der den Transport von HCO3– über die Zellmembran erlaubt (7 Kap. 5.7). Stoffwechsel. Da die Erythrozyten im Wesentlichen als
»Hämoglobinbehälter« dienen, ist ihr Energiebedarf gering. Ihr Stoffwechsel ist daher äußerst begrenzt. Der Erythrozyt verliert während seiner Reifung Zellkern, Ribosomen und Mitochondrien und mit ihnen die Fähigkeit zu Zellteilung, Enzymsynthese und oxidativer Energiegewinnung. Der Erythrozyt gewinnt seine Energie (in Form von ATP) ausschließlich durch Abbau von Glukose zu Laktat und Pyruvat. ATP wird z. B. für die Aufrechterhaltung der Ionengradienten über die Zellmembran durch die Na+/K+-ATPase benötigt. Der Abbau von Glukose liefert dem Erythrozyten ferner NADH (aus glykolytischem Abbau von Glukose zu Pyruvat) und NADPH (aus dem Pentosephosphatweg). Der Erythrozyt benötigt NADH zur Reduktion von Methämoglobin, eine Voraussetzung für den O2-Transport. NADPH wird zur Bereitstellung von reduziertem Glutathion benötigt, das zur Reduktion von S-S-Gruppen zu SH-Gruppen eingesetzt wird. Vor allem SH-Gruppen von Proteinen in der Zellmembran werden ständig zu S-S-Gruppen oxidiert und müssen dann wieder reduziert werden. Mangelhafte Reduktion der S-S-Gruppen (z. B. bei Glutathionreduktasemangel)
steigert die Permeabilität der Membran u. a. für Na+. Kann der Na+-Einstrom dann durch die Na+/K+-ATPase nicht kompensiert werden, dann droht Zellschwellung und letztlich das Platzen der Erythrozyten (Hämolyse), erkennbar am Austreten von Hämoglobin, also am Rotfärben des Plasmas. Osmotische Resistenz. Die Emfpindlichkeit von Erythro-
zyten gegenüber einer Senkung der extrazellulären Osmolarität wird in der Klinik zur Diagnose von erythrozytären Erkrankungen getestet. Dazu wird Blut mit unterschiedlich hypotonen Lösungen gemischt (meist 10 µl Zitratblut mit 1 ml hypotoner Lösung). Normalerweise sind die Erythrozyten in der Lage, eine Herabsetzung der extrazellulären Osmolarität um etwa 40 % (0,54 % NaCl bzw. 75 mmol/l NaCl) zu tolerieren, ohne dass Hämolyse auftritt. Eine Herabsetzung der Osmolarität auf 0,34 % NaCl (bzw. 57 mmol/ l NaCl) hat normalerweise vollständige Hämolyse zur Folge. Gesteigerte Na+-Permeabilität der Zellmembran (z. B. bei Enzymdefekten des Pentosephosphatzyklus) mindert die osmotische Resistenz, da der Na+-Einstrom die Zellen schwellen lässt (7 Kap. 9.1.2). Die osmotische Resistenz ist auch bei Fehlen bestimmter Elemente des Zytoskeletts (Spektrin bei Sphärozytose) herabgesetzt. Die osmotische Resistenz ist dagegen bei reduziertem Hämoglobingehalt der Erythrozyten (z. B. bei Eisenmangel und einigen Hämoglobinopathien) gesteigert. Bildung, Lebensdauer und Abbau. Die Erythrozyten wer-
den vom fetalen Organismus in Leber und Milz, beim Erwachsenen im roten Knochenmark gebildet (. Abb. 2.2). Vorläufer der Erythrozyten sind die pluripotenten Stammzellen, aus denen letztlich alle Blutzellen entstehen können. Aus den pluripotenten Stammzellen entstehen binnen 4–6 Tagen über determinierte Stammzellen, Proerythroblasten und Erythroblasten die Normozyten, die durch Ausstoßung des Zellkerns die Retikulozyten bilden. Nach Verlust der Zellkerne sind die Retikulozyten beweglich genug, um durch die Schlitze der Knochenmarksinus in das Blut zu entweichen. Im peripheren Blut verlieren sie innerhalb von einem Tag ihre Mitochondrien und Ribosomen und entwickeln sich zu reifen Erythrozyten. Die mittlere Lebensdauer der Erythrozyten beträgt 100–120 Tage. Sie werden vorwiegend durch das retikuloendotheliale System von Knochenmark, Leber und Milz abgebaut. Der Abbau wird durch die Alterung der Erythrozyten begünstigt: Die Abnahme der (ja nicht mehr neu synthetisierbaren) Enzyme der Glykolyse und des Pentosephos-
21 2.2 · Erythrozyten
. Abb. 2.2. Bildung von Blutzellen. (AG = Antigen, BFU = burst forming unit, CFU = colony forming unit [E = Erythrozyten, G = Granulozyten, M = Monozyten, Mega = Megakaryozyten, Bas = basophile Gra-
nulozyten, Eo = eosinophile Granulozyten], Epo = Erythropoietin, IL = Interleukin, SCF = Stammzellfaktor, CSF = colony stimulating factor, . Tab. 12.2) (Nach Weiss und Jelkmann aus Schmidt et al.)
phatzyklus führt zu Mangel an ATP, NADH und NADPH. Folgen sind u. a. Zellschwellung und ein erhöhter Anteil an Methämoglobin.
2.2.2
Regulation der Erythropoiese. Die Zahl der Erythrozyten im Blut wird in erster Linie durch Erythropoietin reguliert. Das Glykoprotein (Molekularmasse etwa 30 kDa) wird hauptsächlich in den adulten Nieren, aber auch in der fetalen Leber gebildet. Seine Ausschüttung wird bei O2-Mangel gesteigert. Weitere Hormone, welche die Erythropoiese fördern, sind Testosteron (7 Kap. 11.4), Schilddrüsenhormone (7 Kap. 10.3), Somatotropin (7 Kap. 10.3) und Kortisol (7 Kap. 10.3). Zeichen einer gesteigerten Erythropoiese ist vermehrtes Auftreten (> 1 %) von Retikulozyten im peripheren Blut.
Pathophysiologie der Erythrozyten
! Sowohl ein Mangel (Anämie) als auch ein Überschuss (Polyglobulie) an Erythrozyten hat pathophysiologische Auswirkungen
Anämie. Auch bei normaler Erythrozytenzahl schränkt ein
Mangel an Hämoglobin die Transportfähigkeit des Blutes für O2 ein (Hämoglobinkonzentration <12 g/dl , <14 g/dl ). Ursachen einer Anämie sind: 4 Eine gestörte Bildung von Hämoglobin liegt z. B. bei der Eisenmangelanämie vor. Bei dieser Form der Anämie kann die Erythrozytenzahl annähernd normal sein, die Erythrozyten sind freilich nicht genügend mit Hämoglobin beladen (hypochrome Anämie) und
2
22
2
Kapitel 2 · Blut und Immunsystem
meist kleiner als normale Erythrozyten (mikrozytäre Anämie) 4 Eine selektive Störung der Bildung von Erythrozyten führt bei primär normaler Hämoglobinsynthese zur Überladung der wenigen vorhandenen Erythrozyten mit Hämoglobin (makrozytäre Anämie). Dabei ist die Hämoglobinsynthese sekundär herabgesetzt. Sie tritt z. B. bei Mangel an Vitamin B12 und Folsäure auf 4 Bei Mangel an Erythropoietin (z. B. bei Niereninsuffizienz) sowie bei Schädigung des Knochenmarks (z. B. durch Strahlen) werden wenige, sonst normale Erythrozyten gebildet (aplastische, normozytäre Anämie) 4 Bei primär völlig normaler Bildung von Erythrozyten und Hämoglobin kann ein beschleunigter Untergang von Erythrozyten zur Anämie führen (hämolytische Anämie oder gesteigerter suizidaler Erythrozytentod bzw. Eryptose). Sie ist u. a. Folge von Enzymdefekten der Erythrozyten, welche einen Mangel an ATP, NADH oder NADPH nach sich ziehen, von defekten Hämoglobinen, welche die Lebensdauer der Erythrozyten herabsetzen (z. B. Sichelzellanämie) sowie von Infektionen
(z. B. Malaria, Sepsis) oder Autoimmunerkrankungen, die Erythrozyten schädigen. Eryptosis ist u. a. auch bei der Zuckerkrankheit (7 Kap. 10.3) und bei Niereninsuffizienz (7 Kap. 9.2) beschleunigt 4 Auch Blutverluste führen bei zunächst normaler Erythropoiese zur Anämie. Die Blutverlustanämie ist zunächst normozytär. Bei Blutverlusten kann sich jedoch sehr schnell ein Eisenmangel als limitierender Faktor der Erythropoiese herausstellen und es folgt eine hypochrome Anämie Polyglobulie. Nicht nur ein Mangel, sondern auch ein
Überschuss an Erythrozyten (Polyglobulie) kann nachteilige Folgen haben, da eine hohe Konzentration der Erythrozyten die Viskosität des Blutes heraufsetzen und damit den Blutfluss beeinträchtigen kann. Eine Polyglobulie ist meist Folge eines O2-Mangels, der zu einer gesteigerten Ausschüttung von Erythropoietin führt. Auch ein Überschuss an Erythropoietin kann zur Polyglobulie führen. Sportler versuchen bisweilen, durch Erythropoietin ihre O2-Transportkapazität und damit ihre Leistungsfähigkeit zu steigern (Epodoping).
In Kürze
Erythrozyten 4 O2-bindendes Hämoglobin: O2-Transport; Beeinträchtigung z. B. bei Oxidation des Häm-Eisens (Methämoglobin) und bei Bindung von CO 4 Karboanhydrase: CO2-Transport 4 Form: flache, bikonkave, flexible Scheibchen (Durchmesser ≈7,5 µm), bei Schwellung kugelig (Sphärozyten), bei Schrumpfung stechapfelförmig (Echinozyten) 4 Membranpotential: ca -10 mV. Aktivierung K+-Kanäle o Hyperpolarisation o Cl--Exit o H2O-Exit o Schrumpfung 4 Fehlen von Zellkern und Mitochondrien 4 Energiegewinnung: Glykolyse und Pentosephosphatweg. NADH o Reduktion Methämoglobin; NADPHo reduziertes Glutathion 4 Osmotische Resistenz: Normal: Bei 0,54% NaCl keine, bei 0,34% NaCl vollständige Hämolyse
4 Erythropoiese: Beim Feten in Leber und Milz, beim Erwachsenen im roten Knochenmark, Stimulation durch Erythropoietin, Testosteron, Schilddrüsenhormone, Somatotropin und Kortisol 4 Vorläuferzellen: Pluripotente Stammzellen o determinierte Stammzellen o Proerythroblasten o Erythroblasteno Normozyteno Retikulozyten 4 Lebensdauer: Normal 100–120 Tage. Verkürzt bei Hämolyse und suizidalem Tod 4 Anämie: Eisenmangel (hypochrom bzw. mikrozytär), Vitamin B12- und Folsäuremangel (makrozytär), Knochenmarkschädigung oder Erythropoietinmangel (aplastische, normozytäre Anämie), Untergang n (hämolytische Anämie oder suizidaler Tod n), Blutverluste (normozytär, dann Eisenmangel o hypochrome Anämie) 4 Polyglobulie: Meist Folge eines O2-Mangels o gesteigerte Bildung von Erythropoietin
23 2.3 · Blutplasma
2.3
Blutplasma
2.3.1
Transportfunktion
! Das Blut transportiert Wärme, Atemgase, Substrate, Stoffwechselprodukte und Hormone
ionen im Blut zurückgehalten und die Anionen abgestoßen, sodass die Konzentration von einwertigen Kationen im Blutplasma etwa um 10% höher und die der Anionen um etwa 10% geringer ist als in der übrigen Extrazellulärflüssigkeit. Ca2+ ist zu etwa 40% an Plasmaproteine gebunden, die Gesamtkonzentration ist daher höher als die freie Konzentration.
Transport von Wärme. Blut nimmt in stoffwechselaktiven
Geweben die dort erzeugte Wärme auf und gibt sie in Haut und Atemwegen wieder ab (7 Kap. 8.2). Damit spielt die Durchblutung eine wichtige Rolle für die Temperaturregulation. Transport von Atemgasen. Das Blut dient in erster Linie
dem Transport von Sauerstoff und CO2 (7 Kap. 5.7). O2 wird zu etwa 98% an Hämoglobin von Erythrozyten transportiert. Auch beim CO2-Transport spielen die Erythrozyten eine entscheidende Rolle, da die Umwandlung von HCO3– in CO2 ohne die erythrozytäre Karboanhydrase nicht hinreichend schnell abläuft und daher während der Lungenpassage nicht hinreichend CO2 für die Abatmung bereitgestellt werden kann (7 Kap. 5.7). Transport von Substraten und Stoffwechselprodukten.
Die Durchblutung von Geweben gewährleistet den Antransport von Substraten wie Glukose, Fettsäuren und Aminosäuren und den Abtransport von Stoffwechselprodukten, wie etwa Laktat oder Harnstoff. In Wasser begrenzt lösliche Solute (z. B. Lipide) werden an Proteine (z. B. Lipoproteine, 7 Kap. 2.3.3) gebunden transportiert. Transport von Hormonen. Die Regulation von Organfunk-
tionen durch Hormone erfordert, dass die Hormone von den Hormondrüsen zu den Zielgeweben gelangen. Wie in 7 Kap. 10 näher ausgeführt wird, erreichen Hormone ihre Zielzellen in aller Regel über den Blutweg.
2.3.2
Niedermolekulare Bestandteile
! Das Blutplasma ist eine Extrazellulärflüssigkeit
Ionen. Plasma ist eine extrazelluläre Flüssigkeit mit der ent-
sprechenden ionalen Zusammensetzung (. Tab. 2.1). Wegen der überwiegend negativen Ladung der Plasmaproteine ist das Plasma etwas negativer als das Interstitium (GibbsDonnan-Potenzial, 7 Kap. 9.2.3). Dadurch werden die Kat-
Organische Substanzen. Die Konzentrationen der wich-
tigsten Solute im Blut sind in . Tab. 2.1 zusammengestellt. Osmolarität. Die Osmolarität des Plasmas liegt normalerweise etwa bei 300 mosmol/l. Regulation und Störungen der Osmolarität werden an anderer Stelle (7 Kap. 9.1) beschrieben.
2.3.3
Plasmaproteine
! Die im Plasma gelösten Proteine sind äußerst heterogen und erfüllen ganz unterschiedliche Aufgaben
Elektrophorese. Eine Auftrennung der verschiedenen Plasmaproteine wird in erster Linie durch die Elektrophorese erzielt, bei der ein elektrisches Feld angelegt wird (. Abb. 2.3). Dabei wandern die negativ geladenen Proteine zum positiven Pol. Die Wanderungsgeschwindigkeit ist je nach Größe des Plasmaproteins und der Ladung verschieden, d. h. kleine und stark geladene Proteine wandern am schnellsten (. Abb. 2.3). Nach ihrer Wanderungsgeschwindigkeit werden die Plasmaproteine in Albumine (wandern am schnellsten), α-, β-, und γGlobuline eingeteilt. Diese Einteilung sagt nicht a priori etwas über die Funktion der Proteine aus. Dennoch erweist sich diese Einteilung auch unter funktionellen Gesichtspunkten als nützlich, wie . Tabelle 2.2 erkennen lässt. Dichtezentrifugation. Bei ihr werden Proteine mit unter-
schiedlichem spezifischem Gewicht (Gewicht/Volumen) getrennt. Da Lipide ein geringeres spezifisches Gewicht aufweisen als Proteine, weisen Lipoproteine mit besonders hohem Lipidanteil eine geringere Dichte auf als Lipoproteine mit hohem Proteinanteil. Gemäß zunehmender Dichte unterscheidet man Chylomikronen, VLDL (very low density lipoproteins), LDL (low density lipoproteins) und HDL (high density lipoproteins).
2
24
Kapitel 2 · Blut und Immunsystem
2
4
4
4
4
. Abb. 2.3. Auftrennung der Plasmaproteine durch Elektrophorese. Plasma wird auf einen Zelluloseazetatstreifen aufgebracht und ein elektrisches Feld von etwa 230 V angelegt (oben). Der pH wird auf 8,6 eingestellt, sodass die Plasmaproteine negativ geladen sind (Dissoziation von Karboxylgruppen saurer Aminosäuren). Für die Wanderungsgeschwindigkeit im elektrischen Feld maßgebend ist das Verhältnis von Ladung zu Masse der einzelnen Proteine. Am schnellsten wandern die Albumine, gefolgt von den α1-, α2-, β-, und γ-Globulinen (Mitte). Eine akute Entzündung führt zur Abnahme der Konzentration an Albuminen und zur Zunahme von α1- und α2-Globulinen (unten) (nach Weiss und Jelkmann aus Schmidt et al.)
Funktionen. Die verschiedenen Plasmaproteine erfüllen z. T. ganz unterschiedliche Aufgaben, wie aus . Tab. 2.2 hervorgeht. 4 Eine Reihe von Plasmaproteinen (u. a. Immunglobuline) dienen der Immunabwehr (7 Kap. 2.5) 4 Gerinnungsfaktoren sind vorwiegend Enzyme, die bei Verletzung des Gefäßes aktiviert werden und in der Fol-
ge eine schnelle Abdichtung des Gefäßes bewirken (7 Kap. 2.4). Einige Plasmaproteine hemmen die Gerinnungsfaktoren oder lösen bereits gebildete Gerinnsel auf. (7 Kap. 2.4) Bestimmte Plasmaproteine sind auch unabhängig von Gerinnung und Fibrinolyse Enzyme oder Enzyminhibitoren (. Tab. 2.2) Andere Plasmaproteine binden mehr oder weniger spezifisch Substanzen im Blut, wie etwa Eisen, Calciumionen, Kupfer, Hormone, Pharmaka, Fettsäuren, Bilirubin und Hämoglobin. Sie unterstützen damit deren Transport über den Blutweg. Bei Hormonen und Pharmaka bewirkt die Plasmaproteinbindung eine Verzögerung der Wirkung, da der an Plasmaproteine gebundene Anteil keine Wirkung entfalten kann aber auch nicht abgebaut oder ausgeschieden wird (7 Kap. 9.2). Bei Absinken der Konzentration an ungebundener Substanz wird von den Plasmaproteinen Substanz freigesetzt und damit für »Nachschub« gesorgt Die Plasmaproteine binden u. a. auch H+. Bei Absinken der H+-Konzentration im Plasmawasser geben sie H+ ab, bei Zunahme der H+-Konzentration im Plasmawasser binden sie mehr H+. Damit wirken die Plasmaproteine als Puffer Änderungen der H+-Konzentration entgegen (7 Kap. 5.10) Die Plasmaproteine erzeugen schließlich den kolloidosmotischen Druck. Die Proteine können normalerweise nur zu einem minimalen Anteil die Gefäßwand passieren, der von ihnen ausgeübte (osmotische) Druck hält Wasser im Gefäßsystem zurück. Ohne Proteine würde das Wasser dem hydrostatischen Druckgefälle von den Gefäßen in das Interstitium folgen (7 Kap. 14.3)
Blutsenkungsgeschwindigkeit. Lässt man entnommenes
Blut, dessen Gerinnung unterbunden wird (durch Zusatz von Zitrat, 7 Kap. 2.4), eine Zeitlang stehen, so sinken die roten Blutkörperchen ab, und es bleibt im Überstand das gelbliche Plasma. Die Geschwindigkeit des Absinkens der roten Blutkörperchen (Blutsenkungsgeschwindigkeit, BSG) hängt von der Zusammensetzung der Plasmaproteine ab: Große Proteine, wie Fibrinogen, Haptoglobin, Coeruloplasmin und auch γ-Globuline können Brücken zwischen den Erythrozyten bilden (makromolekularer Brückenschlag) und durch Verklumpen der Erythrozyten die Senkungsgeschwindigkeit erhöhen. Diese Proteine nennt man auch Agglomerine. Die Erythrozyten können sich dabei geldrollenartig aneinander lagern. Die Albumine wieder-
25 2.3 · Blutplasma
. Tab. 2.2. Plasmaproteine Bestandteil
Molgewicht
Konzentration
[kDa]
[mmol/l]
Funktion bzw. Bindung (B) von [g/l]
Albumin Präalbumin (2)
50
5
0,3
B: Thyroxin, Retinol
Albumin (20)
69
600
45
Onkotischer Druck, B: z. B. Bilirubin, Gallensäuren, Hämatin, Fettsäuren, Histamin
74
<1
<1
Im Feten Funktion von Albumin
–
–
Entzündung, Apoptoseauslösung B: Cholesterin
α1-Globuline α1-Fetoprotein SAA (Serumamyloid A)
200
Saures α1-Glykoprotein (5)
44
Retinolbindendes Protein (2)
21
α1-Lipoprotein
20 <1
1 <1
Entzündungshemmung B: Lysophospholipide B: Vitamin A
200
20
4
B: Lipide (v. a. Phospholipide)
α1-Antitrypsin (4)
54
50
3
Proteasenhemmer
α1-Antichymotrypsin
68
7
0,5
Proteasenhemmer
Prothrombin
72
Transkortin
56
1,3
Thyroxinbindendes Globulin
37
0,5
Transkobalamin
56
Inter-α-Trypsin-Inhibitor
160
<1
<1
<1 0,1
Gerinnung B: Kortisol
<1
B: Thyroxin
<1
B: Vitamin B12
3
0,5
Proteasenhemmer
α2-Globuline Antithrombin III
65
3,5
0,2
Thrombininhibitor
Coeruloplasmin
160
2
0,3
Oxidase, B: Kupfer
C-1 Inaktivator
104
2
0,2
Inhibitor von C-1 Plasminogen, Kallikrein und F. XII
C-1-s-Komponente
80
<1
<1
Immunabwehr
C-9-Komponente
80
<1
<1
Immunabwehr
α2-Haptoglobin (5)
100
α2-Glykoprotein
350
α2-Makroprotein
725
Pseudocholinesterase (10)
350
Plasminogen
15
2
Peroxidase, B: Hämoglobin
3
2
Plasmininhibitor, B: Hormone
<1
<1
Spaltung von Acetylcholin
81
2
0,1
Fibrinolyse
240
2
0,5
B: Lipide (v. a. Cholesterin)
β-Globuline β-Lipoprotein Steroidbindendes Globulin
65
Hämopexin (10)
57
13
1
B: Häm
200
5
1
Immunabwehr
Komplement (C1– C5) (2)
0,1
–
B: 17-Hydroxysteroide
2
26
Kapitel 2 · Blut und Immunsystem
. Tab. 2.2 (Fortsetzung) Bestandteil
2
Molgewicht
Konzentration
[kDa]
[mmol/l]
Funktion bzw. Bindung (B) von [g/l]
Transferrin (8)
80
40
3
B: Eisen
Fibrinogen (5)
341
10
3
Blutgerinnung
Faktor XIII
340
<1
<1
Blutgerinnung
C-reaktives Protein
140
<1
<1
stimuliert Phagozytose
<1
spezifisches Antigen
β2-Mikroglobulin
12
0,1
C3-Proaktivator
80
3
0,2
Immunabwehr
β2-Glykoprotein 1
40
5
0,2
Protease
C3-Aktivator
60
3
0,2
Immunabwehr
Komplement C6– C10
100– 400
<1
<1
Immunabwehr
Properdin
184
<1
<1
Immunabwehr
γ-Globuline (. Tab. 2.6) Immunglobulin G (20)
150
80
12
Immunabwehr
Immunglobulin A (6)
160
10
2
Immunabwehr
Immunglobulin M (5)
900
2
Immunabwehr
Immunglobulin D (3)
170
<1
<1
Immunabwehr
Immunglobulin E (2)
190
<1
<1
Immunabwehr
15
<1
<1
Immunabwehr, Abbau Bakterienwände
Lysozym
2
Hinweis zu . Tab. 2.4 und . Tab. 2.6; hinter einigen Proteinen ist in Klammern ihre Halbwertszeit in Tagen angegeben
um behindern die Bindung der Globuline und verzögern damit die Senkungsgeschwindigkeit. Eine gesteigerte Blutsenkungsgeschwindigkeit wird z. B. als Indikator für das Auftreten von Entzündungen herangezogen, da hierbei die Albuminkonzentration sinkt und die Konzentration von denjenigen Proteinen ansteigt, die Erythrozyten verklumpen können. Unter anderem steigt die Konzentration der Akute-Phase-Proteine (7 Kap. 2.5), zu denen auch Haptoglobin, Coeruloplasmin und Fibrinogen zählen. Hypoproteinämie. Ein (z. B. genetisch bedingter) Mangel an bestimmten Proteinen kann zum Ausfall der jeweils spezifischen Funktion führen. 4 So beeinträchtigt ein Mangel an bestimmten Gerinnungsfaktoren die Gerinnung 4 Ein Mangel an Immunglobulinen setzt die Immunabwehr herab 4 Ein Mangel an Transportproteinen kann den Transport der jeweiligen Substanzen beeinträchtigen (z. B. von Kupfer, . Tab. 2.2)
4 Bei Fehlen eines enzymhemmenden Plasmaproteins
können die jeweiligen Enzyme ungestört ihre Wirkung entfalten, was mitunter fatale Folgen nach sich zieht. So können bei einem α1-Antitrypsinmangel, z. B. Proteasen ungehindert Bindegewebe in der Lunge abbauen und damit eine schwere Schädigung der Lunge nach sich ziehen (Emphysem, 7 Kap. 5.4) 4 Konsequenz eines allgemeinen Mangels an Plasmaproteinen (Hypoproteinämie) ist das Absinken des onkotischen Druckes, wobei Plasmawasser leichter die Gefäßbahn verlassen und in das Gewebe filtriert werden kann (Ödeme, 7 Kap. 4.1) Hyperproteinämie. Ein Überschuss an Plasmaproteinen ist
meist Folge einer gesteigerten Bildung von Immunglobulinen im Zuge einer Infektion. Neben den übrigen Folgen einer Aktivierung des Immunsystems (7 Kap. 2.5) erlangt auch die Zunahme der Viskosität (Zähflüssigkeit) des Blutes durch gesteigerte Agglomeration von Erythrozyten pathophysiologische Relevanz.
27 2.4 · Hämostase und Fibrinolyse
In Kürze
Blutplasma 4 Transportfunktion: Wärme, O2, CO2, Substrate, Stoffwechselprodukte, Hormone 4 Zusammensetzung: Proteinreiche Extrazellulärflüssigkeit, Konzentration proteingebundener Solute (Ca2+, Lipide) entsprechend gesteigert, Osmolarität ≈300 mosmol/l. 4 Elektrophorese: Ladungsabhängige Auftrennung von Plasmaproteinen in Albumin, α-, β-, und γGlobuline 4 Dichtezentrifugation: Auftrennung von Lipoproteinen nach ihrem spezifischen Gewicht (Gewicht/Volumen) in Chylomikronen, VLDL, LDL, und HDL
2.4
Hämostase und Fibrinolyse
2.4.1
Thrombozyten
! Die Hämostase soll sicherstellen, daß der Blutverlust bei Verletzung eines Gefäßes möglichst gering gehalten wird. Dazu sind Mechanismen erforderlich, die umgehend eine Abdichtung des Gefäßes bewirken. Andererseits müssen diese Mechanismen ständig kontrolliert werden, um ein inadäquates Einsetzen der Hämostase und damit einen Stillstand der Zirkulation des Blutes zu verhindern
4 Funktionen: Immunabwehr, Gerinnung und Fibrinolyse, Enzyme, Enzyminhibitoren, Bindung von Soluten, Puffer, Erzeugung des kolloidosmotischen Druckes 4 Blutsenkungsgeschwindigkeit: Maß für Entzündungen, durch Fibrinogen, Haptoglobin, Coeruloplasmin, γ-Globuline gesteigert, durch Albumine reduziert 4 Hypoproteinämie: Spezifisch: Mangel an Gerinnungsfaktoren, an Immunglobulinen, Transportproteinen, enzymhemmenden Plasmaproteinen. Unspezifisch o onkotischer Druck p 4 Hyperproteinämie: Gesteigerte Bildung von Immunglobulinen o Viskosität n
Ihre mittlere Lebensdauer beträgt normalerweise 5–11 Tage, sie werden in Leber, Lunge und Milz abgebaut. Die Thrombozyten sind vollgepackt mit Granula, in welchen sie vor allem Substanzen speichern, die für die Blutungsstillung eine wesentliche Rolle spielen (. Tab. 2.3). Thrombozyten speichern auch einige Bindegewebsgrundsubstanz abbauende Enzyme und können phagozytieren. Ihre Rolle bei der Immunabwehr ist freilich gering. Thrombozyten enthalten schließlich kontraktile Elemente (Aktin), die ihnen die Fähigkeit zur aktiven Kontraktion verleihen. Aktivierung der Thrombozyten. Die Thrombozyten weisen
Blutungsstillung. Bei der Verletzung eines Gefäßes kommt
es zunächst zu einer Kontraktion der Gefäßmuskulatur, die den Blutverlust einschränkt. Durch Aktivierung der Thrombozyten und des humoralen Gerinnungssystems wird dann normalerweise ein dauerhafter Verschluss des verletzten Gefäßes erreicht. Thrombozyten. Sie sind kleine Scheibchen von 1–4 µm Durchmesser und einer Dicke von weniger als 1 µm. Sie werden aus pluripotenten Stammzellen des Knochenmarks gebildet. Die Bildung wird durch das Peptidhormon Thrombopoetin stimuliert. Zunächst entsteht der Megakaryoblast und dann der Megakaryozyt, eine Riesenzelle, die in etwa tausend Thrombozyten zerfällt. Die Thrombozyten haben keine Zellkerne mehr, wohl aber Mitochondrien. Sie verfügen über die Enzyme der Glykolyse, des Pentosephosphatzyklus, des Zitratzyklus und der Atmungskette. Sie sind also zur Energiegewinnung nicht ausschließlich auf Glukose angewiesen.
Glykoproteine an der Zelloberfläche auf (u. a. GPIb, GPIIb, GPIIIa). An GPIb bindet der von-Willebrand-Faktor, ein Protein, das in Thrombozyten und im subendothelialen Gewebe vorkommt und im Blut an den Gerinnungsfaktor VIII gebunden ist. Über den von-Willebrand-Faktor binden Thrombozyten bei der Verletzung des Gefäßes an subendotheliale Strukturen (v. a. Kollagenfasern). Folge ist die Aktivierung einer thrombozytären Phospholipase C mit Bildung von 1,4,5-Inositoltrisphosphat und Freisetzung von Ca2+ aus intrazellulären Speichern. Ca2+ aktiviert eine Phospholipase A2 und stimuliert auf diese Weise die Bildung von Arachidonsäure, die in mehreren Schritten (Cyclooxygenase) zu Thromboxan A2 umgewandelt wird. Thromboxan fördert u. a. das Aneinanderheften von Thrombozyten (Aggregation), wobei die intrazellulären Granula entleert werden. Das aus den Granula stammende ADP verstärkt weiter die Umwandlung der Thrombozyten, das freigesetzte Serotonin wirkt vasokonstriktorisch (. Tab. 2.3).
2
28
Kapitel 2 · Blut und Immunsystem
. Tab. 2.3. Inhaltsstoffe in Thrombozyten Inhaltsstoffe
2
Funktion
Elektronendichte Granula ADP, ATP, GDP, GTP
Thrombozytenaktivierung; Vasokonstriktion
Serotonin
Vasokonstriktion
α-Granula Fibrinogen
Blutgerinnung; Aggregation von Thrombozyten via GP-IIb/IIIa-Rezeptoren
Gerinnungsfaktoren V und VIII
Blutgerinnung
Fibronektin
Thrombozytenadhäsion
von-Willebrand-Faktor
Adhäsion von Thrombozyten an Kollagen via GP-Ib/IX-Rezeptoren
Thrombospondin
Aggregation von Thrombozyten
Plättchenfaktor 4
Chemotaktisch für Granulozyten; inaktiviert Heparin
Platelet derived growth factor (PDGF)
Stimulation der Proliferation glatter Muskelzellen, Vasokonstriktion; chemotaktisch für Granulozyten
Fibroblast growth factor (FGF)
Stimulation der Proliferation von Fibroblasten und Endothelien
Transforming growth factor β (TGF β)
Stimulation der Matrixsynthese, Hemmung der Zellproliferation, chemotaktisch für Makrophagen
Vernetzung der Thrombozyten. Der Gerinnungsfaktor Fi-
brinogen kann an GPIIIa verschiedener Thrombozyten binden und diese so miteinander vernetzen. Ferner vermitteln die thrombozytären Proteine Fibronektin und Thrombospondin die Vernetzung von Thrombozyten. Das Verkleben der Blutplättchen führt im Verein mit der initialen Vasokonstriktion bei Verletzung kleinerer Gefäße zu einer vorläufigen Blutungsstillung innerhalb von etwa 1 – 3 min (Blutungszeit). Ein stabiler Gefäßverschluss erfordert freilich die Aktivierung der humoralen Gerinnungsfaktoren (7 Kap. 2.4.2). Über membranständige Lipoproteine (Plättchenfaktor 3) greifen die Thrombozyten in die Aktivierung des humoralen Gerinnungsystems ein (. Abb. 2.4). Thrombozytopenie/Thrombozytopathie. Eine Vielzahl von Ursachen kann die Thrombozytenzahl dezimieren (Thrombozytopenie), wie Läsionen des Knochenmarks (z. B. durch Strahlung), Autoimmunerkrankungen oder Vitamin-B12-Mangel. Darüber hinaus können die Throm-
bozyten auch bei normaler Zahl eine herabgesetzte Funktionsfähigkeit aufweisen (Thrombozytopathie), etwa bei herabgesetztem Gehalt an Granula, bei Mangel an Glykoprotein IIa/IIIb oder bei defektem von-Willebrand-Faktor. Eine herabgesetzte Funktion von Thrombozyten verhindert die schnelle Abdichtung von Gefäßen selbst nach minimalen Läsionen. Typische Folge sind multiple punktförmige Blutungen (Petechien) in der Haut.
2.4.2
Hämostase
! Die humorale Gerinnung ist eine Funktion der Gerinnungsfaktoren, die in einer Kaskade blitzschnell aktiviert werden können
Aktivierung des humoralen Gerinnungssystems. Gerinnungsfaktoren (. Tab. 2.4) werden in Form einer Kaskade aktiviert (. Abb. 2.4). Das jeweils aktivierte Enzym wird durch ein »a« gekennzeichnet (z. B. IIa). Das Gerinnungsystem läßt sich durch Phospholipoproteine (Gewebsthromboplastin) aus dem verletzten Gewebe aktivieren (extrinsisches System). Auf der anderen Seite wird bei Kontakt des Blutes mit Kollagen oder rauen Glasoberflächen das intrinsische System aktiviert. Coaktivatoren sind Kininogen und die Proteasen Kallikrein, Thrombin und Trypsin. Beide, das intrinsische und das extrinsische System, aktivieren den Faktor X, der unter Bindung von Faktor V, von Ca2+ und von Phospholipiden Prothrombin (Faktor II) in Thrombin überführt. Thrombin vermittelt wiederum die Aktivierung/ Spaltung von Fibrinogen. Der von Thrombin ebenfalls aktivierte Faktor XIII fördert schließlich die Polymerisierung von aktiviertem Fibrin. Bildung eines festen Thrombus. Mit den aggregierten
Blutplättchen bildet Fibrin den Thrombus, einen stabilen Verschluss des Gefäßes. Thrombosthenin und ADP aus den Blutplättchen führen zur Kontraktion der aggregierten Blutplättchen und es entsteht der retrahierte Thrombus. Auf diese Weise werden etwaige Wundränder zusammengezogen und damit ein Verschluss der Wunde erreicht. Methoden zur Prüfung der Blutstillung. Da sowohl eine
gesteigerte als auch eine herabgesetzte Gerinnungsneigung des Blutes gefährlich ist, kommt der diagnostischen Beurteilung der Gerinnungsneigung des Blutes große Bedeutung zu. Dabei werden verschiedene Methoden in unter-
29 2.4 · Hämostase und Fibrinolyse
. Abb. 2.4. Ablauf von Blutgerinnung und Fibrinolyse
. Tab. 2.4. Gerinnungsfaktoren Faktor
Bezeichnung
HWZ [Tage]
Mangel angeboren
erworben
I
Fibrinogen
5
A-, Hypo-, Dysfibrinogenämie (AR, AD)
VKP
II
Prothrombin
2
Hypoprothrombinämie (AR)
LS, -K
V
Proaccelerin, Acceleratorglobulin
1
Parahämophilie (AR)
LS, VKP
VII
Prokonvertin
0,2
Faktor-VII-Mangel (AR)
LS, -K
VIII
Antihämophiles Globulin
0,5
Hämophilie A (XR)
VKP, PP
IX
Christmas-Faktor
1
Hämophilie B (XR)
LS, -K
X
Stuart-Prower-Faktor
2
Faktor-X-Mangel (AR)
LS, -K
XI
Plasmathromboplastin antezedant (PTA)
2
PTA-Mangel (AR)
LS
XII
Hageman-Faktor
2
Hageman-Faktor-Mangel (AR)
LS
XIII
Fibrin-stabilisierender F
4
FSF-Mangel (AR)
LS
2+
Bei III (»Thrombokinase«), IV (Ca ) und VI (aktivierter V) handelt es sich um keine eigentlichen Faktoren. Alle, außer VIII, werden v. a. in der Leber gebildet, HWZ = Halbwertszeit in Tagen (d); LS = Leberschaden, -K = Vitamin-K-Mangel, VKP = Verbrauchskoagulopathie, PP = Paraproteinämie; AD = autosomal dominant, AR = autosomal rezessiv, XR = X-chromosomal rezessiv
2
30
2
Kapitel 2 · Blut und Immunsystem
schiedlichen Varianten eingesetzt, wie die folgenden Beispiele verdeutlichen: 4 Blutungszeit. Zur Bestimmung der Blutungszeit wird in das Ohrläppchen oder die Fingerbeere ein kleiner Schnitt gesetzt, das Blut regelmäßig abgetupft und die Zeit bis zum Stillstand der Blutung gestoppt (normalerweise 2 – 3 min). Die Blutungszeit ist ein globales Maß für die Blutungsstillung 4 Quick-Test. Zur Bestimmung der Prothrombinzeit (Thromboplastinzeit, Quick-Test) wird zu Zitratblut Gewebethromboplastin und CaCl2 gegeben und die Zeit bis zum Einsetzen der Gerinnung gestoppt. Der Wert wird mit unterschiedlich verdünntem Normalplasma verglichen. Ein Quickwert von 50% bedeutet, dass die Gerinnungszeit so lange dauert, wie die Gerinnungszeit eines auf die Hälfte verdünnten Normalplasmas. Der Quick-Test prüft die Komponenten der über das extrinsische System aktivierten Gerinnung 4 PTT. Zur Bestimmung der partiellen Thromboplastinzeit (PTT) wird zu Zitratblut Plättchenfaktor 3 und CaCl2 gegeben und die Zeit bis zur Gerinnung gemessen (normalerweise ca. 40 s). Die PTT prüft die Komponenten der über das intrinsische System aktivierten Gerinnung 4 Thrombinzeit. Zur Bestimmung der Thrombinzeit wird Thrombin-haltige Lösung zu Zitratplasma gegeben (Gerinnung in normalerweise 10 – 20 s). Sie ist bei Fibrinmangel oder gesteigerter Fibrinolyse verzögert Herabgesetzte humorale Gerinnung. Die humorale Gerinnung ist bei Mangel oder Fehlfunktion eines der Komponenten beeinträchtigt. Für jeden der in . Tab. 2.4 aufgenommenen Gerinnungsfaktoren (außer Ca2+) sind genetische Defekte bekannt. Bei Lebererkrankungen kann die eingeschränkte hepatische Synthese fast aller Gerinnungsfaktoren die Gerinnung in Mitleidenschaft ziehen. Bei Vitamin-K-Mangel ist die Synthese der Faktoren II, VII, IX und X eingeschränkt. Gleichermassen kann Überdosierung von Vitamin-K-Antagonisten und von Heparin zum Ausfall der Gerinnung führen. Eine überschießende Fibrinolyse liegt bei der allgemeinen disseminierten intravasalen Gerinnung (Verbrauchskoagulopathie) vor. Sie ist Folge einer gleichzeitigen Aktivierung von Gerinnung und Fibrinolyse (z. B. nach Geburten), führt zu einem Verbrauch von Gerinnungsfaktoren und endet in einem völligen Zusammenbrechen der Blutgerinnung. Folgen einer Gerinnungsstörung sind typischerweise großflächige, langanhaltende Blutungen.
Thromben. Eine überschießende Hämostase führt zur Bildung von Thromben, welche an Ort und Stelle die Blutgefäße einengen oder wenn sie sich lösen, mit dem Blutstrom mitgerissen werden und »stromabwärts« Blutgefäße verstopfen können (Embolie). Thromben entstehen bei mitunter minimalen Läsionen des Gefäßendothels, die subendotheliales Gewebe freilegen. Eine langsame Blutströmung kann das Wachsen von Thromben begünstigen. Die Hämostasebereitschaft ist beispielsweise bei gesteigerten Thrombozytenzahlen im Blut erhöht. Ferner begünstigt eine relativ häufige, Protein C - resistente, Genvariante des Faktor V (Leiden-Mutation) das Auftreten von Thrombosen. Therapeutische Gerinnungshemmung. Der Arzt ist bisweilen gezwungen, therapeutisch in die Gerinnung und Fibrinolyse einzugreifen: Neben Heparin (s. u.) kommen dabei v. a. Vitamin-K-Antagonisten (Kumarine) zum Einsatz: Die Bildung funktionstüchtiger Gerinnungsfaktoren II, VII, IX und X in der Leber ist von Vitamin K abhängig. Ihre Bildung und damit die Gerinnung kann daher durch Vitamin-K-Antagonisten eingeschränkt werden. Eine gerinnungshemmende Wirkung haben auch Cyclooxygenasehemmer (z. B. Acetylsalicylsäure), welche die Bildung von Thromboxan unterbinden. Gerinnungshemmung bei der Blutabnahme. Häufig ist es
wünschenswert, die Gerinnung von Blut, das dem Patienten abgenommen wird, zu verhindern: Dazu verwendet man neben Heparin vor allem Substanzen, die Ca2+ komplexieren, wie Zitrat, Oxalat und EDTA.
2.4.3
Fibrinolyse
! Eine unkontrollierte Gerinnung würde die Zirkulation des Blutes unterbinden. Daher benötigt der Körper Mechanismen, welche die Gerinnung einschränken und intravasale Blutgerinnsel wieder auflösen. Beide Funktionen werden vom Fibrinolysesystem wahrgenommen
Auslöser der Fibrinolyse. Das Enzym Plasmin kann Fibrin
spalten, wobei die Fibrinbruchstücke die weitere Aktivierung von Fibrin bremsen. Die Aktivierung von Plasmin aus dem Plasmaprotein Plasminogen erfolgt unter dem Einfluss von Enzymen (u. a. tissue-type plasminogen activator t-PA oder urinary plasminogen activator u-PA) aus verschiedenen Geweben (u. a. Prostata, Leber, Pankreas, Lunge, Uterus) und Körperflüssigkeiten (Tränen, Milch, Urin). Darü-
31 2.4 · Hämostase und Fibrinolyse
ber hinaus können der aktivierte Faktor XII und Thrombin Plasmin aktivieren (Blutaktivatoren), wenn sie durch Proaktivatoren (u. a. Präkallikrein) aus geschädigten Geweben stimuliert werden. Inhibitoren von Gerinnung und Fibrinolyse. Sowohl die
Gerinnung als auch die Fibrinolyse stehen unter dem Einfluss von Proteasehemmern im Plasma (Inhibitoren), welche die enzymatische Aktivität der Gerinnungsfaktoren unterbinden: Das Plasmaprotein Antithrombin III bildet mit dem Polysaccharid Heparin (u. a. aus basophilen Granulozyten, 7 Kap. 2.5) einen Komplex, der die Wirkung von
Thrombin, von Plasmin und der Faktoren IXa, Xa, XIa und XIIa hemmt. Weitere, die Gerinnung hemmende Plasmaproteine sind Protein C (hemmt Va, VIIIa), Protein S, α1-Antitrypsin, α2-Makroglobulin und C1-Inaktivator. Die Wirkung von Plasmin wird ferner durch α2-Antiplasmin, α1-Antitrypsin und α2-Makroglobulin gehemmt. Die Fibrinolyse lässt sich ferner durch ε-Aminocapronsäure hemmen. Therapeutische Aktivierung der Fibrinolyse. Die Fibrino-
lyse kann u. a. durch Infusion von gentechnisch hergestelltem t-PA Urokinase oder Streptokinase aktiviert werden.
In Kürze
Hämostase und Fibrinolyse Thrombozyten 4 Eigenschaften: Scheibchen von 1–4 µm Durchmesser und <1 µm Dicke, keine Zellkerne aber Mitochondrien, massenhaft Granula, Energiegewinnung aus Glykolyse, Pentosephosphatzyklus, Zitratzyklus, Atmungskette; Bildung: pluripotente Stammzellen o Megakaryoblast o Megakaryozyt 4 Aktivierung: Glykoproteine GPIb, GPIIb, GPIIIa etc. binden über von-Willebrand-Faktor u. a. an Kollagenfasern o Aktivierung Phospholipase C o 1,4,5-Inositoltrisphosphat o Ca2+-Freisetzung o Phospholipase A2 o Thromboxan o Entleerung intrazellulärer Granula (u. a. ADP, Serotonin) 4 Vernetzung: Fibrinogen, Fibronektin, Thrombospondin 4 Aktivierung humoraler Gerinnungsfaktoren: Plättchenfaktor 3 4 Thrombozytopenie/Thrombozytopathie o Petechien
4 Herabgesetzte humorale Gerinnung: Mangel an Gerinnungsfaktoren (genetisch, Lebererkrankungen, Vitamin-K-Mangel), Aktivierung von Fibrinolyse (z. B. nach Geburten) o großflächige Blutungen 4 Thromben: Thrombozytenzahl n oder Blutströmung p o Thromben, Embolie 4 Fibrinolyse: tissue-type oder urinary plasminogen activator oder Blutaktivatoren o Plasmin o Fibrinspaltung 4 Inhibitoren: Gerinnungsinhibitoren sind Antithrombin III, Heparin, Protein C, Protein S, α1-Antitrypsin, α2Makroglobulin, C1-Inaktivator. Plasmininhibitoren sind α2-Antiplasmin, α1-Antitrypsin, α2-Makroglobulin 4 Therapeutische Gerinnungshemmung: Heparin, Vitamin-K-Antagonisten (II, VII, IX + X), Cyclooxygenasehemmer 4 Gerinnungshemmung bei der Blutabnahme: Heparin, Zitrat, Oxalat und EDTA 4 Fibrinolyseaktivatoren: Urokinase, Streptokinase
Humorales Gerinnungssystem, Fibrinolyse
Methoden zur Prüfung der Blutstillung
4 Extrinsisches Gerinnungssystem: Gewebsthromboplastin o VII o X/V o II o (o XIII) o I 4 Intrinsisches Gerinnungssystem: Kontakt mit Kollagen, Kininogen, Kallikrein, Thrombin und Trypsin o XII/XI o IX/VIII o X/V o II o (o XIII) o I 4 Thrombus: Thrombosthenin + ADP o Kontraktion aggregierter Blutplättchen
4 Blutungszeit: globales Maß für Blutungsstillung 4 Quick-Test (Gewebethromboplastin + CaCl2 zu Zitratblut) prüft extrinsisches System 4 PTT (Plättchenfaktor 3 + CaCl2 zu Zitratblut) prüft intrinsisches System 4 Thrombinzeit (Thrombin zu Zitratplasma) prüft Fibrinmangel oder gesteigerte Fibrinolyse
2
32
2
Kapitel 2 · Blut und Immunsystem
2.5
Abwehrsystem und zelluläre Identität (Immunologie)
2.5.1
Leukozyten
! Die Leukozyten spielen eine zentrale Rolle bei der Abwehr gegen Erreger, Schadstoffe, defekte oder unkontrolliert wachsende körpereigene Zellen
Aufgaben der Immunabwehr. Der Körper ist ständig in
Gefahr, von fremden Organismen (Bakterien, Pilzen, Viren) besiedelt zu werden, die dort ideale Wachstumsbedingungen vorfinden. Die Haut stellt eine mechanische Barriere gegen das Eindringen von Erregern dar. Sie wird bei Verletzungen durchbrochen. Darüber hinaus können Erreger über die Atemluft, den Gastrointestinaltrakt und weitere Körperöffnungen eindringen. Die Immunabwehr soll die Abtötung und Beseitigung fremder Organismen bewerkstelligen, sowie die Inaktivierung und Entfernung von fremden Schadstoffen. Ferner dient die Immunabwehr auch der Überwachung von körpereigenen Zellen. Die Immunabwehr ist für die Abtötung beschädigter oder entarteter Zellen (z. B. Tumorzellen), sowie für die Entfernung von unnützem oder schädlichem körpereigenem Material verantwortlich. Aufgabe der Leukozyten. Die Immunabwehr ist in erster Linie eine Funktion der Leukozyten, die aus pluripotenten Stammzellen des Knochenmarkes gebildet werden (. Abb. 2.2). Sie bleiben unter Vermittlung spezifischer Rezeptoren (Selektine, Integrine) an der Gefäßwand entzündeter Gewebe haften und verlassen, angelockt durch Entzündungsmediatoren (Chemotaxis), die Blutbahn in Richtung des Entzündungsherdes (Leukodiapedese). Dort erfüllen sie jeweils zellspezifische Funktionen. Monozyten/Makrophagen. Die Monozyten sind in beson-
derem Ausmaß zur Phagozytose befähigt. Dabei werden Erreger oder Substanzen durch Endozytose aufgenommen. In der Folge fusionieren die endozytotischen Vesikel mit Lysosomen, das Lumen wird durch eine Protonenpumpe angesäuert und der Inhalt durch verschiedene Enzyme (Proteasen, Lipasen, Desoxyribonukleasen, etc.) abgebaut. Die Enzyme können z. T. ihre Wirkung nur im sauren Milieu der Lysosomen entfalten (einige Erreger unterbinden die Ansäuerung und entziehen sich so dem Angriff durch die lysosomalen Enzyme). Monozyten wandern nach 2 – 3 Tagen aus dem Blutkreislauf aus und wandeln sich in Ge-
websmakrophagen um. Nach Aktivierung bilden Makrophagen Zytokine, die weitere Immunzellen anlocken und stimulieren. Die Makrophagen bilden ferner Effektormoleküle wie Typ I Interferon, das die virale Replikation in allen Zellen inhibiert (. Tab. 2.5), sowie Defensine, die Bakterien abtöten können. Neutrophile Granulozyten. Sie bilden Sauerstoffradikale,
die z. B. über Oxidierung von SH-Gruppen Ionenkanäle in der Zellmembran aktivieren und auf diese Weise unliebsame Zellen schädigen können. Darüber hinaus besitzen neutrophile Granulozyten Enzyme (u. a. Lysozym), mit denen sie entsprechende Moleküle abbauen und unschädlich machen können. Die Enzyme können nicht nur Fremdkörper, sondern auch Gewebsbestandteile und selbst die neutrophilen Granulozyten abbauen. Auf diese Weise entsteht Eiter. Nur etwa die Hälfte der intravasalen Granulozyten zirkuliert im Blut, die andere Hälfte haftet an Endothelzellen. Ihre Mobilisierung wird durch Adrenalin und Kortisol stimuliert. Ihre Verweildauer im Blut beträgt weniger als 8 h. Eosinophile Granulozyten. Sie sind zur Phagozytose befähigt, also zu Aufnahme und Abbau von körperfremdem oder unerwünschtem körpereigenen Material. Darüber hinaus können sie zytotoxische Substanzen freisetzen und so Organismen (z. B. Wurmlarven), die sich einer Phagozytose entziehen, schädigen oder abtöten. Bei Wurminfektionen ist daher die Konzentration an eosinophilen Granulozyten in der Regel massiv gesteigert. Kortisol senkt umgekehrt die Konzentration an eosinophilen Granulozyten im Blut (7 Kap. 10.3.3). Basophile Granulozyten. Die basophilen Granulozyten und die mit ihnen verwandten Gewebsmastzellen speichern Heparin und Histamin, die sie bei Aktivierung freisetzen. Heparin hemmt u. a. die Blutgerinnung und stimuliert die Lipoproteinlipase des Blutes, durch die Triglyzeride der Plasmalipoproteine abgebaut werden. Histamin löst eine Reihe von Entzündungsreaktionen aus (. Tab. 10.2). Die Verweildauer von basophilen Granulozyten im Blut beträgt etwa 12 h. Lymphozyten. Sie sind für die spezifische Abwehr verantwortlich, die gegen definierte Strukturen (Antigene) gerichtet ist. Lymphozytenvorläufer erfahren ihre ersten Reifungsschritte (Prägung) im Thymus (T-Lymphozyten) oder im Knochenmark (bone marrow, B-Lymphozyten). Sie
33 2.5 · Abwehrsystem und zelluläre Identität (Immunologie)
. Tab. 2.5. Entzündungsmediatoren Mediator
Bildungsort
Wichtigste Wirkung(en)
IL-1
Makrophagen
Stimulation von T-Helferzellen
IL-2
T-Zellen
Proliferation und Reifung von T-Zellen, Stimulation von B-Zellen und NK-Zellen
IL-3
T-Zellen
Stimulation der Hämatopoese (kein Entzündungsmediator)
IL-4
T-Zellen
Wachstum und Differenzierung von B-Zellen, Wachstum von T-Zellen
IL-5
T-Helferzellen
B-Zell-Differenzierung, IgA-Synthese, Eosinophilenproliferation und -differenzierung
IL-6
Makrophagen, T-Zellen
Reifung von B-Zellen
IL-7
T-Zellen, Stromazellen des Knochenmarks
Proliferation von T- und B-Zellen
IL-8
T-Zellen
Chemotaxis, Aktivierung von Granulozyten
IL-10
T-Helferzellen
Hemmt T-Helferzellen (TH1) Differenzierung B-Zellen
RANTES
T-Zellen
Chemotaktisch für Monozyten, CD4-T-Zellen
Interferone (IFN)
Makrophagen (IFNα), THelferzellen (IFNγ)
Aktivierung von Makrophagen, NK-Zellen, Differenzierung von B-Zellen
Tumor-Nekrose-Faktoren (TNF)
T-Zellen, Makrophagen
Aktiviert Makrophagen, NO-Produktion
GM-CSF
T-Zellen, Fibroblasten
Reifung von Granulo- und Monozyten, Makrophagen, Differenzierung B-Zellen
MIF (migration inhibitory factor)
T-Helferzellen
Hemmung der Wanderung von Makrophagen
MCP-1 (macrophage chemoattractant protein)
Monozyten, Makrophagen, Fibroblasten
Chemotaktisch für CD8-T-Zellen
PAF (Plättchen-aktivierender Faktor)
u. a. Granulozyten, Mastzellen, Makrophagen
Degranulation von Thrombo- und Granulozyten, Permeabilitätssteigerung
Faktoren des Komplementsystems (C3a, C4a, C5a)
Leber, Makrophagen
Chemotaxis, Mastzellenstimulation, Anaphylaxiereaktion
O2-Radikale (reaktive O2-Metabolite)
Makrophagen, neutrophile Granulozyten
Membranschädigung, Peroxidation, Zytotoxizität
TGFβ (tumor growth factor)
Ubiquitär
Chemotaxis, Hemmung der Zellproliferation Stimulation der Matrixsynthese (Fibrosierung)
Eotaxin
T-Helferzellen
Chemotaktisch für Eosinophile
IL = Interleukine, GM-CSF = granulocyte-macrophage colony stimulating factor
wandern dann über die Blutbahn in die sekundären lymphatischen Organe, wie Milz und Lymphknoten, wo sie sich nach Aktivierung weiter vermehren. Im Blut werden vorwiegend T-Lymphozyten gefunden. Obwohl natürliche Killer (NK) Zellen auch aus der lymphoiden Reihe stammen, sind sie nicht an der spezifischen Immunantwort beteiligt. Mit Hilfe von Fc Rezeptoren (7 Kap. 2.5.3) können sie antikörperbeladene Zellen lysieren, mit Hilfe von NK activating receptors töten sie Zellen, die keine oder fremde MHC Moleküle (7 Kap. 2.5.6) exprimieren.
Leukopenie/Leukozytose. Eine Leukopenie (Leukozyten-
zahl im Blut < 4.000/Pl) ist u. a. Folge einer Schädigung der Stammzellen im Knochenmark oder einer gesteigerter Elimination durch die Milz bei Vergrößerung der Milz (Splenomegalie). Einen Verlust aller Granulozyten nennt man Agranulozytose. Wichtigste Folge ist eine gesteigerte Infektanfälligkeit. Eine Leukozytose (>10.000/μl) ist meist Folge einer Entzündung oder einer unkontrollierten Vermehrung von Leukozyten (Leukämie).
2
34
Kapitel 2 · Blut und Immunsystem
2.5.2
2
Unspezifische Abwehr
! Der Körper verfügt über Abwehrmechanismen, die ohne früheren Kontakt mit der jeweiligen Struktur aktiv werden können (innate immunity)
Interferon. Von Fibroblasten und Lymphozyten werden verschiedene Interferone (α, β, γ) gebildet, welche die Virusreplikation in virusbefallenen Zellen und die Zellproliferation hemmen, sowie die Makrophagen aktivieren.
Angeborene Abwehrmechanismen. Bei der Immun-
Komplementsystem. Das Komplementsystem ist eine
abwehr spielen auch Mechanismen eine Rolle, die sofort zur Wirkung gelangen, ohne dass zuvor eine Immunisierung (7 Kap. 2.5.3) durch vorausgehenden Kontakt mit der Struktur stattgefunden hat. Diese unspezifischen Abwehrmechanismen haben den Vorteil, dass sie nicht für jede spezifische Struktur aufgebaut werden müssen, sondern der Abwehr unmittelbar zur Verfügung stehen.
Gruppe von Proteinen, die sich in Form einer Kaskade aktivieren (. Abb. 2.5). Das Komplement C1 wird durch Antigen-Antikörperkomplexe (7 Kap. 2.5.3) aktiviert. Das aktivierte C1 spaltet C4 in C4a und C4b und C2 in C2a und C2b, es entsteht ein C4b,2a-Komplex, der den Faktor C3 zu C3b aktiviert, wobei das anaphylaktisch wirkende C3a freigesetzt wird. C3b fördert einerseits die Anlagerung von Antigen-Antikörperkomplexen an Zellmembranen (Immunadhärenz), andererseits die Zusammenlagerung von C5, C6, C7, C8 und C9 zu einem zytolytischen Komplex. Dabei wird noch das chemotaktisch wirkende C5a frei. C3 kann auch durch bestimmte Proteinasen (z. B. Plasmin und Trypsin), durch Lipopolysaccharide, sowie durch Aggregate der Antikörper IgA, IgE oder IgD aktiviert werden. Die Aktivierung wird durch die Plasmaproteine Properdin B und D unterstützt. Die einzelnen Faktoren des Komplementsystems werden in Hepatozyten, Darm und Makrophagen gebildet.
Pattern recognition Rezeptoren. Makrophagen, Mono-
zyten und Granulozyten exprimieren Rezeptoren, die Moleküle anhand ihrer speziellen körperfremden Struktur, wie z. B. bakterielles Lipopolysaccharid (LPS) oder virale doppelsträngige RNA, spezifisch binden (pattern recognition receptors, PRRs). Die grösste Gruppe von PRRs bilden die Toll-like Rezeptoren, deren Aktivierung zur Freisetzung von Entzündungsmediatoren (u. a. Interferone) führt. . Abb. 2.5. Aktivierung des Komplementsystems
35 2.5 · Abwehrsystem und zelluläre Identität (Immunologie)
Basische Proteine. Einige basische Proteine, wie Spermin,
Spermidin, Protamin, Histone können sich an die Oberfläche von Bakterien anlagern und sie auf diese Weise an der Zellteilung hindern. Akute-Phase-Proteine. Bei akuten Entzündungen steigen die Konzentrationen der Akute-Phase-Proteine im Plasma an, wie die des C-reaktiven Proteins, das das Komplement aktivieren kann und das Ausfällen (Präzipitation) von Bakterien begünstigt, die Bakterien für Körperzellen angreifbar macht (Opsonisation) und die Phagozytose von Bakterien fördert. Weitere Akute-Phase-Proteine sind Serumamyloid A, saures α1-Glykoprotein (unklare Funktion), α1-Antitrypsin (Proteasehemmer), Haptoglobin (bindet Hämoglobin), Coeruloplasmin (Eisenoxidation und Kupferbindung) und Fibrinogen (Blutgerinnung). Die Proteine werden in der Leber unter dem Einfluss von Interleukin 6 und weiteren Entzündungsmediatoren gebildet. Ihre Bedeutung bei der Immunabwehr ist nur teilweise klar, sie werden allerdings zur Diagnose von Entzündungen herangezogen.
fügt über mehr als eine Million verschiedener Antikörper, die jeweils verschiedene Antigene »erkennen«, also an sie binden. Die Bindungsstelle am Antigen, an welche Antikörper (bzw T-Zell-Rezeptor) binden, wird Epitop genannt. Bildet ein Molekül nur zusammen mit einem anderen Molekül ein Epitop, so nennt man es Hapten (z. B.: Nickel aktiviert T-Zellen nur zusammen mit einem anderen, körpereigenen Antigen und induziert so eine Nickelallergie). Histokompatibilitätsantigene. T-Zellen können durch
körperfremde Antigene nur dann aktiviert werden, wenn die Antigene gemeinsam mit den körpereigenen major-histocompatibility-complex- (MHC) Molekülen (bzw. HLA: human leukocyte antigens) angeboten werden. Dabei werden zwei MHC-Klassen (I und II) unterschieden. MHC II werden von Phagozyten und B-Lymphozyten exprimiert und werden u. a. für die Aktivierung von Helferzellen benötigt. MHC I können praktisch von allen Zellen (außer Erythrozyten) exprimiert werden und sind für die Aktivierung von zytotoxischen T-Zellen erforderlich (etwa bei Zerstörung einer virusbefallenen Körperzelle).
Zelluläre unspezifische Abwehr. Granulozyten und Mono-
zyten bzw. Makrophagen sind zelluläre Elemente des unspezifischen Abwehrsystems. Sie enthalten nicht nur eine Reihe intrazellulärer Enzyme bereit, mit denen sie fremde Proteine abbauen können, sondern sie geben auch Mediatoren ab, welche die Proliferation und Differenzierung von anderen Leukozyten beeinflussen (. Tab. 2.5).
2.5.3
Spezifische Abwehr
! Die spezifische Abwehr kann Strukturen wieder erkennen und bei einem zweiten Kontakt effizient unschädlich machen
Makrophagen. Makrophagen nehmen Fremdstoffe in en-
dozytotische Vesikel (Phagosomen) auf. Die folgende Verschmelzung der Phagosomen mit Lysosomen leitet den Abbau durch lysosomale Enzyme ein. Antigene werden z. T. in Bruchstücke zerlegt (prozessiert), die dann durch Exozytose an der Zellmembranoberfläche zusammen mit MHC präsentiert werden. Dendritische Zellen kommen im Lymphknoten und in der Milz vor. Sie sind darauf spezialisiert, den T-Zellen köperfremde Antigene zu präsentieren, wie z. B. virale Antigene nach einem Virusbefall. Die dendritischen Zellen aktivieren ferner die T-Zellen und leiten so die adaptive Immunantwort ein. Struktur von Antikörpern. Antikörper (Immunglobuline)
Antigene. Die spezifische Abwehr richtet sich sowohl gegen
extrazelluläre Strukturen (Antigene), wie etwa bestimmte Toxine oder bestimmte Moleküle an der Oberfläche von Erregern, wie auch gegen intrazelluläre Antigene, z. B. replizierendes Virus. Durch die spezifische Abwehr können Antigene »erkannt« und selektiv unschädlich gemacht werden. Die »Erkennung« der Antigene geschieht durch Antikörper, die an Antigene binden, oder durch eine direkte zytotoxische Aktivität von CD8-T-Zellen. Die Bindung von Antikörpern wirkt oft neutralisierend. So verhindern sie, z. B., dass ein Virus neue Zellen infizieren kann, oder das Tetanustoxin Wundstarrkrampf auslöst. Der Mensch ver-
sind Proteine aus vier Untereinheiten, zwei kurzen (leichten, light) und zwei langen (schweren, heavy) Aminosäureketten (. Abb. 2.6). Die leichten und die schweren Ketten weisen jeweils einen konstanten und einen variablen Anteil auf. Der variable Anteil bindet das jeweils spezifische Antigen (FabSegment, F für Fragment, ab für antigen binding). Das konstante Ende des Antikörpers ist das Fc-Segment (c für crystallisable). Mit dem Fc-Segment kann der Antikörper an Rezeptoren der Zellmembran immunkompetenter Zellen binden. Die Antikörper werden nach strukturellen und funktionellen Gesichtspunkten in verschiedene Klassen eingeteilt, in IgG, IgM, IgA, IgD und IgE. Sie unterscheiden sich
2
36
Kapitel 2 · Blut und Immunsystem
. Tab. 2.6. Immunglobuline (humorale Antikörper)
2
. Abb. 2.6. Struktur eines Antikörpers. Der Antigen(Ag)bindende Anteil ist variabel (VL, VH), der übrige Teil konstant (CL, CH1–3)
u. a. in ihrer Fähigkeit, über die Plazenta aus dem mütterlichen in den kindlichen Kreislauf zu gelangen (. Tab. 2.6).
Immunglobulin
HWZ [Tage]
Eigenschaften
IgG
20
Neutralisierend, Komplement fixierend, präzipitierend, agglutinierend; bei weitem wichtigster Antikörper bei der Sekundärantwort, plazentagängig
IgM
5
Opsonisierend, Komplement fixierend, agglutinierend; zunächst wichtigster Antikörper bei Primärantwort
IgA
6
Neutralisierend, agglutinierend, wird durch Drüsen (z. B. Milch, Tränen, Galle) sezerniert und verhindert Eindringen von Antigenen durch Schleimhäute des Respirations-, Gastrointestinal-, Genitalund Harntraktes
IgD
3
Bildet Oberflächenrezeptor von B-Lymphozyten, Funktion weitgehend ungeklärt
IgE (= Reagine)
2
Bewirkt Ausschüttung von Histamin etc. aus Mastzellen und basophilen Granulozyten
HWZ = Halbwertszeit
Funktion von Antikörpern. Antikörper können
Lymphozyten. Die Antikörper werden von Lymphozyten
4 durch Bindung an eine toxische Substanz deren Wir-
gebildet. Nach bestimmten Oberflächenmerkmalen und funktionellen Eigenschaften unterscheidet man B-Lymphozyten, T-Lymphozyten und natürliche Killerzellen. Die B-Lymphozyten sind für die humorale spezifische Abwehr verantwortlich: An der Oberfläche von B-Lymphozyten haften die jeweils spezifischen Antikörper (IgM, IgD). Bindet nun ein Antigen an den Antikörper, so wird der BLymphozyt aktiviert, d. h. zur Vermehrung (Proliferation) angeregt. Der B-Lymphozyt bildet eine Vielzahl von Tochterzellen, aus denen Antikörper-produzierende Blasten hervorgehen. Unter dem Einfluss von T-Helferzellen werden die B-Zell-Blasten zu langlebigen IgG produzierenden Plasmazellen. Die T-Lymphozyten werden wie die B-Lymphozyten durch Bindung des jeweils passenden Antigens an den TZell-Rezeptor aktiviert. T-Lymphozyten lassen sich anhand von Oberflächenmarkern (cluster of differentiation) in CD4und CD8-T-Lymphozyten unterteilen. CD8-T-Lymphozyten wirken vorwiegend zytotoxisch, CD4-T-Lymphozyten wirken vorwiegend als Helferzellen. Das Antigen der T-Zellen wird von körpereigenen Zellen auf MHC I (für CD8-TZellen) oder auf MHC II (für CD4-T-Zellen) präsentiert und besteht aus kleinen Peptiden, deren einmalige Sequenz die Spezifität der Immunantwort garantiert. So ähnlich
4 4 4
4
kung unterbinden (neutralisieren) Antigene miteinander vernetzen und damit zur Ausfällung bringen (Präzipitation) in analoger Weise antigene Zellen miteinander verklumpen (Agglutination) durch Haften auf der Oberfläche von antigenen Zellen deren Phagozytose begünstigen (Opsonisierung bzw. »Greifbarmachung«) das Komplementsystem aktivieren (. Abb. 2.5), das eine Reihe von Immunreaktionen auslöst und direkt toxisch auf die gebundene Zelle wirkt (7 Kap. 2.5.2). Über Aktivierung des Komplementsystems wirken sie chemotaktisch, d. h. sie locken Phagozyten an, welche die Antigen-Antikörperkomplexe zellulär aufnehmen und intrazellulär abbauen
Antikörpervielfalt. Um fremde Strukturen erkennen zu
können, müssen Antikörper eine große Variabilität des antigenbindenden Anteiles aufweisen. Diese Variabilität wird durch somatische Rekombination der entsprechenden Gene erzielt. Man unterscheidet 12 diversity Gene, 4 junction Gene und jeweils ein Gen für die konstante Region der einzelnen Antikörperklassen.
37 2.5 · Abwehrsystem und zelluläre Identität (Immunologie)
CD4-T-Zellen und CD8-T-Zellen in ihrer Antigenerkennung sind, so unterschiedlich sind sie in ihrer Funktion. Zytotoxische T-Zellen (CD8+-Killerzellen) suchen nach Epitopen von intrazellulären Proteinen, die als Fragmente (Peptidstückchen) auf körpereigenen MHC I präsentiert werden. Erkennen CD8-Zellen ein Epitop, dann töten sie die präsentierende Zelle. Dabei bauen sie unspezifische Kanäle (Perforine) in die Zellmembran der Zielzelle ein. Das Zusammenbrechen der Ionengradienten führt zur Schwellung und folgenden Zerstörung der Zielzellen. Da normalerweise alle T-Zellen gegen körperfremde Antigene (z. B. virale Antigene) gerichtet sind, werden Virusinfizierte Zellen schnell erkannt und eliminiert. T-Helferzellen (CD4+T-Zelle) erkennen Antigene, die von anderen Immunzellen phagozytiert und verdaut wurden und auf MHC II präsentiert werden. Mit Hilfe von CD4+-T-Zellen reifen Antigenpräsentierende B-Lymphozyten zu antikörperproduzierenden Plasmazellen, antigenpräsentierende Makrophagen werden um den Faktor 1.000 aktiver bzw. aggressiver und zerstören (durch Bildung von Radikalen) bzw. phagozytieren das umliegende Gewebe. Die natürlichen Killerzellen (NK-Zellen) können zwar selbst keine Antikörper auf der Oberfläche exprimieren, verfügen jedoch über Rezeptoren für Fc-Segmente. Mit Hilfe dieser Rezeptoren heften sie sich an antikörperbeladene Zellen und töten diese ab. Die NK-Zellen sind somit in der Lage, sehr verschiedene Zellen zu attackieren, soweit diese bereits mit humoralen Antikörpern markiert sind. Schließlich können sie körpereigene Zellen, die keine MHC-Moleküle präsentieren, töten. Tumorzellen, die den CD8-T-Zellen wegen fehlender MHC I Expression entgehen, können durch NK-Zellen abgetötet werden. Immunisierung. Die Bildung von Gedächtniszellen und langlebigen Plasmazellen ist die Basis für die Immunisierung. Bei einem zweiten Kontakt mit demselben Antigen gewährleisten die Gedächtniszellen und die bereits vorhandenen antigenspezifischen Antikörper eine schnelle Neutralisation des Antigens/Toxins. Bei der Impfung gegen eine, durch einen bestimmten Erreger hervorgerufene, Erkrankung wird die Immunisierung durch inaktivierte, aber noch antigen wirksame Erreger oder durch antigen verwandte, aber nicht pathogene, lebende Erreger erzielt (aktive Immunisierung). Die aktive Immunisierung benötigt mehrere Tage, um wirksam zu werden. Schneller kann ein Schutz vor Infektionen durch Verabreichung von entsprechenden Antikörpern erreicht werden (passive Immunisierung). Dieser Schutz hält jedoch nur kurz an.
Immuntoleranz. Die variablen Abschnitte der Antikörper
zeigen eine große strukturelle Vielfalt und können über eine Million unterschiedlicher Epitope binden. Ein Teil der Antikörper passt auch zu körpereigenen Antigenen. Normalerweise richtet sich das Immunsystem jedoch nicht gegen Antigene des eigenen Körpers. Vielmehr wird normalerweise lebenslang die Immunabwehr gegen diejenigen Antigene unterdrückt, mit denen das Immunsystem bereits im intrauterinen Leben konfrontiert wurde. Neben der Deletion von autoreaktiven B-Zellen im Knochenmark und autoreaktiven T-Zellen im Thymus, können auch regulatorische T-Zellen eine autoimmune Reaktion verhindern. Wird die Immuntoleranz durchbrochen, dann entwickelt sich eine Autoimmunkrankheit, bei der körpereigene Antigene zur Zielscheibe der Immunabwehr werden. Immunsuppression. Am Beispiel der Autoimmunerkran-
kungen wird deutlich, dass die Hemmung von Immunreaktionen (Immunsuppression) therapeutisch sinnvoll sein kann. Auch die Reaktion des Immunsystems gegen ein transplantiertes Organ muss eingedämmt werden. Zur Immunsuppression werden Glukokortikoide eingesetzt, Hormone, welche die Entzündungsreaktionen hemmen (7 Kap. 10.3). Darüber hinaus werden einige Pharmaka eingesetzt (z. B. Cyclosporin), die eine hemmende Wirkung auf die Immunabwehr aufweisen. Immunschwäche. Immunsuppressive Maßnahmen min-
dern die Fähigkeit der Immunabwehr, Krankheitserreger wirksam zu bekämpfen. Eine solche Immunschwäche tritt auch als genetischer Defekt auf oder kann sich im Zuge einer Reihe von Krankheiten entwickeln. Wichtiges Beispiel ist AIDS (aquired immune deficiency syndrome), eine durch Viren hervorgerufene Krankheit. Die Viren befallen v. a. CD4-T-Lymphozyten, Monozyten und Mikrogliazellen und schalten auf diese Weise u. a. die Helfer- und Inducerzellen aus. Folge sind Überhandnehmen von Infektionen, auch mit sonst harmlosen Erregern, sowie das gehäufte Auftreten von Tumoren.
2.5.4
Entzündungsreaktionen
! Die Reaktion der Immunabwehr gegen fremdes oder als fremd angesehenes körpereigenes Material führt zur Entzündung, bei der das umliegende Gewebe und bisweilen der ganze Körper in Mitleidenschaft gezogen werden
2
38
Kapitel 2 · Blut und Immunsystem
Entzündung. Die Aktivierung der immunkompetenten
2
Zellen führt über Komplementaktivierung und Chemotaxis zur Einwanderung von Leukozyten, welche bei Aktivierung verschiedene Mediatoren freisetzen (. Tab. 2.5). Folge ist u. a. eine lokale Vasodilatation (Rötung der entzündeten Stelle) und eine Steigerung der Gefäßpermeabilität mit folgendem Austritt von Plasmaproteinen in das Gewebe. Damit entsteht ein lokales Ödem (7 Kap. 4.3). Die Freisetzung von aggressiven Enzymen aus den Granulozyten führt zum Abbau von Gewebsmaterial, aber auch der Granulozyten selbst. Es entsteht Eiter. Die Mediatoren stimulieren die Einwanderung und Proliferation von Fibroblasten, die den Entzündungsherd durch gesteigerte Bildung von Bindegewebsfasern abzukapseln versuchen. Dennoch treten häufig systemische Effekte der Entzündung auf (z. B. Fieber, Schmerzen). Ursache ist die Freisetzung von Entzündungsmediatoren (. Tab. 2.5) und die Aktivierung von weiteren Komponenten der Immunabwehr. Bei einer akuten Entzündung kommt es ferner zunächst zu einer massiven Zunahme der Zahl neutrophiler Granulozyten im Blut, während die Zahl an eosinophilen Granulozyten und an Lymphozyten abnimmt. Im weiteren Verlauf nimmt die Zahl an Monozyten im Blut zu, die Überwindung der Infektion wird durch die Zunahme der Zahl an Lymphozyten und eosinophilen Granulozyten signalisiert. Bei chronischen Entzündungen, d. h. wenn es dem Körper nicht gelingt, das Antigen vollständig zu beseitigen, bleiben die Lymphozytenzahlen im Blut hoch. Allergie. Die Sensibilisierung des Immunsystems bei mehrfachem Kontakt mit bestimmten Antigenen kann zur Überempfindlichkeit führen, die nachteilige Folgen für den betroffenen Patienten nach sich zieht (Allergie). Die allergischen Reaktionen werden in vier Typen eingeteilt, je nach zugrunde liegendem Mechanismus: 4 Typ I (IgE-abhängige Reaktion) wird durch Bildung von antigenbindenden IgE-Antikörpern hervorgerufen. Sie stimulieren die Freisetzung von Histamin aus basophilen Granulozyten und Gewebsmastzellen. Folgen sind, je nach Lokalisierung des Antigens, gesteigerte Schleimsekretion und Schleimhautödem der Luftwege (Heuschnupfen), Kontraktion der Bronchialmuskulatur (Asthma), Hyperämie und Ödeme der Haut (Urtikaria) und generalisierte Vasodilatation mit massivem Blutdruckabfall (Anaphylaxie bzw. anaphylaktischer Schock). 4 Typ II (IgM- und IgG-abhängige Reaktion) ist eine Reaktion von humoralen Antikörpern gegen Zellen, wie
etwa bei der Blutgruppeninkompatibilität (7 Kap. 2.5.5). Darüber hinaus können körpereigene Zellen zur Zielscheibe der eigenen humoralen Abwehr werden, wenn sich Fremdstoffe (z. B. Pharmaka) mit den Oberflächenantigenen der Zellen verbinden und damit neue, körperfremde Epitope bilden. Die folgende Immunabwehr zerstört dann diese Zellen, wodurch beispielsweise hämolytische Anämien und Agranulozytosen auftreten können. 4 Typ III (immunkomplexvermittelte Reaktion) ist auf Antigen-IgG-Antikörper-Komplexe zurückzuführen. Sie lagern sich in Kapillaren ab (v. a. in den Glomerula der Nieren, 7 Kap. 9.1) und lösen dort, u. a. über Komplementaktivierung, Entzündungen aus, die Glomerulummembranen und Kapillarwände schädigen. Folgen sind z. B. Ödeme und Proteinurie. 4 Typ IV (T-Zell-abhängige Reaktion) wird durch zytotoxische T-Zellen hervorgerufen. Sie benötigt ein bis zwei Tage (verzögerter Typ) und ist für die Abstoßung transplantierter Organe, für die Vernichtung von Tumorzellen, aber auch für die Kontaktdermatitis verantwortlich. Autoimmunerkrankungen. Bei einem Verlust der Immun-
toleranz können Antigene des eigenen Körpers zur Zielscheibe der Immunabwehr werden (Autoimmunerkrankungen). Folge ist unter anderem eine Schädigung oder gar vollständige Vernichtung der betroffenen Zellen oder Gewebe (z. B. Erythrozyten, Schilddrüse, Gelenke, Basalmembran der Gefäße).
2.5.5
Blutgruppen
! Erythrozyten exprimieren Oberflächenantigene, an die entsprechende Antikörper binden
Blutgruppen. Die Erythrozyten tragen an ihrer Oberfläche eine Reihe von Antigenen (Glykolipide, Proteine). Diese Antigene sind von großer praktischer Bedeutung, da bei Transfusion von Blut, das vom Immunsystem des Empfängers nicht toleriert wird, mit intravasaler Hämolyse und lebensbedrohlichen Zirkulationsstörungen zu rechnen ist. Die wichtigsten vorkommenden Antigene sind A und B sowie die Rhesusfaktoren C, D und E. Die Antigene werden normalerweise vom Immunsystem des gleichen Körpers toleriert, es werden also keine Antikörper gegen eigene Erythrozytenantigene gebildet.
39 2.5 · Abwehrsystem und zelluläre Identität (Immunologie)
AB0-System. Tragen Erythrozyten einer Person z. B. das
Antigen A, nicht jedoch B, so bildet diese Person keine Antiköper gegen A, sehr wohl aber Antikörper gegen B. Trägt eine Person weder A noch B (Blutgruppe 0 oder H), so bildet sie Antikörper sowohl gegen A als auch gegen B (AB0System, . Tab. 2.7). Die gegen A oder B gerichteten Antikörper sind IgM-Antikörper, sie können also die Plazenta nicht passieren (. Tab. 2.6). Sie sind zwar bei der Geburt noch nicht vorhanden, werden jedoch regelmäßig nach der Geburt auch ohne sichtbare Sensibilisierung gebildet. Daher führt z. B. die Transfusion von Blut der Blutgruppe A, B oder AB bei einem Patienten mit Blutgruppe 0 zur Hämolyse. Das Blut des Empfängers ist in diesem Fall »inkompatibel« mit dem Blut des Spenders. Rhesusfaktoren. Gegen die Rhesusfaktoren werden plazentagängige IgG-Antikörper gebildet (. Tab. 2.6). Sie treten normalerweise erst bei einem zweiten Kontakt mit dem Antigen in relevanter Menge auf. Wird einer Person, deren Erythrozyten einen bestimmten Rhesusfaktor (z. B. D) nicht exprimiert (Rh-negativ, bzw. d), ein Rh-positives Blut
(D) transfundiert, dann kommt es in der Regel zunächst zu keiner Hämolyse des transfundierten Blutes, wohl aber zu einer Sensibilisierung, also zu einer Bildung von Gedächtniszellen. Eine zweite Transfusion von Rh-positivem Blut hat dann eine massive Hämolyse der transfundierten Erythrozyten zur Folge. Blutgruppenbestimmung. Vor jeder Bluttransfusion muss
eine Austestung der Blutgruppe erfolgen. Dabei werden sowohl die antigenen Eigenschaften der Erythrozyten (durch Zugabe definierter Antikörper, wie anti-A und anti-B) als auch die Anwesenheit von Antikörpern im Blut (durch Zugabe von entsprechenden Testerythrozyten) geprüft. Schließlich werden vor jeder Bluttransfusion Erythrozyten des Spenders mit Serum des Empfängers (Major-Test), sowie Erythrozyten des Empfängers mit Serum des Spenders (Minor-Test) bei 37°C gemischt, um etwaige Fehlbestimmungen oder Unverträglichkeiten durch weitere – nicht bestimmte – Antigen-Antikörperreaktionen zu vermeiden (Kreuzprobe). Blutgruppeninkompatibilität in der Schwangerschaft. Bei
. Tab. 2.7. Blutgruppen (AB0) A. Mögliche Konstellationen Serum
Serum
Serum
Blutgruppe
Anti-A –
Anti-B +
Anti-A/-B +
A
Anti-A +
Anti-B +
Anti-A/-B +
0
Anti-A +
Anti-B –
Anti-A/-B +
B
Anti-A –
Anti-B –
Anti-A/-B –
AB
Erythrozytenantigen
Plasmaantikörper
Möglicher Genotyp
Häufigkeit in %
A
Anti-B
AA/A0
44
0
Anti-A + Anti-B
00
42
B. Häufigkeit
B
Anti-A
BB/B0
10
AB
kein Anti-A
AB
4
Vater A
Vater B
Vater AB
Vater 0
C. Vererbung
Mutter
A
A,0
A,B,AB,0
AB, A,B
A,0
Mutter
B
A,B,0
B,0
AB,A,B
B,0
Mutter
AB
AB, A,B
AB, B,A
AB,A,B
A,B
Mutter
0
A,0
B,0
A,B
0
einer Schwangerschaft können die antigenen Eigenschaften der Erythrozyten des Feten von denen der Mutter verschieden sein (z. B. bei rh-negativer Mutter und Rh-positivem Vater). Bei Inkompatibilitäten im AB0-System passieren die IgM-Antikörper nicht die Plazenta, es kommt somit zu keiner Hämolyse, es sei denn, es werden von der Mutter auch IgG-Antikörper gegen die Erythrozyten des Kindes gebildet, was glücklicherweise nur selten der Fall ist. Bei der Rhesus-Inkompatibilität werden jedoch IgG-Antikörper gebildet, wenn die (rh-negative) Mutter sensibilisiert wurde. Eine solche Sensibilisierung kann durch eine vorhergehende fälschliche Transfusion Rh-positiven Blutes stattgefunden haben, oder durch Einschwemmen von kindlichem Rh-positivem Blut in den mütterlichen Kreislauf bei einer vorhergehenden Schwangerschaft. Gerade unter der Geburt kommt es normalerweise zu erheblichem Übertreten von kindlichem Blut in den mütterlichen Kreislauf und damit zu einer Sensibilisierung der Mutter. Leidtragende sind die Kinder in nachfolgenden Schwangerschaften. Daher wird einer rh-negativen Mutter eines Rh-positiven Kindes während der Schwangerschaft und nach der Geburt prophylaktisch Anti-D injiziert, das eingeschwemmte D-Antigene im mütterlichen Blut abfängt. So wird einer Sensibilisierung der Mutter vorgebeugt.
2
40
Kapitel 2 · Blut und Immunsystem
In Kürze
Abwehrsystem und zelluläre Identität (Immunologie)
2
Leukozyten 4 Monozyten phagozytieren Erreger und bauen sie in Lysosomen ab 4 Neutrophile Granulozyten bilden Sauerstoffradikale und Enzyme (u. a. Lysozym), zerstören Erreger, Gewebe und sich selbst o Eiter 4 Eosinophile Granulozyten phagozytieren und erzeugen zytotoxische Substanzen zur Zerstörung von Erregern (z. B. Wurmlarven) 4 Basophile Granulozyten setzen Heparin (o Blutgerinnung p, Lipoproteinlipase n) und Histamin (o Entzündungsreaktionen) frei 4 Lymphozyten o spezifische Abwehr Unspezifische Abwehr 4 Pattern recognition Rezeptoren (z. B. Toll-like Rezeptoren) binden Strukturen von Erregern und stimulieren die Ausschüttung von Entzündungsmediatoren (u. a. Interferone) 4 Interferone aktivieren Makrophagen und hemmen die Virusreplikation 4 Das Komplementsystem bewirkt nach Aktivierung durch Antigen-Antikörperkomplexe Anaphylaxie und Immunadhärenz und bildet einen zytolytischen Komplex 4 Basische Proteine verhindern Vermehrung von Bakterien 4 Akute-Phase-Proteine: C-reaktives Protein (Komplementaktivierung, Präzipitation, Opsonisation), Serumamyloid A, saures α1-Glykoprotein, α1-Antitrypsin (Proteasehemmer), Haptoglobin (bindet Hämoglobin), Coeruloplasmin (Eisenoxidation und Kupferbindung), Plasminogen (Fibrinolyse), Fibrinogen (Blutgerinnung) 4 Makrophagen und Granulozyten können Bakterien töten und phagozytieren 4 Natürliche Killerzellen (NK-Zellen, weder CD4 noch CD8) vernichten antikörperbindende Zellen Spezifische Abwehr 4 Die spezifische Abwehr richtet sich gegen Epitope von Antigenen 4 Erkennung von Antigenen erfordert gleichzeitige Expression von Histokompatibilitätsantigenen (majorhistocompatibility-complex [MHC] bzw. human leukozyte antigens [HLA])
4 Antikörper (IgG, IgM, IgA, IgD und IgE) neutralisieren, präzipitieren, agglutinieren, opsonisieren, aktivieren das Komplementsystem und wirken chemotaktisch 4 B-Lymphozyten o o Plasmazellen o Antikörper (humorale spezifische Abwehr) 4 T-Lymphozyten o zytotoxische T-Zellen (CD8), Helfer-, Inducer-, und Lymphokinzellen (CD4) sowie Regulatorzellen (CD8) 4 Lymphozyten vermehren sich bei Kontakt mit Erregern o Gedächtniszellen o bei erneutem Kontakt schnelle Immunabwehr (Immunisierung) 4 Dendritische Zellen phagozytieren, präsentieren Antigene und aktivieren Lymphozyten 4 Zur Immunsuppression werden u. a. Glukokortikoide eingesetzt 4 Immunschwäche, z. B. AIDS (aquired immune deficiency syndrome) o Tumore, Infektionen auch mit sonst harmlosen Erregern Entzündungsreaktionen 4 Entzündung o Komplementaktivierung, Einwanderung von Leukozyten, Freisetzung von Mediatoren o Vasodilatation (Rötung), Gefäßpermeabilität n (Ödem), Fieber, Schmerzen 4 Allergie: Sensibilisierung des Immunsystems gegen bestimmte Antigene (Allergene); Typ I (IgE-abhängige Reaktion, Heuschnupfen, Asthma, Urtikaria, anaphylaktischer Schock), Typ II (IgM- und IgG-abhängige Reaktion, Blutgruppeninkompatibilität, hämolytische Anämien, Agranulozytosen), Typ III (Antigen-IgG-Antikörper-Komplexe, Glomerulonephritis) und Typ IV (T-Zell-abhängige Reaktion, Kontaktdermatitis) 4 Verlust von Immuntoleranz o Autoimmunerkrankungen Blutgruppen 4 AB0-System: IgM-Antikörper, die auch ohne sichtbare Sensibilisierung gebildet werden 4 Rhesusfaktoren: IgG-Antikörper, Bildung normalerweise erst bei einem zweiten Kontakt mit dem Antigen in relevanter Menge; IgG passieren Plazenta o Hämolyse in Rhesus-positiven Feten sensibilisierter Rhesusnegativer Mütter
3
3 Herz 3.1
Elektrophysiologie des Herzens – 42
3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4
Spezielle Elektrophysiologie des Myokards – 42 Erregungsbildungs und –leitungssystem – 46 Elektromechanische Kopplung – 47 Elektrokardiographie – 48
3.2
Mechanik des Herzens
3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4
Grundlagen der Muskelkontraktion – 55 Herzklappen – 57 Herzzyklus – 59 Füllung des Herzens – 60
3.3
Ernährung des Herzens
3.3.1 Koronardurchblutung 3.3.2 Energieumsatz – 66
3.4
– 55
– 65
– 65
Steuerung der Herztätigkeit
– 67
3.4.1 Frank-Starling-Mechanismus – 67 3.4.2 Herznerven – 68 3.4.3 Funktionsabhängige Anpassung – 68
42
Kapitel 3 · Herz
> > Einleitung
3
Die Strömung des Blutes im Kreislauf ist auf die Pumpwirkung des Herzens angewiesen. Das Herz besteht funktionell aus zwei Pumpen, dem rechten Herzen, das Blut in den Lungenkreislauf (kleinen Kreislauf ) pumpt, und dem linken Herzen, das aus der Lunge zurückströmendes Blut in den Körperkreislauf (großen Kreislauf ) auswirft. Die gleichzeitige Kontraktion aller Herzmuskelfasern übt Druck auf das jeweilige Lumen aus und presst das Blut in die durch die Herzklappen vorgegebene Richtung (. Abb. 3.1). Auslöser für die Kontraktion einer einzelnen Herzmuskelzelle ist die Erhöhung der intrazellulären Ca2+-Konzentration durch Öffnung von Ca2+-Kanälen, die durch Depolarisation der Zellmembran (von -80 mV bis auf maximal +40 mV) aktiviert werden. Dabei entsteht das typische kardiale Aktionspotential von 300 ms Dauer. Das elektrische Signal führt zur Kontraktion einzelner Herzmuskelzellen. Nur bei gleichzeitiger Kontraktion der Muskelfasern einer Herzkammer kann Druck auf das Lumen ausgeübt und damit Blut ausgeworfen werden (Systole). Nur bei gleichzeitiger Erschlaffung der Muskelfasern kann wiederum die Herzkammer hinreichend gedehnt werden und erneut Blut aufnehmen (Diastole). Es ist Aufgabe der Erregungsbildung (Sinusknoten) und gerichteten Erregungsausbreitung (AV-Knoten, His-Bündel, Purkinje-Fasern), diese Gleichzeitigkeit zu gewährleisten. Das Herz ist jedoch nicht nur Pumpe, sondern auch endokrines Organ. Die Vorhöfe des Herzens bilden ein Hormon, das Atriopeptin, das in die Blutdruckregulation eingreift und die Ausscheidung von Kochsalz und Wasser über die Niere steigert.
3.1
Elektrophysiologie des Herzens
3.1.1
Spezielle Elektrophysiologie des Myokards
! Das Aktionspotential im Herzen entsteht durch das Zusammenwirken von Na+-Kanälen, unspezifischen (polyspezifischen) Kationenkanälen, Ca2+-Kanälen und K+Kanälen
Depolarisation im Arbeitsmyokard. In Ruhe wird das Zellmembranpotential im Arbeitsmyokard (≈-90 mV) durch K+-Kanäle (IK1, . Abb. 3.2, . Tab. 3.1) aufrechterhalten, die das Zellmembranpotential (EM) in der Nähe des K+-Gleichgewichtspotentiales halten. Das Aktionspotential einer Herzmuskelzelle wird durch die Depolarisation ihrer Nach-
. Abb. 3.1. Weg des Blutes durch das Herz. Venöses Blut aus dem Körperkreislauf gelangt in den rechten Vorhof (1), von dort durch die Trikuspidalklappe in die rechte Kammer (2), durch die Pulmonalklappe in die Arteria pulmonalis (3), über den Lungenkreislauf zum linken Vorhof (4), durch die Mitralklappe in den linken Ventrikel (5) und von dort durch die Aortenklappe in die Aorta (6) und damit wieder in den Körperkreislauf (nach Antoni aus Schmidt et al.)
barzellen ausgelöst, mit denen sie durch leitende gap junctions verbunden ist. Die Depolarisation führt zur Öffnung spannungsabhängiger Na+-Kanäle, die bei etwa -60 mV aktiviert werden (. Abb. 3.2). Die Öffnung dieser Kanäle führt zu einem massiven Na+-Einstrom (INa) in die Zelle, der eine weitere Depolarisation bewirkt. Auf diese Weise wird die Zellmembran blitzartig depolarisiert (bzw. bis zu einem overshoot von etwa +30 mV umpolarisiert). Die Na+Kanäle werden innerhalb von Millisekunden wieder inaktiviert (7 Kap. 1.4). Die durch die Na+-Kanäle ausgelöste Depolarisation öffnet jedoch spannungsabhängige Ca2+Kanäle (ICa, Schwelle bei - 30 mV) und verschließt die einwärts rektifizierenden K+-Kanäle (IK1). Da die Ca2+-Kanäle nur langsam inaktivieren, bleibt die Zellmembran zunächst depolarisiert (Plateau des Aktionspotentials). Repolarisation im Arbeitsmyokard. Das über die Ca2+-Ka-
näle in die Zelle einströmende Ca2+ stimuliert die Freisetzung von Ca2+ aus intrazellulären Speichern. Die dadurch erhöhte zytosolische Ca2+-Konzentration hemmt die Ca2+Kanäle. Darüber hinaus öffnen delayed rectifyer K+-Kanäle, die durch die Depolarisation verzögert (delayed) aktiviert werden (rapid IKr und slow IKs). IKs wird darüber hinaus durch Ca2+ stimuliert. Die Hemmung der Ca2+-Kanäle und
43 3.1 · Elektrophysiologie des Herzens
die Aktivierung der delayed rectifier K+-Kanäle (IKr und IKs) hat schließlich die Repolarisation der Zelle zur Folge und damit die Öffnung der K+-Kanäle, die für das Ruhepotential verantwortlich sind (IK1). Ca2+ wird über den Na+/Ca2+Austauscher aus der Zelle sowie durch Ca2+-ATPasen in die intrazellulären Speicher zurückgepumpt, die zytosolische Ca2+-Konzentration sinkt und der Herzmuskel erschlafft. Die Repolarisation hat zur Folge, dass die Inaktivierung der Na+-Kanäle aufgehoben wird. Bei einer erneuten Depolarisation können die Na+-Kanäle somit wieder aktiviert und ein weiteres Aktionspotential ausgelöst werden. Die Zellen sind also nicht mehr refraktär. Die Repolarisation verschließt auch wieder die delayed rectifier K+Kanäle. Aktionspotential im Sinusknoten. Im Sinusknoten ist die
. Abb. 3.2. Aktionspotential und Ionenströme in der ventrikulären Arbeitsmuskulatur. Oben: Der Verlauf des Aktionspotentials; unten: Die Leitfähigkeitsänderungen für die einzelnen Ströme bzw. Kanäle (INa, ICa, IK1, IKr+ IKs). Die initiale Depolarisation (Phase 0) wird durch Öffnung der spannungsabhängigen Na+-Kanäle (INa) bewirkt. Diese Kanäle schließen binnen weniger Millisekunden (Phase-1-Repolarisation). Die Depolarisation schließt jedoch die einwärts rektifizierenden K+-Kanäle (IK1) und öffnet Ca2+-Kanäle (ICa) [die auch Na+ durchlassen]. Damit wird die Depolarisation zunächst aufrechterhalten (Plateau, Phase 2). Die Repolarisation (Phase 3) wird schließlich durch K+-Kanäle eingeleitet, die durch die Depolarisation verzögert aktiviert werden (IKr+ IKs)
K+-Leitfähigkeit (v.a. IK1) sehr viel geringer als im Myokard. Ferner wird in Sinusknotenzellen im Gegensatz zur Arbeitsmuskulatur bei Repolarisation ein Kationenkanal geöffnet (HCN = Hyperpolarisations-aktivierter Kanal, If ), durch den Na+ einströmt und die Zelle depolarisiert. Das Zellmembranpotential kommt daher auch bei maximaler Aktivierung der vorhandenen K+-Kanäle nicht in die Nähe des K+-Gleichgewichtspotentials (– 90 mV), sondern bleibt deutlich positiver (ca. - 60 mV, . Abb. 3.3). Die spannungsabhängigen Na+-Kanäle (INa) bleiben daher weitgehend inaktiviert. Die Depolarisation wird somit im Sinusknoten durch die spannungsabhängigen Ca2+-Kanäle getragen und ist wegen der im Vergleich zu den Na+-Kanälen geringen Leitfähigkeit der Ca2+-Kanäle langsam. Wie im Myokard folgen Ca2+-Einstrom, Zunahme intrazellulärer Ca2+Konzentration, Hemmung der Ca2+-Kanäle und Aktivierung von delayed rectifyer K+-Kanälen. Nach erfolgter Repolarisation nimmt die Aktivität der K+-Kanäle wieder ab. Folge ist eine langsame (diastolische) Depolarisation
. Tab. 3.1. Ionenströme im Herzen Ionenstrom
Aktivierungsphase
Eigenschaften der verantwortlichen Kanäle
IK1
Ruhemembranpotenzial
K+-Kanäle, die bei Depolarisation schließen (daher sog. Einwärts rektifizierende K+-Kanäle)
INa
Depolarisation
Na+-Kanäle, die bei Depolarisation öffnen und gleich wieder schließen
Ica
Plateau
Ca2+-Kanäle, die bei Depolarisation öffnen
IKr
Frühe Repolarisation
K+-Kanäle, die bei Depolarisation mit geringer Verzögerung öffnen (rapid delayed rectifyer)
IKs
Späte Repolarisation
K+-Kanäle, die bei Depolarisation mit erheblicher Verzögerung öffnen (slow delayed rectifyer)
If
Präpotential
Unspezifische (polyspezifische) Kationenkanäle, die bei Hyperpolarisation langsam aktiviert werden
3
44
Kapitel 3 · Herz
depolarisiert wird, also wie schnell die Aktivierung der K+Kanäle nachlässt (. Abb. 3.3). ! Das Aktionspotential der Myokardzellen muß länger andauern als die Erregungsausbreitung im Herzen, damit keine rezirkulierenden Erregungen entstehen
3
Physiologische Bedeutung der Aktionspotentialdauer.
Um eine gleichzeitige Kontraktion aller Kammermuskelfasern zu erreichen, muss die erste Zelle noch erregt sein, wenn die letzte depolarisiert. Da die Erregungsausbreitung vom AV-Knoten bis zu den letzten Fasern des Arbeitsmyokards annähernd 100 ms in Anspruch nimmt, muss das Aktionspotential länger als diese 100 ms sein. Deshalb hält das Aktionspotential im Herzen 200 – 400 ms an (Plateau, . Abb. 3.2). Ferner ist während des Plateaus die Zelle vollständig erregt und kann durch eine weitere Depolarisation nicht erneut erregt werden (absolute Refraktärzeit). Die lange Aktionspotentialdauer schützt also das Herz vor einem Kreisen von Erregungen. . Abb. 3.3. Aktionspotential und Ionenströme im Sinusknoten. Oben: Der Verlauf des Aktionspotentials; unten: Die Leitfähigkeitsänderungen für die einzelnen Kanäle (ICa, IKr+ IKs, If ). Das Zellmembranpotential erreicht auch bei Repolarisation nicht das K+-Gleichgewichtspotential, da die einwärts gleichrichtenden K+-Kanäle fehlen und ein Schrittmacherstrom (If ) die Zelle periodisch depolarisiert. Das Aktionspotential im Sinusknoten wird vorwiegend durch Ca2+-Kanäle (ICa) getragen (Phase 0). Da sie sehr viel weniger leiten als die spannungsabhängigen Na+-Kanäle, ist die Depolarisation im Vergleich zur Arbeitsmuskulatur langsam (. Abb. 3.2). Die Repolarisation (Phase 1– 3) wird durch Inaktivierung von ICa und Aktivierung von spannungsaktivierten K+-Kanälen (IK= IKr+ IKs) erzielt. Nach der Repolarisation werden diese Kanäle langsam wieder inaktiviert und die Zelle depolarisiert allmählich unter der Wirkung von Ib (Phase 4 Depolarisation oder Präpotential)
(Präpotential), die bei Erreichen von etwa -40 mV zu einer erneuten Aktivierung der spannungsabhängigen Ca2+-Kanäle führt.
Kreisende Erregungen. Dauert die Ausbreitung der Er-
regung länger als das Plateau, dann sind die zu Beginn der Erregungsausbreitung erfassten Zellen wieder erregbar, bevor die letzten Fasern erreicht werden. Die Erregungswelle kann dann die initial erregten Zellen erneut ergreifen und somit zirkulieren. Folge ist die asynchrone, abwechselnde Kontraktion der Herzmuskelfasern (Vorhofflimmern, Kammerflimmern), die keine wirkungsvolle Pumpfunktion mehr zulässt. Normalerweise ist das Aktionspotential in den Purkinje-Fasern besonders lang. Damit wird u. a. verhindert, daß Erregungen aus dem Myokard in das Reizleitungssystem rezirkulieren. Aber nicht nur eine Verkürzung, sondern auch eine Verlangsamung der Repolarisation kann gefährlich werden, wenn dann die nächste Erregung auf unvollständig repolarisiertes und damit noch teilweise refraktäres Gewebe stößt. Einfluss des zeitlichen Abstandes der Aktionspotentiale.
Automatie. Die wechselnde Aktivierung von K+-Kanälen
und Ca2+-Kanälen in Sinusknoten und Reizleitungssystem ist die Grundlage der Automatie des Herzens. Darüber hinaus spielt v. a. im Reizleitungssystem ein Kationenkanal eine Rolle (If ), der bei Hyperpolarisation aktiviert wird und zu einer Depolarisation der Zellmembran führt. Die Frequenz der Herzaktionen hängt im Wesentlichen davon ab, wie schnell die Zelle nach einem Aktionspotential wieder
Der zeitliche Abstand zu der vorausgehenden Erregung bestimmt die Dauer und Ausbreitungsgeschwindigkeit des folgenden Aktionspotentials: Bei niedriger Herzfrequenz ist die Dauer groß, weil die intrazelluläre Ca2+-Konzentration niedrig ist und während des Plateaus relativ viel Ca2+ einströmen muss, um die Ca2+-Kanäle zu hemmen. Darüber hinaus sind die delayed rectifyer K+-Kanäle (v. a. IKr) weitgehend inaktiviert und benötigen längere Zeit zur Ak-
45 3.1 · Elektrophysiologie des Herzens
tivierung. Die Repolarisation ist daher verzögert und das Plateau relativ lang. Zudem sind die Na+-Kanäle durch die vorausgehende vollständige Repolarisation vollständig aktivierbar, die Erregungsausbreitung ist demnach sehr schnell. Umgekehrt beschleunigt eine hohe Herzfrequenz die Repolarisation und mindert damit die Aktionspotenzialdauer. Relative Refrakterität und vulnerable Phase. Trifft die
neue Erregung auf eine Zelle während der Repolarisationsphase, dann ist die intrazelluläre Ca2+-Konzentration noch hoch und nur wenig Ca2+ muß einströmen, um die Ca2+-Kanäle zu hemmen. Ferner sind die delayed rectifyer K+-Kanäle noch teilweise aktiviert. Die Repolarisation ist daher schnell und das Plateau extrem kurz (. Abb. 3.4). Bei Erregung in der Repolarisationsphase sind ferner die Na+-Kanäle immer noch inaktiviert und das nun ausgelöste Aktionspotential wird ausschließlich durch die Ca2+Kanäle getragen. Die Erregungsausbreitung ist entsprechend langsam (. Abb. 3.4). Bei erneuter Erregung während der Repolarisationsphase ist also das Plateau kurz und die Ausbreitungsgeschwindigkeit langsam, beides begünstigende Faktoren für ein Rezirkulieren von Erregungen. Die Repolarisationsphase wurde daher auch vulnerable Phase genannt. Die herabgesetzte Aktivierbarkeit der Ca2+-Kanäle und v. a. der Na+-Kanäle sowie die gesteigerte Aktivierung der K+-Kanäle während der Repolarisationsphase erschweren im Übrigen die Auslösung eines erneuten Aktionspotentials, die Zelle ist also relativ refraktär. ! Die Plasmakonzentrationen von K+ und Ca2+ sowie die Energieversorgung beeinflussen Dauer und Form des Aktionspotentials
Einfluss von Kalium. Bei Hypokaliämie ist die Leitfähigkeit
der K+-Kanäle herabgesetzt, da der K+-Strom durch diese Kanäle von der K+-Konzentration im Kanal abhängt, die bei Abnahme der intra- oder extrazellulären K+-Konzentration gleichfalls abnimmt. Die Zelle wird damit leichter depolarisiert. Auch führt die herabgesetzte K+-Leitfähigkeit zu einer verzögerten Aktivierung der spannungsabhängigen K+-Kanäle. Das Plateau ist somit verlängert. In den Schrittmacherzellen ist andererseits die langsame diastolische Depolarisation (Präpotential) durch die herabgesetzte K +Leitfähigkeit beschleunigt, die Schrittmacherfrequenz nimmt also zu. Bei Hyperkaliämie bedingt die gesteigerte K+-Leitfähigkeit eine Verkürzung des Plateaus und eine Abnahme der Steilheit des Präpotentials. In der Herzchirurgie werden die Herzen z. T. mit Lösungen hoher K+-Konzentration perfundiert und damit ein Herzstillstand erreicht (Kardioplegie). Einfluss der Ca2+-Konzentration. Bei Hypercalciämie ist
der Einstrom von Ca2+ in die Zelle gesteigert und die intrazellulären Speicher sind durch den gesteigerten Einstrom während vorausgehender Aktionspotentiale stärker gefüllt. Der schnellere Anstieg der intrazellulären Ca2+-Konzentration bedingt u. a. durch schnellere Inaktivierung von Ca2+Kanälen eine Verkürzung des Plateaus. Eine Hypocalciämie hat umgekehrt eine Zunahme der Plateaudauer zur Folge. Einfluss von Azidose/Alkalose. H+-Ionen blockieren K+-
Kanäle und die gap junctions zwischen den Zellen. Bei Azidose (Zunahme der H+-Konzentration) ist die Plateaudauer verlängert und die Erregungsweiterleitung verlangsamt. Umgekehrt nimmt bei Alkalose die Plateaudauer eher ab und die Leitungsgeschwindigkeit eher zu.
. Abb. 3.4. Abhängigkeit des Aktionspotentials vom Abstand zur vorausgehenden Erregung (rote Kurve). Rosa Bereich: Relative Refraktärzeit
3
46
Kapitel 3 · Herz
Einfluss der Temperatur. Die Aktivierung der Ionenkanäle
im Herzen ist stark temperaturempfindlich: Bei Hypothermie nehmen Aktionspotentialdauer zu und Leitungsgeschwindigkeit ab, bei Hyperthermie ist die Aktionspotentialdauer verkürzt.
lären Ca2+-Konzentration bewirkt eine Verkürzung des Aktionspotentials u. a. durch beschleunigte Hemmung der Ca2+-Kanäle.
3.1.2
3
Wirkung von O2-Mangel. Bei O2-Mangel ist die zelluläre
Energiegewinnung beeinträchtigt und damit die Tätigkeit der Na+/K+-ATPase. Folge ist ein Absinken der intrazellulären K+-Konzentration und ein Ansteigen der intrazellulären Na+-Konzentration. Letztere zieht über den Na+/ Ca2+Austauscher eine Zunahme der intrazellulären Ca2+-Konzentration nach sich. Folge der herabgesetzten intrazellulären K+-Konzentration ist eine Abnahme der K+-Leitfähigkeit sowie eine Depolarisation der Zelle und damit eine Inaktivierung der Na+-Kanäle. Die Leitungsgeschwindigkeit ist damit herabgesetzt. Die Abnahme der K+-Leitfähigkeit kann zu einer beschleunigten Depolarisation von Schrittmacherzellen führen. Die Erhöhung der intrazellu-
. Abb. 3.5. Reizleitungssystem des Herzens. Links: die anatomische Lokalisation; rechts: der Verlauf der jeweiligen Aktionspotentiale in Sinusknoten (rot), Vorhofmuskulatur (gelb), Atrioventrikularknoten
Erregungsbildungs und -leitungssystem
! Die Erregung des Herzens beginnt normalerweise im Sinusknoten und breitet sich über das Reizleitungssystem aus
Erregungsbildung im Sinusknoten. Auch ohne Vermittlung von Nerven schlägt das Herz regelmäßig, d. h. die Herzmuskelzellen werden periodisch durch Depolarisation erregt (Automatie, 7 Kap. 3.1.1). Die Erregung nimmt normalerweise ihren Ausgang im Sinusknoten, einer Gruppe spezialisierter Zellen im Bereich der Vena cava superior (. Abb. 3.5). Diese Zellen depolarisieren spontan mit einer Frequenz von normalerweise etwa 70/Minute.
(blau), His-Bündel und Tawaraschenkel (grün), Purkinje-Fasern (hellblau) und Arbeitsmuskulatur (weiß) (nach Antoni aus Schmidt et al.)
47 3.1 · Elektrophysiologie des Herzens
Erregungsausbreitung. Die Herzmuskelfasern sind über
leitende interzelluläre Kanäle (gap junctions) an den Glanzstreifen miteinander verbunden, sodass eine Erregung von Zelle zu Zelle fortgeleitet werden kann(7 Kap.12.4.1). Das Herz gleicht einem funktionellen Syncytium, eine Erregung kann sich, unabhängig von ihrem Entstehungsort, über das ganze Herz ausbreiten. Vom Sinusknoten aus breitet sich die Erregung in 50 ms zunächst über die Vorhofmuskulatur aus. Zwischen den Zellen der Vorhöfe und der Kammer besteht jedoch eine isolierende Bindegewebsschicht, sodass die Erregung nur durch eine schmale Verbindung am Atrioventrikularknoten (AV-Knoten) weitergeleitet werden kann. Im AV-Knoten erfolgt die Weiterleitung der Erregung sehr langsam, damit auf diese Weise die Erregung der Vorhofmuskulatur einen Vorsprung von ca. 90 ms gegenüber der Kammer gewinnt. Die Vorhöfe kontrahieren daher vor der Kammermuskulatur, der folgende Druckanstieg im Vorhof fördert die Füllung der Herzkammern kurz vor deren Erregung. Vom AVKnoten wird die Erregung über einige spezialisierte, besonders schnell leitende Muskelfasern (His-Bündel, Tawaraschenkel und Purkinje-Fasern, Leitungsgeschwindigkeit: ca. 2 m/s) weitergeleitet (ventrikuläres Reizleitungssystem). Schließlich breitet sich die Erregung über die gesamte Kammermuskulatur aus (Leitungsgeschwindigkeit: ca. 1 m/s), wozu ca. 100 ms benötigt werden. ! Das Reizleitungssystem ist zur Automatie befähigt
Erregungsbildung im Reizleitungssystem. Die Zellen des
Erregungsleitungssystems sind wie der Sinusknoten zur Automatie befähigt, wobei die Frequenz ihrer spontanen Depolarisationen sehr viel geringer als die des Sinusknotens ist. Sie werden also normalerweise von der Erregung des Sinusknotens erreicht, bevor sie ihrer eigenen Automatie folgend depolarisieren würden.
3.1.3
Elektromechanische Kopplung
! Depolarisation löst eine Steigerung der zytosolischen Ca2+-Konzentration aus, die zur Kontraktion führt. Nach Repolarisation wird Ca2+ wieder aus dem Zytosol gepumpt
Zunahme der intrazellulären Ca2+-Konzentration bei Depolarisation. Durch die gleichzeitige Depolarisation aller Zel-
len werden die spannungsabhängigen Ca2+-Kanäle in der Zellmembran (Dihydropyridin (DHP)-empfindliche Kanäle) aktiviert und Ca2+ strömt in die Zelle ein. Die Aktivierung der DHP-Kanäle und das eingeströmte Calcium aktivieren Ryanodin-empfindliche Kanäle intrazellulärer Ca2+-Speicher und führen über deren Aktivierung zu intrazellulärer Ca2+Freisetzung. Folge ist ein schnelles Ansteigen der intrazellulären Ca2+-Konzentration von etwa 10-7 auf 10-5 mol/l. Ca2+ vermittelt schließlich die Interaktion von Aktin und Myosin und damit die Muskelkontraktion (7 Kap. 13.1.1). Senkung der intrazellulären Ca2+-Konzentration bei Repolarisation. Bei der Repolarisation werden die Ca2+-Kanäle
verschlossen, und Ca2+ wird durch den Na+/Ca2+-Austauscher gegen jeweils 3 Na+-Ionen aus der Zelle transportiert und durch eine Ca2+-ATPase in die intrazellulären Speicher zurücktransportiert. Die Abnahme der intrazellulären Ca2+-Konzentration führt schließlich zur Erschlaffung der Herzmuskelzelle. ! Die Herzkraft nimmt mit steigender Konzentration der zytosolischen Ca2+-Konzentration zu
Positive und negative inotrope Wirkungen. Die Interaktion
der kontraktilen Elemente und damit die Herzkraft ist von der Ca2+-Konzentration abhängig, die während des Aktionspotentials erreicht wird. Eine Reihe von Faktoren steigert (positiv inotrop) oder mindert (negativ inotrop) die Herzkraft.
Ersatzschrittmacher. Wenn der Sinusknoten ausfällt, kön-
nen Zellen des Reizleitungssystems als Ersatzschrittmacher einspringen, also ihre spontane Depolarisation an die Nachbarzellen weitergeben. Dabei spricht man von heterotoper Erregungsbildung im Gegensatz zur homotopen Erregungsbildung im Sinusknoten. Die Eigenfrequenz der Zellen ist im AV-Knoten ca. 50/min, im His-Bündel, Tawaraschenkel und Purkinjefäden unter 40/min. Die übrige Muskulatur des Herzens (Arbeitsmyokard) ist nicht zur Automatie befähigt. Seine Erregung kann nur über Depolarisation der Nachbarzelle erreicht werden.
Einfluss der Ca2+-Konzentration. Bei Zunahme der extra-
zellulären Ca2+-Konzentration strömt während des Aktionspotentials mehr Ca2+ in die Zelle. Der größte Teil davon wird nach dem Aktionspotential in die Speicher gepumpt, d. h. der Füllungszustand der Speicher nimmt zu (Auffülleffekt). Beim nächsten Aktionspotential wird mehr Ca2+ nicht nur von außen, sondern auch von intrazellulären Speichern bereitgestellt. Folge ist eine Zunahme der Herzkraft. Bei Abnahme der extrazellulären Ca2+-Konzentration kommt es umgekehrt zu einer Abnahme der Herzkraft.
3
48
Kapitel 3 · Herz
Einfluss der Herzfrequenz. Zunahme der Herzfrequenz
mindert den Abstand zwischen den Aktionspotentialen und damit die Zeit, in der Ca2+ aus der Zelle transportiert wird. Die intrazelluläre Ca2+-Konzentration nimmt zu und mit ihr die Herzkraft (Frequenzinotropie). Eine Abnahme der Herzfrequenz wirkt umgekehrt negativ inotrop.
3
Einfluss der Aktionspotentialdauer. Eine Abnahme der Aktionspotentialdauer, wie sie etwa bei Hyperkaliämie auftritt, verkürzt den Ca2+-Einstrom, mindert damit die Zunahme der intrazellulären Ca2+-Konzentration und setzt daher die Herzkraft herab. Eine Zunahme der Aktionspotentialdauer wirkt umgekehrt positiv inotrop. Temperatur, Alkalose, Azidose. Teilweise über Beeinflussung der Bindung von Ca2+ an die kontraktilen Elemente steigern Abnahme der Temperatur und Alkalose die Herzkraft, während Azidose die Herzkraft herabsetzt. Digitalisglykoside. Sie hemmen die Na+/K+-ATPase. Die Zu-
nahme der intrazellulären Na+-Konzentration mindert den chemischen Gradienten für Na+ über die Zellmembran und damit die treibende Kraft für den Transport von Ca2+ über den Na+/Ca2+-Austauscher. Folge ist eine Zunahme der zytosolischen Ca2+-Konzentration und eine verstärkte Auffüllung der intrazellulären Speicher, aus denen bei einer Depolarisation dann mehr Ca2+ freigesetzt wird. Letztlich steigern die Digitalisglykoside auf diese Weise die Herzkraft. Ca2+-Kanal-Blocker (Ca2+-Antagonisten). Umgekehrt wird
die Herzkraft durch Ca2+-Blocker (Verapamil, Diltiazem) gemindert. Sie hemmen die spannungsabhängigen Ca2+-Kanäle und senken damit die intrazelluläre Ca2+-Konzentration.
3.1.4
Elektrokardiographie
! Potentialänderungen in den Herzzellen erzeugen Dipole, die Potentialschwankungen an der Hautoberfläche erzeugen. Sie werden durch das Elektrokardiogramm erfasst
Entstehung des EKGs. Die Erregung von Herzmuskelzellen
erzeugt ein ständig wechselndes elektrisches Feld, das an der Hautoberfläche abgegriffen werden kann (Elektrokardiogramm, EKG). Grundphänomen des EKGs ist die Änderung von Spannungsverhältnissen einer Muskelzelle, also Depolarisation und Repolarisation, die einen elektrischen Dipol erzeugt. Wie . Abb. 3.6 zeigt, erzeugt die völlig unerregte Zelle
. Abb. 3.6. Entstehung des Elektrokardiogramms. Elektroden liegen an einer Muskelzelle. In Ruhe entsteht zwischen den beiden Elektroden keine Potentialdifferenz (a). Wird die Muskelfaser links erregt (gelb), dann entsteht ein rechts positives Potential (b), das bei Fortleitung über die Muskelfaser etwa konstant bleibt (c) und bei vollständiger Erregung der Muskelfaser verschwindet (d). Bei der Erregungsrückbildung entsteht ein Potential in die umgekehrte Richtung (e). Würden die Elektroden in b und c oben und unten angelegt, dann würde trotz teilweiser Erregung der Muskelfaser kein Potential zwischen den Elektroden gemessen
49 3.1 · Elektrophysiologie des Herzens
genauso wenig ein außen abgreifbares Potential wie die völlig erregte Zelle. Nur die teilweise erregte Zelle erzeugt ein außen sichtbares Potential. Das sind während der Erregungsausbreitung genau diese Zellen, die gerade von der Erregung erfasst werden. Das Potential ist während der Erregungsausbreitung dort positiv, wo die Erregung hinläuft. Bei der Erregungsrückbildung ist das Potential umgekehrt dort negativ, wohin sich die Erregungsrückbildung ausbreitet. Potential auf der Hautoberfläche. Die durch die einzel-
nen Zellen erzeugten Dipole addieren sich zu einem Summendipol, der eine bestimmte Größe und Orientierung im Raum aufweist. Dieser Summendipol entspricht einem Summenvektor mit bestimmter Größe und räumlicher Ausrichtung. Das auf der Hautoberfläche abgegriffene Potential hängt nun von der Größe des Summenvektors und der Übereinstimmung der Lage des Vektors mit der Elektrodenachse (Verbindungslinie zwischen beiden Elektroden) ab. Stimmt die Richtung der Elektrodenachse genau mit der Lage des Summenvektors überein, dann wird das gesamte Potential abgegriffen, das Potential ist also groß. Bildet die Elektrodenachse mit
dem Summenvektor einen Winkel von 90°, dann ist kein Potential messbar. Ableitungen. Die in der Klinik gebräuchlichen Ableitungen
sind in . Abb. 3.7 dargestellt. Der Summenvektor wird durch die Extremitätenableitungen in der Frontalebene und durch die Brustwandableitungen in der Horizontalebene abgebildet. Die Aufzeichnung der Extremitäten- und Brustwandableitungen erlaubt somit eine genaue räumliche Rekonstruktion des Erregungsablaufs im Herzen. Bei den Extremitätenableitungen verwendet man u. a. die bipolaren Ableitungen I, II und III nach Einthoven, die jeweils die Potentialdifferenz zwischen zwei Elektroden messen. Bei den »unipolaren« Ableitungen nach Goldberger aVR, aVL und aVF (aV = augmented voltage) wird die Potentialdifferenz zwischen jeweils einer Extremitätenelektrode und den zusammengeschlossenen beiden anderen Elektroden gemessen. Bei den Brustwandableitungen V1–V6 (nach Wilson) wird die Potentialdifferenz zwischen der jeweiligen Brustwandelektrode und den zusammengeschlossenen Extremitätenableitungen gemessen. Bei den selten benutzten bipolaren Brustwandableitungen (nach Nehb) werden die Potentialdifferenzen je-
. Abb. 3.7. Ableitungen des EKGs. Oben: Extremitätenableitungen, unten: Brustwandableitungen (nach Antoni aus Schmidt et al.)
3
50
Kapitel 3 · Herz
weils zwischen rechtem Rand des Sternums auf Höhe der 2. Rippe (A, anterior), der Brustwand in Höhe der Herzspitze (I, inferior) und auf dem Rücken etwas oberhalb der linken Schulterblattspitze (D, dorsal) gemessen. Bezeichnung der EKG-Ausschläge. Die im EKG sichtbaren
3
Ausschläge werden mit den Buchstaben P, Q, R, S und T bezeichnet. Dabei wird P durch die Vorhoferregung ausgelöst. Q, R und S entstehen bei der Erregungsausbreitung in der Kammer, wobei R der erste positive Ausschlag, Q ein
. Abb. 3.8. Erregungsausbreitung im Herzen, Verlauf des Summenvektors in der Frontalebene und Ableitung II im EKG. Die jeweils erregten Anteile des Herzens sind hellgelb und die an der Erregungsausbreitungsfront entstehenden momentanen Summenvekto-
negativer Ausschlag vor R und S ein negativer Ausschlag nach R ist. Ein etwaiger zweiter positiver Ausschlag wird mit R´ bezeichnet. T reflektiert die Erregungsrückbildung. Unter besonderen Bedingungen (v. a. Hypokaliämie) kann die verzögerte Repolarisation von Fasern des Reizleitungssystems eine U-Welle hervorrufen. Phasen der Erregungsausbreitung im Herzen. Die einzel-
nen im EKG sichtbaren Phasen der Erregungsausbreitung sind in . Abb. 3.8 dargestellt: Zunächst läuft die Erregung
ren weiß. Die Umhüllenden der Summenvektoren bis zum jeweiligen Zeitpunkt sind blau, die EKG-Kurve bis zum jeweiligen Zeitpunkt ist rot (nach Antoni aus Schmidt et al.)
51 3.1 · Elektrophysiologie des Herzens
vom Sinusknoten über den Vorhof, wodurch in den geeigneten Ableitungen ein P ausgelöst wird. Nach vollständiger Erregung des Vorhofes erfolgt die sehr langsame Weiterleitung im AV-Knoten. Zu diesem Zeitpunkt ist kein Potential in den EKG-Ableitungen abgreifbar (PQ-Strecke), da die Vorhoffasern völlig erregt und die Kammerfasern völlig unerregt sind, also beide keine Dipole erzeugen. Die teilweise erregten Zellen im AV-Knoten sind nicht zahlreich genug, um ein messbares Potential an der Hautoberfläche zu erzeugen. Mit Erreichen des His-Bündels wird die Erregung wieder sehr schnell weitergeleitet. Da der linke Tawaraschenkel normalerweise schneller leitet als der rechte, wird die Septummuskulatur zwischen beiden Kammern von links nach rechts erregt. Das erzeugt je nach Ableitung ein Q (I, II) oder ein R (III, aVR, V1, V2). In der Folge geht von den aufgefächerten PurkinjeFasern eine breite Ausbreitungsfront in Richtung Herzspitze. In dieser Phase der Erregungsausbreitung wird der größte räumliche Vektor erzeugt, da zu diesem Zeitpunkt viele Myokardfasern teilweise erregt sind und Dipole mit ähnlicher räumlicher Ausrichtung erzeugen. Der Vektor zeigt in Richtung Herzspitze, seine räumliche Orientierung stimmt normalerweise relativ gut mit der Ableitung II überein, in der die R-Zacke besonders groß ist. Während dieser Phase werden normalerweise positive Ausschläge auch in den Ableitungen I, III, aVL, aVF, V3–V6 gemessen (. Abb. 3.9). Nachdem die Spitze vollständig erregt ist, erzeugt die weitere Erregungsausbreitung einen Summenvektor in Richtung Herzbasis (S in II, III, V1– V6). Nach vollständiger Kammererregung ist normalerweise wiederum kein nennenswertes Potential abgreifbar (ST-Strecke).
. Abb. 3.9. Typische Extremitätenableitungen (links) und Brustableitungen (rechts) eines gesunden Herzens (nach Antoni aus Schmidt et al.)
Erregungsrückbildung. Das Aktionspotential ist an der Herzspitze relativ kurz, die Erregungsrückbildung beginnt dort und erzeugt einen zur Herzspitze gerichteten Raumvektor (T). Damit ist T in Ableitung II und den Brustwandableitungen positiv. Nach vollständiger Repolarisation ist wiederum kein Potential nachweisbar (TP-Strecke). Vektorschleife. Verbindet man die jeweiligen Vektor-
spitzen miteinander, so erhält man eine Vektorschleife (. Abb. 3.10). ! Der Verlauf des EKG erlaubt Rückschlüsse auf die Erregungsvorgänge im Herzen und ist daher eine unentbehrliche Methode der klinischen Diagnostik
. Abb. 3.10. Vektorschleife der Ventrikelerregung des Herzens. Die Erregungsausbreitung in der Kammer erzeugt einen räumlichen Dipol, dessen Amplitude und Richtung sich während der Ausbreitung ändert. Der räumliche Vektor kann auf die Frontalebene und die Horizontalebene projiziert werden. Die Extremitätenableitungen greifen die Vektoren in der Frontalebene ab, die Brustwandableitungen die Vektoren in der Horizontalebene
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52
Kapitel 3 · Herz
Frequenz, Lage und Aktionspotentialdauer. Aus dem EKG
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bestimmt man in der Regel die Frequenz der elektrischen Herzaktionen sowie die Lage der elektrischen Herzachse, d. h. die auf die Frontalebene projizierte Richtung des größten Summenvektors. Dabei wird der größte positive (R) Ausschlag in den Ableitungen I – III; aVL, aVR und aVF ermittelt. Der Summenvektor löst in derjenigen Ableitung den größten Ausschlag aus, mit der er am besten übereinstimmt (. Tab. 3.2). Zur schnellen Einschätzung des Lagetyps kann man sich den Cabrera-Kreis (. Abb. 3.7) zur Hilfe nehmen. Je nach Richtung des stärksten Ausschlages unterscheidet man Linkstyp, Horizontaltyp, Indifferenztyp, Steiltyp, und Rechtstyp. Die Aktionspotentialdauer erkennt man an der QT-Strecke, die jedoch länger ist als die Aktionspotentialdauer einzelner Zellen. Sie ist u. a. bei Hyperkaliämie und bei Hypercalciämie verkürzt, sowie bei Hypocalciämie und Hypokaliämie verlängert (7 Kap. 3.1.1). Auch ein (seltener) genetischer Defekt einer der beiden für die Repolarisation verantwortlichen K+-Kanäle (IKr und IKs) oder eine verzögerte Inaktivierung von INa führt zu einer Verlängerung des Aktionspotentiales (Long-QT-Syndrom). Schließlich ermöglicht das EKG die Diagnostik einer Vielzahl von Störungen der Erregungsbildung und -ausbreitung (s. u.). Erregungsbildung im Sinusknoten. Sie kann zu schnell (Sinustachykardie) oder zu langsam (Sinusbradykardie) erfolgen. Beide Störungen können sich ungünstig auf die Herzleistung auswirken (7 Kap. 3.2). Die Aktion des Sinusknotens kann auch völlig ausfallen. Springt dann kein anderer Schrittmacher des Reizleitungssystems ein, steht das Herz still und der Kreislauf bricht zusammen. In der Regel übernimmt bei Ausfall des Sinusknotens der AV-Knoten die Schrittmacherrolle. Im EKG ist die vom AV-Knoten
. Tab. 3.2. Lagetypen des Herzens im EKG Lagetyp
größte Ausschläge in
Indifferenztyp
II > I > III
Linkstyp
I > II > III
Steiltyp
II > III > I
Rechtstyp
III > II > I
überdrehter Rechtstyp
– I > II > III
Ausgeprägter Linkstyp
– III > II > I
überdrehter Linkstyp
– II > I > III
– = negative Ausschläge
ausgehende Erregung der Ventrikel daran erkennbar, dass dem QRS-Komplex kein P vorausgeht. Vielmehr kann die vom AV-Knoten ausgehende retrograde Erregung des Vorhofes ein umgekehrtes P erzeugen, das etwa gleichzeitig mit dem QRS-Komplex auftritt und somit meist unsichtbar (maskiert) ist. AV-Block. Im AV-Knoten kommt es besonders häufig zu einer Verzögerung oder Unterbrechung der Weiterleitung. Der AV-Knoten stellt ein Nadelöhr in der Erregungsweiterleitung dar. Die Weiterleitung im AV-Knoten kann verzögert sein (AV-Block 1. Grades, erkennbar an der verlängerten PQ-Strecke), teilweise (AV-Block 2. Grades) oder völlig unterbrochen (AV-Block 3. Grades) sein. Ein völliger AV-Block ist im EKG am unabhängigen Auftreten (völlige Dissoziation) von P-Welle und QRS-Komplex erkennbar, wobei der QRS-Komplex in der Regel eine geringere Frequenz als die P-Welle aufweist. Springt kein Ersatzschrittmacher ein, führt der komplette AV-Block zum Herzstillstand. Schenkelblock. Die Leitungsverzögerung oder -unterbrechung in einem Tawaraschenkel (Schenkelblock) führt zu einer verzögerten Erregung der jeweiligen Kammer. Da das Septum und beide Kammern vom jeweils intakten Schenkel aus erregt werden, sind Erregungsausbreitung und EKG in entsprechender Weise verzerrt (. Abb. 3.11). Herzinfarkt. Bei einem Herzinfarkt ist durch Verschluss
oder Verengung von Herzgefäßen die O2-Zufuhr zum Gewebe beeinträchtigt, sodass die Energieversorgung zusammenbricht. Folge ist u. a. eine Hemmung der Na+/K+-ATPase, die zur Depolarisation und damit zur Inaktivierung der Na+-Kanäle führt. Außerdem werden die K+-Kanäle sowie die Ca2+-Kanäle gehemmt. Diese Veränderungen beeinflussen die Erregbarkeit der betroffenen Herzmuskelzellen: Im ischämischen Gebiet ist die Leitungsgeschwindigkeit durch Ausfall der spannungsabhängigen Na+-Kanäle massiv herabgesetzt und nach dem Tod der betroffenen Zellen völlig aufgehoben. Im EKG kann man zwischen einem frischen und einem alten Infarkt unterscheiden. Ist der Infarkt frisch, sind die Zellen schon in Ruhe depolarisiert und das ischämische Areal ist in Ruhe negativer als die Umgebung (Verletzungspotential). Während des Aktionspotentials sind auch die intakten Herzmuskelzellen depolarisiert, das Verletzungspotential verschwindet und im EKG kommt es zu einer (scheinbaren) ST-Hebung. Die Abnahme der K+-Leitfähigkeit destabili-
53 3.1 · Elektrophysiologie des Herzens
. Abb. 3.11. Einige pathologische (rot) EKG-Kurven. Supraventrikuläre Extrasystole: Erkennbar ist das Fehlen der P-Welle und die völlige Deformierung des QRS-Komplexes durch die unorthodoxe Erregungsausbreitung. Linksschenkelblock: Erkennbar ist die verzögerte Erregungsausbreitung in Richtung der linken Kammer. Rechtsschenkelblock: Erkennbar ist die verzögerte Erregungsausbreitung in Richtung
der rechten Kammer. Herzinfarkt: Unterschiedliche Phasen (Tage bis Wochen nach dem Infarktereignis) [a] (scheinbare) ST-Hebung durch Verschiebung der Nullinie (gestrichelte Linie) [b] zusätzliches Auftreten von Q duch Überwiegen der Erregung in die dem Infarkt abgewandten Richtungen [c] T-Umkehr durch verzögerte Repolarisation im Infarktgebiet
siert das Zellmembranpotential und die Zellen können die Fähigkeit zur Automatie gewinnen. Über die Erzeugung von ektopischen Erregungen können sie die Erregung des Herzens lebensbedrohlich stören (. Abb. 3.12). Im Zwischenstadium schwindet durch den Zelluntergang die Erregung in Richtung des ischamischen Gewebes, es kommt somit zu einem R-Verlust. Die ischämischen Zellen repolarisieren nicht mehr, das T ist daher oft nicht mehr richtig abgrenzbar (»Erstickungs-T«). Bei einem älteren Infarkt sind die betroffenen Zellen schon abgestorben und damit nicht mehr erregbar. Der R-Verlust bleibt also und es kommt zusätzlich zu einer Q-Zacke, da nun der Einfluss der Erregung in andere Herzareale überwiegt. Andererseits ist die Repolarisation im ischämischen Gebiet durch herabgesetzte Leitfähigkeit der K+-Kanäle verzögert, sodass T negativ wird.
Herzmuskelzellen) aktiv werden und ektope Erregungen auslösen (Extrasystolie). Dabei können bestimmte ektopische Schrittmacher wiederholt Extrasystolen erzeugen (fokale Erregung). Sitzt der ektopische Schrittmacher im HisBündel oder darüber, dann nimmt die Erregungsausbreitung in die Kammermuskulatur einen normalen Verlauf und der QRS-Komplex ist unauffällig. Bei Extrasystolen unterhalb des His-Bündels können jedoch massive Verzerrungen des QRS-Komplexes nachgewiesen werden. Bei sehr niedrigem Sinusrhythmus kann eine Extrasystole zwischen zwei Sinuserregungen auftreten, ohne diese zu stören (interponierte Extrasystole). Häufiger fällt nach einer Extrasystole die folgende Sinuserregung auf refraktäres Gewebe und kann sich nicht über das Herz ausbreiten. Damit entsteht eine relativ lange Pause bis zur übernächsten Sinuserregung (kompensatorische Pause). Wird der Sinuskonten durch die Erregung der Extrasystole erfasst, dann wird der Sinusrhythmus verschoben und die nächste
Extrasystolen. Auch ohne Ausfall der Erregung des Sinusknotens können andere Schrittmacher (z. B. ischämische
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54
Kapitel 3 · Herz
können eine kreisende Erregung auslösen (Kammerflattern, bzw. Kammerflimmern, . Abb. 3.12). Kammerflattern oder -flimmern. Kammerflattern (250–
320/min) oder Kammerflimmern (> 320/min) sind hochfrequente, asynchrone Erregungen, die Herzmuskelzellen zucken unkoordiniert, es fehlt eine gemeinsame Kontraktion und es kommt daher zu einem Kreislaufversagen. Kammerflimmern muss sofort durchbrochen werden, sonst führt es zum Tod. Im EKG ist Kammerflimmern durch eine unruhige Linie ohne QRS-Komplexe erkennbar.
3
Vorhofflattern und -flimmern. Vorhofflattern (230–350/ min) und Vorhofflimmern (>350/min) sind zirkulierende Erregungen im Vorhof. Dabei entfällt eine konzertierte Vorhofkontraktion, die Kammerfüllung wird damit geringfügig beeinträchtigt. Unregelmäßige Überleitungen im AV-Knoten führen zu absoluter Tachyarrhythmie (meist 100–150/ min). Im EKG fehlen die P-Wellen, die unregelmäßig auftretenden QRS-Komplexe sind in ihrer Form jedoch normal. . Abb. 3.12. Entstehung von kreisenden Erregungen des Herzens bei früh einfallender Extrasystole. 1. Die Erregung trifft auf vollständig refraktäres Herzgewebe o keine Erregung. 2. Die Erregung trifft auf repolarisierendes und damit teilweise refraktäres Gewebe (R auf T). Das folgende Aktionspotential ist kurz (schnellere Aktivierung von K+-Kanälen) und wird nur langsam fortgeleitet (Inaktivierung von Na+-Kanälen). Damit wird Rezirkulieren von Erregungen begünstigt. 3. Die Erregung trifft auf vollständig repolarisiertes Gewebe. Aktionspotential und Fortleitungsgeschwindigkeit sind (annähernd) normal o kein Rezirkulieren von Erregungen
Defribrillation. Bei Kammerflimmern kann versucht werden, die Muskelfasern durch einen starken Stromstoß gleichzeitig zu erregen und damit eine erneute Synchronisierung mit Rückkehr zum Sinusknotenrhythmus zu erzielen. Bei Vorhofflimmern wird durch EKG-gesteuerte Elektrokonversion versucht, einen Sinusrhythmus wiederherzustellen. Keinen Sinn macht das Defibrilieren bei Asystolie, bzw. bei Nullinie im EKG.
Sinuserregung folgt in einem dem Sinusrhythmus entsprechenden Abstand (nichtkompensierende Pause). Vor allem Extrasystolen, die in die Repolarisationsphase der Nachbarzellen fallen (v. a. in die aufsteigende T-Welle),
Künstlicher Schrittmacher. Bei Ausfall oder zu langsamer Kammererregung (z. B. bei Bradykardie, AV-Block) kann durch Stromstöße jeweils eine Kammererregung erzeugt und damit eine regelmäßige, hinreichend frequente Herzaktion erzwungen werden.
In Kürze
Elektrophysiologie des Herzens Zelluläre Elektrophysiologie des Myokards 4 Ströme bei Aktionspotential des Arbeitsmyokards: Depolarisation durch INa n und IK p, Plateau durch IK p und ICa n, Repolarisation durch IK n und ICa p 4 Besonderheiten Sinusknotenzellen: Weniger polarisiert wegen Ib und geringerem IK; Spontandepolarisationen (If n und ICa n); Repolarisation durch IK n 6
4 Wenn Aktionspotential im Myokard kürzer als Erregungsausbreitung, dann Gefahr rezirkulierender Erregungen 4 Vulnerable Phase: Erneute Depolarisation während Repolarisationsphase o gefährliche Verkürzung Aktionspotential, verlangsamte Erregungsausbreitung 4 Hypokaliämie, Hypocalciämie, Azidose, Hypothermie o Aktionspotentialdauer n; Hyperkaliämie, Hyper-
55 3.2 · Mechanik des Herzens
calciämie, Alkalose, Hyperthermie o Aktionspotentialdauer p; Energiemangel o Aktionspotentialdauer p, Automatie Erregungsbildung und –leitung 4 Erregungsausbreitung: Sinusknoten o Vorhofmuskulatur o AV-Knoten o His-Bündel o Tawaraschenkel o Purkinje-Fasern o Ventrikelmuskulatur 4 Langsame Erregungsfortleitung im AV-Knoten o Vorsprung Vorhof gegenüber Kammer 4 Reizleitungssystem ist zur Automatie befähigt o Ersatzschrittmacher (abnehmende Eigenfrequenz zur Peripherie) Elektromechanische Kopplung 4 Depolarisation o Ca2+-Kanäle n, Ca2+-Speicherentleerung o [Ca2+]i n o Kontraktion 4 Repolarisation o Na+/Ca2+-Austausch, Ca2+-ATPase o [Ca2+]i p o Erschlaffung 4 Herzkraft gesteigert durch [Ca2+]i - Zunahme ([Ca2+]e n, Herzfrequenz n, Aktionspotentialdauer n,
3.2
Mechanik des Herzens
3.2.1
Grundlagen der Muskelkontraktion
Digitalisglykoside oder gesteigerte Ca2+-Bindung (Temperatur p, Alkalose) 4 Herzkraft wird gesenkt durch [Ca2+]e p, Herzfrequenz p, Aktionspotentialdauer p, Ca2+-Kanal-Blocker Elektrokardiographie Das EKG erlaubt den Nachweis von 4 Frequenz elektrischer Herzaktionen 4 Lage elektrischer Herzachse (z. B. Steil-, Rechts-, Linkstyp) 4 Störungen der Erregungsbildung und Ausbreitung (z. B. Ausfall Sinusknoten, AV-Block, Schenkelblock) 4 Schädigung der Herzmuskelzellen (z. B. bei Herzinfarkt: zuerst: ST-Hebung, dann: R-Verlust und zuletzt: tiefe Q-Zacke und T-Umkehr) 4 Extrasystolen und Pausen 4 Vorhof- und Kammerflattern und -flimmern Therapeutische Elektrostimulation des Herzens 4 Kammerflimmern o Therapie durch Defribrillation 4 Bradykarde Erregungsstörungen o Therapie durch Schrittmacher
! Das Herz ist eine doppelte Druck-Saug-Pumpe
linken Vorhof und strömt bei geöffneter Mitralklappe in den linken Ventrikel, wiederum unterstützt durch die Vorhofkontraktion. Die Kontraktion des linken Ventrikels wirft das Blut dann durch die geöffnete Aortenklappe in den Körperkreislauf aus.
Weg des Blutes durch das Herz. Auf seinem Weg durch das
Herz als Druck-Saug-Pumpe. Die Kontraktion der Kam-
Herz muss das Blut beide Vorhöfe und Kammern passieren. Aus dem Körperkreislauf kommend fließt es zunächst im rechten Vorhof zusammen. Bei erschlafftem Herzen ist der Druck im rechten Vorhof höher als in der rechten Kammer, die Trikuspidalklappe ist geöffnet und der rechte Ventrikel füllt sich. Die Kontraktion des Herzens beginnt mit der Vorhofkontraktion, die den Druck im rechten Vorhof und damit das Druckgefälle zur Kammer weiter steigert. Vor der Ventrikelkontraktion erhält die Kammer damit einen weiteren Schub Blutvolumen. Dann setzt die Kammerkontraktion ein, der Druck in der rechten Kammer steigt, die Trikuspidalklappe wird verschlossen. Der Druck in der rechten Kammer übersteigt schließlich den Druck in der Pulmonalarterie, die Pulmonalklappe öffnet sich und Blut wird aus der rechten Kammer in die Pulmonalarterie ausgeworfen. Nach Passage der Lungengefäße gelangt das Blut in den
mermuskulatur steigert nicht nur den Druck im Kammerlumen, sondern die gesteigerte Muskelspannung zieht die Segelklappen (Trikuspidalis und Mitralis) zur Kammer hin. Die dadurch ausgelöste Verschiebung der Ventilebenen erzeugt in den Vorhöfen einen Unterdruck, also eine Sogwirkung gegenüber den Venen (. Abb. 3.13). Bei Erschlaffung der Kammern kehrt die Ventilebene zurück und die geöffneten Ventile stülpen sich förmlich über einen Teil des Vorhofblutes. Die Erschlaffung und damit Ausdehnung der Kammermuskulatur senkt darüber hinaus den Druck in den Kammern, und der Unterdruck in den Kammern übt eine Sogwirkung auf das Vorhofblut aus. Das Herz ist also eine Druck-Saug-Pumpe. ! Kontraktion und Erschlaffung des Herzmuskels geschehen durch Interaktion von Aktin und Myosin
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56
Kapitel 3 · Herz
für Myosinköpfchen am Aktin. Dadurch kann Myosin unter Mg2+-abhängiger Spaltung eines gebundenen ATP (ATPase) an das Aktinfilament binden und unter Abgabe von Phosphat und ADP um 45° abknicken. Durch diesen Knick wird das Myosin um etwa 10–20 nm am Aktinfilament entlang verschoben. Das am Aktin haftende Myosinköpfchen löst sich nun unter erneuter Bindung von ATP vom Aktinfilament, bildet mit dem Myosinhals wieder einen Winkel von 90° und haftet an eine um 10–20 nm weiter gelegene Bindungsstelle. Durch eine Vielzahl solcher Zyklen schiebt sich das Myosin am Aktinmolekül entlang und erzeugt damit ein Ineinanderschieben der Myosin- und Aktinfilamente. Der Muskel kann sich auf diese Weise auf etwa die Hälfte der Ruhelänge verkürzen.
3
Erschlaffung. Bei Repolarisation der Zellmembran sinkt die
zytosolische Ca2+-Konzentration wieder schnell ab, da Ca2+Pumpen Ca2+ zurück in die Speicher und Na+/Ca2+-Austauscher sowie Ca2+-Pumpen Ca2+ in den Extrazellulärraum transportieren. Damit wird der Kontraktionszyklus unterbrochen und der Muskel erschlafft. ! Die Kontraktionskraft ist eine Funktion der Vordehnung
Beziehung zwischen Kraft und Vordehnung des Herzmuskels. Die bei der Muskelkontraktion erzeugte Kraft ist keine
. Abb. 3.13. Druckverläufe in Vorhöfen und Kammern. Linkes Herz: Druckverlauf in Aorta, linkem Ventrikel und linkem Vorhof. Rechtes Herz: Druckverlauf in Arteria pulmonalis, rechtem Ventrikel und rechtem Vorhof. Darunter: Volumen im linken Ventrikel, Phonokardiogramm, Jugularisvenenpulskurve und EKG: Ableitung II (nach Antoni aus Schmidt et al.)
Kontraktionszyklus im Herzmuskel. Die Muskelkontrakti-
on wird durch einen Anstieg der zytosolischen Ca2+-Konzentration ausgelöst (. Abb. 13.1 und 7 Kap. 13.1.1). Ca2+ bindet an Troponin C mit folgender Umlagerung von Tropomyosin und Freilegung von hochaffinen Bindungsstellen
Konstante, sondern hängt in entscheidender Weise von der Vordehnung ab. Der Muskel entwickelt bei mittlerer Vordehnung die größte Kraft (. Abb. 13.2, 7 Kap. 13.1.1). Bei stärkerer Vordehnung kann nur ein Teil der Myosinköpfchen an Aktin binden, bei starker Muskelverkürzung überlappen sich die Aktinfilamente teilweise und behindern die weitere Kontraktion. Darüber hinaus fördert Vordehnung des Herzmuskels den Ca2+-Einstrom und steigert über Zunahme der Ca2+-Affinität von Troponin C die Wirkung von Ca2+ auf die kontraktilen Elemente, Wirkungen, die bei zu geringer Vordehnung des Herzmuskels ausbleiben. Titin. Bei passiver Dehnung des Herzmuskels nimmt die Muskelspannung durch Dehnung elastischer Elemente (Titin) zu. Der Zusammenhang zwischen Länge und Spannung eines ruhenden Muskels wird durch die Ruhedehnungskurve dargestellt (. Abb. 13.4). Während der Muskelkontraktion addieren sich die passive Spannung und die aktiv erzeugte Kraft des Muskels (. Abb. 13.4). Kontraktionsformen. Man unterscheidet mehrere Kontrak-
tionsformen (. Tab. 3.3 und 7 Kap. 13.1.1): Bei der isomet-
57 3.2 · Mechanik des Herzens
. Tab. 3.3. Kontraktionsformen vom Muskeln Kontraktionsform
Kontraktionsverlauf der Muskelfaser
Isometrisch
Zunahme der Spannung bei gleichbleibender Länge
Isoton
Verkürzung bei gleichbleibender Spannung
Auxoton
Gleichzeitige Verkürzung und Zunahme der Spannung
Anschlag
Zunächst isotone oder auxotone, dann isometrische Kontraktion
Unterstützung
Zunächst isometrische, dann isotone (oder auxotone) Kontraktion
rischen Kontraktion bleibt die Länge des Muskels gleich, der Muskel entwickelt jedoch ein Maximum an Kraft. Bei der isotonen Muskelkontraktion verkürzt sich der Muskel gegen eine gleichbleibende Kraft (Last). Bei der auxotonen Muskelkontraktion nimmt während der Muskelverkürzung die Kraft zu. Bei der Anschlagszuckung ist nur eine begrenzte Verkürzung des Muskels möglich. Die zunächst isotone oder auxotone Kontraktion geht dann in eine isometrische (isovolumetrische) Muskelzuckung über. Umgekehrt besteht die Unterstützungszuckung aus einer initialen isometrischen Muskelzuckung, gefolgt von einer isotonen bzw. auxotonen Kontraktion. Die Kontraktion der Herzens ist eine Unterstützungszuckung. Plastische Dehnung. Wird der Muskel gedehnt, dann nimmt die Spannung zu. Allerdings nimmt die Spannung bei anhaltender Dehnung wieder ab, der Muskel »gewöhnt« sich also an seine neue Länge. Kontraktionsgeschwindigkeit. Die Geschwindigkeit einer
Kontraktion des Herzmuskels hängt zunächst von der Geschwindigkeit der zytosolischen Ca2+-Konzentrationszunahme ab. Sie ist umso schneller, je größer die zellulären Speicher sind und je dichter sie die kontraktilen Elemente umgeben. Die Zunahme der Ca2+-Konzentration und damit die Geschwindigkeit der Kontraktion kann durch Hormone bzw. Mediatoren gesteigert werden, wie etwa durch Noradrenalin. Die Geschwindigkeit einer Muskelkontraktion im Herzen hängt ferner von der Frequenz des Kontraktionszyklus ab. Eine hohe ATPase-Aktivität am Myosin beschleunigt den Zyklus. Skelettmuskeln, die für die Durchführung schneller Bewegungen spezialisiert sind (z. B. Augenmuskeln), weisen höhere Myosin-ATPase-Aktivität auf
als langsame Haltemuskeln (z. B. M. soleus der Wade). Die Kontraktionsgeschwindigkeit hängt schließlich von der Last ab, gegen die der Muskel kontrahieren muß (Hill-Gesetz). Bei lastfreier Kontraktion (L = 0) erreicht die Verkürzungsgeschwindigkeit ihr Maximum (Vmax). Ist die Last mit der maximalen Kraft des Muskels identisch (Lmax), dann geht die Verkürzungsgeschwindigkeit gegen null (isometrische Kontraktion). Ist die Last größer als Lmax, dann wird der Muskel trotz Anspannung gedehnt (. Abb. 13.4).
3.2.2
Herzklappen
! Herzklappen sind für die normale Tätigkeit des Herzens erforderlich. Herzklappenfehler können schwere Störungen der Herzmechanik nach sich ziehen
Aufgaben der Herzklappen. Die Tätigkeit der Herzmusku-
latur ist sinnlos, wenn die Strömungsrichtung des Blutes nicht durch die Herzklappen vorgegeben wird. Die Segelklappen (rechts Trikuspidalklappe, links Mitralklappe) befinden sich zwischen Vorhof und Kammer. Sie verhindern während der Systole den Rückstrom von der Kammer in den Vorhof. Die Taschenklappen befinden sich zwischen den Kammern und den großen Gefäßen (rechts: Truncus pulmonalis; links: Aorta). Sie verhindern während der Diastole den Rückstrom in die Kammern. Da linkes und rechtes Herz fast zeitgleich schlagen, öffnen und schließen die Klappen ebenfalls fast gleichzeitig. Läsionen an den Herzklappen sind relativ häufige Ursachen von Störungen der Herzfunktion. Die Klappen können u. a. aufgrund von Entwicklungsstörungen oder Entzündungen defekt sein. Dabei können die Klappen im geöffneten Zustand zu eng (Klappenstenose) oder im geschlossenen Zustand nicht ganz dicht (Klappeninsuffizienz) sein. Bei Stenosen ist der Strömungswiderstand in die richtige Richtung gesteigert, bei einer Klappeninsuffizienz strömt Blut in die falsche Richtung zurück. In der Folge müssen die Ventrikel entweder ein größeres Volumen (Volumenbelastung der Ventrikel) oder gegen einen höheren Druck (Druckbelastung der Ventrikel) auswerfen. Aortenklappenstenose. Bei verengter Aortenklappe ist der Strömungswiderstand während der Auswurfphase gesteigert. Die linke Herzkammer muss einen mitunter erheblich höheren Druck aufwenden, um das Schlagvolumen auszuwerfen. Die Aortenklappenstenose stellt somit eine Druckbelastung des linken Ventrikels dar.
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58
Kapitel 3 · Herz
Aortenklappeninsuffizienz. Bei undichter Aortenklappe
strömt Blut während der Diastole aus der Aorta in den linken Ventrikel zurück. Das Blut muss bei der nächsten Systole erneut ausgeworfen werden. Die Aortenklappeninsuffizienz stellt demnach eine Volumenbelastung für den linken Ventrikel dar.
3
Mitralklappenstenose. Bei verengter Mitralklappe ist die Füllung des linken Ventrikels beeinträchtigt. Folge ist eine Abnahme des Schlagvolumens und damit des Herzminutenvolumens einerseits, und eine Zunahme des Druckes im linken Vorhof andererseits. Der Druck im linken Vorhof steigert auch den Druck in den Lungenkapillaren, die gesteigerte Filtration von Flüssigkeit kann dabei ein Lungenödem auslösen. Darüber hinaus steigt der Widerstand im Pulmonalkreislauf und das rechte Herz muss einen höheren Druck aufwenden (Druckbelastung des rechten Herzens). Der Versuch der kreislaufregulierenden Neurone, das herabgesetzte Herzminutenvolumen durch Steigerung der Herzfrequenz anzuheben, schlägt fehl, da die Steigerung der Herzfrequenz in erster Linie auf Kosten der Diastole geschieht und damit die Füllung des linken Ventrikels weiter herabsetzt. Auf diese Weise entwickelt sich bisweilen ein Circulus vitiosus, der in ein Lungenödem münden kann. Mitralklappeninsuffizienz. Bei undichter Mitralklappe strömt Blut während der Systole aus dem linken Ventrikel zurück in den linken Vorhof. Folge ist eine Zunahme des Druckes im linken Vorhof. Das Blut kehrt bei der nächsten Diastole in den linken Ventrikel zurück und muß erneut ausgeworfen werden. Der Klappenfehler bringt demnach eine Volumenbelastung des linken Ventrikels mit sich. Der Anstieg des Druckes im Pulmonalkreislauf führt zudem zu einer Druckbelastung des rechten Ventrikels. Klappenfehler des rechten Herzens. Die rechtsventrikulä-
ren Klappendefekte sind außer der Pulmonalstenose sehr selten. Die Störungen der Hämodynamik entsprechen den Störungen linksventrikulärer Klappendefekte. ! Shuntvitien sind pathologische Verbindungen zwischen kleinem und großem Kreislauf
Ventrikelseptumdefekt. Bei einer Öffnung zwischen den beiden Ventrikeln gelangt während der Systole Blut, dem Druckgradienten folgend, vom linken in den rechten Ventrikel (Shuntvolumen). Folge ist eine Druckbelastung des
rechten Ventrikels und eine Volumenbelastung des linken Ventrikels. Vorhofseptumdefekt. Bei einer Öffnung im Vorhofseptum fließt Blut aus dem linken in den rechten Vorhof zurück. Da der Druckgradient gering ist, muss die Öffnung allerdings groß sein, um hämodynamische Relevanz zu erlangen. Folge ist dann zunächst eine Volumenbelastung des rechten Ventrikels. Persistierender Ductus Botalli. Bei dieser Störung strömt
zunächst Blut aus der Aorta in die Arteria pulmonalis (7 Kap. 14.7). Folge ist eine Volumenbelastung des linken Ventrikels und eine Druckbelastung des rechten Ventrikels. Shuntumkehr. Die Pulmonalgefäße sind bei Links-Rechts-
Shunts einem gesteigerten Blutfluss und Druck ausgesetzt. Langfristig können sie durch die gesteigerte Beanspruchung allmählich verengt werden, sodass der Widerstand im kleinen Kreislauf ansteigt. Das Blut kann in der Folge nur unter Aufwendung eines höheren Druckes durch den kleinen Kreislauf gepumpt werden, die Druckbelastung schränkt die Förderleistung des rechten Ventrikels ein und es steigt auch der Druck im rechten Vorhof. Letztlich droht dadurch eine Shuntumkehr (Eisenmenger-Reaktion), der die Strömungsrichtung (z. B. bei langfristigem Vorhofseptumdefekt oder persistierendem Ductus Botalli) umdrehen kann. Dabei gelangt O2-armes Blut in den großen Kreislauf und die Patienten werden zyanotisch (Blaufärbung durch O2armes Blut). ! Herztöne und Herzgeräusche sind diagnostisch wichtige Begleitphänomene der Herztätigkeit
Auskultation. Die Herzaktionen werden durch akustische Ereignisse begleitet, die vom Arzt abgehört (auskultiert) werden können und die ihm wesentliche Hinweise auf den Ablauf der Herzaktionen und etwaige Störungen bieten können. Es werden die Herztöne von den Herzgeräuschen unterschieden. Herztöne. Der I. Herzton wird durch die Anspannung der Kammermuskulatur bei Verschluss der Mitral- und Trikuspidalklappen hervorgerufen. Er ist etwas dumpfer (30 – 150 Hertz) als der II. Herzton, der durch den Verschluss der Aorten- und Pulmonalklappe erzeugt wird. Der normalerweise nur beim Kleinkind hörbare III. Herzton entsteht
59 3.2 · Mechanik des Herzens
durch das plötzliche Einströmen von Blut in die Kammern während der frühen Muskelerschlaffung, der nur am erkrankten Herzen hörbare IV. Herzton durch die Vorhofkontraktion. Herzgeräusche. Sie entstehen, wenn die Blutströmung Wir-
bel verursacht. Das ist immer dann der Fall, wenn die Strömung des Blutes einen Grenzwert übersteigt, wobei der Radius (r) des Gefäßabschnittes und die Blutviskosität (η), also die Zähflüssigkeit des Blutes eine Rolle spielen. Das Auftreten von Geräuschen wird durch Zunahme der • Stromstärke (V = Volumen/Zeit), Abnahme der Blutviskosität (η) und Abnahme des Radius von Gefäß oder Klappenöffnung begünstigt (7 Kap. 4.1). Eine Verminderung der Blutviskosität, wie sie bei geringer Konzentration an Erythrozyten (Anämie, 7 Kap. 2.2.2) auftritt, kann also ebenso zu Strömungsgeräuschen führen, wie eine verengte Klappe (Klappenstenose). Auch eine Klappeninsuffizienz (d. h. eine unvollständig schließende Klappe) erzeugt ein Geräusch, da das in die falsche Richtung fließende Blut die in aller Regel sehr enge Öffnung der verschlossenen insuffizienten Klappe passieren muss. Die Frequenz des Geräusches ist dabei umso höher, je größer der Druckgradient über die Engstelle und je kleiner die Öffnung ist. Phonokardiographie. Die Herztöne und Herzgeräusche lassen sich durch ein Mikrophon aufnehmen und durch einen Schreiber aufzeichnen.
3.2.3
Herzzyklus
! Die Herzaktionen erzeugen charakteristische Druckschwankungen in Vorhöfen und Kammern
Druckverlauf in den Vorhöfen des Herzens. Der Druckver-
lauf ist in beiden Vorhöfen sehr ähnlich (. Abb. 3.13), der Druck im linken Vorhof ist nur geringfügig größer als der Druck im rechten Vorhof. Die Druckänderungen im rechten Vorhof sind wiederum in den angrenzenden Venen messbar (Jugularispuls, . Abb. 3.13). Kontraktion der Vorhofmuskulatur führt zu einer Druckwelle (a-Welle) in den Vorhöfen und angrenzenden Venen. Die folgende Kontraktion der Kammern dreht die Strömungsrichtung in den Segelklappen (Trikuspidalklappe und Mitralklappe) um und bis zum »Zuschlagen« der Segelklappen entweicht etwas Blut in die Vorhöfe und erzeugt dort eine weitere Druckwelle (c-Welle). Die folgende Kammerkontraktion
und damit verbundene Verschiebung der Ventilebene führt zu einer starken Abnahme der Vorhofdrucke (x-Senkung). Mit beginnender Erschlaffung der Kammermuskulatur kehrt die Ventilebene zurück und steigert zunächst den Vorhofdruck (v-Welle). Dann öffnen sich jedoch die Segelklappen, die weitere Erschlaffung der Kammermuskulatur »saugt« Blut in die Kammer und der Druck in den Vorhöfen sinkt erneut (y-Senkung). Druckverlauf in den Herzkammern. Der Druckverlauf in
rechter und linker Herzkammer ist qualitativ gleich, der Druckanstieg während der Kontraktion ist in der linken Kammer freilich viel größer als in der rechten Kammer (. Abb. 3.13). Die Kontraktion der Kammermuskulatur führt zu einem steilen Druckanstieg durch isovolumetrische Kontraktion. Sobald der Druck in der linken Kammer den Druck in der Aorta übersteigt, öffnet sich die Aortenklappe und Blut wird in die Aorta ausgeworfen (auxotone Kontraktion). Der Druck steigt durch die weitere Kontraktion der Kammermuskulatur zunächst noch an, wenn auch etwas langsamer. Das in die Aorta ausgeworfene Blut führt auch dort zu einem entsprechenden Druckanstieg. Schließlich lässt die Kontraktion nach und der Druck sinkt allmählich wieder. Sobald der Kammerdruck unter den Aortendruck fällt, schließt die Aortenklappe wieder. Das kurz vor dem Schließen der Aortenklappe in den linken Ventrikel zurückfließende Blut erzeugt einen geringfügigen Druckabfall in der Aorta, die Inzisur. Nach Schließen der Aortenklappe fällt der Druck im linken Ventrikel steil ab (isovolumetrische Erschlaffung), die Mitralklappe öffnet sich und die weitere Erschlaffung der Kammermuskulatur übt einen Sog auf das Blut des linken Vorhofes aus. Phasen der Herzaktion. Die Zeit vom Verschluss der Mit-
ralklappe bis zur Öffnung der Aortenklappe (erkennbar am Druckanstieg in der Aorta) wird als Anspannungsphase (isovolumetrische Kontraktion) bezeichnet. Es folgen die Austreibungsphase bis zum Verschluss der Aortenklappe, die Entspannungsphase bis zur Öffnung der Mitralklappe und dann die Füllungsphase bis zur nächsten Herzaktion. Für das rechte Herz gelten die analogen Zeitabschnitte. Die Anspannungsphase und Austreibungsphase werden als Systole zusammengefasst, die Entspannungsphase und Füllungsphase als Diastole. Der mechanische Zyklus hinkt dem elektrischen hinterher. So ist der Druckanstieg erst nach dem QRS-Komplex messbar und das Druckmaximum wird auf dem Höhepunkt der Repolarisation, also am Maximum der T–Welle erreicht (. Abb. 3.13).
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60
Kapitel 3 · Herz
! Die Leistungsfähigkeit des Herzens ist an Kontraktionsgeschwindigkeit, Ejektionsfraktion und Herzzeitvolumen erkennbar
3
Kontraktionsgeschwindigkeit. Die maximale Geschwindigkeit der Druckzunahme während der Anspannungsphase (dP/dtmax) kann durch Herzkatheter gemessen werden und wird als Maß für die Herzkraft (Kontraktilität) genommen. Ejektionsfraktion. Normalerweise beträgt das Schlagvolumen etwa 80 ml, das ist etwas mehr als die Hälfte des Volumens, das sich bis Ende der Diastole im linken Herzen angesammelt hat (~140 ml). Die andere Hälfte (Restvolumen) verbleibt im Herzen und addiert sich zum Blut, das in der nächsten Füllungsphase einströmt. Der Quotient Schlagvolumen/enddiastolisches Füllungsvolumen (Ejektionsfraktion) ist normalerweise im Bereich von 0,6. Er nimmt bei steigender Herzkraft zu (Kontraktilitätsmaß). Herzzeitvolumen. Das pro Zeiteinheit durch das Herz be-
förderte Volumen (Herzzeitvolumen, HZV) errechnet sich aus der Frequenz der Herzkontraktionen (f) und dem pro Kontraktion (Herzschlag) ausgeworfenen Volumen VS (Schlagvolumen): HZV = VS · f Frequenz und Schlagvolumen sind in beiden Herzkammern annähernd gleich, das pro Zeiteinheit die Lunge passierende Volumen muss ja vom linken Herzen quantitativ weitergepumpt werden. Das Herz ist in der Lage, das pro Zeiteinheit geförderte Volumen (Herzminutenvolumen) in weiten Grenzen zu variieren und damit den Erfordernissen des Organismus anzupassen (Steuerung der Herztätigkeit, 7 Kap. 3.4). Eine Zunahme des Herzminutenvolumens geschieht in erster Linie durch Steigerung der Herzfrequenz. Sie erfolgt vorwiegend auf Kosten der Diastole, d. h. die Füllungsphase des Herzens nimmt ab. Da die Kammern sich normalerweise vor allem zu Beginn der Diastole füllen, das Volumen also während der späten Diastole nur noch geringfügig zunimmt, wird das Schlagvolumen durch Zunahme der Herzfrequenz in weiten Grenzen nur mäßig beeinträchtigt. Erst über einer Herzfrequenz von 150/min kommt es zu einer Beeinträchtigung der Herzfüllung. Bei einer Verengung der Mitralklappe (Mitralstenose) kann die Herzfüllung bereits bei nur mäßiger Steigerung der Herzfrequenz erheblich eingeschränkt sein.
3.2.4
Füllung des Herzens
! Das Druck-Volumen-Diagramm beschreibt die mechanischen Eigenschaften einer Herzaktion
Druck-Volumen-Diagramm. Die mechanische Herzaktion kann in einem Druck-Volumen-Diagramm dargestellt werden (. Abb. 3.14). In diesem Diagramm wird das Volumen gegen den Druck des Herzens zu jedem Zeitpunkt der Herzaktion aufgetragen. Wird das Herz passiv gefüllt und damit gedehnt, dann steigt der Druck im Herzen durch die zunehmende Anspannung allmählich an (Ruhedehnungskurve). Die diastolische Füllung des Herzens folgt dieser Ruhedehnungskurve. Der maximale, bei isovolumetrischer Kontraktion erzeugte Druck (isovolumetrisches Maximum, . Tab. 3.3) und das maximale, bei gleichbleibendem Druck (isobar) ausgeworfene Volumen (isobares Maximum) sind eine Funktion der Vorfüllung des Herzens. Sowohl isovolumetrisches als auch isobares Maximum nehmen mit steigender Herzfüllung zu. Die Kontraktion des Herzens während der Anspannungsphase führt zunächst zu einer reinen Druckzunahme (isovolumetrische Kontraktion). Nach Erreichen des diastolischen Druckes in Aorta bzw. Arteria pulmonalis setzt die Austreibungsphase ein, das Volumen nimmt ab und der Druck steigt zunächst weiter an (auxotone Kontraktion) und fällt dann gegen Ende der Austreibungsphase wieder geringfügig ab. Die Erschlaffung führt dann zu einem Druckabfall ohne weitere Volumenverschiebung (isovolumetrische Erschlaffung). Die Kontraktion des Herzens ist weder eine isobare noch eine isovolumetrische Kontraktion sondern entspricht in etwa einer Unterstützungszuckung (isovolumetrische Kontraktion gefolgt von einer isobaren oder auxotonen Kontraktion). Das Ausmaß der Volumenverschiebung während der Austreibungsphase lässt sich abschätzen, wenn man eine Verbindungslinie zwischen dem isovolumetrischen Maximum und dem isobaren Maximum konstruiert (Unterstützungskurve). Die auxotone Kontraktion während der Austreibungsphase endet mit Erreichen dieser Kurve (. Abb. 13.3). Herzarbeit. Das Herz leistet Arbeit, indem es Volumen (Δ V) gegen einen bestimmten Druck (p) verschiebt (A = ∑ p · Δ V). Die Druck-Volumen-Arbeit des Herzens ist daher im Druck-Volumen-Diagramm als die Fläche erkennbar, die durch einzelne Herzaktionen eingeschlossen wird. Das Auswerfen des Schlagvolumens in Aor-
61 3.2 · Mechanik des Herzens
. Abb. 3.14. Druck-Volumen-Diagramm des Herzens. Ruhedehnungskurve (gelb), isovolumetrische Maxima (rot), isotone Maxima (blau) und die Unterstützungskurve (grün). a Die isovolumetrischen Maxima sind die bei gegebener Vordehnung (Füllung) des Herzens (1) erreichbaren maximalen Drücke bei isovolumetrischer Kontraktion (2). Die isotonen Maxima sind die bei gegebener Füllung des Herzens (1) maximalen Abnahmen des Herzvolumens bei isotoner Kontraktion (3). Die Unterstützungskurve verbindet isovolumetrisches und isotones Maximum bei gegebener Vordehnung des Herzens. Die Unterstützungszuckungen enden auf dieser Linie. b Kontraktion des Herzens bei normaler Vorlast (preload) und Nachlast (afterload). Die Fläche (hell-
blau) reflektiert die Druck-Volumen-Arbeit, der schwarze Pfeil das Schlagvolumen. c Kontraktion des Herzens bei reduzierter Nachlast (Sinken des diastolischen Blutdruckes). Das Schlagvolumen nimmt zu. d Kontraktion des Herzens bei gesteigerter Nachlast (Anstieg des diastolischen Blutdruckes). Das Schlagvolumen nimmt ab. e Kontraktion des Herzens bei gesteigerter Vorlast (gesteigerte Füllung des Herzens). Das Schlagvolumen nimmt zu. f Kontraktion des Herzens bei herabgesetzter Nachlast (Abnahme der Füllung des Herzens). Das Schlagvolumen nimmt ab. g Kontraktion des Herzens bei gesteigerter Herzkraft. Das Schlagvolumen nimmt zu. h Kontraktion des Herzens bei herabgesetzter Herzkraft. Das Schlagvolumen nimmt ab
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3
Kapitel 3 · Herz
ta bzw. Arteria pulmonalis erfolgt normalerweise im Bruchteil einer Sekunde, das Blut muss also schnell ausgeworfen und damit entsprechend beschleunigt werden. Die Beschleunigungsarbeit hängt von der Masse (m) des beschleunigten Blutes und der Geschwindigkeit (v) ab, auf die das Blut beschleunigt wird: A = 1/2m · v2. Normalerweise ist die Beschleunigungsarbeit nur etwa 1 % der vom Herzen geleisteten Arbeit. Sie kann bei Zunahme der Beschleunigung oder des beschleunigten Blutvolumens jedoch erheblich ansteigen. Wirkungsgrad. Die pro Einheit verbrauchter Energie geleis-
tete Arbeit des Herzens (Wirkungsgrad) sinkt mit Zunahme des Druckes, gegen den das Blut ausgeworfen werden muss. Bei Zunahme des systemischen Blutdruckes steigt der Energieverbrauch des linken Herzens also sowohl durch Anstieg der erforderlichen Druck-Volumen-Arbeit, als auch durch den sinkenden Wirkungsgrad. ! Schlagvolumen und Herzarbeit werden von Herzkraft, Vorlast und Nachlast beeinflusst
Einfluss der Herzkraft. Eine Zunahme der Herzkraft
steigert die isovolumetrischen und isobaren Maxima. Damit nehmen Schlagvolumen und Herzarbeit zu. Die Zunahme des Schlagvolumens mindert das Restvolumen, sodass das Herz bei akuter Stimulation der Herzkraft kleiner wird. Eine Abnahme der Herzkraft hat umgekehrt eine Minderung von Schlagvolumen und Herzarbeit zur Folge. Einfluss der Nachlast (afterload). Das Herz muss letzt-
lich Blut gegen den diastolischen Druck in Aorta bzw. Arteria pulmonalis (Nachlast) auswerfen. Eine Zunahme des diastolischen Druckes mindert und eine Abnahme des diastolischen Druckes steigert das Schlagvolumen (. Abb. 3.14). Bei Druckzunahme wird die Effizienz des Herzens eingeschränkt, das Verhältnis von Schlagvolumen zu geleisteter Herzarbeit nimmt ab. Umgekehrt nimmt die Effizienz bei Drucksenkung in Aorta bzw. Arteria pulmonalis zu. Einfluss der Vorlast (preload). Die Füllung des Herzens
wird als preload bezeichnet. Bei stärkerer Füllung des Herzens nimmt normalerweise das isovolumetrische Maximum und das Schlagvolumen zu (. Abb. 3.14), u. a. weil bei stärkerer Vordehnung intrazellulär vermehrt Ca2+ ausgeschüttet wird und die Ca2+-Empfindlichkeit
der kontraktilen Elemente steigt. Eine Herabsetzung der Füllung führt umgekehrt zu einer Abnahme des Schlagvolumens. Beziehung von LaPlace. Bei einer stärkeren Füllung des
Herzens muß freilich noch berücksichtigt werden, auf welche Weise die Spannung und Längenveränderung der Wandmuskulatur zu einer Druck- und Volumenänderung des Herzens führt (. Abb. 3.15): Denkt man sich einen Ventrikel als Kugel, die aus zwei Kugelhälften zusammengesetzt ist, dann ist die Kraft (K1), welche die beiden Kugelhälften auseinandertreibt, abhängig vom Innendruck (p) und der Fläche (π · r2) des Innenraumes (K1 = p · π · r2). Die Kraft, welche die beiden Kugelhälften zusammenhält (K2) ist andererseits abhängig von der Spannung, welche auf den einzelnen Muskelfasern lastet (T) und der Zahl der Muskelfasern bzw. der Fläche der Wandmuskulatur, also dem Produkt aus Umfang (≈ 2πr) und Dicke (d) der Wandschicht: K2 = 2πr · d · T. Da K1 = K2, ist p · r = 2 · T · d (Beziehung von LaPlace). Bei gleicher Wandspannung nimmt somit der Druck mit der Wanddicke zu und mit dem Radius ab. Bei stärkerer Vordehnung wird die Muskelwand etwas dünner und der Radius größer. Die Herzmuskulatur muss also eine relativ hohe Wandspannung erzeugen, um den Druck im Herzen zu steigern. Während der Kontraktion nimmt umgekehrt die Wanddicke zu und der Radius ab. Die Ventrikelmuskulatur kann also gegen Ende der Austreibungsphase mit relativ geringer Wandspannung einen relativ hohen Druck erzeugen. Unterschiedlicher Bau der Ventrikel. Die Auswirkung des Radius auf Wandspannung und Volumenverschiebung sind beim Bau des rechten und linken Herzens berücksichtigt: Die Muskelfasern der linken Kammer sind zirkulär angeordnet und umschließen das Lumen auf dem kürzesten Weg, also in einem möglichst kleinen Radius. Die Wanddicke ist groß. Damit ist die linke Kammermuskulatur fähig, einen hohen luminalen Druck zu erzeugen (Druckbelastung). Die Muskelfasern der rechten Kammer sind netzförmig angeordnet, die Muskelfasern bilden also Muskelschlingen, die das Lumen nicht auf kürzestem Weg umgeben, sondern einen wesentlich größeren Radius aufweisen, als das Lumen. Die rechte Kammermuskulatur kann zwar bei nur geringer Längenänderung seiner Muskelfasern große Volumenverschiebungen erzeugen (Volumenbelastung), ist jedoch nicht imstande, einen hohen luminalen Druck zu erzeugen.
63 3.2 · Mechanik des Herzens
. Abb. 3.15. Bedeutung des Radius und der Wanddicke für das Verhältnis von Wandspannung und Innendruck. Das Herz kann als Kugel gedacht werden. Durchtrennt man gedanklich diese Kugel in der Mitte, so werden die beiden Kugelhälften durch den Innendruck auseinander getrieben (grüne Pfeile), durch die Muskelspannung (bzw. Wandspannung T) zusammengehalten (gelbe Pfeile). Für die
Kraft K1, welche die Hälften auseinandertreibt, gilt Druck mal Fläche: p · π · r2. Für die Kraft K2, welche die Kugelhälften zusammenhält, gilt Spannung mal Querschnittsfläche der Muskulatur: T · 2 · π · (r + d/2) · d, oder, unter Vernachlässigung von d/2: T · 2 · π · r · d. Wenn K1=K2, dann gilt: p = T · 2d/r (Beziehung von LaPlace, nach Antoni aus Schmidt et al.)
In Kürze
Mechanik des Herzens Grundlagen kardialer Muskelkontraktion 4 Herz = Druckpumpe (Kammerdruck n) und Saugpumpe (Vorhofdruck p) 4 Auslösung der Kontraktion: [Ca2+]i n o Ca2+ Bindung an Troponin o Freiwerden von Bindungsstellen für Myosinköpfchen an Aktinfilamenten o ATP-verbrauchende Ruderbewegung der Myosinköpfchen 4 Abnahme von [Ca2+]i führt zu Erschlaffung 4 Mittlere Vordehnung o größte Kraft 4 Passive Muskeldehnung: Muskelspannung durch Dehnung von elastischem Titin 4 Iso(volu)metrische Kontraktion: Druckzunahme bei konstanter Länge (Volumen) (Anspannungsphase Herz) 4 Isotone Kontraktion: Längenabnahme bei konstanter Spannung (Last) 6
4 Auxotone Kontraktion: Längenabnahme und Druckzunahme (Auswurfphase Herz) 4 Unterstützungszuckung: zunächst iso(volu)metrische Kontraktion, dann isotone oder auxotone Kontraktion 4 Inspiration o Blut-Rückstrom no Füllung rechtes Herz no Pulsanstieg 4 Ca2+-Einstrom o Kontraktionsgeschwindigkeit Herzklappen 4 Aortenklappenstenose: Druckbelastung linker Ventrikel 4 Aortenklappeninsuffizienz: Volumenbelastung linker Ventrikel 4 Mitralklappenstenose: linksventrikuläres Schlagvolumen p, linker Vorhofdruck n. Tachykardie o Verkürzung Füllungszeit o HZV po Kreislaufversagen
3
64
3
Kapitel 3 · Herz
4 Mitralklappeninsuffizienz: linker Vorhofdruck n, Volumenbelastung linker Ventrikel und Druckbelastung rechter Ventrikel 4 Klappenfehler rechtes Herz seltener als linkes Herz, Auswirkungen entsprechend 4 Ventrikelseptumdefekte: Druckbelastung rechter Ventrikel und Volumenbelastung linker Ventrikel 4 Vorhofseptumdefekt: Volumenbelastung rechter Ventrikel 4 Persistierender Ductus Botalli: Volumenbelastung linker Ventrikel und Druckbelastung rechter Ventrikel 4 Shuntvitien: Gesteigerte Perfusion im Lungenkreislauf o Gefäßschädigung o Zunahme Widerstand kleiner Kreislauf o Druckbelastung rechtes Herz o Shuntumkehr (erkennbar an Zyanose) 4 I. Herzton: Anspannung Kammermuskulatur bei Verschluss von Mitral- und Trikuspidalklappen 4 II. Herzton: Verschluss der Aorten- und Pulmonalklappe 4 III. Herzton: frühes Einströmen von Blut in die Kammern (bei Erwachsenen pathologisch) 4 IV. Herzton: Vorhofkontraktion (pathologisch) 4 Herzgeräusche: Punctum maximum, Zeitpunkt und Frequenz deuten auf Ursache Herzzyklus 4 Druckschwankungen in rechtem Vorhof und V. jugularis: Kontraktion Vorhofmuskulatur (a-Welle), Zuschlagen Atrioventrikularklappe (c-Welle), Verschiebung Ventilebene (x-Senkung), Rückkehr Ventilebene (v-Welle), Öffnung Tricuspidalklappe (y-Senkung) 4 Herzzyklus: Isovolumetrische Kontraktion o auxotone Kontraktion o Inzisur o isovolumetrische Erschlaffung o erneute Füllung 4 Kontraktionsphasen: Anspannungsphase (Umformungszeit und Druckanstiegszeit) o Austreibungsphase o Entspannungsphase o Füllungsphase
4 Kontraktilität erkennbar an maximaler Kontraktionsgeschwindigkeit (dP/dtmax) und Ejektionsfraktion (Schlagvolumen/enddiastolisches Füllungsvolumen) 4 Herzzeitvolumen (HZV) = Herzfrequenz · Schlagvolumen 4 Tachykardie o Schlagvolumen p o HZV p (bei Mitralstenose) Füllung des Herzens 4 Ruhedehnungskurve = Anstieg intraventrikulärer Druck bei passiver Dehnung 4 Isovolumetrisches Maximum = Maximaler Druck bei isovolumetrischer Kontraktion 4 Isobares Maximum = Maximales ausgeworfenes Volumen bei gleichbleibendem Druck 4 Herzfüllung o isovolumetrisches und isobares Maximum n 4 Herzmuskelkontraktion = Unterstützungszuckung. Isovolumetrische Kontraktion o auxotone Kontraktion o isovolumetrische Erschlaffung 4 Herzarbeit = Druck-Volumen-Arbeit und Beschleunigungsarbeit 4 Zunahme der Nachlast (Blutdruck) o Schlagvolumen p, Wirkungsgrad p 4 Abnahme der Nachlast (afterload) o Schlagvolumen n, Wirkungsgrad n 4 Zunahme der Herzkraft o isovolumetrische und isobare Maxima n, Schlagvolumen n, Herzarbeit n 4 Zunahme der Vorlast o isometrische Kontraktion n und Schlagvolumen n 4 LaPlace p · r = 2 · T · d (Vordehnung o höhere Wandspannung zur Druckentwicklung erforderlich) 4 Bau linker Kammer begünstigt große Druckentwicklung, Bau rechter Kammer begünstigt große Volumenverschiebungen
65 3.3 · Ernährung des Herzens
3.3
Ernährung des Herzens
3.3.1
Koronardurchblutung
! Die Durchblutung des Herzens erfolgt über die Koronararterien. Sie kommt im linken Ventrikel während der Systole fast zum Stillstand
Anteil der Durchblutung am Herzminutenvolumen. We-
gen seines hohen O2-Verbrauchs ist das Herz auf eine überdurchschnittliche Durchblutung angewiesen. Das Herz beansprucht etwa 4% des Herzminutenvolumens, das einer spezifischen Durchblutung von 60 ml/(min · dl) entspricht. Bei Belastung kann dies auf das fünffache, also 300 ml/(min · dl), gesteigert werden. Koronargefäße. Das Herz wird über die Koronararterien
durchblutet. Hierbei versorgt die linke Koronararterie, die sich nach dem Hauptstamm in den Ramus circumflexus und den Ramus interventricularis anterior teilt, die Vorderwand des linken Ventrikels sowie den Grossteil des Kammerseptums. Die rechte Koronararterie ernährt das rechte Herz und die diaphragmale Hinterwand. Das Blut fließt zum größten Teil über den Sinus coronarius ab, der in den rechten Vorhof mündet. Durchblutungsschwankungen während der Herzaktion. Die Durchblutung des Herzens ist starken Schwan-
kungen während Kontraktion und Erschlaffung unterworfen: Die intramuskulären Gefäße des linken Ventrikels werden durch den intramuralen Druckanstieg während der Kontraktion der linken Kammermuskulatur komprimiert. Das führt zum Abfall des transmuralen Druckes zwischen dem Gefässinneren und dem umgebenden Gewebe. Dadurch kommt der Einstrom von Blut während der Kammerkontraktion links vor allem endokardial fast zum Stillstand und presst venöses Blut aus dem Muskelgewebe. Bei der folgenden Erschlaffung saugt das linke Herz wie ein Schwamm Blut aus den Koronararterien an (. Abb. 3.16). Epikardial sind die Schwankungen von intramuralem Druck und Durchblutung gering. Auch das rechte Myokard wird kontinuierlich durchblutet. Auswirkung von Tachykardie. Eine Zunahme der Herz-
frequenz geht zu Lasten der Diastole (in Ruhe: Systole: Diastole = 1:2; bei Belastung: Systole:Diastole = 2:1) und mindert daher die Zeitspanne, in welcher der Herzmuskel
. Abb. 3.16. Koronardurchblutung: Während der Systole kommt die Durchblutung in der linken Koronararterie vorübergehend zum Stillstand. Von oben nach unten: Druck in Aorta, Blutfluß in der linken Koronararterie und Blutfluß im Sinus coronarius
(vor allem endokardial) durchblutet wird. Normalerweise wirkt sich dieser Nachteil nicht aus, da die Masse der Durchblutung zu Beginn der Diastole erfolgt. Sauerstoffausschöpfung. Das Herz entnimmt dem
durchströmenden Blut in Ruhe etwa 70% des O2, d. h. im venösen Blut sind nur noch etwa 30% des Hämoglobins mit O2 beladen. Bei schwerer Arbeit werden dem Blut sogar 80% des O2 entnommen. Die O2-Ausschöpfung im Herzen ist also größer als im übrigen Organismus (im Mittel etwa 30%). Ein gesteigerter O2-Bedarf kann daher nur geringfügig durch höhere O2-Ausschöpfung erzielt werden und erfordert eine gesteigerte Durchblutung des Herzens. ! Die Koronardurchblutung wird durch Transmitter des vegetativen Nervensystems und lokale Faktoren reguliert
Transmitter. Die Transmitter des sympathischen Nerven-
systems, Noradrenalin und Adrenalin erweitern (dilatie-
3
66
3
Kapitel 3 · Herz
ren) über β2-Rezeptoren die Koronargefäße und erzielen damit eine gesteigerte Durchblutung des Herzmuskels. Noradrenalin kann jedoch über adrenerge α-Rezeptoren auch eine Vasokonstriktion auslösen. Acetylcholin stimuliert Endothelzellen zur Bildung des vasodilatierend wirkenden NO und hat andererseits direkte vasokonstriktorische Wirkungen auf den Gefäßmuskel. Bei intaktem Endothel überwiegt die vasodilatierende Wirkung. Lokale Mechanismen. Die Koronargefäße werden bei sinkender O2-Konzentration, bei steigender CO2-Konzentration und bei sinkendem pH dilatiert. Bei O2-Mangel wird vom Herzgewebe Adenosin freigesetzt, das stark vasodilatierend wirkt. Von Endothelzellen werden ferner mehrere vasodilatierend wirkende Mediatoren abgegeben, wie NO, endothelialer hyperpolarisierender Faktor (EDHF) und Prostaglandine. Koronarreserve. Die Koronardurchblutung kann normalerweise auf etwa das 5-fache gesteigert werden, weil bei Belastung der diastolische Widerstand der Koronargefässe sinkt. Die Steigerung der Durchblutung ist bei Schädigung der Gefäße eingeschränkt. Die Koronarreserve kann durch Injektion von Adenosin ermittelt werden. ! Ein Missverhältnis von Durchblutung und Energiebedarf führt zu Angina pectoris und Herzinfarkt
Angina pectoris, Herzinfarkt. Bei einer Mangeldurchblutung des Herzmuskels kommt es durch den O2-Mangel sehr schnell zu einem Energiemangel, der Erregungsbildung und -weiterleitung sowie Kontraktion des Herzmuskels stört. Die Ischämie des Herzmuskels beeinträchtigt ferner die Leistungsfähigkeit des Herzmuskels und damit die Pumpleistung des Herzens (Herzinsuffizienz). Zusätzlich zu den lebensbedrohlichen Störungen der Herzfunktion kommt es klinisch meist (jedoch nicht immer) zu starken retrosternalen Schmerzen, die in Hals, Schulter, linken (teilweise auch in den rechten) Arm bis in die Fingerspitzen ausstrahlen können. Nach etwa 20 Minuten Anoxie tritt irreversible Schädigung des Herzens auf. Allerdings kann die Schädigung durch Abkühlung erheblich hinausgezögert werden.
3.3.2
Energieumsatz
! Der Energiebedarf des Herzens ist hoch. Er wird normalerweise durch oxidativen Abbau von Fettsäuren, Laktat und Glukose gedeckt
Energiebedarf. Das Herz beansprucht in Ruhe etwa 10 % vom Sauerstoffverbrauch des Körpers, bei einem Gewicht von weniger als 1% des Körpergewichtes. Es deckt seinen Energiebedarf zu über 90% durch oxidative Verbrennung von freien Fettsäuren, Laktat und Glukose. In Ruhe werden die drei Substrate zu etwa gleichen Anteilen verbrannt. Der Abbau von Ketonkörpern, Pyruvat und Aminosäuren trägt weniger als 10% zur Energiegewinnung bei. Bei schwerer körperlicher Arbeit nimmt durch die anaerobe Glykolyse in der Muskulatur die Laktatkonzentration im Blut zu und das Herz bezieht einen größeren Anteil der Energieversorgung aus der Verbrennung von Laktat. ! Bei Sauerstoffmangel ist das Herz auf anaerobe Glykolyse angewiesen
O2-Mangel. Die Deckung des Energiebedarfes durch oxida-
tive Verbrennung erfordert hinreichende Durchblutung mit oxygeniertem Blut. Da die O2-Ausschöpfung des Blutes im Herzgewebe bereits normalerweise 70% beträgt, ist ein gesteigerter Bedarf nur durch Steigerung der Durchblutung erzielbar. Übersteigt der O2-Bedarf das Angebot, muss das Herz, wie andere Gewebe, seine Energie durch anaeroben Abbau von Glukose zu Laktat gewinnen. Die Energieausbeute ist jedoch mit 2 ATP pro Molekül Glukose gering und es entsteht Milchsäure. Laktatumkehr. Normalerweise führt der oxidative Laktatabbau zu einem Laktatverbrauch im Herzmuskel, d. h. die Laktatkonzentration ist im venösen Koronarsinus geringer als in den Koronararterien. Bei O2-Mangel führt die anaerobe Glykolyse zur Bildung von Laktat und die venöse steigt über die arterielle Laktatkonzentration. Diese Laktatumkehr ist ein Zeichen für Mangelversorgung des Herzmuskels mit Sauerstoff.
67 3.4 · Steuerung der Herztätigkeit
In Kürze
Ernährung des Herzens Koronardurchblutung 4 Das Herz wird über Koronargefäße durchblutet 4 geringe Durchblutung endokardial im linken Ventrikel während der Systole 4 Sauerstoffausschöpfung im Koronarblut bereits in Ruhe ≈70% und kaum steigerbar 4 Koronardurchblutung ist autoreguliert 4 Koronargefäße werden über β2-Rezeptoren dilatiert, über α-Rezeptoren konstringiert 4 Koronargefäße dilatieren bei O2-Mangel, CO2-Überschuss, pH-Abfall, Freisetzung von Adenosin, NO, EDHF und Prostaglandinen.
3.4
Steuerung der Herztätigkeit
3.4.1
Frank-Starling-Mechanismus
! Vorlast und Nachlast beeinflussen das Schlagvolumen des Herzens
Einfluss der Vorlast (preload). Bei größerer Vorlast werden
die Ventrikel stärker gefüllt und damit stärker gedehnt. Dadurch steigen Herzkraft und Schlagvolumen (Frank-Starling-Mechanismus). Auf diese Weise nimmt das Schlagvolumen zum Beispiel beim Übergang vom Stehen zum Liegen oder bei tiefer Inspiration (s. u.) zu. Der Frank-StarlingMechanismus stellt ferner sicher, dass die Schlagvolumen der rechten und linken Kammer sich angleichen. Wirft der linke Ventrikel etwas weniger Blut aus als der rechte Ventrikel, steigen Füllungsdruck, enddiastolisches Volumen und damit das Schlagvolumen des linken Ventrikels bis zum Erreichen des rechtsventrikulären Schlagvolumens. Diese Anpassung erfolgt auch dann, wenn einer der beiden Ventrikel einer stärkeren Belastung ausgesetzt wird. Der Frank-Starling-Mechanismus gewährleistet gleiche Förderleistung der beiden Ventrikel auch in Abwesenheit von nervaler Kontrolle, wie etwa beim denervierten Herzen. Einfluss der Nachlast (afterload). Steigt etwa der Blutdruck
im Körperkreislauf, dann nimmt zunächst das Schlagvolumen des linken Ventrikels ab (wie etwa eine Verengung peripherer Gefäße). Das im linken Ventrikel vermehrt zu-
4 Koronardurchblutung kann auf das 5-fache gesteigert werden 4 Koronarreserve entsteht durch Absinken des diastolischen Koronararterienwiderstandes 4 Mangeldurchblutung des Herzmuskels o Angina pectoris und Herzinfarkt (Schmerzen, Störungen Erregungsbildung, –weiterleitung und Kontraktion) Energieumsatz 4 Energiegewinnung Herz > 90% durch oxidative Verbrennung freier Fettsäuren, Laktat, Glukose 4 O2-Mangel o anaerobe Glykolyse o Laktatbildung (Laktatumkehr)
rückbleibende Restvolumen führt bei anhaltendem venösem Zustrom (gleichbleibende Auswurfleistung des rechten Ventrikels) zu einer Zunahme des enddiastolischen Volumens, bis der linke Ventrikel wieder sein ursprüngliches Schlagvolumen erreicht hat. ! Atmung und Orthostase beeinflussen Füllung und Schlagvolumen des rechten Ventrikels
Orthostase. Beim Übergang vom Liegen zum Stehen
nimmt der Rückstrom des Blutes aus den unteren Körperanteilen ab, das Blut »versackt« in den Beinen. Folge ist eine Abnahme des Druckes im rechten Vorhof und damit von Füllung und Schlagvolumen des rechten Herzens. In der Folge sinkt der Druck im linken Vorhof sowie Füllung und Schlagvolumen der linken Kammer. Die Abnahme des Herzminutenvolumens führt zum Blutdruckabfall (Schwindelgefühl durch Mangeldurchblutung des Gehirns), wenn nicht durch die Kreislaufregulation gegengesteuert wird (7 Kap. 4.2.1). Einfluss der Atmung. Die Füllung des rechten Vorhofes
wird durch die Atmung beeinflusst, die Abnahme des intrathorakalen Druckes während der Inspiration schafft ein Druckgefälle gegenüber den extrathorakalen Gefäßen und begünstigt auf diese Weise den Rückstrom von Blut in den rechten Vorhof. Reflektorisch steigt dadurch die Pulsfrequenz bei Inspiration (o respiratorische Arrhythmie).
3
68
Kapitel 3 · Herz
3.4.2
Herznerven
! Die Funktion des Herzens steht unter der Kontrolle des vegetativen Nervensystems
Vegetatives Nervensystem. Die Automatie ermöglicht eine
3
hinreichende Funktion des Herzens auch ohne Steuerung durch Herznerven oder Hormone. Zudem gewährleistet der Frank-Starling-Mechanismus die Angleichung der Förderleistung beider Herzkammern. Die Anpassung der Herzleistung an den jeweiligen Bedarf des Organismus erfordert eine Steuerung durch das vegetative Nervensystem. Dies geschieht zum einen durch Adrenalin aus dem Nebennierenmark, zum anderen durch Nerven des Sympathikus und Parasympathikus. In Ruhe überwiegt die Wirkung des Parasympathikus, bei Aktivierung die des Sympathikus. Sympathikus. Der Sympathikus (Noradrenalin, Adrenalin)
aktiviert über β1-Rezeptoren und das stimulierende G-Protein GS die Adenylatzyklase, die daraufhin vermehrt cAMP produziert. Folge ist eine Stimulation der Ca2+-Kanäle sowie der depolarisierenden HCN-Kanäle (If ) und damit eine Steigerung der Frequenz des Sinusknotens (positiv chronotrope Wirkung) und der Leitungsgeschwindigkeit im AV-Knoten (positiv dromotrope Wirkung). Über den vermehrten Ca2+-Einstrom steigert der Sympathikus die Herzkraft (positiv inotrop). Der Sympathikus (bzw. cAMP) fördert darüber hinaus über Phosphorylierung eines Regulatorproteins (Phospholamban) die Ca2+-Aufnahme in die Speicher. Damit wird die Erschlaffung schneller eingeleitet und bei der nächsten Kontraktion mehr Ca2+ freigesetzt. Unter dem Einfluss des Sympathikus verschiebt sich die Kurve der Unterstützungsmaxima nach links und wird steiler. Damit werden bei gleicher Ventrikelvordehnung mehr Volumen und ein größerer Druck erzielt.
Hemmung der Noradrenalinausschüttung negativ inotrop. Weil die Herzfrequenz niedriger ist und damit die Abstände zwischen den Aktionspotenzialen größer werden, kann zwischen den Aktionspotenzialen mehr Ca2+ aus der Zelle gepumpt werden. Die intrazellulären Speicher leeren sich und es kommt zur negativen Frequenzinotropie. ! Das Herz wird auch von viszeralen afferenten Fasern versorgt
Spinale Afferenzen. Afferente Fasern von Spinalganglien-
neuronen verzweigen sich in den Gefäßen und subendokardial. Sie sind vor allem für die Schmerzempfindung bei Ischämie bedeutsam. Vagus. Afferente Fasern des Nervus vagus informieren über den Dehnungszustand von Vorhöfen und Kammern und dienen der Regulation des Kreislaufes (7 Kap. 4.2.2).
3.4.3
Funktionsabhängige Anpassung
! Nerven und Hormone erlauben die akute funktionelle Anpassung der Herzleistung an den Bedarf
Vegetatives Nervensystem. Aktivierung des Sympathikus
steigert, Aktivierung des Vagus mindert die Förderleistung des Herzens (7 Kap. 3.4.2). Das vegetative Nervensystems gewährleistet unter anderem über Steuerung der Herztätigkeit die Aufrechterhaltung des Blutdruckes (7 Kap. 4.2.2) und schafft damit die Voraussetzung für eine hinreichende Durchblutung der Organe. Die Aktivität des vegetativen Nervensystems wird dabei durch kardiovaskuläre Reflexe unterstützt (7 Kap. 4.2.2). Schilddrüsenhormone. Die Schilddrüsenhormone T3, T4
Parasympathikus. Der Parasympathikus (N. vagus) akti-
viert über Acetylcholin und ein G-Protein bestimmte K+Kanäle (IK(ACH)) und verkürzt damit das Plateau. Über Aktivierung der K+-Kanäle verlangsamt er ferner den Anstieg des Präpotentials und setzt somit die Frequenz des Sinusknotens herab (negativ chronotrop). Im AV-Knoten verlangsamt er die Weiterleitung (negativ dromotrop). Die Wirkung des Parasympathikus auf die Herzfrequenz ist normalerweise wesentlich stärker als die des Sympathikus. Denervierung führt demnach zu einer Zunahme der Herzfrequenz. Die Wirkung des Parasymphatikus auf die Kammer ist hingegen schwach. Hier wirkt er in erster Linie über
steigern die Herzfrequenz und schaffen damit die Voraussetzung für eine Steigerung des Herzminutenvolumens. Bei gesteigerter Ausschüttung von Schilddrüsenhormonen kann u. a. Vorhofflimmern auftreten. Glukokortikoide. Glukokortikoide steigern die Herzkraft über die Ausschüttung von Katecholaminen aus dem Nierenmark. Histamin. Über H2-Rezeptoren steigert Histamin Herzfrequenz und Herzkraft, senkt jedoch gleichzeitig über H1-Rezeptoren den Blutdruck durch periphere Vasodilatation.
69 3.4 · Steuerung der Herztätigkeit
Glukagon. Supraphysiologische Konzentrationen an Glukagon steigern die Herzkraft. ! Langanhaltende Mehrbelastung führt zu struktureller Anpassung des Herzens
Sportlerherz. Bei wiederholter bzw. langanhaltender Mehrbelastung des Herzens werden die Muskelfasern länger und dicker, das Herz nimmt an Muskelmasse und Volumen zu. Das Schlagvolumen ist somit vergrößert und damit kann das Herzminutenvolumen bei Belastung in größerem Ausmaß gesteigert werden. In Ruhe wird die Herzfrequenz wegen des großen Schlagvolumens auf sehr niedrige Frequenzen gesenkt (Bradykardie). Nach LaPlace erfordert eine Zunahme des Volumens eine Steigerung der Wandspannung. Allerdings nimmt beim Sportlerherzen gleichzeitig die Wandstärke zu, sodass die Zunahme des Radius kompensiert wird. Limitierend wird freilich die Blutversorgung der Muskulatur. ! Bei Herzinsuffizienz ist das Herz nicht mehr in der Lage, seine Pumpfunktion zu erfüllen
Herzinsuffizienz. Eine Vielzahl von Ursachen können die
elektrischen und mechanischen Eigenschaften des Herz-
muskels in einer Weise verändern, dass er nicht mehr hinreichend Blut in den Kreislauf auswerfen kann. Die Abnahme der Herzkraft senkt das Schlagvolumen. Das nicht ausgeworfene Volumen addiert sich zum Volumen, das während der Diastole in den linken Ventrikel strömt. Die verstärkte Füllung und Dehnung des Herzens steigert einerseits wieder das Schlagvolumen (. Abb. 3.14), andererseits ist dazu eine größere Wandspannung erforderlich (. Abb. 3.15). Dekompensation. Kann der Ventrikel die Wandspannung nicht mehr aufbringen, dann dekompensiert das Herz. Das enddiastolische Volumen steigt weiter an. Nachdem die Wandspannung durch den insuffizienten Herzmuskel nicht gesteigert werden kann, folgt eine weitere Minderung des Schlagvolumens, eine weitere Steigerung des Restvolumens und weitere Dilatation des Herzens. Bei myokardialer Herzinsuffizienz unterscheidet man eine Mangelinsuffizienz (unzureichende Energiezufuhr) von einer Utilisationsinsuffizienz (mangelhafte Kontraktilität trotz hinreichender Energieversorgung). Bei Utilisationsinsuffizienz kann Stimulation (beispielsweise mit Digitalis) des Herzmuskels Besserung erzielen, bei Mangelinsuffizienz führt sie zur Katastrophe.
In Kürze
Steuerung der Herztätigkeit 4 Frank-Starling-Mechanismus: Anpassung von Schlagvolumen an Vorlast und Nachlast 4 Orthostase: Aufstehen o Herzfüllung o Schlagvolumen rechter Ventrikel 4 Inspiration o Blut-Rückstrom n o Füllung rechtes Herz n o Pulsanstieg 4 Sympathikus (Noradrenalin, Adrenalin) o β1-Rezeptoren o cAMP o Ca2+-Kanäle o positiv chronotrop, dromotrop, und inotrop 4 Parasympathikus (Acetylcholin) o G-Proteine o K+Kanäle o negativ chronotrop, dromotrop und frequenzinotrop 4 Afferente Fasern informieren über Dehnung und Schmerzen
Funktionsabhängige Anpassung 4 Schilddrüsenhormone o Herzfrequenz 4 Glukokortikoide, Histamin und Glukagon o Herzkraft 4 Sportlerherz o Hypertrophie und Bradykardie 4 Herzinsuffizienz: Schlagvolumen p o enddiastolisches Volumen n o Dilatation o Fähigkeit zur Druckentwicklung p o Circulus vitiosus 4 Mangelinsuffizienz entsteht durch unzureichende Energiezufuhr 4 Utilisationsinsuffizienz = Abnahme Kontraktilität trotz hinreichender Energieversorgung
3
4
4 Kreislauf 4.1
Allgemeine Grundlagen – 72
4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.1.4 4.1.5 4.1.6 4.1.7
Physikalische Gesetzmäßigkeiten – 72 Funktionelle Gefäßabschnitte – 73 Druck – 75 Strömung – 76 Strömungswiderstand – 77 Blutvolumen – 77 Stoffaustausch – 78
4.2
Hochdrucksystem
4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4
Blutdruckregulation – 81 Störungen der Blutdruckregulation – 85 Kardiovaskulärer Schock – 86 Blutdruckmessung – 86
4.3
Niederdrucksystem
– 81
– 88
4.3.1 Bestandteile, Volumen und Druckwerte des Niederdrucksystems 4.3.2 Zentraler Venendruck – 88
4.4
Organdurchblutung
– 89
4.4.1 4.4.2 4.4.3 4.4.4 4.4.5 4.4.6 4.4.7 4.4.8 4.4.9
Grundmechanismen – 89 Lunge – 93 Gehirn – 93 Niere – 93 Haut – 94 Herz – 94 Skelettmuskel – 94 Splanchnikusgebiet – 94 Durchblutungsmessung – 95
4.5
Fetaler und plazentarer Kreislauf
– 96
4.5.1 Blutströmung in Plazenta und fetalem Kreislauf – 96 4.5.2 Kreislaufumstellung nach der Geburt – 97
4.6
Ischämie
– 97
4.6.1 Ischämiefolgen – 97 4.6.2 Wiederbelebungszeit – 98
– 88
72
Kapitel 4 · Kreislauf
> > Einleitung
4
Aufgabe des Kreislaufes ist der Transport des Blutes und mit ihm der Transport von O2, CO2, Substraten, Hormonen, Wärme, etc. Das Blut wird vom Herzen durch den Kreislauf gepumpt. Das mit O2 angereicherte Blut aus der Lunge gelangt von der linken Kammer des Herzens über Aorta, Arterien und Arteriolen zu den Kapillaren, in denen ein Stoffaustausch des Blutes mit dem jeweiligen Gewebe stattfindet. Über Venolen, Venen, Vena cava superior und inferior erreicht das Blut dann den rechten Vorhof des Herzens. Von der rechten Kammer wird das Blut dann über Pulmonalarterien und Pulmonalarteriolen zu den Lungenkapillaren und von dort über Pulmonalvenolen und Pulmonalvenen wieder zum linken Vorhof des Herzens geleitet.
4.1
Allgemeine Grundlagen
4.1.1
Physikalische Gesetzmäßigkeiten
! Die Strömstärke in Gefäßen ist eine Funktion von Druckgradient und Widerstand. Der Widerstand ist v. a. eine Funktion des Gefäßradius
Ohm-Gesetz der Hämodynamik. Treibende Kraft für die Strömung des Blutes ist ein Druckgradient. Vereinfacht ist die Stromstärke (I = Volumen/Zeit) proportional dem Druckgradienten (ΔP), d. h. der Differenz des Druckes zwischen Beginn und Ende eines Gefäßabschnittes:
I = ΔP/ R R ist dabei der Widerstand des Gefäßabschnittes. Bei hintereinander liegenden Gefäßabschnitten addieren sich die Widerstände der einzelnen Abschnitte zum Gesamtwiderstand des Gefäßes (Rges = R1 + R2 + R3 …). Je mehr Gefäßabschnitte hintereinander geschaltet sind, je länger das Gefäß also ist, desto größer ist der Widerstand des Gefäßes. Bei parallel geschalteten Gefäßabschnitten addieren sich die Stromstärken der einzelnen Abschnitte zur Gesamtstromstärke des Gefäßgebietes (Iges = I1 + I2 + I3 …) und es addieren sich somit die Kehrwerte der Einzelwiderstände zum Kehrwert des Gesamtwiderstandes (1/Rges = 1/ (R1 + 1/R2 + 1/R3 …). Je mehr Gefäßabschnitte parallel geschalten sind, desto geringer ist somit der Widerstand des Gefäßgebietes.
Hagen-Poiseuille-Gesetz. Der Gefäßwiderstand ist das Er-
gebnis der Reibung zwischen strömendem Blut und Gefäßwand einerseits und zwischen verschieden schnell strömenden Blutanteilen andererseits (. Abb. 4.1). Bei laminarer Strömung fließt das Blut im Zentrum am schnellsten, während das der Wand anliegende Blut durch die Gefäßwand am meisten gebremst wird. Nach dem Gesetz von Hagen-Poiseuille ist der Widerstand eine Funktion des Radius (r) und der Länge (l) des Gefäßes, nimmt aber auch mit der Zähflüssigkeit bzw. Viskosität (η) des Blutes zu: R = (8 · η · l) / (π · r 4 ) Den weitaus größten Einfluss auf den Widerstand übt der Gefäßradius aus. Bei geringem Gefäßradius spielt der bremsende Einfluss der Gefäßwand verständlicherweise eine sehr viel größere Rolle als bei einem weiten Gefäß. Nimmt der Radius eines Gefäßes beispielsweise auf die Hälfte ab, so steigt der Widerstand auf das 16-fache. Bei einem Radius von einem Drittel steigt der Widerstand auf das 81-fache. Das Hagen-PoiseuilleGesetz gilt streng genommen nur für gleichmäßige, laminare Strömung einer homogenen Flüssigkeit. Keine der Bedingungen trifft im Kreislauf vollständig zu. Die Gleichung erlaubt daher nur eine Schätzung des Widerstandes.
! Blut ist keine homogene Flüssigkeit und die Strömung ist pulsierend. Dadurch werden Widerstand und Blutströmung beeinflusst
Fåhraeus-Lindqvist-Effekt. Das Blut besteht aus Plasma und korpuskulären Elementen (v. a. Erythrozyten). Die Viskosität des Blutes nimmt mit seinem Anteil an korpuskulären Bestandteilen bzw. dem Hämatokrit zu, sie ist nora
b
. Abb. 4.1. Laminare (a) und turbulente (b) Strömung in einem Gefäß (nach Busse aus Schmidt et al.)
73 4.1 · Allgemeine Grundlage
malerweise etwa viermal so groß wie die von Blutplasma. Da die Erythrozyten sich bei geringen Scherkräften zu größeren Klumpen aneinanderlagern, nimmt die Viskosität bei geringer Strömungsgeschwindigkeit weiter zu. Umgekehrt werden bei sehr geringen Gefäßdurchmessern (ca. 10 µm) die Erythrozyten in die Mitte gedrängt, axial ausgerichtet und passieren so »im Gänsemarsch« das enge Gefäß, jeweils durch eine dünne Plasmaschicht von der Gefäßwand getrennt. Die Viskosität wird dabei im Wesentlichen durch die Plasmaschicht diktiert und die Blutviskosität nimmt fast bis auf Plasmawerte ab.
Elastizitätsmodul. Die Compliance ist der Kehrwert des
Elastizitätskoeffizienten (E´ = 1/C). Die Druckänderung bei relativer Volumenänderung wird durch den VolumenElastizitätsmodul (κ = ΔP · V/ΔV) beschrieben. Ausbreitung der Pulswelle. Wird Blut aus dem Herzen aus-
geworfen, dann bildet sich eine Druckwelle, die sich über die folgenden Gefäßabschnitte ausbreitet. Die Ausbreitungsgeschwindigkeit (c) der Druckwelle nimmt mit steigender Rückstellkraft der gedehnten Gefäßwand (bzw. dem Elastizitätsmodul κ) zu und mit steigender Dichte des Blutes (ρ) ab:
Reynold-Zahl. Die Blutströmung ist nicht gleichmäßig,
sondern pulsierend. Dabei kann turbulente Strömung auftreten, wie etwa am Anfang des Aortenbogens während der Austreibungsphase. Durch Wirbelbildung geht Energie verloren und der Widerstand ist größer, als der mit dem Hagen-Poiseuille-Gesetz errechnete Wert. Mit turbulenter Strömung muss gerechnet werden, wenn die Reynold-Zahl (Re) einen Wert von etwa 2000 überschreitet. Re errechnet sich aus dem Gefäßradius (r), der Strömungsgeschwindigkeit (v = I / π · r 2 ), der Dichte (ρ) und der Viskosität (η) des Blutes: Re = 2 · r · v · (ρ/η) Nachdem bei Abnahme des Hämatokrit die Dichte des Blutes weniger schnell abnimmt als die Viskosität, begünstigt eine Anämie das Auftreten von turbulenter Strömung. Ferner treten bei Engstellen Turbulenzen auf, da dort die Strömungsgeschwindigkeit besonders hohe Werte erreicht.
c = √κ/ρ Die Pulswellengeschwindigkeit ist sehr viel schneller als die Strömung des Blutes. Sie erreicht etwa 5 m/s in der Aorta und nimmt zur Peripherie zu, da die kleineren Gefäße ein größeres Elastizitätsmodul aufweisen (A. femoralis 7 m/s, A. tibialis 9 1 0 m/s). Mit stärkerer Dehnung der Aorta nimmt die Steifigkeit bzw. das Elastizitätsmodul und damit die Pulswellengeschwindigkeit zu. Die Spitze einer Pulswelle (starke Dehnung) wandert somit schneller als die Basis (geringere Dehnung) und die Pulswelle wird auf diese Weise steiler.
4.1.2
Funktionelle Gefäßabschnitte
! Das Blutvolumen verteilt sich auf das Hochdruck- und Niederdrucksystem.
Hochdrucksystem. Zum Hochdrucksystem gehören die ! Die Elastizität der Gefäßwand beeinflusst die Dehnung und die Ausbreitung der Pulswellen
linke Herzkammer während der Systole, die Aorta und die folgenden Arterien und Arteriolen.
Compliance. Die pulsierende Blutströmung führt dazu,
Niederdrucksystem. Das Niederdrucksystem umfasst die
dass der Druck in einem Gefäßabschnitt rhythmischen Schwankungen unterworfen ist. Mit zunehmendem Druckgradient über die Gefäßwand (ΔP) nimmt der jeweilige Gefäßabschnitt zusätzlich Volumen auf (ΔV), die Gefäßwand wird gedehnt. Dieser Dehnung setzt sie einen elastischen Widerstand entgegen. Die Dehnbarkeit (Compliance, C) des jeweiligen Gefäßes entscheidet darüber, wieviel Volumen (ΔV) bei einer Änderung des transmuralen Druckes (ΔP) aufgenommen wird:
Venen, das rechte Herz, die Lungengefäße, den linken Vorhof und die linke Kammer während der Diastole.
C = ΔV/ΔP
Verteilung des Blutvolumens. Im Niederdrucksystem be-
finden sich normalerweise etwa 85 % des Blutvolumens von etwa 5–6 Litern. Steigert man das Blutvolumen etwa durch Transfusion von Blut, dann vergrößert sich vorwiegend das Volumen des Niederdrucksystems, da die Venen eine etwa 200-fach größere Dehnbarkeit (Compliance) aufweisen als die Arterien. Umgekehrt mindert ein Verlust von einem Liter Blut fast ausschließlich das Volumen des Niederdruck-
4
74
Kapitel 4 · Kreislauf
systems, während das Hochdrucksystem nur um etwa 5 ml abnimmt. ! Aorta und große Arterien dienen als Druckspeicher, in den Arteriolen ist der Widerstand am größten
4
Die Aorta als Windkessel. Das von der Aorta während der Systole durch Dehnung gespeicherte Blutvolumen wird während der Diastole weitergeleitet. Auf diese Weise wird letztlich erreicht, dass die Strömung in den Kapillaren und damit die Versorgung des Gewebes mit O2 und Nährstoffen einigermaßen gleichmäßig sind. Die Dehnbarkeit der Aorta wurde mit einem Windkessel verglichen, der bei Feuerwehrpumpen einen kontinuierlichen Wasserstrom gewährleistet. Wäre die Aorta ein starres Rohr, müsste das Herz während der Systole die gesamte in der Aorta befindliche Blutmenge auf einmal beschleunigen, wozu erhebliche zusätzliche Energie benötigt würde. Durch die Windkesselfunktion der Aorta ist die erforderliche Beschleunigungsarbeit des Herzens bei jüngeren Probanden in Ruhe unerheblich. Die Stromstärke ist trotz der Windkesselfunktion der Aorta vor allem in den großen Arterien erheblichen Schwankungen unterworfen. Wie in . Abb. 4.4 dargestellt wird, kann es in diesen Gefäßen sogar zu einer frühdiastolischen Strömungsumkehr kommen, da das ausgeworfene Blut z. T. an den Widerstandsgefäßen reflektiert wird. Herabgesetzte Windkesselfunktion im Alter. Bei Abnahme der Compliance der Aorta (etwa im Alter) steigt der Druck während der Systole steiler an und fällt während der Diastole steiler ab. Da das Herz Blut gegen den erhöhten systolischen Druck auswerfen und vermehrt Beschleunigungsarbeit leisten muss, bedeutet eine Abnahme der Compliance der Aorta eine Belastung des Herzens. Gefäßwiderstand in den Arteriolen. Die Arteriolen weisen den größten Widerstand im Gefäßsystem auf. Entsprechend ist der Druckabfall in den Arteriolen am größten (. Abb. 4.2). Über Änderungen des Widerstandes einzelner Arteriolen kann die Organdurchblutung reguliert werden, über Widerstandsänderungen aller Arteriolen der Blutdruck. ! In den Kapillaren findet der Stoffaustausch statt, Venolen und Venen sind Kapazitätsgefäße, der Rückfluss des Blutes wird durch Venenklappen gefördert
Kapillaren. Kapillaren dienen dem Stoffaustausch
(7 Kap. 4.1.7). Wegen der Vielzahl parallel geschalteter Kapillaren ist die Strömungsgeschwindigkeit in den Kapillaren
. Abb. 4.2. Mittlerer Druck (rot), Strömungsgeschwindigkeiten (grün) und Gesamtquerschnitt (blau) in verschiedenen Gefäßabschnitten (nach Busse aus Schmidt et al.)
gering (. Abb. 4.2) und die Kontaktzeit des Blutes mit dem Gewebe relativ groß. Venolen und Venen. Ein Großteil des Blutvolumens ist in den Venolen und Venen gespeichert (Kapazitätsgefäße). Das Blutvolumen in den peripheren Venolen und Venen bestimmt den zentralen Venendruck und damit den Füllungsdruck des rechten Herzens. Das Volumen der Pulmonalvenen bestimmt den Füllungsdruck des linken Herzens. Eine Kontraktion der Venolen und Venen kann bei Blutverlusten einen Abfall des zentralen Venendrucks verhindern. Funktion der Venenklappen. Für die Rückkehr des Blutes aus den Beinen zum Herzen fehlt vor allem im Stehen der erforderliche Druckgradient und das Blut würde in den Beinen versacken, würde der Transport des Blutes zum Herzen nicht durch Venenklappen in den kleinen und mittleren Venen der unteren Körperhälfte begünstigt werden. Diese Klappen können nur in Richtung Herz passiert werden und verhindern ein Zurückweichen des Blutes in Richtung Peripherie. Durch Aktivität der Skelettmuskulatur in den Beinen wird das Blut herzwärts getrieben: Die Tätigkeit der Muskeln führt abwechselnd zu Kompression und Dilatation der von ihnen umschlossenen Gefäße. Bei Kompres-
75 4.1 · Allgemeine Grundlage
Blut in die Peripherie und Blut wird aus dem Bauchraum in den Thorax befördert. Dabei ist im Übrigen ein nicht unwesentlicher Widerstand beim Durchtritt der Vena cava inferior durch das Zwerchfell zu überwinden. Bei Exspiration steigt umgekehrt der Druck im Thorax und der Druck im Bauchraum sinkt. Dabei wird der Transport von Blut aus den Beinen in den Bauchraum begünstigt. Pressversuch nach Valsalva. Wird nach Inspiration und
. Abb. 4.3. Funktion der Muskelpumpe. Links: Erschlaffte Muskulatur, alle Venenklappen sind geschlossen. Mitte: Kompression der tiefen Venen durch Muskelkontraktion, das Blut entweicht durch die proximale Venenklappe in Richtung Herz. Rechts: Erschlaffung der Muskulatur, durch die Dehnung der tiefen Vene entsteht ein Unterdruck, der Blut aus der Peripherie (Öffnen der distalen Klappe) und über die Venae perforantes aus der oberflächlichen Vene ansaugt
sion wird das Blut in Richtung Herz weitergepresst, bei Dilatation Blut aus der Peripherie angesogen (. Abb. 4.3). Beim tatenlosen Stehen fehlt die Tätigkeit der Beinmuskulatur und das Blut staut sich in den Beinen. Dagegen wird das Blut beim Gehen durch die rhythmische Kontraktion der Beinmuskulatur nach oben gepumpt. Bei defekten Klappen funktioniert die Muskelpumpe nicht und das Blut staut sich auch beim Gehen. ! Saugpumpenwirkung des Herzens sowie Atmung fördern den Rückstrom venösen Blutes zum Herzen
Saugpumpenfunktion des Herzens. Die Rückkehr des Blutes zum Herzen wird ferner durch einen Unterdruck gefördert, den die Aktion des rechten Herzens erzeugt. Bei Kontraktion des Herzens verschiebt sich die Trikuspidalklappe nach unten und senkt auf diese Weise den Druck im rechten Vorhof (7 Kap. 3.2.3). Ferner sinkt der Druck im Vorhof bei Öffnung der Trikuspidalklappe und Erschlaffung des rechten Ventrikels. Dabei wird jeweils Blut aus der Peripherie angesogen. Durch die Herzaktionen entstehen entsprechende Druckschwankungen in den zentralen Venen (. Abb. 3.13). Bedeutung der Atmung für den venösen Rückfluss. Einen
wechselnden Druckgradienten erzeugt auch die Atmung. Bei Einatmung nimmt der Druck im Thorax ab und durch Senkung des Zwerchfells der Druck im Bauchraum zu. Die Klappen der Beinvenen verhindern ein Zurückweichen von
unter Verschluss der Atemwege der Thorax komprimiert (Pressen), dann ist der Rückstrom zum rechten Herzen unterbrochen, rechtsventrikuläre Füllung und Schlagvolumen nehmen ab. Durch Druck auf die Pulmonalvenen steigen zunächst linksventrikuläre Füllung und Schlagvolumen, fallen dann aber wegen herabgesetzter rechtsventrikulärer Förderleistung ab. Bei Nachlassen des Pressens sinken linksventrikuläre Füllung und Schlagvolumen zunächst weiter ab und es kann zum Kreislaufkollaps kommen.
4.1.3
Druck
! Die intravasalen Druckschwankungen sind eine Funktion von Schlagvolumen, Herzfrequenz und peripherem Widerstand
Mittlerer Druck. Entsprechend den jeweiligen Widerständen fällt der mittlere Druck (≈diastolischer Blutdruck und ein Drittel der Blutdruckamplitude) vor allem in den terminalen Arterien und den Arteriolen steil ab. Wegen des hohen Widerstandes dieser Gefäßabschnitte muss der Druckgradient entsprechend groß sein, um das HZV durch diese Gefäßabschnitte zu treiben (. Abb. 4.2). Druckschwankungen. Druck und Strömungsgeschwindig-
keit in einem bestimmten Gefäßabschnitt sind erheblichen zeitlichen Schwankungen unterworfen. Während der Systole wirft die linke Herzkammer Blut aus und erzeugt damit einen Druckanstieg in der Aorta. Gegen Ende der Systole nimmt der Druck in der linken Herzkammer wieder ab und die Umkehr des Druckgradienten zwischen Kammer und Aorta schließt die Aortenklappe. Dabei fließt kurzfristig etwas Blut zurück und der Druck sinkt geringfügig ab. Folge ist eine Inzisur in der Druckkurve der Aorta (. Abb. 4.4). Während der Diastole sinkt der Druck in der Aorta allmählich ab, da Blut in die Peripherie abfließt, ohne dass weiteres Blut in die Aorta gepumpt wird. Mit Beginn der nächsten Systole steigt der Druck in der Aorta erneut an.
4
76
Kapitel 4 · Kreislauf
den intrazerebralen Venen kann Unterdruck herrschen. Die intrathorakalen Venen sind normalerweise von einem negativen Druck umgeben (7 Kap. 5.4.1) und kollabieren daher nicht. Luftembolien. Bei Eröffnung von Venen mit subatmosphä-
4 . Abb. 4.4. Druck- und Strömungsverläufe in (von links nach rechts) Aorta ascendens, Aorta thoracica, Aorta abdominalis, Arteria femoralis und Arteria tibialis (nach Busse aus Schmidt et al.)
Der maximale, während der Systole erreichte Druck wird als systolischer Blutdruck, der geringste Druck während der Diastole als diastolischer Blutdruck, die Differenz zwischen systolischem und diastolischem Blutdruck als Blutdruckamplitude bezeichnet. Blutdruckamplitude. Das Ausmaß der Drucksteigerung während der Systole bzw. die Blutdruckamplitude hängt vom Schlagvolumen des Herzens einerseits und der Compliance der Aorta andererseits ab. Geringes Schlagvolumen und große Compliance der Aorta mindern die Blutdruckamplitude. Die vom Herzen ausgehende Druckwelle breitet sich schnell über die Aorta aus, wird teilweise in den Widerstandsgefäßen reflektiert, kehrt Richtung Herz zurück und wird an der geschlossenen Aortenklappe erneut reflektiert. Auf diese Weise entstehen weitere Druckschwankungen. Dabei addieren sich die peripherwärts laufenden Druckwellen zu den herzwärts laufenden reflektierten Druckwellen. Die Blutdruckamplitude nimmt in Richtung peripherer Arterien allmählich zu (. Abb. 4.4), u. a. weil das Blut durch den peripheren Widerstand gebremst wird und dabei die kinetische Energie des Blutes in Druck umgewandelt wird und weil die Spitze der Druckwelle schneller wandert als die Basis (7 Kap. 4.1).
rischem Druck (z. B. Legen eines Katheters) kann Luft angesaugt werden. Die Luft wird verschleppt und bleibt im nächsten Kapillarbett (d. h. in der Lunge) hängen. Die Luftblasen können wegen der Adhäsionskraft des Wassers das Blut nicht aus den engen Kapillaren verdrängen, sie bleiben vor den Kapillaren hängen und lösen durch Verstopfen der Gefäße eine oft tödliche Luftembolie aus. ! Im kleinen Kreislauf sind Druckwerte und Widerstände niederer als im großen Kreislauf
Druckverlauf und Strömung im Pulmonalkreislauf. Die
Druckschwankungen in der Pulmonalarterie entsprechen qualitativ den Druckschwankungen in der Aorta. Der vom rechten Ventrikel erzeugte Druck liegt jedoch normalerweise bei 20–25 mmHg systolisch und bei 14 mmHg diastolisch und ist damit deutlich niedriger als die entsprechenden Druckwerte des Körperkreislaufs. Der Druckgradient zum linken Vorhof mit einem mittleren Druck von etwas unter 6 mmHg ist daher ausgesprochen gering. Pulmonalgefäßwiderstand. Die Gefäße des Pulmonal-
kreislaufes sind wesentlich dünnwandiger und kürzer als die entsprechenden Gefäße des Körperkreislaufes und der Gesamtwiderstand des Pulmonalkreislaufes ist etwa 10 % des Körperkreislaufes. Der Druck in den Kapillaren liegt im Mittel bei etwa 7 mmHg.
4.1.4
Strömung
! Die Strömungsgeschwindigkeit ist eine Funktion der Gesamtquerschnittsfläche eines Gefäßabschnittes
Stromstärke. Das vom Herzen pro Zeiteinheit ausgeworfe! In Venen kann der intravasale Druck unter den atmosphärischen Druck sinken. Bei Eröffnung der Gefäße droht Luftembolie
ne Blutvolumen (Herzzeitvolumen, HZV) muss alle Gefäßabschnitte passieren, also Aorta, Arterien, Arteriolen, Kapillaren, Venolen und Venen. Die Stromstärke ist also in allen Gefäßabschnitten gleich.
Venöser Unterdruck. Vor allem im aufrechten Sitzen und/
oder bei Mangel an Blutvolumen herrscht in den Halsvenen ein Unterdruck, der die Venen kollabieren lässt. Auch in
Strömungsgeschwindigkeit. Die Strömungsgeschwindig-
keit (v) hängt vom Gesamtquerschnitt (Q) des jeweiligen
77 4.1 · Allgemeine Grundlage
Gefäßabschnittes ab, also vom Produkt der Zahl parallel geschalteter Gefäße (z) und dem Querschnitt des Einzelgefäßes (q): v = HZV/Q = HZV/(z · q) Die mittlere Strömungsgeschwindigkeit ist in der Aorta am größten (ca. 20 cm/sec). Wegen der zunehmenden Aufzweigung der Gefäße und der Zunahme des Gesamtquerschnittes der vielen parallel geschalteten Gefäße (bei Abnahme des Einzelgefäßquerschnittes) nimmt die mittlere Strömungsgeschwindigkeit bis zu den Kapillaren massiv ab. In den postkapillären Venolen erreicht der Gesamtquerschnitt sein Maximum und sinkt über die Venen und die Venae cavae wieder ab. Entsprechend nimmt die mittlere Strömungsgeschwindigkeit wieder zu (. Abb. 4.2).
4.1.5
Strömungswiderstand
! Der Strömungswiderstand ist in den Arteriolen am größten. Kapillarsphinkter können die Durchblutung einzelner Kapillaren drosseln
Widerstand. Wegen des großen Durchmessers bieten die
Aorta und die großen Arterien normalerweise einen geringen Widerstand für den Blutfluss. Der Widerstand ist in terminalen Arterien und Arteriolen am höchsten. Diese Gefäßabschnitte tragen etwa zur Hälfte zum Gefäßwiderstand bei. Die Kapillaren weisen zwar einen noch kleineren Einzelgefäßdurchmesser und damit einen größeren Einzelgefäßwiderstand auf, durch die große Zahl parallel geschalteter Kapillaren ist der Gesamtwiderstand des Kapillarbettes jedoch geringer als der Widerstand in den Arteriolen. Immerhin tragen die Kapillaren etwa ein Viertel bis ein Drittel des Gesamtwiderstandes bei. Der Widerstand in Venolen und Venen ist mit weniger als einem Zehntel des Gesamtwiderstandes wiederum gering. Die terminalen Arterien und Arteriolen bezeichnet man als Widerstandsgefäße, die Venen wegen ihres großen Fassungsvermögens (s. u.) als Kapazitätsgefäße.
. Abb. 4.5. Terminale Strombahn. Arteriolen, Metarteriolen und Kapillarnetz
4.1.6
Blutvolumen
! Das Blutvolumen wirkt über den zentralen Venendruck auf das Herzminutenvolumen. Es wird durch mehrere Hormone reguliert. Es kann durch Verdünnungsmethoden gemessen werden
Bedeutung des Blutvolumens. Das Blutvolumen verteilt sich vorwiegend auf das Niederdrucksystem (7 Kap. 4.1.2). Die periphere Vasodilatation bei schwerer körperlicher Arbeit führt allerdings zu einer relativen Zunahme des Blutvolumens im Hochdrucksystem. Eine Zunahme des Blutvolumens steigert den zentralen Venendruck und damit Herzfüllung, Herzminutenvolumen und Blutdruck (. Abb. 4.6). Daher ist die Regulation des Blutvolumens Teil der Blutdruckregulation (7 Kap. 4.2.2). Regulation des Blutvolumens. Das Extrazellulärvolumen
Präkapillarsphinkter. Die Arteriolen geben Metarteriolen
ab, die jeweils ein Kapillarnetz mit Blut versorgen. Die Durchblutung des Kapillarnetzes wird durch Sphinktere geregelt, die das Blut über eine arteriovenöse Verbindung bzw. eine Hauptstrombahn auf relativ kurzem Weg oder über das Kapillarnetz in die Venen leiten (. Abb. 4.5).
und damit das Blutvolumen werden durch Salz- und Wasseraufnahme auf der einen Seite und Kochsalz- und Wasserausscheidung in der Niere auf der anderen reguliert (7 Kap. 9.1). Die Aufnahme wird durch Salzappetit und Durst den Erfordernissen angepasst, die renale Kochsalzausscheidung (u. a. Aldosteron, natriuretisches Hormon)
4
78
Kapitel 4 · Kreislauf
˙ O2 und die Konzentration von O2 im stimmt man also M venösen (CO2,v) und arterialisierten (CO2,a) Mischblut, dann lässt sich das pro Minute durch die Lunge fließende Blut (= HZV) errechnen: ˙ O2/ (CO2,a – CO2,v) HZV = M In gleicher Weise können Testgase und Indikatorsubstanzen eingesetzt werden. Bei der Thermodilutionsmethode kann in analoger Weise die Temperaturabnahme des Blutes nach Injektion eines Bolus kalter Flüssigkeit als Maß für das strömende Blutvolumen herangezogen werden.
4 . Abb. 4.6. Einfluss von zentralem Venendruck auf Herzminutenvolumen (HZV) und Rückstrom peripheren Blutes zum Herzen (nach Busse aus Schmidt et al.)
4.1.7
oder Wasserausscheidung (antidiuretisches Hormon) durch Hormone reguliert (7 Kap. 4.2.2, 7 Kap. 9.1).
! Die Wand der meisten Kapillaren ist für Wasser und kleinmolekulare Substanzen gut durchlässig, nicht aber für Makromoleküle wie Plasmaproteine
Bestimmung des Blutvolumens durch das Fick-Prinzip.
Definitionsgemäß gilt für eine Konzentration: c = M/V (Menge/Volumen). Diese Beziehung erlaubt die Bestimmung von c, M oder V, wenn die beiden anderen Größen bekannt sind. Injiziert man eine bekannte Menge eines Indikators (Mi) in ein unbekanntes Volumen (Vx) und ermittelt nach hinreichender Mischung die Konzentration des Indikators (ci), dann lässt sich das Volumen aus Mi und ci errechnen: Vx = Mi/ci Zur Bestimmung des Plasmavolumens kann Evansblau verwendet werden, ein Farbstoff, der an Plasmaproteine gebunden wird und daher im Blut verbleibt. Aus Plasmavolumen (VP) und Hämatokrit (Hkt) läßt sich dann das Blutvolumen (VB) errechnen: VB = VP/(1-Hkt) Bestimmung von Stromstärken. Im Kreislauf lassen sich in analoger Weise Stromstärken ermitteln, wenn die Menge und mittlere Konzentration einer Substanz in einem strömenden Volumen bekannt sind. Die Menge an O2, die pro ˙ O2, 7 Kap. 5.7.1), Minute in der Lunge aufgenommen wird (M ist beispielsweise für die Zunahme der O2-Konzentration (ΔCO2) im Blut, das die Lunge passiert, verantwortlich. Be-
Stoffaustausch
Diffusion über die Kapillarwand. Aufgabe der Kapillaren ist der Antransport von O2 und Substraten und der Abtransport von CO2 und Stoffwechselprodukten. Die Kapillaren sind in den meisten Geweben für Wasser, Elektrolyte und gelöste kleine Moleküle, wie Glukose und Aminosäuren, frei durchlässig. Gase und lipidlösliche Substanzen können über die Endothelzellen hinweg diffundieren, wasserlösliche Substanzen diffundieren durch die durchlässigen Spalten zwischen den Zellen (tight junctions). Für den Stofftransport steht in peripheren Kapillaren eine mittlere Verweildauer des Blutes von etwa 0,5 bis 5 Sekunden zur Verfügung. Periphere Filtration. Im Gegensatz zu kleinen Molekülen
sind die meisten Endothelien für Makromoleküle über 20 kDa weitgehend impermeabel (Reflexionskoeffizienten von 0,75 0,95). Da die Proteinkonzentration im Gewebe relativ gering ist, erzeugen die Plasmaproteine einen onkotischen Druckgradienten (Δp) von normalerweise etwa 20 mmHg, der Wasser in die Kapillaren zieht. Dem onkotischen Druckgradienten wirkt ein hydrostatischer Druckgradient entgegen, der Wasser aus den Kapillaren treibt. Der effektive Filtrationsdruck (Peff ) ist die Differenz zwischen hydrostatischem (Δp) und onkotischem (Δπ) Druckgefälle: Peff = Δp – Δπ
79 4.1 · Allgemeine Grundlage
Die Filtrationsrate (JV [ml/min]) ist eine Funktion des Peff und der hydraulischen Leitfähigkeit (Lp), d. h. der Durchlässigkeit der Kapillarwand für Wasser. JV = Lp · Peff Δp sinkt von etwa 30 mmHg zu Beginn auf unter 20 mmHg gegen Ende der Kapillare. Damit dreht sich der effektive Filtrationsdruck im Verlauf der Kapillare um (. Abb. 4.7) und der Filtration von Plasmawasser zu Beginn der Kapillare folgt eine Resorption von Gewebswasser gegen Ende der Kapillare. Im gesamten Kapillargebiet (außer den Nie-
renglomerula) werden weniger als 1 % des Plasmawassers abgepresst (etwa 20 l/Tag). Etwa 90 % davon werden wieder in die Kapillaren zurückgenommen. Zurück bleiben etwa 2 l/Tag, die über das Lymphgefäßsystem aus dem Gewebe abtransportiert werden müssen. Die einzelnen Kapillaren unterscheiden sich im Übrigen ganz erheblich in ihrem Ausmaß an Filtration und Resorption. Die überwiegende Filtration in einem Teil der Kapillaren wird dabei z. T. durch überwiegende Resorption in anderen Kapillaren ausgeglichen. Funktion der Lymphgefäße. Die Lymphgefäße enden blind
mit proteinpermeablen Öffnungen. Klappen erzwingen den gerichteten Lymphstrom zur Mündungsstelle in die Venen am Venenwinkel (Zusammenfluss von V. subclavia und V. jugularis interna). Wie bei den Venen (7 Kap. 4.1.2) wird der Lymphstrom durch Kompression und Dilatation der Gefäße während Tätigkeit der Skelettmuskulatur angetrieben. Darüber hinaus wird der Transport der Lymphe durch Kontraktion glatter Muskulatur in der Lymphgefäßwand unterstützt. Bevor die Lymphe am Venenwinkel wieder in das Blut geleitet wird, muss sie Lymphknoten passieren. Dort wird die Lymphe gereinigt und v. a. von möglichen Erregern befreit. Die Lymphknoten schwellen bei Antransport von erregerhaltiger Lymphe an. Der Abtransport von interstitieller Flüssigkeit durch die Lymphgefäße hält den interstitiellen Raum auch bei mäßig gesteigerter Nettofiltration klein. Dabei werden mit der Flüssigkeit auch filtrierte Proteine abtransportiert. Somit bleibt die interstitielle Proteinkonzentration trotz der Filtration von Proteinen niedrig. Ödeme. Erst eine massive Nettofiltration überfordert die
. Abb. 4.7. Filtration und Resorption von Flüssigkeit in der Peripherie. Die Filtration (rote Pfeile nach unten) und Resorption (blaue Pfeile nach oben) sind eine Funktion des effektiven Filtrationsdruckes, d. h. der Differenz zwischen hydrostatischer (Δp) und onkotischer (Δπ) Druckdifferenz. Normalerweise werden 90% der zu Beginn der Kapillare filtrierten Flüssigkeit gegen Ende der Kapillare wieder resorbiert. Bei gesteigertem onkotischem Druck und bei Vasokonstriktion überwiegt die Resorption, bei Vasodilatation, venösem Rückstau und herabgesetztem onkotischem Druck im Gewebe überwiegt die Filtration
Lymphgefäße und es kommt zur Ansammlung von Flüssigkeit im Interstitium. Bei einer Verdopplung des interstitiellen Raumes wird die Flüssigkeitsansammlung als Ödem erkennbar. Mögliche Ursachen sind gesteigertes hydrostatisches Druckgefälle, herabgesetztes onkotisches Druckgefälle oder ein gestörter Lymphabfluss. Bei einer Vasodilatation führt die Eröffnung der zuführenden Arteriole auch zu einer Zunahme des Filtrationsdruckes. Erfasst die Vasodilatation größere Kapillargebiete, kann es zu einer spürbaren Abnahme des Blutvolumens kommen. ! Einige Kapillaren sind auch für Proteine permeabel, andere nicht einmal für Ionen und kleinmolekulare Substanzen
Filtration in speziellen Gefäßabschnitten. Die glomeruläre Filtration in der Niere weist Besonderheiten auf
4
80
4
Kapitel 4 · Kreislauf
(7 Kap. 9.2.3), wie ein hoher und kaum abfallender hydrostatischer Druck und eine hohe hydraulische Leitfähigkeit (etwa 1000-fach). Sie wird durch Poren erzielt (fenestrierte Kapillaren). Demnach ist die Filtrationsrate hoch, und etwa 20 % des Plasmawassers werden normalerweise abfiltriert. Kapillaren mit hoher hydraulischer Leitfähigkeit werden ferner in anderen epithelialen Geweben, wie Darm, exokrinen Drüsen, Plexus choroideus und Plexus ciliare gebildet. In Leber, Milz und Knochenmark ist die Kontinuität der Kapillarwand unterbrochen. Folglich können Proteine und sogar Zellen die Kapillarwand überschreiten (diskontinuierliche Kapillaren). Blut-Hirn-Schranke. Die Endothelzellen der Hirnkapillaren bilden (außer im Hypophysenhinterlappen, in der Area postrema und im Plexus choroideus) unter dem Einfluss von Astrozyten dichte Schlussleisten (tight junctions), die keinen Durchtritt von im Blut gelösten Substanzen (Elektrolyten, Proteinen) oder Zellen zulassen (Blut-HirnSchranke oder Blut-Liquor-Schranke). Das extrazelluläre Milieu des Gehirns wird auf diese Weise vom Blut abgekoppelt, um zu verhindern, dass Nervenzellen Elektrolytschwankungen, Transmittern, Hormonen, Wachstumsfak-
toren und Immunreaktionen im Blut ausgesetzt sind. Die Versorgung des Gehirns mit Substraten wird dabei durch spezifische Transportprozesse gewährleistet (u. a. für Glukose, Aminosäuren). Pharmaka und Toxine können die Blut-Hirn-Schranke überwinden, wenn sie durch diese Transportprozesse akzeptiert werden oder eine so hohe Lipidlöslichkeit aufweisen, dass die Zellmembranen keine Diffusionsbarriere darstellen. Durchbrechen der Blut-Hirn-Schranke. Die tight junctions können unter pathologischen Bedingungen geöffnet und damit die Blut-Hirn-Schranke durchbrochen werden, wie etwa bei Hirntumoren (die keine funktionellen Astrozyten enthalten), bei Hyperosmolarität (durch Infusion hypertoner Mannitollösungen in hirnversorgende Arterien) und bei bakterieller Meningitis. Bei Neugeborenen ist die Blut-Hirn-Schranke normalerweise noch nicht dicht. Daher kann bei Hyperbilirubinämie des Neugeborenen (nicht jedoch des Erwachsenen) Bilirubin in das Gehirn eindringen und sich in Kernen des Hirnstamms ablagern (Kernikterus). Folglich kommt es zur Schädigung der Basalganglien mit Auftreten von Hyperkinesien.
In Kürze
Allgemeine Grundlagen Physikalische Gesetzmäßigkeiten 4 Ohm-Gesetz: I = ΔP/ R 4 Hintereinanderschaltung: Rges = R1 + R2 + R3 …, Parallelschaltung: 1/Rges = 1/(R1 + 1/R2 + 1/R3 …) 4 Hagen-Poiseuille-Gesetz: R = (8 · η · l) / (π · r 4 ) 4 Fåhraeus-Lindqvist-Effekt o relativ geringe Viskosität in engen Kapillaren 4 Reynold-Zahl: Re = 2 · r · v · (ρ/η) 4 Compliance: C = ΔV/ΔP 4 Wellenausbreitungsgeschwindigkeit: c = √κ/ρ Funktionelle Gefäßabschnitte 4 Hochdrucksystem (15% Blutvolumen) = linke Herzkammer systolisch, Aorta, Arterien, Arteriolen 4 Niederdrucksystem (85% Blutvolumen) = Venen, rechtes Herz, Lungengefäße, linker Vorhof, linke Kammer während Diastole 4 Aorta senkt als Windkessel Blutdruckamplitude und damit Herzarbeit 6
4 Arteriolen = größter Widerstand, Kapillaren = Stoffaustausch, Venolen und Venen = Kapazitätsgefäße 4 Rückkehr des Blutes: Venenklappen, Muskelpumpe, Atmung 4 Herz = Saugpumpe 4 Valsalva: Pressen mindert Rückstrom zum rechten Herzen Druck 4 Blutdruckamplitude (systolischer - diastolischer Blutdruck) nimmt in Richtung peripherer Arterien zu 4 Unterdruck in Halsvenen o bei Eröffnung Gefahr von Luftembolien 4 Druckwerte: Pulmonalkreislauf 20/14 mmHg, großer Kreislauf 120/80 mmHg 4 Pulmonalgefäße dünnwandiger und kürzer, Gesamtwiderstand etwa 10 % des Körperkreislaufes Strömung 4 Strömungsgeschwindigkeit: v = HZV/Q = HZV/(z · q)
81 4.2 · Hochdrucksystem
Strömungswiderstand 4 Widerstand in Arteriolen (50%) > Kapillaren (25%) > übrige Gefäße 4 Präkapillarsphinkter regulieren Kapillardurchblutung Blutvolumen 4 Blutvolumen o zentraler Venendruck o Herzfüllung o Herzminutenvolumen o Blutdruck 4 Regulation Blutvolumen: Salzappetit, Durst, Aldosteron, natriuretische Hormone, ADH ˙ i/ci; VB = VP/ 4 Bestimmung (Fick-Prinzip). Vx = M (1 – Hkt) ˙ O2/ (CO2,a – CO2,v) 4 Herzzeitvolumen: HZV = M
4.2
Hochdrucksystem
4.2.1
Blutdruckregulation
! Ein hinreichender Blutdruck ist Voraussetzung für angemessene Organdurchblutung. Der Blutdruck wird über Anpassung von Herzzeitvolumen und peripherem Widerstand kurzfristig und langfristig reguliert
Notwendigkeit der Blutdruckregulation. Die Durchblutung einzelner Organe kann durch entsprechende Änderungen des Gefäßwiderstandes nur solange zuverlässig angepasst werden, wie der systemische Blutdruck aufrechterhalten bleibt. Bei einem zu niedrigen Blutdruck kann insbesondere das Gehirn nicht mehr hinreichend durchblutet werden und es kommt zu Schwindelanfällen. Umgekehrt schädigt ein zu hoher Blutdruck die Gefäße und bedroht langfristig die Funktion von Herz und Kreislauf. Mehrere Regelmechanismen dienen dazu, den Blutdruck auf der erforderlichen Höhe zu halten. Blutdruckregulierende Kreislaufparameter. Der Blutdruck ist dem Produkt von Herzzeitvolumen (HZV) und peripherem Widerstand proportional. Das Herzzeitvolumen resultiert aus dem Produkt von Herzfrequenz und Schlagvolumen des Herzens. Letzteres ist nicht nur eine Funktion der Herzkraft, sondern auch der Herzfüllung, die wiederum vom zentralvenösen Druck abhängig ist (. Abb. 4.6). Der periphere Widerstand wird durch die Kontraktion der Widerstandsgefäße aufrechterhalten. Blutdruckregulierende
Stoffaustausch 4 Tight junctions o Dichte der Endothelzellen 4 Filtrationsdruck: Peff = Δp – Δπ 4 Filtrationsrate: JV = Lp · Peff 4 Lymphgefäße: Abtransport filtrierter Proteine; Lymphgefäßklappen 4 Ödemursachen: hydrostatischer Druck n, onkotischer Druck p, Lymphabfluss p 4 Hohe hydraulische Leitfähigkeit: Niere, Darm, exokrine Drüsen, Plexus choroideus, Plexus ciliare 4 Fenestrierte Kapillaren: Leber, Milz und Knochenmark 4 Dichte Kapillaren: Blut-Hirn-Schranke, Blut-HodenSchranke
Mechanismen wirken über Änderungen von Herzfrequenz, Herzkraft, zentralem Venendruck und Kontraktion peripherer Gefäße. Kurzfristige und langfristige Blutdruckregulation. Je nach
Wirkungseintritt unterscheidet man Mechanismen kurzfristiger und langfristiger Blutdruckregulation. Der kurzfristigen Blutdruckregulation dienen in erster Linie Pressorezeptoren in den großen thorakalen und zervikalen Gefäßen, insbesondere in der Verzweigung der Arteria carotis (Karotissinus) und am Aortenbogen. Die langfristige Blutdruckregulation ist in erster Linie eine Funktion des Flüssigkeitshaushaltes. ! Die kurzfristige Blutdruckregulation ist eine Leistung kreislaufregulierender Neurone in der Medulla oblongata, die Informationen aus peripheren Rezeptoren erhalten
Pressorezeptoren. In Karotis und Aorta liegen Pressore-
zeptoren, die bei Zunahme des intramuralen Druckes aktiviert werden, wobei sie besonders stark auf Druckänderungen ansprechen (Differentialfühler, 7 Kap. 12.6.3). Somit führt ein schneller und massiver Blutdruckanstieg zu Beginn der Systole bzw. eine hohe Blutdruckamplitude zu einer besonders wirkungsvollen Aktivierung der Pressorezeptoren. Neuronale Verschaltung. Die Erregung aus dem Karotissinus wird über den Nervus glossopharyngeus (IX), die Erregung aus dem Aortenbogen über den Nervus vagus (X)
4
82
Kapitel 4 · Kreislauf
tativen Neurone regulieren die Aktivität von sympathischen und parasympathischen Efferenzen. Bei Dezerebrierung ist die Blutdruckregulation nicht gestört, wird jedoch das Rückenmark unterhalb der Medulla oblongata durchtrennt, so ist die Blutdruckregulation massiv beeinträchtigt. Wirkungen einer Blutdrucksteigerung. Eine Blutdruckstei-
gerung führt über Aktivierung der Pressorezeptoren binnen Sekunden zu einer Hemmung der sympathischen Neurone und einer Aktivierung parasympathischer Neurone. Folgen sind Abnahme von Herzfrequenz, Herzkraft und Schlagvolumen, sowie periphere Vasodilatation, Wirkungen, die den Blutdruck wieder senken. Die Vasodilatation steigert den Filtrationsdruck in den peripheren Kapillaren und mindert über gesteigerte Filtration innerhalb mehrerer Minuten geringfügig das Blutvolumen und damit die Vorhoffüllung. Diese Wirkung wird durch gesteigerte renale Ausscheidung von Kochsalz und Wasser unterstützt.
4
. Abb. 4.8. Blutdruckregulation bei Mangel an Blutvolumen (Hypovolämie). Hypovolämie mindert die Füllung des rechten Vorhofes. Die herabgesetzte Füllung wird durch B-Rezeptoren registriert, deren Afferenzen über den Vagus das ZNS beeinflussen (1a). Sie mindert ferner Füllung und Schlagvolumen des rechten Ventrikels, die herabgesetzte Blutzufuhr zum linken Ventrikel senkt linksventrikuläre Füllung und Schlagvolumen. Damit sinkt das Herzzeitvolumen (HZV, 1b). Die folgende Abnahme des Blutdruckes (RR, 2) wird in den Pressorezeptoren registriert, und über Minderung der parasympathischen Afferenzen (3) wird der Sympathikus aktiviert (4). Er stimuliert den Herzmuskel (4a), drosselt die Nierendurchblutung (RBF) durch Vasokonstriktion in der Niere (4b) und stimuliert die Reninausschüttung (4c). Die Abnahme des RBF senkt die glomeruläre Filtrationsrate (GFR) und die Urinausscheidung (V) und steigert zusätzlich die Reninausschüttung (5). Renin stimuliert die Bildung von Angiotensin (6), wodurch Angiotensin II gebildet und vermehrt Adiuretin und Aldosteron ausgeschüttet werden (AAA). Folgen sind Vasokonstriktion (7b), die den Blutdruckabfall bremst (8b), sowie herabgesetzte renale Ausscheidung (7a), wodurch die Hypovolämie abgebaut wird (8a)
zum Nucleus tractus solitarii in der Medulla oblongata weitergeleitet (. Abb. 4.8). Über Interneurone in der kaudalen ventrolateralen Medulla werden dann präganglionäre kreislaufregulierende Neurone des Nervus vagus (in Nucleus dorsalis vagi und Nucleus ambiguus) stimuliert und präganglionäre sympathische Neurone an der rostralen ventrolateralen Medulla gehemmt. Diese Neurone erhalten zusätzlich Informationen aus der Peripherie und aus anderen Bereichen des Zentralnervensystems, wie vor allem Hypothalamus und Großhirn (7 Kap. 14.3.4). Die zentralen vege-
Wirkungen eines Blutdruckabfalles. Bei Blutdruckabfall kommt es umgekehrt binnen Sekunden zu einer Hemmung des Parasympathikus und einer Enthemmung des Sympathikus. Herzfrequenz, Herzkraft, Schlagvolumen und peripherer Widerstand steigen und damit auch der Blutdruck. Durch sympathisch vermittelte Kontraktion von Kapazitätsgefäßen u. a. in Haut, Lunge und Splanchnikusgebiet steigt der Druck in den Vorhöfen, damit der Füllungsdruck der Kammern und das Schlagvolumen. Filtrationsumkehr in den gedrosselten peripheren Kapillaren und herabgesetzte renale Ausscheidung von Kochsalz und Wasser steigern innerhalb von Minuten bis zu einer Stunde das Blutvolumen und damit die Füllung der Vorhöfe. Rezeptoren im Herzen. Neben den Dehnungsrezeptoren in
Karotis und Aorta spielen noch Rezeptoren in den Vorhöfen und Kammern des Herzens eine Rolle bei der Blutdruckregulation. In beiden Vorhöfen liegen A- und B-Rezeptoren. Die Afferenzen beider Rezeptortypen werden über den Nervus vagus zur Medulla oblongata geleitet. Die B-Rezeptoren sind Dehnungsrezeptoren, welche die Vorhoffüllung vor der Vorhofkontraktion messen. Gesteigerte Aktivierung der B-Rezeptoren (starke Herzfüllung) hemmt den Sympathikus (v. a. in der Niere), aktiviert den Parasympathikus und hemmt die Ausschüttung des antidiuretischen Hormons Adiuretin (ADH) aus der Neurohypophyse (7 Kap. 10.2.1). Die A-Rezeptoren sind Spannungsrezeptoren, welche die Spannung bei Vorhofkontraktion messen. Aktivierung der A-Rezeptoren stimuliert den Sympathikus.
83 4.2 · Hochdrucksystem
Massive Erregung der Rezeptoren in den Herzkammern hemmt den Sympathikus. Sie mindert damit die Herzkraft und begünstigt eine periphere Vasodilatation. Chemorezeptoren. Ähnlich schnell wie die Aktivierung der Pressorezeptoren der Gefäße führt eine Aktivierung von Chemorezeptoren in Karotis und Aorta zu Änderungen des Blutdruckes. Ein Abfall des O2-Partialdruckes und in geringerem Ausmaß eine Zunahme des CO2-Partialdruckes aktivieren den Sympathikus und steigern somit den Blutdruck. Ischämie. Schließlich führt eine Ischämie des zentralen Nervensystems im Bereich der Medulla oblongata zu einer massiven Aktivierung des Sympathikus und Steigerung des Blutdruckes.
. Abb. 4.9. Abhängigkeit der Urinstromstärke vom Blutdruck bei normalen Nieren (durchgezogene Linie) und nach Nierendenervierung (gestrichelte Linie) (nach Busse aus Schmidt et al.)
! Bei der langfristigen Blutdruckregulation spielt die renale Kochsalzausscheidung eine entscheidende Rolle
Langfristige Blutdruckregulation. Die Pressorezeptoren
sprechen sehr schnell auf Änderungen des Blutdruckes an und sind daher in hervorragender Weise geeignet, schnelle Änderungen des Blutdruckes zu korrigieren. Andererseits gewöhnen sich die Pressorezeptoren als Differentialfühler an langfristige Veränderungen des Blutdruckes. Für eine langfristige Kontrolle des Blutdruckes sind sie daher nicht geeignet. Vielmehr wirken sie der Senkung eines langfristig gesteigerten Blutdruckes entgegen. Bei der langfristigen Blutdruckregulation kommt der renalen Regulation der Flüssigkeitsbilanz eine zentrale Rolle zu. Bei Abnahme des Blutdruckes kommt es zu einer Abnahme, bei Zunahme des Blutdruckes zu einer gesteigerten Ausscheidung von Kochsalz und Wasser durch die Niere (. Abb. 4.9). Renin-Angiotensin-Aldosteron-Mechanismus. Der Zusammenhang zwischen Blutdruck und renaler Ausscheidung ist zum Teil Folge einer druckabhängigen Durchblutung des Nierenmarks, das im Gegensatz zur Nierenrinde nur schwach autoreguliert (7 Kap. 9.2.2). Eine herabgesetzte Perfusion der Niere, wie sie bei Blutdruckabfall auftritt, stimuliert andererseits die Bildung von Renin, das aus dem vorwiegend in der Leber gebildeten Plasmaprotein Angiotensinogen das Dekapeptid Angiotensin I abspaltet. Angiotensin converting enzyme (ACE) an der luminalen Membran von Endothelzellen bildet aus Angiotensin I das stark vasokonstriktorisch wirkende Oktapeptid Angiotensin II. Angiotensin II steigert den Blutdruck nicht nur durch Auslösung einer peripheren Vasokonstriktion, sondern löst
Durst aus und stimuliert die Ausschüttung von Adiuretin (ADH) und von Aldosteron. ADH und Aldosteron fördern die renale Resorption von Wasser und Kochsalz (7 Kap. 9.1.4). Damit wirken sie Volumenabnahme und Blutdruckabfall entgegen. ADH fördert zudem über NO die Durchblutung von Herz und Gehirn. Die Reninausschüttung wird auch durch Adrenalin (β-Rezeptoren) stimuliert. Eine Aktivierung des Sympathikus führt u. a. über Reninausschüttung zu einer renalen Retention von Kochsalz und Wasser. Angiotensinrezeptorblocker und ACE-Hemmer werden mit Erfolg bei der Behandlung von gesteigertem Blutdruck eingesetzt. Natriuretische Peptide. Bei Dehnung schütten die kardialen Vorhöfe Atriopeptin (atrialer natriuretischer Faktor ANF) aus, ein Peptid mit 28 Aminosäuren, das die Ausschüttung von Renin, Adiuretin und Aldosteron hemmt und die renale Ausscheidung von Kochsalz und Wasser steigert. Ein ähnliches Peptid (Urodilatin) wird in der Niere gebildet. ! Einige weitere Hormone und das vegetative Nervensystem beeinflussen den Blutdruck
Wirkung von Glukokortikoiden. Die Aldosteron-(Minera-
lokortikosteroid-)Rezeptoren können auch durch Glukokortikosteroide wie Kortisol erregt werden, wobei diese in den Zielorganen wie der Niere schnell inaktiviert werden (7 Kap. 10.3.3). Kortisol übt ferner über Stimulation der Katecholaminausschüttung eine blutdrucksteigernde Wirkung aus.
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84
Kapitel 4 · Kreislauf
Wirkung von Schilddrüsenhormonen. Schilddrüsenhormone führen zwar zu einer peripheren Vasodilatation, über Zunahme von Herzfrequenz und Schlagvolumen des Herzens steigern sie dennoch den mittleren Blutdruck und vor allem die Blutdruckamplitude. Beeinflussung des Blutdruckes durch das vegetative Nervensystem. Bei Ärger, Aufregung, Schmerz und in Erwar-
4
tung einer zu erbringenden Leistung kann der Blutdruck durch Aktvierung des sympathischen Nervensystems massiv ansteigen. Schmerzen und Stress können umgekehrt auch das parasympathische Nervensystem aktivieren und auf diese Weise einen Blutdruckabfall auslösen. Wird dabei die Gehirndurchblutung beeinträchtigt, kann es zur Bewusstlosigkeit kommen (Synkope). ! Der Blutdruck ist Schwankungen unterworfen und steigt im Alter
Rhythmische Blutdruckschwankungen. An rhythmischen Änderungen treten neben dem Wechsel zwischen diastolischem und systolischem Druck (Blutdruckschwankungen I. Ordnung) geringfügige atemsynchrone Blutdruckänderungen (Blutdruckschwankungen II. Ordnung) auf, mit Blutdruckabfall bei der Einatmung und Blutdruckanstieg bei der Ausatmung. Neben weiteren, noch langsameren Blutdruckschwankungen (Blutdruckschwankungen III. Ordnung) lässt sich eine deutliche zirkadiane Rhythmik des Blutdruckes mit Maximum gegen 15:00 Uhr und Minimum gegen 3:00 Uhr morgens nachweisen. Entwicklung des Blutdrucks im Alter. Der diastolische Blutdruck nimmt mäßig, der systolische Blutdruck deutlich mit dem Alter zu. Während der Normalwert für den systolischen/diastolischen Blutdruck bei 20 Jahren noch unter 120/80 mmHg liegt, übersteigen die Blutdruckwerte mit 70 Jahren im Durchschnitt 140/80 mmHg. ! Beim Aufstehen sinkt der Blutdruck ab, wenn nicht adäquat gegenreguliert wird
Orthostase. Auf das Blut wirken nicht nur die Kräfte des Kreislaufes, sondern auch die Schwerkraft. Beim Übergang vom Liegen zum Stehen sackt das Blut ab, d. h. der Druck steigt in der unteren Körperhälfte und sinkt in der oberen Körperhälfte. In der Mitte bleibt der Blutdruck gleich (hydrostatische Indifferenzebene etwas unterhalb des Herzens). Im Stehen lastet auf den Beinkapillaren ein zusätzlicher Druck
von etwa 80 mmHg, der die Filtration von Plasmawasser steigert und die Rückkehr des Blutes erschwert. Die Druckzunahme in den Beinkapillaren wird durch Konstriktion der Arteriolen abgeschwächt. Die Klappen der Beinvenen mindern die Wirkung der Schwerkraft auf der venösen Seite und gewährleisten auch im Stehen die Rückkehr des Blutes. Dennoch nimmt das Blutvolumen in den Beinen um etwa einen halben Liter zu. Der Druck in den Halsvenen sinkt im Stehen unter den atmosphärischen Druck und bewirkt daher ein Kollabieren der Gefäße. Die intrakraniellen Gefäßsinus sind fest aufgespannt und können daher nicht kollabieren. Da das Herz oberhalb der hydrostatischen Indifferenzebene liegt, sinkt beim Aufstehen auch der Druck im rechten Vorhof. Folge ist eine geringere Füllung der rechten Kammer, eine Abnahme des Schlagvolumens und damit des Herzzeitvolumens. Die Druckabnahme an den über der Indifferenzebene liegenden Karotissinus und Aortenbogen hemmt den Parasympathikus und aktiviert den Sympathikus mit Stimulation der Ausschüttung von Katecholaminen aus dem Nierenmark. Folgen sind (. Abb. 4.10): 4 Steigerung der Herzfrequenz (ca. 30 %) 4 Kontraktion der Widerstands- und Kapazitätsgefäße 4 Abnahme der Nierendurchblutung 4 Ausschüttung bzw. Bildung von Renin, Angiotensin, ADH und Aldosteron Durch die Zunahme des peripheren Widerstandes bleibt normalerweise der mittlere arterielle Druck trotz Abnahme des Herzzeitvolumens konstant. Dabei steigt der diastolische Druck in der Regel leicht an (< 5 mmHg), der systolische Blutdruck fällt geringfügig ab (< 5 mmHg). Die Gehirndurchblutung nimmt trotz Aufrechterhaltung des mittleren Blutdruckes geringfügig ab. Störungen der Orthostasereaktion. Eine inadäquate or-
thostatische Gegenregulation lässt beim Aufstehen größere Schwankungen des Blutdruckes zu: Bei der hyperdiastolischen Regulationsstörung kommt es zu einer stärkeren Zunahme der Herzfrequenz und des diastolischen Blutdruckes und einem stärkeren Abfall des Schlagvolumens und der Blutdruckamplitude. Bei der hypodiastolischen Regulationsstörung fallen diastolischer und systolischer Blutdruck ab. In beiden Fällen reagiert das vegetative Nervensystem nicht adäquat auf den Lagewechsel. Reicht die Gegenregulation nicht aus, kann der Druck in einem Maß absinken, dass die Gehirndurchblutung unzureichend wird. Folgen sind Schwindel und Bewusstlosigkeit (orthostatische bzw. vasovagale Synkope).
85 4.2 · Hochdrucksystem
abgesetzter Flüssigkeitsausscheidung führt. In seltenen Fällen (<1%) liegt die Ursache in einer gesteigerten Ausschüttung von Hormonen, wie Aldosteron, Glukokortikoiden, Adrenalin, Schilddrüsenhormonen oder Somatropin. In sehr seltenen Fällen liegt eine monogenetische Erkrankung vor. In den meisten Fällen ist jedoch weder eine Nierenerkrankung noch eine gestörte Hormonausschüttung nachzuweisen. Dann spricht man von primärer oder essentieller Hypertonie. Sie tritt familiär auf, ist also teilweise genetisch bedingt. Eine Vielfalt von Genvarianten ist bekannt, die eine blutdrucksteigernde Wirkung ausüben, aber nur bei Zusammentreffen mit anderen Genvarianten oder ungünstigen Umweltfaktoren Hypertonie auslösen. Hypotonie. Bei zu niedrigem Blutdruck spricht man von
Hypotonie. In seltenen Fällen ist sie Folge eines Untergangs der postganglionären sympathischen Neurone (Shy-Drager-Syndrom). In den meisten Fällen ist jedoch keine Ursache nachweisbar (primäre Hypotonie). Die Hypotonie beeinträchtigt die Leistungsfähigkeit und das Wohlbefinden der Patienten. Eine mäßige Hypotonie wirkt andererseits lebensverlängernd, da die Gefäße geschont werden. Daher verbietet sich die unkritische Behandlung einer Hypotonie. ! Schwere Arbeit und Hitze senken bei fehlender Gegenregulation den Blutdruck über periphere Vasodilatation
. Abb. 4.10. Orthostasereaktion. Änderungen von Kreislaufparametern bei plötzlichem Aufstehen. Von oben nach unten: systolischer Blutdruck (RRs), diastolischer Blutdruck (RRd), Herzfrequenz (f), zentraler Venendruck (ZVD), Schlagvolumen (SV), Herzzeitvolumen (HZV), peripherer Widerstand (R), Venentonus (VT), Duchblutung von Niere, Splanchnikus etc. (V˙reg), zentrales Blutvolumen (Vzentral), Beinvolumen (VBeine) (nach Busse aus Schmidt et al.)
4.2.2
Störungen der Blutdruckregulation
! Hypertonie und Hypotonie zählen zu den häufigsten Störungen
Hypertonie. Ein anhaltend gesteigerter Blutdruck (>140/90 mmHg systolisch/diastolisch) wird als Hypertonie bezeichnet. Dabei muss berücksichtigt werden, dass der Blutdruck beim Arztbesuch ansteigen kann (white coat hypertension). Bei einem kleinen Teil der hypertonen Patienten (<10%) ist die Hypertonie Folge einer Nierenerkrankung, die zu gesteigerter Reninausschüttung und/oder her-
Arbeit. Schwere körperliche Arbeit erfordert die gesteigerte
Blutversorgung der arbeitenden Muskeln. Die Durchblutung einzelner Muskeln kann bis auf das 40-fache des Ruhewertes ansteigen. Die Vasodilatation zieht eine Abnahme des peripheren Widerstandes nach sich. Bereits vor der Aufnahme der Arbeit kommt es jedoch über Aktivierung der kreislaufregulierenden Neurone in der rostralen ventrolateralen Medulla oblongata zu einer Anpassung des Kreislaufes an die zu erwartende Beanspruchung (zentrale Mitinnervation). Darüber hinaus stimulieren Neurone aus der Vermis des Kleinhirns die kreislaufregulierenden Neurone. Schließlich wird die Muskeldurchblutung vom Kortex über Hypothalamus und sympathisch-cholinerge Neurone gesteigert. Diese Erwartungs- und Startreaktion kann auch dann ausgelöst werden, wenn es in der Folge zu gar keiner Muskelarbeit kommt. Durch Zunahme von Herzfrequenz und Schlagvolumen wird das Herzzeitvolumen gesteigert (7 Kap. 6.2.3) und durch Vasokonstriktion in inaktiven Muskeln, in Gastrointestinaltrakt, Niere und Haut wird die Abnahme des peripheren Widerstandes abgeschwächt. Die genannten Mechanismen erzielen in der Regel eine Zunahme des mittleren Blutdru-
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86
Kapitel 4 · Kreislauf
ckes trotz Abnahme des peripheren Widerstandes. Die Wärmeproduktion durch die arbeitende Muskulatur erzwingt allerdings mittelfristig wieder eine Dilatation der Hautgefäße, ohne die eine adäquate Wärmeabgabe über die Haut nicht möglich ist (7 Kap. 8.2.4).
druckes abgeschwächt und durch Kontraktion der Widerstandsgefäße v. a. in Peripherie, Haut, Niere und Darm wird der periphere Widerstand gesteigert und damit zunächst ein Blutdruckabfall abgewendet. Damit ist es möglich, Herz und Gehirn noch hinreichend zu durchbluten (Zentralisation des Kreislaufes).
Hitze. Die im Körper erzeugte Wärme wird zum großen Teil
4
über die Haut abgegeben. Voraussetzung dazu ist die Dilatation der Hautgefäße. Bei gesteigerter Wärmeproduktion oder erschwerter Wärmeabgabe (7 Kap. 19.2) senkt die Dilatation der Hautgefäße den peripheren Widerstand, sodass im Extremfall der Blutdruck trotz Aktivierung des Sympathikus und Steigerung des Herzzeitvolumens nicht mehr aufrechterhalten werden kann (Hitzekollaps). Umgekehrt führt Kälte zur Konstriktion der Hautgefäße. Ein plötzlicher Wechsel von einer heißen in eine kalte Umgebung (z. B. kaltes Bad während eines Saunabesuches) kann zu massiver Blutdrucksteigerung führen, da bei gesteigerter Pumpleistung des Herzens der periphere Widerstand durch die Kontraktion der Hautgefäße schlagartig gesteigert wird.
4.2.3
Kardiovaskulärer Schock
! Im kardiovaskulären Schock sind die kreislaufregulierenden Mechanismen nicht mehr in der Lage, den Blutdruck und damit die Perfusion der Organe aufrecht zu halten
Ursachen. Ein kardiovaskulärer Schock tritt bei zu geringem peripherem Widerstand oder bei zu geringem Herzzeitvolumen auf. Der periphere Widerstand kann durch massive Ausschüttung von vasodilatatorisch wirkenden Entzündungsmediatoren (septischer Schock, anaphylaktischer Schock) oder durch Versagen der neuronalen Gefäßregulation (neurogener Schock) herabgesetzt sein. Der Abfall des peripheren Widerstandes führt dann bisweilen trotz massiver Aktivierung von Sympathikus und Zunahme der Herzfrequenz zu bedrohlichem Blutdruckabfall. Das Herzzeitvolumen ist bei Mangel an Blutvolumen z. B. durch Blutverluste (hypovolämischer Schock) oder bei Schädigung des Herzens (kardiogener Schock) herabgesetzt. Bei Blutverlusten nehmen Füllung des Niederdrucksystems, zentraler Venendruck und damit Vorhoffüllung ab. Dadurch sinken Schlagvolumen und Herzzeitvolumen. Zentralisierung des Kreislaufes. Der Blutdruckabfall führt
zur Aktivierung des Sympathikus. Durch Kontraktion der Kapazitätsgefäße wird das Absinken des zentralen Venen-
Auswirkungen eines protrahierten Schocks. Bei anhaltender
Hypovolämie führt die Mangeldurchblutung der anderen Organe zur Anhäufung vasodilatatorisch wirksamer Metabolite, die letztlich eine Dilatation der Arteriolen erzwingen. Die Öffnung der Arteriolen bei anhaltender Kontraktion der Venolen steigert dann den Filtrationsdruck in den Kapillaren, wodurch zusätzlich Blutvolumen verloren geht. Schließlich dilatieren auch die Venolen und der zentrale Venendruck sinkt (venöses Pooling). Die Strömungsverlangsamung in den minderdurchbluteten Organen führt im Übrigen zum Verklumpen der Erythrozyten mit massiver Steigerung der Blutviskosität (Sludge-Bildung). Letztlich droht die Minderdurchblutung des Gehirns, die u. a. zum Zusammenbruch der Kreislaufregulation führen kann. Daher kommt es zu irreversiblen Organschäden, wenn ein Blutverlustschock nicht rechtzeitig erkannt und konsequent therapiert wird. Therapie. Bei einem hypovolämischen Schock kommt ne-
ben Transfusion von Blut auch die Infusion von Lösungen in Frage, die eine hohe Konzentration an Makromolekülen enthalten. Die Makromoleküle können nicht filtriert werden und halten daher über ihren onkotischen Druck Volumen im Gefäßsystem zurück. Dagegen wird Kochsalzlösung sehr schnell in das Interstitium filtriert.
4.2.4
Blutdruckmessung
! Der Blutdruck wird nach Riva-Rocci indirekt oder durch intravasale Manometer direkt gemessen
Blutdruckmessung nach Riva-Rocci. Wird auf ein Gefäß
von außen ein Druck ausgeübt, der zwischen dem systolischen und diastolischen Druck liegt, dann kollabiert das Gefäß während der Diastole und wird durch den Gefäßdruck während der Systole geöffnet. Die Strömung ist bei Öffnen des Gefäßes turbulent und erzeugt ein Geräusch (Korotkow). Darüber hinaus entstehen durch den Wechsel von Gefäßöffnung und Kollaps Druckoszillationen. Sinkt der äußere Druck unter den diastolischen Druck, dann bleibt das Gefäß anhaltend offen, das Geräusch verschwin-
87 4.2 · Hochdrucksystem
. Abb. 4.11. Blutdruckmessung nach Riva-Rocci. Bei langsamer Senkung des Druckes in der Manschette wird zunächst der systolische Bludruck erreicht. Sobald der Druck in der Arterie den Manschettendruck übersteigt, kommt es zu Strömungsgeräuschen, die typischerweise solange anhalten, bis der Druck in den Gefäßen dauerhaft über dem Manschettendruck bleibt. Registriert werden der Druck beim ersten Auftreten eines Geräusches und der Druck beim Verschwinden des Geräusches. Bei zu schnellem Absenken des Manschettendruckes wird der systolische Blutdruck unterschätzt und der diastolische Blutdruck überschätzt (nach Busse aus Schmidt et al.)
det in der Regel und die Oszillationen werden schwächer. Ist der äußere Druck höher als der systolische Druck, dann bleibt das Gefäß dauerhaft kollabiert, es entstehen keine Geräusche und Oszillationen. In der Praxis legt man bei der Durchführung eine Manschette um den Oberarm in Höhe des Herzens an und pumpt sie mit Luft auf, bis ein Druck erreicht ist, der sicher (!) über dem systolischen Druck liegt. Dann läßt man den Druck langsam ab und registriert den Druck bei Auftreten (systolischer Druck) und bei Verschwinden bzw. Schwächerwerden (diastolischer Druck) der Geräusche bzw. der Oszillationen ( . Abb. 4.11). Der systolische Druck ist ferner am Auftreten von Pulsationen an der Arteria radialis erkennbar, die spürbar werden, sobald der Manschettendruck unter den systolischen Druck fällt. Der systolische Blutdruck kann daher auch durch Palpation erfasst werden.
Auch ohne Kompression von außen entstehen irreführende Strömungsgeräusche bei herabgesetzter Viskosität des Blutes (Anämie) und bei gesteigerter Stromstärke (hohes Herzzeitvolumen). Bei Schwangerschaft, Hyperthyreose etc. sind daher Strömungsgeräusche noch hörbar, wenn der Druck in der Manschette unter dem diastolischen Druck oder sogar bei 0 liegt. Das Unterschreiten des diastolischen Druckes ist dann meist am Dumpferwerden des Geräusches erkennbar. Direkte Druckmessung. Der Blutdruck kann auch direkt
(»blutig«) gemessen werden. Dabei wird das entsprechende Gefäß punktiert und die Nadel über einen Katheter mit einem Druckmessgerät (Manometer) verbunden. Den zentralen Venendruck misst man am einfachsten durch Verbindung des Katheters mit einem Steigrohr. Der Druck kann dann an der Höhe der Wassersäule abgelesen werden.
In Kürze
Hochdrucksystem Blutdruckregulation 4 Pressorezeptoren: Karotissinus o IX (Aortenbogen o X) o Nucleus tractus solitarii o präganglionäre kreislaufregulierende Neurone o Vagus (Nucleus dorsalis vagi, Nucleus ambiguus) und Sympathikus (rostrale ventrolaterale Medulla) 4 Blutdruckanstieg o Herzfrequenz p, Herzkraft p, Schlagvolumen p, periphere Vasodilatation 6
4 Blutdruckabfall o Herzfrequenz n, Herzkraft n, Schlagvolumen n, peripherer Widerstand n, Kontraktion Kapazitätsgefäße (Haut, Lunge, Splanchnikusgebiet), Filtrationsumkehr in Kapillaren, renale NaCl- und H2O-Ausscheidung p 4 B-Rezeptoren Herz (Dehnungsrezeptoren, Vorhoffüllung) o Sympathikus p, ADH n
4
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Kapitel 4 · Kreislauf
4 A-Rezeptoren Herz (Spannungsrezeptoren bei Vorhofkontraktion) o Sympathikus n 4 Rezeptoren in den Herzkammern o Sympathikus p 4 Chemorezeptoren. pO2 p, pCO2 n o Sympathikus n 4 Ischämie Medulla o Sympathikus n 4 Langfristige Blutdruckregulation: Renale NaCl-Resorption, Renin-Angiotensin-Aldosteron 4 Natriuretische Peptide: Atriopeptin, Urodilatin 4 Glukokortikosteroide, Mineralokortikosteroide, Schilddrüsenhormone, Somatotropin, Sympathikus o Blutdrucksteigerungen 4 Rhythmische Blutdruckschwankungen. Systolisch/ diastolisch, Atmung, zirkadian 4 Alter. v. a. systolischer Blutdruck n
4
Störungen der Blutdruckregulation 4 Hypertonie (>140/90 mmHg): Ursachen idiopathisch (z. T. genetisch) > Nierenerkrankung > endokrine Störungen (Aldosteron, Glukokortikoide, Somatotropin, Adrenalin, T3/T4)
4 Hypotonie: Ursachen idiopathisch >> Shy-DragerSyndrom 4 Orthostase o Herzfrequenz n, Kontraktion Widerstands- und Kapazitätsgefäße, Nierendurchblutung p 4 Arbeit, Hitze o peripherer Widerstand p, Sympathikus n Kardiovaskulärer Schock 4 Ursachen: Septisch, anaphylaktisch neurogen, hypovolämisch, kardiogen 4 Blutdruckabfall o Sympathikus o Kapazitäts-, Widerstandsgefäße (v. a. in Peripherie, Haut, Niere, Darm) o Organmangeldurchblutung o Metabolite o Dilatation o Filtration in Kapillaren; venöses Pooling, Sludge-Bildung Blutdruckmessung 4 indirekt (Riva-Rocci), direkt (»blutig«)
4.3
Niederdrucksystem
4.3.2
4.3.1
Bestandteile, Volumen und Druckwerte des Niederdrucksystems
! Der Füllungsdruck des Herzens beeinflusst das Herzzeitvolumen. Der zentrale Venendruck ist eine Funktion von Füllung und Kapazität des Niederdrucksystems. Beide werden reguliert
! Im Niederdrucksystem befinden sich fast 85% des Blutvolumens. Der Druck bleibt unter 25 mmHg
Zentraler Venendruck
Füllungsdruck des Herzens. Die Füllung der zentralen VeBestandteile. Das Niederdrucksystem umfasst das rechte
Herz, die Lungengefäße, den linken Vorhof, die linke Kammer während der Diastole und alle Venen des großen Kreislaufes Volumen. Das Niederdrucksystem enthält fast 85% des gesamten Blutvolumens. Druckwerte. Im Liegen beträgt der Druck in postkapillären Venen etwa 15–20 mmHg, in den großen extrathorakalen Venen 10–12 mmHg, in der intrathorakalen Vena cava inferior ca. 6 mmHg und im rechten Vorhof ca. 4 mmHg. Im kleinen Kreislauf schwankt der Druck zwischen ca. 14 25 mmHg (7 Kap. 4.4.2).
nen bestimmt den zentralen Venendruck, der über den Füllungsdruck der rechten Kammer das Herzzeitvolumen beeinflusst. Eine Zunahme des zentralen Venendruckes steigert das Schlagvolumen der rechten Kammer, das über Zunahme von linkem Vorhofdruck und Füllung der linken Kammer auch das Schlagvolumen der linken Kammer vergrößert. Folge ist eine Zunahme des Herzzeitvolumens (das Produkt von Schlagvolumen und Herzfrequenz). Umgekehrt senkt eine Abnahme des zentralen Venendruckes das Herzzeitvolumen. Der venöse Rückstrom aus der Peripherie zum rechten Vorhof wird bei Zunahme des zentralen Venendruckes gebremst, bei Abnahme des zentralen Venendruckes gefördert (. Abb. 4.6). Der Druckverlauf in den zentralen Venen reflektiert den Druckverlauf im rechten Vorhof mit Spitzen bei der
4
89 4.4 · Organdurchblutung
Vorhofkontraktion und Senkungen bei Kammerkontraktion und Öffnung der Trikuspidalklappe (7 Kap. 3.2.3)
4.4
Organdurchblutung
4.4.1
Grundmechanismen
Kapazität des Niederdrucksystems. Vor allem Aktivierung
des Sympathikus und das antidiuretische Hormon (ADH) können die Kontraktion der Gefäße im Niederdrucksystem fördern und so bei Volumenmangel die Kapazität des Niederdrucksystems herabsetzen. Dadurch können annähernd 300 ml aus dem Lungenkreislauf, etwa 350 ml aus der Leber und 500 ml aus den Venen der Haut bereitgestellt werden. In Kürze
Niederdrucksystem Bestandteile, Volumen und Druckwerte des Niederdrucksystems 4 Bestandteile: Rechtes Herz, Lungengefäße, linker Vorhof, die linke Kammer diastolisch, Venen 4 Anteil = 85% des Blutvolumens 4 Druckwerte: postkapilläre Venen 15–20 mmHg, große extrathorakale Venen 10–12 mmHg, intrathorakale Vena cava inferior 6 mmHg, rechter Vorhof 4 mmHg, kleiner Kreislauf 14–25 mmHg Zentraler Venendruck 4 zentraler Venendruck n o Füllungsdruck rechte Kammer n o Herzzeitvolumen n 4 zentraler Venendruck n o venöser Rückstrom aus der Peripherie p 4 Kapazität des Niederdrucksystems: 300 ml Lungenkreislauf, 350 ml Leber, 500 ml Hautvenen
! Die Durchblutung muss an den jeweiligen Bedarf eines Organs angepasst werden
Variabilität der Organdurchblutung. Letztlich muss der
Kreislauf gewährleisten, dass jedes Organ adäquat mit O2 und Substraten versorgt wird, wozu eine adäquate Durchblutung Voraussetzung ist. Bereits in Ruhe ist die spezifische Durchblutung der verschiedenen Organe, d. h. die Durchblutung pro Organgewicht, ausgesprochen uneinheitlich (. Tab. 4.1). Die Durchblutung eines Organs muss ferner bei erhöhtem Energiebedarf entsprechend gesteigert werden, z. B. im Skelettmuskel während Muskelarbeit. Das gesamte Blut muss während einer Kreislaufpassage zum Gasaustausch die Lunge passieren, die „Durchblutung« der Lunge entspricht daher dem Herzzeitvolumen und richtet sich nach dem jeweiligen Bedarf des gesamten Organismus und nicht der Lunge. Ebenfalls ist die Durchblutung der Nierenrinde viel höher, als zur Deckung des Energieverbrauchs in den kortikalen Nierenzellen erforderlich wäre. Die Menge des Blutes, das die Niere passiert, entscheidet jedoch über die Menge an Plasmaflüssigkeit, die pro Zeiteinheit der Kontrolle des Organs unterzogen wird. Die Durchblutung der Organe kann nur dann gewährleistet werden, wenn der arterielle Blutdruck aufrechterhalten bleibt. Bei geringer Auswurfleistung des Herzens oder bei besonders großem Bedarf z. B. der Skelettmuskulatur bei Arbeit ist dazu bisweilen die Drosselung der
. Tab. 4.1. Durchblutung und Sauerstoffaufnahme der einzelnen Organe eines 70 kg schweren Menschen in Ruhe Vaskuläre Region
Organgewicht in kg
O2-Aufnahme in ml/min
ASO2 in
l/min
%
Gastrointestinaltrakt
2,8
4,0
1,40
24
58
25
21
Nieren
0,3
0,4
1,10
18
16
7
7
Gehirn
1,5
2,0
0,75
13
46
20
31
Herz
0,3
0,4
0,25
4
35
11
70
30,0
43,0
1,20
21
70
30
29
5,0
7,0
0,50
9
5
2
5
Skelettmuskel Haut
%
Durchblutung in
%
%
andere Organe
30,1
43,2
0,60
10
12
5
10
Summe
70,0
100,0
5,80
100
234
100
20
ASO2=O2-Ausschöpfung (nach Wade und Bishop)
90
Kapitel 4 · Kreislauf
Durchblutung einzelner Organe erforderlich. Eine Vielzahl von Faktoren kann demnach die Gefäßmuskulatur kontrahieren oder dilatieren und über eine Änderung des Gefäßradius eine herabgesetzte oder gesteigerte Durchblutung des betroffenen Organs erzielen. ! Die Gefäßmuskelzellen reagieren auf Spannung und Metabolite
4
Myogene Regulation der Gefäßweite. Eine Dehnung der
Gefäßmuskulatur löst in den meisten Gefäßgebieten eine reflektorische Kontraktion aus. Eine Blutdruckzunahme führt daher über Zunahme des intramuralen Druckes und folgende Aktivierung von Kationenkanälen zur Gefäßverengung (Bayliss-Effekt). Der Bayliss-Effekt trägt in einigen Organen, wie vor allem in der Niere (7 Kap. 9.2.2) zur Autoregulation der Durchblutung bei, der Konstanthaltung des Blutflusses bei wechselndem Blutdruck. Beim Aufstehen löst der Bayliss-Effekt eine Kontraktion der Beinarteriolen aus und mindert damit das Absacken des Blutes in den Beinen. Im Gegensatz zu den Gefäßen des Körperkreislaufes nimmt der Widerstand der Lungengefäße bei Druckzunahme im Pulmonalkreislauf ab, da die dünnwandigen Gefäße bei Zunahme des transmuralen Druckes gedehnt werden. Auf diese Weise erfordert eine Steigerung des Herzzeitvolumens nur eine geringfügige Steigerung des Druckes in der Pulmonalarterie. Metabolische Regulation der Gefäßweite im großen Kreislauf. In den meisten Organen (v. a. Skelettmuskulatur) wird
die Kontraktion der Gefäßmuskulatur durch hohe Konzentrationen von CO2, H+ und K+, sowie durch Mangel an O2 gehemmt. Ferner führt Adenosin in einigen Organen (v. a. Herz) zur Vasodilatation. Bei gesteigertem Energieverbrauch häufen sich CO2, H+, K+ und Adenosin an und es tritt Mangel an O2 auf. Folge ist eine Vasodilatation, die zur Korrektur der Energiebilanz beiträgt. CO2 übt eine besonders starke Wirkung auf Gehirngefäße aus. Eine Verdopplung der CO2-Konzentration zieht eine Verdopplung der Gehirndurchblutung nach sich. Die Blut-Hirn-Schranke weist gegenüber CO2, nicht aber gegen HCO–3 und H+ eine sehr hohe Permeabilität auf. Bei Zunahme der CO2-Konzentration im Blut diffundiert CO2 über die Blut-HirnSchranke und bildet auf der Gewebeseite unter Bindung von H2O und folgender Dissoziation zu HCO3– und H+ (7 Kap. 5.10.2). Die Ansäuerung des Gewebes löst dann die Vasodilatation aus. Umgekehrt kommt es bei gesteigerter Abatmung von CO2 (Hyperventilation) zur zerebralen Al-
kalose mit massiver Vasokonstriktion, die Schwindel und Krämpfe auslösen kann. ! Die Durchblutung wird durch Stickoxid (NO) sowie durch weitere endotheliale Mediatoren reguliert
Endotheliale NO-Synthase. Entscheidende Rolle bei der
Regulation der Gefäßweite kommt Mediatoren aus dem Endothel zu. Besondere Bedeutung erlangt dabei Stickstoffmonoxid (NO), das früher als der endothelial derived relaxant factor (EDRF) bezeichnet wurde. NO wird aus Arginin unter Vermittlung einer NO-Synthase gebildet. Die immer (konstitutiv) in Endothelzellen gebildete NO-Synthase wird durch Ca2+ aktiviert. Vorwiegend über Zunahme der intrazellulären Ca2+-Konzentrationen steigern mechanische Deformierung (Scherkräfte), O2-Mangel und eine Vielzahl von Mediatoren (. Tab. 4.2) die intrazelluläre NO-Bildung. NO wandert zu den Gefäßmuskelzellen und führt dort u. a. über Aktivierung der Guanylatzyclase, cGMP Bildung, Aktivierung der G-Kinase, Stimulation der Ca2+-ATPase und folgende Senkung der intrazellulären Ca2+-Konzentration zur Vasodilatation (. Abb. 4.12). Darüber hinaus mindert die G-Kinase die Muskelkontraktion durch Aktivierung von K+-Kanälen, Hemmung des Ca2+-Einstromes, Stimulation der Ca2+-Aufnahme in intrazelluläre Speicher, sowie durch Dephosphorylierung von MLC (myosin light chain kinase). Schließlich hemmt es die Ausschüttung des vasokonstriktorisch wirksamen Noradrenalins aus sympathischen Nervenendigungen. Stimulation der NO-Synthase durch Scherkräfte. Bereits
bei normaler Strömung des Blutes im Gefäßlumen wird NO . Tab. 4.2. Faktoren, welche die endotheliale Ausschüttung von NO stimulieren Noradrenalin (α) Acetylcholin ATP, ADP Thrombin Bradykinin Histamin Serotonin Substanz P vasoaktives intestinales Peptid (VIP) ADH Oxytocin Calcitonin-gene-related peptide Angiotensin II Endothelin (ETB-Rezeptoren)
91 4.4 · Organdurchblutung
ren NO-Synthase, die keine Zunahme der intrazellulären Ca2+-Konzentration für ihre Aktivierung benötigt. Die gesteigerte Bildung von NO durch die induzierbare NO-Synthase erzwingt bei Entzündungen eine Vasodilatation. Bei Infektionen mit bestimmten Erregern kann es u.a. auf diese Weise zu lebensbedrohlichem Blutdruckabfall kommen (septischer Schock, 7 Kap. 4.2.3). Die Expression der induzierbaren NO-Synthase wird durch Glukokortikoide gehemmt. Endothelial derived hyperpolarizing factor (EDHF). Die
Endothelzellen geben ferner EDHF ab, wahrscheinlich ein Epoxid der Arachidonsäure (Produkt der Zytochrom-P450Enzyme). EDHF aktiviert in den Gefäßmuskelzellen Ca2+sensitive K+-Kanäle. Die folgende Hyperpolarisation hemmt die spannungsabhängigen Ca2+-Kanäle, senkt die intrazelluläre Ca2+-Konzentration und fördert damit Vasodilatation. Der EDHF wird im Endothel u. a. unter dem Einfluss von Bradykinin und Acetylcholin freigesetzt. Prostazyklin. Unter anderem bei O2-Mangel bilden die En. Abb. 4.12. Regulation der NO-Bildung im Endothel durch endotheliale (eNOS) und induzierbare (iNOS) NO-Synthase. Wirkungen von NO auf Gefäßmuskulatur und Noradrenalinausschüttung. cGMP = zyklisches Guanosinmonophosphat (GMP), GC = Guanylatzyklase, IP3 = Inositoltrisphosphat, MLCP = myosin light chain phosphatase, NA = Noradrenalin, NO = Stickoxid, PDE = Phosphodiesterase, PLC = Phospholipase C, PKG = Proteinkinase G
dothelzellen aus Arachidonsäure das gleichermassen vasodilatatorisch wirksame Prostazyklin. PAF. Endothelzellen bilden schließlich – neben Entzündungszellen des Blutes – den vasodilatatorisch wirkenden platelet activating factor (PAF). Endotheline. Das Endothel bildet neben den genannten va-
gebildet. Hemmung der NO-Synthase führt daher zu massiver peripherer Vasokonstriktion mit entsprechendem Blutdruckanstieg. Die Bildung von NO und die NO-vermittelte Vasodilatation nehmen bei Steigerung der Scherkräfte (Schubspannung) zu. Das ist zum Beispiel bei Dilatation der Arteriolen der Fall, sie steigert den Blutstrom und damit auch die Scherkräfte in den proximalen Gefäßabschnitten. Die NO-vermittelte Dilatation dieser Gefäßabschnitte (aszendierende Vasodilatation) führt dann zu einer weiteren Steigerung der Organdurchblutung. Die myogene Kontraktion wird umgekehrt durch die lokale endotheliale NO-Bildung abgeschwächt, da die Verengung des Gefäßabschnittes die lokalen Scherkräfte und damit die NO-Bildung steigert. Induzierbare NO-Synthase. Neben der in den Endothelzel-
len konstitutiv gebildeten NO-Synthase stimulieren einige Entzündungsmediatoren die Expression einer induzierba-
sodilatatorisch wirkenden Mediatoren noch Endotheline, die über Steigerung der intrazellulären Ca2+-Konzentration vasokonstriktorisch wirken und darüber hinaus die Vermehrung (Proliferation) der glatten Gefäßmuskelzellen fördern. Endotheline werden auch noch von anderen Zellen, wie Epithelzellen und Neuronen gebildet. Endotheliale Aktivierung und Inaktivierung von Mediatoren. Neben seiner Fähigkeit, die genannten Mediatoren zu
bilden, kann das Endothel gefäßaktive Mediatoren des Blutes aktivieren oder inaktivieren. Die Endothelzellen exprimieren ein angiotensin converting enzyme (ACE), das die Umwandlung von inaktivem Angiotensin I in das höchst vasokonstriktorisch wirksame Angiotensin II, sowie die Inaktivierung des vasodilatatorisch wirksamen Bradykinin vermittelt. Ferner ist das Endothel in der Lage, ATP/ADP (durch Ectonucleosidasen) und einige Mediatoren, wie Serotonin und Noradrenalin (durch oxidative Desaminierung) zu inaktivieren.
4
92
Kapitel 4 · Kreislauf
! Die Organdurchblutung wird auch durch endothelunabhängige Faktoren reguliert
Endothelunabhängige Wirkung von Mediatoren. Eine
4
Reihe der Mediatoren, welche die endotheliale NO-Bildung fördern, üben gleichzeitig eine direkte vasokonstriktorische Wirkung auf die Gefäßmuskulatur aus. Bei intaktem Endothel überwiegt der Einfluss des Endothels, und der Mediator übt eine vasodilatatorische Wirkung aus (. Tab. 4.2). Bei defektem Endothel tritt jedoch die direkte vasokonstriktorische Wirkung in den Vordergrund. So können u. a. Serotonin, Thrombin, ATP, ADP, Acetylcholin und Histamin unter geeigneten Bedingungen eine vasokonstriktorische Wirkung auslösen. Die vasokonstriktorische Wirkung von Serotonin und von Thrombin spielt vor allem bei der Blutungsstillung eine wichtige Rolle. Die vasokonstriktorische Wirkung von Serotonin wird ferner für die Kopfschmerzen bei Migräne verantwortlich gemacht. Histamin kann durch direkten Einfluss auf die Gefäßmuskulatur eine Kontraktion größerer Venen hervorrufen. ADH übt in den meisten Gefäßen (außer in Gehirn- und Koronargefäßen) eine überwiegend vasokonstriktorische Wirkung aus. Vasokonstriktorische Wirkung entfalten ferner die in Leukozyten und Makrophagen gebildeten Leukotriene, sowie Prostaglandin F2α und Thromboxan. Einer der stärksten direkten Vasokonstriktoren ist Angiotensin II. Neben einer direkten vasokonstriktorischen Wirkung steigert Angiotensin II auch die Ausschüttung des vasokonstriktorisch wirkenden Noradrenalin (s. u.). Regulation der Durchblutung von Drüsen. Epithelzellen in
Speicheldrüsen, Darmdrüsen, Schweißdrüsen etc. bilden bei Stimulation der Drüsentätigkeit vasodilatatorisch wirksame Kinine (Bradykinin) und teilweise Serotonin und erzielen auf diese Weise die erforderliche Steigerung der Durchblutung. Vegetatives Nervensystem. Große Bedeutung für die Kreislaufregulation hat der Einfluss des sympatischen Nervensystems auf die Gefäße (. Tab. 4.3). Der Sympathikus reguliert die Gefäße in erster Linie über Noradrenalin (αRezeptoren) und Adrenalin (β2-Rezeptoren). Trotz seiner stimulierenden Wirkung auf die NO-Bildung wirkt Noradrenalin vasokonstriktorisch und steigert damit den peripheren Widerstand. Adrenalin führt bei geringen Konzentrationen über β-Rezeptoren zu einer Vasodilatation in Skelettmuskulatur, Herz und Leber, während es in Haut und Gastrointestinaltrakt vasokonstriktorisch wirkt. Die
. Tab. 4.3. Faktoren, welche die glatte Gefäßmuskulatur beeinflussen Kontraktion
Noradrenalin (α1) Serotonin Thromboxan TxA2 Endothelin Angiotensin Thrombin
ATP/ADP Acetylcholin Histamin Leukotriene Prostaglandin F2α
Erschlaffung
NO Adrenalin (β2) Histamin Bradykinin Prostaglandin E2
Acetylcholin
. Tab. 4.2
dilatatorische Wirkung kann eine Abnahme des peripheren Widerstandes nach sich ziehen. Bei höheren Konzentrationen von Adrenalin überwiegt die Aktivierung der α-Rezeptoren und der periphere Widerstand nimmt zu. Bei pharmakologisch geblockten β2-Rezeptoren wirken bereits niedrige Adrenalinkonzentrationen überwiegend vasokonstriktorisch. Schließlich kann der Sympathikus Muskelgefäße durch cholinerge Fasern dilatieren. Acetylcholin wirkt dabei über endotheliale Freisetzung von NO (. Tab. 4.2). In den Gefäßen der Genitalorgane, der Pia und des Herzens lösen cholinerge Fasern des Parasympathikus gleichfalls über NO Vasodilatation aus. Autoregulation. Die Durchblutung einer Reihe von Organen (v. a. der Niere) ist in weiten Grenzen vom Blutdruck unabhängig (Autoregulation). Bei Ansteigen des Blutdruckes kontrahieren die Widerstandsgefäße der jeweiligen Organe und damit wird eine Zunahme der Durchblutung verhindert. Umgekehrt dilatieren die Widerstandsgefäße bei Absinken des Blutdruckes. In der Niere wird auf diese Weise die Durchblutung bei Änderungen des Blutdrucks von 80–180 mmHg weitgehend konstant gehalten (7 Kap. 9.2.2). Auch die Gehirndurchblutung ist weitgehend unabhängig vom Blutdruck. Die Gesamtdurchblutung des Gehirns ist ausgesprochen stabil. Allerdings wird bei Aktivierung einzelner Hirnareale die Durchblutung dieser Areale im Wesentlichen auf Kosten der Durchblutung weniger aktiver Hirnareale gesteigert.
93 4.4 · Organdurchblutung
4.4.2
Lunge
! Die Lungengefäße zählen zum Niederdrucksystem. Sie müssen vom gesamten Herzminutenvolumen (HZV) passiert werden. Bei Zunahme des HZV nimmt der Lungengefäßwiderstand ab
4.4.3
Gehirn
! Die Hirndurchblutung ist autoreguliert und wird durch Zunahme der Konzentrationen an H+, K+, Adenosin und NO gesteigert
Regulation der Gesamthirndurchblutung. Die HirndurchDruckwerte in Lungengefäßen. Der vom rechten Ventrikel
erzeugte Druck ist 20–25 mmHg systolisch und ca. 14 mmHg diastolisch, der Druck in den Kapillaren liegt im Mittel bei etwa 7 mmHg (7 Kap. 4.1.2). Im Ruhezustand kann der Kapillardruck in der Lungenspitze bei aufrechter Haltung unter den Druck in den Alveolen sinken. Folge ist ein Kollabieren der Kapillaren und eine völlige Unterbrechung der Durchblutung durch den Pulmonalkreislauf. Die geringe Perfusion geht mit einer verminderten Ventilation der apikalen Lungenanteile in Ruhe einher (7 Kap. 5.6.4). Bei Arbeit steigt der vom rechten Ventrikel erzeugte Druck und auch die apikalen Lungenabschnitte werden perfundiert. Die Blutversorgung des Lungengewebes wird auch bei fehlender Perfusion durch den Pulmonalkreislauf über die Bronchialgefäße aus dem Körperkreislauf gewährleistet. Die Kapillaren des Bronchialkreislaufes münden teilweise in die Venen des Pulmonalkreislaufes. Wirkung von O2 auf Lungengefäße. Im Gegensatz zu den Gefäßen des Körperkreislaufes werden die Lungengefäße bei Abnahme der O2-Konzentration konstringiert und bei Zunahme der O2-Konzentration dilatiert (Euler-Liljestrand-Mechanismus). Auf diese Weise wird gewährleistet, dass nur adäquat belüftete Alveolen durchblutet werden, während die Blutzufuhr schlecht belüfteter Alveolen gedrosselt wird. Eine Zunahme der O2-Konzentration führt in der Gefäßmuskulatur zu einer Aktivierung von K+-Kanälen, die folgende Hyperpolarisation hemmt den Ca2+-Einstrom durch spannungsabhängige Ca2+-Kanäle. Wegen der O2-Empfindlichkeit der Lungengefäße wird der Widerstand im Pulmonalkreislauf bei O2-Mangel gesteigert und bei O2Beatmung gesenkt. Passive Regulation der Lungengefäße. Im Gegensatz zu den anderen Organen mindert die Lunge ihren Gefäßwiderstand bei Zunahme des Perfusionsdruckes. Die Widerstandsabnahme ist Folge einer Dehnung der Gefäße durch den gesteigerten intramuralen Druck. Diese Besonderheit der Lunge ist sinnvoll, da eine Autoregulation der Lungendurchblutung jede Änderung des Herzzeitvolumens unterbinden würde.
blutung ist weitgehend unabhängig vom Blutdruck (Autoregulation). Die Durchblutung wird ferner kaum durch das vegetative Nervensystem beeinflusst. Die Hirngefäße reagieren allerdings sehr empfindlich auf Änderungen der lokalen H+-Konzentration, die von der CO2-Konzentration im Plasma beeinflusst wird. Im Gegensatz zu H+ und HCO–3 kann nämlich CO2 die Blut-Hirn-Schranke leicht überqueren (7 Kap. 4.4.1). Bei gesteigerter Abatmung von CO2 (Hyperventilation) sinkt im Hirngewebe die H+-Konzentration, die Hirndurchblutung wird gedrosselt und es kommt zur Mangeldurchblutung mit Auftreten von Krämpfen (Hyperventilationstetanie). Zunahme des CO2 führt über zerebrale Vasodilatation zu Hirndrucksteigerungen. Regionale Regulation. Die Durchblutung besonders ak-
tiver Hirnareale wird durch lokale Zunahme der Konzentrationen an K+, Adenosin und NO erzielt. NO wird bei neuronaler Aktivität von den Neuronen durch eine neuronale NO-Synthase freigesetzt.
4.4.4
Niere
! Die Nierendurchblutung ist über das Nierengewebe ungleich verteilt. Sie wird autoreguliert
Durchblutungsverteilung. Die Nierenrinde ist hervorragend, das Nierenmark schlecht durchblutet, wie an anderer Stelle ausgeführt wird (7 Kap. 9.2.2). Autoregulation. Die Nierendurchblutung ist vom systemischen Mitteldruck zwischen etwa 80 mmHg und 180 mmHg weitgehend unabhängig (7 Kap. 9.2.2). Regulation. Die Nierendurchblutung wird durch den Sym-
pathikus und eine Vielzahl von Hormonen reguliert (7 Kap. 9.2.2).
4
94
Kapitel 4 · Kreislauf
4.4.5
Haut
! Die Hautdurchblutung wird durch den Sympathikus und durch Bradykinin aus Schweißdrüsen reguliert
Regulation durch den Sympathikus. Die Hautgefäße wer-
4
den in erster Linie durch den Sympathikus reguliert. Abnahme des Sympathikotonus steigert die Hautdurchblutung, Zunahme des Sympatikotonus mindert die Hautdurchblutung. Die Venengeflechte unter der Haut enthalten bis zu 1,5 Liter Blut und stellen daher einen wichtigen Blutspeicher dar, der durch Vasokonstriktion rekrutiert werden kann.
der Muskelarbeit gesteigert werden (z. B. am Start eines 100-Meter-Laufes). Während der Arbeit wird die Durchblutung des Skelettmuskels durch lokale und endotheliale Mechanismen massiv gesteigert (7 Kap. 4.4.1) Kompression von Gefäßen. Bei Kontraktion von Skelettmuskeln werden die intramuskulären Gefäße komprimiert und damit die Durchblutung gedrosselt. Bei Haltearbeit ist die Durchblutung daher schlechter als bei dynamischer Arbeit. Nach einer Kontraktion kommt es zu reaktiver Hyperämie des Skelettmuskels.
4.4.8
Splanchnikusgebiet
Hautdurchblutung beiThermoregulation. Die Hautdurch-
blutung dient der Wärmeabgabe und kann unter Hitzebelastung bis auf 3 Liter/Minute gesteigert werden. Dabei nimmt der Sympathikotonus ab und die aktivierten Schweißdrüsen setzen vasodilatatorisch wirksames Bradykinin frei.
4.4.6
Herz
! Der Herzmuskel wird von Koronargefäßen versorgt. Die kardiale Durchblutung wird durch Kontraktion behindert und durch das vegetative Nervensystem sowie lokale Faktoren reguliert
Intramuraler Druck. Während der Kontraktion des Herzmuskels steigt der Gewebedruck im linken Ventrikel über den Druck in den Kapillaren und die Durchblutung von Teilen des linken Ventrikels kommt fast zum Erliegen, wie an anderer Stelle ausgeführt wird (7 Kap. 3.3.1). Regulation. Die Koronardurchblutung wird durch Trans-
mitter des vegetativen Nervensystems und lokale Faktoren (O2, CO2, pH, Adenosin, NO, endothelialer hyperpolarisierender Faktor, Prostaglandine) reguliert (7 Kap. 3.3.1)
4.4.7
Skelettmuskel
! Die Durchblutung der Skelettmuskulatur kann bei Arbeit bis auf das 20-fache ansteigen
Regulatoren. Die Durchblutung eines Skelettmuskels kann
über ß-Rezeptoren des Sympathikus bereits vor Einsetzen
! Im Pfortaderkreislauf sind zwei Kapillarnetze hintereinander geschalten
Pfortaderkreislauf. Das Blut im Splanchnikusgebiet passiert zunächst die Kapillaren des Gastrointestinaltraktes (75 %) und der Milz (25 %), wird zur Pfortader gesammelt, verteilt sich auf die kapillären Lebersinus und wird schließlich über die Lebervene der unteren Hohlvene zugeführt. Bereits im ersten Kapillargebiet sinkt der Druck stark ab, sodass mit einem Pfortaderdruck von etwa 8 mmHg der Druckgradient über die Leber nur wenige mmHg beträgt. Der Widerstand der Lebersinus ist normalerweise so gering, daß dieses Druckgefälle ausreicht. Bei Einengung des Gefäßbettes in der Leber (bei Leberzirrhose) nehmen der Pfortaderdruck und der hydrostatische Druck in den noch offenen Lebersinus zu. Die gesteigerte Filtration von Flüssigkeit v. a. in den proteinpermeablen Lebersinus führt zu einer Wasseransammlung im Bauchraum (Aszites). Der gesteigerte Druck fördert ferner den Abfluss von Blut über Verbindungsgefäße zwischen Pfortader und Vena cava (portokavale Anastomosen) am Nabel, Ende des Ösophagus und After. Die Erweiterung der Venen führt dann zum Caput medusae am Nabel, zu Ösophagusvarizen und zu Hämorrhoiden. O2-Versorgung der Leber. Das Pfortaderblut ist während
der Passage durch das erste Kapillargebiet bereits erheblich desoxygeniert, und der O2-Gehalt für die Versorgung der Leber nicht ausreichend. Daher wird der Leber über die Arteria hepatica zusätzlich O2-reiches Blut zugeführt. Das Blut aus der Arteria hepatica mischt sich vor den Lebersinus mit dem Blut der Pfortader.
95 4.4 · Organdurchblutung
Wirkung des Sympathikus. Aktivierung des Sympathikus führt zu einer massiven Vasokonstriktion in Gastrointestinaltrakt und Milz, deren Gefäße ausschließlich vasokonstriktorische α-Rezeptoren aufweisen. Arteriolen der Arteria hepatica exprimieren neben α-Rezeptoren auch β2-Rezeptoren, sodass Adrenalin eine Vasodilatation auslöst und unter dem Einfluss von Adrenalin der herabgesetzte Blutfluss aus der Pfortader teilweise durch gesteigerten Blutfluss über die Arteria hepatica kompensiert wird.
einen Wert aufgepumpt werden, der die Venen, nicht jedoch die Arterien komprimiert. Damit ist bei erhaltenem arteriellem Zustrom der venöse Abfluss unterbunden, und das Volumen der Extremität nimmt um den Blutfluss zu. Die Volumenzunahme der Extremität wird dabei durch Verdrängung von Wasser oder durch Messung der Zunahme des Extremitätumfanges mit einem Dehnungsmessstreifen ermittelt. Doppler-Sonographie. Ultraschall wird durch Gegenstän-
4.4.9
Durchblutungsmessung
! Die Durchblutung kann durch Venenplethysmographie oder Doppler-Sonographie ermittelt werden
Venenplethysmographie. Um die Durchblutung einer Ex-
tremität zu messen, kann der Druck in einer Manschette auf
de höherer Dichte, wie etwa Erythrozyten reflektiert. Bewegt sich der reflektierende Gegenstand auf die Schallquelle zu, dann weist die reflektierte Welle eine höhere Frequenz auf. Die Änderung der Frequenz kann dann als Maß für die Geschwindigkeit des reflektierenden Körpers genommen werden. Diese Methode wird nicht nur eingesetzt, um schnelle Autofahrer zu überführen, sondern auch, um die Strömungsgeschwindigkeit in Gefäßen zu erfassen.
In Kürze
Organdurchblutung Grundmechanismen 4 Regulation der Organdurchblutung: Myogen, metabolisch (CO2 n, H+ n, K+ n, O2 p, Adenosin), endothelial (NO, endothelial derived hyperpolarizing factor [EDHF], Prostazyklin, PAF, Endotheline) 4 Scherkräfte o endotheliale Ca2+-Konzentration n o NOS o NO o gefäßmuskuläre Guanylatzyclase o cGMP o G-Kinase o Ca2+-ATPase o Ca2+-Konzentration p o Vasodilatation 4 Entzündung o Induzierbare NO-Synthase o Vasodilatation o Blutdruckabfall 4 Defektes Endothel o Vasokonstriktion durch Serotonin, Thrombin, ATP, ADP, Acetylcholin, Histamin 4 Weitere Vasokonstriktoren: ADH, Leukotriene, Prostaglandin F2a, Thromboxan, Angiotensin II 4 Drüsentätigkeit o Bradykinin (Serotonin) o Vasodilatation 4 Vegetatives Nervensystem: Noradrenalin (α-Rezeptoren, Vasokonstriktion), Adrenalin (β2-Rezeptoren, Vasodilatation) 4 Autoregulation: v. a. Niere, Gehirn
tion (Euler-Liljestrand-Mechanismus); Perfusionsdruck n o Widerstand p Gehirn: Autoregulation, lokale Regulation durch K+, Adenosin und NO; Hyperventilation o CO2-Konzentration Plasma n o lokale H+-Konzentration p o Vasokonstriktion o zerebrale Ischämie o Krämpfe (Hyperventilationstetanie; Zunahme CO2 o zerebrale Vasodilatation o Hirndrucksteigerungen Niere: Nierenrinde hervorragend, Nierenmark schlecht durchblutet, autoreguliert Haut: Wichtiger Blutspeicher, wichtiges Stellglied der Thermoregulation Herz: Linksventrikulär stark schwankend; Regulation: ß-Rezeptoren des Sympathikus, lokale Faktoren (O2, CO2, pH, Adenosin, NO, EDHF, Prostaglandine) Skelettmuskel: ß-Rezeptoren des Sympathikus, lokale und endotheliale Mechanismen Splanchnikusgebiet: Pfortaderkreislauf: Gastrointestinaltrakt (75 %), Milz (25 %) o Pfortader o Lebersinus o Lebervene; Leberzirrhose: Filtration o Aszites; portokavale Anastomosen (Nabel, Ösophagus, After); Arteria hepatica wird durch β2-Rezeptoren dilatiert
Lunge: Pulmonalgefäße 25/14 mmHg, Kapillaren 7 mmHg; Perfusion apical < basal; O2 p o Vasokonstrik-
Durchblutungsmessung 4 Venenplethysmographie, Doppler-Sonographie
4
96
Kapitel 4 · Kreislauf
4.5
Fetaler und plazentarer Kreislauf
4.5.1
Blutströmung in Plazenta und fetalem Kreislauf
! Die O2-Versorgung des Feten erfolgt über die Plazenta. Blut umgeht die fetale Lunge über das Foramen ovale und den Ductus arteriosus
4
Versorgung über die Plazenta. Der Fetus wird über die Pla-
zenta mit O2 und Nährstoffen versorgt und gibt über die Plazenta CO2 und Stoffwechselprodukte ab. Zur Gewährleistung der hinreichenden Perfusion der Plazenta muss die Durchblutung des Uterus bis 60-fach gesteigert werden. Das mütterliche Blut ergießt sich in den weiten intervillösen Raum der Plazenta, in den die vom kindlichen Kreislauf perfundierten Plazentazotten eintauchen. Blutströmung im fetalen Kreislauf. Das kindliche Blut aus
der Arteria umbilicalis (ein Ast der Arteria iliaca interna) wird unvollständig mit O2 gesättigt und verläßt die Plazenta über die Vena umbilicalis, die in die Pfortader mündet (. Abb. 4.13). Über den Ductus venosus (Arantii) gelangt das Blut unter Umgehung der Leber in die Vena cava inferior und von dort zum rechten Vorhof. Durch die Strömungsverhältnisse im rechten Vorhof gelangt der größte Teil des Blutes durch das Foramen ovale direkt in den linken Vorhof und wird von dort in die Aorta ausgeworfen. Ein kleiner Teil gelangt mit dem größten Teil des (desoxygenierten) Blutes aus der Vena cava superior in den rechten Ventrikel und wird in die Arteria pulmonalis ausgeworfen. Nur ein Viertel dieses Blutes wird durch die Lunge in den linken Vorhof gepumpt, drei Viertel strömen über den Ductus arteriosus (Botalli) in die Aorta. Die Gefäße für das Gehirn werden von der Aorta vor der Einmündung des Ductus arteriosus abgegeben. Auf diese Weise wird gewährleistet, dass dem Gehirn relativ O2-reiches Blut aus dem linken Ventrikel angeboten wird. Bei der Geburt wird die mütterliche Durchblutung während der Kontraktion der Uterusmuskulatur unterbrochen. Die periodische Unterbrechung der Uteruskontraktionen ist daher für die O2-Versorgung des Feten bei der Geburt notwendig.
. Abb. 4.13. Fetaler Kreislauf. Die Umbilikalvenen liefern oxygeniertes Blut aus der Plazenta, das sich mit desoxygeniertem Blut aus der unteren Körperhälfte mischt. Das teilweise oxygenierte Blut gelangt vorwiegend durch das Foramen ovale in den linken Ventrikel und wird in die Aorta ausgeworfen, von wo es überwiegend die obere Körperhälfte (v. a. Gehirn) versorgt. Das aus dem Gehirn zurückkehrende desoxygenierte Blut gelangt vorwiegend in den rechten Ventrikel, von dort in die Pulmonalarterie und dann zu den Lungen und über den Ductus arteriosus zur Aorta nach Abgang der Gefäße zu Gehirn und Armen. Das relativ stark desoxygenierte Blut versorgt die untere Körperhälfte und gelangt z. T. über die Umbilikalarterien in die Plazenta
97 4.6 · Ischämie
4.5.2
Kreislaufumstellung nach der Geburt
In Kürze
Fetaler und plazentarer Kreislauf
! Bei der Geburt entfaltet sich die Lunge und das Herzminutenvolumen passiert nun die Lunge. Foramen ovale und Ductus arteriosus Botalli werden normalerweise, aber nicht immer, verschlossen
Blutströmung in Plazenta und fetalem Kreislauf 4 Mütterliches Blut o intervillöse Räume o Plazentazotten Blutströmungen im fetalen Kreislauf 4 Arteria umbilicalis o Plazenta o Vena umbilicalis o Pfortader o Ductus venosus (Arantii) o Vena cava inferior o rechter Vorhof o Foramen ovale o linker Vorhof o Aorta 4 Vena cava superior o rechter Ventrikel o Arteria pulmonalis o Ductus arteriosus (Botalli) o Aorta
Umstellung. Nach der Geburt stimulieren O2-Mangel und
CO2-Überschuss die atemregulierenden Neurone und der Atemantrieb führt zur Entfaltung der Lunge. Damit sinken der Widerstand im Pulmonalkreislauf und der Druck in der Arteria pulmonalis. Das vom rechten Ventrikel ausgeworfene Volumen passiert nun im Wesentlichen die Lungen. Der Druck im rechten Vorhof sinkt wegen des herabgesetzten Rückstroms aus der Umbilikalvene und der stärkeren Pumpleistung des rechten Ventrikels. Gleichzeitig steigt der Druck im linken Vorhof wegen des gesteigerten Rückstroms aus den Pulmonalvenen. Darüber hinaus steigert der Verschluss der Umbilikalgefäße Widerstand und Druck im großen Kreislauf. Die Druckumkehr zwischen den Vorhöfen verschließt normalerweise das Foramen ovale, die Druckumkehr zwischen Aorta und Pulmonalarterien führt zu Strömungsumkehr und Verschluss im Ductus arteriosus. Im Laufe von Monaten werden Foramen ovale und Ductus arteriosus in der Regel dauerhaft verschlossen.
4.6
Ischämie
Folgen inkompletter Umstellung. Bei defektem Verschluss
4.6.1
Ischämiefolgen
fließt Blut durch das Foramen ovale vom linken in den rechten Vorhof bzw. durch den Ductus arteriosus von der Aorta in die Arteria pulmonalis. In beiden Fällen ist der Blutfluss durch die Pulmonalgefäße gesteigert. Eine erheblich gesteigerte Durchblutung der Pulmonalgefäße führt auf die Dauer zu einer Hypertrophie der Gefäßmuskulatur mit Zunahme des Widerstandes im Pulmonalkreislauf. Die Druckbelastung des rechten Ventrikels kann letztlich zum Herzversagen führen. Daher muß eine hämodynamisch relevante Verbindung durch Foramen ovale oder persistierenden Ductus arteriosus operativ verschlossen werden.
Geburtsumstellung 4 Entfaltung der Lunge o Widerstand im Pulmonalkreislauf p o Druck in Arteria pulmonalis p o Pumpleistung des rechten Ventrikels n o linker Vorhofdruck n o Verschluss Foramen ovale, Strömungsumkehr und Verschluss im Ductus arteriosus
! Bei Ischämie tritt Energiemangel auf, der irreversible Schäden nach sich ziehen kann. Das Gehirn ist besonders empfindlich
Unmittelbare Folgen einer Ischämie. Ischämie führt zu 4 Energiemangel mit Hemmung der Na+/K+-ATPase-Ak-
tivität 4 Zunahme der intrazellulären Na+-Konzentration 4 Abnahme der intrazellulären und Zunahme der extra4 4 4 4
zellulären K+-Konzentration Depolarisation Cl--Einstrom Zellschwellung Zelltod
Ischämie des Gehirns. Ischämie (z. B. Arteriosklerose) oder Blutungen (z. B. Traumen, Gefäßaneurysmen, Hypertonie) können zum Schlaganfall führen. Durch Kompression benachbarter Gewebe lösen auch Blutungen Ischämien aus. Ein völliger Ausfall der Hirndurchblutung
4
98
4
Kapitel 4 · Kreislauf
führt binnen 15–20 Sekunden zur Bewusstlosigkeit (7 Kap. 20.2.2) und nach 7–10 Minuten zu irreversibler Schädigung des Gehirns. Der Energiemangel führt über Hemmung der Na+/K+-ATPase letztlich zu Depolarisation, Zellschwellung und Zelltod. Die Depolarisation fördert die Ausschüttung von Glutamat, das über Einstrom von Na+ und Ca2+ den Zelltod beschleunigt. Zellschwellung, Freisetzung vasokonstriktorischer Mediatoren und Verlegung der Gefäßlumina durch Granulozyten verhindert bisweilen bei Behebung der primären Ursache die Reperfusion. Der nekrotische Zelluntergang löst eine Entzündung aus, die auch Zellen im ischämischen Randbezirk (Penumbra) schädigen kann. Ischämie vegetativer Organe. Ähnlich kurz wie das Gehirn
überlebt der arbeitende Herzmuskel, der sich bereits nach 3 4 Minuten vollständiger Ischämie nur mehr langsam und teilweise erholt. Ruhendes Herz, Niere und Leber können dagegen mehrere Stunden ohne bleibende Schäden von der Blutzufuhr abgeschnitten werden.
4.6.2
Wiederbelebungszeit
! Die Wiederbelebungszeit ist eine Funktion der Stoffwechselaktivität
Wiederbelebungszeit. Die Wiederbelebungszeit ist derje-
nige Zeitabschnitt, den ein Organ von der Blutzufuhr abgeschnitten sein kann, ohne dass bleibende Schäden zurückbleiben.
Sie hängt unter anderem von der Stoffwechselaktivität des Organs ab. So kann die Wiederbelebungszeit durch Kühlen des Organs erheblich gesteigert werden. Wegen der beschränkten Überlebenszeit von Herz und Gehirn (7 Kap. 4.6.1) beträgt die Wiederbelebungszeit des Organismus normalerweise nur wenige Minuten. Bei Unterkühlung (z. B. Lawinenopfer) kann diese Zeit allerdings massiv gesteigert sein. In Kürze
Ischämie Ischämiefolgen 4 Ischämie o Energiemangel o Na+/K+-ATPase p o NaCl-Akkumulation o Zellschwellung o Zelltod 4 Irreversible Schädigung nach Ischämie von 10 Minuten Gehirn, 4 Minuten arbeitendes Herz Wiederbelebungszeit 4 Bei Arbeit wenige Minuten, ruhende oder abgekühlte Organe Stunden
5
5 Atmung 5.1
Morphologische Grundlagen
– 100
5.1.1 Strukturen der Lunge – 100 5.1.2 Blutversorgung der Lunge – 100
5.2
Nichtrespiratorische Lungenfunktion – 100
5.2.1 Aufgaben zuführender Atemwege 5.2.2 Regulation der Atemwege – 101
5.3
Physikalische Grundlagen – 102
5.3.1 Eigenschaften von Gasen 5.3.2 Gasdiffusion – 103
5.4
– 100
Atemmechanik
– 102
– 104
5.4.1 Lungenvolumina und Statik des Atemapparates – 104 5.4.2 Dynamik des Atemapparates – 106
5.5
Lungenperfusion
– 114
5.5.1 Eigenschaften der Lungengefäße – 114 5.5.2 Beeinflussbarkeit der Lungenperfusion – 114
5.6
Gasaustausch in der Lunge – 115
5.6.1 5.6.2 5.6.3 5.6.4
O2-Aufnahme, CO2-Abgabe – 115 Ventilation – 115 Diffusion – 115 Verteilung von Ventilation und Perfusion – 116
5.7
Atemgastransport im Blut – 117
5.7.1 O2 – 117 5.7.2 CO2 – 121 5.7.3 Wechselwirkung zwischen O2- und CO2- Bindung
5.8
Atmungsregulation – 123
5.8.1 Atemzentren, Atemreize – 123 5.8.2 Formen normaler und veränderter Atmung
5.9
– 122
– 125
Atmen unter ungewöhnlichen Bedingungen
– 127
5.9.1 Atmen in der Höhe – 127 5.9.2 Tauchen – 128 5.9.3 Atemspende – 128
5.10 Säure-Basen-Gleichgewicht und Pufferung – 129 5.10.1 5.10.2 5.10.3 5.10.4
Pufferung und H+-Ionen – 129 Pufferung und CO2-Austausch – 131 Säure-Basen-Haushalt – 131 Störungen des Säure-Basenaushaltes – 134
100
5
Kapitel 5 · Atmung
> > Einleitung
5.1.2
Wir beziehen unsere Energie im Wesentlichen aus der oxidativen Verbrennung von Nährstoffen, wie Kohlenhydraten, Fetten und Eiweiß zu CO2 und H2O. Dazu muss O2 zugeführt und CO2 eliminiert werden. Anders als die Nährstoffe kann O2 nicht in nennenswerten Mengen gespeichert, sondern muss ständig entsprechend dem Bedarf aufgenommen werden. Das ist Aufgabe der Atmung. O2 wird mit der Atemluft über Konvektion in die Lunge befördert (eingeatmet), wo es in den Lungenalveolen in engen Kontakt mit dem Blut tritt. Durch Diffusion gelangt es ins Blut, wird mit dem Blut über Konvektion in die verschiedenen Gewebe befördert und diffundiert dort zu den Zellen. CO2 nimmt den umgekehrten Weg über Blut und Alveolen zur Ausatemluft (bzw. dem exspirierten Gasgemisch).
! Die Lunge wird über Pulmonalgefäße und Bronchialgefäße durchblutet
Blutversorgung der Lunge
Pulmonalkreislauf. Aus dem rechten Ventrikel des Herzens
gelangt O2-armes und CO2-reiches Blut über die Pulmonalarterie und relativ dünnwandige Arteriolen zu den Lungenkapillaren, die ein flächiges Netz um die Alveolen bilden. Widerstand im Lungenkreislauf. Der Widerstand der Lungengefäße ist gering, und ein geringer Druckgradient von etwa 8 mmHg genügt, um das gesamte Herzminutenvolumen durch den Lungenkreislauf zu pumpen (7 Kap. 4.4.2). Bei Zunahme des Druckes werden die Lungengefäße gedehnt und der Widerstand sinkt weiter (7 Kap. 5.6).
5.1
Morphologische Grundlagen
Bronchialgefäße. Zusätzlich zum Pulmonalkreislauf wird
5.1.1
Strukturen der Lunge
Lungengewebe von Bronchialgefäßen aus dem großen Kreislauf durchblutet. Der Anteil dieser Gefäße an der Lungendurchblutung ist jedoch gering.
! Der Weg von O2 in die blutumströmten Alveolen führt über einen fein verästelten Bronchialbaum. Die Lunge ist vom flüssigkeitsgefüllten Pleuraspalt umgeben
In Kürze
Morphologische Grundlagen Strukturen der Lunge 4 Bronchialbaum: Rachenraum, Trachea, Bronchien, Bronchiolen, Bronchioli respiratorii, Ductus alveolares 4 Alveolen:1 µm dicke Wand, 100 m2 Fläche, Typ II Zellen bilden Surfactants
Bronchialbaum. Der Weg der Atemluft zu den Alveolen
führt über Rachenraum, Trachea, Bronchien, Bronchiolen, Bronchioli respiratorii und Ductus alveolares zu den Alveolen. Ab den Bronchioli respiratorii hat die Atemluft bereits Kontakt mit den Blutgefäßen.
Blutversorgung der Lunge 4 Pulmonalgefäße (gesamtes Herzminutenvolumen) und Vasa privata
Alveolen. Die Wand der Alveolen ist nur etwa 1 µm dick,
die Alveolarfläche beträgt insgesamt etwa 100 m2. Der kurze Diffusionsweg aus den Alveolen in das Blut und die große Fläche der Alveolarwand begünstigen die Diffusion von O2 von der Alveolarluft in das Blut und von CO2 aus dem Blut in die Alveolarluft (7 Kap. 5.3.2). In den Alveolen unterscheidet man zwei Typen von Zellen. Die Typ I Zellen sind flach und bekleiden den größten Teil der Alveolarfläche. Die Typ II Zellen bilden oberflächenaktive Substanzen (Surfactants, 7 Kap. 5.4.2).
5.2
Nichtrespiratorische Lungenfunktion
5.2.1
Aufgaben zuführender Atemwege
Pleuraspalt. Die Lunge ist von Pleura umgeben, ein mit
! Die Atemwege reinigen, erwärmen und befeuchten die Inspirationsluft. Erreger werden im Schleim abgefangen und durch Zellen des Immunsystems bekämpft
Flüssigkeit gefüllter kapillärer Spaltraum, der die Beweglichkeit der Lunge im Thorax gewährleistet.
Reinigung, Erwärmung und Anfeuchtung. Die Aufgabe
der zuführenden Atemwege ist keinesfalls nur die Verteilung der Luft auf die Vielzahl der Alveolen. Bis zum Kontakt
101 5.2 · Nichtrespiratorische Lungenfunktion
mit den Alveolen muss die Luft auf Körpertemperatur angewärmt, mit Wasserdampf gesättigt und gereinigt werden. Vor allem die Reinigung der Inspirationsluft ist von vitaler Bedeutung, da sonst Krankheitserreger ungehinderten Zugang zum Blut finden könnten. Schleimproduktion. Um das Eindringen von Erregern zu erschweren, wird Schleim in die Atemwege sezerniert, in dem Luftverunreinigungen hängen bleiben. Das Epithel der zuführenden Atemwege befördert den Schleim mit Hilfe von Flimmerhaaren in Richtung Rachenraum (. Abb. 5.1). Dort wird der Schleim verschluckt und gelangt in das saure Magenmilieu, das die Erreger normalerweise vernichtet.
Die Flimmerhaare können freilich nicht schlagen, wenn sie im zähflüssigen Schleim stecken. Daher wird ein dünnflüssiges Sekret abgesondert, das den zähflüssigen Schleim von den Flimmerhaaren abhebt. Der Schleim schwimmt also wie ein Boot auf einem durch die Flimmerhaare bewegten Flüssigkeitsfilm. Ist die Absonderung des dünnflüssigen Sekretes gestört (z. B. bei der zystischen Fibrose, einer Erbkrankheit), dann bleibt der Schleim auf den Flimmerhaaren sitzen und verstopft förmlich die Bronchien. Zellen der Immunabwehr. Die Atemwege sind, da die Lun-
ge eine besonders gefährdete Eintrittspforte für Erreger darstellt, in hohem Maße von Zellen der Immunabwehr besiedelt, wie Lymphozyten, Alveolarmakrophagen und Gewebsmastzellen. In das Lumen werden Antikörper (IgA, 7 Kap. 2.5.3) und weitere Proteine (z. B. Defensine, 7 Kap. 2.5.2) sezerniert, durch welche eingedrungene Erreger unschädlich gemacht werden sollen.
5.2.2
Regulation der Atemwege
! Die Bronchialweite wird durch das vegetative Nervensystem und Entzündungsmediatoren reguliert
Nervensystem. Die Wahrscheinlichkeit, dass Fremd-
. Abb. 5.1. Die Beförderung von Schleim in den Atemwegen. In den Atemwegen wird Schleim sezerniert, in dem Erreger hängen bleiben. Ferner wird in den Bronchialepithelien über Cl--Kanäle Cl- sezerniert. Dadurch wird das Lumen negativ und das positiv geladene Na+ in das Lumen getrieben. Dem NaCl folgt osmotisch Wasser in das Lumen. Dadurch wird der Schleim vom Epithel abgehoben und die epithelialen Flimmerhaare können in der dünnflüssigen Elektrolytlösung schlagen (oben). Bei einem Defekt der sekretorischen Cl --Kanäle (cystic fibrosis transmembrane regulator, CFTR) ist die Cl --Sekretion unterbunden. Gleichzeitig wird durch Aktivierung von Na+-Kanälen Na+ resorbiert. Aufgrund der folgenden H2O-Resorption setzt der Schleim auf den Flimmerhaaren auf und kann nicht mehr zum Rachen transportiert werden (unten). Der Schleim verstopft die Atemwege und die Erreger werden nicht abtransportiert, sondern vermehren sich im Schleim und erzeugen eine lokale Entzündung
körper bis in die Alveolen verschleppt werden, hängt von der Weite der Bronchien und Bronchiolen ab. Die Bronchi(ol)en sind von einer Muskulatur umgeben, welche die Weite des Lumens regulieren können. Der Parasympathikus (Acetylcholin) aktiviert v. a. während der Exspiration die Bronchialmuskulatur und verengt damit die Bronchien. Der Sympathikus (β2-Rezeptoren, 7 Kap. 14.2), hemmt v. a. während der Inspiration die Kontraktion der Bronchialmuskulatur und erweitert damit die Bronchien. Die Wirkung des Sympathikus mindert den Atemwegswiderstand, steigert jedoch gleichzeitig das Risiko, dass Erreger und Partikel tiefer in die Lunge eindringen können. Bronchodilatatorische Wirkung erzielt ferner VIP, ein Peptid, das gleichfalls von Nervenendigungen freigesetzt wird. Die Atemwege sind ferner afferent mit Nerven versorgt. Werden die Nervenendigungen z. B. durch Fremdkörper gereizt, dann wird ein Husten- oder Niesreflex eingeleitet, der nach langsamer Inspiration durch »explosionsartige« Exspiration den Fremdkörper hinauskatapultieren soll.
5
102
Kapitel 5 · Atmung
Entzündungsmediatoren. Bei einer Immunantwort (7 Kap. 2.5) geben die Zellen Mediatoren, wie Histamin, Prostaglandine und Leukotriene ab, welche einerseits die Schleimproduktion fördern und andererseits über Kontraktion der Bronchialmuskulatur eine Verengung der Bronchien bewirken. In Kürze
Nichtrespiratorische Lungenfunktion Aufgaben zuführender Atemwege 4 Atemwege reinigen, erwärmen und befeuchten 4 Schleim fängt Erreger ab, wird auf sezernierter Flüssigkeitsschicht rachenwärts transportiert. Bei zystischer Fibrose fehlt Flüssigkeitssekretion und Schleim bleibt hängen 4 Immunabwehr: Lymphozyten, Alveolarmakrophagen, Gewebsmastzellen; Antikörper (IgA), Defensine
5
Regulation der Atemwege 4 Nervensystem: Parasympathikus (Acetylcholin) verengt, Sympathikus (β2) + VIP erweitern Bronchien. Afferenzen erzeugen Husten- oder Niesreflex 4 Entzündungsmediatoren: v. a. Histamin, Prostaglandine und Leukotriene o Schleimproduktion, Kontraktion Bronchialmuskulatur
5.3
Physikalische Grundlagen
5.3.1
Eigenschaften von Gasen
wobei R (= 8,31 J/[mol · K]) die Gaskonstante und n die Menge des Gases ([mol]) ist. Der Gesamtdruck eines Gasgemisches ist die Summe der Drücke (Partialdrücke), die von den einzelnen Gasen erzeugt werden. Trockene Luft hat eine Zusammensetzung von ≈21% O2, ≈78% N2, ≈1% Argon, und 0,04% CO2. Bei einem atmosphärischen Druck von 100 kPa üben die Gase somit einen Partialdruck von 21 kPa (≈160 mmHg) O2, 0,04 kPa (≈0,3 mmHg) CO2 und 79 kPa (≈600 mmHg) restliche Gase (fast ausschließlich N2). Wird die Luft auf zwei Atmosphären komprimiert, dann steigen auch die Partialdrücke auf jeweils das Doppelte. Der Partialdruck eines Gases in einem Gasgemisch ist also vom Gesamtdruck des Gasgemisches und dem prozentualen Anteil des Gases im Gasgemisch abhängig. Bei vollständiger Sättigung von Luft mit Wasserdampf bei 37 °C und 100 kPa erreicht der Anteil des Wasserdampfes etwa 6,2 %, d. h. der Anteil von O2 sinkt auf 19,6%, der Anteil von N2 auf 74,2 % und der von CO2 auf 0,036%. Die
! Die Inspirationsluft enthält v. a. N2, O2, CO2 und Wasserdampf. Der Druck, den ein einzelnes Gas ausübt (Partialdruck), ist eine Funktion von Konzentration und Temperatur
Druckgradienten. Für die Aufnahme von O2 aus dem alve-
olaren Gasgemisch in das Blut und die Abgabe von CO2 aus dem Blut in die Alveolen ist der Druckgradient des jeweiligen Gases zwischen alveolarem Gasgemisch und Blut maßgebend. Physikochemie der Gase. Der Druck (P), den ein Gas in dem Volumen V ([l]) ausübt, ist eine Funktion der Konzentration (c [mol/l]) dieses Gases und der absoluten Temperatur (T [K]):
P = c · R · T = R · T · n/V
. Abb. 5.2. Druck (Patm) und O2-Partialdruck (PO2,insp) wasserdampfgesättigter Luft in Abhängigkeit von der Höhe. Bei zunehmender Höhe sinkt der atmosphärische Druck (Patm) und damit der inspiratorische O2-Druck. Der alveolare O2-Partialdruck (PO2,alv) nimmt weniger stark ab als PO2,insp, da durch die Hypoxie die alveolare Ventilation (V˙a ) gesteigert wird
103 5.3 · Physikalische Grundlagen
Wasserdampfsättigung trockener Inspirationsluft auf dem Weg zu den Alveolen senkt somit geringfügig die Partialdrücke von O2, N2 und CO2. Der Partialdruck eines Gases in einem Gasgemisch sinkt mit der Abnahme des atmosphärischen Druckes, wie etwa in der Höhe (. Abb. 5.2). Während der atmosphärische Druck am Meeresspiegel ca. 101 kPa (760 mmHg) beträgt, sinkt er bei 8000 m Höhe auf nur noch 36 kPa (274 mmHg). Volumenmessbedingungen. Um die, unter verschiedenen
experimentellen (bzw. klinischen) Bedingungen ermittelten inspirierten oder exspirierten Gasvolumina miteinander vergleichen zu können, muss der Einfluss des atmosphärischen Druckes, der Temperatur und der Wasserdampfsättigung berücksichtigt werden. Gebräuchlich sind v. a. drei Bedingungen: 4 STPD: 0°C bzw.273K (standard temperature), atmosphärischer Druck von 760 mmHg bzw. 101 kPa (standard pressure) und trocken (dry) 4 BTPS: Körpertemperatur (body temperature= 37°C = 310°K), der jeweils herrschende atmosphärische Druck (pressure) und wasserdampfgesättigt (saturated) 4 ATPS: Raumtemperatur (ambient temperature), der jeweils herrschende atmosphärische Druck (pressure) und wasserdampfgesättigt (saturated) Die unter BTPS- oder ATPS-Bedingungen ermittelten Messwerte lassen sich auf STPD-Bedingungen umrechnen, wie etwa das unter BTPS-Bedingungen gewonnene Volumen eines Gasgemisches (VBTPS) in das entsprechende Volumen unter STPD Bedingungen:
VSTPD = VBTPS · (273K/310K) · (PB–6,3 kPa)/101 kPa wobei PB der herrschende Barometerdruck ist.
5.3.2
Gasdiffusion
! Gase diffundieren entlang eines Druckgradienten, die Diffusion ist eine Funktion der Diffusionsstrecke, der Fläche und der Diffusionsleitfähigkeit
Parameter der alveolaren Gasdiffusion. Der Transport von O2 und CO2 über die alveolokapilläre Membran geschieht durch Diffusion. Die Menge an O2 oder CO2, welche pro ˙ ), ist eine Funktion von PartialZeiteinheit diffundiert (M druckunterschied zwischen Blut und Alveole (ΔP), der Diffusionsfläche (F) und der Diffusionsstrecke (d):
˙ = K · F · ΔP/d M K (Krogh-Diffusionskoeffizient) ist ein Maß für die Diffusionsleitfähigkeit der Alveolarwand. Sie ist für CO2 etwa 20-mal größer als für O2, d. h. die Diffusion für CO2 benötigt einen wesentlich geringeren Gradienten (ΔP). Ursache ist die entsprechend bessere Löslichkeit von CO2 (5 ml/ l · kPa) als O2 (0,2 ml/l · kPa) in Wasser. Die Diffusionsfläche (in etwa die Alveolaroberfläche) ist normalerweise 80–140 m2. Die Diffusionsstrecke, also die Strecke über Alveolarepithel, Interstitium und Kapillarendothel, weist eine Dicke von weniger als einem µm auf. K, F und d können zur Diffusionskapazität der Lunge (DL = K · F/d) zusammengefasst werden. Für O2 erreicht sie normalerweise etwa 0,2 l/min · kPa.
In Kürze
Physikalische Grundlagen Eigenschaften von Gasen 4 Druck: P = c · R · T = R · T · n/V 4 Gesamtdruck von Gasgemisch = Summe der Partialdrücke 4 Wasserdampfdruck bei 37°C 6,2 kPa 4 Atmosphärischer Druck: Meeresspiegel ≈101 kPa (760 mmHg), 8000 m Höhe ≈36 kPa (274 mmHg) 4 STPD = 0°C (273K), 101 kPa, trocken; BTPS = 37°C, atmosphärischer Druck, wasserdampfgesättigt, ATPS
= Raumtemperatur, atmosphärischer Druck wasserdampfgesättigt; VSTPD = VBTPS · (273K/310K) · (PB – 6,3 kPa)/101 kPa Gasdiffusion 4 Diffusion: M = K · F · ΔP/d. K = Krogh-Diffusionskoeffizient (KCO2 ≈20-mal > KO2) 4 Diffusionskapazität: DL = K · F/d (für O2 ≈ 0,2 l/min · kPa
5
104
Kapitel 5 · Atmung
5.4
Atemmechanik
5.4.1
Lungenvolumina und Statik des Atemapparates
! Ein Teil des Lungenvolumens nimmt nicht am Gasaustausch teil (Totraumvolumen). Das nach Exspiration in der Lunge verbleibende Volumen ist funktionell bedeutsam
5
Totraum. Nur die letzten Verzweigungen der Atemwege nehmen am Gasaustausch teil. Die übrigen Atemwege sind Totraum, der beim Gesunden etwa 150 ml umfasst. Das heißt, bei einem Atemzug von 150 ml wird lediglich der Totraum mit frischer Luft gefüllt, während das bei der vorausgegangenen Ausatmung aus den Alveolen stammende und im Totraum verbliebene Gasgemisch nun erneut in die Alveolen bewegt wird. Bei einem Atemzug von 150 ml oder weniger findet also keine Erneuerung des Gasgemisches in den Alveolen statt. Der durch den Bronchialbaum vorgegebene anatomische Totraum muss vom funktionellen Totraum unterschieden werden, der alle, am Gasaustausch nicht teilnehmenden Volumina der Lunge umfasst. Erkrankungen können den Gasaustausch zwischen Alveolen und ihren Kapillaren beeinträchtigen und somit den funktionellen Totraum auf ein Mehrfaches des anatomischen Totraums steigern.
. Abb. 5.3. Die verschiedenen Lungenvolumina. AZV = Atemzugvolumen, ERV = exspiratorisches Reservevolumen, fRK = funktionelle Residualkapazität, IRK = inspiratorische Reservekapazität, IRV = Inspi-
Weitere Lungenvolumina. . Abb. 5.3 stellt die verschiede-
nen weiteren Lungenvolumina zusammen. Dabei wird die Summe von mehr als einem Volumen immer als Kapazität bezeichnet: 4 Das Atemzugvolumen beträgt bei normaler Atmung etwa 0,5 Liter 4 Nach normaler Ausatmung (Atemruhelage) befindet sich immer noch Luft in der Lunge (funktionelle Residualkapazität). Selbst bei maximaler Ausatmung bleibt noch etwa ein Liter alveolares Gasgemisch in der Lunge (Residualvolumen). Die Differenz von funktioneller Residualkapazität und Residualvolumen ist das exspiratorische Reservevolumen 4 Maximale Inspiration aus der Atemruhelage ergibt die inspiratorische Kapazität. Die Differenz von inspiratorischer Kapazität und Atemzugvolumen ist das inspiratorische Reservevolumen 4 Das maximale Volumen, das nach maximaler Inspiration ausgeatmet werden kann, ist die Vitalkapazität. Die Vitalkapazität und das Residualvolumen können schließlich zur Totalkapazität zusammengefasst werden (. Abb. 5.3) 4 Bei maximaler Ausatmung kollabieren die basalen vor den apikalen Alveolen. Das Volumen, das nach Verschluss der basalen Alveolen noch ausgeatmet werden kann, ist das Verschlussvolumen (. Abb. 5.3). Die Summe von Verschlussvolumen und Residualvolumen ist die Verschlusskapazität
ratorisches Reservevolumen, RV = Residualvolumen, TK = Totalkapazität, VK = Vitalkapazität, VV = Verschlussvolumen
105 5.4 · Atemmechanik
Faktoren, welche die Lungenvolumina beeinflussen. Die Atemvolumina sind in der Regel bei Männern größer als bei Frauen, nehmen mit der Körpergröße zu und hängen vom Zustand des Individuums und der Beweglichkeit seines Thorax ab. So ist bei Hochleistungssportlern in der Regel die Vitalkapazität relativ groß. Totalkapazität und Vitalkapazität nehmen mit höherem Alter ab, das Residualvolumen und die funktionelle Residualkapazität jedoch zu.
Radius gewinnen würde. Letztlich würden nur wenige große Alveolen übrig bleiben. Bei Verkleinerung einer Alveole nimmt jedoch die Konzentration an Surfactants zu und damit die Oberflächenspannung ab. Die größere Alveole weist umgekehrt eine geringere Surfactantkonzentration auf. Daher ist die Oberflächenspannung bei kleinen Alveolen herabgesetzt und bei großen Alveolen gesteigert und die Alveolen streben eine mittlere Größe an (. Abb. 5.4).
Bedeutung der funktionellen Residualkapazität. Während der normalen Atemtätigkeit wird nur ein kleiner Teil (ca. 0,5 Liter) des Lungenvolumens ausgeatmet und die funktionelle Residualkapazität verbleibt in der Lunge. Durch die Atemzüge wird die Luft in der Lunge periodisch aufgefrischt, ohne die Zusammensetzung der Inspirationsluft zu erreichen. Wegen der funktionellen Residualkapazität verbleibt nach der Ausatmung immer noch O2 in der Lunge und kann in das kontinuierlich durchströmende Blut aufgenommen werden. Abhängigkeit der Volumina vom Druck. Die Zunahme des Lungenvolumens bei Inspiration erfordert eine Dehnung der Lunge, wozu ein Unterdruck in der Pleura erforderlich ist (Druck-Volumen-Beziehung, 7 Kap. 5.4.2). Die Dehnbarkeit der Lunge wird als Compliance bezeichnet (7 Kap. 5.4.2). ! Surfactants mindern die Oberflächenspannung der Alveolen
Surfactants. Von Alveolarzellen (Typ II) werden oberflächenaktive Substanzen (Surfactants, v. a. Lezithinderivate) gebildet, welche die Oberflächenspannung der Alveolarwände herabsetzen. Die Oberflächenspannung des Wassers würde sonst eine Entfaltung der Lungenalveolen verhindern. Ein Mangel an Surfactants behindert tatsächlich bei Frühgeburten die Entfaltung der Lungen. Die Bildung von Surfactants wird durch Glukokortikoide stimuliert. Daher wird bei drohenden Frühgeburten versucht, durch pränatale Verabreichung von Glukokortikoiden die Bildung von Surfactant zu steigern. Ohne Surfactants wäre keine gleichmäßige Größe der Alveolen gewährleistet: Bei benachbarten Alveolen würde die Alveole mit kleinerem Durchmesser bei gleicher Oberflächenspannung einen höheren Druck nach innen erzeugen (La-Place-Beziehung, 7 Kap. 3.2.4) und daher kollabieren, wobei die größere Alveole an
. Abb. 5.4. Retraktionskraft der Lunge, funktionelle Bedeutung der Surfactants. Bei Dehnung der Alveolen nimmt – bei konstanter Wandspannung (Oberflächenspannung der Wasseroberfläche [blaue Pfeile]) der nach innen gerichtete Vektor ab (a, b). Dadurch ist der nach innen gerichtete Vektor (Retraktionskraft [rote Pfeile]) bei den kleinen Alveolen (b) größer als bei den größeren Alveolen (a). Durch die unterschiedlichen Retraktionskräfte werden die kleinen Alveolen noch kleiner und die großen Alveolen noch größer (c), bis die kleinen Alveolen völlig kollabiert sind (e). Surfactants (rote Punkte) setzen die Oberflächenspannung herab. Wird eine Alveole kleiner, so nimmt die Surfactantkonzentration zu und die Oberflächenspannung sinkt (d). Auf diese Weise überwiegt die Retraktionskraft der großen Alveolen und es stellt sich eine mittlere Alveolengröße ein (f)
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Kapitel 5 · Atmung
5.4.2
Dynamik des Atemapparates
! Luft folgt während der Atmung einem Druckgradienten und muss dabei visköse, elastische und Strömungswiderstände überwinden. Die maximale Exspirationsstromstärke ist eine Funktion von Retraktionskraft und Strömungswiderstand
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Druckgradienten. Bei der Inspiration muss der Druck in den Alveolen niedriger sein als in der Außenluft, damit Luft über den Strömungswiderstand hinweg in die Alveolen einströmt. Bei der Exspiration muss umgekehrt der Druck in den Alveolen höher sein als in der Außenluft. Die Druckänderungen in den Alveolen sind Folge von Volumenänderungen der Lunge, hervorgerufen durch die Atembewegungen von Thorax und Zwerchfell. Den Volumen- und Formveränderungen setzt die Lunge Widerstände entgegen, die bei der Atmung überwunden werden müssen.
elastischen zu den viskösen Widerständen ab. Bei herabgesetzter Retraktionskraft (vermindertem elastischem Widerstand) ist die maximale Exspirationsgeschwindigkeit genauso eingeschränkt wie bei gesteigertem Strömungswiderstand. Der Versuch, eine verminderte Retraktionskraft durch maximale Aktivierung der Exspirationsmuskulatur mit der Folge gesteigerten Druckes auf die Lunge auszugleichen, führt zum Kollabieren der Atemwege und damit zu einer steilen Zunahme des Strömungswiderstandes (. Abb. 5.5) ! Die Atmung wird durch Bewegungen von Thorax und Zwerchfell bewerkstelligt. Dabei sinken bei Inspiration Pleura- und Alveolardruck
Atembewegungen. Der Pleuradruck wird durch die Atembewegungen verändert: Während der Inspiration wird der Thoraxraum durch Kontraktion des Zwerchfellmuskels und durch Heben der Rippen vergrößert und damit der
Widerstände bei der Atmung. Bei Formveränderungen
eines Gewebes wie der Lunge gibt es immer Reibungsverluste innerhalb des Gewebes, die als visköser Widerstand der Formveränderung entgegen wirken. Wird die Formveränderung rückgängig gemacht, dann wirkt der visköse Widerstand der erneuten Formveränderung gleichermaßen entgegen. Zu den viskösen Widerständen wird auch der Strömungswiderstand (Atemwegswiderstand, resistance, R) gezählt, den die bewegte Luft überwinden muss. Er tritt sowohl bei der Inspiration als auch bei der Exspiration auf. ˙) R entscheidet darüber, wieviel Volumen pro Zeiteinheit (V bei einem gegebenen Druckgradienten zwischen Alveole und Außenluft (ΔP) bewegt wird: ˙ = ΔP/ R V Visköse Widerstände wirken nicht bei Anhalten der Luft, also wenn keine Formveränderung des Gewebes auftritt und keine Luft bewegt wird, unabhängig davon, ob die Luft in Inspirations- oder Exspirationsstellung angehalten wird. Das ist bei den elastischen Widerständen der Lunge anders. Sie entstehen durch die Dehnung elastischer Elemente und die Oberflächenspannung der Alveolen und wirken auch noch nach Anhalten der Luft in Inspirationsstellung. Sie summieren sich zur Retraktionskraft der Lunge, welche die Ausatmung begünstigt und die isolierte Lunge kollabieren lässt. Maximale Exspirationsgeschwindigkeit. Sie hängt neben der
Aktivierung der Exspirationsmuskulatur vom Verhältnis der
. Abb. 5.5. Verhältnis von Retraktionskraft und Strömungswiderstand als Determinanten der maximalen Exspirationsstromstärke. Die maximale Exspirationsstromstärke (V˙max) ist dem Verhältnis von Retraktionskraft (S, rote Pfeile) und Strömungswiderstand (R) proportional (a). Eine Abnahme der Retraktionskraft (c) mindert V˙max gleichermaßen wie eine Zunahme des Strömungswiderstandes (b). Der Versuch, bei herabgesetzter Retraktionskraft V˙max durch Kompression der Lunge (P, grüne Pfeile) zu steigern (d), schlägt fehl, weil dabei die Atemwege komprimiert werden und damit der Widerstand ansteigt
107 5.4 · Atemmechanik
Druck im Pleuraraum gesenkt (. Abb. 5.6). Die Lunge, die von der Thoraxwand bzw. dem Zwerchfell nur durch einen dünnen Flüssigkeitsfilm getrennt wird (Pleurawasser), folgt der Vergrößerung des Thoraxraumes. Senken der Rippen oder Erschlaffen des Zwerchfellmuskels verkleinert wieder den Thoraxraum, steigert den Pleuradruck und erlaubt der Lunge die Ausatmung. Durch die besondere Lage der Rippenachsen führt eine Bewegung der Rippen nach oben zu einer Ausdehnung des Thoraxraumes nach vorne und zur Seite (. Abb. 5.6). Ein Senken der Rippen verkleinert umgekehrt den Thoraxraum. Die Rippen werden durch die Gesamtheit der Musculi intercostales externi gehoben und durch die Musculi intercostales interni gesenkt. Die Tätigkeit der Musculi intercostales externi kann bei Inspiration u. a. durch die Musculi pectorales maior und minor, die Musculi scaleni und die Musculi sternocleidomastoidei unterstützt werden. Bei Kontraktion des Zwerchfellmuskels bewegt sich der Muskel vom Thorax zum Bauchraum. Kontraktion des Zwerchfells steigert also nicht nur das intrathorakale Volumen und senkt damit den Pleuradruck, sondern steigert gleichzeitig den Druck im Bauchraum. Bei Erschlaffung des Zwerchfells wird der Muskel passiv durch den Druckgradi-
enten zwischen Bauchraum und Thorax wieder nach oben gewölbt. Die Bauchmuskulatur kann über Steigerung des Druckes im Bauchraum die Exspiration beschleunigen. Druckverläufe in Pleura und Alveolen. Aufgrund ihrer Re-
traktionskraft würde die Lunge kollabieren, wenn sie nicht von einem Pleuraraum umgeben wäre, der flüssigkeitsgefüllt ist und sich daher bei Drucksenkung nicht ausdehnt. Der Druck im Pleuraraum ist durch die Retraktion der Lunge normalerweise niederer als in den Alveolen. Bei Inspiration sinkt der Druck im Pleuraraum weiter ab, entfaltet die Lunge und schafft damit den erforderlichen Unterdruck in den Alveolen. Bei der Exspiration wird der Unterdruck im Pleuraraum vermindert. Damit kann sich die Lunge wieder zusammenziehen, getrieben durch ihre Retraktionskraft (. Abb. 5.6). Die Exspiration wird also normalerweise nicht durch Kompression der Lunge, sondern durch die Retraktionskraft der Lunge bewerkstelligt. Bei einer Kompression der Lunge droht eine Verengung der Bronchien und damit eine Zunahme des Atemwegswiderstandes. Solange die Retraktionskraft der Lunge selbst die Ausatmung besorgt, kann der Pleuraraum auch während der Ausatmung einen negativen Druck aufweisen und ein Kollabieren der Bronchiolen wird unterbunden. In der Atemruhelage halten sich die Rückstellkräfte der Lunge und das Ausdehnungsbestreben des Thorax die Waage. Dabei bleibt der Pleuradruck unter dem Alveolardruck bzw. atmosphärischen Druck. Die Atembewegungen führen zu den entsprechenden Änderungen von Pleuradruck und Alveolardruck (. Abb. 5.7) und schaffen dadurch die Voraussetzung für die Bewegung der Luft. Die erforderlichen Druckschwankungen in den Alveolen hängen von der Stromstärke ab, mit der die Luft hin- und herbewegt werden soll. Eine hohe Stromstärke (bei forcierter Atmung) ist nur durch gesteigerten Alveolardruck zu erzielen. Die Bronchien können durch Kontraktion der Bronchialmuskulatur oder durch Verlegung mit Schleim verengt werden. Dann ist der Atemwegswiderstand gesteigert, und es sind gleichfalls gesteigerte Auslenkungen des Alveolardruckes zur Atmung erforderlich. ! Bei offener Verbindung des Pleuraraumes zum Alveolarraum oder zur Außenluft kollabiert die Lunge
. Abb. 5.6. Die Atembewegungen von Rippen und Zwerchfell. Bei Inspiration heben sich die Rippen, wodurch der Radius des Brustkorbes zunimmt. Gleichzeitig senkt sich das Zwerchfell und steigert zusätzlich das intrathorakale Volumen
Pneumothorax. Wird eine Verbindung zwischen der Außenluft und dem Pleuraraum geschaffen (z. B. durch einen Messerstich), dann kollabiert der betroffene Lungenflügel und die in ihr enthaltene Luft entweicht über Bronchien und Trachea bis auf wenige 100 ml (Pneumothorax). Wäh-
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Kapitel 5 · Atmung
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. Abb. 5.7. Pleuradruck, Alveolardruck und Lungenvolumen bei Inspiration (I) und Exspiration (E). Der Druck in der Pleura kann mit einem Druckaufnehmer im Ösophagus gemessen werden, da der Ösophagus intrathorakal liegt und über seine Wand kein wesentlicher Druckgradient existiert. Links: Der zeitliche Verlauf von Volumen (ΔV), Stromstärke (ΔV/t), Druck in den Alveolen (Palv) und im Pleuraraum bzw. Ösophagus (Ppl). Dabei sind bei Palv und Ppl diejenigen Druckwerte rot eingezeichnet, die auftreten würden, wenn keine viskösen Widerstände zu überwinden wären. Die jeweilige Druckänderung von Ppl ist für die Überwindung der Lungenretraktionskraft (elastische Widerstände) erforderlich. Grün sind die wirklichen Druckverläufe eingetragen. Rechts: Beziehung zwischen Änderungen des Lungenvolumens (ΔV)
und des Pleuradruckes (Ppl). Rot ist diejenige Beziehung eingezeichnet, die auftreten würde, wenn keine viskösen Widerstände zu überwinden wären. Grün ist die wirkliche Beziehung eingetragen. Die rote Fläche rechts unten zeigt diejenige Arbeit (ΔV · p), die zur Überwindung der elastischen Widerstände aufgewendet werden muss. Bei der Inspiration muss zusätzlich Arbeit zur Überwindung der viskösen Widerstände aufgewandt werden (grüne Fläche). Die Exspiration kann bei normaler Atmung ohne zusätzlichen Einsatz von Arbeit geleistet werden, da die Retraktionskraft der bei Inspiration gedehnten Lunge für eine normale Exspiration ausreicht und die während der Inspiration geleistete Arbeit (rot) die Arbeit zur Überwindung der viskösen Widerstände bei der Exspiration beinhaltet (nach Thews aus Schmidt et al.)
109 5.4 · Atemmechanik
rend der Inspiration dringt dabei Luft durch das Leck in den Pleuraraum, der Pleuradruck sinkt also nicht ab und die Lunge wird nicht entfaltet. Bei einem Pneumothorax sind die Atembewegungen also wirkungslos, die Lunge ist von den Atembewegungen entkoppelt. Bei einseitigem Pneumothorax weicht das Mediastinum durch das neue Druckgefälle auf die gesunde Seite aus und behindert auch dort die Entfaltung der Lunge. Da der Pleuraunterdruck auf der gesunden Seite bei Inspiration besonders groß ist, weicht das Mediastinum v. a. während der Inspiration zur gesunden Seite und kehrt bei Exspiration wieder zurück (Mediastinalflattern). Bisweilen kann sich ein Ventilmechanismus entwickeln, der während der Inspiration das Eindringen von Luft in den Pleuraraum zulässt, nicht aber das Entweichen der Luft bei Exspiration. Dabei kommt es zu einer immer größeren Ansammlung von Luft im Pleuraraum und zu einem entsprechenden Druckanstieg, der das Mediastinum maximal verschiebt und die Atmung der gesunden Seite massiv beeinträchtigt (Spannungspneumothorax). ! Die mechanischen Eigenschaften der Lunge werden in einem Druck-Volumen-Diagramm deutlich
. Abb. 5.8. Druck-Volumen-Diagramm der Lunge bei passiver Dehnung. Beziehung zwischen Lungenvolumen (VL) und dem Druckgradienten zwischen Außenluft und den Alveolen (Palv) bzw. der Pleura (Ppl). In der Ruhelage (normale Exspirationsstellung, gelbe gestrichelte Linie) ist Palv = 0. Dabei herrscht ein Gleichgewicht zwischen der Retraktionskraft der Lunge (KL), die eine weitere Exspiration begünstigen
Druck-Volumen-Diagramm der Lunge. Der Alveolar-
druck kehrt nach erfolgter Inspiration und Atemanhalten in Inspirationsstellung bei offenen Atemwegen wieder zum Atmosphärendruck zurück. Der Pleuradruck bleibt hingegen erniedrigt, bis wieder ausgeatmet wird. Solange die Inspirationsstellung gehalten wird, bleibt auch die Dehnung der Lunge und damit der stärkere Unterdruck in der Pleura aufrecht. Das wird auch im Druck-Volumen-Diagramm der Lunge deutlich (. Abb. 5.8). Die Retraktionskraft steigt mit zunehmender Füllung (bzw. Dehnung) der Lunge und erfordert einen immer größer werdenden Druckgradient zwischen Alveolarraum und Pleuraraum. Dabei ist es unerheblich, ob der Druckgradient durch Senken des Pleuradruckes (bei normaler Atmung) oder durch Steigerung des Alveolardruckes (bei Dehnung der Lunge durch Einblasen von Luft) gesteigert wird. Compliance. Der Zuwachs an Volumen (ΔV) pro Drucksteigerung (Δp) ist die Compliance (C), ein Maß für die Dehnbarkeit des Atemapparates:
C = ΔV/Δp
würde und der von Thorax und Zwerchfell (KTh), die eine Inspiration begünstigen würde. Die Lunge wird dabei vom Druckgradienten zwischen Alveolen und Pleura (Palv Ppleu) an einer weiteren Exspiration gehindert, der Thorax durch den Druckgradienten zwischen Pleura und Außenluft (Ppl) an einer weiteren Inspiration. Dadurch wird Ppl negativ (nach Thews aus Schmidt et al.)
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Kapitel 5 · Atmung
Normalerweise beträgt die Compliance der Lunge etwa 2 l/ kPa. Sie wird aus der Änderung des Druckgradienten zwischen Alveolarraum und Pleuraraum (Δp) ermittelt (. Abb. 5.8). Bei der Inspiration wird jedoch nicht nur die Lunge, sondern auch der Thorax gedehnt und damit dessen elastische Rückstellkräfte überwunden. Die Compliance des Thorax (beim Gesunden ebenfalls ca. 2 l/kPa) wird aus der Änderung des Druckgradienten zwischen Pleuraraum und Außenluft errechnet. Wird für Δp die Änderung des Druckgradienten zwischen Alveolarraum und Außenluft eingesetzt, dann erhält man die Compliance des gesamten Atemapparates. Da nun die Rückstellkräfte sowohl der Lunge als auch des Thorax überwunden werden müssen, ist diese Compliance geringer (beim Gesunden ca. 1 l/kPa). Bei herabgesetzter Compliance muss zur inspiratorischen Dehnung der Lunge mehr pleuraler Unterdruck erzeugt und damit mehr Atemarbeit geleistet werden. Bei gesteigerter Compliance ist wegen der herabgesetzten Retraktionskraft die maximale Ausatmungsgeschwindigkeit vermindert. Dieser Nachteil kann nicht durch verstärkte Kontraktion der Exspirationsmuskulatur ausgeglichen werden, da bei einer Kompression der Lunge die Atemwege kollabieren (. Abb. 5.3). Visköser Widerstand. Zur Überwindung der viskösen Wi-
derstände muss der Pleuradruck während der Einatmung stärker abgesenkt werden, als dem jeweiligen Lungenvolumen im Gleichgewicht entspricht. Bei der Exspiration ist der Pleuradruck umgekehrt weniger negativ als im Gleichgewicht. Im Druck-Volumen-Diagramm liegen daher die Kurven für Inspiration und Exspiration nicht übereinander (. Abb. 5.7). Bei einem gesteigerten viskösen Widerstand bzw. bei gesteigerter resistance ist die Abweichung des Druck-Volumen-Verlaufes entsprechend größer. Atemarbeit. Während der Inspiration muss Arbeit für die
Dehnung der Lunge und zur Überwindung der viskösen Atemwegswiderstände geleistet werden. Im Druck-Volumen-Diagramm ist die Atemarbeit als Fläche erkennbar (. Abb. 5.7). Die zur Dehnung der Lunge geleistete Arbeit geht nicht verloren, sondern wird zur Ausatmung genutzt. Sie reicht normalerweise völlig aus, um die viskösen Atemwegswiderstände bei der Exspiration zu überwinden. Aus der Atemruhelage kann durch Pressen gegen verschlossene Atemwege mit maximaler Anstrengung (Valsalva-Versuch) ein maximaler Druck von etwa 15 kPa und durch maximale Inspirationsanstrengung (Müller-Versuch) ein Unterdruck von -10 kPa erzeugt werden.
! Die Atmung kann durch restriktive und obstruktive Lungenerkrankungen beeinträchtigt werden
Störungen der Atemmechanik. Die Ventilation der Alveolen kann durch herabgesetzte Compliance der Lunge (restriktive Lungenerkrankungen), durch gesteigerte Compliance (»schlaffe Lunge«) und durch gesteigerten Widerstand in den Atemwegen (obstruktive Lungenerkrankungen) beeinträchtigt sein. Restriktive Lungenerkrankungen. Bei restriktiven Lun-
generkrankungen ist die Compliance herabgesetzt. Da für die Inspiration eines bestimmten Volumens ein größerer pleuraler Unterdruck erforderlich ist, muss mehr Arbeit zur Inspiration aufgewendet werden. Wichtigstes Beispiel einer restriktiven Lungenerkrankung ist die Lungenfibrose, bei der gesteigerte Bildung von Bindegewebe zu einer Einengung der Alveolen führt. Inspiration erfordert dabei mehr Arbeit/Volumen zur Dehnung der Lunge. Da sich das Bindegewebe auch zwischen Alveolen und Kapillaren drängt, ist dabei auch die Diffusion behindert und der maximale Gasaustausch beeinträchtigt (7 Kap. 5.6.3). Schlaffe Lunge, Emphysem. Auch eine gesteigerte Compliance (herabgesetzte Rückstellkraft, »schlaffe Lunge«) wirkt sich nachteilig auf die Atmung aus, da die Ausatmung durch die Rückstellkraft (Retraktionskraft) der Lunge gewährleistet wird. Ein Verlust an elastischen Fasern liegt beim Emphysem vor. Ursache ist in einigen Fällen ein genetischer Defekt in der Synthese des Plasmaproteins α1-Antitrypsin, das normalerweise Bindegewebe vor Abbau durch Proteasen schützt (7 Kap. 2.3.3). Die fehlende Retraktionskraft führt zur Überblähung der Alveolen und beeinträchtigt die Exspiration. Der Versuch, die Exspiration durch gesteigerte Aktivität der Exspirationsmuskulatur zu fördern, schlägt fehl, da der gesteigerte Druck auf die Lunge zum Kollabieren der Bronchien führt. Hingegen kann die Retraktionskraft durch verstärkte Inspiration gesteigert werden. Die Atemruhelage wandert bei den Patienten dann allmählich in Richtung Inspiration und der Thorax nimmt in Ruhe immer mehr eine tiefe Inspirationsstellung ein (Fassthorax). Obstruktive Lungenerkrankungen. Sie sind meist Folge
einer Verlegung und/oder Verengung des Lumens der Bronchien. Ursachen sind eine gesteigerte Schleimsekretion und/oder eine Kontraktion der Bronchialmuskulatur. Beim Asthma (Allergie Typ I, 7 Kap. 2.5) führt die Inhalation von Substanzen, gegen die der Patient allergisch ist, zur
111 5.4 · Atemmechanik
Bildung von Antigen-IgE-Antikörperkomplexen. Folge ist die Ausschüttung von Histamin und Leukotrienen. Die Mediatoren lösen Kontraktion der Bronchialmuskulatur aus, stimulieren die Schleimsekretion und steigern die Gefäßpermeabilität, sodass ein Schleimhautödem auftritt. Alle drei Wirkungen engen das Lumen ein und erzeugen so eine obstruktive Lungenerkrankung. Bei zystischer Fibrose (7 Kap. 5.2) wird das Lumen durch Bildung eines zähflüssigen Schleims eingeengt. Intrathorakale Verengung der Atemwege beeinträchtigt vor allem die Exspiration, da die Dehnung der Lunge bei Inspiration Zug auf die Bronchien ausübt und damit das Lumen erweitert. Der Versuch der Patienten, durch Inspiration die Bronchien zu weiten und die Retraktionskraft zu steigern, führt wie bei der schlaffen Lunge zum Fassthorax. ! Die mechanischen Eigenschaften der Lunge können durch Volumen-, Druck- und Stromstärkemessungen erfasst werden
Messung der Lungenvolumina. Hierzu kann ein Spirometer eingesetzt werden, ein wassergefüllter Behälter, in dem die ausgeatmete Luft aufgefangen und gemessen wird (. Abb. 5.3). Die Vitalkapazität ist z. B. jenes maximale Volumen, das nach maximaler Inspiration in das Spirometer ausgeatmet werden kann. Das Volumen kann ferner durch ein Gerät ermittelt werden, das den Luftstrom während der gesamten Ausatmung misst und die Messwerte über die Zeit integriert, woraus das ausgeatmete Volumen resultiert (Pneumotachographie). Mit der Spirometrie nicht direkt messbare Volumina sind das Totraumvolumen und das Residualvolumen. Bei der Bestimmung des Totraumvolumens macht man sich zunutze, dass die Inspirationsluft praktisch kein CO2 enthält, die Menge an CO2 im ausgeatmeten Gasgemisch (M) also vollständig aus den Alveolen stammt. Nach der Definition der Konzentration (Konzentration = Menge/Volumen) folgt, dass die Menge das Produkt von Konzentration (C) und Volumen (V) ist:
M=C·V Die ausgeatmete Menge von CO2 (Me = Ce · Ve) stammt ausschließlich aus den Alveolen (Me = Ma = Ca · Va) und es folgt: Ce · Ve = Ca · Va Ce ist die Konzentration von CO2 im exspirierten Gasgemisch und Ca die Konzentration von CO2 im Gasgemisch,
das gegen Ende eines Atemzuges ausgeatmet wird (= alveolares Gasgemisch). Ve, C e und Ca können gemessen und daraus Va errechnet werden (Va = C e · Ve/Ca). Das Totraumvolumen (Vd) ergibt sich dann als Differenz von Ve und Va (Vd = Ve–Va). Bei der Ermittlung des Residualvolumens lässt man eine Person maximal ausatmen, damit nur noch das Residualvolumen (VR) in der Lunge verbleibt und lässt dann die Person aus einem Behälter mit einem bestimmten Volumen (Vb) Gasgemisch mit bestimmter Konzentration (Cb) eines Testgases einatmen. Durch mehrmaliges Hin- und Heratmen wird das Gasgemisch im Behälter mit dem Gasgemisch im Residualvolumen gemischt, und es stellt sich nun eine neue Konzentration (Cx) ein, die gemessen werden kann. Wenn das Testgas in der Lunge die Alveolen nicht verlassen hat, was z. B. für das extrem schlecht wasserlösliche Helium zutrifft, dann ist die Menge an Testgas gleich geblieben und es gilt: Vb · C b = (Vb + VR) · C x oder: VR = Vb + Vb · C b /C x Ventilation. Sie kann mit dem Pneumotachometer gemes-
˙ ) ergibt sich aus dem sen werden. Das Atemzeitvolumen (V jeweils ausgeatmeten Atemzugvolumen (Ve) und der Atemfrequenz (f ): ˙ = Ve · f V Für den Gasaustausch relevant ist jedoch nicht das Atem˙a), die zeitvolumen, sondern die alveoläre Ventilation (V man durch Subtraktion des Totraumes (Vd) vom Atemzugvolumen (Ve) erhält: ˙ a = (Ve – Vd) · f V Ganzkörperplethysmograph. Lungenvolumina, Alveolar-
drücke und Widerstände können durch den Ganzkörperplethysmographen ermittelt werden (. Abb. 5.9). Dabei nutzt man die Tatsache, dass p · V einer bestimmten Gasmenge bei konstanter Temperatur konstant ist, d. h. Änderungen des Volumens einer bestimmten Gasmenge können aus den entsprechenden Druckänderungen errechnet werden (Boyle-Marriot-Gesetz). Der Patient sitzt in einem geschlossenen Raum, dessen Druck ständig registriert wird. Zwischen Raum und Mund des Patienten sind ein Druckmessgerät, ein Pneumotachometer und ein Ventil (. Abb. 5.9). Mit einem Stempel wird das Kammervolumen um ein bestimmtes Eichvolumen (VE) re-
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Kapitel 5 · Atmung
Druckwerte in Kammer (PK) und Lunge (PL, am Mund gemessen) vor (PK1, PL1) und während (PK2, PL2) des Pressens erlaubt dann die Errechnung des intrathorakalen Volumens (VL) aus folgenden zwei Gleichungen: VK · PK1 = (VK + ΔV) · PK2 VL · PL1 = (VL + ΔV) · PL2 Die Gleichung setzt voraus, dass alle gasgefüllten intrathorakalen Räume die gleichen Druckveränderungen beim Pressen erfahren, was in aller Regel auch gegeben ist. Nachdem man auf diese Weise das Lungenvolumen und die Luftmenge zu einem Zeitpunkt kennen gelernt hat, lässt sich durch Verrechnung der Luftbewegungen am Pneumotachygraphen ständig die gerade in der Lunge befindliche Luftmenge errechnen. Gleichzeitig kann das Lungenvolumen durch die entsprechenden Änderungen des Kammerdruckes errechnet werden. Die Kenntnis der Luftmenge und des Lungenvolumens erlaubt die Errechnung des alveolaren Druckes zu jedem Zeitpunkt. Die Kenntnis von Druck und Volumen ermöglicht schließlich die Errechnung des Strömungswiderstandes (R = Δp/V).
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Tiffeneau-Test. Ein einfacher Test zur Ermittlung des Ver-
hältnisses von Retraktionskraft und Strömungswiderstand ist die Sekundenkapazität (Tiffeneau-Test) (. Abb. 5.10): Der Proband atmet maximal ein und dann mit maximaler Geschwindigkeit aus. Normalerweise beträgt das innerhalb
. Abb. 5.9. Ganzkörperplethysmograph. Oben: Messanordnung, unten typische Aufzeichnung der Beziehung zwischen Atemstromstärke und Alveolardruck bei normalen (blau) und gesteigerten (rot) Atemwegswiderständen (Erklärungen siehe Text) (nach Thews aus Schmidt et al.)
duziert. Aus der Druckabnahme in der Kammer (von PK1 zu PK2) lässt sich dann das Volumen der Kammer (VK) errechnen: VK · PK1 = PK2 · (VK – VE) Lässt man nun den Patienten bei geschlossenem Ventil pressen, dann nimmt das intrathorakale Volumen zugunsten des Kammervolumens ab (ΔV). Die Kenntnis der
. Abb. 5.10. Tiffeneau-Test bzw. Sekundenkapazität. Der Proband atmet aus der Atemruhelage (grün) maximal ein (braun) und dann anschließend möglichst schnell maximal aus (blau bzw. rot). Das Volumen (VL), das binnen einer Sekunde ausgeatmet werden kann, ist ein Maß für den Atemwegswiderstand (blau: normaler, rot: gesteigerter Atemwegswiderstand). Der Wert kann in Litern (absolute Sekundenkapazität) oder in % der Vitalkapazität (relative Sekundenkapazität) ausgedrückt werden (nach Thews aus Schmidt et al.)
113 5.4 · Atemmechanik
einer Sekunde ausgeatmete Volumen etwa 70 – 80 % der Vitalkapazität. Im höheren Alter nimmt der Wert ab. Der Wert ist bei obstruktiven Lungenerkrankungen herabgesetzt. Allerdings werden auch bei eingeschränkter Beweglichkeit des Thorax und bei Lähmungen der Exspirationsmuskulatur pathologische Werte gemessen. Atemstoß. Wie beim Tiffeneau-Test wird der Patient aufge-
fordert, nach maximaler Inspiration möglichst schnell auszuatmen. Die dabei erreichte maximale exspiratorische
Atemstromstärke (Normwert etwa 10 Liter/Sekunde) wird dabei mit dem Pneumotachographen gemessen. Die maximale Atemstromstärke ist bei obstruktiven Lungenerkrankungen reduziert. Atemgrenzwert. Die über 10 Sekunden mit dem Pneumo-
tachographen gemessene maximale Ventilation erreicht normalerweise über 100 Liter/Minute. Ein herabgesetzter Wert kann Folge von einer obstruktiven und/oder einer restriktiven Lungenerkrankung sein.
In Kürze
Atemmechanik Lungenvolumina und Statik des Atemapparates 4 Atemvolumina: Totraum ≈150 ml, Atemzugvolumen ≈0,5 l, funktionelle Residualkapazität ≈2,5 l, Residualvolumen ≈1 l, exspiratorisches Reservevolumen ≈1,5 l, inspiratorische Kapazität ≈3 l, inspiratorisches Reservevolumen ≈2,5 l, Vitalkapazität ≈4,5 l, Totalkapazität ≈5,5 l, Verschlussvolumen ≈0,5 l, Verschlusskapazität ≈1,5 l; Volumina > , Alter o TK p, VK p, RV n, fRK n 4 Funktionelle Residualkapazität puffert Schwankungen des O2-Partialdruckes 4 Surfactants gewährleisten Lungenentfaltung und gleichmässige Größe von Alveolen Dynamik des Atemapparates 4 Visköser Widerstand wirkt Formveränderung des Gewebes entgegen 4 Strömungswiderstand (Atemwegswiderstand, resistance, R) wirkt Luftströmung entgegen (V = ΔP/R) 4 Elastischer Widerstand wirkt Lungendehnung entgegen (Dehnung elastischer Elemente und Oberflächenspannung der Alveolen) und wirkt bei Ausatmung mit 4 Maximale Exspirationsgeschwindigkeit = Funktion von elastischem Widerstand/viskösen inklusive Strömungswiderständen 4 Atembewegungen: Zwerchfellkontraktion + Heben der Rippen o Thoraxraum n o Pleuradruck p 4 Atemruhelage: Rückstellkräfte der Lunge ≈ Ausdehnungsbestreben des Thorax 4 Pneumothorax: Verbindung zwischen Außenluft oder Alveolarraum mit Pleuraraum o Kollaps des Lungenflügels der kranken Seite; Inspiration o Eindringen von Luft in Pleuraraum o Wandern des Me6
4 4 4 4 4
4
4 4 4
4
4
4
diastinum zur gesunden Seite (Mediastinalflattern) o Ventilation gesunde Lunge p; Bei Ventilmechanismus o Spannungspneumothorax Druck-Volumen-Diagramm der Lunge: Retraktionskraft steigt mit zunehmender Füllung der Lunge Compliance: C = ΔV/Δp ≈2 l/kPa Lunge, 2 l/kPa Thorax, 1 l/kPa Atemapparat Herabgesetzte Compliance o mehr pleuraler Unterdruck bei Inspiration erforderlich Gesteigerte Compliance o Retraktionskraft p o maximale Ausatmungsgeschwindigkeit p Gesteigerter visköser Widerstand o Inspiration und Exspiration im Druck-Volumen-Diagramm weiter auseinander Atemarbeit: Druck · Volumen, Fläche im Druck-Volumen-Diagramm. Zur Lungendehnung geleistete Arbeit leistet die Ausatmung Valsalva-Versuch: Pressen aus Atemruhelage o maximaler Druck ≈15 kPa Müller-Versuch: Saugen aus Atemruhelage o maximaler Unterdruck ≈-10 kPa Restriktive Lungenerkrankungen: Compliance p o inspiratorischer pleuraler Unterdruck n o Atemarbeit n Schlaffe Lunge, Emphysem: Compliance n o Rückstellkraft p o Exspiration verlangsamt o Inspirationsstellung (Fassthorax) Obstruktive Lungenerkrankungen: Schleimsekretion n, Kontraktion Bronchialmuskulatur n o Verengung Bronchien o Exspiration behindert o Inspirationsstellung (Fassthorax) Asthma: Allergie Typ I o Antigen-IgE-Antikörperkomplexe o Histamin, Leukotriene o Obstruktion
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114
Kapitel 5 · Atmung
4 Zystische Fibrose: Cl--Kanaldefekt o NaCl-Sekretion p o Abtransport Schleim p o Obstruktion 4 Messung der Lungenvolumina: Spirometer, Pneumotachographie, Gasverdünnung (C1 · V1 = C2 · V2), Ganzkörperplethysmographie
5
5.5
Lungenperfusion
5.5.1
Eigenschaften der Lungengefäße
! Druck und Widerstand in den Lungengefäßen sind gering
Gefäßdruck. Der Blutdruck beträgt in der Arteria pulmo-
nalis 20 mmHg systolisch und 7 mmHg diastolisch. Der Druck ist also sehr viel geringer als im großen Kreislauf. In den Kapillaren herrscht ein Druck von etwa 8 mmHg. Dieser Druck ist geringer als der onkotische Druck des Blutes von etwa 25 mmHg (7 Kap. 1.2.2). Erst bei pathologischer Zunahme des intravasalen Druckes kommt es daher zum Übertritt von Plasmawasser in das Interstitium der Lunge. Strömungswiderstand. Die Lungengefäße weisen einen
geringen Widerstand auf. Die Gefäßmuskeln sind relativ spärlich und werden durch einen Anstieg des luminalen Druckes gedehnt. Der Gefäßwiderstand sinkt somit bei Zunahme des Herzminutenvolumens.
4 Tiffeneau-Test = maximales in 1 Sekunde ausgeatmetes Volumen (Norm ≈70–80% Vitalkapazität) 4 Atemstoß = maximale exspiratorische Atemstromstärke (Norm: ≈10 Liter/Sekunde) 4 Atemgrenzwert = Maximale Ventilation/10 Sekunden (Norm >100 Liter/Minute)
aufrechter Haltung wird der Kapillardruck durch die Schwerkraft in den oberen Lungenabschnitten herabgesetzt und in den basalen Lungenabschnitten gesteigert. In der Lungenspitze kann der Perfusionsdruck unter den Alveolardruck sinken, folglich kollabieren die Kapillaren und die Perfusion bricht zusammen. Gleichzeitig ist auch die Ventilation der oberen Lungenabschnitte in aufrechter Haltung eingeschränkt. Das Ventilationsperfusionsverhältnis ist in den oberen Lungenabschnitten dennoch etwas höher als in den unteren Lungenabschnitten, d. h. das Blut, das die oberen Lungenabschnitte passiert, wird besser mit Sauerstoff gesättigt. Einfluss von Muskelarbeit. Bei gesteigertem O2-Bedarf des
Körpers, z. B. während schwerer Muskelarbeit, nehmen Herzminutenvolumen und Perfusionsdruck im Pulmonalkreislauf zu und die apikalen Lungenabschnitte werden verstärkt perfundiert. Durch Zunahme der Atemtiefe werden die oberen Lungenabschnitte dann auch stärker ventiliert, sodass die regionalen Unterschiede von Perfusion und Ventilation schwinden. In Kürze
5.5.2
Beeinflussbarkeit der Lungenperfusion
! Die Perfusion von Lungengefäßen wird durch O2-Partialdruck und Perfusionsdruck reguliert
Einfluss von O2 auf die Perfusion. Für die Anpassung der Perfusion an die Ventilation einzelner Alveolen spielt die O2Empfindlichkeit der Pulmonalgefäße eine entscheidende Rolle. In schlecht ventilierten Alveolen sinkt der O2-Partialdruck und führt zu einer Vasokonstriktion der zuführenden Pulmonalgefäße (Euler-Liljestrand-Mechanismus). Auf diese Weise wird gewährleistet, dass nur diejenigen Alveolen perfundiert werden, die auch hinreichend ventiliert sind. Bedeutung der Körperstellung. Der Kapillardruck in den Lungenkapillaren beträgt im Mittel nur etwa 8 mmHg. In
Lungenperfusion Eigenschaften der Lungengefäße 4 Gefäßdruckwerte: Arteria pulmonalis ≈20/7 mmHg, Kapillaren ≈8 mmHg 4 Strömungswiderstand: Gering, nimmt bei Druckzunahme ab Beeinflussbarkeit der Lungenperfusion 4 O2 p o Vasokonstriktion (Euler-LiljestrandMechanismus) 4 Aufrechte Haltung o Perfusion obere Lungenabschnitte p 4 Muskelarbeit o O2-Bedarf n o Herzminutenvolumen n o Perfusion oberer Lungenabschnitte n
115 5.6 · Gasaustausch in der Lunge
5.6
Gasaustausch in der Lunge
5.6.1
O2-Aufnahme, CO2-Abgabe
! Die wichtigste Aufgabe der Lunge ist die O2-Aufnahme und CO2-Abgabe
O2-Aufnahme. Der Körper gewinnt seine Energie überwie-
gend aus oxidativer Verbrennung. Dazu ist die Aufnahme von O2 erforderlich (normalerweise ≈280 ml/min). Die eingeatmete Luft enthält normalerweise zu etwa 21% O2, das entspricht auf Meereshöhe einem Partialdruck von ≈21 kPa. In den Alveolen mischt sich die Luft mit dem Gasgemisch in den Alveolen, der mittlere O2-Partialdruck beträgt in den Alveolen ≈13 kPa. Das aus den Pulmonalarterien kommende desoxygenierte Blut weist einen geringeren Partialdruck auf und O2 diffundiert daher aus den Alveolen in das Blut. Während der Passage der alveolären Kapillaren erreicht der O2-Partialdruck im Blut normalerweise den Partialdruck in den Alveolen und das Hämoglobin des durchströmenden Blutes wird fast vollständig aufgesättigt (7 Kap. 5.7.1). In der Peripherie passiert das Blut Gewebe mit niederem O2-Partialdruck und das Blut gibt O2 wieder ab (7 Kap. 5.7.1). CO2-Abgabe. Das in der Peripherie gebildete CO2 (normalerweise ≈220 ml/min) muss im Gewebe vom Blut aufgenommen und zur Lunge transportiert werden, wo es in die Alveolen diffundiert (≈5 kPa) und abgeatmet wird. CO2 ist zwar 20-mal besser in Wasser löslich als O2, der Transport von physikalisch gelöstem CO2 reicht jedoch nicht aus, um die erforderlichen Mengen an CO2 zu transportieren, sondern CO2 wird im Blut vorwiegend als HCO–3 transportiert (7 Kap. 5.7.2). RQ. Der respiratorische Quotient (RQ), das Verhältnis der CO2-Abgabe über der O2-Aufnahme, erlaubt eine Aussage über die Energiesubstrate, wie an anderer Stelle ausgeführt wird (7 Kap. 8.1.2).
5.6.2
Ventilation
! Maßgebend für die alveolare O2- und CO2-Konzentration und damit den Gasaustausch ist die alveolare Ventilation
˙ a) ist eine AlveolareVentilation. Die alveolare Ventilation (V Funktion von Atemzugsvolumen (Vt), Totraumvolumen (Vd) und Atemfrequenz (f).
˙ a = (Vt – Vd) · f V Sie nimmt daher sowohl bei zunehmender Atemtiefe (Vt) als auch bei zunehmender Atemfrequenz zu. Einfluss der Ventilation auf die CO2-Abgabe. Eine Abnah-
me der alveolären Ventilation führt zu einer Zunahme des alveolären CO2-Partialdruckes und damit zu einer Behinderung der CO2-Abgabe. Eine Zunahme der Ventilation führt umgekehrt zu einer Abnahme des CO2-Partialdruckes im Blut. Einfluss der Ventilation auf die O2-Aufnahme. Der alveolare O2-Partialdruck ist ebenfalls eine Funktion der alveolären Ventilation. Allerdings ist die O2-Aufnahme des Blutes bereits bei normaler Ventilation annähernd maximal und kann durch Zunahme der Ventilation nur noch geringfügig gesteigert werden (7 Kap. 5.7.1). Auch eine mäßige Abnahme der Ventilation und ein entsprechend mäßiger Abfall des alveolaren O2-Partialdruckes mindert die O2-Aufnahme des Blutes nur geringfügig, da auch bei mäßig reduziertem O2-Partialdruck Hämoglobin weitgehend mit O2 gesättigt ist (7 Kap. 5.7.1). Die maximale O2-Aufnahme ist eine Funktion der Menge an nichtoxygeniertem Hämoglobin, das die Lungenalveolen passiert. Sie ist damit eine Funktion des maximalen Herzminutenvolumens.
5.6.3
Diffusion
! Die Diffusionskapazität ist eine Funktion von Diffusionsfläche/Diffusionsstrecke. Bei Abnahme der Diffusionskapazität ist die O2-Aufnahme bei körperlicher Belastung eingeschänkt
Determinanten der Diffusion. Wie bereits zuvor ausgeführt
(7 Kap. 5.3.2), ist die Menge an O2 oder CO2, welche pro ˙ ), eine Funktion von PartialZeiteinheit diffundiert (M druckunterschied zwischen Blut und Alveole (ΔP) und der Diffusionskapazität (DL) der Lunge: ˙ = DL · ΔP M Die Diffusionskapazität ist eine Funktion der Difffusionsfläche (F) und der Diffusionsstrecke (d): DL ~ F/d. Aufgrund der großen Diffusionskapazität der Lunge reicht die geringe Kontaktzeit des durchströmenden Blutes
5
116
Kapitel 5 · Atmung
mit den Alveolen (normalerweise ca. 0,7 Sekunden) aus, um das Blut mit den alveolaren Partialdrucken zu equilibrieren. Bei Steigerung des Herzminutenvolumens muss pro Zeiteinheit mehr Blut die Alveolen passieren und die Kontaktzeit des Blutes mit den Alveolen wird herabgesetzt. Eine Diffusionsstörung wird daher bei zunehmendem Herzminutenvolumen entlarvt. Bei Gesunden wird die Diffusion allerdings erst bei extremer körperlicher Belastung zum limitierenden Faktor der O2-Aufnahme.
5
Diffusionsstörungen. Bei einigen restriktiven Lungenerkrankungen (z. B. Lungenfibrose, 7 Kap. 5.4.2, Lungenödem, 7 Kap. 4.3), ist die Diffusionsstrecke gesteigert. Bei anderen restriktiven Lungenerkrankungen (z. B. chirurgische Entfernung eines Lungenflügels) ist die Diffusionsfläche herabgesetzt, ein größerer Anteil des Herzminutenvolumens muss an der verbleibenden Diffusionsfläche vorbei geschleust werden, und die Kontaktzeit in den Alveolen nimmt ab. Folge ist in beiden Fällen eine Diffusionsstörung. Bei Arbeit und zunehmendem Herzminutenvolumen entwickelt sich die Kontaktzeit dann schnell zum limitierenden Faktor bei der O2-Aufnahme. Der sich dabei entwickelnde Abfall der O2-Konzentration im Blut (Hypoxämie) kann durch Hyperventilation nur in Grenzen beeinflusst werden, da ja auch bei maximaler Ventilation der alveolare O2-Partialdruck nicht über 20 kPa gesteigert werden kann. Außerdem kann die Ventilation wegen der zunehmenden CO2-Abatmung nicht beliebig gesteigert werden. Die Diffusion von CO2 ist im Gegensatz zu der von O2 bei Diffusionsstörungen nur wenig beeinträchtigt, da CO2 ja sehr viel leichter diffundiert als O2 (7 Kap. 5.3.2).
5.6.4
Verteilung von Ventilation und Perfusion
! Normalerweise werden nur ventilierte Alveolen perfundiert. Eine Verteilungsstörung führt in erster Linie zur Hypoxämie
Anpassung von Perfusion und Ventilation. Eine ökonomische Atmung erfordert, dass Ventilation und Perfusion einer Alveole aufeinander abgestimmt sind. Die Ventilation nicht perfundierter Alveolen entspricht der Belüftung von Totraum und die Perfusion von nicht belüfteten Alveolen einem Rechts-Links-Shunt des Pulmonalblutes. Trotz erheblicher regionaler Unterschiede sowohl der Belüftung als auch der Perfusion der Lungenabschnitte treten normaler-
weise nur mäßige Unterschiede des Verhältnisses von Belüftung und Perfusion auf. Wie bereits erläutert wurde (7 Kap. 5.5.2), wird die Perfusion wenig ventilierter Alveolen durch die vasokonstriktorische Wirkung niederer O2Konzentrationen weitgehend unterbunden. Störungen der Ventilations- und Perfusionsverteilung. Bei Störungen der Ventilation einzelner Alveolen wird der Blutfluss zu diesen Alveolen gedrosselt. Sind größere Lungenbereiche betroffen, wie bei obstruktiven Lungenerkrankungen, dann steigt wegen der Widerstandszunahme im Pulmonalkreislauf der Pulmonaldruck und das rechte Herz wird einer Druckbelastung ausgesetzt. Bei anhaltend hohem Widerstand im kleinen Kreislauf kommt es dadurch zur Rechtsherzhypertrophie (Cor pulmonale). Bei unzureichender Drosselung des Blutstroms zu hypoventilierten Alveolen kommt es zur Beimischung von nicht O2-gesättigtem Blut in den Pulmonalvenen. Die herabgesetzte O2-Sättigung des beigemischten Blutes kann durch gesteigerte O2-Sättigung im Blut gut ventilierter Alveolen nicht ausgeglichen werden, da die O2-Sättigung ja bereits normalerweise 98% erreicht. Das Mischblut weist daher eine entsprechend reduzierte O2-Sättigung auf. Im Gegensatz dazu kann eine gesteigerte CO2Abatmung in gut ventilierten Alveolen die herabgesetzte CO2-Abatmung in schlecht belüfteten Alveolen ausgleichen. In Kürze
Gasaustausch in der Lunge O2-Aufnahme, CO2-Abgabe 4 O2-Aufnahme normalerweise ≈280 ml/min, O2Partialdruck eingeatmete Luft ≈21 kPa, Alveolen ≈13 kPa, Transport an Hämoglobin 4 CO2-Abgabe normalerweise ≈220 ml/min. Partialdruck Alveolen ≈5 kPa, Transport v. a. als HCO3– 4 RQ = CO2-Abgabe/O2-Aufnahme (0,7–1,0) Ventilation 4 Alveolare Ventilation: V˙ a = (Vt – Vd) · f; 4 CO2-Abgabe ist v. a. Funktion von alveolarer Ventilation, O2-Aufnahme v. a. Funktion des Herzminutenvolumens Diffusion ˙ ) ist Funktion von Parti4 Diffundierende Menge (M aldruckunterschied zwischen Blut und Alveole (ΔP) ˙ = DL · ΔP und Diffusionskapazität (DL): M 6
117 5.7 · Atemgastransport im Blut
4 Diffusionskapazität ist Funktion von Difffusionsfläche (F) und der Diffusionsstrecke (d): DL ~ F/d 4 Kontaktzeit normalerweise ≈0,7 Sekunden 4 Diffusionsstörungen: Lungenfibrose, Lungenödem o Diffusionsweg n o O2-Diffusion p o Hypoxämie bei Arbeit (Herzminutenvolumen n o Kontaktzeit in Alveolen p) Verteilung von Ventilation und Perfusion 4 Hypoventilation o O2 p o Vasokonstriktion o Perfusion hypoventilierter Alveolen p 4 Bei Hypoventilation großer Lungenanteile o Widerstand kleiner Kreislauf n o Cor pulmonale 4 Bei inkompletter Vasokonstriktion hypoventilierter Alveolen o Hypoxämie in Ruhe
5.7
Atemgastransport im Blut
5.7.1
O2
! O2 wird im Blut fast ausschließlich an Hämoglobin gebunden transportiert. Die O2-Affinität von Hämoglobin entscheidet über die O2-Abgabe im Gewebe
Bedeutung von Hämoglobin. Die bei normalem Alveolarpartialdruck physikalisch gelöste Menge an O2 reicht bei weitem nicht aus, um die Gewebe hinreichend mit O2 zu
versorgen. Etwa 98% des O2 wird an Hämoglobin gebunden zur Peripherie transportiert. Der O2-Transport im Blut ist daher von den Bindungseigenschaften des Hämoglobins abhängig. Die Form der Erythrozyten (7 Kap. 2.2) gewährleistet ein Minimum an Diffusionsstrecke für O2 vom Extrazellulärraum zum Hämoglobin. Der intraerythrozytäre Transport von O2 wird zudem durch Bindung an Hämoglobin und Diffusion von Oxyhämoglobin beschleunigt. Nur auf diese Weise ist eine fast vollständige Absättigung des Hämoglobins binnen der kurzen Kontaktzeit mit den Alveolen möglich. Sauerstoffbindungseigenschaften von Hämoglobin. Eine Einheit des Hämoglobins besteht aus dem tetrazyklischen Häm und dem Proteinanteil Globin (. Abb. 5.11). Das Häm enthält ein zweiwertiges Eisen, an das O2 gebunden wird. Vier solcher Einheiten bilden das Hämoglobinmolekül (Molekulargewicht 64 kDa), das somit maximal vier O2-Moleküle binden kann. Dabei besteht der Proteinanteil beim Erwachsenen aus je zwei α- und β-Ketten (HbA). Fetales Hämoglobin (HbF) enthält statt der beiden β-Ketten zwei γ-Ketten. Die O2-Bindungskapazität des Blutes ist praktisch mit der Menge an Bindungsstellen für O2 am Hämoglobin identisch. Die Affinität der Bindungsstellen entscheidet bei gegebenem O2-Partialdruck über das Ausmaß der Sättigung von Hämoglobin mit O2. Die Bindung von O2 an die erste Einheit steigert die Affinität der übrigen Einheiten für O2. Dadurch entsteht eine sigmoide O2-Bindungskurve des Hämoglobins. Bei niederen O2-Partialdrücken bindet Hämo-
. Abb. 5.11. Struktur des Hämoglobins (nach Thews aus Schmidt et al.)
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118
5
Kapitel 5 · Atmung
globin O2 mit relativ geringer Affinität, d. h. die Steilheit der O2-Bindungskurve ist niedrig. Mit zunehmendem O2-Partialdruck nimmt die Steilheit der Kurve zu und O2 wird überproportional gut gebunden. Das Bindungsverhalten von Hämoglobin gewährleistet wegen der hohen O2-Affinität bei höheren O2-Partialdrücken eine annähernd maximale O2-Aufnahme in der Lunge. Bei einer Abnahme des normalen O2-Partialdruckes von etwa 100 mmHg (≈ 13,3 kPa) auf 60 mmHg (≈ 8 kPa) erreicht die O2-Sättigung immer noch annähernd 90%, d. h. die O2-Bindung in der Lunge wird durch mäßige Abnahme der Ventilation nicht wesentlich beeinträchtigt. Die O2-Abgabe wird im Gewebe durch den sigmoiden Verlauf der O2-Bindungskurve begünstigt. Eine Betrachtung der . Abb. 5.13 lehrt, dass O2 gesättigtes Hämoglobin bei Passage von Gewebe mit einem O2-Partialdruck um 15 mmHg (≈2 kPa) etwa 80% des gebundenen O2 abgibt, während bei einem Gewebepartialdruck von 40 mmHg (≈5,3 kPa) nur etwa 20% freigesetzt werden. Die O2-Abgabe reagiert also im Bereich zwischen 15 und 40 mmHg äußerst empfindlich auf den O2-Partialdruck im Gewebe. Damit wird erreicht, dass der O2-Partialdruck in peripheren Kapillaren meist nicht unter 15 – 40 mmHg sinkt.
phosphoglyzerat (2,3-BPG), sowie bei einer Abnahme des pH herabgesetzt (Rechtsverschiebung der O2-Bindungskurve, . Abb. 5.13). Durch die Wirkung von CO2 und pH wird die O2-Abgabe im relativ CO2-reichen und sauren peripheren Gewebe erleichtert, während der relativ geringe CO2-Partialdruck und der relativ alkalische pH in der Lunge die O2-Aufnahme begünstigen (Bohr-Effekt). Maternofetale O2-Diffusion. Der Hämoglobingehalt und damit die O2-Bindungskapazität ist im fetalen Blut deutlich höher als beim Erwachsenen. Dadurch wird in der Plazenta die Übernahme von O2 aus dem mütterlichen in das fetale Blut begünstigt. Fetales Hämoglobin (HbF) weist ferner eine höhere O2-Affinität auf als das Hämoglobin des Erwachsenen. Darüber hinaus nimmt bei Schwangeren die O2-Affinität des Hämoglobins ab, u. a. durch Zunahme des erythrozytären 2,3-BPG. Das fetale Blut wird in der Plazenta annähernd zur Hälfte mit O2 gesättigt, wobei das mütterliche Blut zu annähernd zwei Drittel desoxygeniert wird. Der plazentare Übergang von O2 wird durch die plazentare Ansäuerung des mütterlichen Blutes und Alkalisierung des fetalen Blutes gefördert (doppelter Bohr-Effekt).
Affinität des Hämoglobin wird bei einer Zunahme von CO2-Partialdruck, Temperatur und erythrozytärem Bi-
! Herabgesetzter O2-Gehalt des Blutes führt zur Zyanose. Oxidation des Hämeisens und CO-Vergiftung verhindern die Bindung von O2. Bei CO-Vergiftung ist das Blut nicht zyanotisch
. Abb. 5.12. O2-Aufnahme aus den Alveolen. Links: Trotz der kurzen Kontaktzeit mit den Alveolen, erreicht der O2-Partialdruck im vorbeiströmenden Blut praktisch den alveolären O2-Partialdruck. Rechts: Die O2-Bindungskurve ist im Bereich der alveolaren Drucke flach (rot) und im Bereich der Gewebspartialdrucke steil (blau). Die O2-Aufnahme
in der Lunge ist in weiten Grenzen nur gering vom alveolaren O2-Partialdruck abhängig (rot), d. h. Hyperventilation und mäßige Hypoventilation beeinträchtigen die O2-Aufnahme kaum. Die O2-Abgabe im Gewebe wird bei sinkendem O2-Gewebspartialdruck massiv gesteigert (blau)
Wirkung von CO2, pH, 2,3-BPG und Temperatur. Die O2-
119 5.7 · Atemgastransport im Blut
Zyanose. Die Bindung von O2 bewirkt eine Änderung der
Absorptionseigenschaften des Hämoglobins. Daher ist O2gesättigtes Blut rot und desoxygeniertes Blut bläulich. Eine Blaufärbung der Haut (Zyanose) bzw. der Lippen tritt zutage, wenn die mittlere Konzentration von desoxygeniertem Hämoglobin 0,7 mmol/l (5 g/100 ml) übersteigt. Bei hohen Hämoglobinkonzentrationen wird dieser Wert relativ leicht erreicht und eine Zyanose kann auch bei adäquater O2-Versorgung des Gewebes auftreten. Umgekehrt kann eine Zyanose bei Anämie trotz O2-Mangel des Gewebes ausbleiben. Methämoglobin. Die Bindung von O2 an Hämoglobin kann
nur erfolgen, wenn das Eisen im Häm zweifach (Fe 2+ ) geladen ist. Bei Oxidation des Eisens zu Fe 3+ (Methämoglobin) ist keine Bindung von O2 mehr möglich. Da das Eisen spontan oxidiert wird, muss es durch ein Enzym des Erythrozyten (Methämoglobinreduktase) ständig wieder in Fe 2+ überführt werden. Mangelnde Funktion oder Überforderung der Reduktase führt zur Methämoglobinämie, die mit entsprechender Einschränkung des O2-Transportes einhergeht. Die Patienten sind wegen der Farbe des Methämoglobins zyanotisch. CO-Vergiftung. O2 kann durch Kohlenmonoxid (CO) aus der Bindungsstelle im Hämoglobin verdrängt werden, wobei die Affinität des CO zu Hämoglobin um den Faktor 350 höher ist als die von O2. Bei einem Anstieg des CO-Gehaltes der Luft auf nur 0,06 % bindet bereits etwa die Hälfte des Hämoglobin CO. Verschärfend kommt hinzu, dass die Bindung von CO an ein Häm die O2-Affinität der übrigen Bindungsstellen steigert, wodurch die O2-Abgabe im Gewebe beeinträchtigt wird. ! O2 diffundiert im Gewebe vom Gefäß zu den Zellen und wird dort in Mitochondrien verbraucht . Abb. 5.13. Sauerstoffbindungskurve von Hämoglobin. Oben: Einfluss von Temperatur, pH, Biphosphoglycerat (BPG). Mitte: Wirkung veränderter O2-Affinität auf die O2-Abgabe. Bei einem alveolaren O2Partialdruck von 100 mmHg und einem Gewebspartialdruck von 30 mmHg ist die Menge an O2, die an das Gewebe abgegeben wird (Länge der Pfeile), in hohem Maße von der O2-Affinität des Hämoglobin abhängig. Die O2-Abgabe ist bei gesteigerter Affinität (grün) wesentlich geringer als bei normaler (rot) oder herabgesetzter (blau) Affinität. Unten: Wirkung veränderter O2-Affinität auf den Gewebs-O2-Partialdruck. Der Gewebs-O2-Partialdruck, der die Abgabe von der Hälfte des an Hämoglobin gebundenen O2 bewirkt, hängt in hohem Maße von der O2-Affinität von Hämoglobin ab. Der Druck muss bei gesteigerter Affinität (grün) sehr viel stärker absinken, als bei normaler (rot) oder herabgesetzter (blau) Affinität
Sauerstofftransport und -verbrauch im Gewebe. Im Ge-
webe muss O2 nach Freisetzung aus dem Hämoglobin über die Kapillarwand und den Extrazellulärraum zu den Zellen diffundieren. Dazu ist ein Konzentrationsgradient erforderlich, sodass der O2-Partialdruck an den Zellen deutlich geringer ist als im Blut. Der aktuelle O2-Partialdruck in einer Zelle hängt vom O2-Verbrauch der Zelle, dem Abstand zur nächsten Kapillare und dem O2-Partialdruck in dieser Kapillare ab. Ist der O2-Verbrauch groß, die Distanz zur nächsten Kapillare weit und handelt es sich dabei um den venösen Schenkel einer Kapillare, dann ist der O2-Partialdruck entsprechend niedrig. Die minimalen Werte, die von
5
120
5
Kapitel 5 · Atmung
Zellen ohne Einschränkung ihrer Funktion und Integrität toleriert werden, liegen im Bereich von 0,3–1 kPa (0,2– 0,8 mmHg). Bei Organen mit hohem O2-Bedarf, wie dem Herzen und dem Gehirn, sind die Kapillaren dicht beieinander und die Diffusionsstrecken von den Kapillaren zu den Zellen entsprechend kurz. Letztlich wird O2 für die Energiegewinnung durch oxidative Phosphorylierung in den Mitochondrien der Zellen benötigt. O2 muss also zu den Mitochondrien diffundieren. Vor allem im Skelettmuskel sind die intrazellulären Diffusionswege nicht unerheblich. In den Skelettmuskelund Herzmuskelzellen fördert Myoglobin die Diffusion von O2. Myoglobin bindet O2 mit einer deutlich höheren Affinität als Hämoglobin, die halbmaximale Sättigung wird bereits bei etwa 5–6 mmHg (0,7–0,8 kPa) erreicht. Myoglobin ist ferner ein kurzfristiger O2-Speicher, der im Myokard für 3 – 4 Sekunden den O2-Bedarf decken kann. Im Herzen ist das O2 aus dem Myoglobin vor allem während der Systole wertvoll, da durch die Kontraktion des Herzmuskels der Energiebedarf hoch und durch die Kompression der intramyokardialen Kapillaren die Blutzufuhr gedrosselt ist. ! Vermehrter O2-Bedarf von Geweben kann durch gesteigerte O2-Aussschöpfung und Durchblutung gedeckt werden
Sauerstoffausschöpfung. Der O2-Verbrauch eines Organs
˙ O 2) ist das Produkt aus der Durchblutung (V ˙ ) und der ar(V teriovenösen O2-Differenz, d. h. der Differenz von O2-Konzentration in arteriellem ([O2]a) und venösem ([O2]v Blut: ˙ O 2 = ([O2]a [O2]v) · V ˙ V Das Verhältnis von Sauerstoffverbrauch und Sauerstoffan˙ · [O2]a) ist die Sauerstoffausschöpfung (AO2): gebot (V
werden, also durch Zunahme der arteriovenösen O2-Differenz. Das ist vor allem in denjenigen Organen möglich, die in Ruhe eine geringe O2-Ausschöpfung aufweisen, während beispielsweise dem Herzen hier enge Grenzen gesetzt sind (7 Kap. 3.3.1). Die gesteigerte O2-Ausschöpfung wird durch Absinken des O2-Partialdruckes im Gewebe und vermehrte Desoxygenierung von durchströmendem Blut erzielt. Das O2-Angebot kann ferner durch Vasodilatation in dem arbeitenden Organ gesteigert werden. Ist nur ein kleines Organ betroffen, dann wird das O2-Angebot durch die maximale Gefäßweite der zuführenden Gefäße limitiert. Bei vermehrtem O2-Bedarf großer Organe (z. B. schwere Muskelarbeit) kann der Blutdruck trotz Vasodilatation nur aufrechterhalten werden, wenn das Herzzeitvolumen zunimmt. Dabei passiert ein größeres Blutvolumen pro Zeiteinheit die Lunge, und die Kontaktzeit des Blutes mit den Alveolen nimmt ab. Bei Zunahme des Herzzeitvolumens und des Atemzeitvolumens während Arbeit werden auch die sonst wenig perfundierten und ventilierten apikalen Lungenabschnitte perfundiert und ventiliert und damit steht eine größere Diffusionsfläche zur Verfügung (7 Kap. 5.5.2). Dennoch kann auch beim Gesunden bei extremen Herzminutenvolumina die Kontaktzeit des Blutes mit den Alveolen zum limitierenden Faktor der O2-Aufnahme werden, d. h. die O2-Sättigung des arteriellen Blutes nimmt ab. Langfristig kann das O2-Angebot durch vermehrte Bildung von Erythrozyten und damit Zunahme der O2-Transportkapazität des Blutes gesteigert werden. Diese Anpassung erfordert mehrere Tage bis Wochen und ist limitiert, da eine zu hohe Erythrozytenzahl die Fließeigenschaften des Blutes verschlechtert. ! Der Weg von O2 zu den Zellen und die O2-Nutzung durch die Zellen können vielfach gestört sein
˙ /(V ˙ · [O2]a) = ([O2]a [O2]v)/[O2]a AO2 = ([O2]a [O2]v) · V Störungen von O2-Transport und O2-Nutzung. Die Ener-
Die O2-Ausschöpfung und damit die arteriovenöse O2-Differenz ist in den verschiedenen Organen ganz unterschiedlich. Sie kann im Herzen bei maximaler Arbeit 90 % erreichen und liegt andererseits in der Niere bei weniger als 10 % (. Tab. 4.1). Anpassung des Sauerstoffangebotes an den Bedarf. Der
Energieverbrauch und damit der O2-Bedarf vor allem des Herzens und des Skelettmuskels ist je nach Arbeitsbelastung ganz unterschiedlich. Die O2-Aufnahme kann zunächst durch Zunahme der O2-Ausschöpfung gesteigert
giegewinnung durch oxidative Verbrennung erfordert die hinreichende Aufnahme von O2 mit der Atmung, den Transport von O2 im Blut zum Gewebe und schließlich die Utilisation des O2 in den Mitochondrien. Störungen können an jedem dieser Schritte auftreten. 4 Gestörte Aufnahme. Bei herabgesetztem O2-Angebot in der Inspirationsluft (z. B. in großer Höhe, 7 Kap. 5.9.1) sowie bei behinderter Ventilation oder Diffusion in der Lunge kann das Blut nicht mehr hinreichend mit O2 gesättigt werden und es entwickelt sich eine arterielle Hypoxie
121 5.7 · Atemgastransport im Blut
4 Eingeschränkte Bindung. Der O2-Transport im Blut ist
bei Mangel an Erythrozyten bzw. Mangel an Hämoglobin (Anämie) oder bei funktionellem Ausfall des Hämoglobins (Methämoglobinämie, CO-Vergiftung) beeinträchtigt (7 Kap. 2.2) 4 Ischämie. Der Transport von O2-beladenem Hämoglobin zum verbrauchenden Gewebe ist bei zu engen Gefäßen oder bei Kreislaufversagen eingeschränkt (Ischämie). Bei einem Kreislaufstillstand kommt es innerhalb einer Minute auch zu einem Atemstillstand. Darüber hinaus kann primär ein Atemstillstand eintreten. Ohne künstliche Beatmung ist dann in wenigen Minuten mit einer irreversiblen Schädigung des Gehirns zu rechnen (7 Kap. 4.4) 4 Gestörte O2-Utilisation. Schließlich kann trotz ausreichendem O2-Angebot die Utilisation beeinträchtigt sein, wie etwa bei Vergiftung der Mitochondrien (zytotoxisch) Anaerobe Glykolyse. Da die Zellen über keine hinreichen-
den O2-Speicher verfügen, ist das Gewebe bei mangelhaftem O2-Angebot gezwungen, auf anaerobe Energiegewinnung auszuweichen, also auf die Gewinnung von Energie aus dem Abbau von Glukose zu Laktat (7 Kap. 8.1.2). Folge ist eine Anhäufung von Milchsäure mit Entwicklung einer Azidose, die zum limitierenden Faktor werden kann (7 Kap. 5.10.4).
führt. Darüber hinaus kann ein hoher O2-Partialdruck (Hyperoxie) wegen der Reaktionsfreudigkeit von O2 und der Bildung aggressiver O2-Radikale schädliche Wirkungen entfalten. In der Lunge löst O2 über Reizung der Atemwege Husten und Schmerzen aus und steigert über Schädigung von Endothel und Alveolarepithel die Gefäßpermeabilität. Folgen von Hyperoxie. Bei Hyperoxie droht die Entwicklung
eines Lungenödems, das paradoxerweise die O2-Aufnahme in das Blut mindert. Gesteigerte O2-Partialdrucke im Blut führen zu Abnahme von Herzminutenvolumen und Einschränkung der Durchblutung von Gehirn und Niere. Letztlich treten Schwindel und Krämpfe auf. Sehr hohe O2-Partialdrücke (> 300 kPa), wie sie beim Gerätetauchen auftreten können (7 Kap. 5.9.2), lösen bereits bei kurzfristiger Exposition Schädigungen des Lungengewebes und Krämpfe aus. Bei Neugeborenen kann reiner Sauerstoff eine retrolentale Fibroplasie im Auge und damit Erblinden hervorrufen. Neugeborenen bietet man daher nur Gemische mit maximal 40 % bzw. 40 kPa O2 an.
5.7.2
CO2
! CO2 wird vorwiegend als HCO3– im Blut transportiert
Bikarbonat. Der größte Anteil (etwa 3/4) von CO2 wird in ! Übermäßige O2-Zufuhr führt über gesteigerte Oxidation zu Gewebeschädigung
Hyperoxie. Einem O2-Mangel kann durch gesteigerte O2Konzentration in der Inspirationsluft entgegnet werden (Sauerstoffbeatmung). Die hohe O2-Konzentration begünstigt freilich das Kollabieren schlecht belüfteter Alveolen (Atelektase), da die O2-Aufnahme in das vorbeiströmende Blut zu einem Schwinden des Alveolarvolumens
Form von HCO–3 (Bikarbonat) transportiert. CO2 reagiert im Blut bei Passage des Gewebes mit Wasser zu Kohlensäure (H2CO3), die zu H+ und HCO–3 dissoziiert (7 Kap. 5.10). Die Hydratisierung von CO2 zu H2CO3 ist eine langsame Reaktion und erfordert bei den kurzen Passagezeiten des Blutes eine Beschleunigung durch das Enzym Karboanhydrase. Da dieses Enzym in den Erythrozyten sitzt, kann die Reaktion nur dort mit der erforderlichen Geschwindigkeit ablaufen (. Abb. 5.14). CO2 diffundiert in die Erythrozyten
. Abb. 5.14. CO2-Transport im Blut. Links: CO2-Aufnahme aus dem Gewebe, rechts: CO2-Abgabe in die Alveolen
5
122
Kapitel 5 · Atmung
und reagiert dort über Kohlensäure zu H+ und HCO3–. Bikarbonat verlässt die Erythrozyten dann zum Teil (⅔) im Austausch gegen Cl- (Hamburger Shift). Die dabei gebildeten H+-Ionen werden an Hämoglobin gebunden. In der Lunge sinkt durch Abdiffusion von CO2 in die Alveolen die CO2-Konzentration und HCO3– reagiert zu CO2. Dazu muss HCO–3, wiederum im Austausch gegen Cl-, in die Erythrozyten aufgenommen werden. Mit dem CO2 verschwindet auch das im Gewebe an Hämoglobin gebundene H+. Karbaminobindung. Ein kleinerer Teil von CO2 (ca. 10 %)
5
wird in den Erythrozyten an Aminogruppen des Globins gebunden (Karbaminobindung). Beziehung zwischen CO2-Partialdruck und alveolärer Ventilation. Normalerweise ist die Konzentration von CO2 in
der Inspirationsluft vernachlässigbar gering und die abgeatmete Menge an CO2 ist das Produkt aus alveolarer Venti˙ A) und der CO2-Konzentration [Volumen/Volulation (V men] in den Alveolen (CCO2,alv). Der CO2-Partialdruck ist wiederum eine Funktion von atmosphärischem Druck und dem CO2-Anteil (PCO2 = Patm · CCO2,alv). Arterialisiertes Blut weist den gleichen CO2-Partialdruck (PCO2,art) auf wie das alveolare Gasgemisch. Nun muss im Gleichgewicht genau˙A · CCO2,alv) wie gebildet so viel CO2 abgeatmet werden (V ˙ CO2) und daher gilt: wird (V
. Abb. 5.15. Einfluss der alveolaren Ventilation (V˙A) auf den alveolaren CO2-Partialdruck (PCO2) bei unterschiedlicher CO2-Produktion. Bei Hyperventilation (blau) sinkt, bei Hypoventilation (gelb) steigt der PCO2. Bei gesteigerter CO2-Produktion (V˙CO2) steigt der PCO2 (rot), wenn nicht gleichzeitig hyperventiliert wird (grün)
5.7.3
Wechselwirkung zwischen O2und CO2- Bindung
! Die Transporte von O2 und CO2 im Blut beeinflussen sich gegenseitig
Bohr-Effekt. Die O2-Affinität des Hämoglobins wird bei ei-
˙ CO2/ V ˙A CCO2,art = V PCO2,art ist daher eine Funktion von alveolärer Ventilation ˙A ) und CO2-Produktion (. Abb. 5.15): (V Hyperkapnie-Hypokapnie. Eine Zunahme des CO2-Parti-
aldruckes im arterialisierten Blut wird als Hyperkapnie, eine Abnahme von PCO2,art als Hypokapnie bezeichnet. Der Transport und die Abatmung von CO2 spielen bei der Regulation der H+-Konzentration (Säure-Basen-Haushalt) in Blut und Gewebe eine hervorragende Rolle, wie später noch ausgeführt wird (7 Kap. 5.10.3). Bei Hyperkapnie reagiert CO2 zu H2CO3, das zu HCO–3 und H+ dissoziiert. Dadurch steigt die H+-Konzentration (Azidose). Bei Hypokapnie reagieren umgekehrt HCO–3 und H+ über H2CO3 zu CO2 und die H+-Konzentration sinkt (Alkalose). Durch gesteigerte Abatmung von CO2 kann eine nichtrespiratorische Azidose korrigiert werden (7 Kap. 5.10.3).
ner Zunahme des CO2-Partialdruckes sowie bei einer Abnahme des pH herabgesetzt (. Abb. 5.13). Durch die Wirkung von CO2 und pH wird die O2-Abgabe im relativ CO2reichen und sauren peripheren Gewebe erleichtert, während der relativ geringe CO2-Partialdruck und der relativ alkalische pH in der Lunge die O2-Aufnahme begünstigen (Bohr-Effekt). Haldane-Effekt. Sowohl die Reaktion von CO2 zu HCO–3,
als auch die Bindung von CO2 an das Hämoglobin werden durch die Desoxygenierung des Hämoglobins im Gewebe begünstigt, da desoxygeniertes Hämoglobin eine schwächere Säure ist als oxygeniertes Hämoglobin. In der Lunge begünstigt die Oxygenierung des Hämoglobins umgekehrt die Bildung von CO2 aus HCO–3 und die Freisetzung von CO2 aus der Karbaminobindung. Durch diesen Einfluss werden daher die CO2-Aufnahme im Gewebe und die CO2Abgabe in der Lunge gefördert (Haldane-Effekt).
123 5.8 · Atmungsregulation
In Kürze
Atemgastransport im Blut O2 4 Hämoglobin: ≈98 % des O2-Transportes (Fe-haltiges Häm + Globin, 64 kDa, Bindung von 4 O2-Molekülen; HbA von Erwachsenem: 2α/β-Ketten, HbF von Feten: 2α/2γ) 4 O2-Bindungskapazität = Zahl verfügbarer Bindungsstellen für O2 am Hämoglobin/Liter Blut 4 Maximale O2-Aufnahme = abhängig von O2-Bindungskapazität und Herzminutenvolumen 4 O2-Abgabe im Gewebe gesteigert bei herabgesetzter O2-Affinität; CO2 n, pH p, 2,3-BPG n und Temperatur n o O2-Affinität des Hämoglobin p 4 Maternofetale O2-Diffusion begünstigt durch O2-Affinität und Konzentration HbF > HbA (Mutter), pH-Abfall mütterliches Blut und pH Anstieg fetalesBlut (doppelter Bohr-Effekt) 4 Zyanose: mittlere Konzentration von desoxygeniertem Hämoglobin > 0,7 mmol/l (5 g/100 ml) 4 Methämoglobin: Oxidation des Eisens zu Fe 3+ o keine O2-Binding mehr möglich o Zyanose 4 CO-Vergiftung: CO bindet 350-mal besser als O2; CO-Bindung steigert O2-Affinität des übrigen Hämoglobins o O2-Abgabe im Gewebe p 4 Minimaler O2-Partialdruck an den Zellen = 0,3–1 kPa (0,2–0,8 mmHg). 4 Myoglobin speichert kurzfristig O2 und fördert intrazelluläre O2-Diffusion (v. a. Skelettmuskel, Herz) 4 O2-Ausschöpfung: AO2 = ([O2]a - [O2]v)/ [O2]a (Herz bis zu 90%, Niere
5.8
Atmungsregulation
5.8.1
Atemzentren, Atemreize
! Die Atmung wird durch atemregulierende Neurone gesteuert, die Afferenzen aus Mechano- und Chemorezeptoren erhalten
Die atemregulierenden Neurone. Über die gesamte Medulla oblongata sind Gruppen von Neuronen verstreut, die bei Inspiration (inspiratorische Neurone) oder Exspiration (exspiratorische Neurone) aktiviert werden (. Abb. 5.16). Dabei lassen sich aufgrund ihrer zeitlichen
4 O2-Aufnahme wird durch O2-Ausschöpfung n und Durchblutung n gesteigert. Langfristig kann O2-Transportkapazität durch Erythropoiese gesteigert werden 4 Störungen von O2-Transport und -Nutzung: O2-Aufnahme, O2-Bindung, Durchblutung, O2-Utilisation 4 Anaerobe Glykolyse = Energiegewinnung aus Abbau von Glukose zu Laktat o Azidose 4 Gefahren von O2-Beatmung: Atelektase; O2-Radikale o Reizung der Atemwege, Gefäßpermeabilität n o Lungenödem; Herzminutenvolumen p; Durchblutung Gehirn, Niere p; Schwindel, Krämpfe; bei Neugeborenen retrolentale Fibroplasie CO2 4 CO2-Transport im Blut: v. a. (≈¾) als HCO3– (erfordert erythrozytäre Karboanhydrase), ≈10% als Karbaminobindung 4 CO2-Abatmung (V˙CO2) : Funktion von alveolarer Ventilation (V˙A ) und der CO2-Konzentration in den Alveolen (CCO2,alv): CCO2,art = V˙CO2/ V˙A 4 Hyperkapnie = Partialdruck CO2 n; Hypokapnie = Partialdruck CO2 p Wechselwirkung zwischen O2- und CO2-Bindung 4 Bohr-Effekt: CO2-Partialdruck n, pH p o O2-Affinität des Hämoglobins p 4 Haldane-Effekt: Oxygenierung Hämoglobin n o CO2–Abgabe n (aus HCO3– und Karbaminobindung)
Aktivierung und neuronalen Verschaltungen mehrere Untergruppen unterscheiden. Die Neurone erzeugen durch gegenseitige, abwechselnde Erregung oder Hemmung den Atemrhythmus. Sie erhalten Afferenzen aus Mechanorezeptoren der Lunge und der Atemmuskulatur und aus Chemorezeptoren, die den Gehalt von CO2, pH und O2 im Blut messen. Darüber hinaus wird ihre Tätigkeit durch verschiedene Strukturen des Nervensystems gesteuert. So stehen sie unter dem Einfluss benachbarter Neurone in der Formatio reticularis. Beeinflussung der Atmung durch Mechanorezeptoren. In
der Lunge sind Rezeptoren, die bei Dehnung der Lunge,
5
124
Kapitel 5 · Atmung
. Abb. 5.16. Lage der atemregulierenden Neurone
5 also bei Inspiration, erregt werden. Ihre Afferenzen führen über den Nervus vagus zu den atemregulierenden Neuronen und hemmen die Inspiration (Hering-Breuer-Reflex). Die Afferenzen spielen für den normalen Atemrhythmus keine Rolle, verhindern jedoch durch Begrenzung tiefer Inspiration eine Überdehnung der Lungen. Die atemregulierenden Neurone erhalten ferner Afferenzen aus den Muskelspindeln der Atemmuskulatur (außer dem Zwerchfell), die über die jeweilige Muskellänge informieren. Durch Deflation der Lunge (Pneumothorax) werden bronchiale Irritationsendigungen des Nervus vagus erregt, welche die Inspiration fördern (Head-Reflex). Schadstoffe in der Inspirationsluft können Niess- und Hustenreflexe sowie Apnoe (Atemstillstand) in Inspirationsstellung auslösen. Afferenzen an den Gefäßen und Alveolarwänden werden durch lokales Ödem (Lungenödem) und Entzündungsmediatoren (z. B. Histamin) gereizt. Sie vermitteln eine Hemmung der Atmung, eine Senkung von Herzfrequenz und Blutdruck und eine Hemmung der Skelettmuskelaktivität ( juxtakapillärer Reflex). ! Wichtigster Atemantrieb ist eine Zunahme der CO2-Konzentration. Die Atmung wird ferner durch Hypoxie, Hormone und Einflüsse aus dem Nervensystem gesteuert
Regulation der Ventilation durch CO2. Wenn O2-Aufnah-
me und CO2-Abgabe an den jeweiligen Bedarf angepasst werden sollen, dann ist eine Rückkopplung zwischen Ventilation und den arteriellen Partialdrücken erforderlich. Tatsächlich spielt der arterielle CO2-Partialdruck die ent-
scheidende Rolle bei der Atemregulation. Der CO2-Partialdruck wird von Chemorezeptoren an der Karotis (Glomera carotica) und der Aorta (Glomera aortica), sowie von atemregulierenden Neuronen im Hirnstamm gemessen. Bei Zunahme des CO2-Partialdruckes reagiert zelluläres CO2 über H2CO3 zu HCO–3 und H+ (7 Kap. 5.7.2). Die H+-Ionen hemmen K+-Kanäle in den Chemorezeptoren. Die folgende Depolarisation aktiviert spannungsabhängige Ca2+-Kanäle, der Ca2+-Einstrom vermittelt die Ausschüttung von Neurotransmittern (u. a. ATP), das afferente Nervenendigungen des Nervus vagus aktiviert. Durch Beeinflussung der atemregulierenden Neurone führt eine Zunahme des CO2-Partialdruckes zu einer steilen Zunahme der Ventilation (. Abb. 5.17). Darüber hinaus führt eine Zunahme des CO2-Partialdruckes zu Erstickungsgefühlen. Regulation der Ventilation durch den pH. Weniger wirkungsvoll als eine Zunahme des CO2-Partialdruckes steigert ein Abfall des arteriellen pH (bei konstantem CO2-Partialdruck) die Ventilation. Da H+ die Blut-Hirn-Schranke schwer passieren können, wirken sich Änderungen des Blut-pH nur relativ gering auf den pH um die atemregulierenden Neurone aus. Regulation der Ventilation durch O2. Änderungen des O2-
Partialdruckes spielen bei der Atemregulation normalerweise eine untergeordnete Rolle. Trotz seiner überragenden Bedeutung eignet sich O2 nicht für die Regulation der Ventilation, da die O2-Bindungskurve von Hämoglobin die O2Aufnahme ja in weiten Grenzen von der Ventilation unabhängig macht. Nur bei erheblichem Abfall des O2-Partial-
125 5.8 · Atmungsregulation
. Abb. 5.17. Einfluss des Partialdruckes von CO2 (PCO2) und O2 (PO2), sowie des pH (pHa) im arterialisierten Blut auf das Atemminutenvolumen. Die Reaktion der Atemregulation auf Abfall von PO2-
und Zunahme des pHa sind bei konstant gehaltenem PCO2 (rot) stärker, als wenn durch die Hyperventilation der PCO2 absinkt (grün) (nach Richter aus Schmidt et al.)
druckes kommt es durch Aktivierung der Chemorezeptoren in den Glomera carotica und aortica zur Steigerung der Ventilation (. Abb. 5.7). Mäßige Abnahme des O2-Partialdruckes hat zudem eine euphorisierende Wirkung, wohl über Stimulation der Freisetzung von Endorphinen. Damit wird bisweilen einer Hypoxie nicht konsequent ausgewichen (Höheneuphorie).
5.8.2
Steuerung der Atmung. Die Atmung steht unter dem Einfluss des zentralen Nervensystems und damit einer Vielfalt von Faktoren. 4 Zunahme der Körpertemperatur, etwa bei Fieber, steigert die Ventilation, plötzliche Kaltreize führen zu kurzer Apnoe (Atemstillstand) 4 Die Atmung wird ferner durch Emotionen, Schmerzreize und Blutdruckabfall stimuliert 4 Bei Muskelarbeit wird die Ventilation gesteigert, bereits bevor durch Zunahme von CO2-Produktion und O2-Verbrauch die Chemorezeptoren gereizt werden (Mitinnervation der atemregulierenden Neurone) 4 Progesteron fördert neben seiner stimulierenden Wirkung auf den Energieverbrauch und die Körpertemperatur auch die Ventilation 4 Die Atmung wird beim Sprechen, Singen, Pressen etc. willkürlichen Aufgaben untergeordnet, sodass dabei durchaus erhebliche Hyperventilation oder Hypoventilation auftreten können 4 Die Ventilation nimmt schließlich im Schlaf ab, wobei Hypoxie und Hyperkapnie auftreten können
Formen normaler und veränderter Atmung
! Die Atmung kann gesteigert, herabgesetzt oder in der Rhythmik gestört sein
Störungen der Atemregulation. Aktivierung der atemregulierenden Neurone kann die Ventilation über den Bedarf des Körpers steigern (Hyperventilation). Folglich sinkt der CO2-Partialdruck unter 40 mmHg ab. Die adäquat gesteigerte Ventilation bei vermehrtem Bedarf, wie etwa bei Arbeit, wird hingegen als Mehrventilation bezeichnet. Eine gesteigerte Ventilation tritt regelmäßig bei massiver metabolischer Azidose auf (KußmaulAtmung), wie etwa im Coma diabeticum (7 Kap. 10.3). Unzureichende Aktivität der Neurone führt zur Hypoventilation und einem Ansteigen des CO2-Partialdruckes. Bei normaler Ventilation spricht man von Normoventilation. 4 bei normaler Ruheatmung von Eupnoe 4 bei vertiefter Atmung von Hyperpnoe 4 bei gesteigerter Atemfrequenz von Tachypnoe 4 bei herabgesetzter Atemfrequenz von Bradypnoe 4 bei Aussetzen der Atmung von Apnoe
Führt das (weitgehende) Aussetzen der Tätigkeit der atemregulierenden Neurone zu massiver Hypoxie und Hyperkapnie, dann spricht man von Asphyxie. Bei Schädigung der atemregulierenden Neurone treten verschiedene Formen pathologischer Atmung auf, wie
5
126
Kapitel 5 · Atmung
. Abb. 5.18. Normale und pathologische Atemmuster
5
Cheyne-Stokes-Atmung, Seufzer-Atmung, Biot-Atmung und Schnapp-Atmung (. Abb. 5.18). Dyspnoe. Die Dyspnoe ist durch das subjektive Gefühl der Atemnot charakterisiert, unabhängig davon, ob eine Hyper- oder Hypoventilation vorliegt.
Orthopnoe. Bei Orthopnoe ist der Patient gezwungen, zur Vermeidung einer Dyspnoe aufrecht zu sitzen oder zu stehen. Sie tritt insbesondere bei Lungenödem auf, da der gesteigerte hydrostatische Druck im Liegen die Filtration von Flüssigkeit aus den Lungengefäßen in die Alveolen begünstigt.
127 5.9 · Atmen unter ungewöhnlichen Bedingungen
In Kürze
Atmungsregulation Atemzentren, Atemreize 4 Neurone: In Medulla oblongata inspiratorische Neurone und exspiratorische Neurone, Beeinflussung durch Formatio reticularis 4 Afferenzen: Mechanorezeptoren Lunge (hemmen Inspiration, Hering-Breuer-Reflex), Bronchien (fördern Inspiration, Head-Reflex, Niess- und Hustenreflexe), Gefäßen und Alveolarwänden (Hemmung Atmung, Senkung Herzfrequenz und Blutdruck, Hemmung der Skelettmuskelaktivität, juxtakapillärer Reflex). Muskelspindeln der Atemmuskulatur, Chemorezeptoren für CO2, pH, O2 4 Regulation der Ventilation: CO2 sehr viel wichtiger als pH: CO2 n o pH p in Chemorezeptoren und ZNS o K+-Kanäle p o Depolarisation o Ca2+-Kanäle n o Ca2+-Einstrom o Ausschüttung von Neurotransmitter 4 Regulation durch O2: Nur bei Hypoxie (z. B. Höhe) bedeutsam, Chemorezeptoren in den Glomera caroti-
5.9
Atmen unter ungewöhnlichen Bedingungen
5.9.1
Atmen in der Höhe
! Der geringe O2-Partialdruck in der Höhe zwingt zu einer Hyperventilation, die den CO2-Partialdruck inadäquat senkt
Hyperventilation. Die Abnahme des O2-Partialdruckes in
der Inspirationsluft in großer Höhe (. Abb. 5.2) senkt - bei unveränderter Atmung - den alveolären O2-Druck und mindert damit die O2-Sättigung des Hämoglobin. Relevant werden diese Wirkungen erst, wenn der alveoläre O2-Partialdruck in den steilen Bereich der O2-Bindungskurve fällt, das ist bei Höhen über 3000 m der Fall. Die Hypoxie zwingt zur Hyperventilation, die Hypokapnie und respiratorische Alkalose zur Folge hat. Die Hypokapnie hemmt die Ventilation und erschwert die Anpassung der Ventilation an das O2-Angebot. Darüber hinaus eignet sich O2 nicht zur Atemregulation (7 Kap. 5.8.1) und die Atmung wird unregelmäßig. Die Hypokapnie und Alkalose führen zu einer Vasokonstriktion der Hirngefäße, die andererseits durch die
ca und aortica, Mäßige Abnahme O2-Partialdruck o Euphorie 4 Ventilation gesteigert bei Körpertemperatur n, Emotionen, Schmerzreize, Blutdruckabfall, Muskelarbeit, Progesteron; herabgesetzt bei Schlaf Formen normaler und veränderter Atmung 4 Hyperventilation (über den Bedarf hinaus gesteigert); Mehrventilation (bedarsgerecht gesteigert); Kußmaul-Atmung (gesteigert, vertieft bei Azidose), Hypoventilation (unzureichend); Normoventilation (normal); Eupnoe (normal in Ruhe); Hyperpnoe (vertieft); Tachypnoe (gesteigerte Frequenz): Bradypnoe (herabgesetzte Frequenz); Apnoe (Aussetzen) 4 Asphyxie (Aussetzen mit massiver Hypoxie und Hyperkapnie); Cheyne-Stokes-Atmung, Seufzer-Atmung, Biot-Atmung, Schnapp-Atmung: (massiv gestörter Rhythmus); Dyspnoe (subjektives Gefühl der Atemnot), Orthopnoe (Atmen erfordert aufrechtes Sitzen)
Hypoxie erweitert werden. Die respiratorische Alkalose fördert mittelfristig die renale Ausscheidung von HCO3– (7 Kap. 5.10.3), sodass trotz Hypokapnie ein normaler BlutpH erreicht wird. Dadurch wird auch die ventilationshemmende Wirkung der Hypokapnie abgeschwächt und die für eine adäquate O2-Aufnahme erforderliche Steigerung der Ventilation erleichtert. Stimulation der Erythropoiese. Die Hypoxie stimuliert die Ausschüttung von Erythropoietin, das die Erythropoiese anregt. Langfristig wird dadurch die O2-Transportkapazität gesteigert. Grenzen der Anpassung. Die Anpassungsvorgänge erlauben einen langfristigen Aufenthalt in Höhen um 5000 m. Auch bei einem nur kurzfristigen Anstieg auf 8000 m ohne künstliche O2-Zufuhr ist trotz vorhergehender Adaptation mit irreversiblen Schäden des Gehirns zu rechnen. Kabinendruck in Flugzeugen. In Flugzeugen, die in größerer Höhe fliegen, wird der Kabinendruck bei etwa 70 kPa gehalten, was einer Höhe von etwa 3000 m entspricht.
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128
Kapitel 5 · Atmung
5.9.2
Tauchen
! Beim Tauchen wird die Lunge komprimiert, der Partialdruck von Lungengasen gesteigert und daher mehr Gase in das Blut aufgenommen. Beim Auftauchen sinken die Partialdrucke
Tauchen. Unter Wasser übt die Wassersäule über dem Tau-
5
cher einen Druck aus, der pro Meter Wassersäule 10 kPa (75 mmHg) beträgt. Dieser Druck addiert sich zum atmosphärischen Druck und komprimiert die luftgefüllten Räume des Körpers. Bei angehaltener Atmung wird durch diesen Druck das Lungenvolumen komprimiert und die Partialdrucke in den Alveolen steigen entsprechend. Wurde vorher nicht hyperventiliert, dann löst der Anstieg des alveolären CO2-Partialdruckes vorzeitig Atemnot aus und veranlasst den Taucher zum Auftauchen. Durch Hyperventilation vor dem Tauchen wird CO2 vermehrt abgeatmet, und der Anstieg des CO2-Partialdruckes ist verzögert. Nachdem durch die Hyperventilation nicht wesentlich mehr O2 aufgenommen wird, entwickelt sich der O2-Partialdruck zur limitierenden Größe. Die zusätzliche Kompression durch die Wassersäule hält den O2-Partialdruck jedoch hoch und der Taucher wird erst spät gewarnt. Beim Auftauchen sinkt der O2-Partialdruck wegen der abnehmenden Kompression dramatisch ab und die Hypoxie kann Bewusstlosigkeit auslösen. Schnorcheln. Beim Schnorcheln bleibt in den Alveolen der Druck auch unter Wasser bei einer Atmosphäre, und der zunehmende Außendruck komprimiert den Thorax. Die Atemmuskulatur kann jedoch nur gegen einen Druckgradienten von etwa 10 kPa inspirieren, die Tauchtiefe bleibt daher beim Schnorcheln auf weniger als einen Meter begrenzt. Tauchen mit Atemgeräten. Längeres Tauchen in größerer
Tiefe ist nur mit Hilfe von Atemgeräten möglich. Das inspirierte Gasgemisch wird aus Flaschen mit Überdruck angeboten, sodass der Alveolardruck parallel zum umgebenden Wasserdruck gesteigert wird. Bei Verwendung von komprimierter Luft wird jedoch bald ein O2-Partialdruck erreicht, der Schäden v. a. an Lunge und Gehirn auslösen kann (7 Kap. 5.7). Darüber hinaus wird N2 bei hohem Druck unter Wasser vermehrt in das Blut und die Gewebe aufgenommen. Bei Druckwerten von mehr als 500 kPa kann auch N2 zentralnervöse Störungen auslösen.
Eine besondere Gefahr tritt beim Auftauchen auf, wenn der Druck nachlässt und das in Blut und Geweben gelöste N2 wieder frei wird. Bei zu schnellem Auftauchen entstehen wie beim Öffnen einer Sprudelflasche Bläschen, die wie bei einer Luftembolie periphere Kapillaren verstopfen (7 Kap. 4.1.3). Diese Dekompressionskrankheit kann durch schnelle Rekompression behandelt werden. Die Verwendung von weniger löslichen Gasen, wie Helium und H2 mindert die Gefahr einer toxischen Schädigung des Gehirns und einer Dekompressionskrankheit.
5.9.3
Atemspende
! Bei Ausfall spontaner Atemtätigkeit kann die Ventilation durch Atemspende, Beutel und eiserne Lungen aufrechterhalten werden
Mund-zu-Nase-Beatmung. Bei einem Atemstillstand kann durch künstliche Beatmung ein Absinken der Sauerstoffkonzentration und eine Zunahme der CO2-Konzentration im Blut verhindert werden: Bei der Atemspende bläst der Spender dem Empfänger Luft in die Nase (Mund-zu-NaseBeatmung) oder in den Mund (Mund-zu-Mund-Beatmung). Dabei ist das Totraumvolumen des Spenders gleichwertig wie normale Inspirationsluft und der O2-Gehalt ist bei einem insufflierten Volumen von etwa einem halben Liter völlig hinreichend. Die Retraktionskraft der Lunge des Empfängers vermittelt die Exspiration. Die Insufflation kann auch durch einen Beutel erzielt werden, der über eine Atemmaske oder einen Schlauch in der Trachea mit den Atemwegen des Atemempfängers verbunden ist. Ein Nachteil der Atemspende gegenüber der normalen Atmung ist das Fehlen des thorakalen Druckabfalls während der Inspiration. Damit besteht weniger Druckgradient für den Rückstrom aus den extrathorakalen Gefäßen zum Herzen und das Herzzeitvolumen wird entsprechend beeinträchtigt. Eiserne Lunge. In der eisernen Lunge liegt der Körper bis
zum Hals in einem Hohlraum, in dem ein wechselnder Unterdruck erzeugt und damit die entsprechenden Atembewegungen erzwungen werden.
129 5.10 · Säure-Basen-Gleichgewicht und Pufferung
In Kürze
Atmen in der Höhe 4 Akute Höhenwirkungen: Höhe o O2-Partialdruck p o Hyperventilation o CO2-Partialdruck po respiratorische Alkalose, unregelmäßige Atmung, Vasokonstriktion der Hirngefäße 4 Langfristige Anpassung: renale Ausscheidung von HCO3– , Stimulation der Erythropoiese
4 Schnorcheln: Limitierte Tauchtiefe durch Außendruck (<10 kPa) 4 Tauchen mit Atemgeräten: Tauchen in größerer Tiefe bei Verwendung von komprimierter Luft o toxische Hyperoxie, bei >500 kPa auch N2 toxisch 4 Tauchen in großer Tiefe o Lösung von N2 im Gewebe o beim Auftauchen Bilden von Gasbläschen, die Gefäße verstopfen (Dekompressionskrankheit)
Tauchen 4 Tauchen nach Hyperventilation und damit niederem pCO2: Gasdruck unter Wasser: Pro Meter Wassersäule Zunahme um 10 kPa o PO2 n o zu späte Warnung durch Hypoxie o zu spätes Auftauchen o durch Sinken des Druckes massive Hypoxie beim Auftauchen o Bewusstlosigkeit o Ertrinken
Atemspende 4 Mund-zu-Nase-Beatmung: Totraumvolumen des Spenders gleichwertig wie normale Inspirationsluft; Retraktionskraft der Lunge des Empfängers vermittelt die Exspiration 4 Eiserne Lunge: Atembewegungen durch wechselnden äußeren Unterdruck
Atmen unter ungewöhnlichen Bedingungen
5.10
Säure-Basen-Gleichgewicht und Pufferung
5.10.1
Pufferung und H+-Ionen
! Puffer binden reversibel H oder OH und dämpfen so Änderungen der H+ Konzentration +
-
Temperatur und Ionenstärke ab, nicht aber von [H+], [A-] und [AH]. Im Gleichgewicht ist J1 = J-1 und k1 · [AH] = k-1 · [H+] · [A-] sowie k1/ k-1 = K = [H +] · [A-]/[AH] Logarithmieren der Gleichung führt zu:
Grundeigenschaften von Puffern. Ein Puffersystem kann
reversibel H+ binden oder abgeben: -
AH l H+ + A
Dabei ist AH die undissoziierte Säure und A- das dissoziierte Anion. Die Zahl der Moleküle AH, welche pro Zeiteinheit H+ abgeben (J1), ist proportional zur Konzentration von AH ([AH]): J1 = k1 · [AH]. Umgekehrt ist die Reaktion von H+ und A- zu AH (J -1 ) eine Funktion der Konzentrationen von H+ ([H+]) und A- ([A-]): J -1 = k-1 · [H+] · [A-]. k1 und k-1 sind »Konstanten«, welche die Geschwindigkeit der Reaktion beschreiben. Sie hängen beispielsweise von
lgK = lg[H +] + lg([A-]/[AH]) und, da lg [H +] = -pH, und lgK = -pK pH = pK + lg([A-]/[AH]) Diese Henderson-Hasselbalch-Gleichung beschreibt den Zusammenhang zwischen dem pH und dem Verhältnis von [A-]/[AH]. Bei einem pH von 5,0 liegt eine Säure mit einem pK von 4,0 z. B. zu über 90% in dissoziierter Form [A-] vor: lg [A-]/[AH] = 1,0 das heißt [A-]/[AH] = 10.
Die Gleichung kann für alle schwachen Säuren eingesetzt werden. Für schwache Basen gilt: pH = pK + lg ([B]/[BH +]) , wobei [B] und [BH+] die Konzentrationen der freien und der H+-bindenden Base sind. Da ein Puffersystem H+ bei
5
130
Kapitel 5 · Atmung
zunehmender H+-Konzentration bindet und bei abnehmender H+-Konzentration abgibt, dämpft es entsprechende Änderungen der H+-Konzentration. Das Ausmaß dieser Dämpfung wird durch die Pufferkapazität (Kp) zum Ausdruck gebracht: Kp = ΔH+/ΔpH wobei ΔH+ diejenige Menge an H+ ist, die pro Liter Pufferlösung zugesetzt oder entnommen wurde. Die Pufferkapazität steigt mit der Konzentration der Puffer. Darüber hinaus sinkt die Pufferkapazität mit dem Abstand von pH und pK.
5
! Puffer im Harn ermöglichen die Ausscheidung von H+ durch die Niere
Die Bedeutung der Puffer im Harn. Täglich fallen normalerweise 100 mmol H+ an, die durch die Niere ausgeschieden werden müssen. Jedoch selbst bei einem Urin-pH von 4,5 ist die freie H+-Konzentration nur etwa 30 µmol/l. Daher kann die Niere H+ nur mit Hilfe von Puffern ausscheiden. Zwei Puffersysteme sind von besonderer Bedeutung: Das NH3/NH4+-System, das normalerweise etwa 60 % zur täglichen H+-Ausscheidung beiträgt, sowie das HPO42-/ H2PO4--System, das etwa 30 % beisteuert. Ein kleiner Teil von H+ wird an Harnsäure gebunden ausgeschieden. NH3/NH4+-Puffer im Harn. NH3 ist eine schwache Base mit
einem pK von 9, beim Blut pH von 7,4 ist das Verhältnis NH4+/NH3 etwa 40:1. Im Allgemeinen sind die Zellmembranen gut für NH3 permeabel, während NH4+ die Zellmembran nur mit Hilfe von Transportsystemen passieren kann. Ein solches Transportsystem ist der Na+-K+-2Cl-Cotransport in der Henle-Schleife, der NH4+ statt K+ akzeptiert. NH3 wird im proximalen Tubulus der Niere aus Glutamin unter dem Einfluss der Glutaminase gewonnen. Es diffundiert in das saure Tubuluslumen, bindet dort H+ und kann als NH4+ das proximale Tubuluslumen nicht mehr verlassen. Im dicken Teil der Henle-Schleife wird es z. T. über den Na+-K+-2Cl--Cotransport resorbiert und damit im Nierenmark akkumuliert. Die Diffusion von NH3 in das Lumen des Sammelrohrs und die dortige Bildung von NH4+ erlaubt dann die effiziente Ausscheidung von NH4+. Mit jedem ausgeschiedenen NH4+ wird somit ein H+ eliminiert. Bei Titrieren des sauren Harns mit NaOH bis zum pH 7,0 bleibt H+ an NH4+ gebunden (pK = 9). NH4+ wird demnach als nichttitrierbare Säure des Harns bezeichnet.
Regulation der Glutaminase. Die proximal-tubuläre Bildung von NH3 ist in hohem Maße vom Säure-Basen-Haushalt abhängig: Azidose stimuliert und Alkalose hemmt die renale Glutaminase. Eine anhaltende renale Bildung von NH3 bei Alkalose wäre schädlich, da bei Alkalose weniger H+ sezerniert werden, das Tubuluslumen relativ alkalisch ist und damit NH3 im Tubuluslumen in geringerem Maße zu NH4+ reagiert und zurückgehalten wird. Das im proximalen Tubulus gebildete NH3 würde also zum Teil statt ausgeschieden in das Blut abgegeben werden. NH3 bzw. NH4+ ist jedoch bereits in sehr geringen Konzentrationen toxisch (v. a. für das Nervensystem). Phosphatpuffer im Harn. Phosphat ist eine trivalente Säure,
die in Abhängigkeit vom herrschenden pH völlig, teilweise oder gar nicht dissoziiert ist: PO43- l HPO42- l H2PO4- l H3PO4 Die pKs der jeweiligen Reaktionen liegen bei 2,0, 6,8 und 12,3. Beim pH des Blutes (pH 7,4) liegt Phosphat zu 80 % als HPO42- und zu 20 % als H2PO4- vor. Weit unter 1 % sind PO43- oder H3PO4. Bei einem Harn-pH von 5,8 sind etwa 90 % H2PO4- und etwa 10 % HPO42-. Demnach haben bei diesem Harn-pH etwa 70 % des ausgeschiedenen Phosphats zusätzlich H+ gebunden. Bei Bildung eines noch saureren Harns können maximal weitere 10 % Phosphat zusätzlich H+ binden. Eine Azidifizierung des Harns unter pH 5,8 hat daher nur eine bescheidene Auswirkung auf die H+-Ausscheidung in Form von Phosphat. Bei einem Harn-pH von 6,8 binden freilich nur 30 % des ausgeschiedenen Phosphats H+ und bei einem Urin pH von 7,4 wird kein H+ als Phosphat mehr ausgeschieden. Für die Ausscheidung von H+ als Phosphat ist daher neben der Menge an ausgeschiedenem Phosphat auch der Harn-pH maßgebend. Bei Titrieren des sauren Harns mit NaOH bis zum pH 7,0 gibt H2PO4- H+-Ionen ab und wird dadurch zu HPO42-. Phosphat ist demnach im Gegensatz zu NH4+ eine titrierbare Säure des Harns. Bei Überlegungen zur Bedeutung von Phosphat für die Eliminierung von H+ muss berücksichtigt werden, woher das Phosphat kommt. Häufig wird das Phosphat aus dem Knochen mobilisiert, wo es in extrem alkalischen Salzen als HPO42- und PO43- abgelagert ist. Bereits bei der Mobilisierung des Phosphats aus dem Knochen werden daher H+ verbraucht.
131 5.10 · Säure-Basen-Gleichgewicht und Pufferung
Harnsäure liegt mit einem pK von 5,8 im Filtrat nur zu 2,5%, bei einem Harn-pH von 4,8 jedoch zu 90% als undissoziierte Säure vor. Sie kann also in Abhängigkeit vom Harn-pH H+ binden.
5.10.2
Pufferung und CO2-Austausch
! Wichtigstes Puffersystem im Blut ist CO2/HCO3–
Die Puffer im Blut. Die Pufferbasen des Blutes (ca. 48 mmol/ l) sind etwa zur Hälfte dissoziierte (negativ geladene) Proteine. Die Pufferkapazität des Blutes liegt im Bereich von 15 mmol/l/pH. Das wichtigste Puffersystem des Blutes ist das H2CO3/ HCO3–-System (pK = 3,3). H2CO3/HCO3– ist nämlich ein offenes Puffersystem, in dem beide Komponenten (H2CO3 und HCO3–) schnell nachgebildet oder entfernt werden können. In der Anwesenheit des Enzyms Karboanhydrase steht H2CO3 im Gleichgewicht mit CO2:
[CO2] = 102,8 [H2CO3] und damit kann die Henderson-Hasselbalch-Gleichung folgendermaßen formuliert werden: pH = 6,1 + lg [HCO–3]/[CO2] oder, wenn man statt der CO2-Konzentration den CO2Druck einsetzt: pH = 6.1 + lg [HCO–3]/0,24 · pCO2 [kPa] Bei einer Bikarbonatkonzentration ([HCO–3]) von 25 mmol/l und einem pCO2 von 5 kPa ist der pH 7,4 (6,1 + lg20). CO2 wird im Stoffwechsel ständig gebildet und von der Lunge ständig abgeatmet (7 Kap. 5.7). Auf der anderen Seite kann HCO–3 von der Niere in Kooperation mit der Leber gebildet oder eliminiert werden (7 Kap. 5.10.3).
5.10.3
Säure-Basen-Haushalt
! Der pH beeinflusst praktisch alle zellulären Funktionen
Die physiologische Bedeutung des pH. Die Eigenschaften von Enzymen, Transportproteinen, Rezeptoren etc. werden durch die Dissoziation von sauren und basischen Amino-
säuren und damit vom umgebenden pH in hohem Maße beeinflusst. Damit sind praktisch alle zellulären Funktionen vom zellulären pH abhängig. 4 Unter anderem werden die Schrittmacherenzyme der Glykolyse, v. a. die Phosphofruktokinase durch Azidose gehemmt und durch Alkalose stimuliert 4 Alkalose fördert die Glykolyse und Laktatproduktion, hemmt die Glukoneogenese und begünstigt die Anhäufung von Zitrat. Azidose fördert andererseits den Abbau von Glukose über den Pentosephosphatzyklus 4 DNA-Synthese und Zellproliferation werden durch intrazelluläre Azidose gehemmt. Wachstumsfaktoren stimulieren daher den Na+/H+-Austauscher 4 K+-Kanäle werden in aller Regel durch Alkalose geöffnet und durch Azidose verschlossen. 4 Azidose setzt die Durchlässigkeit von Ca2+-Kanälen herab, der herabgesetzte Ca2+-Einstrom z. B. in Herzmuskelzellen mindert die Herzkraft 4 H+ begünstigen Vasodilatation, Alkalose Vasokonstriktion. 4 Azidose reduziert die Durchlässigkeit von gap junctions. Dadurch wird u. a. die Erregungsfortleitung im Herzen verzögert 4 Azidose mindert und Alkalose steigert die Sauerstoffaffinität von Hämoglobin 4 Alkalose stimuliert die Dissoziation von Plasmaproteinen, die dann besser Ca2+ binden. Andererseits komplexiert HCO–3 Ca2+. Bei metabolischer Alkalose addieren sich beide Wirkungen und die Ca2+-Aktivität im Plasma sinkt stark ab ! Die Lunge bewerkstelligt die CO2-Abgabe, die Niere die Ausscheidung von H+ oder HCO3–. Beide Organe sind für die Regulation des Säure-Basen-Haushaltes unverzichtbar. Die Tätigkeit der Niere wird durch die Leber unterstützt
Das Zusammenwirken von Lunge und Niere in der Regulation des Blut-pH. Die Lunge und die Niere sind gleicherma-
ßen bedeutsam für die Regulation des Säure-Basen-Haushaltes. Die Lunge beeinflusst den pH, indem sie CO2 abatmet, die Niere erfüllt ihre Funktion über die Ausscheidung von H+ oder HCO–3 (. Abb. 5.19). Wenn die renale H+-Ausscheidung mit der metabolischen Produktion von H+ nicht Schritt hält, dann muss die Lunge vermehrt CO2 abatmen, um eine Zunahme der H+-Konzentration zu verhindern: H+ + HCO–3 l CO2 + H2O
5
132
Kapitel 5 · Atmung
Das Zusammenwirken von Leber und Niere bei der Regulation des Säure-Basen-Haushaltes. Die renale Ausschei-
dung von H+ geschieht normalerweise zu etwa 60% in Form von NH4+. Um NH3 produzieren zu können, ist die Niere auf die Zufuhr von Glutamin angewiesen. Die Glutaminkonzentration im Blut hängt wiederum vom Glutaminstoffwechsel in der Leber ab (. Abb. 5.20). Normalerweise verbraucht die Leber Glutamin für die Harnstoffsynthese, bei der formal zwei NH4+ und zwei HCO–3 eingesetzt werden: 2 NH4+ + 2 HCO–3 = CO(NH2)2 + 2 H2O
5 . Abb. 5.19. Zusammenstellung von Faktoren, welche den Säure-Basen-Haushalt beeinflussen. Die Bedeutung der Leber siehe . Abb. 5.20
Die täglich abgeatmete Menge von CO2 ist normalerweise im Bereich von 20 mol, ein Vielfaches der von der Niere ausgeschiedenen H+-Menge (100 mmol). Trotzdem kann die Lunge eine anhaltend herabgesetzte renale H+-Ausscheidung nicht kompensieren: Die Entfernung von H+ durch Abatmung von CO2 verbraucht HCO–3 und mindert daher die HCO–3-Konzentration im Blut. Andererseits ist der BlutpH eine Funktion des Verhältnisses von [HCO3–]/[CO2]. Bei abnehmender HCO3–-Konzentration muss daher auch die CO2-Konzentration im Blut gesenkt werden, um den pH konstant zu halten. Nun ist die Menge an CO2, die abgeatmet ˙ CO2) eine Funktion der CO2-Konzentration in den wird (M Alveolen und diese ist identisch zu [CO2] im Blut: ˙ CO2 = V ˙ a · [CO2] M ˙ a die Ventilation der Alveolen ist (7 Kap. 15.6). Um wobei V also die Menge des metabolisch produzierten CO2 abatmen ˙ a in dem Maße steigern, wie zu können, muss die Lunge V [CO2] abgesunken ist. Wird also eine vorübergehend herabgesetzte renale Säureausscheidung durch gesteigerte Abatmung von CO2 kompensiert und auf diese Weise die HCO–3-Konzentration im Blut halbiert, dann ist die Lunge zur Aufrechterhaltung des Blut-pH gezwungen, auch [CO2] ˙ a zu verdoppeln, und das zu halbieren und entsprechend V solange, bis die Niere ihr Versäumnis nachgeholt und die HCO3–-Konzentration im Blut wieder normalisiert hat. Wenn die Niere anhaltend zu wenig H+ ausscheidet (z. B. bei Nierenversagen), dann kann die Lunge das Auftreten einer Azidose zwar verzögern, aber nicht verhindern.
Die Glutaminase in den periportalen Zellen der Leber liefert dabei NH4+. Die perivenösen Zellen der Leber sind umgekehrt mit Hilfe der Glutaminsynthetase in der Lage, unter Verbrauch von NH4+ Glutamin zu bilden. Bei Alkalose überwiegt in der Leber die Glutaminaseaktivität und der Nettoverbrauch von NH4+. Bei Azidose wird die hepatische Glutaminase gehemmt und die Nettoproduktion von Glutamin überwiegt. Bei Azidose steht daher der Niere mehr Glutamin für die NH4+-Produktion zur Verfügung. Im Gegensatz zur hepatischen Glutaminase wird die renale Glutaminase durch Azidose stimuliert. Das in der Niere gebildete NH4+ wird ausgeschieden und nicht wie in der Leber unter Verbrauch von HCO–3 zur Harnstoffsynthese herangezogen. Das beim Glutaminabbau gebildete HCO–3 bleibt dem Körper somit erhalten. Bei Alkalose wird das NH4+ aus Glutamin unter Verbrauch von HCO3– in Harnstoff eingebaut und mit dem Harnstoff werden nicht nur NH4+, sondern auch HCO–3 eliminiert. ! Der Säure-Basen-Haushalt wird durch Energie- und Elektrolytstoffwechsel, Gastrointestinaltrakt und Mineralisierung des Knochens beeinflusst
Bedeutung des Stoffwechsels. Im Stoffwechsel entstehen durch den Abbau von Substraten täglich etwa 20 mol CO2. Eine gesunde Lunge ist in der Lage, die CO2-Abgabe in hohem Maße zu steigern und eine Zunahme der CO2-Produktion führt in aller Regel zu keiner Zunahme der CO2-Konzentration im arterialisierten Blut. Zusätzlich zu CO2 (bzw. H2CO3) entstehen im Stoffwechsel Säuren, die nicht durch die Lunge eliminiert werden können (fixe Säuren), deren H+ letztlich durch die Niere ausgeschieden werden muss: Der vorwiegende Anteil fixer Säure entsteht beim Abbau schwefelhaltiger Aminosäuren: SH-Gruppen werden zu SO42- und 2 H+ oxidiert. Andere fixe Säuren sind Milchsäure, die bei der anaeroben
133 5.10 · Säure-Basen-Gleichgewicht und Pufferung
. Abb. 5.20. Die Kooperation von Leber und Niere im Säure-Basen-Haushalt. Folge von Leberinsuffizienz und von Niereninsuffizienz (As = Aminosäuren, Gln = Glutamin)
Glykolyse entsteht, sowie Fettsäuren, die aus Triacylglyzeriden freigesetzt werden (. Abb. 5.19). Die Fettsäuren können zu Azetessigsäure (Azetazetat) und ß-Hydroxybuttersäure umgebaut werden, wiederum beim Blut-pH völlig dissoziierte Säuren. Außer SO42- können alle genannten Säuren wieder verstoffwechselt werden, wobei das freigesetzte H+ wieder verschwindet (. Abb. 5.19). Wirkung von Elektrolyten. Renaler und zellulärer HCO–3-
und H+-Transport hängen vom Transport anderer Elektrolyte ab, die damit auch einen Einfluss auf den Säure-BasenHaushalt nehmen: 4 Die Infusion von NaCl führt zur Hemmung der proximal-tubulären Na+-Resorption, die eng mit der proximal-tubulären HCO3–-Resorption gekoppelt ist (7 Kap. 9.2.5). Daher kann Infusion von NaCl zur Bikarbonaturie und somit zur Azidose führen. Umgekehrt ist die Niere bei einem Mangel an NaCl bzw. extrazellulä-
rem Volumen zur gesteigerten proximal-tubulären Na+Resorption gezwungen und ist unfähig, nennenswerte Mengen an HCO–3 auszuscheiden. Zum Beispiel treffen nach Erbrechen von saurem Mageninhalt (Verlust von H+) metabolische Alkalose und Volumenmangel zusammen und die Niere ist nicht imstande, die Alkalose auszugleichen (Volumendepletionsalkalose) 4 Für den Säure-Basen-Haushalt ist K+ noch bedeutsamer als NaCl. Das Zellmembranpotenzial fast aller Zellen wird durch K+-Kanäle aufrechterhalten. Eine Zunahme der extrazellulären K+-Konzentration mindert das chemische Gefälle für K+ und führt daher in vielen Zellen zur Depolarisation (7 Kap. 1.5). Umgekehrt führt eine Abnahme der extrazellulären K+-Konzentration eher zu einer Hyperpolarisation von Zellen. Das Zellmembranpotenzial treibt nun das negativ geladene HCO3– aus der Zelle. So führt im proximalen Tubulus Hyperkaliämie über Depolarisation und herabgesetzten basola-
5
134
Kapitel 5 · Atmung
teralen HCO3–-Ausstrom zu einer zellulären Alkalinisierung, die den Na+/H+-Austauscher an der luminalen Zellmembran und damit die proximal-tubuläre H+-Sekretion hemmt. Folge der herabgesetzten renalen H+-Sekretion ist eine (extrazelluläre) Azidose. Umgekehrt führt Hypokaliämie z. T. über gesteigerte renale H+-Ausscheidung zu (extrazellulärer) Alkalose Knochen. Alkalische Phosphatsalze und Karbonat sind
5
schwer wasserlöslich und werden daher zur Mineralisierung des Knochens eingesetzt. Eine Azidose fördert die Auflösung der Knochenmineralien und eine Alkalose fördert die Mineralisierung der Knochen (. Abb. 5.19). Umgekehrt muss zur Mineralisierung der Knochen stark alkalisches Phosphat bzw. Karbonat gebildet werden, d. h. bei der Mineralisierung des Knochens werden H+ in das Blut abgegeben und bei Auflösung der alkalischen Knochenmineralien H+ verbraucht. Ca2+ fördert die Mineralisierung der Knochen und die Infusion von CaCl2 kann eine Azidose auslösen. Gastrointestinaltrakt. Das im Magen sezernierte H+ wird in
den Belegzellen aus CO2 bzw. H2CO3 gewonnen, wobei HCO–3 übrig bleibt und in das Blut abgegeben wird. Wenn der saure Mageninhalt in das Duodenum gelangt, wird dort die Sekretion HCO3–-reichen Pankreassaftes stimuliert, wodurch das Darmlumen wieder neutralisiert und andererseits das bei der H+-Sekretion im Magen gebildete HCO–3 wieder verbraucht wird (. Abb. 5.19). Bei Erbrechen von saurem Mageninhalt entfällt die Neutralisierung im Duodenum und es entsteht im Körper ein HCO–3-Überschuss, also eine metabolische Alkalose. Umgekehrt können Pankreasfisteln und Durchfälle eine Azidose auslösen.
5.10.4
Störungen des Säure-Basen-Haushaltes
! Störungen des Säure-Basen-Haushaltes werden in respiratorische und nichtrespiratorische Alkalosen und Azidosen eingeteilt
Klassifizierung von Störungen im Säure-Basen-Haushalt.
Störungen des Säure-Basen-Haushaltes können in respiratorische Störungen mit primärer Änderung der CO2-Konzentration und nichtrespiratorische (metabolische) Störungen mit primärer Änderung von HCO–3 (oder H+) eingeteilt werden. . Abb. 5.21 stellt einige graphische Darstellungen der verschiedenen Störungen zusammen.
Respiratorische Azidose. Sie ist das Ergebnis unzureichen-
der Abatmung von CO2 durch die Lunge. Ursache kann alveoläre Hypoventilation oder eingeschränkte Diffusion von CO2 sein (7 Kap. 5.7). Darüber hinaus führt die Hemmung der erythrozytären Karboanhydrase zu einer respiratorischen Azidose, da sie die Bildung von CO2 während der kurzen Kontaktzeit des Blutes mit den Alveolen verhindert und damit die CO2-Abatmung einschränkt. Die respiratorische Azidose kann in begrenztem Umfang durch gesteigerte renale Bildung von HCO–3 und Ausscheidung von H+ kompensiert werden (renale Kompensation). Respiratorische Alkalose. Sie entsteht durch gesteigerte Ab-
atmung von CO2 (Hyperventilation), unter dem Einfluss bestimmter Hormone, Neurotransmittern und exogenen Substanzen (7 Kap. 5.8). Bei Höhenaufenthalt (t3000 m) führt Hypoxie über Hyperventilation zur Alkalose. Die respiratorische Alkalose führt über Stimulation der Glykolyse zu gesteigerter Laktatbildung und damit vermehrtem Anfallen von H+. Die respiratorische Alkalose kann ferner durch gesteigerte renale HCO–3 Ausscheidung kompensiert werden, wenn keine Volumendepletion vorliegt (7 Kap. 5.10.3). Nichtrespiratorische Azidose. Die nichtrespiratorische
bzw. metabolische Azidose ist durch erniedrigte HCO3– Konzentration im Blut charakterisiert. Ursache können HCO–3-Verluste über Nieren oder Darm oder herabgesetzte HCO–3-Bildung in der Niere (bzw. verminderte H+-Ausscheidung) sein. Darüber hinaus kann der Überschuss an H+ Folge von Stoffwechselstörungen sein, die zu gehäufter Bildung von Laktat (z. B. bei Sauerstoffmangel, 7 Kap. 5.7), Fettsäuren, Azetessigsäure und ß-Hydroxybuttersäure (z. B. bei Fasten, Insulinmangel) führen. Darüber hinaus führt Hyperkaliämie zur (extrazellulären) Azidose (7 Kap. 5.10.3). Die nichtrespiratorische Azidose kann durch Hyperventilation (teilweise) kompensiert werden. Nichtrespiratorische Alkalose. Die nichtrespiratorische bzw.
metabolische Alkalose ist durch eine Zunahme der HCO–3Konzentration im Blut charakterisiert. Sie ist Folge von Erbrechen sauren Mageninhaltes, von Hypokaliämie oder von gesteigerter renaler HCO–3-Produktion bei gesteigerter renaler H+-Ausscheidung (z. B. bei Überschuss an Aldosteron, 7 Kap. 10.2). Volumenmangel unterstützt die Entwicklung einer metabolischen Alkalose, da er die bei Alkalose erforderliche Bikarbonaturie verhindert. Eine metabolische Alkalose kann nur sehr bedingt respiratorisch kompensiert wer-
135 5.10 · Säure-Basen-Gleichgewicht und Pufferung
. Abb. 5.21. Verhalten von PCO2, pH und HCO3–-Konzentration bei verschiedenen Störungen des Säure-Basen-Haushaltes und ihren Kompensationen. 1 = nichtrespiratorische Azidose, 2 = respiratorische Kompensation, 3 = nichtrespiratorische Alkalose, 4 = respirato-
rische Kompensation, 5 = respiratorische Azidose, 6 = renale Kompensation, 7 = respiratorische Alkalose, 8 = renale Kompensation. Rot: Azidose, Blau: Alkalose
den, da wegen der erforderlichen O2-Aufnahme die Ventilation nicht beliebig reduziert werden kann.
Auswirkungen einer Azidose. Azidose hemmt die Glykolyse (Hyperglykämie) und führt über zelluläre Abgabe von HCO–3 und Depolarisation zu zellulären K+-Verlusten (Hyperkalämie). Über Verschluss der gap junctions wird bei Azidose die Erregungsfortleitung im Herzen verlangsamt. Da Azidose gleichzeitig die Herzkraft senkt und zu peripherer Vasodilatation führt, droht bei Azidose Blutdruckabfall.
! Störungen des Säure-Basen-Haushaltes beeinträchtigen v. a. den Glukosestoffwechsel, den K+-Haushalt, die Funktion des Herzens und der Gefäße, sowie die Knochenmineralisierung
5
136
Kapitel 5 · Atmung
. Tab. 5.1. Blutparameter bei Alkalosen und Azidosen
5
pH
PCO2
[HCO3–]a
[HCO3–]s
BE
Normalwerte
7,40
40 mmHg
25 mmol/l
25 mmol/l
0 mmol/l
respiratorische Alkalose
n
p
p
-
-
respiratorische Azidose
p
n
n
-
-
nichtrespiratorische Alkalose
n
-
n
n
n
nichtrespiratorische Azidose
p
-
p
p
p
Die bei respiratorischer Azidose stark ausgeprägte Vasodilatation der Gehirngefäße (7 Kap. 4.4) kann zu Drucksteigerung im Gehirn führen. Bei lang anhaltender Azidose droht Demineralisierung des Knochens. Auswirkungen einer Alkalose. Alkalose stimuliert die Gly-
kolyse, hemmt die Glukoneogenese (mit drohender Hypoglykämie), und steigert die zelluläre Aufnahme von K+, sodass die extrazelluläre K+-Konzentration absinkt (Hypokaliämie). Alkalose senkt die freie Konzentration von Ca2+ durch gesteigerte Bindung an Plasmaproteine, HPO42- und (bei metabolischer Alkalose) an HCO–3. Die Kombination von Alkalose und Hypokaliämie begünstigt das Auftreten von Herzrhythmusstörungen. Respiratorische Alkalose führt zusätzlich zu zerebraler Vasokonstriktion und gesteigerter neuromuskulärer Erregbarkeit. Bei der Hyperventilationstetanie kommt es zur zerebralen Vasokonstriktion (7 Kap. 4.4.1) und es werden die spannungsabhängigen Na+-Kanäle (7 Kap. 1.5) durch herabgesetzte extrazelluläre H+- und Ca2+-Bindung an die Außenseite der Kanäle leichter erregt. ! Säure-Basen-Haushalt-Störungen werden durch Ermittlung von pH, CO2 und Basenexzess im Blut diagnostiziert
Diagnostik von Säure-Basen-Störungen. Respiratorische und nichtrespiratorische Säure-Basen-Störungen lassen sich durch Messungen von pH und PCO2 leicht unterscheiden (. Abb. 5.21, . Tabelle 5.1). PCO2 kann entweder direkt gemessen (CO2-Elektrode) oder durch die Astrup-Methode indirekt bestimmt werden (. Abb. 5.22). Bei Kenntnis von pH und PCO2 lässt sich [HCO–3] mit der HenderssonHasselbalch-Gleichung errechnen. Darüber hinaus können die Bikarbonatkonzentration und das Standardbikarbonat graphisch ermittelt werden. Das Standardbikarbonat ist die HCO–3-Konzentration bei einem PCO2 von 40 mmHg. Es ist also bei reinen respiratorischen Störungen konstant. Durch graphische Verfahren können ferner die Pufferbasen im Blut sowie der Basenüberschuss bestimmt wer-
. Abb. 5.22. Astrup-Nomogramm. Graphische Bestimmung von PCO2, HCO3– , Basenüberschuss und Pufferbasen aus pH-Messungen im Blut. Bei der Astrup-Methode wird der aktuelle pH (pHa) und dann der pH nach Equilibration mit zwei verschiedenen PCO2 (in unserem Beispiel mit 25 mmHg und 65 mmHg) gemessen. Die jeweiligen Wertepaare (pH gegen PCO2) werden als Punkte in ein Nomogramm eingetragen (A, B). Auf der Verbindungslinie kann man den PCO2 beim aktuellen pH ablesen (C). Bei 40 mmHg PCO2 lässt sich ferner das sog. Standardbikarbonat ([HCO3–]S) ablesen. Extrapolation der Gerade erlaubt schließlich die Bestimmung von Basenüberschuss (base excess, BE) und Pufferbasen (buffer base, BB). Die beiden Beispiele zeigen eine teilweise respiratorisch kompensierte nichtrespiratorische Azidose (rot, Werte ca.: pHa = 7,3, PCO2 = 28 mmHg, [HCO3–]S = 15mmol/l, BE = 12 mmol/l, BB = 30 mmol/l) sowie eine nichtkompensierte respiratorische Azidose (blau: pHa = 7,3, PCO2 = 52 mmHg, [HCO3– ] = 27 mmol/l, BE = 2 mmol/ l, BB = 46 mmol/l)
137 5.10 · Säure-Basen-Gleichgewicht und Pufferung
den (. Abb. 5.22). Bei vermehrter Abatmung von CO2 ändert sich die Konzentration an Pufferbasen praktisch nicht, da mit jedem HCO–3, das mit H+ zu H2CO2 reagiert und dann als CO2 abgegeben wird, ein H+ durch die Proteine abgegeben wird und damit eine Pufferbase entsteht. Bei reinen respiratorischen Störungen bleibt die Konzentration an Pufferbasen somit konstant. Bei nichtrespirato-
rischer Alkalose (z. B. bei Erbrechen) entsteht hingegen ein Basenüberschuss (base excess, BE), bei nichtrespiratorischer Azidose (z. B. bei renalen HCO3–-Verlusten) ein Basendefizit (negativer Basenüberschuss). Das Ausmaß von Basenüberschuss oder Basendefizit erlaubt eine erste Schätzung der für einen therapeutischen Ausgleich erforderlichen HCO–3-Mengen.
In Kürze
Säure-Basen-Gleichgewicht und Pufferung Pufferung und H+ Ionen 4 Henderson-Hasselbalch-Gleichung: pH = pK + lg([A-]/[AH]) 4 Pufferkapazität (KP): KP = ΔH+/ΔpH 4 Puffer im Harn normalerweise ≈100 mmol H+/Tag, ≈60% davon durch NH3/NH4+(pK 9, nicht titrierbare Säure), ≈30% als HPO42-/H2PO4- (pK 6,8) und <10% als Harnsäure (pK 5,8) Pufferung und CO2-Austausch 4 Puffer im Blut: Pufferbasen des Blutes (≈48 mmol/l) zur Hälfte dissoziierte (negativ geladene) Proteine, Pufferkapazität ≈15 mmol/l/pH 4 Wichtigste Puffersystem des Blutes H2CO3/HCO3–-System (pK = 3,3), offenes Puffersystem, in dem beide Komponenten (H2CO3 und HCO3– ) schnell nachgebildet oder entfernt werden können Säure-Basen-Haushalt 4 Physiologische Bedeutung des pH: pH n o Glykolyse n, Glukoneogenese p, Zitrat n, Pentosephosphatzyklus p, DNA-Synthese n, Zellproliferation n, K+-Kanäle n, Ca2+-Kanäle n, Herzkraft n, Vaskonstriktion n, gap junctions n, O2-Affinität Hämoglobin n, Ca2+-Bindung an Plasmaproteine, HCO3– , HPO42- n 4 Regulation des Säure-Basen-Haushaltes: H+ + HCO3– l CO2 + H2O 4 Lunge atmet CO2 ab 4 Niere kann HCO3– ausscheiden oder bilden (durch Glutaminabbau und NH4+-Ausscheidung) 4 Leber liefert in Abhängigkeit vom Säure-Basen-Haushalt Glutamin (zur renalen NH4+-Produktion und Ausscheidung) oder Harnstoff (Alkalose stimuliert hepatische und hemmt renale Glutaminase) 4 Stoffwechsel: Produktion von ≈20 mol CO2 und fixer Säuren (SO42-/ 2 H+, Milchsäure, Fettsäuren, Azetessigsäure, β-Hydroxybuttersäure
4 Elektrolyte: NaCl p o Volumendepletionsalkalose, Hyperkaliämie o Azidose, Hypokaliämie o Alkalose 4 Knochen: Entmineralisierung o Alkalose; Ca2+-Zufuhr o Mineralisierung o Azidose 4 Gastrointestinaltrakt: Erbrechen o Alkalose, Pankreasfisteln und Durchfälle o Azidose Störungen des Säure-Basen-Haushaltes 4 Respiratorische Azidose: Abatmung von CO2 p, Kompensation renal 4 Respiratorische Alkalose: Abatmung von CO2 n, Kompensation renal und metabolisch 4 Nichtrespiratorische Azidose: Renale oder intestinale HCO3– -Verluste, renale HCO3– -Bildung p, Hyperkaliämie, Überschuss an H+ durch Bildung von Laktat, Fettsäuren, Azetessigsäure und ß-Hydroxybuttersäure. Kompensation: Hyperventilation 4 Nichtrespiratorische Alkalose: Erbrechen sauren Mageninhaltes, renale HCO3– -Produktion n (Aldosteron, Volumenmangel), Hypokaliämie 4 Auswirkungen Azidose: Glykolyse p (Hyperglykämie), zelluläre K+-Verluste (Hyperkaliämie), gap junctions p (Erregungsfortleitung Herz), Herzkraft p, Vasodilatation (Blutdruckabfall), Demineralisierung Knochen; Respiratorische Azidose o Vasodilatation Gehirngefäße o Drucksteigerung im Gehirn 4 Auswirkungen Alkalose: Glykolyse n, Glukoneogenese p (Hypoglykämie), Hypokaliämie, Bindung von Ca2+ an Plasmaproteine, HCO3– und HPO42-, Herzrhythmusstörungen. Respiratorische Alkalose o zerebrale Vasokonstriktion o gesteigerte neuromuskuläre Erregbarkeit 4 Diagnostik von Säure-Basen-Störungen: Messung von pH, PCO2, Errechnung von HCO3– -Konzentration und Standardbikarbonat, graphisch Ermittlung von Pufferbasen (positiver und negativer Basenüberschuss)
5
6
6 Arbeits- und Leistungsphysiologie 6.1
Allgemeine Grundlagen – 140
6.1.1 Muskelarbeit – 140 6.1.2 Kurzzeitbelastung und Ausdauerleistung
– 141
6.2
Organbeteiligung
6.2.1 6.2.2 6.2.3 6.2.4 6.2.5
Blut – 142 Lunge – 143 Kreislaufsystem – 143 Skelettmuskel – 144 ZNS – 145
6.3
Erfassung von Leistung und Leistungsbeurteilung – 146
6.3.1 Spiroergometrie – 146 6.3.2 Training – 146 6.3.3 Ermüdung und Erholung
– 142
– 147
140
Kapitel 6 · Arbeits- und Leistungsphysiologie
> > Einleitung
6
Äußere oder innere Antriebe stellen an den Körper Anforderungen, die als Belastungen bezeichnet werden. Diesen Anforderungen versucht er durch Erbringen adäquater Leistungen zu entsprechen. Die jeweilige Beanspruchung des Körpers beim Erbringen einer Leistung hängt von dem Verhältnis zwischen Leistung und Leistungsfähigkeit ab. So wird der Körper eines Spitzensportlers im Gewichtheben durch das Tragen eines 30 kg schweren Koffers weniger beansprucht als der Körper einer zierlichen Frau. Die Leistungsfähigkeit ist von genetischen Faktoren (Begabung, Geschlecht), Trainings- und Ernährungszustand und einer Reihe äußerer Faktoren (Außentemperatur, Luftfeuchtigkeit etc.) abhängig. Die geforderten bzw. erbrachten Leistungen können intellektueller oder emotionaler Natur sein. Die Arbeits-, Leistungs- bzw. Sportphysiologie beschäftigt sich jedoch in erster Linie mit den Mechanismen, welche zum Erbringen von Muskelarbeit beitragen.
6.1
Allgemeine Grundlagen
6.1.1
Muskelarbeit
! Physikalische Arbeit wird bei dynamischer, nicht aber bei statischer Muskeltätigkeit geleistet. Die Energieversorgung des Muskels wird kurzfristig durch Kreatinphosphat, mittelfristig durch anaerobe Glykolyse und langfristig durch oxidative Verbrennung von Glukose und Fettsäuren gedeckt
Arbeit und Leistung. Die physikalische Definition von Arbeit ist Kraft mal Weg, Leistung ist Arbeit pro Zeiteinheit. Außen messbare physikalische Arbeit wird nur bei dynamischer Arbeit geleistet, nicht aber bei Haltearbeit (isometrische Muskelkontraktion, 7 Kap. 3.2.1). Dennoch wird auch bei isometrischer Kontraktion Energie verbraucht. Bei der isotonen Muskelkontraktion (7 Kap. 3.2.1) verkürzt sich der Muskel gegen eine gleich bleibende Kraft (Last). Je größer die Last ist, desto geringer ist die Verkürzungsgeschwindigkeit (. Abb. 3.15). Der Wirkungsgrad (geleistete Arbeit/Energieverbrauch) ist bei Haltearbeit null, bei dynamischer Arbeit bis zu 25%. Die restliche verbrauchte Energie wird in Wärme umgewandelt. Dabei kann die Körpertemperatur ansteigen (Arbeitshyperthermie).
Energieversorgung. Bei der Muskelkontraktion wird ATP verbraucht (. Abb. 6.1). Anhaltende Muskelarbeit ist ohne Energiezufuhr nicht möglich. Die ATP-Reserven eines
. Abb. 6.1. Substratverbrauch bei körperlicher Arbeit. FS = Fettsäuren, Glc = Glukose, KK = Ketonkörper, Lct = Laktat
Muskels reichen bei fehlender Energiezufuhr nur für etwa zwei Sekunden. Das ADP kann unter Verbrauch von Kreatinphosphat wieder zu ATP aufgebaut werden, wobei der Bestand an Kreatinphosphat normalerweise etwa 20 Sekunden reicht. Weitere Muskeltätigkeit ist nur unter Energiegewinnung möglich. Limitierender Faktor kann dabei das O2-Angebot werden. An Myoglobin gebundenes O2 reicht wenige Sekunden und stellt daher keine nennenswerte Reserve dar. Bei mangelndem O2-Angebot muss der Muskel seine Energie aus anaerober Glykolyse beziehen. Insbesondere die mitochondrienarmen Typ-IIb-Muskelfasern nutzen zur Energiegewinnung die anaerobe Glykolyse. Die Glukose kann der Muskel z. T. aus eigenen Glykogenvorräten beziehen. Der Energiegewinn durch anaerobe Glykolyse ist mit 2 ATP pro Glukose gering, im Vergleich zu den 36 ATP, die beim oxidativen Abbau von Glukose gewonnen werden. Zudem werden bei anaerober Glykolyse H+ und Laktat gebildet. Folge ist eine Azidose, die Muskelkontraktion und Glykolyse hemmt. Die Energiegewinnung durch anaerobe Glykolyse kann daher den Energiebedarf nur für eine weitere halbe Minute decken. Langfristige intensive Muskelarbeit erfordert die oxidative Verbrennung von Glukose und Fettsäuren (7 Kap. 6.1.2). Voraussetzung ist u. a. die hinreichende Versorgung mit O2, also die adäquate Durchblutung des Muskels
141 6.1 · Kurzzeitbelastung und Ausdauerleistung
! Bewegungsmangel begünstigt Arteriosklerose und Hyperglykämie
Arteriosklerose. Regelmäßige körperliche Ausdaueraktivi-
tät senkt die LDL (low densitiy Lipoproteine) und steigert die HDL (high density Lipoproteine), verringert somit die periphere Cholesterinablagerung und hemmt daher die Entwicklung von Arteriosklerose. Hyperglykämie. Ferner fördert Muskeltätigkeit die muskuläre Glukoseaufnahme und senkt somit die Plasmaglukosekonzentration. Bewegungsmangel fördert umgekehrt die Entwicklung von Arteriosklerose und begünstigt die Entwicklung von Hyperglykämie bei Patienten mit Diabetes mellitus.
6.1.2
Kurzzeitbelastung und Ausdauerleistung
! Der Skelettmuskel verbraucht Fettsäuren und Glukose. Bei unzureichender O2-Zufuhr entsteht ein O2-Defizit mit gesteigerter Laktatbildung
Substratversorgung des Muskels. Der Muskel deckt seine Energie v. a. aus der Verbrennung von Fettsäuren und Glukose. Fettsäuren werden durch gesteigerte Lipolyse und Abbau muskulärer Triacylglycerine, Glukose durch Glykogenabbau in der Leber und im Muskel bereitgestellt. Lipolyse und Glykogenabbau werden u. a. über Aktivierung des Sympathikus stimuliert. Die Lipolyse wird ferner durch Somatotropin gesteigert, das bei Absinken der Plasmaglukosekonzentration ausgeschüttet wird. Darüber hinaus stellt die Leber Glukose über Glukoneogenese (u. a. aus Laktat) bereit. Steigerung der O2-Aufnahme. Energiegewinnung aus oxidativer Verbrennung erfordert gesteigerte O2-Aufnahme bei Muskelarbeit. Sie wird teilweise durch stärkere Ausschöpfung des angebotenen O2 im Gewebe erreicht, der die arteriovenöse O2-Differenz steigert. Ferner nimmt die O2Aufnahme mit dem Herzminutenvolumen zu, die maximale O2-Aufnahme ist daher eine Funktion von Herzfrequenz und Schlagvolumen. O2-Defizit und Anpassung des Stoffwechsels. Die O2-Aufnahme hält auch bei mäßiger Muskelarbeit zunächst nicht mit dem Energieverbrauch Schritt und der Körper geht damit ein O2-Defizit ein. Nach etwa 2–3 Minuten erreicht die
O2-Aufnahme über die Lunge den Verbrauch und es stellt sich ein Gleichgewicht (steady state) ein. Nach Absetzen der Muskelarbeit hält die Atmungssteigerung in Abhängigkeit von der geleisteten Arbeit noch längere Zeit an, um die O2-Schuld abzutragen. Der zusätzlich aufgenommene O2 dient unter anderem zur Auffüllung der Kreatinphosphatspeicher, der Wiederherstellung der Ionengradienten über die Zellmembran und vor allem der Verbrennung von Laktat. Bei schwerer Arbeit größerer Muskelgruppen muss der Stoffwechsel das in der Muskulatur gebildete Laktat entsorgen und die Versorgung der Muskulatur mit Substraten sicherstellen. Laktat wird vom Herzen und den mitochondrienreichen Typ-I-Muskelfasern verbrannt sowie in der Leber wieder zu Glukose aufgebaut. Bei mäßig intensiver Arbeit stellt sich ein Gleichgewicht zwischen Laktatproduktion im Muskel und Laktatverbrauch in Leber und Herz ein. Bei Leistungen, die deutlich unter der Leistungsgrenze liegen und daher über längere Zeit erbracht werden können, erreicht die Laktatkonzentration ein steady state. Die maximale Laktatkonzentration, die von einem Individuum im steady state erreicht werden kann, wird als individuelle anaerobe Schwelle bezeichnet. Unterhalb dieser Schwelle liegt der aerobe/anaerobe Übergangsbereich. ! Wird die Dauerleistungsgrenze überschritten, steigt der Laktatspiegel ständig an. Die körperliche Erholung ist zu Beginn einer Belastungspause am stärksten. Testosteron steigert Muskelmasse und muskuläre Leistungsfähigkeit
Dauerleistungsgrenzen. Die Dauerleistungsgrenze eines Individuums entspricht seiner individuellen anaeroben Schwelle. Bis zur Dauerleistungsgrenze kann Arbeit unter entsprechender Zufuhr von Kohlenhydraten theoretisch mehrere Stunden geleistet werden. Obgleich die Fähigkeit eines Individuums, Laktatwerte über einen längeren Zeitraum im Gleichgewicht zu halten, sehr stark unterschiedlich ausgeprägt ist, spricht man verallgemeinernd bei Laktatplasmakonzentrationen zwischen 2 und 4 mmol/l vom aerobanaeroben Übergangsbereich und bei Zunahme über 4 mmol/l von einem Überschreiten der anaerobe Schwelle. Die Dauerleistungsgrenze liegt bei dynamischer Arbeit höher als bei statischer Arbeit und variiert somit in Abhängigkeit von Sportart, Individuum und Trainingszustand. Der Arbeitsumsatz ist bei Sportarten mit Beteiligung großer Muskelgruppen (z. B. Rudern, Fahrradfahren) naturgemäß größer als der Umsatz bei Sportarten, die den Einsatz kleinerer Muskelgruppen erfordern.
6
142
Kapitel 6 · Arbeits- und Leistungsphysiologie
Höchstleistungsgrenze. Leistungen über der Dauerleis-
tungsgrenze können nur zeitlich begrenzt erbracht werden. Je höher die Leistung, desto kürzer ist die Zeitspanne, in der die Leistung erbracht werden kann. Die Laktatkonzentration steigt dabei kontinuierlich weit über 2 mmol/l an. Erhohlungsphasen. Insbesondere bei Arbeiten oberhalb der Dauerleistungsgrenzen sind Erholungsphasen erforderlich. Dabei ist die Erholung zu Beginn der Pause am
stärksten, mehrere kurze Pausen sind daher günstiger als wenige lange Pausen. Geschlechtsabhängige Leistungsfähigkeit. Testosteron
fördert die Zunahme der Muskelmasse und die Mitochondriendichte in der Muskulatur. Ferner ist bei Männern der Hämatokrit und die maximale O2-Aufnahme/Körpergewicht größer als bei Frauen. Daher ist die muskuläre Leistungsfähigkeit bei Männern größer als bei Frauen.
In Kürze
Allgemeine Grundlagen Muskelarbeit 4 Definitionen: Arbeit = Kraft mal Weg; Leistung = Arbeit pro Zeiteinheit; Wirkungsgrad = geleistete Arbeit/Energieverbrauch (bei Haltearbeit null, bei dynamischer Arbeit bis zu 25%) 4 Energieversorgung: ATP reicht ≈2 Sekunden, Kreatinphosphat ≈20 Sekunden: O2-Myoglobin wenige Sekunden 4 Anaerobe Glykolyse: 2 ATP/Glukose (36 ATP/Glukose oxidativ) o Bildung Laktat o Azidose o Muskelkontraktion p, Glykolyse p 4 Langfristige intensive Muskelarbeit erfordert oxidative Verbrennung von Glukose und Fettsäuren 4 Bewegungsmangel begünstigt Arteriosklerose und Hyperglykämie
6
Kurzzeitbelastung und Ausdauerleistung 4 Substratversorgung: Fettsäuren aus Lipolyse + Abbau muskulärer Triacylglycerine; Glukose aus Glykogenabbau Leber/Muskel, Glukoneogenese Leber; Stimulation durch Sympathikus/Somatotropin 4 Steigerung der O2-Aufnahme: Durchblutung n + arteriovenöse O2-Differenz n
6.2
Organbeteiligung
6.2.1
Blut
! Der O2-Verbrauch und die Bildung von CO2 und Laktat im arbeitenden Muskel führen zu entsprechenden Konzentrationsänderungen im Blut
Blutgase, Laktat. Der gesteigerte O2-Verbrauch bei schwe-
rer körperlicher Arbeit kann zu einer mäßigen Abnahme
4 O2-Defizit: O2-Aufnahme < Energieverbrauch; Nach 2–3 min Gleichgewicht (steady state); Nach Muskelarbeit weiterhin gesteigerte Atmung zur Abtragung von O2-Schuld 4 Mäßig intensive Arbeit o Laktatproduktion = Laktatverbrauch (aerobe Schwelle) 4 Dauerleistungsgrenze: Herzfrequenz ≤ 130/Minute, Atemzeitvolumen ≤ 30 Liter/Minute, Laktatkonzentration < 2 mmol/l, O2-Aufnahme < halbmaximal 4 Aerober-anaerober Übergangsbereich: Laktatplasmakonzentrationen 2–4 mmol/l 4 Anaerobe Schwelle: Laktatplasmakonzentrationen = 4 mmol/l 4 Individuelle anaerobe Schwelle: Laktatplasmakonzentrationen im steady state 4 Höchstleistungsgrenze: Je höher die Leistung, desto kürzer ist die Zeitspanne 4 Erhohlungsphasen: Erholung zu Beginn der Pause am stärksten o mehrere kurze Pausen günstig 4 Geschlechtsabhängige Leistungsfähigkeit:Testosteron o Muskelmasse n, Mitochondriendichte n, Hämatokrit n, maximale O2-Aufnahme/Körpergewicht n
des O2-Partialdrucks im Blut führen. Die arteriovenöse O2Differenz steigt steil an. Die Zunahme der Laktatkonzentration führt zu einer metabolischen Azidose. Die teilweise respiratorische Kompensation (7 Kap. 5.10.4) senkt den CO2-Partialdruck im Blut. Glukose. Die Plasmaglukosekonzentration fällt erst bei erschöpfender Arbeit ab.
143 6.2 · Organbeteiligung
Kalium, Natrium. Die Depolarisation von Muskelzellen
führt zu muskulären K+-Verlusten, die zur Hyperkaliämie führen kann. Bei starkem Schwitzen von hypotonem Schweiß kann die Na+-Konzentration ansteigen.
druck erzeugt. Damit wird die Ventilation unterbrochen und der Rückstrom von Blut zum Herzen behindert.
6.2.3
Kreislaufsystem
Blutzellen. Wasser- und Kochsalzverluste über Schwitzen
mindern v. a. das Plasmavolumen und steigern damit den Hämatokrit. Die Zahl an zirkulierenden Leukozyten und Thrombozyten steigt an. Hormone. Unter schwerer Belastung steigen die Plasmakonzentrationen an Adrenalin und Kortisol an. Die Insulinkonzentration sinkt normalerweise geringfügig ab. Wasser- und Elektrolytersatz. Insbesondere bei schwerer
Arbeit unter hohen Temperaturen kann der Verlust an Wasser und Elektrolyten lebensbedrohliche Ausmaße erreichen. Dabei ist die Zufuhr von Wasser und Elektrolyten (v. a. Na+) erforderlich (nicht aber bei geringer Belastung unter günstigen klimatischen Bedingungen).
6.2.2
Lunge
! Die Erbringung einer anhaltenden Leistung ist ohne eine gegenüber dem Ruhezustand gesteigerte O2-Aufnahme und CO2-Abgabe durch die Atmung nicht möglich
Ventilationssteigerung. Bei schwerer Arbeit nehmen Atemzugvolumen und Atemfrequenz zu, die Ventilation kann über 100 Liter/Minute erreichen, die O2-Aufnahme (VO2) über 4 Liter. Die Ventilation (VE) kann stärker ansteigen als die VO2, es steigt also das Atemäquivalent (VE/VO2). Die Plasmakonzentrationen an O2 und CO2 sinken geringfügig. Da das Blut nach der Lungenpassage ohnehin mit O2 gesättigt ist, wird die gesteigerte O2-Aufnahme bei Arbeit durch Zunahme des Herzzeitvolumens und der arteriovenösen O2-Differenz, nicht durch Steigerung der Ventilation erzielt. Die Ventilationssteigerung dient in erster Linie der Abatmung von CO2, die der Entwicklung einer Azidose entgegenwirkt. Kurz vor der Erschöpfung nimmt die Atemfrequenz aufgrund massiv gesteigerten Atemantriebes steil zu. Psychogene Hyperventilation. Bereits vor Einsetzen der
Arbeit nimmt die Ventilation zu. Bauchpresse bei Haltearbeit. Bei Haltearbeit wird häufig die Stimmritze geschlossen und ein intrathorakaler Über-
! Vasodilatation in der arbeitenden Muskulatur dient der Energieversorgung und dem Wärmeabtransport. Steigerung des Herzzeitvolumens verhindert einen Blutdruckabfall
Vasodilatation in der arbeitenden Skelettmuskulatur. Die zentralen Neurone, welche die Muskelarbeit auslösen, aktivieren gleichzeitig die kreislaufregulierenden Neurone und damit den Sympathikus. Daher kommt es bereits vor der Muskelarbeit über Aktivierung dilatierender sympathischer (ß2-Rezeptoren) und cholinerger Fasern zu gesteigerter Muskeldurchblutung. Die Muskeldurchblutung wird nach Einsetzen der Muskelarbeit durch lokale Faktoren, wie H+, K+, Metabolite und Adenosin erzielt (7 Kap. 4.4). Durch die gesteigerte Muskeldurchblutung wird nicht nur der adäquate Antransport von O2 und Substraten, sondern auch der Abtransport von Laktat, CO2 und Wärme gewährleistet. Kreislaufanpassung. Rückmeldungen aus freien Nerven-
endigungen in den arbeitenden Muskeln (Ergorezeptoren) stimulieren das sympathische Nervensystem. Trotz der begleitenden Vasodilatation in der arbeitenden Muskulatur (7 Kap. 20.1) und der damit verbundenen erheblichen Abnahme des peripheren Widerstandes bei schwerer Arbeit großer Muskelgruppen kommt es selten zu einem Blutdruckabfall, da die Aktivierung des Sympathikus einerseits Herzfrequenz und Schlagvolumen steigert und andererseits eine Vasokonstriktion im Splanchnikusgebiet (MagenDarm-Trakt), in der Niere und in der nichtarbeitenden Muskulatur auslöst. Da die Muskelarbeit Wärme erzeugt, die über die Haut abgegeben werden muß, kann die Hautdurchblutung in aller Regel nicht gedrosselt werden. Die Frequenz kann bei kurzfristigen Leistungen normalerweise bis zu 200/min, das Schlagvolumen um bis zu 100 % gesteigert werden. Das Herzminutenvolumen kann demnach bei Ausdauerathleten auf über 30 Liter/Minute, bei Weltklasseathleten auf über 40 Liter/Minute ansteigen. Bei einer Leistung, die über einen längeren Zeitraum (z. B. Arbeitsschicht von 8 Stunden) erbracht werden kann, erreicht die Herzfrequenz einen neuen steady-state-Wert, der in der Regel unter 130/Minute bleibt (. Abb. 6.2). Bei
6
144
Kapitel 6 · Arbeits- und Leistungsphysiologie
Schlagvolumens des hypertrophierten Herzens genügt eine geringe Herzfrequenz zur Erzeugung eines normalen Herzminutenvolumens. Folge ist eine Sportlerbradykardie in Ruhe.
6.2.4
Skelettmuskel
! Die Muskulatur ist das größte Organ des Körpers. Die Kraftentwicklung von Skelettmuskeln ist von ihrer Faserzusammensetzung abhängig. Bei der Kontraktion entsteht Wärme. Muskeltätigkeit erfordert gesteigerte Durchblutung
Muskelmasse. Die Skelettmuskulatur ist mit mehr als ei-
6
nem Drittel des Körpergewichtes das bei weitem größte Organ des Menschen. Der Anteil ist bei Frauen geringer als bei Männern (7 Kap. 6.1.1). Muskeltätigkeit fördert die Hypertrophie der beanspruchten Muskeln. Sie wird durch Somatotropin und Testosteron unterstützt. Bewegungsmangel führt zur Hypotrophie der Muskulatur. Kraftentwicklung. Je nach Tätigkeit müssen die Muskeln
. Abb. 6.2. Herzfrequenz (oben) und O2-Verbrauch bei nichterschöpfender (links) und erschöpfender (rechts) körperlicher Arbeit. Zu Beginn der Arbeit (und bei erschöpfender Arbeit während der gesamten Arbeit) wird mehr O2 verbraucht als aufgenommen wird (hellrote Fläche). Die Schuld wird nach geleisteter Arbeit wieder durch Hyperventilation aufgenommen (blaue Fläche)
einer erschöpfenden Leistung wird kein steady state erreicht, sondern die Pulsfrequenz steigt kontinuierlich an, bis die Arbeit aus Erschöpfung abgebrochen wird. Blutdruckänderungen. Wegen der Zunahme von Schlagvolumen und Herzminutenvolumen steigt der systolische Blutdruck bei Arbeit trotz Abnahme des peripheren Widerstandes. Bei starker Beanspruchung einer kleinen Muskelgruppe sinkt der periphere Widerstand kaum ab und der Blutdruckanstieg ist entsprechend ausgeprägter. Sportlerherz. Training in Sportarten, in welchen ein großes
Herzminutenvolumen erforderlich ist, steigert die Herzgröße und damit das Schlagvolumen. Wegen des großen
schnelle kurzfristige oder langanhaltende Kontraktionen durchführen. Die schnellen, weißen Fasern vom Typ II (oder F = fast) sind für die Schnellkraft besonders geeignet, die langsamen, tonischen, roten Fasern vom Typ I (oder S = slow) für anhaltende Haltekraft. Die intermediären Muskelfasern sind für Ausdauerleistungen geeignet. Die maximale Kraftentwicklung ist bei isometrischen Kontraktionen größer als bei isotonen Kontraktionen (7 Kap. 3.2.1, 7 Kap. 13.1.1). Wärmeproduktion. Nur ein kleiner Teil (ca. 25%) der Mus-
kelarbeit wird in mechanische Arbeit überführt und der überwiegende Teil wird in Wärme umgewandelt. Man unterscheidet dabei Aktivierungswärme, Erschlaffungswärme und Erholungswärme (7 Kap. 13.1.1). Muskeldurchblutung. Die Muskeldurchblutung wird vor
und während der Arbeit durch sympathische Innervation und lokale Faktoren gesteigert (7 Kap. 6.2.3). Während einer Muskelkontraktion werden die Gefäße im Muskel komprimiert und die Durchblutung eingeschränkt. Eine statische Muskelarbeit ist daher schwerer zu erbringen als eine dynamische Muskelarbeit, bei der ein Wechsel von Kontraktion und Erschlaffung die Durchblutung fördert.
145 6.2 · Organbeteiligung
6.2.5
ZNS
! Das ZNS gewährleistet die Präzision von Bewegungen und bereitet sie vor. Es limitiert die Leistungsbereitschaft
! Bei mentaler und emotionaler Arbeit werden die gleichen vegetativen Begleitreaktionen ausgelöst wie bei Muskelarbeit
Mentale Arbeit. Bei mentaler Arbeit (Lösung intellektueller Motorische Steuerung. Der Erfolg von Muskeltätigkeit
ist meist nicht nur eine Frage der Kraftentwicklung, sondern auch der Präzision von Bewegungen. Sie erfordert eine zielgenaue Steuerung durch das zentrale Nervensystem. Motorisches Lernen ist dabei in erster Linie eine Leistung der Kleinhirnhemisphären (7 Kap. 15.7).
Aufgaben, Fahrer, Piloten, etc.) kommt es zur Zunahme des Muskeltonus und wie bei Muskelarbeit zu vegetativer Anpassung, wie Hyperventilation, Zunahme von Herzfrequenz, Blutdruck und Hautdurchblutung, sowie Schweißausbruch. Die Gehirndurchblutung ist jedoch insgesamt nur geringfügig gesteigert. Emotionale Arbeit. Psychische Belastungen, wie Angst oder
Vorstartzustand. Bereits vor Einsetzen einer motorischen
Leistung, tritt ein Bereitschaftspotenzial über weiten Teilen der Großhirnrinde auf (7 Kap. 15.1.1). Gleichzeitig wird der Sympathikus aktiviert, Herzfrequenz und Blutdruck steigen und die Gefäße der erwartungsgemäß erforderlichen Muskeln werden dilatiert. Leistungsbereitschaft. Der Mensch ist willentlich nicht in
der Lage, seine maximale Leistungsfähigkeit auszuschöpfen, sondern es bleibt ein autonom geschützter Bereich. Die Leistungsbereitschaft ist einer Tagesrhythmik unterworfen (7 Kap. 6.3.3).
Erregung führen ebenfalls zu vegetativen Begleiterscheinungen, wie Hyperventilation und Zunahme der Herzfrequenz. Notfallreaktion. Eine massive Aktivierung des Sympathikus und eine Freisetzung von Antidiuretischem Hormon, ACTH und Kortisol tritt beim »Kampf ums Überleben« auf. In der Folge werden die sympathikusabhängigen (7 Kap. 14.3) ADH- (7 Kap. 10.2) und Kortisolwirkungen (7 Kap. 10.3) ausgelöst, wie massive Steigerung von Herzfrequenz und Herzminutenvolumen, periphere Vasokonstriktion, Schweißausbruch, Pupillenerweiterung, Antidiurese, Glykogenolyse, Lipolyse und Hemmung der Immunabwehr.
In Kürze
Organbeteiligung Blut 4 Blutgase, Laktat: O2- Partialdruck p; Laktatkonzentration n o Azidose o CO2-Partialdruck p 4 Glukose: Erst bei erschöpfender Arbeit Hypoglykämie 4 Kalium, Natrium: Muskelarbeit o Hyperkaliämie; Schwitzen o Na+-Konzentration n 4 Blutzellen: Hämatokrit n, Leukozyten n, Thrombozyten n Lunge 4 Ventilation: Atemzugvolumen n, Atemfrequenz n o Ventilation > 100 Liter/Minute, O2-Aufnahme > 4 Liter/Minute. Erschöpfung o Atemfrequenz nn; Psychogene Hyperventilation 4 Bauchpresse bei Haltearbeit o Unterbrechung Ventilation, Rückstrom zum Herzen p 6
Kreislaufsystem. 4 Vasodilatation: Sympathische (ß2-Rezeptoren) und cholinerge Fasern, H+, K+, Metabolite und Adenosin o Muskeldurchblutung n o Versorgung mit O2, Substraten, Abtransport Laktat, CO2, Wärme 4 Kreislaufanpassung: Aktivierung Sympathikus o Herzfrequenz (bis zu 200/min) n, Schlagvolumen (bis zu 100 %) n, Herzminutenvolumen (bis zu 40 Liter/ Minute) n; Vasokonstriktion Splanchnikusgebiet, Niere und nichtarbeitende Muskulatur o trotz Muskeldurchblutung n systolischer Blutdruck n 4 steady-state. Herzfrequenz < 130/Minute 4 Sportlerherz: Herzgröße n o Schlagvolumen n o Sportlerbradykardie in Ruhe Skelettmuskel 4 Muskelmasse M>W; ѿ Körpergewicht; Muskeltätigkeit o Hypertrophie (Somatotropin/Testosteron)
6
146
Kapitel 6 · Arbeits- und Leistungsphysiologie
4 Mukelfasertypen: Schnell, weiß, Typ II (F); langsam, tonisch, rot, Typ I (S) 4 Wärmeproduktion: Energie überwiegend in Wärme: Aktivierungs-, Erschlaffungs-, Erholungswärme 4 Muskeldurchblutung: Bei statischer Muskelarbeit schlechter als bei dynamischer Muskelarbeit ZNS, Hormone 4 Motorische Steuerung: Motorisches Lernen Leistung von Kleinhirnhemisphären 4 Vorstartzustand: Bereitschaftspotenzial, Sympathikusaktivierung
6 6.3
Erfassung von Leistung und Leistungsbeurteilung
6.3.1
Spiroergometrie
4 Leistungsbereitschaft: Biphasische Tagesrhythmik; Autonom geschützter Bereich nur im Todeskampf oder unter Doping 4 Mentale, emotionale Arbeit o Muskeltonus n, Ventilation n, Herzfrequenz n, Blutdruck n,Hautdurchblutung n, Schweißausbruch n 4 Notfallreaktion: Sympathikus nn, ADH n, ACTH n, Kortisol n, Insulin p o Herzfrequenz n, Herzminutenvolumen n, Vasokonstriktion, Schweißausbruch, Pupillenerweiterung, Antidiurese, Glykogenolyse n, Lipolyse n, Immunabwehr p
200/Minute die maximale Leistungsfähigkeit erreicht ist, wird in einer Grafik, in der die submaximalen Leistungen gegen die jeweiligen Herzfrequenzen aufgetragen werden, durch lineare Extrapolation auf 200/Minute die maximale Leistungsfähigkeit ermittelt.
! Messgrößen für die Leistungsfähigkeit sind neben der Ermittlung maximaler Leistungen die Kreislaufparameter
6.3.2
Training
Leistungstests. Die Leistungsfähigkeit eines Probanden
kann im Stufentest, Laufband, Fahrradergometer etc. ermittelt werden. Dabei können u. a. Herzfrequenz, Atemzeitvolumen, O2-Aufnahme, oder Laktatkonzentration bestimmt werden. Die maximale O2-Aufnahme ist als Maß für die Fähigkeit, Ausdauerleistungen zu erbringen, umstritten: Ein anderes Maß ist die maximale Leistung, bei der gerade noch ein Laktat steady state auftritt (anaerobe Schwelle) und die Zeitdauer, die das Schwellentempo durchgehalten wird (7 Kap. 6.1.2). Mittelzeittests von etwa drei Minuten prüfen die Fähigkeit, Muskelarbeit unter Bildung von Laktat zu leisten (glykolytisches System). Bei Belastungen von wenigen Sekunden (Kurzzeittests) werden Leistungen erbracht, die von der bereitgestellten Menge an ATP und Kreatinphosphat abhängen. Leistungstests bei Patienten. Bei Patienten ist die Ermittlung der Leistungsgrenze mit erheblichen Gefahren verbunden. Um ihre maximale Leistung zu ermitteln, können Patienten mehreren submaximalen Belastungen ausgesetzt und ihre Herzfrequenz jeweils gemessen werden. Nachdem eine etwa lineare Korrelation zwischen Herzfrequenz und Belastung besteht und bei einer Herzfrequenz von etwa
! Durch Wiederholung bestimmter Tätigkeiten wird die Leistungsfähigkeit in diesen Tätigkeiten gesteigert
Muskel. Muskeltraining steigert die Leistungsfähigkeit der betroffenen Muskeln durch präzisere und ökonomischere Bewegungen, Rekrutierung von mehr motorischen Einheiten bei trainierten Bewegungen, Steigerung der ATP- und Kreatinphosphatkonzentrationen, sowie langfristig durch Zunahme der Muskelfaserdicke, von kontraktilen Proteinen, Mitochondrien- und Kapillardichte. Da das Bindegewebe nicht zunimmt, ist der trainierte Muskel in besonderem Maße verletzungsgefährdet. Kreislauf. Unter Trainingseinfluss kommt es auch zur Zunahme des Blutvolumens, der Herzgröße (Sportlerherz) und damit des maximalen Schlagvolumens. Wird bei Zunahme des Blutvolumens auch die Zahl der Erythrozyten gesteigert, dann nimmt auch die O2-Transportkapazität zu. Eine ausschließliche Zunahme des Plasmavolumens (Hämatokrit sinkt) steigert die Herzfüllung und erleichtert die Thermoregulation. Die Zunahme der Herzgröße hat zur Folge, dass das Schlagvolumen auch in Ruhe sehr viel größer ist als bei untrainierten Personen. Das für den Ruheum-
147 6.3 · Erfassung von Leistung und Leistungsbeurteilung
satz erforderliche Herzzeitvolumen wird daher bei sehr niedrigen Herzfrequenzen erreicht (Bradykardie des ruhenden Leistungssportlers).
mehr decken kann und die Entwicklung einer Hypoglykämie die Versorgung des Gehirns mit Glukose beeinträchtigt.
Stoffwechsel. Die Leistungssteigerung bei trainierten Per-
Leistungsbereitschaft. Normalerweise wird die Leistung wegen Erschöpfung abgebrochen, längst bevor die theoretisch erreichbare maximale Leistung erbracht worden ist. Die Leistungsbereitschaft unterliegt zirkadianen Schwankungen mit Leistungsspitzen am Morgen und am frühen Abend. Durch massive Motivation, wie etwa bei einem bedeutsamen Wettkampf, können zusätzliche Einsatzreserven mobilisiert werden. Der autonom geschützte Bereich der Leistungsfähigkeit kann selbst durch äußerste Motivation nicht ausgeschöpft werden. Er ist jedoch unter dem Einfluss bestimmter Pharmaka mobilisierbar (Doping), wobei Gesundheit und Leben des Sportlers gefährdet werden.
sonen ist schließlich auch auf eine Umstellung des Stoffwechsels zurückzuführen. Kohlenhydratreiche Kost nach dem Training steigert die Bildung von Muskelglykogen und ermöglicht daher bei der nächsten Beanspruchung ein höheres Ausmaß an anaerober Glykolyse. Durch Training kann auch eine gesteigerte Eliminierung von Laktat, u. a. durch Zunahme der Masse an Herzmuskel und Typ-I-Skelettmuskeln, sowie eine herabgesetzte Laktatproduktion durch bevorzugte Rekrutierung von S-Muskelfasern erzielt werden. Die herabgesetzten Laktatplasmaspiegel tragen dann zur Leistungssteigerung bei. Schließlich ist die Ausschüttung von Hormonen wie Adrenalin beim Trainierten gesteigert.
Muskelkater. Die Überbeanspruchung von Muskeln führt 6.3.3
Ermüdung und Erholung
! Der Leistung sind durch die Ermüdung Grenzen gesetzt. Die Ermüdung kann den Muskel, den Kreislauf oder das Nervensystem erfassen
Ermüdung des Muskels. Sie folgt dem Zusammenbrechen der Energieversorgung, bzw. einem Mangel an Kreatinphosphat, an O2, Glukose und Fettsäuren. Ein Absinken des Verhältnisses von ATP/ADP gefährdet nicht nur die Muskelkontraktion, sondern auch die Aufrechterhaltung der Ionengradienten über die Zellmembran. Darüber hinaus führt Anhäufung von Laktat zur Ermüdung des Muskels, da die Azidose einen hemmenden Einfluss auf die Glykolyse und die Kontraktion ausübt. Ermüdung des Kreislaufes. Eine systemische Ermüdung
tritt auf, wenn bei Beanspruchung großer Muskelgruppen der periphere Widerstand in einer Weise absinkt, dass der Blutdruck nicht mehr aufrechterhalten werden kann, wenn also die Anpassungsmechanismen (7 Kap. 20.2) überfordert sind. Die Ermüdung kann beispielsweise durch hohe Umgebungstemperaturen beschleunigt werden, da die erschwerte Wärmeabgabe eine gesteigerte Durchblutung der Haut erzwingt. Hypoglykämie. Ermüdung kann schließlich eintreten,
wenn die Bereitstellung von Glukose den Bedarf nicht
mit einer Verzögerung von Stunden bis Tagen zum Muskelkater. Ursache sind lokale Schwellung sowie kleine Muskelrisse, die zum Austritt von Proteinen, damit zu lokaler Entzündung und zur Reizung von Nozizeptoren durch die Entzündungsmediatoren führen. Gesteigerte Laktatkonzentrationen spielen bei der Entstehung des Muskelkaters keine wesentliche Rolle. Erholung. Nach Beendigung einer Leistung müssen im
Muskel Kreatinphosphat und Glykogen aufgebaut, Laktat und H+ abtransportiert und die Ionengradienten über die Muskelzellmembran wiederhergestellt werden. Laktat kann in der Leber wieder zu Glukose aufgebaut bzw. in Herz und mitochondrienreichen Skelettmuskelzellen abgebaut werden. CO2 muss abgeatmet und die O2-Schuld abgetragen werden. Auch die geplünderten Glykogenvorräte von Muskeln und Leber müssen wieder aufgefüllt sowie die Flüssigkeits- und Kochsalzverluste durch den Schweiß wieder ausgeglichen werden. Schließlich werden die intramuskulären Triacylglycerine und – bei entsprechender Ernährung auch die Fettdepots – wieder aufgebaut. Diese Vorgänge bilden die Erholung des Muskels bzw. des Körpers von einer Beanspruchung. Je nach Intensität und Dauer der Leistung sowie je nach Erholungsparameter nimmt die Erholung wenige Minuten bis Wochen in Anspruch. Die erbrachte Leistung stimuliert die Schaffung von Energiereserven im Muskel etwa in Form von Glykogen, sodass eine Superkompensation eintritt. Sie ist letztlich ein wesentliches Element des Trainings.
6
148
Kapitel 6 · Arbeits- und Leistungsphysiologie
In Kürze
Erfassung von Leistung und Leistungsbeurteilung Spiroergometrie 4 Leistungstests: Stufentest, Laufband, Fahrradergometer o Herzfrequenz, Atemzeitvolumen, O2-Aufnahme, Laktatkonzentration o Maximale O2-Aufnahme, anaerobe Schwelle (maximale Leistung bei Laktat steady state), Mittelzeittests (drei Minuten), Kurzzeittests 4 Leistungstests bei Patienten: Bestimmung Leistungsgrenze gefährlich, daher submaximale Belastungen und lineare Extrapolation auf 200/Minute
6
Training 4 Muskel: Präzison von Bewegungen n, Rekrutierung motorischer Einheiten n, ATP-Kreatinphosphatkonzentrationen n, Muskelfaserdicke n, kontraktile Proteine n, Mitochondrien n, Kapillardichte n 4 Kreislauf: Blutvolumenn, Herzgröße n, maximales Schlagvolumen n 4 Stoffwechsel: Muskelglykogen n, Laktatabbbau n, Laktatbildung p, Adrenalinausschüttung n
Ermüdung und Erholung 4 Muskelermüdung: Energieversorgung p, Kreatinphosphat p, O2 p, Glukose p, Fettsäuren p, ATP/ADP p, Ionengradienten über Zellmembran p, Laktat n o Azidose o Glykolyse p, Kontraktion p 4 Ermüdung Kreislauf: Peripherer Widerstand p o Blutdruck p (v. a. bei Wärme) 4 Hypoglykämie o Versorgung des Gehirns mit Glukose p 4 Leistungsbereitschaft: zirkadiane Schwankungen, Leistungsspitzen am Morgen und frühen Abend; der autonom geschützte Bereich nur unter Doping mobilisierbar 4 Muskelkater: Lokale Schwellung, kleine Muskelrisse o lokale Entzündung o Reizung Nozizeptoren 4 Erholung: Aufbau Kreatinphosphat, Glykogen, intramuskuläre Triacylglycerine, Abtransport Laktat, H+, Ionengradienten Muskelzellmembran n, Aufnahme Flüssigkeit, Kochsalz o Superkompensation
7
7 Ernährung, Verdauungstrakt, Leber 7.1
Ernährung
– 150
7.1.1 Nahrungsmittel – 150 7.1.2 Inadäquate Ernährung – 153 7.1.3 Regulation der Nahrungsaufnahme
– 155
7.2
Motorik des Magen-Darm-Traktes
7.2.1 7.2.2 7.2.3 7.2.4 7.2.5
Grundlagen – 158 Kauen und Schlucken – 160 Magen – 160 Erbrechen – 161 Dünn- und Dickdarm, Defäkation
– 158
7.3
Sekretion
7.3.1 7.3.2 7.3.3 7.3.4 7.3.5 7.3.6
Grundlagen – 163 Mund, Rachen, Ösophagus – 164 Magen – 165 Pankreas – 167 Leber und Galle – 168 Dünn- und Dickdarmsekrete, Stuhl, Darmflora
7.4
Aufschluss der Nahrung
– 161
– 163
– 170
– 173
7.4.1 Kohlenhydrate – 173 7.4.2 Proteine – 173 7.4.3 Lipide – 174
7.5
Absorption – 174
7.5.1 7.5.2 7.5.3 7.5.4 7.5.5
Eigenschaften intestinaler Epithelien – 174 Monosaccharide, Aminosäuren, Oligopeptide Lipide – 175 Wasser und Elektrolyte – 176 Sonstige Nahrungsbestandteile – 176
7.6
Integrative Steuerung der Magen-Darm-Funktion – 178
7.6.1 Zeitliche Koordination der digestiven und interdigestiven Verdauungsaktivität – 178 7.6.2 Gastrointestinale Hormone – 178 7.6.3 Durchfall – 178
– 175
150
Kapitel 7 · Ernährung, Verdauungstrakt, Leber
> > Einleitung Für die Unterhaltung der Körperfunktionen ist die ständige Zufuhr chemischer Energie erforderlich. Durch die Ernährung wird normalerweise die ausreichende Aufnahme energiereicher Verbindungen gewährleistet. Darüber hinaus sollen weitere essentielle Nahrungsbestandteile bereitgestellt werden, die für den Aufbau und die Funktion des Körpers benötigt werden. Daher treten selbst bei kalorisch adäquater Ernährung Mangelerscheinungen auf, wenn bestimmte Bestandteile der Nahrung nicht in hinreichender Menge zugeführt werden. Der Verdauungstrakt dient der Aufschlüsselung und Absorption von Nahrungsbestandteilen, sowie der Ausscheidung von Ballaststoffen und bestimmter Fremdstoffe. Dazu müssen zunächst Enzyme, Wasser und Elektrolyte sezerniert werden. Die Leber ist nicht nur Verdauungsdrüse, sondern zentrales Stoffwechselorgan.
7 7.1
Ernährung
7.1.1
Nahrungsmittel
! Kohlehydrate, Proteine und Fette dienen der Bildung von Energiesubstraten und Bausteinen
Energiesubstrate. Der Körper gewinnt seine Energie im
Wesentlichen durch Abbau von Fetten, Kohlenhydraten und Eiweiß. Letztlich wird aus allen drei Stoffgruppen ATP gewonnen (7 Kap. 8.1.2). Pro aufgenommenem Gramm Nährstoff ist die Energieausbeute (biologischer Brennwert) bei Zufuhr von Fetten (39 kJ/g) etwa doppelt so groß wie bei Zufuhr von Kohlenhydraten (KH) oder Eiweiß (je 17 kJ/g) (. Tab. 7.1). Die verschiedenen Energiesubstrate sind teilweise austauschbar (Isodynamie), d. h. eine herabgesetzte Zufuhr von Kohlenhydraten kann z. B. durch gesteigerte Zufuhr
. Tab. 7.1. Energetische Eigenschaften der Nahrungsstoffe Eiweiß
Fett
KH
Einheit
biologischer Brennwert
17,0
39,0
17,0
kJ/g
energetisches Äquivalent
18,8
19,6
21,0
Respiratorischer Quotient (RQ) (7 Kap. 5.6.1)
0,8
0,7
1,0
40,0
0,0
10,0
spezifische Dynamische Wirkung (7 Kap. 8.1.3)
kJ/lO2 lCO2/lO2 %
von Eiweiß kompensiert werden. Die Austauschbarkeit ist freilich nicht unbegrenzt. Im Körper muss ständig Glukose als Energiesubstrat zur Verfügung stehen. Die Bildung von ATP geschieht in Erythrozyten ausschließlich und in Neuronen vorwiegend durch Abbau von Glukose. Bei vorübergehend herabgesetzter Glukosezufuhr kann Glukose aus Glykogen der Leber bereitgestellt werden. Bei anhaltend mangelhafter Kohlenhydratzufuhr muss freilich Glukose aus den anderen Nährstoffen gebildet werden (Glukoneogenese), wie z. B. aus Succinyl-CoA, das beim Abbau verschiedener Aminosäuren und Glycerin sowie verzweigter und ungeradzahliger Fettsäuren entsteht. Der Abbau von Fettsäuren mündet jedoch hauptsächlich in Acetyl-CoA, das nicht zur Glukoneogenese eingesetzt werden kann. Somit kann die Zufuhr von Fett die Kohlenhydratzufuhr nur eingeschränkt kompensieren. Eiweiß. Die Aufrechterhaltung der Proteinsynthese erfordert die regelmäßige Zufuhr von Eiweiß. Bei Zufuhr von weniger als 30–40 g Eiweiß/Tag (Bilanzminimum) überwiegt der Eiweißabbau und es entsteht eine negative Stickstoffbilanz. Bei völliger Eiweißkarenz, aber kalorisch hinreichender Ernährung werden täglich etwa 15 g körpereigenes Eiweiß abgebaut (absolutes Eiweißminimum). Die empfohlene tägliche Zufuhr von Eiweiß beträgt 0,8 g/kg Körpergewicht. Eine höhere Zufuhr wird u. a. für Kinder, Schwangere und alte Menschen empfohlen. Essentielle Aminosäuren. Selbst bei quantitativ ausrei-
chender Eiweißzufuhr kann es zu Störungen kommen, wenn die essentiellen Aminosäuren nicht in genügender Menge enthalten sind (. Tab. 7.2). Zu den essentiellen Aminosäuren zählen Valin, Leucin, Isoleucin, Lysin, Methionin, Threonin, Tryptophan und Phenylalanin. Sie können im menschlichen Körper nicht aus den übrigen Aminosäuren synthetisiert werden. Wegen der vom Menschen abweichenden Aminosäurezusammensetzung pflanzlicher Proteine müssen diese zur Deckung des Bedarfs an essentiellen Aminosäuren in größeren Mengen als tierische Proteine zugeführt werden. Daher spricht man von einer geringeren biologischen Wertigkeit pflanzlicher Proteine. Essentielle Fettsäuren. Im menschlichen Körper können
Fettsäuren aus Acetyl-CoA gebildet werden, das beim Abbau von Kohlenhydraten und Aminosäuren entsteht. Nicht synthetisiert werden können freilich die ungesättigten Fett-
151 7.1 · Ernährung
. Tab. 7.2. Essentielle Nahrungsbestandteile Bestandteil
Beispiele
wichtigste Mangelerscheinung
Empfohlene Zufuhr
Brennstoffe
Eiweiß 17 kJ/g, Fett 40 kJ/g, oder Kohlenhydrate 17 kJ/g
Gewichtsverlust, verminderte Leistungsfähigkeit
8000 kJ/Tag
Ödeme
1 g/kg KG/Tag
Eiweiß essentielle Aminosäuren
Valin, Leucin, Isoleucin, Lysin, Methionin, Threonin, Tryptophan, Phenylalanin
Ödeme
Fettsäuren
Linolsäure
Dermatosen, Hämaturie . Tab. 7.3, . Tab. 7.4
Vitamine,und Spurenelemente Wasser und Elektrolyte
. Tab. 9.5
säuren Linolsäure und Linolensäure, die Doppelbindungen aufweisen, die mehr als 9-C-Atome von der Karboxylgruppe entfernt sind. Sie müssen als essentielle Fettsäuren zugeführt werden. Fett ist der wichtigste Energiespeicher des Körpers. ! Vitamine und Spurenelemente werden nur in geringen Mengen benötigt, sind jedoch unverzichtbar
. Tab. 7.3, . Tab. 7.4 . Tab. 9.5, . Tab. 9.6
! Unverzichtbare Bestandteile der Nahrung sind ferner Wasser und Elektrolyte. Ballaststoffe sind nicht unbedingt erforderlich, aber dennoch physiologisch bedeutsam
Wasser, Elektrolyte. Eine ausreichende Zufuhr von Wasser
und Elektrolyten ist lebensnotwendig, wie an anderer Stelle ausführlicher dargestellt wird (7 Kap. 9.1). Ballaststoffe. Weitere physiologisch bedeutsame, wenn
Vitamine. Notwendige Nahrungsbestandteile sind ferner
die Vitamine. Sie können – außer Vitamin D – vom menschlichen Körper nicht selbst hergestellt werden. Im Gegensatz zu Energiesubstraten oder etwa essentiellen Aminosäuren, müssen Vitamine nur in sehr geringen Mengen zugeführt werden. Die meisten Vitamine (v. a. wasserlösliche Vitamine) werden im Körper zum Aufbau von Coenzymen benötigt, d. h. von Molekülen, die für die Tätigkeit von Enzymen erforderlich sind. Bei Mangel an bestimmten Vitaminen kann die jeweilige Reaktion im Körper nicht in der normalen Weise ablaufen und es kommt zu Mangelerscheinungen. Man unterscheidet fettlösliche von wasserlöslichen Vitaminen. Die fettlöslichen Vitamine sind A (Retinol), D (Cholecalciferol), E (Tocopherol), K1 (Phyllochinon) und K2 (Menachinon), die wasserlöslichen Vitamine C (Ascorbinsäure), B1 (Thiamin), B2 (Riboflavin), B6 (Pyridoxin), B12 (Cobalamin), Niacinamid, Pantothensäure, Biotin, Cholin und Folsäure. Die einzelnen Vitamine sind in . Tab. 7.3 zusammengestellt. Spurenelemente. Bei den Spurenelementen, wie Eisen, Ko-
balt, Kupfer, Zink, Mangan, Vanadium, Selen, Jod und Fluor, ist die Zufuhr geringster Mengen (Spuren) ausreichend, aber auch notwendig. Ihre jeweilige physiologische Bedeutung ist in . Tab. 7.4 gezeigt.
auch nicht lebensnotwendige Inhaltsstoffe von Nahrungsmitteln sind die Ballaststoffe, zu denen v. a. die unverdaulichen Polysaccharide zählen. Sie werden im Darm nicht absorbiert, ziehen osmotisch Wasser an und dehnen damit das Darmlumen. Die Dehnung der Darmmuskulatur fördert die Darmmotilität und beschleunigt auf diese Weise die Darmpassage (7 Kap. 7.2). Ballaststoffarme Kost führt umgekehrt zu verlangsamter Darmpassage (Verstopfung) und begünstigt die Entwicklung von Darmtumoren (7 Kap. 7.3.6). ! Parenterale Ernährung sichert die Zufuhr von Nahrungsstoffen bei Ausfall der Darmfunktion
Parenterale Ernährung. Ist die enterale Aufnahme not-
wendiger Nahrungsstoffe über den Darm nicht gewährleistet (z. B. bei massiven Durchfallerkrankungen), dann können die Nahrungsstoffe auch parenteral zugeführt, also in die Blutbahn infundiert werden. Bei langfristiger parenteraler Ernährung müssen wie bei oraler Ernährung Energiesubstrate, Aminosäuren, essentielle Aminosäuren und Fettsäuren, Vitamine, Spurenelemente, Wasser und Elektrolyte in hinreichenden Mengen verabreicht werden. Die parenteral zugeführten Nahrungsbestandteile müssen in löslicher Form vorliegen, wobei die Osmolarität der zu-
7
152
Kapitel 7 · Ernährung, Verdauungstrakt, Leber
. Tab. 7.3. Vitamine Vitamine
Empfohlene tägliche Zufuhr
Aufgaben bzw. Reaktionen
Mangelsymptome
A (Retinol)
1 mg
Vorstufe von Rhodopsin; als Retinsäure (Ligand für Kernrezeptoren) wichtig für Wachstum und Differenzierung (u. a. Epithelien) über Steuerung der Expression diverser Proteine
Nachtblindheit, Verhornung von Epithelien (Bindehaut o Xerophthalmie, Haut- und Schleimhäute o Hyperkeratose), Knochenwachstumsstörungen
D (Calciferole)
5 µM
als 1,25 (OH)2D3 Einfluß auf Ca-HPO4Stoffwechsel (7 Kap. 9.1.6), Beeinflussung der Mitoserate
Rachitis, Osteomalazie
E (Tocopherole)
10 mg
Antioxidativ wirksam
Ödeme, Hämolyse, Thrombozytose (beim Menschen nahezu unbekannt)
K (Phyllochinone)
30 µg
Synthese der Gerinnungsfaktoren II, VII, IX und X
herabgesetzte Blutgerinnung, Blutungen
Fettlösliche Vitamine
Wasserlösliche Vitamine
7
B1 (Thiamin) (Aneurin)
1,4 mg
oxidative Dekarboxylierung von Pyruvat, Zitronensäurezyklus, Transketolase, Pentosephosphatzyklus
Beri-Beri: Polyneuropathie (Sensibilitätsausfälle, Lähmungen), Enzephalopathie, Herzinsuffizienz, Vasodilatation, Muskelatropie, Darmatonie, Diarrhö
B2 (Riboflavin)
1,6 mg
Wasserstoffübertragung (FAD + FMN) in Atmungskette, β-Oxidation, Aminosäureoxidase, Xanthinoxidase
Mundwinkelrhagaden, Cheilose, Zungenpapillenatrophie, Dermatosen, Nagelveränderungen, Vaskularisierung der Kornea, Anämie, Missbildungen
Niacinamid
18 mg
Wasserstoffüberträger (NAD , NADP )
Pellagra, Entzündung von Haut, Schleimhäuten (Glossitis, Stomatitis, Gastroenterokolitis, Proktitis), Schädigung des ZNS (Neuritiden, Demenz)
B6 (Pyridoxalphosphat)
2,2 mg
als Pyridoxalphosphat Transaminierung und Dekarboxylierung von Aminosäuren, Bildung von GABA, Umwandlung von Tryptophan zu Serotonin, Oxalat zu Glyzin; d-Aminolävulinsäuresynthese
Störung des ZNS (Übererregbarkeit, Krämpfe, Hyperakusis), Oxalose, Anämie, Dermatose
Panthothensäure
5–10 mg
Bestandteil von Coenzym A
Schwäche, Müdigkeit, Krämpfe, burning foot Syndrom
Biotin
0,2 mg
Karboxylierungen (z. B. Pyruvate, Acetyl-CoA)
Hauterkrankungen (Dermatitis, Seborrhö), Anämie, Müdigkeit
B12 (Kobalamin)
3 µg
Umwandlung von Neutralfetten in Phosphatide, Purinsynthese, Folsäuremetabolismus
funikuläre Myelose, perniziöse Anämie, gesteigerte Methylmalonatausscheidung
Folsäure
0,4 mg
als Tetrahydrofolat Übertragung von C1Bruchstücken, Synthese von Aminosäuren, Pyrimidin, Purin und Porphyrin, Umwandlung von Homocystein in Methionin
makrozytäre Anämie, Leuko-, Lympho- und Thrombozytopenie, Glossitis, Störungen des Knochenwachstums, gesteigerte Formiminoausscheidung (Zwischenprodukt des Histaminabbaues)
C (Ascorbinsäure)
60 mg
Redoxreaktionen, Aufbau von Kollagen und Glykosaminoglykanen
Skorbut (Zahnausfall, Blutungen), Müdigkeit, Schwäche, Infektanfälligkeit, Gelenkschwellungen
+
+
153 7.1 · Ernährung
. Tab. 7.4. Essentielle Spurenelemente Element
Empfohlene Zufuhr
Wichtigste Aufgaben bzw. Wirkungen
Wichtigste Auswirkungen eines Mangels
Überschuss
Eisen
10 mg
u. a. Bestandteil von Hämoglobin, Enzyme der Atmungskette, der Biotransformation
Anämie, Haarausfall, brüchige Fingernägel
Hämochromatose, Hämosiderose
Kobalt
0,1 µg
Bestandteil von Vitamin B12
. Tab. 7.3, Mangel an Vitamin B12
Erbrechen, Durchfall, Schädigung des Herzens
Kupfer
2 mg
Bestandteil,von Oxidoreduktasen (u. a. Lysyloxidase,Tyrosinase Monoaminoxidase, Ferrioxidase)
Störungen im Kollagenaufbau, Anämie, Leukopenie, ZNS-Störungen, gesteigerte Cholesterinsynthese
Gastrointestinale Störungen, Schädigung der Leber (indian childhood cirrhosis) und selten ZNS, Niere, Hämolyse
Zink
15 mg
Bestandteil einer Vielzahl (über 70) von Enzymen jeder Klasse, beeinflusst Fluidität von Zellmembranen
Hauterkrankungen, Störung der Wundheilung, des ZNS, Infektanfälligkeit,Wachstumsverzögerung, Impotenz
gastrointestinale Störungen, Kupfermangel, Störungen des ZNS
Mangan
<6 mg
stimuliert eine Reihe von Enzymen, hemmt Katecholaminspeicherung und Transmitterausschüttung
Gewichtsverlust, Störungen der Haut, Magen-Darm-Trakt, Knochen, Nervensystem
Morbus Parkinson, Psychosen
hemmt eine Vielzahl von Enzymen, v. a. Na+/K+-ATPase, Ca2+-ATPase, HMG-Reduktase, Phosphatasen, stimuliert u. a. Adenylatzyklase
Hypercholesterinämie?
Natriurese? Hypertonie? Depressionen; bei Inhalation Atembeschwerden
Vanadium (Vanadat)
Selen
<50 µg
Bestandteil der Glutathionperoxidase und von weiteren Selenproteinen
Keshan-Disease (u. a. Untergang von Herz- muskelzellen), Anämie
gastrointestinale Störungen, lokal Entzündungen
Jod
140 µg
Aufbau von Schilddrüsenhormonen
Hypothyreose
Allergie, Hypothyreose
Fluor
2 mg
Mineralisierung des Knochens, Stimulation Adenylatzyklase, Stimulation Osteoklasten
Karies, Osteoporose
Störungen Mineralisierung des Knochens, gastrointestinale Störungen, Blutdruckabfall
Folgen eines Mangels an Nickel, Chrom, Molybdän, Silizium und Zinn sind beim Menschen nicht beschrieben
geführten Lösung idealerweise um die 300 mosmol/l (Isotonie) liegen sollte. Insbesondere die Zufuhr von Energiesubstraten bereitet dabei Schwierigkeiten. Die Deckung der erforderlichen Energie durch isotone Glukoselösung (300 mmol/l, d. h. 54 g/l) würde bei einem täglichen Energiebedarf von nur etwa 10000 kJ (entspricht 580 g Glukose) die Infusion von über 10 Litern Lösung erfordern, eine Menge, welche die Gefahr einer Hyperhydration des Patienten mit sich bringen würde. Auf der anderen Seite sind die energetisch viel ergiebigeren Fettsäuren schwer löslich. Durch Einsatz von besser löslichen kurzkettigen Fettsäuren sowie neuen Emulgierungsverfahren versucht man die erforderlichen Volumina an Infusionslösung zu reduzieren.
7.1.2
Inadäquate Ernährung
! Die Zufuhr an Energiesubstraten kann zu gering oder zu hoch sein
Regelung des Körpergewichtes. Das Körpergewicht ist
eine Funktion von Nahrungsaufnahme und Energieverbrauch. Die Nahrungsaufnahme wird durch Neurone im Hypothalamus reguliert (7 Kap. 7.1.3). Die Nahrungszufuhr ist quantitativ unzureichend, wenn die Energiezufuhr den Energieverbrauch nicht deckt (Unterernährung). Sie ist quantitativ zu hoch, wenn die Energiezufuhr den Energieverbrauch übersteigt (Überernährung). Unterernährung. Die bei Unterernährung auftretende Ab-
nahme der Plasmaglukosekonzentration hemmt die Insulin-
7
154
7
Kapitel 7 · Ernährung, Verdauungstrakt, Leber
ausschüttung und stimuliert die Ausschüttung u. a. von Adrenalin und Glukagon. Folge ist eine Stimulation der Lipolyse (die auch durch Somatotropin gefördert wird), Glykogenolyse und Proteolyse (die auch durch Kortisol stimuliert wird). Aus Fettsäuren werden in der Leber Hydroxybutyrat und Azetazetat (Ketonkörper) gebildet. Der Abbau von Glykogen bietet nur eine kurzfristige Bereitstellung von Glukose. Da das Gehirn und die Erythrozyten auf Glukose als Substrat angewiesen sind, muss Glukose durch Glukoneogenese aus Laktat, Aminosäuren, Glycerin und den wenigen verzweigtkettigen und ungeraden Fettsäuren gebildet werden. Es werden also nicht nur die Glykogenvorräte und die Fettreserven eingeschmolzen, sondern auch Proteine (v. a. Muskel, später auch Knochengrundsubstanz und innere Organe inklusive Gehirn) zur Energiegewinnung verwendet. Letztlich drohen u. a. Muskelschwäche, Ödeme, Gerinnungsstörungen und Infektanfälligkeit. Die Abnahme der Fettgewebsmasse führt zu einer Abnahme der Leptinausschüttung, wodurch dessen Stimulation der Gonadotropinausschüttung wegfällt. Folge ist Infertilität (7 Kap. 11.2.1). Anorexie und Bulimie. Bei Anorexie wird die adäquate Zufuhr von Essen verweigert, bei Bulimie treten Essattacken auf, wobei die zugeführte Nahrung kurz danach wieder erbrochen wird. Die Erkrankungen gehen mit einem unrealistischen Schlankheitsideal einher. Die Ursachen sind in erster Linie kulturell-psychologisch, auch wenn die Störungen bei Trägern bestimmter Genvarianten besonders häufig sind, also durch genetische Veranlagung begünstigt werden. Das häufige Erbrechen sauren Mageninhaltes bei Bulimie schädigt die Zähne, die quantitativ und qualitativ inadäquate Nahrungszufuhr bei Anorexie oder Bulimie führt zur Unterernährung. Überernährung. Bei Überernährung steigt die Ausschüttung von Insulin, Leptin und der Schilddrüsenhormone, die Ausschüttung von Glukagon wird gehemmt. Insulin fördert die Bildung von Glykogen, Proteinen und Fett (7 Kap. 10.3), sowie den Verbrauch von Glukose. Schilddrüsenhormone steigern den Energieverbrauch. Leptin mindert den Appetit (7 Kap. 7.1.3). Die Insulinwirkungen beschleunigen das Altern und verkürzen die Lebensspanne. Die anhaltend hohen Insulinspiegel und das Übergewicht mindern andererseits die Insulinempfindlichkeit der Peripherie. Ab einem Body Mass Index von ≥25 [kg Körpergewicht/(m Körperlänge)2] steigt damit die Wahrscheinlichkeit der Entwicklung eines Diabetes mellitus
trotz Hyperinsulinismus, wie an anderer Stelle ausgeführt wird (7 Kap. 10.3.4). Insulin steigert ferner die Kochsalzresorption in der Niere und fördert damit über eine Zunahme des Blutvolumens die Entwicklung einer Hypertonie. Das Zusammentreffen von Übergewicht und Hypertonie (sowie gesteigerter Gerinnbarkeit des Blutes und Entwicklung eines Diabetes) wird als metabolisches Syndrom bezeichnet. Bei Patienten mit metabolischem Syndrom treten Herzinfarkte, Schlaganfall, Diabetes mellitus, etc. gehäuft auf. ! Auch bei qualitativ unzureichender Ernährung treten Störungen auf
Einseitige Ernährung. Bei qualitativ inadäquater Ernährung können Mangelerscheinungen auftreten, die durch unzureichende Zufuhr von essentiellen Nahrungsbestandteilen ausgelöst werden. So kann der völlige Verzicht auf Nahrungsstoffe tierischer Herkunft bei streng vegetarischer Ernährung (Veganer) zu Vitamin B12- und Eisenmangel führen. Die in einigen Entwicklungsländern auftretende Kwashiorkor-Erkrankung wird durch eiweißarme Ernährung bei hinreichender kalorischer Ernährung hervorgerufen. Folge der mangelhaften Proteinbildung ist eine Hypoproteinämie mit Ödemen (7 Kap. 4.1.7) und Flüssigkeitsansammlungen im Bauchraum (Aszites). Der Mangel an Apoproteinen behindert den Abtransport von Fettsäuren aus der Leber und es entwickelt sich eine Fettleber. Vitaminmangel. Ein Vitaminmangel kann durch mangelhafte Zufuhr und gestörte enterale Absorption auftreten. Bei gestörter enteraler Fettabsorption sind beispielsweise regelmäßig die fettlöslichen Vitamine in Mitleidenschaft gezogen. Ferner kann der Vitaminbedarf gesteigert sein (z. B. im Wachstumsalter und bei Schwangeren der Bedarf an Vitamin D). Ein gesteigerter Bedarf an Vitaminen besteht bei Zufuhr antivitaminerger Pharmaka (z. B. VitaminK-Antagonisten, 7 Kap. 2.4.2). Da Vitamin B6 zur Pyridoxalphosphatbildung benötigt wird, müssen bei Enzymdefekten, die zu geringerer Affinität der jeweiligen Enzyme für Pyridoxalphosphat führen, massive Vitamin-B6-Mengen zugeführt werden, damit die nötige Pyridoxalkonzentration erreicht und die Krankheitssymptome (z. B. Epilepsie) verhindert werden. Die Auswirkungen von Vitaminmangel sind in . Tab. 7.3 zusammengestellt. Vitaminüberschuss. Nicht nur ein Mangel, sondern auch
ein Überschuss an Vitaminen kann Störungen hervorrufen. So kann überschüssige Zufuhr von Vitamin D über gestei-
155 7.1 · Ernährung
gerte enterale Ca2+-Absorption und folgende vermehrte renale Ca2+-Ausscheidung zum Ausfallen von Ca2+-haltigen Steinen in der Niere führen. Vitamin C kann zum schwer löslichen Oxalat abgebaut werden und so das Auftreten von Oxalatsteinen begünstigen. Überschuss an Vitamin A kann zu Störungen im Bindegewebsaufbau führen. Mangel an Spurenlementen. Ein Mangel an Spurenelementen kann wiederum durch mangelhafte Zufuhr oder gestörte Absorption auftreten. Die jeweiligen Auswirkungen sind in . Tab. 7.4 zusammengestellt. Besonders häufig ist die Eisenmangelanämie, die weltweit mehrere Hundert Millionen Menschen in Mitleidenschaft zieht.
7.1.3
Regulation der Nahrungsaufnahme
! Die Nahrungsaufnahme wird durch den Hypothalamus über Glukorezeptoren, Leerkontraktionen des Magens, Thermorezeptoren, Hormone und Verhalten reguliert
Kontrolle der Nahrungsaufnahme, Hunger. Die Anpassung
der Nahrungszufuhr an den Bedarf wird normalerweise durch die Hungerempfindung gewährleistet. Durch fein auf den Bedarf abgestimmte Nahrungsaufnahme soll kurzfristig die Versorgung der Organe mit den jeweils erforderlichen Energiesubstraten sichergestellt und gleichzeitig langfristig die Fettdepots und damit das Körpergewicht in bestimmten Grenzen gehalten werden. Bei den Mechanismen der kurzfristigen Anpassung der Nahrungsaufnahme spielt Glukose eine wesentliche Rolle. Unzureichendes Substratangebot mindert die Glukosekonzentration im Blut und schränkt die Verfügbarkeit von Glukose im Gewebe ein. Die Glukosekonzentration wird über Glukorezeptoren in lateralem Hypothalamus, Hirnstamm und Leber registriert. Insbesondere ein schneller Abfall der Glukosekonzentration führt zu Heißhunger. Hungergefühl wird auch durch Leerkontraktionen des Magens ausgelöst (die beiden Phänomene sind zwar lose miteinander korreliert, aber ein kausaler Zusammenhang besteht nicht). Im Magen wird ferner das Hormon Ghrelin gebildet, das bei lokalem Glukosemangel freigesetzt wird und die Nahrungsaufnahme stimuliert. Die Nahrungsaufnahme wird ferner durch Opioide, Somatoliberin und Somatostatin aus dem Gastrointestinaltrakt und dem ZNS gefördert. Schließlich sinkt bei herabgesetzter Energiezufuhr die Energieproduktion des Körpers. Die folgende Abnahme
der zentralen Temperatur wird durch Thermorezeptoren u. a. im Hypothalamus gemessen und löst gleichfalls Hunger aus. Während des Essens tritt Sättigung auf, bereits bevor die aufgenommenen Nahrungsbestandteile aufgeschlossen und absorbiert sind. Diese präresorptive Sättigung ist zum Teil Folge der Reizung von Geschmacks-, Geruchs- und oralen Mechanorezeptoren, sowie der Dehnung von Speiseröhre und Magen. Darüber hinaus registrieren Chemorezeptoren in Magen und Duodenum die luminale Konzentration an Glukose und Aminosäuren und stimulieren die Ausschüttung gastrointestinaler Hormone (v. a. Cholecystokinin, Glukagon, Bombesin 7 Kap. 7.6), die ihrerseits Sättigung auslösen. Die langfristige Anpassung der Nahrungsaufnahme an die Größe der Fettdepots wird vor allem durch das Peptidhormon Leptin gewährleistet. Die Fettzellen bilden Leptin in Abhängigkeit von ihrem »Füllungszustand«, d. h. von ihrem Gehalt an Speicherfett. Leptin mindert das Hungergefühl über Beeinflussung von Neuronen des Hypothalamus. Leptin reguliert so die Größe der Fettdepots und damit das Körpergewicht. Werden die Fettdepots durch eine Fastenperiode entleert, dann bilden die Fettzellen weniger Leptin und die Leptinkonzentration im Blut sinkt. Die hemmende Wirkung von Leptin auf den Hypothalamus fällt weg und die Nahrungsaufnahme übersteigt den aktuellen Bedarf an Energiesubstraten. Die überschüssig zugeführten Energiesubstrate werden in Fett umgewandelt, das im Fettgewebe abgelagert wird. Die Mechanismen der kurzfristigen Anpassung der Nahrungsaufnahme sind allerdings immer noch wirksam, sodass auch bei niedrigen Leptinplasmakonzentrationen Sättigung eintritt und die Zunahme der Fettdepots nur langsam erfolgt. Nach einer Periode der Überfütterung bilden die mit Triglyceriden überladenen Fettzellen vermehrt Leptin, das normalerweise die Nahrungsaufnahme solange bremst, bis der Überschuss abgebaut ist. Dabei tritt jedoch über die kurzfristigen Mechanismen immer wieder Hunger auf, der zur Nahrungsaufnahme zwingt. Die Nahrungsaufnahme deckt freilich nicht völlig den aktuellen Bedarf an Energiesubstraten und der Energiebedarf wird z. T. durch Mobilisierung von Triacylglycerinen aus dem Fettgewebe gedeckt. Darüber hinaus fördert Leptin den Abbau der Fettdepots auch über Stimulation des Energieverbrauchs. Auf diese Weise wird das Übergewicht wieder abgebaut. Bei anhaltend hohen Leptinspiegeln sinkt jedoch die Leptinempfindlichkeit und der Appetit Übergewichtiger wird nicht hinreichend unterdrückt.
7
156
7
Kapitel 7 · Ernährung, Verdauungstrakt, Leber
Die Nahrungsaufnahme wird ferner durch weitere Hormone beeinflusst. Sie wird u. a. durch Östrogene und Adrenalin (β-Rezeptoren) gehemmt, und durch Testosteron, Gestagene, Adrenalin (α-Rezeptoren), Glukokortikoide und Insulin gesteigert. Die neuronalen Mechanismen der kurzfristigen und langfristigen Anpassung der Nahrungsaufnahme und Energiebilanz befinden sich im Hypothalamus (7 Kap. 14.3.4). Die hypothalamischen Zentren stehen wiederum unter der Kontrolle des Großhirns (limbisches System und Neokortex). Die Nahrungsaufnahme ist in hohem Maße eine Funktion von erlerntem Verhalten, das durch Essenszeiten, soziale Faktoren, Umgebungsreize und die Qualität der angebotenen Nahrungsmittel ausgelöst wird (konditionierte Nahrungsaufnahme). Die verhaltensabhängige Nahrungsaufnahme erfolgt auch ohne Stimulation der Nahrungsaufnahme durch Hypoglykämie. Essstörungen und die dadurch ausgelösten Störungen des Körpergewichtes sind häufig Folge inadäquater verhaltensabhängiger Nahrungsaufnahme. Bei körperlicher Aktivität wird die Insulinsensitivität gesteigert, vermehrt Glukose in die Zellen aufgenommen und verbraucht (7 Kap. 10.3.4). Zunehmender Appetit passt dabei die Nahrungsaufnahme an den gesteigerten Bedarf an. ! Die Wasseraufnahme wird durch den Hypothalamus bei osmotischem und hypovolämischem Durst stimuliert
Kontrolle der Flüssigkeitsaufnahme, Durst. Durst entsteht in erster Linie bei einem Mangel an intrazellulärem oder extrazellulärem Wasser. Ein intrazellulärer Wassermangel führt zur Schrumpfung von Neuronen im Hypothalamus, wodurch osmotischer Durst ausgelöst wird (7 Kap. 14.3.4). Ein Mangel an extrazellulärer Flüssigkeit mindert die Dehnung in herznahen Gefäßen und im rechten Vorhof des
Herzens, die über den Vagus dem Hypothalamus übermittelt wird (hypovolämischer Durst). Darüber hinaus wird bei einem Mangel an extrazellulärer Flüssigkeit die Perfusion der Niere beeinträchtigt (7 Kap. 9.2.8). Folge ist u. a. die Bildung von Angiotensin II, das seinerseits Durst auslöst. Die Aktivität in den osmo- und volumenrezeptiven Neuronen, sowie der Einfluss von Angiotensin II werden in Neuronen des Hypothalamus integriert. Die Erregung dieser Neurone fördert einerseits die Durstempfindung und andererseits die Ausschüttung von antidiuretischem Hormon (ADH, 7 Kap. 10.2.1). Angiotensin II stimuliert darüber hinaus die Bildung von Aldosteron (7 Kap. 10.2.2), das über Stimulation der Rückresorption in den Gängen der Speicheldrüsen die Speichelsekretion drosselt, sodass weniger Speichel in den Mund gelangt. Folge ist Mundtrockenheit, die zur Durstempfindung beiträgt. Bereits ein Mangel an Wasser von 0,5 % des Körpergewichts löst Durst aus. Durch Trinken wird die fehlende Menge erstaunlich genau zugeführt. Dabei wird der Durst bereits gelöscht, bevor das zugeführte Wasser im Darm absorbiert wird und einen Einfluss auf Osmo- und Volumenrezeptoren ausüben kann (präresorptive Durstlöschung). Offenbar wird durch Dehnungsrezeptoren in Ösophagus und Magen das getrunkene Flüssigkeitsvolumen gemessen und mit dem von Osmo- und Volumenrezeptoren signalisierten Defizit verrechnet. Saugt man das in den Magen aufgenommene Wasser wieder ab, dann tritt nach einigen Minuten wieder Durst auf. Schließlich wird der Durst durch hypotone Flüssigkeit im Duodenum herabgesetzt, wahrscheinlich durch Beeinflussung von Osmorezeptoren im Darmbereich. Häufig trinken wir, z. B. während des Essens, auch ohne Vorliegen von Durst, also ohne entsprechende Aktivierung von Osmorezeptoren oder Volumenrezeptoren. Dieses sekundäre Trinken verhindert normalerweise das Auftreten von Durst.
In Kürze
Ernährung Nahrungsmittel 4 Energiesubstrate: Fette (39 kJ/g) Kohlenhydrate (17 kJ/g), Eiweiß (17 kJ/g), weitgehend isodynamisch austauschbar, Glukose nur aus Aminosäuren, Glycerin, verzweigten/ungeradzahligen Fettsäuren 4 Eiweiß: 30–40 g/Tag Eiweiß Bilanzminimum, bei völliger Eiweißkarenz Abbau von 15 g körpereigenem Eiweiß (absolutes Eiweißminimum), empfohlene täg6
liche Zufuhr 0,8 g/kg Körpergewicht, höhere Zufuhr u. a. Kinder, Schwangere, alte Menschen 4 Essentielle Aminosäuren: Valin, Leucin, Isoleucin, Lysin, Methionin, Threonin, Tryptophan, Phenylalanin. Zusammensetzung pflanzlicher Proteine verschieden (geringere biologische Wertigkeit) 4 Essentielle Fettsäuren: Ungesättigte Fettsäuren Linolsäure und Linolensäure mit mehr als 9-C-Atome
157 7.1 · Ernährung
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4 4 4
4
von der Karboxylgruppe entfernten Doppelbindungen Vitamine: Die meisten Vitamine bilden Coenzyme. Fettlösliche Vitamine: A (Retinol), D (Cholecalciferol), E (Tocopherol), K1 (Phyllochinon) und K2 (Menachinon), wasserlösliche Vitamine: C (Ascorbinsäure), B1 (Thiamin), B2 (Riboflavin), B6 (Pyridoxin), B12 (Cobalamin), Niacinamid, Pantothensäure, Biotin, Cholin und Folsäure (. Tab. 7.3) Spurenelemente: Eisen, Kobalt, Kupfer, Zink, Mangan, Vanadium, Selen, Jod, Fluor (. Tab. 7.4) Wasser, Elektrolyte (Na+, K+, Ca2+, Cl-, HPO42-) Ballaststoffe: v. a. unverdauliche Polysaccharide, nicht absorbiert o Dehnung Darmlumen o Darmmotilität o Beschleunigung Darmpassage Parenterale Ernährung: Bei gestörter enteraler Aufnahme. Energiesubstrate, Aminosäuren, essentielle Aminosäuren und Fettsäuren, Vitamine, Spurenelemente, Wasser und Elektrolyte Zufuhr von Energiesubstraten bei vertretbarem Volumen schwierig
Inadäquate Ernährung 4 Unterernährung o Plasmaglukosekonzentration p o Insulin p, Adrenalin n, Glukagon n, Kortisol n, Somatotropin n o Lipolyse n, Glykogenolyse n, Proteolyse n, Hydroxybutyrat n, Azetazetat n, Glukoneogenese aus Laktat, Aminosäuren, Glycerin, verzweigtkettigen/ungeraden Fettsäuren o Proteinabbau (Muskel, Knochengrundsubstanz, Organe inklusive Gehirn) o Muskelschwäche, Ödeme, Gerinnungsstörungen, Infektanfälligkeit, Gonadotropinausschüttung p 4 Anorexie und Bulimie: Anorexie = Essenverweigerung, Bulimie = Essattacken mit folgendem Erbrechen o quantitativ und qualitativ inadäquate Nahrungszufuhr o Unterernährung 4 Überernährung o Insulin n, Leptin n, Schilddrüsenhormone n, Glukagon p o Glykogen n, Proteine n, Fett n, Energieverbrauch n, Appetit p o beschleunigtes Altern, Insulinresistenz. Body Mass Index ≥25 [kg Körpergewicht/(m Körperlänge)2] o Wahrschein-
4 4 4 4
4
lichkeit n für Diabetes mellitus, Hypertonie (metabolisches Syndrom) o Herzinfarkte, Schlaganfall n Veganer o Vitamin B12- und Eisenmangel Eiweißmangel o Kwashiorkor-Erkrankung (Hypoproteinämie, Ödeme, Aszites, Fettleber Vitaminmangel: Zufuhr p, enterale Absorption p, Bedarf n (Wachstumsalter, Schwangere) Vitaminüberschuss: Vitamin D n o enterale Ca2+-Absorption n o renale Ca2+-Ausscheidung o Nierensteine; Vitamin C n o Abbau zu Oxalat o Nierensteine; Vitamin A n o Bindegewebsaufbau gestört Mangel an Spurenlementen (mangelhafte Zufuhr, gestörte Absorption): u. a. Fe p o Anämie; J- p o Hypothyreose, Kropf
Regulation der Nahrungsaufnahme 4 Kurzfristige Anpassung: Glukorezeptoren in lateralem Hypothalamus, Hirnstamm, Leber, Leerkontraktionen Magen, Ghrelin, Opioide, Somatoliberin, Somatostatin, Temperaturabfall o Hunger 4 Präresorptive Sättigung: Reizung Geschmacks-, Geruchs-, orale Mechanorezeptoren, Chemorezeptoren in Magen und Duodenum, Dehnung Speiseröhre und Magen 4 Langfristige Anpassung: Leptin (Gehalt an Speicherfett) o Hungergefühl p (Hypothalamus) 4 Weitere hungerregulierende Hormone: Östrogene, Adrenalin (β-Rezeptoren) o Nahrungsaufnahme p, Testosteron, Gestagene, Adrenalin (α-Rezeptoren), Glukokortikoide, Insulin o Nahrungsaufnahme n 4 konditionierte Nahrungsaufnahme: Verhaltensabhängig 4 Körperliche Aktivität o Insulinsensitivität n 4 Intrazellulärer Wassermangel o osmotischer Durst 4 Mangel an extrazellulärer Flüssigkeit o Vorhofdehnung p o hypovolämischer Durst 4 Präresorptive Durstlöschung: Dehnungsrezeptoren Ösophagus, Magen 4 Sekundäres Trinken verhindert normalerweise Auftreten von Durst
7
158
Kapitel 7 · Ernährung, Verdauungstrakt, Leber
7.2
Motorik des Magen-Darm-Traktes
7.2.1
Grundlagen
! Zugeführte Nahrungsbestandteile werden durch die gastrointestinale Motorik zerkleinert, mit Sekreten des Gastrointestinaltraktes vermischt, in unmittelbaren Kontakt mit absorbierendem Epithel gebracht und durch die verschiedenen Abschnitte des Gastrointestinaltraktes transportiert
Strukturelle Organisation der gastrointestinalen Muskulatur. Zu Beginn und Ende des Gastrointestinaltraktes wird
7
die Motorik durch quergestreifte, willkürlich steuerbare Muskulatur unterstützt, während die Motorik vom mittleren Drittel der Speiseröhre (Ösophagus) bis zum Sphincter ani durch glatte, nicht willkürlich steuerbare Muskulatur bewerkstelligt wird. Die glatte Muskulatur setzt sich aus einer äußeren Längsmuskulatur, einer dicken inneren Ringmuskulatur und dünnen Muskelfasern innerhalb der Darmschleimhaut (Muscularis mucosae) zusammen (. Abb. 7.1). Formen der gastrointestinalen Motorik. Die verschiedenen Aufgaben gastrointestinaler Motorik erfordern unterschiedliche Kontraktionsformen, die in verschiedenen Abschnitten des Gastrointestinaltraktes unterschiedlich ausgeprägt sind. Bei Propulsionsbewegungen wird der Speisebolus durch Kontraktion der Ringmuskulatur eines Darmabschnittes sowie gleichzeitige Kontraktion der Längsmuskulatur und Erschlaffung der Ringmuskulatur des unmittelbar benachbarten aboral gelegenen Darmabschnittes weiterbefördert. Segmentationsbewegungen durchmischen den Speisebolus durch Kontraktion eines Darmsegmentes und Erschlaffung der jeweils oral und aboral gelegenen Darmabschnitte (. Abb. 7.2). Sphink-
. Abb. 7.1. Lage der Muskelschichten und der Nervenplexus
tere trennen zwei Kompartimente des Gastrointestinaltraktes und öffnen sich nur kurzfristig für die Passage von Darminhalt. Automatie der Darmmotorik. Auch ohne Beeinflussung
von außen und ohne Füllung des Lumens mit Speisebrei wird die Membran der Muskelzellen 3- bis 12-mal pro Minute periodisch depolarisiert (slow waves). Die Depolarisationen nehmen den Anfang in Schrittmacherzellen des Magens (Cajalzellen in der großen Kurvatur), dem Duodenum oder proximalen Jejunum und breiten sich von dort aboral aus (basaler elektrischer Rhythmus). Erreicht die Depolarisation die Schwelle, so entstehen (alle 30–120 Minuten) entsprechende spontane Kontraktionswellen (migrating motor complex) die u. a. den myoelektrischen Motorkomplex bei Leerkontraktionen des Magens hervorrufen (interdigestive Phase). Die interdigestive Phase der MagenDarm-Motorik dient der Entfernung von unverdaulichen Nahrungsbestandteilen, Bakterien und Sekreten (Reinigungsfunktion). Regulation der Darmmotorik. Die koordinierte Aktivität der glatten Muskulatur wird durch das enterale Nervenplexussystem gewährleistet (. Abb. 7.1), eine Ansammlung »intramuraler« Nervenzellen zwischen Längs- und Ringmuskulatur (Plexus myentericus, Auerbach) sowie zwischen Ringmuskulatur und Schleimhaut (Plexus submucosus, Meissner). Die Nervenzellen beeinflussen sich gegenseitig, die glatten Muskelzellen und die Epithelzellen über eine Vielzahl unterschiedlicher Transmitter und gastrointestinaler Hormone (. Tab. 7.5). Ihre Aktivität wird durch lokale Mechanorezeptoren moduliert, die auch Afferenzen zum zentralen Nervensystem abgeben. Die intramuralen Nervenzellen stehen unter dem Einfluss des vegetativen Nervensystems. Der Parasympathikus (Acetylcholin) wirkt fördernd und der Sympathikus (Noradrenalin) hemmend auf die gastrointestinale Motorik. Der Sympathikus wirkt dabei vorwiegend durch Hemmung der cholinergen parasympathischen Übertragung. Der Sphincter ani wird andererseits durch den Sympathikus stimuliert, wodurch die Defäkation gehemmt wird (7 Kap. 7.2.5). Der Einfluss des vegetativen Nervensystems ist für die koordinierte Aktivität der Darmmuskulatur nicht unbedingt erforderlich, sondern modifiziert lediglich die Intensität der motorischen Aktivität. Die Darmmotilität wird ferner durch Hormone beeinflusst (. Tab. 7.5 und . Tab. 21.2). Wie das vegetative Nervensystem modulieren die Hormone die Aktivität der Darmmuskulatur. Schließlich wird die Darmmuskulatur
159 7.2 · Motorik des Magen-Darm-Traktes
. Abb. 7.2. Propulsions- und Segmentationsbewegungen. Rot: Kontraktion der Ringmuskulatur; Blau: Erschlaffung der Ringmuskulatur; Grün: Kontraktion der Längsmuskulatur
. Tab. 7.5. Gewebshormone im Magen-Darm-Trakt Hormon
Hauptbildungsort,
Freisetzungsstimuli (+), Hemmer (-)
Wirkungen (+ fördernd, - hemmend, z. T. bei pharmakologischen Dosen)
Gastrin
G-Zellen Magenantrum
+ Vagus, Polypeptide, Kalzium, Alkohol, Dehnung, Gallensäuren - H+, Sekretin, GIP, VIP, Prostaglandin E
+ HCI- und Pepsinsekretion Magen; Mischbewegungen Magen; Hypertrophie Magenmukosa; Motilität Ösophagus, Gallenblase, Darm; Elektrolytsekretion Magen, Pankreas, Leber (Galle), Darm; Ausschüttung Insulin - Magenentleerung
Sekretin
S-Zellen Duodenum
+ H+, Vagus - HCO3–
+ Elektrolytsekretion Pankreas, Galle; Pepsinsekretion Magen; Vasodilatation; Ausschüttung Insulin; - Ausschüttung Gastrin, Glukagon; Magen-Darm-Motilität
Pankreozymin, Cholecystokinin
I-Zellen Duodenum
+ Aminosäuren, Fettsäuren, Polypeptide Gallensäuren, Kalzium
+ Enzymsekretion Pankreas; Darmmotilität; Mischbewegungen Magen; Kontraktion Gallenblase; Sekretion Darm, Galle - Magenentleerung; Elektrolytresorption, Darm; Säuresekretion Magen; Gastrinausschüttung
(Entero-) Glukagon
A-Zellen Magen, EG-Zellen Darm
+ Kohlenhydrate, Fettsäuren
wie Glukagon (. Tab. 10.2) – H+-Sekretion, Magen-Darm-Motilität
Somatostatin
D-Zellen
+ Glukose etc.
- Sekretion, Darmmotilität, Hormonausschüttung (. Tab. 10.2)
+
Motilin
Mo-Zellen Duodenum
– H (?)
+ Magen-Darm-Motilität; Pepsinsekretion Magen
gastric inhibitory polypeptide (GIP)
K-Zellen Darm
+ Glukose,Fett, Aminosäuren, H+
+ Insulinausschüttung; Elektrolytsekretion Pankreas - HCl-, Pepsinsekretion; Magenmotilität
vasoactive intestinal polypeptide (VIP)
DI-Zellen Darm
+ Vagus, H+
+ Vasodilatation; Dünndarm- motilität; ElektrolytsekretionPankreas; Glykogenolyse; Insulinausschüttung; Sekretion Darm; - HCl-Pepsinsekretion Magen; Magen-Dickdarm-Motilität
pancreatic polypeptide (PP)
Pankreas
+ Fett, Protein, Vagus, Hypoglykämie, Fasten, Arbeit
+ Darm-, Gallenblasen-Motilität - Magen-, Pankreassekretion
alle genannten Hormone sind Peptide
7
160
Kapitel 7 · Ernährung, Verdauungstrakt, Leber
direkt und über das enterale Nervensystem durch Dehnung des Lumens aktiviert (7 Kap. 16.5). Auf diese Weise wird der Darminhalt weiterbefördert und eine Überdehnung des jeweiligen Darmabschnittes normalerweise verhindert.
7.2.2
Kauen und Schlucken
! Durch das Kauen werden aufgenommene Speisebestandteile zerkleinert und mit dem Speichel vermischt. Über einen Schluckreflex gelangt der Speisebrei in den Ösophagus, wo er durch Propusionsbewegungen zum Magen transportiert wird
Kauen. Beim Kauen werden die Nahrungsbestandteile durch Zähne und Zunge zermahlen und durch Mischen mit dem Speichel in einen weichen Brei umgewandelt.
7
Schlucken. Der Speisebrei wird dann durch die Zunge zum
Gaumen geschoben und damit der Schluckvorgang willkürlich eingeleitet, wobei der Nasopharynx durch Anheben des Gaumensegels und die Atemwege durch Zurückklappen der Glottis verschlossen werden. Der Schluckvorgang wird durch Afferenzen (Mechanorezeptoren) aus dem Gaumen reflektorisch ausgelöst (Schluckreflex), wobei die Afferenzen vorwiegend über den Nervus laryngeus superior zum Nucleus tractus solitarii und Nucleus ambiguus geleitet werden, die Efferenzen über die Nerven vagus (V1), facialis (VII) und hypoglossus (XII). Weitertransport im Ösophagus. Im Ösophagus wird der
Speisebolus durch eine Propulsionsbewegung weiterbefördert (. Abb. 7.3) und erreicht binnen etwa 10 Sekunden den Magen. Ein Zurückweichen des Speisebolus wird vor allem durch die beiden Ösophagussphinkteren verhindert, Verstärkungen der Ringmuskulatur, die in Ruhe einen relativ hohen Muskeltonus aufweisen und einen entsprechenden hohen luminalen Druck von bis zu 40 mmHg (5 kPa) erzeugen. Sie erlauben durch kurzfristiges Erschlaffen die Passage des Speisebolus und behalten nach dessen Passage einen gesteigerten Tonus bei. Der obere Ösophagussphinkter liegt im Bereich des Kehlkopfes, der untere Ösophagussphinkter am Übergang zum Magen. Die Erschlaffung des unteren Ösophagussphinkters setzt bereits ein, wenn der Bolus das obere Drittel des Ösophagus passiert hat (. Abb. 7.3). Sie wird durch VIP vermittelt (. Tab. 7.5). Der Sphinktertonus wird u. a. durch Acetylcholin, Gastrin, Nordrenalin (α), Motilin und Histamin gesteigert.
. Abb. 7.3. Druckverläufe im Pharynx (oben) und verschiedenen Abschnitten des Ösophagus beim Schlucken. Beachte, daß im oberen und unteren Ösophagussphinkter der Druck in Ruhe deutlich höher ist als in angrenzenden Abschnitten und beim Schlucken vorübergehend abnimmt (nach Vaupel aus Schmidt et al.)
Bei der genetisch bedingten Ösophagusachalasie bleibt die Erschlaffung des unteren Ösophagussphinkters aus und es kommt bei den betroffenen Neugeborenen unmittelbar nach Nahrungsaufnahme zu schwallartigem Erbrechen.
7.2.3
Magen
! Der Magen speichert aufgenommene Nahrung und gibt sie in kleinen Portionen weiter
Rezeptive Dilatation. Durch den Schluckreflex und durch Dehnung des Ösophagus wird über den Vagus eine Erschlaffung der Magenmuskulatur ausgelöst (rezeptive Rela-
161 7.2 · Motorik des Magen-Darm-Traktes
xation), die eine Dehnung des Magens bis zu etwa 1,5 Liter ohne luminale Drucksteigerung zulässt. Die beteiligten Transmitter sind weder (Nor)adrenalin noch Acetylcholin und werden daher als NANC (nonadrenergic, noncholinergic) bezeichnet. Die rezeptive Relaxation des Magens erlaubt die vorübergehende Speicherung der aufgenommenen Nahrung v. a. im proximalen Magen. Durch Propulsionsbewegungen (v. a. des distalen Magens) wird dann der Mageninhalt in Richtung des Pylorus befördert. Bei Ankunft einer Kontraktionswelle kontrahiert der Pylorus mit kurzer Verzögerung, sodass nur ein kleiner Teil (ca. 10 ml) und nur kleine Partikel des transportierten Speisebolus in das Duodenum entweichen kann. Der Rest prallt an den fest verschlossenen Pylorus und wird wieder in den Magen zurückgeschleudert. Auf diese Weise wird erreicht, dass nur ein kleiner Teil des Mageninhaltes auf einmal in das Duodenum gelangt und dass der restliche Teil des Bolus wirkungsvoll durchmischt wird. Flüssigkeiten passieren den Pylorus wesentlich schneller als feste Nahrungsbestandteile (Verweildauer 1–5 Stunden). Auch bei leerem Magen tritt etwa alle zwei Stunden eine etwa fünf Minuten dauernde Serie von peristaltischen Wellen mit einer Frequenz von etwa 3/min auf (Leerkontraktionen), Folge der periodischen Überschwelligkeit des basalen elektrischen Tonus (7 Kap. 7.2.1).
7.2.4
Erbrechen
! Erbrechen wird durch eine Vielzahl von Reizen ausgelöst. Dabei wird der Mageninhalt durch Druck über eine Bauchpresse oralwärts katapultiert
Erbrechen. Erbrechen wird durch Reizung von Neuronen im Bereich des Nucleus tractus solitarii ausgelöst (»Brechzentrum«). Sie erhalten Afferenzen aus dem Magen-DarmTrakt, von Neuronen der Area postrema (7 Kap. 11.2) und von verschiedenen sensorischen Hirnarealen. Erbrechen soll in erster Linie die Aufnahme schädlicher Nahrungsbestandteile verhindern (Schutzreflex). Es kann durch 4 ekelerregende Gerüche, 4 visuelle Reize 4 Berührung der Rachenhinterwand, 4 Reizung der Magenschleimhaut (Gifte, Entzündung) 4 Überdehnung des Magens 4 Kontakt von einigen Giften mit der im Hirnstamm gelegenen Area postrema 4 Hirndrucksteigerungen
4 Überreizung der Gleichgewichtsorgane 4 massive Schmerzen
ausgelöst werden. Schließlich tritt Erbrechen aus nicht hinreichend geklärten Gründen zu Beginn einer Schwangerschaft gehäuft auf. Einige Substanzen lösen Erbrechen durch direkte Reizung von Neuronen aus. Beim Ablauf des Erbrechens sind glatte und quergestreifte Muskeln beteiligt: Durch Kontraktion des Zwerchfells, der thorakalen Exspirationsmuskulatur bei geschlossener Epiglottis und der Bauchmuskulatur wird der Druck im Bauchraum erhöht und damit der Mageninhalt aus dem erschlafften Magen katapultiert. Durch retrograde Peristaltik der Dünndarmmuskulatur und durch Kontraktion der Gallenblase können Dünndarminhalt und Galle in den Magen befördert und damit erbrochen werden. Begleitphänomene von Erbrechen sind häufig Übelkeit, Speichelfluss (Schutz der Zähne), Blutdruckabfall, Tachykardie, periphere Vasokonstriktion (Blässe) und Schweißausbruch.
7.2.5
Dünn- und Dickdarm, Defäkation
! Im Dünn- und Dickdarm treten Segmentations- und Propulsionsbewegungen auf, im Colon zusätzlich retrograde Peristaltik. Die Defäkation erfordert die Koordination von autonomer und Willkürmotorik
Dünndarmmotorik. Bei Übertritt von Speisebrei in den
Dünndarm treten Segmentationsbewegungen mit einem Rhythmus von etwa 1/min auf. Diese Bewegungen werden immer wieder durch Propulsionsbewegungen unterbrochen, die flüssigen Darminhalt in etwa zwei Stunden, feste Bestandteile in über drei Stunden vom Duodenum zum Zäkum transportieren. Am Übergang zum Zäkum ist die Ringmuskulatur verstärkt und erzeugt einen luminalen Druck von etwa 20 mmHg (2 kPa). Der Tonus dieses Sphinkters wird bei Drucksteigerung im terminalen Ileum gesenkt, bei Drucksteigerung im initialen Zäkum gesteigert. Auf diese Weise wird ein Reflux verhindert. Auch bei leerem Dünndarm treten etwa alle 2 Stunden Phasen von Segmentationsbewegungen auf, die nach Minuten bis Stunden von einer Serie von über hundert Propulsionsbewegungen (ca. 10/min) abgelöst werden. Grundlage dieser Bewegungen ist die basale elektrische Aktivität der Muskelzellen. Durch die Propulsionsbewegungen wird der Darm gereinigt.
7
162
7
Kapitel 7 · Ernährung, Verdauungstrakt, Leber
Dehnungszustand an. Der Sphinktertonus nimmt wieder zu. Wird die Defäkation willkürlich zugelassen, dann setzt der Defäkationsreflex ein. Die Darmmuskulatur in Sigmoid und Rektum kontrahiert und beide Sphinktere erschlaffen. Der Defäkationsreflex wird durch die Bauchpresse unterstützt, eine willkürliche Drucksteigerung im Bauchraum durch Kontraktion der thorakalen Exspirationsmuskulatur bei geschlossener Epiglottis und Kontraktion der Bauchmuskulatur.
Dickdarmmotorik. Das Colon wird durch lokalisierte Kontraktionen der Ringmuskulatur segmentiert (Haustren). Bis zu drei Mal am Tag tritt eine massive Propulsionbewegung auf (colon rush), die sich über das gesamte Colon erstreckt. Das Auftreten dieses colon rush wird durch Magendehnung bei Nahrungsaufnahme stimuliert. Im Colon jedoch treten nicht nur Segmentationsbewegungen und Propulsionsbewegungen auf, sondern auch retrograde Peristaltik, welche den Darminhalt wieder vom Sigmoid in das Zäkum zurücktransportieren kann. Der Kot kann dort gespeichert werden, bis eine Entleerung möglich ist. Die Verweildauer von Darminhalt im Colon ist sehr variabel (12–24 Stunden) und hängt u. a. von der Nahrungszusammensetzung ab.
Regulation der Motorik. Die Darmmotorik steht unter der Kontrolle von Hormonen (. Tab. 7.5, . Tab. 10.2) und des vegetativen Nervensystems (7 Kap. 7.2.1).
Defäkation. Der Anus wird durch den parasympathisch und sympathisch innervierten Sphincter ani internus und den somatomotorisch innervierten (Nervus pudendus) Sphincter ani externus verschlossen. Stimulus für die Einleitung der Defäkation ist eine Zunahme des Druckes im Rektum. Sie fördert einerseits die Zunahme der Propulsionsbewegungen im Dickdarm und andererseits die Erschlaffung des internen Sphincter ani. Ist eine Defäkation unerwünscht, dann kann sie durch willkürliche Kontraktion des äußeren Sphinkters, des Musculus puborectalis und des Musculus levator ani unterbunden werden. Die Muskulatur des Rektums erschlafft dann und passt sich dem neuen
Ileus. Ein Stillstand der Darmpassage wird als Ileus bezeichnet. Er kann bei mechanischer Blockierung (z. B. Tumore, Fremdkörper, Hernien etc.) oder Lähmung der Darmmuskulatur (z. B. bei Hypokaliämie 7 Kap. 9.1.5, Gefäßverschluss, Läsionen im Rückenmark) auftreten. Die Überdehnung proximaler Darmabschnitte führt zu Schmerzen und Erbrechen. Die fehlende Darmmotorik behindert die Absorption von Nahrungsbestandteilen und sezernierter Flüssigkeit. Dabei können erhebliche Mengen an Wasser und Elektrolyten im Darmlumen versacken. Ferner wird die Besiedlung des Darmlumens mit Erregern begünstigt. Unbehandelt führt ein Ileus zum Tod.
In Kürze
Motorik des Magen-Darm-Traktes Grundlagen 4 Strukturelle Organisation: Zu Beginn und Ende quergestreifte Muskulatur, sonst glatt; äußere Längsmuskulatur, dicke innere Ringmuskulatur und innerhalb der Darmschleimhaut dünne Muskelfasern 4 Formen: Propulsionsbewegungen, Segmentationsbewegungen, Sphinktere 4 Automatie: slow waves (3–12/Minute) ausgehend von Schrittmacherzellen (basaler elektrischer Rhythmus). Alle 30–120 Minuten Kontraktionswellen (migrating motor complex), Leerkontraktionen des Magens (interdigestive Phase) 4 Regulation: Enterales Nervenplexussystem (intramurale Nervenzellen zwischen Längs- und Ringmuskulatur [Plexus myentericus Auerbach] und zwischen Ringmuskulatur und Schleimhaut [Plexus submucosus, 6
Meissner]), Parasympathikus [Acetylcholin] stimuliert, Sympathikus [Noradrenalin] hemmt (außer Sphincter ani). Hormone modulieren (. Tab. 7.5 und . Tab. 21.2), Dehnung des Lumens aktiviert Kauen und Schlucken 4 Kauen (Mahlen und Mischen) o Schluckreflex [Nervus laryngeus superior o Nucleus tractus solitarii, Nucleus ambiguus o Nervi vagus (V1), facialis (VII), hypoglossus (XII)] 4 Ösophagus: Propulsionsbewegung, oberer Ösophagussphinkter (Kehlkopf ) o unterer Ösophagussphinkter (Übergang zum Magen, Erschlaffung durch VIP, Kontraktion durch Acetylcholin, Gastrin, Nordrenalin (α), Motilin und Histamin, fehlende Erschlaffung o Ösophagusachalasie o schwallartiges Erbrechen
163 7.3 · Sekretion
Magen 4 Rezeptive Dilatation: Vagus (Transmitter NANC) o Dehnung Magen bis ≈1,5 Liter 4 Propulsionsbewegungen in Richtung Pylorus, nur kleiner Teil (ca. 10 ml) und nur kleine Partikel passieren, der Rest wird zurückgeschleudert Erbrechen 4 Neurone: Nucleus tractus solitarii (»Brechzentum«), Afferenzen aus dem Magen-Darm-Trakt, Area postrema, sensorische Hirnareale 4 Ursachen: Ekelerregende Gerüche, visuelle Reize, Berührung Rachenhinterwand, Reizung Magenschleimhaut (Gifte, Entzündung), Überdehnung Magen, Gifte, Hirndrucksteigerung, Überreizung Gleichgewichtsorgan, massive Schmerzen, Schwangerschaft 4 Ablauf: Kontraktion Zwerchfell und thorakale Exspirationsmuskulatur bei geschlossener Epiglottis (Magen erschlafft). Retrograde Peristaltik der Dünndarmmuskulatur, Kontraktion der Gallenblase o Erbrechen Dünndarminhalt und Galle 4 Begleitphänomene: Übelkeit, Speichelfluss (Schutz der Zähne), Blutdruckabfall, Tachykardie, periphere Vasokonstriktion (Blässe), Schweißausbruch
7.3
Sekretion
7.3.1
Grundlagen
Dünn- und Dickdarm, Defäkation 4 Dünndarmmotorik: Segmentationsbewegungen (1/ min), Propulsionsbewegungen, Intervall ≈2 Stunden, Übergang zum Zäkum Sphinkter; leerer Dünndarm alle 2 Stunden Segmentationsbewegungen, nach Minuten bis Stunden Serie von über hundert Propulsionsbewegungen (ca. 10/min) 4 Dickdarmmotorik: Kontraktionen der Ringmuskulatur segmentiert (Haustren). Bis zu drei Mal am Tag propulsiver Colon rush, dazu retrograde Peristaltik, Verweildauer von Darminhalt im Colon sehr variabel 4 Defäkation: Sphincter ani internus sympathisch und parasympathisch, Sphincter ani externus somatomotorisch (Nervus pudendus) innerviert; Druck im Rektum n o Propulsionsbewegungen, Erschlaffung interner Sphincter ani. Defäkationsreflex: Kontraktion Darmmuskulatur in Sigmoid und Rektum, Erschlaffung beide Sphinktere, Bauchpresse 4 Regulation Darmmotorik: Hormone (. Tab. 7.5, . Tab. 10.2) und vegetatives Nervensystems (7 Kap. 7.2.1) 4 Ileus = Stillstand Darmpassage, mechanisch oder Lähmung Muskulatur o Überdehnung proximaler Darmabschnitte o Schmerzen, Erbrechen; fehlende Darmmotorik o Absorption p, Besiedlung mit Erregern
! In den verschiedenen Abschnitten des Gastrointestinaltraktes wird eine Vielzahl unterschiedlicher Sekrete in das Lumen abgegeben, und damit die Verdauung eingeleitet
Sekretionsvolumina. Insgesamt erreicht das Volumen täg-
lich sezernierter Flüssigkeit etwa 8 Liter (. Abb. 7.4, . Tab. 7.6). Die Sekrete sind für eine normale Verdauung und Absorption von Nahrungsbestandteilen erforderlich. Sekretionsmechanismen. Die meisten Sekrete werden pri-
mär durch Cl--Sekretion gebildet (. Abb. 7.5). Dabei gelangt Cl- basolateral über einen Na+-K+-2 Cl--Cotransport in die Zelle und verlässt die Zelle über luminale Cl--Kanäle. Das durch den Na+-K+-2 Cl--Cotransport in die Zelle aufgenommene Na+ wird über eine basolatrale Na+/K+-ATPase wieder zurückgepumpt. Das über Na+-K+-2 Cl--Cotrans-
. Abb. 7.4. Sekretion (links, blau) und Absorption (rechts, rot) sowie Verweildauer (grün) in den einzelnen Abschnitten des Gastrointestinaltraktes
7
164
Kapitel 7 · Ernährung, Verdauungstrakt, Leber
. Tab. 7.6. Mittlere Konzentrationen (mmol/l) von Elektrolyten in gastrointestinalen Sekreten und Stuhlwasser (die Werte unterliegen großen Schwankungen) Ion
Speichel
+
Pankreassaft
Lebergalle
Darmsekrete
Stuhlwasser
Na
80
60
140
140
120
30
K+
20
20
5
5
5
70
1,5
2
1,5
70
Ca2+
1,5
1,5
-
40
100
60
90
100
10
HCO 3–
60
–
70
40
30
–
Cl
7
Magensaft
pH
7,8
2
7,8
7,7
7,5
–
Volumen (l/24 h)
1
2
1
1
3
0,2
port und Na+/K+-ATase in die Zelle gelangte K+ verlässt die Zelle wieder über basolaterale K+-Kanäle. Die Diffusion von Cl- über die luminale Membran und von K+ über die basolaterale Membran erzeugt ein lumennegatives transepitheliales Potenzial, das Na+ an den Zellen vorbei über die tight junctions in das Lumen treibt. Dem NaCl folgt dann osmotisch Wasser. In mehreren Verdauungsdrüsen gelangt das Primärsekret über Ausführungsgänge in das Darmlumen. Die Ausführungsgänge werden von Epithelzellen gebildet, die Volumen und Zusammensetzung des Primärsekrets durch weitere Transportprozesse modifizieren. Regulation der Sekretion. Die Sekretionstätigkeit wird durch das vegetative Nervensystem gesteuert. Darüber hinaus greift eine Reihe von gastrointestinalen Hormonen in die Regulation der gastrointestinalen Sekretion ein, wie in der Folge näher ausgeführt wird.
7.3.2
Mund, Rachen, Ösophagus
! Der Speichel weicht Speisen auf, leitet die Kohlehydratverdauung ein, remineralisiert die Zähne und wirkt antibakteriell
Bedeutung des Mundspeichels. Durch die Flüssigkeit und
den Schleim des Speichels werden aufgenommene Nahrungsbestandteile aufgeweicht und für den Schluckvorgang geschmeidig gemacht. Das kohlenhydratverdauende Enzym α-Amylase erlaubt bereits im Mund den Beginn der Kohlehydratverdauung (. Tab. 7.7). Der Speichel enthält einige Bestandteile der Immunabwehr (v. a. Immunglobulin A, Lysozym, Rhodanidionen, 7 Kap. 2.5). Der hohe Bikarbonatgehalt des Speichels schützt die Zähne vor Entmi-
. Abb. 7.5. Speichelsekretion
165 7.3 · Sekretion
. Tab. 7.7. Verdauungsenzyme Enzym
Lokalisation
α-Amylase
Parotis, Pankreas, Darm
Mangelsymptome
Darmepithel
α-Glukosidase (Maltase)
Darmepithel
β-Galaktosidase (Laktase)
Darmepithel
Laktoseintoleranz
β-Fruktosidase (Saccharase)
Darmepithel
Saccharoseintoleranz
Isomaltoseintoleranz
Endopeptidasen Hauptzellen, Magen
Trypsin, Chymotrypsin (A, B, C)
Pankreas
Elastase (Pankreatopeptidase)
Pankreas
Enterokinase (Enteropeptidase)
Darmepithel
Pankreas
Leucinaminopeptidase
Gallenwegs-, Darmepithel
Darmepithel
(Kallikrein A, B
Pankreas)
Eiweißmangel
Fettspaltende Enzyme Lipase (Triacylglycerinlipase), Colipase
Pankreas
Phospholipase A, B
Pankreas
Sterinesterhydrolase
Pankreas
derjenigen des Extrazellulärraums, d. h. der Primärspeichel weist hohe Na+-und Cl--Konzentrationen auf. Entlang der Drüsengänge werden nun Na+ und Cl- resorbiert und HCO–3 sezerniert (7 Kap. 7.5). Die Drüsengänge sind wenig wasserpermeabel, sodass NaCl also resorbiert wird, ohne dass Wasser folgen kann. Am Ende der Drüsenausführungsgänge tritt somit bei mittlerer Sekretionsrate ein kochsalzarmer, hypotoner, HCO–3-reicher Speichel aus. Bei Zunahme der Sekretionsrate steigen Na+-Konzentration und Osmolarität an (. Abb. 7.5). Regulation durch das vegetative Nervensystem. Sowohl
Sonstige Peptidasen Dipeptidasen, Tripeptidasen
7 Kap. 7.3.1). Seine Elektrolytzusammensetzung entspricht
Eiweißmangel
Exopeptidasen Karboxypeptidasen (A, B)
Transportmechanismen. Der Primärspeichel wird in
den Azini der Speicheldrüsen gebildet (Mechanismen
Oligo-1,6-Glukosidase (Isomaltase)
Pepsine (A, B, C)
linguales durch den Gehalt an Glykosaminoglykanen (Schleim) zähflüssig.
Fettstühle
Sympathikus als auch Parasympathikus können die Speichelsekretion stimulieren. Unter dem Einfluss des Parasympathikus (Acetylcholin) werden große Mengen dünnflüssigen Speichels sezerniert. Der Sympathikus (Noradrenalin) stimuliert die Sekretion von zähflüssigem, stark schleimhaltigem Speichel. Bei längerer Sympathikuswirkung versiegt die Speichelsekretion völlig. Über Aktivierung des Parasympathikus stimulieren 4 appetitliche Düfte, 4 Erregung von Geschmacksrezeptoren, 4 die visuelle Wahrnehmung oder 4 auch nur die Vorstellung von Essbarem bzw. die Erwartung der Nahrungszufuhr die Speichelsekretion.
7.3.3
Sonstige Enzyme Ribonukleasen (A D)
Pankreas
Desoxyribonukleasen (A D)
Pankreas
Magen
! Im Magen werden Salzsäure, Pepsinogen, Intrinsic Factor und Schleim sezerniert
Salzsäuresekretion im Magen. Im Magen werden durch die
neralisierung (7 Kap. 9.1.6). Verschlucken des alkalischen Speichels neutralisiert ferner Säure, welche aus dem Magen in den Ösophagus gelangt ist (7 Kap. 7.3.3). Speicheldrüsen. Der Speichel wird von den jeweils paari-
gen Glandulae parotides, submandibulares und sublinguales sezerniert. Dabei ist der Speichel der Parotiden dünnflüssig, der Speichel der Glandulae submandibulares und in noch stärkerem Ausmaß der Speichel der Glandulae sub-
Belegzellen Salzsäure, und durch die Hauptzellen Pepsinogen, die inaktive Vorstufe des für die Proteinverdauung wichtigen Enzyms Pepsin (. Tab. 7.7) sezerniert. Der zelluläre Mechanismus der Salzsäuresekretion ist in . Abb. 7.6 dargestellt. Die Belegzelle ist in der Lage, nahezu isotone Salzsäure zu sezernieren. Im Magenlumen wird ein pH von etwa 2 erreicht. Durch das saure Magenlumen werden etwa aufgenommene Erreger vernichtet und Nahrungsbestandteile angegriffen. Zudem werden im sauren Magenmilieu
7
166
Kapitel 7 · Ernährung, Verdauungstrakt, Leber
7 . Abb. 7.6. Salzsäuresekretion im Magen. Zelluläre Mechanismen (links, Ca = Karboanhydrase), Zusammensetzung des Magensaftes in Abhängigkeit von der Sekretionsrate (rechts)
Nahrungsproteine denaturiert und Pepsinogen zu Pepsin aktiviert, ein Enzym, das seine höchste Aktivität in saurem Milieu erzielt. Regulation der H+-Sekretion im Magen. Die Salzsäuresekre-
tion wird durch den Parasympathikus (Acetylcholin) und durch Gastrin stimuliert (. Tab. 7.5). Gastrin wird in G-Zellen der Magenwand gebildet. Seine Ausschüttung wird u. a. durch den Parasympathikus (Vagus) stimuliert. Dabei ist der parasympathische Transmitter nicht Acetylcholin, sondern vermutlich ein Peptid (gastrin releasing peptide). Die Wirkung beider Mediatoren wird durch Histamin (über H2Rezeptoren) aus (enterochromaffine like) ECL-Zellen in der Magenwand potenziert. Therapeutische Hemmung der Histaminwirkung durch H2-Antagonisten (z. B. Cimetidin) bringt die gastrale HCl-Sekretion zum Erliegen. Wie die Speichelsekretion wird auch die Gastrin- und Salzsäuresekretion über den Parasympathikus stimuliert. Die Sekretion kann durch sensorische Einflüsse, Vorstellungen von Essbarem bzw. Erwartung von Nahrungszufuhr stimuliert werden (kephalische Phase). Nach Zufuhr der Nahrung kann die Sekretion durch Magendehnung und bestimmte Nahrungsbestandteile, wie Oligopeptide und Aminosäuren (über Gastrinsekretion, . Abb. 7.7) oder Kaffee (auch koffeinfrei), Kalzium, Alko-
hol, Wein und Bier (auch alkoholfrei) stimuliert werden (gastrale Phase). Nach Übertritt von Mageninhalt kommt es zu einer Ansäuerung des Duodenallumens. Der pH-Abfall stimuliert die Ausschüttung von Sekretin aus S-Zellen des Duodenums. Sekretin hemmt einerseits die Gastrinsekretion im Magen und stimuliert andererseits die Sekretion von HCO–3 -reichem Pankreassaft, der den Inhalt des Duodenum neutralisiert (intestinale Phase). Neben Sekretin werden im Darm einige weitere Mediatoren gebildet, welche die Sekretion im Magen hemmen, v. a. gastric inhibitory polypeptide (GIP), Cholecystokinin (CCK), Peptid YY, und Neurotensin (. Tab. 7.5). Intrinsic Factor. Die Belegzellen des Magens sezernieren ferner den Intrinsic Factor, ein Glykoprotein, das für die Absorption von Vitamin B12 im Ileum erforderlich ist. Pepsinogensekretion. In den Hauptzellen des Magens wird
Pepsinogen sezerniert, eine Gruppe von Proteasen, die nach Aktivierung durch den sauren luminalen pH die Eiweißverdauung einleiten. Schleimsekretion. Oberflächenzellen und Nebenzellen
des Magens sezernieren einen Schleim, den sie durch
167 7.3 · Sekretion
Ulkuskrankheit. Die Aggressivität der Salzsäure beschränkt
sich nicht nur auf Nahrungsbestandteile, sondern greift auch körpereigene Substanz an. Bei herabgesetzter Sekretion von schützendem Schleim im Magen oder bei übermäßigem Übertritt von saurem Mageninhalt in das ungeschützte Duodenum »brennt« die Salzsäure mit Pepsin Löcher in die Magen- bzw. Darmwand. Neben ihrer Wirkung auf die Schleimsekretion hemmen Postaglandine die H+-Sekretion und bewirken eine Vasodilatation. Hemmung der Prostaglandinsynthese durch Pharmaka (nichtsteroidale antientzündliche Pharmaka) oder durch Kortisol (7 Kap. 21.10) mindert den Schutz und begünstigt die Entwicklung von Magenulzera. Bei Infektion mit dem Erreger Helicobacter pylori werden nicht nur die protektiven Mechanismen geschwächt, sondern auch die Gastrinsekretion stimuliert. Ca2+ aktiviert über einen Ca2+-Rezeptor die Sekretion von Gastrin. Gleichzeitig hemmt Ca2+ über den gleichen Rezeptor die HCO–3-Sekretion im Pankreas. Hyperkalzämie führt daher gleichfalls häufig zur Ulkuskrankheit. Schließlich begünstigen Alkoholkonsum und Rauchen über eine Stimulation der H+-Sekretion und Schwächung der protektiven Mechanismen die Entwicklung von Ulzera. Eine Schädigung der Magenwand führt nicht nur zur Ulkuskrankheit, sondern zerstört auch die Zellen, welche den Intrinsic Factor sezernieren. Folge kann ein Mangel an Vitamin B12 sein. Behandlung von peptischen Ulzera. Die Ulkus-Krankheit
. Abb. 7.7. Regulation der Salzsäuresekretion im Magen. Die Salzsäuresekretion in den Belegzellen (B) wird durch Gastrin aus den G-Zellen des Magens, Histamin (H) aus den »enterochromaffin-like cells« (ECL) und durch Acetylcholin aus den Nervenendigungen des Vagus (X) stimuliert, sowie durch Somatostatin aus den D-Zellen gehemmt. Die Gastrinausschüttung wird u. a. durch gastrin releasing peptide (GRP) aus den Nervenendigungen des Nervus vagus stimuliert. Eine Zunahme der H+-Konzentration hemmt im Magen die Gastrinausschüttung, und stimuliert im Duodenum die Sekretinausschüttung. Sekretin hemmt die H+-Sekretion im Magen und stimuliert die HCO3– -Sekretion im Pankreas
HCO3–-Sekretion alkalisch halten und der damit die Oberfläche des Magens vor der aggressiven Wirkung des sauren pH und vor Pepsin schützt. Die Sekretion der Nebenzellen wird durch Prostaglandine stimuliert, die somit eine protektive Wirkung auf die Magenschleimhaut ausüben.
kann durch Hemmer der K+/H+-ATPase oder durch H2Rezeptoren-Blocker wirkungsvoll behandelt werden. Eine Infektion mit Helicobacter pylori kann mit Antibiotika bekämpft werden.
7.3.4
Pankreas
! Der Pankreassaft dient der Neutralisierung des Darmlumens und enthält eine Vielzahl von Verdauungsenzymen
Pankreassaft. Der Pankreassaft erlaubt einerseits die Neutralisierung des aus dem Magen in das Duodenum gelangten sauren Nahrungsbreis (. Abb. 7.8) und enthält andererseits eine Vielzahl von Verdauungsenzymen (. Tab. 7.7). Die Bikarbonatsekretion ist eine Leistung der Schaltzellen des Pankreasganges, die HCO–3 im Austausch gegen Cl- in das Lumen sezernieren. Der HCO–3-Gehalt steigt mit dem sezernierten Volumen des Pankreassaftes, da Sekretin
7
168
Kapitel 7 · Ernährung, Verdauungstrakt, Leber
pholipase A werden als inaktive Proenzyme sezerniert. Damit soll eine Selbstverdauung des Pankreas bei Rückstau von Pankreassaft vermieden werden. Dennoch kommt es nicht selten zu einer vorzeitigen proteolytischen Aktivierung der Enzyme und damit zu einer Zerstörung des Pankreasgewebes (akute Pankreatitis). Regulation der Pankreassaftsekretion. Die Sekretion elektrolytreichen Pankreassaftes wird durch Sekretin stimuliert, die Sekretion von Enzymen durch Cholecystokinin (CCK, . Tab. 7.5). CCK wird aus CCK-Zellen des Duodenum und Jejunum freigesetzt. Die Sekretion von CCK wird u. a. durch kurze Fettsäuren, Glukose, Aminosäuren und Ca2+ stimuliert. Die Sekretion von Flüssigkeit und Enzymen des Pankreas wird ferner durch den Parasympathikus (Acetylcholin) stimuliert (kephalische Phase). Die Pankreassekretion wird durch Somatostatin, Pankreatisches Polypeptid, und Enteroglukagon gehemmt.
7
Oddi-Sphinkter. Der Pankreasgang mündet gemeinsam
mit dem Gallengang im Duodenum. Die Öffnung kann durch den Oddi-Sphinkter verschlossen werden, wodurch ein Reflux von Darminhalt verhindert werden soll. Inadäquate Kontraktion des Sphinkters kann freilich einen Rückstau von Galle und Pankreassaft zur Folge haben.
7.3.5
Leber und Galle
! Die Leber ist die größte Drüse des Körpers. Die Hepatozyten bilden Galle, die der Fettabsorption und der Ausscheidung dient. Noch wichtiger sind jedoch die vielen Stoffwechselleistungen der Leber
. Abb. 7.8. Sekretion von Pankreassaft. Zelluläre Mechanismen der Sekretion in den Azinuszellen (oben) und des Transports in den Gangzellen (Mitte), Zusammensetzung des Pankreassaftes in Abhängigkeit von der Flussrate (unten)
gleichzeitig die Bikarbonat- und Flüssigkeitssekretion stimuliert. Im Gegensatz zum Mundspeichel ist der Pankreassaft immer isoton (. Abb. 7.8). Die Enzymsekretion ist eine Leistung der Azinuszellen des Pankreas. Die peptidspaltenden Enzyme und die Phos-
Galle. Die Galle enthält mit den, aus Cholesterin synthetisierten, Gallensäuren Emulgatoren, welche Lipide im Darminhalt in Lösung bringen können. Die Gallensäuren sind amphipathisch, d. h. sie haben wasser- und lipidlösliche Anteile. Sie bilden Mizellen, an deren Oberfläche die Gallensäuren mit ihrem wasserlöslichen Anteil in die wässrige Lösung tauchen und mit ihrem lipidlöslichen Anteil innen einen lipophilen Mantel um die emulgierten Lipide bilden. Damit können die hydrophilen lipidspaltenden Enzyme die Lipide besser angreifen. Bei Mangel an Gallensäuren ist die Lipidabsorption gestört. Die Gallensäuren werden im Ileum wieder sekundär aktiv absorbiert (. Tab. 7.8) und stehen damit erneut in der Leber zur Sekretion bereit (enterohepatischer Kreislauf
169 7.3 · Sekretion
der Gallensäuren). Weitere organische Bestandteile der Galle sind 4 Cholesterin 4 Phospholipide 4 Pharmaka und sonstige körperfremde Stoffe (Xenobiotica) 4 Steroide 4 Gallenfarbstoffe (Abbauprodukte des Häms aus Hämoglobin) Die Substanzen werden teilweise zuvor durch Oxidierung und Koppelung an Glukuronsäure (Biotransformation)
wasserlöslich gemacht, sodass sie nicht mehr aus den Gallenwegen oder dem Darmlumen zurückdiffundieren können. Die Elektrolytzusammensetzung der Galle geht aus . Tab. 7.6 hervor. Die Galle (. Tab. 7.6) wird von Hepatozyten über primär aktiven Transport in die Gallenkanalikuli sezerniert, Hohlräume, die von zwei benachbarten Hepatozyten gebildet werden. Durch die Sekretion negativ geladener Gallensäuren und von Bikarbonat in die Kanalikuli wird das Lumen negativ. Na+ folgt an den Zellen vorbei (parazellulär) dem elektrischen und Wasser dem osmotischen Gradienten. Die Galle der Kanalikuli wird in den Gallengän-
. Tab. 7.8. Resorption von Nahrungsbestandteilen Substanz
Hauptsächlicher Resorptionsort
Resorptionsmechanismus
Glukose
Duodenum
sekundär aktiv
Galaktose
Jejunum
sekundär aktiv
Fruktose
Jejunum
Passiv
Isolierte Transportdefekte
Folgen Diarrhö, Dehydration
Glukose-Galaktose Malabsorption
neutrale Aminosäuren
Jejunum
sekundär aktiv
Hartnup-Krankheit
Störungen des ZNS
Tryptophan
Jejunum
sekundär aktiv
Tryptophanmalabsorption
Wachstumsstörungen
Methionin
Jejunum
sekundär aktiv
Methioninmalabsorption
Störungen des ZNS
Cystin
Jejunum
tertiär aktiv
Cystinurie
Nephrolithiasis
Glyzin, (Hydroxy-)Prolin
Jejunum
sekundär aktiv
Iminoglyzinurie
meist symptomlos
Basische Aminosäuren
Jejunum
tertiär aktiv
familiäre Proteinintoleranz
Diarrhö
Saure Aminosäuren
Jejunum
sekundär aktiv
Lipide inkl. fettlösl. Vitamine (ADEK)
Duodenum bis Ileum
Passiv
Morbus Whipple
Fettstühle, Vitaminmangel
Gallensäuren
Ileum
Aktiv Mangel an Intrinsic factor
Anämie, Myelose
Chloridorrhö
Diarrhö, Alkalose
Vitamin-D-Mangel
Osteomalazie
Vitamin B12
Ileum
Aktiv
Aneurin
Jejunum
Aktiv
Folsäure
Jejunum
Aktiv
Natrium
gesamter Darm
Aktiv
Chlorid
gesamter Darm
Passiv
Wasser
gesamter Darm
Osmotisch
Kalzium
Duodenum
aktiv, passiv
Phosphat
Dünndarm
sekundär aktiv
Vitamin-D-Mangel
Osteomalazie
Eisen
Dünndarm
sekundär aktiv
Gastroferrinmangel
Anämie
Derjenige Resorptionsort ist angegeben, welcher unter normalen Bedingungen die Masse der jeweiligen Substanz resorbiert. Bei entsprechendem Angebot können auch die distaleren Darmabschnitte (z. B. Ileum für Jejunum) in die Resorption einbezogen werden, d. h. der Dünndarm verfügt über eine erhebliche funktionelle Reserve
7
170
Kapitel 7 · Ernährung, Verdauungstrakt, Leber
gen gesammelt, die sich schließlich zum Ductus choledochus vereinen. Über den Ductus cysticus steht der Ductus choledochus mit der Gallenblase in Verbindung, deren Epithel die Galle bis auf das 8-fache eindicken kann. Auch das Epithel der Gallengänge kann die Gallenzusammensetzung modifizieren. Cholecystokinin (CCK) stimuliert die Kontraktion der Gallenblase, bewirkt eine Erschlaffung des Oddi-Sphinkters und stimuliert damit die Entleerung von Galle in den Darm.
die Niere ausgeschieden werden. Zu den glukuronierten Substanzen zählt auch Bilirubin, das beim Abbau von Häm entsteht. Bei herabgesetzter Leberfunktion (Leberinsuffizienz) steigen die Bilirubinkonzentrationen in Blut und Gewebe und der Patient wird gelb (Ikterus). Weitere spezifische Stoffwechselleistungen. Die Leber be-
werkstelligt u. a. den Fruktoseabbau und -umbau in Glukose, Galaktoseumbau in Glukose, sowie den Abbau von Cholesterin zu Gallensäuren.
! Die Leber ist zentrales Stoffwechselorgan
Energiestoffwechsel. Die Leber spielt eine zentrale Rolle
7
im Energiestoffwechsel (. Tab. 7.9). Die Leberzellen speichern Glykogen. Bei Hypoglykämie bauen sie das gespeicherte Glykogen ab und geben die freiwerdende Glukose in das Blut ab (andere Glykogenspeichernde Zellen, wie die Glia- oder Skelettmuskelzellen, verwenden die Glukose für den eigenen Stoffwechsel und geben bestenfalls Laktat ab). Die Leberzellen bilden aus Laktat und einer Reihe von Aminosäuren Glukose (Glukoneogenese). Die meisten Aminosäuren werden letztlich in der Leber abgebaut. Ausnahme sind die verzweigtkettigen Aminosäuren (Valin, Leucin, Isoleucin). Die Leber bildet aus Fettsäuren Azetazetat und β-Hydroxybutyrat (Ketonkörper), potentielle Substrate für das Gehirn (im Hungerzustand), das keine Fettsäuren zur Energiegewinnung heranziehen kann. Plasmaproteinsynthese. In der Leber werden die meisten Plasmaproteine gebildet, wie etwa die Gerinnungsfaktoren (7 Kap. 2.4.2), die Lipoproteine und Transferrin (7 Kap. 2.3.3).
Eisenspeicherung. Schließlich speichert die Leber Eisen und ist im fetalen Organismus zur Erythropoiese befähigt.
7.3.6
Dünn- und Dickdarmsekrete, Stuhl, Darmflora
! Im Dünn- und Dickdarm werden Na+, K+, Cl-, HCO3– und Schleim sezerniert
Dünn- und Dickdarmdarmsekretion. Die Brunner-Drüsen in der Duodenalwand sezernieren enzym- und bikarbonatreiches wässriges Sekret. Becherzellen in der Darmschleimhaut sezernieren andererseits Glykosaminoglykane (Schleim). In den Krypten des Dünn- und Dickdarmepithels wird schließlich NaCl und KCl sezerniert, wobei die K+-Sekretion durch luminale K+-Kanäle bewerkstelligt wird. Die NaCl-Sekretion geschieht über die gleichen Mechanismen wie bei der Sekretion von primärem Pankreassaft (. Abb. 7.8), die HCO–3-Sekretion durch luminale Cl-/ HCO–3-Austauscher. Regulation der Sekretion. Die Cl--Kanäle und damit die
Harnstoff-undGlutaminsynthese. Durch die Harnstoffsyn-
these entgiftet die Leber das toxische Ammoniak, das beim Abbau von Aminosäuren entsteht. Die Leber kann auch Glutamin bilden, das in der Niere zur NH4+-Produktion verwendet wird. Über die Harnstoff- bzw. Glutaminsynthese beeinflusst die Leber den Säure-Basen-Haushalt (7 Kap. 5.10.3). Biotransformation. Über die Stoffwechselwege der Biotransformation verändert die Leber körpereigene (z. B. Häm) und körperfremde Substanzen (Xenobiotika, z. B. Pharmaka). Unter anderem werden die Substanzen oxidiert und an Glukuronsäure gekoppelt (Konjugation). Sie werden dadurch wasserlöslich und können über die Galle und
NaCl-Sekretion werden u. a. durch VIP stimuliert. VIP wirkt über Aktivierung der Adenylatzyklase und damit Bildung von cAMP. Choleratoxin stimuliert gleichfalls die Adenylatzyklase und imitiert damit die Wirkung von VIP. Die bei Cholera massiv gesteigerte NaCl-Sekretion verursacht die wässrigen Durchfälle. Auch VIP-produzierende Tumore lösen massive Durchfälle aus. ! Der Dickdarm ist von Bakterien dicht besiedelt. Der Stuhl besteht zu einem großen Teil aus Bakterien
Darmflora. Magen und Dünndarm sind nur dünn mit Bak-
terien besiedelt. Im Dickdarm erreicht die Bakterienkonzentration jedoch bis zu 1012/ml. Es überwiegen Bakterien,
171 7.3 · Sekretion
. Tab. 7.9. Aufgaben der Leber Aufgabe
Störung bei Leberzellschädigung (Leberinsuffizienz)
Kohlenhydratstoffwechsel Glykogenaufbau
Hyperglykämie
Glukosebildung aus Glykogen, Glukoneogenese aus Aminosäuren und Milchsäure
Hypoglykämie, Aminoazidämie, Laktazidämie
Fruktoseumbau in Glukose
Fruktosurie, Hypoglykämie
Galaktoseumbau in Glukose
Galaktosämie
Bildung von Plasmaproteinen Albumin
Ödeme
Gerinnungsfaktoren
Blutungsneigung
Transferrin
verminderte Eisenbindungskapazität
Lipoproteine
Hypolipidämie, Organverfettung
LCAT (Lecithin-Cholesterin-Acyltransferase)
Organverfettung, Abnahme der Cholesterinester im Plasma
Plasmacholinesterase
Überempfindlichkeit gegen Succinylcholin
Aminosäurenstoffwechsel Harnstoffsynthese
Hyperammoniämie
Abbau von Aminosäuren, Regulation,der Plasmakonzentration,von Aminosäuren
Anstieg der meisten Aminosäuren und ihrer Abbauzwischenprodukte, Abfall von Leu, Ileu, Val im Plasma, dadurch Beeinflussung der Synthese von Neurotransmittern
Fettstoffwechsel (Lipoproteine und LCAT s. o.) Auf- und Abbau von Fettsäuren,Triglyceriden, Phospholipiden und Cholesterin
Hypolipidämie, Hyperlipidazidämie
Bildung von Azetazetat und β-Hydroxybutyrat
stärkere Abhängigkeit vor allem des Gehirns von Glukose
Bildung und Ausscheidung von Gallensäuren aus Cholesterin
Störung der Resorption von Fetten und fettlöslichen Vitaminen (K!)
Biotransformation Konjugierung von Bilirubin Inaktivierung von Hormonen
Hyperbilirubinämie, stärkere Empfindlichkeit gegen Pharmaka, verzögerter Abbau von Sexualhormonen, Kortikoiden, Schilddrüsenhormonen
Sonstiges Eisenspeicherung
die anaerob Energie gewinnen. Sie bauen unverdauliche Zellulose (Ballaststoffe) zu kurzkettigen Fettsäuren (Butter-, Propion- und Essigsäure) ab, die vom Darmepithel aufgenommen und verbrannt werden. Die Aufnahme der kurzkettigen Fettsäuren hemmt wahrscheinlich die Zellproliferation und damit die Entwicklung von Colonkarzinom. Die Bakterien bilden ferner CH4, H2, NH3, H2S und Methylsulfide (Darmgase). Darmbakterien bilden ferner Vitamin K und Biotin, die vom Darmepithel absorbiert werden.
Anstieg des Serumeisens
Stuhl. Von den Bakterien nicht abgebaute Ballaststoffe
und nicht absorbierte Fette werden mit dem Stuhl ausgeschieden. Der Stuhl enthält ferner Schleim. Er besteht zu 75% aus Wasser. Das Stuhlwasser enthält hohe Konzentrationen an K+, Ca2+ und Phosphat. Etwa ein Drittel der festen Bestandteile des Stuhls sind Bakterien. Das Stuhlvolumen beträgt normalerweise etwas mehr als 100 ml. Die Stuhlfarbe wird im Wesentlichen durch die Gallenfarbstoffe geprägt.
7
172
Kapitel 7 · Ernährung, Verdauungstrakt, Leber
In Kürze
Sekretion Grundlagen 4 Sekretionsvolumina ≈8 Liter (Mund 1, Magen 2,5, Leber 0,5, Pankreas 1, Darm 3) 4 Transportmechanismen: Luminal Cl--Kanäle, basolateral Na+-K+-2 Cl--Cotransport, Na+/K+-ATPase, K+-Kanäle, tight junctions Na+, osmotisch Wasser. Modifikation durch Ausführungsgänge 4 Regulation: Vegetatives Nervensystem, gastrointestinale Hormone
7
Mund, Rachen, Ösophagus 4 Bedeutung Mundspeichel: Aufweichung, kohlenhydratverdauendes Enzym α-Amylase, Immunglobulin A, Lysozym, Rhodanidionen, Bikarbonatgehalt o Schutz Zähne, Ösophagus 4 Speicheldrüsen = Glandulae parotides, submandibulares und sublinguales 4 Zusammensetzung: Kochsalzarm, hypoton, HCO3– -reich 4 Regulation: appetitliche Düfte, Geschmacksrezeptoren, visuelle Wahrnehmung, Vorstellung o Parasympathikus (Acetylcholin) o große Mengen dünnflüssigen Speichels; Sympathikus (Noradrenalin) o zähflüssiger, stark schleimhaltiger Speichel Magen 4 Sekrete: Belegzellen o Salzsäure, Intrinsic Factor; Hauptzellen o Pepsinogen; Oberflächenzellen, Nebenzellen o Schleim 4 H+-Sekretion: Luminal K+/H+-ATPase, K+-Kanal, Cl--Kanal, basolateral Cl-/HCO3– -Austauscher 4 Funktion HCl: Vernichtung von Erregern, Denaturierung Proteine, Aktivierung Pepsinogen zu Pepsin 4 Regulatoren HCl: Parasympathikus (Acetylcholin, GRP, kephalisch Phase); Gastrin aus G-Zellen (gastrische Phase), Histamin aus ECl-Zellen (H2-Rezeptoren), Hemmung durch Sekretin aus S-Zellen (intestinale Phase), gastric inhibitory polypeptide (GIP), Cholecystokinin (CCK), Peptid YY, Neurotensin 4 Ursachen Ulkuskrankheit: Hemmung Prostaglandinsynthese (Cycloxygenasehemmer, Kortisol) [o Vasodilatation p, Schleimbildung p, HCl-Sekretion n]; Helicobacter pylori [o protektive Mechanismen p, Gastrinsekretion n]; Ca2+ [o Ca2+-Rezeptor o Gastrin n, HCO3– -Sekretion Pankreas p]; Alkohol, Rauchen [o H+-Sekretion n, protektive Mechanismen p]
4 Behandlung: K+/H+-ATPase-Hemmer, H2-RezeptorenBlocker, Antibiotika Pankreas 4 Bedeutung Pankreassaft: Neutralisierung Darmlumen, Verdauungsenzyme (. Tab. 7.7). 4 Regulation: pH p o Sekretin n o elektrolytreicher Pankreassaft n; Kurze Fettsäuren, Glukose, Aminosäuren, Ca2+ o Cholecystokinin n o Enzyme; Kephalische Phase o Parasympathikus (Acetylcholin) n o Elektrolyte + Enzyme n; Somatostatin, Pankreatisches Polypeptid, Enteroglukagon o Pankreassekretion p Leber und Galle 4 Bestandteile Galle: Gallensäuren (=Emulgatoren für Lipide), Cholesterin, Phospholipide, biotransformierte Xenobiotica, Gallenfarbstoffe (Abbauprodukte Häm) 4 Sekretion: Primär aktiver Transport Gallensäuren; Na+ parazellulär, Wasser osmotisch 4 Gallengänge: Gallenkanalikuli o Gallengänge o Ductus choledochus o (Ductus cysticus o Gallenblase) 4 Regulation: Cholecystokinin (CCK) o Kontraktion Gallenblase, Erschlaffung Oddi-Sphinkter o Entleerung Galle in Darm 4 Leberstoffwechsel: Glykogenspeicherung, Glukoneogenese (aus Laktat, Aminosäuren), Aminosäureabbau (Ausnahme Valin, Leucin, Isoleucin), Azetazetat+ β-Hydroxybutyrat-Bildung, Plasmaproteinsynthese, Harnstoff- und Glutaminsynthese (Regulation SäureBasen-Haushalt), Biotransformation, Fruktoseabbau und –umbau, Galaktoseumbau in Glukose, Cholesterinabbau, Eisenspeicherung, beim Feten Erythropoiese Dünn- und Dickdarmsekrete, Stuhl, Darmflora 4 Sekrete: Enzyme, Bikarbonat (Brunner-Drüsen), Schleim (Becherzellen) NaCl, KCl (Krypten) 4 (Dys)regulation: VIP, Choleratoxin o Adenylatzyklase n o Cl--Kanäle n o NaCl-Sekretion n 4 Darmflora: Dickdarm Bakterienkonzentration bis zu 1012/ml o Zelluloseabbau o kurzkettige Fettsäuren (Butter-, Propion- und Essigsäure) o Zellproliferation p o Colonkarzinome p; Bakterien o CH4, H2, NH3, H2S und Methylsulfide (Darmgase), Vitamin K, Biotin 4 Stuhl: Ballaststoffe, nicht absorbierte Fette, Schleim, Wasser, K+, Ca2+, Phosphat, Bakterien, Gallenfarbstoffe
173 7.4 · Aufschluss der Nahrung
7.4
Aufschluss der Nahrung
7.4.2
7.4.1
Kohlenhydrate
! Proteine werden durch Proteasen und Peptidasen zu einzelnen Aminosäuren, Tri- und Dipeptiden abgebaut
! Kohlenhydrate werden durch Amylasen in Oligosaccharide und durch Disaccharidasen in Monomere gespalten
Amylase. Die mit der Nahrung aufgenommene Stärke wird
durch α-Amylase aus dem Speichel, dem Pankreassaft und den Brunner-Drüsen des Darmes aufgespalten (. Tab. 7.7 und . Abb. 7.9). Das Enzym kann nur 1,4-glykosidische Verbindungen spalten, nicht jedoch 1,6-glykosidische Verbindungen oder 1,4-glykosidische Verbindungen in unmittelbarer Nachbarschaft von 1,6-glykosidischen Verbindungen. Abbauprodukte der α-Amylase sind das Disaccharid Maltose, das Trisaccharid Maltotriose und Oligosaccharide (Grenzdextrine). Disaccharidasen. Disaccharide werden durch Bürsten-
saum-Enzyme (Maltase, α-Dextrinase, Saccharase und Laktase) des Darmepithels in die absorbierbaren Monosaccharide gespalten.
. Abb. 7.9. Verdauung von Kohlenhydraten, Fetten und Proteinen
Proteine
Proteasen. Die mit der Nahrung aufgenommenen Pro-
teine werden durch das im Magen gebildete Pepsin und durch die im Pankreas gebildeten Enzyme Trypsin, Chymotrypsin, Elastase und Karboxypeptidasen gespalten (. Tab. 7.7 und . Abb. 7.9). Bis auf die Elastase werden die Enzyme zunächst in inaktiver Form sezerniert (Pepsinogen, Trypsinogen, Chymotrypsinogen und Prokarboxypeptidasen). Aktivierung. Pepsinogen wird durch das saure Magenmilieu aktiviert und das dabei entstehende Pepsin aktiviert dann weiteres Pepsinogen (Autokatalyse). Trypsinogen wird durch eine aus dem Darm stammende Enterokinase aktiviert, weiteres Trypsinogen, Chymotrypsinogen und die Prokarboxypeptidasen werden dann durch Trypsin und durch Autokatalyse aktiviert.
7
174
Kapitel 7 · Ernährung, Verdauungstrakt, Leber
Proteinabbau. Pepsin, Trypsin, Chymotrypsin und die Karboxypeptidasen bauen die Proteine zu Oligopeptiden ab, die durch enterale Oligopeptidasen, Peptidasen und Aminopeptidasen in einzelne Aminosäuren, Di- und Tripeptide aufgespalten werden.
7.4.3
Lipide
! Nahrungsfette müssen emulgiert werden, um abgebaut zu werden
Nahrungsfette. Durch die Nahrung aufgenommene Fette
7
sind überwiegend Triglyceride. Weitere Bestandteile sind Cholesterin, Cholesterinester, Phospholipide und Glykolipide. Die Fette sind in Wasser nicht löslich und fließen ohne Emulgierung zu großen Fetttröpfchen (etwa 100 nm) zusammen, die keine Spaltung und Absorption erlauben. Emulgierung. Durch die Gallensäuren werden die Fette in etwa 5 nm große Mizellen aufgelöst, wodurch die einzelnen
Fette dem Abbau und der Absorption zugänglich gemacht werden. Abbau. Die Spaltung von Tri(acyl)glyceriden wird vor
allem durch Lipasen (A, B) aus dem Pankreas bewerkstelligt (. Tab. 7.7 und . Abb. 7.9). Darüber hinaus wird noch von der Zunge (vorwiegend bei Säuglingen) und dem Darm Lipase abgegeben. In der Muttermilch ist ferner eine Lipase, welche bei der Fettverdauung des Neugeborenen mitwirkt. Die Lipasen spalten aus Triglyceriden einzelne Fettsäuren ab, wodurch freie Fettsäuren, Glycerin, Mono- und Diglyceride entstehen. Phospholipide werden durch Phospholipasen aus dem Pankreas (v. a. Phospholipase A2) zu absorbierbaren Lysophospholipiden abgebaut. Die Phospholipasen werden im Gegensatz zu den Lipasen in inaktiver Form in den Pankreassaft abgegeben und (normalerweise) erst im Darmlumen durch Gallensäuren (und Ca2+) aktiviert. Cholesterinester werden durch eine aus dem Pankreas stammende Cholesterinesterase gespalten, Glykolipide durch die Bürstensaumlaktase-Phlorizinhydrolase.
In Kürze
Aufschluss der Nahrung Kohlenhydrate 4 Amylase. (Speichel, Pankreassaft, Brunner-Drüsen) spaltet 1,4-glykosidische Verbindungen, Abbauprodukte Maltose, Maltotriose, Grenzdextrine 4 Disaccharidasen. Maltase, α-Dextrinase, Saccharase, Lactase (Bürstensaum) Proteine 4 Proteasen. Pepsin(ogen) (Magen), Trypsin(ogen), Chymotrypsin(ogen), Elastase, (Pro)karboxypeptidasen (Pankreas), Aktivierung durch H+ (Pepsinogen), Entero-
7.5
Absorption
7.5.1
Eigenschaften intestinaler Epithelien
! Die Oberfläche von Darmepithelien wird durch die Bildung von Falten, Zotten und Mikrovilli um etwa 600-fach vergrößert. In den Krypten wird sezerniert, an der Oberfläche absorbiert
kinase (Trypsinogen), Autokatalyse; Abbauprodukte Oligopeptide 4 Enterale Oligopeptidasen, Peptidasen, Aminopeptidasen o Aminosäuren, Di- und Tripeptide Lipide 4 Emulsion durch Gallensäuren 4 Spaltung. Triglyceride durch Lipasen (Pankreas, Zunge, Darm, Muttermilch), Phospholipide durch Phospholipasen (Pankreas), Cholesterinester durch Cholesterinesterase (Pankreas), Glykolipide durch Bürstensaumlaktase-Phlorizinhydrolase
Strukturelle Organisation enteralen Transports. Die enterale Absorption ist eine Aufgabe der Epithelzellen von Dünn- und Dickdarm. Durch die Bildung von Falten, Zotten und Mikrovilli wird die Oberfläche des Dünndarms um einen Faktor von etwa 600 auf 200 m2 vergrößert. Die Absorption findet an der Zottenoberfläche statt, während in den Krypten zwischen den Zotten hauptsächlich sezerniert wird. In den
175 7.5 · Absorption
Krypten werden durch Zellteilung ständig neue Epithelzellen gebildet, die zur Zottenspitze wandern und dort abgestoßen werden. Auf diese Weise wird das Dünndarmepithel alle 3–6 Tage erneuert. Während der Wanderung zur Zottenoberfläche wandeln sich die Zellen von sekretorischen in absorbierende Zellen um. Im Dickdarm wird die Oberfläche durch Haustren (7 Kap. 7.2), Krypten und Mikrovilli vergrößert. Auch im Dickdarm wird in den Krypten hauptsächlich sezerniert und an der Oberfläche absorbiert.
7.5.2
Monosaccharide, Aminosäuren, Oligopeptide
! Glukose, Galaktose und die meisten Aminosäuren werden Na+-gekoppelt absorbiert. Weitere Transportprozesse sind passive Monotransporter, Austauscher und H+-gekoppelte Transporter
Zucker. Glukose und Galaktose werden durch ein Na+-ge-
koppeltes Symportsystem (SGLT1) der Bürstensaummembran in die Zelle aufgenommen und verlassen die Zelle wieder über ein Na+-unabhängiges System (GLUT2) auf der Blutseite. Die Glukoseabsorption ist normalerweise im oberen Dünndarm abgeschlossen. Auch der Polyalkohol Inositol wird Na+-gekoppelt über die Bürstensaummembran transportiert. Fruktose wird hingegen durch einen passiven, Na+-unabhängigen Transport (GLUT5) in die Zelle aufgenommen. Aminosäuren und Peptide. Die Absorption von Aminosäuren wird durch mehrere parallele Na +-gekoppelte Transportsysteme unterschiedlicher Substratspezifität (. Tab. 7.8, . Abb. 7.10) und einen Aminosäureaustauscher bewerkstelligt. Der Austauscher profitiert von der zellulären Na+-gekoppelten Akkumulation von neutralen Aminosäuren, die als Austauschpartner den Transport von basischen Aminosäuren und Cystein treiben (»tertiär aktiver Transport«). Neben einzelnen Aminosäuren können auch Dipeptide und Tripeptide durch einen H+Peptidsymporter (PepT1) über die Bürstensaummembran aufgenommen werden. Innerhalb der Zelle werden sie dann abgebaut und als Aminosäuren ins Blut abgegeben.
. Abb. 7.10. Zelluläre Mechanismen der Absorption von NaCl und von Na+-gekoppelten organischen Substraten im Dünndarm
7.5.3
Lipide
! Triacylglycerine und Cholesterin werden im Darmepithel in Chylomikronen abgepackt. Gallensäuren durchlaufen einen enterohepatischen Kreislauf
Lipidabsorption. Glycerin, freie Fettsäuren und Monogly-
ceride können durch passive Transportprozesse (erleichterte Diffusion) in die Darmzelle aufgenommen werden. Darüber hinaus können kurze Fettsäuren, Hydroxysäuren und Ketosäuren über Na+-gekoppelten Transport in der Zelle akkumuliert werden. Triacylglycerinaufbau und -abtransport. In der Zelle werden wieder Triacylglyceride aufgebaut und innerhalb von Chylomikronen in die Lymphe des Dünndarms abgegeben. In den Chylomikronen vermitteln Apoproteine (ApoB48) an der Außenfläche den Transport der wasserunlöslichen Lipide, welche in der lipiden Phase im Zentrum akkumuliert werden. Gleichermaßen werden Lysophospholipide passiv in die Zelle aufgenommen, dort wieder zu Phospholipiden aufgebaut und in Chylomikronen eingebaut. Auch Cholesterin wird passiv in die Zelle aufgenommen, verestert und in Chylomikronen eingebaut. Enterohepatischer Kreislauf der Gallensäuren. Die Gallen-
säuren, die zur Emulgierung der Nahrungsfette erforderlich sind, werden am Ende des Ileum Na+-gekoppelt in die Zel-
7
176
Kapitel 7 · Ernährung, Verdauungstrakt, Leber
len aufgenommen und passiv ins Pfortaderblut abgegeben. Auf diese Weise stehen sie einer erneuten Sekretion in die Galle zur Verfügung.
7.5.4
Wasser und Elektrolyte
zur Blutseite transportiert. Die Na+-Absorption und K+-Sekretion im Dickdarm werden durch Aldosteron (7 Kap. 9.1.4) stimuliert, das die Kanäle und die ATPase aktiviert. Bei K+Mangel kann K+ auch durch eine luminale K+/H+-ATPase zellulär absorbiert werden. Calcium. Ca2+ kann sowohl passiv (tight junctions) als auch
! Das Darmepithel muss nicht nur die mit der Nahrung aufgenommen Elektrolyte, sondern auch die etwa 8 Liter täglich sezernierte isotone Flüssigkeit resorbieren. Dabei werden Ionen z. T. aktiv resorbiert und Wasser folgt osmotisch
Na+, K+, Cl-, H2O. Die Masse gastrointestinaler Absorption
7
wird durch den Dünndarm, d. h. Duodenum, Jejunum und Ileum bewerkstelligt. Im Dünndarm werden täglich etwa 8 Liter isotone Flüssigkeit absorbiert, zum größten Teil isotone Sekrete des Gastrointestinaltraktes (. Tab. 7.6). Darüber hinaus müssen oral zugeführte Elektrolyte, Mineralien und organische Nahrungsbestandteile absorbiert werden. In der Bürstensaummembran wird die zelluläre Aufnahme einer Reihe von Substraten durch Na+-gekoppelten Transport bewerkstelligt (. Tab. 7.8, . Abb. 7.10), wobei das steile elektrochemische Gefälle von Na+ in die Zelle die treibende Kraft liefert. Na+ gelangt auch über den Na+/H+Austauscher in die Zelle. Es wird an der basolateralen Membran durch die Na+/K+-ATPase wieder aus der Zelle gepumpt. Das dabei transportierte K+ verlässt die Zelle wieder über K+-Kanäle. Die K+-Kanäle sind im Wesentlichen für das Membranpotenzial verantwortlich. Die Na+-gekoppelten Transportprozesse hinterlassen ein (geringes) lumennegatives Potenzial, das Na+ durch tight junctions treibt. Ferner werden Elektrolyte (v. a. Na+ und K+, aber auch Cl-) über solvent drag durch die tight junctions getrieben. Der Wasserstrom folgt einem osmotischen Gradienten, der durch die zelluläre Na+-Absorption geschaffen wird. Die tight junctions sind im Duodenum sehr durchlässig (für Kationen mehr als für Anionen) und ermöglichen dort etwa 90% der Na+-Resorption. Zum Ileum nimmt die Permeabilität kontinuierlich ab und ist im Dickdarm sehr gering. Cl- wird zum Teil transzellulär über einen Cl-/HCO3–Austauscher absorbiert, HCO–3 als CO2, das im Darmlumen durch Sekretion von H+ gebildet wird. Im Dickdarm wird Na+ wie im Sammelrohr der Niere (7 Kap. 9.11) über Na+-Kanäle absorbiert. Die Depolarisation der luminalen Membran fördert die K+-Sekretion durch K+-Kanäle in dieser Membran. Zelluläres Na+ wird über eine basolaterale Na+/K+-ATPase im Austausch gegen K+
aktiv (transzellulär) absorbiert werden. An der luminalen Zellmembran tritt Ca2+ über einen Kationenkanal ein. An der basolateralen Membran wird Ca2+ durch eine Ca2+-ATPase und in geringem Umfang durch einen Na+/Ca2+-Austauscher aus der Zelle gepumpt. Für den transzellulären Ca2+-Transport sind zelluläre Bindungsproteine (Calbindin) bedeutsam, die als zelluläre Puffer bzw. Transportproteine wirken. Die transzelluläre Ca2+-Absorption wird durch Calcitriol (7 Kap. 9.1.6) stimuliert, das Ca2+-Einstrom, Bindungsproteine und Ca2+-ATPase-Aktivität steigert. Phosphat. Phosphat wird durch alkalische Phosphatase der
Bürstensaummembran aus organischen Verbindungen freigesetzt. Es wird Na+-gekoppelt in die Zelle aufgenommen. Der Transport wird durch Calcitriol stimuliert. Sulfat. Sulfat wird durch einen Na+-gekoppelten Transport
sekundär aktiv absorbiert. Der Transport hat eine ausgesprochen begrenzte Transportkapazität, sodass durch Sulfatzufuhr eine osmotische Diarrhö ausgelöst werden kann.
7.5.5
Sonstige Nahrungsbestandteile
! Eisen wird durch einen präzise geregelten H+-Fe2+-Cotransporter absorbiert. Vitamine werden über passive und aktive Transportprozesse aufgenommen
Eisen. Eisen wird als zweiwertiges Kation (Fe2+) über einen
H+-Fe2+-Cotransporter in die Zelle aufgenommen. Fe3+ muss erst durch eine Ferrireduktase zu Fe2+ reduziert werden, um transportiert werden zu können. In der Zelle wird Fe2+ an Ferritin gebunden. Wird es nicht an das Blut weitergegeben, so gelangt es letztlich bei Untergang der Epithelzelle wieder in das Darmlumen. Bei Eisenmangel bindet ein iron-regulating protein (IRP) an die mRNA von Ferritin und hemmt auf diese Weise die Ferritinsynthese. Die herabgesetzte Bindung an Ferritin fördert die Weitergabe an das Blut, wo Fe2+ durch das Plasmaprotein Coeruloplasmin zu Fe3+ oxidiert wird und dann an das Plasmaprotein Apotransferrin bindet. Transferrin (Apotransferrin + 2 Fe3+)
177 7.5 · Absorption
wird v. a. von Erythroblasten aufgenommen, die Fe3+ herauslösen und Apotransferrin wieder ins Blut abgeben. Die Eisenbilanz wird ausschließlich über die Regulation der enteralen Absorption dem Bedarf angepasst. Da das Hämeisen bei Untergang von Erythrozyten wieder verwendet wird, ist der Eisenumsatz nach außen normalerweise gering. Der Eisenbedarf ist jedoch bei Blutverlusten und Schwangerschaften massiv gesteigert. Vitamine. Die Absorption fettlöslicher Vitamine (A, D, E, K) erfordert wie die Absorption von Fetten die Emulsion
durch Gallensäuren. Sie werden in der Zelle in Chylomikronen eingebaut und auf diese Weise in die Lymphe abgegeben. Für eine Reihe von wasserlöslichen Vitaminen existieren Na+-gekoppelte Transportprozesse (C, Biotin, Thiamin, wahrscheinlich auch Pantothensäure, Riboflavin), sie werden also sekundär aktiv in die Zelle aufgenommen. Für Cholin, Nikotinsäure, Folsäure und Pyridoxalphosphat (bzw. Pyridoxine) ist kein spezifisches, aktives Transportsystem bekannt. Die Absorption von Vitamin B12 (Kobalamin) im Ileum erfordert die Bindung an den Intrinsic factor aus dem Magen.
In Kürze
Absorption Eigenschaften intestinaler Epithelien 4 Struktur: Falten, Zotten und Mikrovilli o Oberflächenvergrößerung Dünndarm 600-fach auf 200 m2 Zotten = Absorption, Krypten = Sekretion, Bildung neuer Zellen; Zellerneuerung alle 3–6 Tage Monosaccharide, Aminosäuren, Oligopeptide 4 Zucker: Glukose und Galaktose luminaler Na+, Glukose Symporter (SGLT1), basolateral Uniporter (GLUT2), Inositol luminaler Na+, Inositol Symporter (SMIT), Fruktose luminaler Uniporter (GLUT5) 4 Aminosäuren (AS), Peptide: Mehrere parallele Na+, AS-Symporter für neutrale AS und saure AS; AS-Austauscher für basische AS, Cystin; H+-Peptidsymporter (PepT) ) für Dipeptide, Tripeptide Lipide 4 Lipidabsorption: Glyzerin, freie Fettsäuren, Monoglyceride Cholesterin passiv (erleichterte Diffusion), kurze Fettsäuren, Hydroxysäuren und Ketosäuren durch Na+-gekoppelten Transport 4 Triacylglycerinaufbau und -abtransport: In Zelle Triacylglycerinaufbau, Phospholipidaufbau o Chylomikronen (Apoprotein ApoB48 + Lipide) 4 Gallensäuren: Zelluläre Aufnahme Na+-gekoppelt (Ende Ileum) o Pfortaderblut o Leber o Galle (enterohepatischer Kreislauf )
Wasser und Elektrolyte 4 Na+, K+, Cl-, H2O: Luminale Na+-gekoppelte Transporter, Na+/H+-Austauscher, Cl-/HCO3– -Austauscher Na+-Kanäle (ENaC, im Dickdarm), K+/H+-ATPase (im Dickdarm), basolaterale Na+/K+-ATPase, K+-Kanäle, tight junctions (Jejunum>Ileum>>Colon), Wasser durch osmotischen Gradienten 4 Ca2+: Ca2+ tight junctions, luminale Ca2+-Kanäle, basolateral Ca2+-ATPase, Na+/ Ca2+-Austauscher, intrazellulär Bindung an Calbindin, Stimulation durch Calcitriol 4 Phosphat: Alkalische Phosphatase, Na+-gekoppelte zelluläre Aufnahme, Stimulation durch Kalzitriol 4 Sulfat: Na+-gekoppelter Transport, begrenzte Transportkapazität Sonstige Nahrungsbestandteile 4 Eisen: Fe3+ (Ferrireduktase) o Fe2+ o zelluläre Aufnahme (H+, Fe2+-Cotransporter) o Bindung an Ferritin; Eisenmangel o iron-regulating protein (IRP) bindet an mRNA von Ferritin o Ferritinsynthese p o intrazelluläre Fe2+-Bindung p o Fe2+-Abgabe an Blut n o Fe2+ (Coeruloplasmin) o Fe3+ o Apotransferrin-Bindung o Transferrin (Apotransferrin + 2 Fe3+) o Erythroblasten 4 Vitamine: Fettlösliche Vitamine (A, D, E, K) erfordern zur Absorption Gallensäuren; Vitamin C, Biotin, Thiamin, Pantothensäure, Riboflavin werden Na+-gekoppelt transportiert; Absorption (im Ileum) von Vitamin B12 (Kobalamin) erfordert Intrinsic factor
7
178
Kapitel 7 · Ernährung, Verdauungstrakt, Leber
7.6
Integrative Steuerung der Magen-Darm-Funktion
naltrakt, die Insulinausschüttung und eine Reihe von Funktionen außerhalb des Gastrointestinaltraktes.
7.6.1
Zeitliche Koordination der digestiven und interdigestiven Verdauungsaktivität
7.6.3
! Die Verweildauer von Nahrungsbestandteilen im Gastrointestinaltrakt ist variabel. Man unterscheidet mehrere Phasen der Stimulation des Gastrointestinaltraktes durch Nahrungsbestandteile
Durchfall
! Eine der häufigsten Erkrankungen des Gastrointestinaltraktes ist Diarrhö, also eine gesteigerte Ausscheidung von Darminhalt
Ursachen. Mehrere Ursachen können Diarrhö auslösen: 4 Die diätetische Zufuhr nichtabsorbierbarer Nah-
Gastrointestinale Passagezeiten. Die Verweildauer von Nah-
rungsbestandteilen in verschiedenen Abschnitten des Gastrointestinaltraktes ist ausgesprochen variabel. Nahrungsbestandteile verbleiben etwa 1–6 Stunden im Magen, etwa 2–5 Stunden im Dünndarm und etwa 5–70 Stunden im Colon.
7
Phasen der Regulation des Gastrointestinaltraktes. Bei der
Regulation der Sekretionstätigkeit unterscheidet man unterschiedliche Phasen (7 Kap. 7.3.3): Vor Aufnahme der Nahrung sichert die kephalische Phase (ausgelöst durch Gerüche, Vorstellung und Sehen von Essbarem) die Vorbereitung des Gastrointestinaltraktes. Es wird durch das parasympathische Nervensystem die Speichel- und Magensaftsekretion angeregt. Gelangt die Nahrung in den Magen, folgt die gastrische Phase (Dehnung und chemische Stimulation durch Nahrungsbestandteile). Dabei wird Gastrin ausgeschüttet, das wiederum die Magensaftsekretion stimuliert. Bei Übertritt in den Darm folgt die intestinale Phase (durch chemische Stimulation und pH-Abfall im Duodenum). Dabei ist die Ausschüttung von Sekretin, gastric inhibitory polypeptide (GIP), Cholecystokinin (CCK), Peptide YY, und Neurotensin (. Tab. 7.5) stimuliert, die Gastrinsekretion gehemmt.
7.6.2
Gastrointestinale Hormone
! Im Gastrointestinaltrakt wird eine Vielzahl von Hormonen gebildet, die ihre Wirkung nicht nur im Gastrointestinaltrakt entfalten
Bildungsorte. Die Bildungsorte der wichtigsten gastroin-
testinalen Hormone sind in . Tab. 7.5 zusammengestellt. Wirkungen. Wie . Tab. 7.5 zeigt, regulieren gastrointestina-
le Hormone die Motorik und Sekretion im Gastrointesti-
rungsbestandteile oder die Zufuhr von Mengen, welche das Transportmaximum übersteigen, führt zu einem Zurückbleiben dieser Nahrungsbestandteile im Darmlumen 4 Auch bei massiv gesteigerter Sekretion kann die Absorptionskapazität des Darms überfordert werden 4 Ferner kann bei gestörter Verdauung die Aufschlüsselung in absorbierbare Bestandteile verzögert sein 4 Schließlich können bei Vorliegen von Transportdefekten die aufgeschlossenen Nahrungsbestandteile nicht hinreichend absorbiert werden Die nicht absorbierten Substanzen üben einen osmotischen Druck aus, der die Absorption von Wasser beeinträchtigt. Die folgende Dehnung des Darmlumens stimuliert die Darmmotorik, wodurch die Darmpassage beschleunigt wird. Damit wird auch die Absorption normal zugeführter Nahrungsbestandteile beeinträchtigt. Eine primär oder sekundär gesteigerte Darmmotorik beschleunigt die Passage zugeführter Nahrungsbestandteile. Dadurch ist die Kontaktzeit für Verdauung und Absorption zu kurz, Nahrungsbestandteile werden nicht vollständig absorbiert und gelangen in distale Darmabschnitte, welche eine nur geringe oder keine Transportkapazität für die jeweiligen Substanzen aufweisen. Die nicht absorbierten Nahrungsbestandteile üben einen osmotischen Druck aus, der Wassereinstrom in das Lumen dehnt den Darm und fördert dann zusätzlich die Darmmotorik. Auswirkungen. Der bakterielle Abbau von Glukose bei gestörter Glukoseabsorption führt zu säuerlichem Gärungsstuhl, der Abbau von Aminosäuren zum Fäulnisstuhl. Durchfall kann, insbesondere bei Kindern, sehr schnell zu lebensbedrohlichen Störungen des Wasserund Elektrolythaushaltes führen. Bei gestörter Fettabsorption (Steatorrhö) binden nicht absorbierte Fettsäuren
179 7.6 · Integrative Steuerung der Magen-Darm-Funktion
Ca2+ und begünstigen damit die Absorption von Oxalat, das normalerweise mit Ca2+ ausfällt und daher nicht absorbiert wird. Die Oxalatabsorption kann gesteigerte renale Oxalatausscheidung mit Bildung von Oxalalsteinen nach sich ziehen (7 Kap. 9.2.9). Enteraler Verlust von
Gallensäuren mindert die Sekretion von Gallensäuren in die Galle und begünstigt damit das Auftreten von Gallensteinen. Eingeschränkte Absorption von Vitaminen führt zu den entsprechenden Vitaminmangelerscheinungen (. Tab. 7.3).
In Kürze
Integrative Steuerung der Magen-Darm-Funktion Zeitliche Koordination der digestiven und interdigestiven Verdauungsaktivität 4 Gastrointestinale Passagezeiten: ≈1–6 h Magen, ≈2–5 h Dünndarm, ≈5–70 h Colon. 4 Kephalische Phase (Gerüche, Vorstellung, Sehen) o Parasympathikus o Speichel- und Magensaftsekretion n; Gastrische Phase (Dehnung, Nahrungsbestandteile Magen) o Gastrin n o Magensaftsekretion; Intestinale Phase (Nahrungsbestandteile, pH-Abfall Duodenum) o Sekretin n, gastric inhibitory polypeptide (GIP) n, Cholecystokinin (CCK) n, Peptide YY n, Neurotensin, Gastrin p
Gastrointestinale Hormone (. Tab. 7.5) Durchfall 4 Ursachen: Zufuhr > Transportkapazität Nahrungsbestandteile, Sekretion n, Verdauung p, Transportdefekte, primär oder sekundär gesteigerte Darmmotorik 4 Auswirkungen: säuerlicher Gärungsstuhl (Glukose), Fäulnisstuhl (Aminosäuren), Wasser- und Elektrolytverluste (v. a. Kinder!), Steatorrhö (Mangel an fettlöslichen Vitaminen), Komplexierung von Ca2+ o Oxalatabsorption o Nierensteine), Verlust von Gallensäuren o Gallensteine
7
8
8 Energie- und Wärmehaushalt 8.1
Energiehaushalt – 182
8.1.1 Grundlagen biologischer Energetik 8.1.2 Energiequellen – 182 8.1.3 Energieumsatz – 183
8.2
Wärmehaushalt
8.2.1 8.2.2 8.2.3 8.2.4 8.2.5
Körpertemperatur – 185 Wärmebildung – 185 Wärmeabgabe und -aufnahme Temperaturregulation – 188 Akklimatisation – 190
– 182
– 185
– 186
182
Kapitel 8 · Energie- und Wärmehaushalt
> > Einleitung Der menschliche Körper benötigt für die Aufrechterhaltung seiner Funktionen die ständige Zufuhr von Energie. Die Energie wird durch Verbrennung von Nahrungsbestandteilen gewonnen (chemische Energie). Die Zellen unseres Körpers sind auf die Nutzung der energiereichen (makroenergen) Phosphatbindungen (v. a. ATP) angewiesen. Die Nutzform der chemischen Energie kann für Syntheseleistungen eingesetzt werden, also wiederum in chemische Energie umgewandelt werden. Durch Kontraktion von Muskeln kann andererseits mechanische Arbeit (Energie) geleistet werden, wie etwa beim Heben einer Last. Durch aktiven (energieverbrauchenden) Transport von Substanzen über eine Membran wird ein Konzentrationsgradient geschaffen (osmotische Arbeit), wie etwa für Natrium über die Zellmembran. Sind diese Substanzen (wie Na+) geladen, dann kann ein elektrisches Potenzial über die Membran aufgebaut werden (elektrische Energie). Schließlich entsteht im Körper Wärme (thermische Energie).
8
8.1
Energiehaushalt
8.1.1
Grundlagen biologischer Energetik
! In einem geschlossenen System bleibt die Gesamtheit der Energie konstant. Bei allen gerichteten Energieumwandlungen muss die Entropie zunehmen
Erster Hauptsatz der Thermodynamik. In einem geschlosse-
nen System muss bei allen Vorgängen die Energie konstant bleiben, d. h. wird eine bestimmte Menge chemischer Energie verbraucht, dann muss dabei die gleiche Menge an anderer Energie (chemisch + mechanisch + osmotisch + elektrisch + thermisch) entstehen (1. Hauptsatz der Thermodynamik, 7 Lehrbücher der Physik). Wird beispielsweise mit Hilfe einer Muskelkontraktion eine Hantel hochgehoben, dann wird die durch Spaltung von ATP freiwerdende chemische Energie in mechanische Energie (Heben der Hantel) und thermische Energie (der Muskel wird wärmer) umgewandelt. Zweiter Hauptsatz der Thermodynamik. Ein Vorgang läuft nur dann gerichtet ab, wenn die Entropie dabei zunimmt, bzw. wenn das System in einen wahrscheinlicheren Zustand versetzt wird. Der wahrscheinlichere Zustand ist dabei (vereinfacht gesagt) die gleichmäßigere Verteilung der Energie (»sozialistischer« Hauptsatz der Thermodynamik, 7 Lehrbücher der Physik). Die gleichmäßigste Verteilung von Ener-
gie ist in Form von Wärme möglich, da Wärme sich auf alle benachbarten Moleküle gleichmäßig verteilt. Bei energieverbrauchenden Prozessen im Körper entsteht daher in aller Regel Wärme.
8.1.2
Energiequellen
! Der Körper gewinnt Energie durch Abbau von Kohlehydraten, Fetten und Proteinen. Die Energiequellen unterscheiden sich in der Energieausbeute
Energiegewinnung. Der bei weitem wichtigste Energielie-
ferant für aktive Prozesse im Körper ist ATP. Es wird im Wesentlichen aus dem Abbau von Nährstoffen (Kohlenhydraten, Fetten und Proteinen) gewonnen (. Abb. 8.1). Nährstoffe sind in verschiedenen Körperdepots gespeichert (Speicherform der chemischen Energie). Diese Reserven reichen für die Erneuerung von verbrauchten energiereichen Phosphatverbindungen bei einem ruhenden Menschen normalerweise etwa 30–40 Tage. Trotzdem sind wir es gewohnt, durch regelmäßige Nahrungsaufnahme die verbrauchten Nahrungsreserven mehrmals täglich zu ersetzen und dabei das Körpergewicht erstaunlich konstant zu halten. Die Nahrungsaufnahme wird dabei durch Regelkreise kontrolliert, die Hunger- und Sättigungsgefühle entstehen lassen (7 Kap. 7.1.3). Der Nährstoffabbau führt einerseits direkt zur Bildung von ATP, andererseits zur Bildung von gebundenem Wasserstoff (H2) etwa in Form von NADH + H+. In der Atmungskette reagiert über eine Kaskade von Reaktionen H2 mit O2. Die dabei freiwerdende chemische Energie wird wiederum teilweise zur Bildung von ATP genutzt. Verbrennung. Zur Energiegewinnung werden die Nah-
rungsbestandteile letztlich mit Sauerstoff zu CO2 und Wasser »verbrannt«: Für die »Verbrennung« von Glukose lässt sich z. B. folgende Bilanz aufstellen: C6H12O6 + 6 O2 = 6 CO2 + 6 H2O Auch Fettsäuren werden vollständig zu CO2 und H2O verbrannt, wie z. B. Palmitinsäure: C16H32O2 + 23 O2 = 16 CO2 + 16 H2O Wirkungsgrad. Insgesamt werden bei Kohlenhydratverbrennung etwa 40 % der chemischen Energie von Glukose in
183 8.1 · Energiehaushalt
nosäuren wird jedoch im Gegensatz zur physikalischen Verbrennung nicht oxidiert, sondern zum größten Teil als Harnstoff ausgeschieden. Die chemische Energie des Harnstoffs bleibt also vom Körper ungenutzt und der biologische Brennwert der Proteine (ca. 17 kJ/g) ist damit geringer als deren physikalischer Brennwert (ca. 24 kJ/g). Darüber hinaus ist ja der Wirkungsgrad der ATP-Bildung aus Proteinen mit etwa 30 % relativ gering, d. h. die bei der Eiweißverbrennung entstehende Energie geht zum größeren Teil als thermische Energie »verloren« Respiratorischer Quotient. Bei der Verbrennung von Glu-
kose wird ebenso viel O2 verbraucht wie CO2 gebildet wird. Der respiratorische Quotient (RQ), d. h. der Quotient aus CO2-Bildung zu O2-Verbrauch ist also 1. Bei der Verbrennung von Fetten wird hingegen relativ zum O2-Verbrauch weniger CO2 gebildet, der respiratorische Quotient liegt bei 0,7. Der respiratorische Quotient für die Eiweißverbrennung liegt bei etwa 0,81. Kalorisches Äquivalent. Die Energie, welche pro verbrauchtem O2 gewonnen wird (kalorisches Äquivalent), ist bei Verbrennung von Fetten (19,6 kJ/l O2), Kohlenhydraten (21,0 kJ/l O2) und Eiweißen (18,8 kJ/l O2) ähnlich. . Abb. 8.1. Energiestoffwechsel bei enteraler Absorption (oben) und bei Hunger (unten). AS = Aminosäuren, FS = Fettsäuren, Glc = Glukose, Gg = Glykogen, Gln = Glutamin, Glyc = Glycerin, HS = Harnstoff, KK = Ketonkörper, Lct = Laktat, Pr = Proteine, TG = Tri(acyl)glyceride
chemische Energie von ATP umgewandelt. Die übrige Energie wird in thermische Energie (Wärme) verwandelt. Bei der Verbrennung von Proteinen werden nur etwa 30 % der Energie in chemische Energie von ATP umgesetzt. Wiederum wird der Rest in Wärme umgewandelt. Bei Muskelkontraktionen wird gleichermaßen nur ein kleiner Anteil der chemischen Energie von ATP in mechanische Arbeit umgesetzt, der größte Teil der Energie wird in thermische Energie umgewandelt. Der Wirkungsgrad, d. h. die geleistete Arbeit pro verbrauchter Energie ist also gering (< 25 %). Brennwert. Kohlenhydrate und Fette werden somit im Körper wie bei einer physikalischen Verbrennung vollständig verbrannt. Der biologische Brennwert von Kohlenhydraten und Fetten ist damit praktisch identisch mit dem physikalischen Brennwert. Der Brennwert von Fetten (ca. 39 kJ/g) ist dabei etwa doppelt so groß wie der Brennwert von Kohlenhydraten (ca. 17 kJ/g). Der Stickstoff der Ami-
Ernährung. Die Energiesubstrate müssen über die Nahrung
aufgenommen werden, wie an anderer Stelle näher erläutert wird (7 Kap. 7.1.1). Übersteigt die Aufnahme von Energiesubstraten den Energieverbrauch, dann werden die überschüssigen Energiesubstrate vorwiegend als Fett gespeichert, es entwickelt sich Fettsucht (7 Kap. 7.1.2). Ist umgekehrt der Energieverbrauch größer als die Zufuhr von Energiesubstraten, dann muss der Energiebedarf teilweise durch Abbau von körpereigenem Fett, Glykogen und Eiweiß gedeckt werden (7 Kap. 7.1.2).
8.1.3
Energieumsatz
! Der Energieumsatz ist eine Funktion der Leistungen des Körpers. Er kann anhand des O2-Verbrauchs abgeschätzt werden
Energieverbrauch. Der Energieumsatz des Körpers
hängt naturgemäß von den Leistungen ab, die jeweils erbracht werden müssen (. Tab. 8.1). In körperlicher und geistiger Ruhe und im Nüchternzustand ist der Umsatz gering (Grundumsatz, ca. 300 kJ/Std.). Bei rein geistiger
8
184
Kapitel 8 · Energie- und Wärmehaushalt
. Tab. 8.1. Energiebedarf kJ/Tag · kg
MJ/Tag · m2
kcal/Tag · kg
Mcal/Tag · m2
Grundumsatz
100
4
24
1,0
Ruheumsatz
120
5
29
1,2
Freizeitumsatz
140
6
33
1,4
sehr schwere Arbeit
280
12
67
2,9
Arbeit steigt der Umsatz nur geringfügig, bei körperlicher Arbeit kann er jedoch über das 10-fache ansteigen (7 Kap. 6.1.2). Spezifische dynamische Wirkung. Nahrungszufuhr führt
8
zu einer Zunahme des Umsatzes, da für Verdauung, Absorption und metabolische Verarbeitung der Nahrungsstoffe Energie verbraucht wird. Bei Zufuhr von Kohlenhydraten steigt der Umsatz um etwa 10 %, bei Zufuhr von Proteinen um bis zu 30 % der zugeführten Energie (spezifische dynamische Wirkung). Kalorimetrie. Der Energieumsatz wird bei der direkten
Kalorimetrie über die Wärmeabgabe des Körpers ermittelt. Bei der indirekten Kalorimetrie schätzt man den Energieverbrauch aus dem O2-Verbrauch ab. Der Energie˙ ) kann aus der O2-Aufnahme (V ˙ O2) und dem umsatz (W mittleren kalorischen Äquivalenten (20 kJ/l O2) errechnet werden: ˙ =V ˙ O2 · 20 [kJ] W Nimmt eine Versuchperson etwa pro Minute 300 ml O2 auf, dann errechnet sich ihr Energieumsatz aus der indirekten Kalorimetrie aus: 0,3 [l/min] · 20 [kJ/l] = 6 kJ/min. Dabei wird vernachlässigt, dass die Energiegewinnung pro O2-Verbrauch bei Verbrennung von Kohlenhydraten, Eiweiß und Fetten nicht identisch ist (. Tab. 7.1). Genauere Werte erhält man, wenn man zunächst ermittelt, welche Nahrungssubstrate verbrannt wurden, wobei die renale Stickstoffausscheidung ein Maß für den Eiweißabbau, und der respiratorische Quotient (RQ) ein Maß für die relative Fett- und Kohlenhydratverbrennung sind. Bei reiner Fettverbrennung ist der RQ = 0,7, bei reiner Kohlenhydratverbrennung 1,0. Bei Verbrennung von Fetten und Kohlenhydraten in jeweils gleichem Ausmaß ist der RQ = 0,85.
Die Berechnung des Energieumsatzes setzt ein metabolisches und respiratorisches Gleichgewicht voraus. Wird etwa im Körper aus zugeführten Kohlenhydraten Fett gebildet oder wird durch Hyperventilation relativ viel CO2 abgeatmet, dann kann der RQ-Wert über 1,0 ansteigen und
reflektiert nicht mehr unverfälscht die Verbrennung der jeweiligen Nährstoffe. ! Die verschiedenen Organe verwenden unterschiedliche Energiesubstrate
Substratbedarf einzelner Organe. Die verschiedenen Or-
gane decken ihren Energiebedarf in unterschiedlichem Ausmaß aus Glukose, Aminosäuren und Fettsäuren. Ferner bestehen wesentliche Unterschiede in ihrem O2-Verbrauch (. Tab. 4.1). Die Erythrozyten decken ihren Energiebedarf ausschließlich aus nichtoxidativem Abbau von Glukose, da sie keine Mitochondrien besitzen und zum oxidativen Abbau von Substraten nicht befähigt sind. Das Gehirn deckt seine Energieversorgung in erster Linie durch oxidative Verbrennung von Glukose. Die Neurone verfügen über keine Glykogenvorräte und sind daher auf ständige Zufuhr von Glukose über das Blut angewiesen. Hypoglykämie führt wie Ischämie sehr schnell zum Funktionsausfall und zu irreversibler Schädigung des Gehirns. Allerdings entnimmt das Gehirn normalerweise nur etwa 10 % der arteriell angebotenen Glukose. Bei längerem Fasten deckt das Gehirn einen erheblichen Anteil seines Energiebedarfes aus der Verbrennung von β-Hydroxybutyrat und Azetazetat, die von der Leber aus Fettsäuren bereitgestellt werden. Gleichzeitig wird Glukose dann überwiegend nur noch zu Laktat abgebaut, das dann zur Glukoneogenese wiederverwendet werden kann. In der Niere verbrauchen die proximalen Tubuli in erster Linie Fettsäuren zur Energiegewinnung. Das hohe O2Angebot in der Nierenrinde begünstigt dabei den oxidativen Abbau der Fettsäuren. In Nierenmark, distalem Tubulus und Sammelrohr wird Glukose als Substrat bevorzugt. Der Skelettmuskel verbrennt bei entsprechendem Angebot Fettsäuren, bei Mangel an Fettsäureangebot auch βHydroxybutyrat und Azetazetat sowie Glukose. Bei mangelhaftem Angebot an Substraten über das Blut deckt der
185 8.2 · Wärmehaushalt
Skelettmuskel seinen Energiebedarf aus der Verbrennung von Glukose, die durch den Abbau von Muskelglykogen bereitgestellt wird. Bei Hypoxie weicht der Skelettmuskel auf anaerobe Glykolyse aus. Der Herzmuskel kann Fettsäuren, β-Hydroxybutyrat und Azetazetat, Laktat und Glukose zur Energiegewinnung einsetzen. Vor allem bei schwerer Arbeit verbrennt der Herzmuskel zum Teil das im Skelettmuskel erzeugte Laktat. Bei Ischämie ist der Herzmuskel jedoch selbst auf anaerobe
Energiegewinnung angewiesen und bildet über anaerobe Glykolyse Laktat (Laktatumkehr). Die Leber kann ihren Energiebedarf aus dem Abbau von verschiedensten Substraten decken, wobei sie ihren Stoffwechsel nach den Bedürfnissen der übrigen Organe richtet. So verwendet sie bei gesteigerter Laktatproduktion der Skelettmuskulatur das überschüssige Laktat zur Glukoneogenese, bei gesteigertem Angebot an Fettsäuren bildet sie β-Hydroxybutyrat und Azetazetat.
In Kürze
Energiehaushalt Grundlagen biologischer Energetik 4 Erster Hauptsatz: In einem geschlossenen System bleibt die Gesamtheit der Energie konstant 4 Zweiter Hauptsatz: Ein Vorgang läuft nur gerichtet ab, wenn Entropie zunimmt Energiequellen 4 Energiegewinnung: ATP entsteht bei Abbau von Kohlenhydraten, Fetten, Proteinen. Glukoseverbrennung: C6H12O6 + 6O2 = 6CO2 + 6H2O, Fettsäureverbrennung: C16H32O2 + 23O2 = 16CO2 + 16H2O 4 Wirkungsgrad: Kohlenhydratverbrennung ≈40% der chemischen Energie in Energie von ATP; Muskelkontraktionen ≤25% in geleistete mechanische Arbeit (jeweils Rest Wärme) 4 Brennwert: Fette ≈39 kJ/g, Kohlenhydrate ≈17 kJ/g, Proteine ≈17 kJ/g 4 Respiratorischer Koeffizient RQ: CO2-Bildung/O2-Verbrauch: RQ Kohlenhydrate ≈1, Fette ≈0,7, Proteine ≈ 0,81 4 Kalorisches Äquivalent: Energie/verbrauchtem O2: Fette ≈19,6 kJ/l O2, Kohlenhydrate ≈21,0 kJ/l O2, Proteine ≈18,8 kJ/l O2
8.2
Wärmehaushalt
8.2.1
Körpertemperatur
! Der Körper toleriert nur geringfügige Änderungen der Kerntemperatur. Sie kann durch verschiedene Messmethoden erfasst werden
Temperaturabhängigkeit von Körperfunktionen. Alle Funktionen des Körpers, wie chemische Reaktionen, Transport, Kontraktion etc. werden durch die Temperatur beein-
Energieumsatz 4 Energieverbrauch: Grundumsatz, ca. 300 kJ/Std., bei körperlicher Arbeit bis zum Zehnfachen 4 Spezifische dynamische Wirkung: Kohlenhydrate ≈10%, Proteine ≈30% 4 Kalorimetrie: Direkt = Wärmeabgabe; Indirekt = O2˙ = V˙O2 · 20 [kJ]) Verbrauch (W 4 Substratermittlung: Renale Stickstoffausscheidung = Maß für Eiweißabbau, RQ = Maß relative Fett- und Kohlenhydratverbrennung (Voraussetzung: metabolisches und respiratorisches Gleichgewicht) 4 Substratbedarf: Erythrozyten (nichtoxidativer Abbau von Glukose); Gehirn (oxidative Verbrennung Glukose >> β-Hydroxybutyrat, Azetazetat); proximale Tubuli Niere (Fettsäuren); Nierenmark, distaler Tubulus, Sammelrohr (Glukose); Skelettmuskel (Fettsäuren > β-Hydroxybutyrat, Azetazetat, Glukose); Herzmuskel (Fettsäuren, β-Hydroxybutyrat, Azetazetat, Laktat, Glukose); Leber (abhängig von Verfügbarkeit, z. B. Laktat o Glukoneogenese, Fettsäuren o β-Hydroxybutyrat und Azetazetat)
flusst. Bei einer Temperatursenkung um 10°C nimmt die Diffusion um etwa 3% ab, die Reaktionsgeschwindigkeit energieverbrauchender enzymatischer Reaktionen auf weniger als ein Viertel (Q10-Wert). Eine Temperaturänderung beeinflusst somit die verschiedenen Funktionen in ganz unterschiedlichem Ausmaß. Es ist leicht vorstellbar, dass eine Temperaturänderung auf diese Weise erhebliche Verschiebungen von Fließgleichgewichten, Ionenkonzentrationen, Membranpotenzial etc. nach sich ziehen muss. Um temperaturbedingte Änderungen seiner Leistungsfähigkeit zu vermeiden, hält der Mensch seine Körpertemperatur im
8
186
Kapitel 8 · Energie- und Wärmehaushalt
Inneren weitestgehend konstant. Voraussetzung dazu ist, daß die Wärmeabgabe – unabhängig von den klimatischen Bedingungen – der Wärmeproduktion angeglichen wird. Wirkliche Homoiothermie wird nur für den Körperkern erreicht, d. h. für das zentrale Nervensystem und die inneren Organe, während die Temperatur der Haut und der Extremitäten durchaus erheblichen Schwankungen unterworfen wird. Messung der Körpertemperatur. Die Körperkerntemperatur kann im Rektum, unter der Zunge oder auch im Gehörgang gemessen werden. Weniger zuverlässig ist die Temperaturmessung unter der Achselhöhle.
8.2.2
Wärmebildung
! Der Körper bildet auch in Ruhe ständig Wärme. Bei Arbeit steigt die Wärmebildung
8
Wärmehaushalt. Bei allen chemischen und physikalischen
Prozessen des Körpers entsteht Wärme. Bereits die Aufrechterhaltung der Minimalfunktionen des Körpers ist mit Wärmeproduktion verbunden. Bei nach außen geleisteter Arbeit in Form von Muskelkontraktionen wird maximal ein Wirkungsgrad von etwa 25% erreicht, d. h. mindestens 75% der eingesetzten Energie gehen in Wärme über. Die Wärmeproduktion ist eine Leistung (Energie/Zeit) und wird deswegen in Watt angegeben (1 Watt = 1 J/s). Die Ruhewärmeproduktion eines Menschen beträgt 85 100 W (= 300 360 kJ/h oder 7,2 8,6 MJ/Tag). Mit dieser Leistung wäre es möglich, etwa 70 Liter Wasser innerhalb von einer Stunde um 1°C zu erwärmen. Da unsere Körpermasse auch etwa 70 kg beträgt, kann man annehmen, dass wir uns in einer Stunde um 1°C und in 6 Stunden auf tödliche Werte von 43°C erwärmen würden, wenn die Wärmeabgabe verhindert wäre. Die Ruhewärmebildung unterschiedlich großer Menschen nimmt weniger zu als das Körpergewicht, jedoch stärker als die Körperoberfläche. In doppellogarithmischer Darstellung lässt sich die Beziehung zwischen dem Energieumsatz und dem Körpergewicht am besten durch eine Gerade mit einer Steigung von 0,75 darstellen. Bei direkter Proportionalität zum Körpergewicht wäre die Steigung 1,0, bei direkter Proportionalität zur Körperoberfläche 0,66. Früher wurde fälschlicherweise angenommen, dass die Wärmebildung proportional zur Körperoberfläche sein muss, über die die Wärmeabgabe erfolgt. Daher findet man in den medizinischen Lehrbü-
chern die Angaben der Ruhewärmebildung auf die Oberfläche bezogen (z. B. bei einem 20-jährigen Mann etwa 45 Watt/m2). Bei schwerer Arbeit oder sportlicher Leistung kann die Wärmebildung für kurze Zeit um mehr als das 20-fache des Ruhewertes ansteigen. Der Tagesumsatz erreicht bei langfristiger Arbeit etwa 20 MJ, das ist etwa das 3-fache des Grundumsatzes (7 MJ). In Ruhe wird die Wärme zu annähernd zwei Dritteln in den inneren Organen gebildet (Gehirn etwa 18 %) und nur zu etwa einem Viertel in der Skelettmuskulatur. Bei schwerer Muskelarbeit entstehen umgekehrt bis zu 90 % der Wärme in der Skelettmuskulatur. Die Wärmebildung nimmt im Alter und im Schlaf ab. Gleichzeitig kommt es zu einem Absinken der Körpertemperatur (7 Kap. 8.2.4).
8.2.3
Wärmeabgabe und -aufnahme
! Wärme wird über Strahlung, Diffusion, Konvektion und Verdunstung aufgenommen oder abgegeben
Wärmeabgabe oder -aufnahme. Die pro Zeiteinheit gebildete Wärme muss nach außen abgeführt werden, wenn die Körpertemperatur konstant bleiben soll (7 Kap. 8.2.2). Eine Nettowärmeaufnahme führt zwangsläufig zu einem Temperaturanstieg und ist daher nur äußerst begrenzt möglich. Die Wärme wird zum Teil über die Atmung abgegeben, da die Inspirationsluft angewärmt und mit Wasserdampf gesättigt wird, wodurch dem Körper Wärme entzogen wird. Der bei weitem größte Anteil an Wärme wird jedoch über die Haut abgegeben (Körperschale). Dabei muss die in den inneren Organen und der Skelettmuskulatur gebildete Wärme zunächst zur Hautoberfläche transportiert werden. Wärmetransport zur Hautoberfläche. Das Blut nimmt in den Organen und den Skelettmuskeln Wärme auf und transportiert sie in die Gefäße der Haut (Konvektion). In der Haut diffundiert die Wärme vom Gefäß zur Hautoberfläche. Für den Wärmefluss ist dabei neben der effektiven Diffusionsfläche die Temperaturdifferenz zwischen Blutgefäß und Hautoberfläche, sowie der Abstand des Gefäßes von der Hautoberfläche maßgebend (. Tab. 8.2). Die Wärmeabgabe über die Gliedmaßen kann durch Kontraktion oberflächlicher Gefäße herabgesetzt werden. Tiefe Arterien werden von jeweils zwei tiefen Venen flankiert. Abgekühltes venöses Blut aus der Peripherie entzieht
187 8.2 · Wärmehaushalt
Verdunstung. Die Wärmeabgabe durch Verdunstung
. Tab. 8.2. Wärmetransport Diffusion von Gefäß zur Haut
˙ GoH ~ (TG – TH) · F/xGoH W
Wärmestrahlung:
˙ S ~ (TH4 - TK4) · F W
Diffusion von der Haut in die Luft:
˙ D ~ (TG - TH) · F/xS W
Verdunstung:
˙ V ~ (pH - pL) · F W
TG TH F TK TL xS pH pL
= Temperatur Blutgefäß = Hauttemperatur = effektive Hautoberfläche = Temperatur strahlender Körper in der Umgebung = Lufttemperatur = Dicke der stehenden Luftschicht über der Haut = Dampfdruck auf der Haut = Dampfdruck in der Luft
dabei dem arteriellen Blut Wärme, sodass das arterielle Blut bereits abgekühlt ist, bevor es die Kapillaren der Haut erreicht. Das Gegenstromsystem mindert somit die Wärmeverluste in der Peripherie. Wärmeabgabe der Haut. Von der Hautoberfläche wird die
Wärme durch Strahlung, Diffusion, Konvektion und Verdunstung von Wasser abgegeben. Neben der Fläche spielen dabei weitere Parameter eine Rolle: Strahlung. Die Wärmeabgabe durch Strahlung ist eine
Funktion der Hauttemperatur und der Temperatur strahlender Körper in der Umgebung.
(2400 kJ/Liter) ist eine Funktion des Dampfdruckes der Haut und der Luft. Der Dampfdruck hängt wiederum von der Temperatur und der Feuchtigkeit der Hautoberfläche bzw. der Luft ab. Wärme über Verdunstung kann nur dann abgegeben werden, wenn der Wasserdampfdruck der Haut größer ist als derjenige der Luft. Selbst bei vollständig wasserdampfgesättigter Luft ist das noch möglich, wenn die Hauttemperatur höher ist als die Temperatur der umgebenden Luft. Ferner kann Wärme über Verdunstung bei trockener Luft auch dann noch abgegeben werden, wenn die Luft heißer ist als die Hautoberfläche. Nur bei heißer, wasserdampfgesättigter Luft versagt die Wärmeabgabe über Verdunstung. Der gebildete Schweiß rinnt dann über die Hautoberfläche, ohne zu verdunsten, also ohne der Haut Wärme zu entziehen. Trockene Hitze, wie sie z. B. in der Wüste herrscht, wird demnach besser vertragen als feuchte Hitze (Schwüle). Die Haut ist auch ohne Schweißsekretion nicht völlig trocken, sondern verliert durch Diffusion Wasser und durch das Verdunsten des Wassers Wärme. Ferner wird die Atemluft auf 37°C erhitzt und mit Wasserdampf gesättigt. Auch auf diese Weise geht Wärme verloren. Die extraglanduläre Wasserdampfabgabe mit der Atmung und die Wasserdiffusion durch die Haut bezeichnet man als Perspiratio insensibilis. ! Die Wärmeabgabe ist eine Funktion der Körperoberfläche und des subkutanen Fettgewebes
Körperoberfläche. Mit zunehmender Körpergröße bei gleiDiffusion. Die Wärmeabgabe durch Diffusion ist eine
Funktion der Temperaturdifferenz zwischen Haut und umgebender Luft sowie der Dicke der stehenden Luftschicht über der Haut. Außerhalb der stehenden Luftschicht wird die Wärme über Konvektion abtransportiert, die einen sehr viel schnelleren Transport gewährleistet als die Diffusion und damit nicht limitierend ist. Die Dicke der stehenden Luftschicht ist bei nach außen gekrümmten Oberflächen wesentlich kleiner als bei geraden Oberflächen. Sie ist somit an den Fingern (Akren) besonders gering. Die akralen Hautpartien (akrale Wärmeaustauscher) verfügen über arteriovenöse Anastomosen. Nach ihrer Öffnung kann die Durchblutung bis zu einem Faktor 100 ansteigen und damit kann der Wärmetransport zur Oberfläche wesentlich beschleunigt werden. Die stehende Luftschicht nimmt bei Luftbewegungen (Wind, Ventilator) massiv ab (und damit die Wärmeabgabe zu). Umgekehrt wird die stehende Luftschicht durch Haare und Tragen von Kleidung vergrößert.
chen relativen Körpermassen steigt die Oberfläche im Quadrat, die Körpermasse im Kubik. Bei kleinen Personen, vor allem aber bei Säuglingen und Kleinkindern ist daher das Verhältnis von Wärme – verlierender Hautoberfläche zu Wärme – generierender Körpermasse groß, sie sind daher eher gefährdet, auszukühlen. Unterhautfettgewebe. Die Wärmeabgabe über die Haut
wird durch das isolierende Unterhautfettgewebe behindert. Übergewichtige können daher bei hohen Temperaturen nicht so leicht Wärme abgeben und kommen leicht »ins Schwitzen«. ! Eine Differenz zwischen Wärmeproduktion und Wärmeabgabe führt zu Hyperthermie oder Hypothermie
Ursachen. Hyperthermie entsteht, wenn die Wärmebildung bzw. Wärmeaufnahme die Wärmeabgabe übersteigt
8
188
Kapitel 8 · Energie- und Wärmehaushalt
(7 Kap. 8.2.4). Hypothermie ist umgekehrt das Ergebnis einer Wärmeabgabe, welche die Wärmebildung übertrifft (7 Kap. 8.2.4). Auswirkungen. Eine Abkühlung oder Erwärmung des Körperkerns ist nur in engen Grenzen mit dem Leben vereinbar. Zum einen droht die Entgleisung temperaturabhängiger Funktionen, zum anderen gefährdet bei passiven Änderungen der Kerntemperatur der massive Einsatz temperaturregulierender Mechanismen das Überleben des Menschen. Hypothermie. Absinken der Temperatur beeinträchtigt v. a. aktive Prozesse (u. a. Na+/K+-ATPase Aktivität). Bei Ausbleiben von thermoregulatorischer Gegenregulation (7 Kap. 8.2.4) senkt ein Absinken der Kerntemperatur Grundumsatz, Herzfrequenz, Blutdruck, Atemfrequenz, glomeruläre Filtrationsrate und tubuläre Resorption in der Niere, sowie periphere O2-Abgabe von Hämoglobin. Letztlich droht Kammerflimmern.
8
Hypothalamus. Die Afferenzen werden in temperaturregulierenden Neuronen des Hypothalamus verrechnet, die teilweise selbst temperaturempfindlich sind. Von diesen Neuronen aus werden die temperaturregulierenden Mechanismen ausgelöst, wobei vegetatives Nervensystem, Motorik und Hormonausschüttung beeinflusst werden. Sollwert. Der Sollwert wird in den Neuronen des Hypotha-
lamus festgesetzt. Er kann von übergeordneten zentralnervösen Strukturen, von Mediatoren und von Hormonen verstellt werden. Praktisch wichtiges Beispiel ist die Verstellung des Temperatursollwertes durch Gestagene um etwa 0,5 °C nach oben (7 Kap. 11.2). Auch Schilddrüsenhormone und Nebennierenrindenhormone können die Kerntemperatur steigern. Schließlich unterliegt die Kerntemperatur einem Tagesrhythmus mit einem Maximum während des späten Nachmittags und einem Minimum zwischen 0 und 6 Uhr morgens. Unterschreiten des Sollwertes. Ist die Körpertemperatur
Hyperthermie. Auch bei Ausbleiben von thermoregulatori-
scher Gegenregulation (7 Kap. 8.2.4) steigert eine Zunahme der Kerntemperatur Energieumsatz, Ventilation und O2Aufnahme (13%/°C) sowie Herzfrequenz (10 Schläge/Minute pro °C) und Herzminutenvolumen. Bei Temperaturen >40°C treten Verwirrtheit, Hirndrucksteigerungen und Krämpfe auf. Kerntemperaturen von >42°C werden selten überlebt. Für die Therapie von Hypo- oder Hyperthermie ist maßgebend, ob eine Störung oder Überforderung der Temperaturregulation vorliegt (7 Kap. 8.2.4).
8.2.4
Temperaturregulation
! Die Regulation der Körpertemperatur erfordert die Messung der Temperatur durch sogenannte Temperaturfühler, den Vergleich zwischen der gemessenen Temperatur (Istwert) mit dem jeweils gewünschten Wert (Sollwert) und die Korrektur durch Beeinflussung der sogenannten Stellglieder, die Wärmeproduktion und/oder Wärmeabgabe verändern
Fühler. Die Fühler sind Warm- und Kaltrezeptoren der
Haut (7 Kap. 16.1.1), wenig definierte Temperaturfühler in den inneren Organen und temperaturempfindliche Neurone im zentralen Nervensystem, v. a. im Rückenmark und im
zu niedrig, dann wird einerseits die Wärmeproduktion stimuliert, andererseits die Wärmeabgabe gedrosselt. 4 Beim Erwachsenen wird die Wärmeproduktion in erster Linie durch Stimulation der Muskeltätigkeit (Muskelzittern) gesteigert 4 Neugeborene sind in der Lage, die Wärmeproduktion durch Lipolyse und direkte Bildung von Wärme ohne ATP-Bildung (Entkopplung der Oxidation von der Phosphorylierung) in gut durchblutetem braunem Fettgewebe zu steigern (zitterfreie Wärmeproduktion). Erwachsene verfügen über kein braunes Fettgewebe mehr 4 Die Wärmeabgabe wird bei Hypothermie über Herabsetzung der Körperoberfläche durch Zusammenkauern und andere Verhaltensmaßnahmen eingeschränkt 4 Darüber hinaus wird die Wärmeabgabe durch Vasokonstriktion in der Haut gedrosselt. Das Blut aus den Extremitäten wird vorwiegend über die tiefen Venen beiderseits der Arterien zurückgeführt und damit der Wärmeverlust gemindert (7 Kap. 8.2.3). Durch die periphere Vasokonstriktion nimmt die Temperatur nicht nur in der Haut, sondern auch in den tieferen Schichten der Extremitäten ab (. Abb. 8.2). Bei Abkühlung unter 10 °C kommt es periodisch (ca. alle 20 Sekunden) zu einer kurzfristigen Vasodilatation, wahrscheinlich als Folge einer Lähmung der Gefäßmuskulatur durch die Kälte (Lewis-Reaktion)
189 8.2 · Wärmehaushalt
gungen steigern die Indifferenztemperatur. Ferner spielt die Temperatur der umgebenden Körper eine Rolle. Ein Raum mit kalten Wänden wird auch bei erhöhten Lufttemperaturen als unangenehm empfunden, da Wärme durch Strahlung verloren geht. Schließlich spielt für die Behaglichkeit die relative Luftfeuchtigkeit eine Rolle, ein Betrag von etwa 50% wird am angenehmsten wahrgenommen. Besonderheiten von Neugeborenen. Die Indifferenztempe-
ratur liegt bei nackten Neugeborenen mit 34 °C deutlich über der Indifferenztemperatur des Erwachsenen, da Neugeborenen eine, im Vergleich zu ihrer Wärmeproduktion, relativ große Körperoberfläche und eine geringe subkutane Fettschicht aufweisen. Andererseits verfügen Neugeborene im Gegensatz zu Erwachsenen noch über braunes (gut durchblutetes) Fettgewebe, das der Thermoregulation dient.
. Abb. 8.2. Temperaturprofil des menschlichen Körpers bei Kälte (links) und bei warmer Umgebung (rechts) (nach Simon aus Schmidt et al.)
! Änderungen der Kerntemperatur sind entweder Folge von Verstellungen des Sollwertes (aktive Hypo-oder Hyperthermie) oder von äußeren Einwirkungen bei Überforderung der thermoregulatorischen Mechanismen (passive Hypo- oder Hyperthermie)
Überschreiten des Sollwertes. Ist die Körpertemperatur zu
hoch, dann wird durch Vermeidung von Muskelarbeit die Wärmeproduktion eingeschränkt. Darüber hinaus wird die Wärmeabgabe durch Vasodilatation in der Haut begünstigt. Das venöse Blut der Extremitäten wird nun bevorzugt über die oberflächlichen Venen zurückgeführt. Wichtigster Mechanismus zur Wärmeabgabe ist jedoch die Schweißsekretion, die dem Körper über Verdunstung Wärme entzieht. Damit wird die Haut abgekühlt und das die Haut passierende Blut kann die Wärme abgeben. Kann die Kerntemperatur nur unter Einsatz massiver thermoregulatorischer Mechanismen beim Sollwert gehalten werden, dann werden die Umgebungsbedingungen (Raumklima) als unangenehm empfunden.
Passive Hypothermie. Bei passiver Hypothermie setzt zu-
nächst thermoregulatorisches Muskelzittern ein, das die Wärmeproduktion trotz Dämpfung des übrigen Stoffwechsels steigert. Bei Kerntemperaturen unter 35°C sinkt jedoch die Wärmeproduktion ab, bei Kerntemperaturen um 30°C setzt Bewusstlosigkeit, bei ca. 26°C Kammerflimmern ein. Da der Energieverbrauch der Gewebe bei Hypothermie massiv abnimmt, überleben die Organe relativ lange trotz Ausfall der Blutversorgung. So ist es immer wieder möglich, hypotherme Patienten (z. B. Lawinenopfer) trotz bereits eingetretenem Herzstillstand zu reanimieren und weitgehend wiederherzustellen. Aktive Hypothermie. Eine mäßige Hypothermie kann durch
Indifferenztemperatur. Die Außentemperatur, bei der ein
Minimum an Regulationsmechanismen eingesetzt wird (Indifferenztemperatur), liegt beim sitzenden erwachsenen Menschen im Bereich von 27–32°C. Darunter setzt Kältezittern, darüber Schweißsekretion ein. Im Wasser liegt die Indifferenztemperatur bei 35–36°C, da die Wärmediffusion in Wasser etwa 20-mal größer ist als in Luft. Der genaue Wert der Indifferenztemperatur hängt von Stoffwechsellage, Körperbau und Masse an Unterhautfettgewebe ab. Die Indifferenztemperatur in Luft sinkt mit zunehmender Kleidung, bei Sommerkleidung z. B. auf etwa 23°C. Luftbewe-
Verstellung des Sollwertes auf niedrigere Temperaturen auftreten, wie im Alter (um etwa 1°C) oder im Schlaf (um etwa 0,5°C). Die Thermoregulation ist bei Bewusstlosigkeit, Narkose und Schlafmittelvergiftung weitgehend ausgeschaltet und läßt die Entwicklung einer Hypothermie zu. Passive Hyperthermie. Bei Steigerung der Körpertempera-
tur über den Sollwert erschweren periphere Vasodilatation und Wasserverluste durch Schweißsekretion die Aufrechterhaltung des Blutdrucks und es droht ein Hitzekollaps. Darüber hinaus führt eine Temperaturerhöhung über 40°C
8
190
Kapitel 8 · Energie- und Wärmehaushalt
zu Entgleisungen des Stoffwechsels und der neuromuskulären Erregbarkeit. Die Stoffwechselentgleisungen steigern zusätzlich die Wärmebildung und verschärfen auf diese Weise das Missverhältnis von Wärmebildung und Wärmeabgabe. Folge kann letztlich ein Hitzschlag sein, der mit Bewusstlosigkeit verbunden ist. Temperaturen über 43°C werden selten überlebt. Die Entwicklung einer Hyperthermie wird durch Volumenmangel (Dehydration) begünstigt, der die Schweißsekretion beeinträchtigt. Fieber. Beim Fieber liegt eine Hyperthermie durch Sollwert-
verstellung vor. In der Folge wird die Wärmebildung durch Muskelzittern (bzw. Schüttelfrost) gesteigert und die Wärmeabgabe durch Vasokonstriktion in der Haut gedrosselt, bis der Istwert den angehobenen Sollwert erreicht hat. Bei Normalisierung des Sollwertes (Entfieberung) setzen umgekehrt Schweißsekretion und Vasodilatation der Haut ein. Bei Infektionen wird Fieber durch Mediatoren des Immunsystems ausgelöst, das über Interleukine und Prostaglandin E2 die Sollwertverstellung im Hypothalamus hervorruft.
8
Maligne Hyperthermie. Die maligne Hyperthermie entsteht durch massive Muskelkontraktionen nach Verabreichung bestimmter Narkosemittel (z. B. Halothan). Sie tritt während der Narkoseeinleitung bei bestimmten Patienten auf, in deren Muskeln der sarkoplasmatische Ca2+-Kanal aufgrund seiner genetisch bedingten besonderen Struktur durch die Narkosemittel aktiviert werden kann.
Therapie von Hyperthermie. Bei passiver Hyperthermie
muss dem Körper Wärme entzogen werden (z. B. durch kalte Wadenwickel). Bei Fieber unterbindet therapeutische Hemmung der Zyklooxygenase, des für die Prostaglandinsynthese verantwortlichen Enzyms, die Sollwerterhöhung und damit das Fieber. Dagegen zeigen Wadenwickel wenig Wirkung, solange der Sollwert gesteigert bleibt. Therapie von Hypothermie. Bei Hypothermie muss die Kerntemperatur gesteigert werden, was durch Wärmeaufnahme (z. B. Wärmestrahlung) erreicht wird. Bei Erwärmung besteht freilich die Gefahr, dass periphere Vasodilatation eintritt, die kalte Haut dem durchströmenden Blut Wärme entzieht und die Kerntemperatur weiter absinkt. Eine Zunahme der Temperatur steigert ferner den Energieverbrauch und kann, wegen der eingeschränkten Organdurchblutung und O 2-Versorgung (7 Kap. 8.2.3) eine bestehende Hypoxie verschärfen. Bei stark unterkühlten Patienten kann mit der Herz-LungenMaschine der Kreislauf aufrechterhalten und dann langsam erwärmt werden.
8.2.5
Akklimatisation
! Die wiederholte Konfrontation mit extremen Temperaturen fördert die Entwicklung von Mechanismen, welche die Toleranz gegenüber diesen Temperaturen steigern
Arbeit. Bei intensiver Arbeit kann die Wärmebildung die
Kapazität der Wärmeabgabemechanismen übersteigen, und die Kerntemperatur auf Werte über 41 °C ansteigen, ohne dass der Sollwert ansteigt. Bei extremen Leistungen kann es u. a. aufgrund der starken Einschränkung der Darmdurchblutung zum Übertritt von Darmbakterien oder deren Toxine in den Blutkreislauf kommen und dadurch Fieber erzeugt werden, das sich an der Temperatursteigerung beteiligt. ! Massive Hyper- und Hypothermie erfordern therapeutisches Eingreifen
Kälteakklimatisation. Bei wiederholter Kälteexposition
wird die Kälte weniger wahrgenommen und die Zitterschwelle sinkt ab (Habituation). Wärmeakklimatisation. Bei wiederholter Wärmeexposition setzt die Schweißsekretion bei geringeren Temperaturen ein, erreicht größere maximale Werte und ist, wegen gesteigerter NaCl-Resorption in den Schweißdrüsenausführungsgängen, mit geringeren NaCl-Verlusten verbunden.
191 8.2 · Wärmehaushalt
In Kürze
Wärmehaushalt Körpertemperatur 4 Temperaturabhängigkeit von Körperfunktionen: Q10-Wert Diffusion (3%) < aktiver Transport (>4) 4 Homoiothermie nur im Körperkern (zentrales Nervensystem, innere Organe) 4 Messung Körpertemperatur: Rektum, unter Zunge, Gehörgang, weniger zuverlässig Achselhöhle Wärmebildung 4 Wärmeproduktion bei allen chemischen und physikalischen Prozessen; Ruhewärmeproduktion: 85– 100 W (=300–360 kJ/h; 7,2–8,6 MJ/Tag) [≈18% Gehirn, ≈50% sonstige innere Organe, 25% Skelettmuskulatur]. Bei schwerer Arbeit kurzfristig das 20-fache [90% Skelettmuskulatur]; Alter, Schlaf o Wärmeproduktion p 4 Log (Energieumsatz) /Log (Körpergewicht) ≈0,75 Wärmeabgabe und -aufnahme 4 Wärmeabgabe: Zum Teil über die Atmung, größter Teil über Haut (Körperschale) 4 Wärmetransport zur Hautoberfläche: Konvektion zu Gefäßen der Haut (durch Gegenstromsystem herabgesetzt) o Diffusion zur Hautoberfläche (. Tab. 8.2) 4 Wärmeabgabe der Haut: Strahlung, Diffusion, Konvektion und Verdunstung (2400 kJ/Liter) (. Tab. 8.2) 4 Perspiratio insensibilis: Extraglanduläre Wasserdampfabgabe Atmung, Wasserdiffusion durch Haut 4 Körperoberfläche/Körpergewicht n, Unterhautfettgewebe p o Relative Wärmeabgabe n 4 (Wärmebildung + Wärmeaufnahme) < Wärmeabgabe o Hypothermie 4 Hypothermiefolgen: Na+/K+-ATPase pp, Grundumsatz p, Herzfrequenz p, Blutdruck p, Atemfrequenz p, glomeruläre Filtrationsrate p, renaltubuläre Resorption p, periphere O2-Abgabe Hämoglobin p, Kammerflimmern 4 Hyperthermiefolgen: Energieumsatz n, Ventilation n, O2-Aufnahme n (13%/°C), Herzfrequenz n (10 Schläge/Minute pro °C), Herzminutenvolumen n, bei >40°C Verwirrtheit, Hirndrucksteigerungen, Krämpfe, >42°C meist letal 6
Temperaturregulation 4 Fühler: Warm- und Kaltrezeptoren Haut Temperaturfühler in inneren Organen, temperaturempfindliche Neurone im ZNS (v. a. Rückenmark, Hypothalamus) 4 Sollwert: Eingestellt von Neuronen im Hypothalamus, beeinflussbar von Mediatoren, Hormonen [Gestagene, Schilddrüsenhormone, Nebennierenrindenhormone o Kerntemperatur n], Tagesrhythmus [Maximum später Nachmittag, Minimum zwischen 0 und 6 Uhr] 4 Unterschreiten des Sollwertes o Wärmeproduktion n [Muskelzittern, zitterfreie Wärmeproduktion], Wärmeabgabe p[Zusammenkauern, Vasokonstriktion in der Haut, Abfluss über tiefe Venen] 4 Überschreiten des Sollwertes o Wärmeproduktion p [Vermeidung Muskelarbeit], Wärmeabgabe n [Vasodilatation, Schweißsekretion] 4 Indifferenztemperatur = sitzender erwachsener Mensch 27–32°C, in Wasser 35–36°C; Nackte Neugeborene 34°C [im Vergleich zur Wärmeproduktion relativ große Körperoberfläche und geringe subkutane Fettschicht] 4 Passive Hypothermie o Muskelzittern; Kerntemperatur <35°C o Wärmeproduktion p; Kerntemperatur ≤30°C o Bewusstlosigkeit; Kerntemperatur ≤26°C o Kammerflimmern; Hypothermie o Energieverbrauch p o Überlebenschancen bei Energiemangel n 4 Aktive Hypothermie (Sollwertverstellung) im Alter (≈1–2°C), Schlaf (≈0,5°C), bei Bewusstlosigkeit, Narkose, Schlafmittelvergiftung 4 Passive Hyperthermie o Vasodilatation, Wasserverluste [Schweißsekretion] o Blutdruck p o Hitzekollaps; >40°C o Entgleisungen Stoffwechsel und neuromuskuläre Erregbarkeit o circulus vitiosus o Hitzschlag [Bewusstlosigkeit]; >43°C meist letal 4 Fieber: Prostaglandin E2 o Sollwertverstellung o Muskelzittern (Schüttelfrost), Vasokonstriktion bis zum Erreichen des Sollwertes; Bei Entfieberung o Schweißsekretion p, Vasodilatation Haut 4 Maligne Hyperthermie: Aktivierung von sarkoplasmatischem Ca2+-Kanal durch Narkosemittel 4 Arbeit o Wärmebildung o Kerntemperatur o ≥41°C [o Darmdurchblutung p o Übertritt von Darmbakterien o Fieber]
8
192
Kapitel 8 · Energie- und Wärmehaushalt
4 Therapie Hyperthermie: kalte Wadenwickel (bei passiver H.), Cykloxygenasehemmer (bei Fieber) 4 Therapie von Hypothermie: Bei Erwärmung Gefahr des steigenden Energieverbrauches bei noch nicht normalisiertem Kreislauf [Aufwärmung mit Herz-Lungen-Maschine]
8
Akklimatisation 4 Kälteakklimatisation: Kälte wird weniger wahrgenommen, Zitterschwelle sinkt (Habituation) 4 Wärmeakklimatisation: Schweißsekretion früher und stärker und mit weniger NaCl-Verlusten
9
9 Wasser und Elektrolythaushalt, Nierenfunktion 9.1
Wasser- und Elektrolythaushalt – 194
9.1.1 9.1.2 9.1.3 9.1.4 9.1.5 9.1.6 9.1.7 9.1.8
Allgemeine Grundlagen – 194 Flüssigkeitsräume – 195 Wasser – 197 Natrium – 199 Kalium – 200 Calcium – 203 Phosphat – 205 Magnesium – 206
9.2
Niere
9.2.1 9.2.2 9.2.3 9.2.4 9.2.5 9.2.6 9.2.7 9.2.8 9.2.9 9.2.10
Bau und Funktion – 209 Durchblutung – 209 Filtration – 212 Transport an renalen Epithelien – 215 Resorption, Sekretion – 216 Harnkonzentrierung – 221 Globale Nierenfunktion und Regulation – 224 Stoffwechsel und Hormonbildung – 226 Ableitende Harnwege – 227 Messgrößen der Nierenfunktion – 228
– 209
194
Kapitel 9 · Wasser und Elektrolythaushalt, Nierenfunktion
> > Einleitung Der Körper besteht zu etwa einem Drittel aus Wasser. Es verteilt sich auf intrazelluläre und extrazelluläre Kompartimente, die jeweils durch Membranen voneinander getrennt sind. Der Intrazellulärraum ist vom Extrazellulärraum durch die Zellmembranen getrennt, der interstitielle Raum vom Plasmaraum durch Basalmembran bzw. Endothel und von den transzellulären Räumen (Peritonealflüssigkeit, Pleuraraum, Pericardraum, Liquor, Kammerwasser im Auge, luminale Flüssigkeit von Drüsen, Darm, Nierentubuli und Blase) jeweils durch Epithelschichten. Die weitgehende Konstanz der Volumina und Zusammensetzung einzelner Flüssigkeitsräume ist Voraussetzung für das Überleben des Körpers. Aufgabe der Niere ist v. a. die Regulation der Wasserbilanz und der extrazellulären Elektrolytkonzentrationen.
9
9.1
Wasser- und Elektrolythaushalt
9.1.1
Allgemeine Grundlagen
! Der Körper besteht zu etwa zwei Drittel aus Wasser. Die Volumina und Elektrolytkonzentrationen der Wasserräume des Körpers müssen in engen Grenzen reguliert werden
Wasser. In Abhängigkeit von Alter, Geschlecht und Fett-
gewebe sind etwa 60–70% des Körpergewichtes Wasser (. Abb. 9.1). Wasser ist als Lösungsraum für Substanzen
. Tab. 9.1. Flüssigkeitsräume des Körpers 35 %
Intrazellulärraum
25%
Extrazellulärraum
18%
interstitieller Raum
5%
Plasmawasser
2%
transzelluläres Wasser
Gesamtkörperwasser: ca. 60 % des Körpergewichtes (Säuglinge ca. 75 %, ältere Frauen ca. 50 %, bei stark adipösen Personen weniger)
und ihre Reaktionen unentbehrlich. Es verteilt sich über die Flüssigkeitsräume und bestimmt deren Volumen (. Tab. 9.1). Wasser folgt einem osmotischen Gradienten, der zum größten Teil durch die gelösten Ionen geschaffen wird. Elektrolyte. Die Elektrolyte sind ungleich in den verschiedenen Flüssigkeitsräumen verteilt (. Tab. 9.2). Intrazellulär überwiegt K+, extrazellulär NaCl. Homöostase. Änderungen von Zellvolumen oder Elek-
trolytkonzentrationen beeinträchtigen die Funktion von Zellen. Darüber hinaus können Änderungen der Volumina einzelner Flüssigkeitskompartimente verheerende Auswirkungen haben. Zum Beispiel kann eine Abnahme des Blutvolumens (Hypovolämie) Kreislaufversagen, eine
. Abb. 9.1. Anteil von intrazellulärem (IZV) und extrazellulärem (EZV) Wasser am Körpergewicht. Einfluss von Geschlecht und Alter FS = feste Substanz (v. a. Knochen)
195 9.1 · Wasser- und Elektrolythaushalt
. Tab. 9.2. Elektrolytkonzentrationen in den Flüssigkeitsräumen des Körpers Plasma a
Na+
Interstitielle Flüssigkeit
Intrazelluläre Flüssigkeit [mval/l]
[mval/l]
[mmol/l]
[mval/l]
[mmol/l]
[mmol/l]
141
141
143
143
15
15
K+
4
4
4
4
140
140
Ca2+
5
2,5
2,6
1,3
2
1
1,4
0,7
Mg2+
30
0,0001 b 15
Summe
152
Cl -
103
103
115
115
8
8
25
25
28
28
15
15
2
1
2
1
85 c
60 c
1
0,5
1
0,5
20
10
2
2
60
6
– 3
HCO
HPO4224
SO
org. Säuren
151
0,0002 b
4
4
5
Proteine
17
2
<1
Summe
152
185
5 P1
151
pH
7,4
Volumen (l)
3
a
185
7,4
7,1
10
20
a = davon sind nur 94% Wasser, 6% sind Proteinvolumen, d. h. die Konzentrationen der Elektrolyte im Plasmawasser sind um etwa 6% größer als im Plasma b = freies Calcium im Zytosol c = davon der größte Teil organisch (Hexose-, Kreatin-, Adenosinphosphat etc.)
Zunahme des Augenwasservolumens (Glaukom) zur Erblindung sowie eine Zunahme des intracraniellen Volumens (Hirnödem) zum Hirntod führen. Änderungen von Elektrolytkonzentrationen können über Erzeugung entsprechender osmotischer Gradienten zu Volumenverschiebungen zwischen den Flüssigkeitsräumen führen oder über Beeinflussung der Gradienten über die Zellmembran Membranpotenzial und weitere Zellfunktionen beeinflussen. Der Körper benötigt daher Mechanismen, welche Konstanz der Volumina und Elektrolytkonzentrationen seiner Flüssigkeitsräume gewährleisten. Voraussetzung ist zunächst eine ausgeglichene Bilanz nach außen. Die Niere scheidet nach Bedarf Wasser und Elektrolyte aus und spielt daher eine zentrale Rolle bei der Regulation der Wasser- und Elektrolytbilanz. Doch auch bei intakter Bilanz nach außen können Verschiebungen von Wasser und Elektrolyten zwischen einzelnen Flüssigkeitsräumen bisweilen lebensbedrohliche Auswirkungen nach sich ziehen.
9.1.2
Flüssigkeitsräume
! Wasser verteilt sich über intrazelluläre und extrazelluläre Räume mit jeweils charakteristischen Elektrolytkonzentrationen. Ihre Volumina können mit Hilfe von Indikatorverdünnung ermittelt werden
Körperkompartimente. Das Körperwasser verteilt sich auf
verschiedene Flüssigkeitsräume (. Tab. 9.1). Der Intrazellulärraum wird vom Extrazellulärraum durch Zellmembranen getrennt. Im Extrazellulärraum trennt die Gefäßwand das Blutplasma von der interstitiellen Flüssigkeit ab. Die extrazelluläre Flüssigkeit in dem die Lunge umgebenden Pleuraraum, in dem das Herz umgebenden Pericardraum, in dem die Bauchorgane umgebenden Peritonealraum, in dem Rückenmark und Gehirn begleitenden Liquorraum, in Augenkammern und in den Lumina von Nierentubuli, Darm etc. ist vom übrigen Extrazellulärraum jeweils durch eine Zellschicht (Epithel) getrennt und wird daher transzelluläres Wasser genannt (. Tab. 9.1).
9
196
Kapitel 9 · Wasser und Elektrolythaushalt, Nierenfunktion
. Tab. 9.3. Mittlere Konzentrationen (mmol/l) in Glomerulumfiltrat, Urin und Schweiß Ionen
GFR
Urin
Schweiß
+
142
150
5–80
4
60
10
1
1
Na K
+
Ca2+ Cl
1,3
-
115
HCO3–
150
28
pH
–
7,4
Volumen (l/24 h)
5,8
170
5–70 –
1,5
– 1
. Tab. 9.4. Verteilung von Elektrolyten in verschiedenen Kompartimenten
+
K
Na
9
+
IZR
EZR
88
3
7
50
Knochen 9 43
Ca2+
<0,1
0,1
100
Mg2+
60
0,1
40
PO4
12
0,1
88
Cl
-
5
95
0
in %; die Zahlen sind gerundet, die Summe ist daher z. T. >100. IZR = Intrazellulärraum, EZR = Extrazellulärraum
Elektrolytkonzentrationen. Die Elektrolytzusammensetzung
der verschiedenen Kompartimente ist in . Tab. 9.2 wiedergegeben. Die Elektrolytzusammensetzung ist in Plasma und Interstitium fast gleich, weist jedoch große Unterschiede auf zwischen intra- und extrazellulärem Raum sowie zwischen Interstitium und einigen transzellulären Räumen (. Tab. 9.3). Die Konzentrationsunterschiede in den einzelnen Kompartimenten führen auch zu einer unterschiedlichen Verteilung der einzelnen Elektrolyte im Körper (. Tab. 9.4). Bestimmung von Körpervolumina. Die Kompartimente
werden durch geeignete Indikatoren bestimmt, die sich in den jeweiligen Flüssigkeitsräumen (und nur dort) verteilen. Die Konzentration einer beliebigen Substanz (c) ist als die Menge (M) pro Volumen (V) definiert: c = M/V Umkehr dieser Formel (V = M/c) erlaubt die Bestimmung eines Volumens, wenn von einer beliebigen Substanz die in
diesem Volumen gelöste Menge und die Konzentration bekannt sind. Bei der Bestimmung des Plasmavolumens injiziert man beispielsweise eine bekannte Menge Evansblau in eine Vene, wartet, bis sich Evansblau gleichmäßig verteilt hat und entnimmt dann (aus einer anderen Vene) ein Probevolumen zur Bestimmung der Konzentration. Voraussetzungen für die Tauglichkeit des Indikators sind seine gleichmäßige Verteilung im fraglichen Volumen (und nur dort), seine Ungiftigkeit und seine Inertheit, d. h. er darf das zu bestimmende Volumen nicht verändern. Wird die Indikatorsubstanz in der Mischperiode z. T. ausgeschieden, dann muss die ausgeschiedene Menge von der injizierten Menge abgezogen werden. Alternativ wird die Indikatorkonzentration mehrfach gemessen, und die Messwerte werden logarithmisch gegen die Zeit aufgetragen. Nach der Mischzeit fällt der Logarithmus der Indikatorkonzentration linear ab. Extrapolation der Gerade auf den Zeitpunkt der Indikatorapplikation ergibt diejenige Konzentration, die bei vollständiger Mischung des gesamten injizierten Farbstoffes erreicht worden wäre. Das Plasmavolumen kann außer mit Evansblau auch mit Hilfe von radioaktiv markierten Proteinen, das Blutvolumen mit 51Cr-markierten Erythrozyten, das Extrazellulärvolumen mit radioaktivem Na+, Cl-, Thiozyanat, Inulin oder Sucrose, und das Gesamtkörperwasser mit tritiiertem Wasser oder Antipyrin geschätzt werden. Das Intrazellulärvolumen wird aus der Differenz von Gesamtkörperwasser und Extrazellulärvolumen ermittelt. ! Das Zellvolumen wird über Transport und Stoffwechsel reguliert
Regulation des Zellvolumens. Die Zellmembranen sind
mit wenigen Ausnahmen für Wasser frei permeabel. Wasser folgt dem osmotischen Gradienten. Um ihr Volumen konstant zu halten, müssen die Zellen somit ein osmotisches Gleichgewicht über die Zellmembran schaffen. Zur Betreibung ihres Stoffwechsels müssen Zellen jedoch eine Vielzahl osmotisch aktiver Substanzen akkumulieren, wie beispielsweise Aminosäuren, Glukose und Proteine. Die meisten Zellen lösen das Problem folgendermaßen (. Abb. 9.2): Die Na+/K+-ATPase pumpt Na+ im Austausch gegen K+ aus der Zelle. Die Zellmembran ist in aller Regel wenig für Na+, jedoch gut für K+ permeabel. K+ verlässt, seinem chemischen Gradienten folgend, die Zelle und erzeugt dadurch ein außen positives Potenzial über die Zellmembran. Dieses Potenzial verhindert nicht nur den weiteren Ausstrom von
9
197 9.1 · Wasser- und Elektrolythaushalt
te, organische Substanzen, die in erster Linie für die Erzeugung intrazellulärer Osmolarität eingesetzt werden. Die wichtigsten Osmolyte sind Taurin, die Alkohole Sorbitol und Inositol und die Methylamine Betain und Glyzerophosphorylcholin. Schließlich verwenden Zellen Aminosäuren als Osmolyte. Bei Zellschrumpfung erhöhen sie ihre intrazelluläre Aminosäurekonzentration durch gesteigerte Proteolyse, bei Zellschwellung mindern sie die intrazelluläre Aminosäurekonzentration durch überwiegende Proteinsynthese.
9.1.3 . Abb. 9.2. Zelluläre Volumenregulation (aus Schmidt, Lang und Thews)
K+, sondern treibt auch Cl- aus der Zelle. Bei einem Zellmembranpotenzial von - 90 mV ist die intrazelluläre Cl-Konzentration im Gleichgewicht nur etwa 1/30 der extrazellulären Cl--Konzentration (. Abb. 9.2). Die niedrige intrazelluläre Cl--Konzentration wird z. T. durch negative Ladungen intrazellulärer Proteine kompensiert, sodass intra- und extrazellulär Elektroneutralität herrscht. Da die Proteine jedoch viele Ladungen pro Molekül aufweisen, üben sie pro Ladung eine geringere osmotische Aktivität aus als Cl-. Dadurch ist es der Zelle möglich, osmotisch aktive Substrate (z. B. Aminosäuren) zu akkumulieren, ohne das osmotische Gleichgewicht über die Zellmembran zu stören. Die Erhaltung des Membranpotenzials und damit des osmotischen Gleichgewichts erfordert den ständigen Einsatz von Energie in Form von ATP, da die Zellmembran für Na+ nicht völlig impermeabel ist. Hemmung der Na+/K+ATPase bei Energiemangel führt zum allmählichen Schwinden der Gradienten für Na+ und K+, zur Depolarisation und zur Zunahme der intrazellulären Cl--Konzentration. Folge ist u. a. eine Zellschwellung. Eine Unterbrechung der O2-Versorgung des Gehirns, z. B., führt in kurzer Zeit zur Schwellung der Neurone und damit zum Hirnödem. Die Zellen sind normalerweise bei Änderungen ihres Volumens in der Lage, durch Transport von Ionen das osmotische Gleichgewicht wiederherzustellen. Bei Schwellung geben die Zellen durch Aktivierung von KCl-Cotransportern, K+- und Cl--Kanälen Elektrolyte ab. Bei Zellschrumpfung nehmen sie über Aktivierung von Na+-Kanälen, Na+-K+-2 Cl--Cotransportern, Na+/H+-Austauschern und Cl-/HCO3–-Austauschern Elektrolyte auf. Ferner akkumulieren Zellen bei Zellschrumpfung Osmoly-
Wasser
! Wasser ist unverzichtbarer Lösungsraum. Der Wassergehalt des Körpers wird v. a. durch Antidiuretisches Hormon reguliert
Physiologische Bedeutung von Wasser. Wasser ist Lö-
sungsraum für biochemische Reaktionen und Transportmedium. Der jeweilige Wassergehalt bestimmt das Volumen eines einzelnen Flüssigkeitsraumes. Massive Störungen der Wasserbilanz oder der Wasserverteilung innerhalb des Körpers werden daher nicht überlebt. Regulation des Wasserhaushaltes. Ein konstanter Bestand
an Körperwasser erfordert ein Gleichgewicht von oraler Aufnahme und Produktion (Oxidationswasser) auf der einen Seite sowie Verdunstung und Ausscheidung auf der anderen (. Tab. 9.5). Die orale Aufnahme wird durch Durst gesteuert. Durst wird durch Zellschrumpfung (Hyperosmolarität) oder herabgesetztes Plasmavolumen (geringe Füllung des rechten Vorhofes) ausgelöst, also durch Mangel an Wasser. Ein Überschuss an Wasser führt zu gesteigerter renaler Wasserausscheidung (Diurese), ein Mangel an Wasser zu Antidiurese (. Abb. 9.3). . Tab. 9.5. Täglicher Wasserumsatz des Körpers bei Erwachsenen Aufnahme (l/24h)
Abgabe (l/24h)
Nahrungsmittel
0,7
Verdunstung (Haut und Lunge)
0,8
Oxidationswasser
0,3
Kot
0,1
Trinkmenge
> 0,6
Harn
> 0,7
Schweiß
0–10
Säuglinge tauschen täglich ca. 10% des Körpergewichts an Wasser aus
198
Kapitel 9 · Wasser und Elektrolythaushalt, Nierenfunktion
. Abb. 9.3. Regulation renaler Wasser- (H2O-) und Kochsalz-(NaCl-)Ausscheidung nach Wasser und/oder NaCl-Zufuhr. (AII = Angiotensin II, RH2O = Wasserrückresorption in der Niere)
9
Wasseraufnahme führt zur Zunahme von intra- und extrazellulärem Volumen. Die Zunahme des Zellvolumens und die Vorhofdehnung hemmen die Ausschüttung von ADH. Die folgende Hemmung der distal-tubulären Wasserresorption sorgt für die renale Ausscheidung des überschüssigen Wassers. Bei Wassermangel wird über Stimulation der ADHAusschüttung die renale Ausscheidung von Wasser herabgesetzt. . Abb. 9.4. Störungen des Wasser- und NaClHaushaltes. Links die jeweiligen Änderungen von Intrazellulärraum (IZR, grün) und Extrazellulärraum (EZR, blau). Rechts die jeweiligen Änderungen der extrazellulären Na+-Konzentration ([Na+]), der Plasmaproteinkonzentration ([Pr -]), des Hämatokrit (Hkt) und des Verhältnisses von Hämatokrit und Hämoglobinkonzentration (Hkt/[Hb])
Störungen des Wasserhaushaltes. Ein Überschuss an Wasser wird als Hyperhydration, ein Mangel an Wasser als Dehydration bezeichnet. Die Störungen können ohne (isoton) oder mit (hyperton oder hypoton) Änderung der extrazellulären (und intrazellulären) Osmolarität einhergehen (. Abb. 9.4). Hyperhydration führt zur Expansion, Dehydration zur Schrumpfung von Flüssigkeitsräumen. Welche Räume besonders betroffen sind, hängt in erster Linie von der gleichzeitigen Kochsalzbilanz ab (7 Kap. 9.1.4).
9
199 9.1 · Wasser- und Elektrolythaushalt
9.1.4
Natrium
. Tab. 9.6. Täglicher Elektrolytumsatz des Körpers bei Erwachsenen
! Kochsalz ist der quantitativ wichtigste Bestandteil des Extrazellulärraums. Die Regulation der Kochsalzbilanz ist v. a. Aufgabe von Aldosteron und natriuretischen Faktoren
Physiologische Bedeutung von Kochsalz. Normalerweise stellen Na+ und Cl- etwa 80 % der extrazellulären Osmolarität. Daher wird der Anteil des Körperwassers, der im Extrazellulärraum bleibt, im Wesentlichen von der NaCl-Konzentration im Extrazellulärraum diktiert. NaCl beeinflusst somit sowohl Intra- als auch Extrazellulärvolumen. Der Kochsalzgehalt des Körpers bestimmt damit auch das Plasmavolumen, das über den Vorhofdruck die Herzfüllung, das Schlagvolumen und damit den Blutdruck beeinflusst (7 Kap. 3.2.4). Na+ ist von entscheidender Bedeutung für die schnelle Depolarisation erregbarer Zellen (7 Kap. 1.5). Schließlich wird der steile Gradient von Na+ über die Zellmembran für den Transport anderer Elektrolyte und einer Vielzahl von organischen Substanzen genutzt. Freilich ist die Tätigkeit von Na+-Kanälen und den Na+-gekoppelten Transportprozessen nur bei massiven Änderungen der extrazellulären Na+-Konzentration beeinträchtigt, wie sie beim Lebenden nicht vorkommen. Störungen des NaClHaushaltes wirken daher im Wesentlichen über Änderungen im Volumen des Intra- und Extrazellulärraums. Regulation des Wasser- und Kochsalzhaushaltes. Die Kochsalzbilanz ist eine Funktion von oraler Aufnahme auf der einen und Ausscheidung über Urin, Kot und Schweiß auf der anderen (. Tab. 9.6). Die orale Aufnahme von Kochsalz kann durch Salzappetit stimuliert werden. Allerdings wird die Salzaufnahme im Gegensatz zur Wasseraufnahme nicht präzise reguliert. Bei Mangel an Kochsalz drosselt die Niere die Na+-Ausscheidung (Antinatriurese). Das Nebennierenhormon Aldosteron fördert sowohl Salzappetit als auch Antinatriurese (7 Kap. 10.2.2). Ein Überschuss an Kochsalz fördert die renale Na+-Ausscheidung (Natriurese). Die renale Cl--Ausscheidung ist eine Funktion der Na+Ausscheidung und der Ausscheidung anderer Anionen. Mehrere Mechanismen passen die renale Ausscheidung von Wasser und Kochsalz an die jeweilige Aufnahme an (. Abb. 9.3). Natriuretische Faktoren. Bei Zunahme des Blutvolumens
werden in den Vorhöfen des Herzens natriuretische Peptide (Atriopeptin, atrialer natriuretischer Faktor, ANF) gebildet, die eine Steigerung der renalen Na+-Ausschei-
Gesamtumsatz Ausscheidung in % der Gesamtausscheidung [mmol/24 h]
Ausscheidung in % der Gesamtausscheidung
Natrium
150
95
4
1
Kalium
100
90
10
–
Chlorid
100
98
1
1
Calcium
20
30
70
–
Magnesium
15
30
70
–
Urin
Kot
Schweiß
dung bewirken (7 Kap. 10.2.3). Sie fördern die renale Na+Ausscheidung durch Steigerung der renalen Durchblutung und Filtration sowie durch Hemmung der Na+-Resorption im Sammelrohr der Niere. Ferner hemmen sie die Aldosteronausschüttung und senken den Blutdruck durch Minderung von Herzfrequenz und Herzkraft sowie durch periphere Vasodilatation. Im Gehirn gebildete natriuretische Peptide (Atriopeptin, brain natriuretic peptide, BNP, oder C-type-related natriuretic peptide, CNP) unterdrücken im Gehirn (v. a. Hypothalamus) Durst und ADH-Ausschüttung. Auch in der Niere selbst wird ein natriuretisches Peptid gebildet, das Urodilatin, dessen Struktur und Wirkungen denen von Atriopeptin sehr ähnlich sind. In der Nebenniere wird natriuretisch wirksames Ouabain gebildet (7 Kap. 10.2.3). Es hemmt die Na+/K+-ATPase. Weitere natriuretisch wirksame Hormone. Neben den atri-
alen und extrakardialen natriuretischen Peptiden und Ouabain werden noch einige weitere Hormone bzw. Mediatoren im Körper bzw. in der Niere gebildet, die eine natriuretische Wirkung ausüben können, wie u. a. Parathormon (s. u.), Prostaglandine und Dopamin. 4 Parathormon hemmt die proximal-tubuläre Na+-Resorption 4 Prostaglandine steigern die Durchblutung und hemmen die Kochsalzresorption in dicker Henle-Schleife und Sammelrohr. Prostaglandin E2 weist zudem eine starke vasodilatatorische Wirkung in der Peripherie auf 4 Dopamin steigert die renale Durchblutung und glomeruläre Filtrationsrate und hemmt die Rückresorption von Na+
200
9
Kapitel 9 · Wasser und Elektrolythaushalt, Nierenfunktion
Aufnahme isotoner Kochsalzlösung steigert ausschließlich das Extrazellulärvolumen. Über das Filtrationsgleichgewicht in peripheren Kapillaren steigt auch das Plasmavolumen. Folge ist ein Anstieg des Vorhofdruckes. Die Vorhofdehnung stimuliert die Ausschüttung des atrialen natriuretischen Faktors (ANF, Atriopeptin), der u. a. Natriurese auslöst. Die Vorhofdehnung hemmt ferner über vagale Afferenzen die Ausschüttung von antidiuretischem Hormon (ADH). Der Wegfall der ADH-Wirkung hemmt die Wasserresorption im distalen Nephron und führt damit zur Diurese. Die gesteigerte Vorhoffüllung steigert ferner das Schlagvolumen und begünstigt damit eine Zunahme des Blutdruckes. Die gesteigerte Dehnung der Rezeptoren im Karotissinus stimuliert den Parasympathikus und hemmt den Sympathikus. Folge ist wiederum eine Herabsetzung des präglomerulären Vasotonus. Eine Steigerung der Nierendurchblutung wird durch die renale Autoregulation weitgehend unterbunden. Es kommt aber zu einer Hemmung der Reninausschüttung. Über eine herabgesetzte Bildung von Angiotensin II wird damit die Ausschüttung von Aldosteron und ADH gehemmt. Folgen sind gesteigerte renale Eliminierung von NaCl und Wasser. Schließlich soll bei Volumenüberschuss in der Nebenniere Ouabain gebildet werden, das über Hemmung der Na+/K+-ATPase die renale Na+-Resorption hemmt. Mangel an Wasser und Kochsalz drosselt über Hemmung der Ausschüttung von ANF und Ouabain sowie Stimulation der Ausschüttung von Aldosteron und ADH die renale Ausscheidung von Kochsalz und Wasser.
zur Volumenzunahme aufweist. Eine Schwellung von Neuronen und Gliazellen wird zunächst durch Verdrängung von Liquor kompensiert, der normalerweise etwa 15% des intrakraniellen Raumes einnimmt. Bei weiterer Volumenzunahme steigt der intrakranielle Druck steil an, durch Kompression der Gefäße wird die Gehirndurchblutung eingeschränkt und durch Energiemangel kommt es zu weiterer Zellschwellung. Zeichen gestörter neuronaler Funktion bei Hirnödem sind Übelkeit, Erbrechen, Bradykardie, Verwirrtheit und Koma 4 Auch eine Zellschrumpfung beeinträchtigt unter anderem die Funktion des Gehirns und kann letztlich Verwirrtheit und Koma auslösen 4 Eine Zunahme des Extrazellulärraums führt zur Bildung von Ödemen. Besonders gefürchtet ist das Lungenödem, das den Gasaustausch in der Lunge beeinträchtigt. Über gesteigerte Vorhoffüllung und Herzminutenvolumen kann der Blutdruck steigen 4 Bei einer Abnahme des Extrazellulärvolumens sinken umgekehrt Vorhoffüllung und Herzminutenvolumen und es droht Blutdruckabfall. Durch renale Vasokonstriktion, Renin, Angiotensin, Aldosteron und ADH wird Antidiurese ausgelöst, die ein Ausfallen schwer löslicher Urinbestandteile, also Nephrolithiasis begünstigt
! Störungen des Kochsalzhaushaltes beeinflussen Extraund Intrazellulärvolumina
! Kalium ist vorwiegend intrazellulär. Bei der Regulation der Plasmakonzentration spielt sowohl die Kaliumbilanz nach außen als auch der Transport über die Zellmembran eine Rolle
Störungen des Wasser- und Kochsalzhaushaltes. Die Volumenkonstanz einzelner Flüssigkeitsräume wird durch Störungen der Wasserbilanz (7 Kap. 9.1.3) oder durch Störungen osmotisch aktiver Substanzen gefährdet. (. Abb. 9.4). Da die Osmolarität des Extrazellulärraumes in erster Linie durch Kochsalz geschaffen wird, sind die Auswirkungen von Störungen des Wasserhaushaltes in erster Linie von der gleichzeitigen Kochsalzbilanz abhängig (7 Kap. 9.1.4). Folgen von Störungen des Salz-Wasser-Haushaltes sind Änderungen des intra- oder extrazellulären Volumens oder beidem. 4 Eine Zunahme des Intrazellulärvolumens bedroht vor allem das Gehirn (zelluläres Hirnödem), das zu zwei Dritteln aus Intrazellulärraum besteht und wegen der unnachgiebigen knöchernen Hülle keinen Spielraum
9.1.5
Kalium
Physiologische Bedeutung von Kalium. K+ wird in den Zel-
len akkumuliert und der chemische Gradient treibt K+ aus der Zelle. In den meisten Zellen ist der K+-Gradient Voraussetzung für die Schaffung der Potenzialdifferenz über die Zellmembran (7 Kap. 1.5). Über das Zellmembranpotenzial beeinflusst K+ die Erregbarkeit von Skelettmuskeln, Herz, glatter Muskulatur, Neuronen, die Ausschüttung von Hormonen (u. a. Insulin), elektrogene epitheliale Transportprozesse, die Aktivierung von Lymphozyten, sowie die Verteilung von HCO–3 über die Zellmembran und damit den Säure-Basen-Haushalt. Da K+ einen wesentlichen Anteil der intrazellulären Osmolarität beisteuert, beeinflusst K+ schließlich das Zellvolumen.
201 9.1 · Wasser- und Elektrolythaushalt
. Abb. 9.5. K+-Haushalt. Grün: Faktoren, welche die extrazelluläre K+-Konzentration steigern, rot: Faktoren, welche die extrazelluläre K+-Konzentration senken
Regulation der zellulären Kaliumaufnahme. Da sich der +
größte Anteil von K in den Zellen aufhält, spielt der Transport von K+ über die Zellmembran für die extrazelluläre K+Konzentration eine überragende Rolle (. Abb. 9.5). Geben etwa die Zellen nur 3 % ihres K+-Gehaltes ab, dann steigt die extrazelluläre K+-Konzentration auf mehr als das Doppelte. Umgekehrt zieht K+-Aufnahme in die Zellen eine massive Abnahme der extrazellulären K+-Konzentration nach sich. Der K+-Transport über die Zellmembran wird durch den Säure-Basen-Haushalt beeinflusst: Bei (extrazellulärer) Alkalose geben die Zellen H+ im Austausch gegen Na+ ab (Na+/H+-Austauscher), das wiederum im Austausch gegen K+ (Na+/K+-ATPase) aus der Zelle gepumpt wird. Alkalose stimuliert damit die zelluläre Aufnahme von K+. Umgekehrt mindert eine (extrazelluläre) Azidose die zelluläre Abgabe von H+ über den Na+/H+-Austauscher, weniger Na+ steht für die Na+/K+-ATPase zur Verfügung und weniger K+ wird zellulär aufgenommen. Auf diese Weise führt eine Alkalose zu Hypokaliämie und Azidose zu Hyperkaliämie. Die K+-Aufnahme in Zellen wird ferner durch Insulin stimuliert. Insulin fördert die zelluläre K+-Aufnahme über den Na+-K+-2 Cl--Cotransport und die Na+/K+-ATPase. Bei langanhaltendem Insulinmangel (z. B. Diabetes mellitus, Mangelernährung) kommt es zu zellulären K+-Verlusten. Die Verabreichung von Insulin bzw. die Zufuhr von Nahrung mit folgender endogener Insulinausschüttung lösen dann lebensbedrohliche Hypokaliämien aus. Glukagon fördert umgekehrt die zelluläre K+-Abgabe.
Adrenalin aktiviert über α-Rezeptoren zelluläre K+Kanäle, über β-Rezeptoren die Na+/K+-ATPase. Je nach Überwiegen der Rezeptoren kann Adrenalin zelluläre K+Abgabe (α) oder K+-Aufnahme (β) bewirken. Schilddrüsenhormone fördern über Stimulation der Na+/K+-ATPase die zelluläre K+-Aufnahme aber aktivieren gleichzeitig K+Kanäle. Bei Arbeit und bei Zelluntergang wird ebenfalls intrazelluläres K+ frei. ! Die renale K+-Ausscheidung ist abhängig von der renaltubulären Natriumresorption
Regulation der renalen K+-Ausscheidung. Neben einer
adäquaten Verteilung über die Zellmembran ist für die K+-Konzentration im Blut auch eine ausgeglichene Bilanz Voraussetzung. Sie wird im Wesentlichen durch orale Aufnahme auf der einen Seite und renale Ausscheidung auf der anderen diktiert. Für die renale Ausscheidung von K+ spielen vor allem distaler Tubulus und Sammelrohr eine entscheidende Rolle (. Abb. 9.6). In diesen Nephronsegmenten kann bei massivem K+-Mangel K+ über die K+/H+-ATPase resorbiert werden. Normalerweise wird jedoch K+ sezerniert. Die K+Sekretion wird durch eine Zunahme der luminalen K+Konzentration und eine Abnahme der zellulären K+-Konzentration gehemmt. Die luminale K+-Konzentration steigt bei geringer luminaler Stromstärke aufgrund der Kalium-
9
202
Kapitel 9 · Wasser und Elektrolythaushalt, Nierenfunktion
tiviert u. a. den distal-tubulären Na+-Kanal. Hemmung der Na+-Kanäle (z. B. Amilorid) oder der Aldosteronrezeptoren (Spironolakton) setzen die K+-Sekretion und renale K+Ausscheidung herab. Katecholamine haben eine geringfügig hemmende Wirkung auf die distal tubuläre K+-Sekretion. Die K+Sekretion wird bei Azidose gehemmt, da die K+-Kanäle durch H+ verschlossen werden und die Sekretion von H+ über Positivierung des Lumens die treibende Kraft für die K+-Sekretion herabsetzt. Alkalose fördert umgekehrt die renale K+-Ausscheidung. Regulation der extrarenalen Ausscheidung. Die extrarenale Ausscheidung von K+ spielt normalerweise eine geringfügige Rolle. Auch im Kolon wird unter dem stimulierenden Einfluss von Aldosteron Na+ im Austausch gegen K+ resorbiert. Bei Durchfall kann es daher zu erheblichen K+Verlusten kommen. ! Sowohl Hypo- als auch Hyperkaliämie können Herzrhythmusstörungen bis zum Kammerflimmern auslösen
Hypokaliämie. Eine Abnahme der extrazellulären K+-Kon-
9
. Abb. 9.6. Faktoren, welche die renale K+-Ausscheidung beeinflussen (n = Steigerung der K+-Ausscheidung, p = Minderung der K+Ausscheidung)
sekretion schnell an und limitiert die weitere K+-Sekretion. Hohe luminale Stromstärke begünstigt hingegen die K+Sekretion. Die K+-Sekretion wird ferner durch die Na+-Resorption gefördert, da Na+-Einstrom die luminale Zellmembran depolarisiert und damit die treibende Kraft für die K+-Sekretion steigert. Darüber hinaus wird Na+ an der basolateralen Membran über die Na+/K+-ATPase im Austausch gegen K+ aus der Zelle transportiert. Luminale Stromstärke und Na+-Resorption im distalen Tubulus und damit die renale K+-Sekretion sind bei Hemmung der Na+-Resorption in proximalem Tubulus (z. B. Karboanhydrasehemmer) und Henle-Schleife (Schleifendiuretika) gesteigert. Die distal-tubuläre Na+-Resorption und K+-Sekretion werden v. a. durch Aldosteron gesteigert. Das Hormon ak-
zentration (Hypokaliämie) ist das Ergebnis von K+-Verlusten oder einer Verschiebung von K+ in die Zellen. 4 Renale K+-Verluste treten bei gesteigerter Aldosteronwirkung (Hyperaldosteronismus), Behandlung mit Diuretika oder Schädigung von Nierentubuli auf 4 Beim seltenen genetisch bedingten Bartter-Syndrom ist die Na+-Resorption in der dicken Henle-Schleife gestört und das gesteigerte NaCl-Angebot an den distalen Tubulus stimuliert die K+-Sekretion 4 Mit extrarenalen K+-Verlusten muss man bei Durchfall rechnen 4 Eine Verschiebung von K+ in die Zellen tritt bei Gabe von Insulin und bei Alkalose auf Hypokaliämie kann durch Zunahme des elektrochemischen Gradienten über die Zellmembran für K+ und Hyperpolarisation die neuromuskuläre Erregbarkeit und die Aktivität glatter Muskulatur herabsetzen. Folgen sind u. a. Hyporeflexie und Darmatonie (Ileus, 7 Kap. 7.2.5). Auf der anderen Seite ist bei K+-Mangel die K+-Leitfähigkeit herabgesetzt und im Herzen die Phase-4-Depolarisation (7 Kap. 3.1) beschleunigt. Wie oben erläutert wurde, kann Hypokaliämie zu Alkalose führen. Über herabgesetzte Verfügbarkeit von K+ für den Na+-K+-2 Cl--Cotransport in der Henle-Schleife kann eine Hypokaliämie schließlich die
203 9.1 · Wasser- und Elektrolythaushalt
Na+-Resorption in diesem Segment und damit die Konzentrierungsfähigkeit der Niere beeinträchtigen.
Zellen herab, ist für die Blutgerinnung erforderlich und bindet an den Ca2+-Rezeptor, der u. a epithelialen Transport, Hormonausschüttung und Zellproliferation reguliert.
Hyperkaliämie. Eine Zunahme der extrazellulären K+-Kon-
zentration (Hyperkaliämie) ist meist Folge von exzessiver K+-Zufuhr, von zellulären K+-Verlusten wie bei Azidose, Insulinmangel und Zelluntergang (z. B. Crush-Syndrom, Hämolyse, Untergang von Tumorzellen bei Tumortherapie) oder von herabgesetzter renaler K+-Auscheidung (z. B. bei Niereninsuffizienz, Hypoaldosteronismus, Azidose, und Behandlung mit Amilorid). Hyperkaliämie steigert über Depolarisation der Zellmembranen die neuromuskuläre Erregbarkeit. Anhaltende Depolarisation bei Hyperkaliämie kann andererseits über Inaktivierung der muskulären Na+-Kanäle zu Lähmungen führen (7 Kap. 1.4). Im Herzen verkürzt Hyperkaliämie das Plateau des Aktionspotenzials und kann damit Kammerflimmern auslösen. Massive Hyperkaliämie löst durch anhaltende Depolarisation Herzstillstand aus.
9.1.6
Calcium
! Calcium ist wichtiger intrazellulärer Transmitter und Bestandteil des Knochens. Seine Regulation ist eng mit der von Phosphat verknüpft
Verknüpfung von Calcium und Phosphat. Calcium und
Phosphat sind durch die begrenzte Löslichkeit von Calciumphosphatsalzen miteinander verknüpft. Mit dem Produkt der Konzentrationen von Ca2+ ([Ca2+]) und HPO42([HPO42-]) steigt auch die Konzentration an CaHPO4 · [CaHPO4], bis dessen maximal lösliche Konzentration erreicht wird. Um eine Mineralisierung des Knochens durch Ausfällen von CaHPO4 zu ermöglichen, muss das Ionenprodukt von Ca2+ und HPO42- nahe dem Wert gehalten werden, bei dem CaHPO4 ausfällt (Löslichkeitsprodukt). Im Extrazellulärraum ist das Produkt [Ca2+] · [HPO42-] daher nur geringfügig unter dem Löslichkeitsprodukt. Ein Ansteigen von [Ca2+] führt also zum Ausfallen von CaHPO4, wenn nicht gleichzeitig [HPO42-] gesenkt wird und eine Zunahme von [HPO42-] ist ohne Ausfallen von CaHPO4 nur bei gleichzeitiger Senkung von [Ca2+] möglich. Da CaHPO4 sehr viel schlechter löslich ist als Ca(HPO4)2, fördert Alkalinisierung (und damit Zunahme der HPO42--Konzentration, 7 Kap. 5.10.1) das Ausfallen von Calciumphosphat und die Mineralisierung von Knochen und Zähnen. ! Die Regulation des Calcium-Phosphat-Haushaltes ist vor allem Aufgabe von Parathormon, Calcitriol und Calcitonin
Physiologische Bedeutung von Calcium. Gemeinsam mit
Phosphat ist Calcium wichtigster Bestandteil des Knochens. Über 99 % des Körpercalciums sind im Knochen eingebaut. Darüber hinaus ist Calcium ein wichtiger Regulator zellulärer Funktionen. In unstimulierten Zellen ist die intrazelluläre Ca2+-Aktivität nur etwa 0,1 µmol/l, d. h. nur ein zehntausendstel der extrazellulären Ca2+-Aktivität. In vielen Zellen (v. a. Muskelzellen, Neuronen, hormonproduzierenden Zellen) öffnet Depolarisation spannungsabhängige Ca2+-Kanäle und steigert damit die intrazelluläre Ca2+-Konzentration. Darüber hinaus öffnen viele Hormone rezeptoroperierte Ca2+-Kanäle in der Zellmembran und lösen damit die Ca2+-abhängigen zellulären Wirkungen aus, wie etwa 4 Muskelkontraktion 4 Ausschüttung von Hormonen und Neurotransmittern 4 Aktivierung von Ionenkanälen und von Enzymen Extrazelluläres Calcium hyperpolarisiert die Schwelle von Na+-Kanälen in erregbaren Zellen und mindert damit die neuromuskuläre Erregbarkeit. Ca2+ setzt ferner die Permeabilität von tight junctions in endothelialen und epithelialen
Regulation des Calcium-Phosphat-Haushaltes. Die Konstanz der extrazellulären Ca2+-Aktivität hat bei der Regulation des Calcium-Phosphat-Haushaltes unbedingten Vorrang, da phosphatabhängige Reaktionen (7 Kap. 9.1.7) erst bei massivem Phosphatmangel beeinträchtigt werden, während die Ca2+ abhängigen Reaktionen z. T. eine Funktion der Calciumkonzentration sind. So ist die Menge an Ca2+, die bei Stimulation durch rezeptoroperierte oder spannungsabhängige Ca2+-Kanäle in die Zelle gelangen, eine Funktion der extrazellulären Ca2+-Aktivität. Diese Menge entscheidet aber über die zellulären Wirkungen einer Depolarisation oder eines Hormons. Die Konstanthaltung der Plasma-Ca2+-Konzentration ist in erster Linie Aufgabe von Parathormon (Parathyrin, PTH). Das Hormon wird bei Abnahme der extrazellulären Ca2+-Konzentration aus der Nebenschilddrüse ausgeschüttet und seine Wirkungen zielen auf eine Steigerung der extrazellulären Ca2+-Aktivität ab (. Abb. 9.7). Parathormon stimuliert die Mobilisierung von Knochenmineralien (u. a. Calciumphosphat und Calciumkarbonat) und fördert die
9
204
Kapitel 9 · Wasser und Elektrolythaushalt, Nierenfunktion
. Abb. 9.7. Die Wirkungen von Parathormon (links) und von Calcitonin (rechts). Direkte Wirkungen blau, Wirkungen über Bildung von Calcitriol [1,25(OH)2D3] grün. Pi = Phosphat
9
renale Ca2+-Resorption. Es hemmt die renale Resorption von Phosphat und Bikarbonat, und erleichtert durch eine Senkung der Phosphat- und Bikarbonatplasmakonzentrationen die weitere Mobilisierung von Knochenmineralien. Bei Anstieg der Phosphatkonzentration würde eine Komplexierung von CaHPO4 im Blut drohen. Die akuten Wirkungen von Parathormon sind hervorragend geeignet, eine schnelle Korrektur der Plasma-Ca2+-Konzentration zu erzielen. Wiederholte Wirkungen von Parathormon würden jedoch schließlich zu einer Demineralisierung des Knochens führen. Daher stimuliert Parathormon die Bildung von Calcitriol [1,25(OH)2D3] in der Niere. Calcitriol fördert die enterale Absorption und renale Resorption von Calcium und Phosphat und begünstigt über einen Anstieg des Ionenproduktes die Mineralisierung des Knochens (. Abb. 9.8). Vorstufe von Calcitriol ist Vitamin D (Cholecalciferol), das entweder diätetisch zugeführt oder in der Haut unter dem Einfluss von UV-Strahlen aus 7-Dehydrocholesterin gebildet wird. In der Leber wird aus Vitamin D das Calcidiol [25(OH)D3] gebildet, das in der Niere zum wirksamen Calcitriol [1,25(OH)2D3] umgewandelt wird. Die Bildung von 25(OH)D3 in der Leber wird durch Östrogene, die Bildung von 1,25(OH)2D3 in der Niere durch Parathormon, Calcitonin (s.u.), Calcium- und Phosphatmangel stimuliert.
. Abb. 9.8. Bildung und Wirkungen von Calcitriol [25(OH)2D3]
Der Calcium-Phosphat-Haushalt wird schließlich durch Calcitonin aus der Schilddrüse reguliert. Das Hormon wird bei Hyperkalzämie ausgeschüttet. Es stimuliert die renale Bildung von Calcitriol und fördert somit die intestinale Calcium- und Phosphatabsorption (. Abb. 9.7). Gleichzeitig fördert es in physiologischen Konzentrationen die renale Ca2+-Resorption, hemmt die renale Phosphatresorption und stimuliert die Mineralisierung des Knochens. Das Hormon fördert die Mineralisierung des fetalen und kindlichen Knochens und schützt das mütterliche Skelett während der Schwangerschaft vor Demineralisierung. Sein Ausfall bleibt jedoch im Gegensatz zu Parathormon und Calcitriol ohne nennenswerte Konsequenzen. ! Störungen des Calciumhaushaltes beeinflussen kardiale und neuromuskuläre Erregbarkeit, sowie die Mineralisierung des Knochens und können die Bildung von Nierensteinen bewirken
Hypocalciämie. Die Konzentration an freiem Ca2+ im Plas-
ma sinkt bei herabgesetzter Mobilisierung von Calcium aus dem Knochen, mangelhafter intestinaler Aufnahme, renalen Verlusten oder Komplexierung von Ca2+ an Phosphat, Bikarbonat, Proteine oder Fettsäuren. Bei Mangel an Cal-
205 9.1 · Wasser- und Elektrolythaushalt
citriol (z. B. Vitamin-D-Mangel oder Niereninsuffizienz) ist v. a. die intestinale Ca2+-Absorption beeinträchtigt. Eine Hypocalciämie wird jedoch dabei in der Regel durch Ausschüttung von Parathormon verhindert. Herabgesetzte Ausschüttung (Hypoparathyroidismus) oder Wirksamkeit (Pseudohypoparathyroidismus) von Parathormon führt hingegen über eingeschränkte Calcitriolbildung, herabgesetzte renale und intestinale Resorption sowie verminderte Mobilisierung aus dem Knochen regelmäßig zur Hypocalciämie. Bei eingeschränkter Nierenfunktion (Niereninsuffizienz) ist die renale Phosphatausscheidung eingeschränkt, die Phosphatkonzentration im Blut steigt und komplexiert Ca2+. Die Hypocalciämie stimuliert die Ausschüttung von Parathormon, das u. a. Knochenmineralien mobilisiert. Der Versuch bleibt jedoch weitgehend wirkungslos, da das gleichzeitig mobilisierte Phosphat nicht durch die Niere ausgeschieden werden kann und Phosphat weiterhin Ca2+ komplexiert. Ca2+-Komplexierung an Fettsäuren wird bei Pankreatitis beobachtet, bei der Fettsäuren durch die Pankreaslipase freigesetzt werden. Bei Alkalose dissoziieren Plasmaproteine und binden Ca2+. Bei metabolischer Alkalose wird Ca2+ zusätzlich an Bikarbonat komplexiert, bei respiratorischer Alkalose nimmt die Komplexierung an Bikabonat ab. Daher sinkt die freie Ca2+-Konzentration bei metabolischer Alkalose stärker ab als bei respiratorischer Alkalose. Da alkalisches Phosphat (HPO42-) mit Ca2+ schwerer lösliche Komplexe bildet als saures Phosphat (H2PO4-), begünstigt Alkalose das Ausfallen von Calciumphosphat. Die wichtigste Auswirkung von Hypocalciämie ist gesteigerte neuromuskuläre Erregbarkeit. Im Herzen ist das Aktionspotenzial wegen verzögerter Aktivierung Ca2+-sensitiver K+-Kanäle verlängert. Bei Ca2+-Mangel droht Entmineralisierung des Knochens. Hypercalciämie. Sie ist häufig das Ergebnis von gesteigerter Mobilisierung von Knochenmineralien bei Hyperparathyroidismus, Knochentumoren und Immobilisierung. Darüber hinaus kann die enterale Absorption gesteigert sein, wie bei Überschuss an Vitamin D oder exzessiver Ca2+-Zufuhr. Folgen der Hypercalciämie sind u. a. Störungen der Erregung des Herzens und durch Stimulation des Ca2+-Rezeptors eingeschränkte Konzentrierungsfähigkeit der Niere. Schließlich können Ca2+-Salze ausfallen und u. a. Nierensteine erzeugen.
9.1.7
Phosphat
! Phosphat ist Bestandteil vieler organischer Verbindungen, ist an der Regulation von Proteinfunktionen beteiligt und ist für die Knochenmineralisierung erforderlich
Physiologische Bedeutung von Phosphat. Zusammen mit
Calcium ist Phosphat wichtigster Bestandteil des Knochens. In Zellen dient Phosphat einer Vielzahl von Funktionen. Phosphat ist u. a. Bestandteil von Membranlipiden, von energiereichen Phosphaten (v. a. ATP), und Botenstoffen wie cAMP. Schließlich werden durch Koppelung von Phosphat an Proteine (Phosphorylierung) deren Eigenschaften verändert und damit Enzyme oder Transportproteine aktiviert oder inaktiviert. Regulation des Phosphathaushaltes. Wie bereits ausge-
führt (7 Kap. 9.1.6), wird die renale Phosphatresorption durch Parathormon (Parathyrin) gehemmt und auf diese Weise die renale Phosphatausscheidung gesteigert. Parathyrin senkt damit die Plasmphosphatkonzentration, obgleich es die Mobilisierung von Phosphat aus dem Knochen stimuliert. Parathormon fördert die Bildung von Calcitriol, das seinerseits intestinale Absorption und renale Resorption von Phosphat stimuliert. Calcitonin hemmt die renale Phosphatresorption und steigert den Einbau von Phosphat in den Knochen. Phosphatmangel. Der Phosphatmangel ist das Ergebnis
mangelhafter Zufuhr, (z. B. bei Alkoholismus, Fasten), eingeschränkter intestinaler Absorption (Malabsorption, Vitamin-D-Mangel), oder renaler Verluste (Vitamin-D-Mangel, renaler Transportdefekt). Folgen massiven Phosphatmangels sind u. a. eingeschränkte ATP-Bildung mit Muskelschwäche, Herzinsuffizienz, verkürzte Lebensdauer von Erythrozyten mit Anämie sowie gestörte Funktion des Nervensystems. Anhaltender Mangel an Phosphat zieht Entmineralisierung des Knochens nach sich. Phosphatüberschuss. Der Phosphatüberschuss ist meist
Folge einer herabgesetzten renalen Ausscheidung von Phosphat, wie bei Niereninsuffizienz (häufig, 7 Kap. 9.1.6), Hypoparathyreoidismus (selten) und Pseudohypoparathyroidismus (sehr selten). Darüber hinaus können exzessive Zufuhr und Demineralisierung der Knochen zu Hyperphosphatämie führen. Phosphatüberschuss führt zur Komplexierung von Ca2+ mit Ausfällungen v. a. in Gelenken und der Haut. Die resultierende Hypocalciämie stimuliert die
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206
Kapitel 9 · Wasser und Elektrolythaushalt, Nierenfunktion
Ausschüttung von Parathormon, das weiteres CaHPO4 aus dem Knochen mobilisiert und damit einen Circulus vitiosus auslöst (s. o.)
9.1.8
Magnesium
! Magnesium reguliert Enzyme, Kanäle und Transportproteine. Störungen des Magnesiumhaushaltes beeinträchtigen die neuromuskuläre Erregbarkeit
Physiologische Bedeutung von Magnesium. Eine Vielzahl von Enzymen ist von Mg2+ abhängig. Insbesondere erfordert die Aktivität mehrerer Kinasen und Phosphatasen die Komplexierung von Phosphat mit Mg2+. Zum Beispiel beeinflusst Mg2+ über seinen Einfluss auf die Myosin-ATPase die Kontraktion des Herzmuskels und über Stimulation der Na+/K+-ATPase die zelluläre Aufnahme von K+. Darüber hinaus hemmt Mg2+ die Ausschüttung von Neurotransmittern und einer Reihe von Hormonen wie Parathormon, Calcitonin, Glukagon und Insulin. Regulation des Mg2+-Haushaltes. Die intrazelluläre Mg2+-
9
Konzentration beträgt etwa das Zehnfache der extrazellulären Mg2+-Konzentration. Getrieben durch das Zellmembranpotenzial kann Mg2+ über Ionenkanäle in die Zelle aufgenommen werden. Eine Mg2+-ATPase transportiert Mg2+ aus der Zelle heraus. Die zelluläre Mg2+-Aufnahme wird
durch akute respiratorische Alkalose und durch Insulin gefördert. Die Mg2+-Bilanz wird normalerweise durch das Gleichgewicht von intestinaler Absorption und renaler Ausscheidung bestimmt. Die intestinale Absorption wird durch luminale Komplexierung von Mg2+ an Phosphat, Oxalat oder Fettsäuren behindert. Sie wird stimuliert durch Parathormon, Calcitriol und Somatotropin und gehemmt durch Ca2+, Aldosteron und Calcitonin. Die renale Resorption von Mg2+ wird u. a. durch Magnesiummangel, Parathormon und ADH stimuliert und u. a. durch Magnesiumüberschuss, Schleifendiuretika, Hypercalciämie, Alkohol und Phosphatmangel gehemmt. Erhebliche Mengen an Mg2+ können schließlich über den Schweiß ausgeschieden und in die Muttermilch abgegeben werden. Mg2+-Mangel. Der Mg2+-Mangel ist Folge herabgesetzter
Zufuhr, gestörter intestinaler Absorption, sowie renaler und extrarenaler (Schweiß, Muttermilch) Verluste. Mg2+Mangel führt über Hemmung der Na+/K+-ATPase und gesteigerte K+-Kanal-Aktivität zu zellulären K+-Verlusten. Folgen von Mg2+-Mangel sind u. a. gesteigerte neuromuskuläre Erregbarkeit, kardiale Arrhythmien und herabgesetzte Herzkraft. Mg2+-Überschuss. Der Mg2+-Überschuss tritt bei gestörter
renaler Eliminierung oder exzessiver Mg2+-Aufnahme auf. Folgen von Mg2+-Überschuss sind u. a. herabgesetzte neuromuskuläre und kardiale Erregbarkeit.
In Kürze
Wasser- und Elektrolythaushalt Allgemeine Grundlagen 4 Wasser: 60–70% des Körpergewichtes, bestimmt Volumen der Flüssigkeitsräume, folgt osmotischem Gradienten 4 Elektrolyte: Intrazellulär überwiegt K+, extrazellulär NaCl 4 Homöostase von Körpervolumina und Elektrolytkonzentrationen erfordert ausgeglichene Bilanz nach außen und adäquate Verteilung zwischen den einzelnen Flüssigkeitskompartimenten innerhalb des Körpers Flüssigkeitsräume 4 Körperkompartimente: Zellmembranen trennen Intrazellulärraum von Extrazellulärraum; Gefäßwand trennt 6
Blutplasma von interstitieller Flüssigkeit, Epithelien trennen transzelluläre Räume (Pleuraraum, Pericardraum, Peritonealraum, Liquorraum, Augenkammern, Nierentubuli, Darm etc.) von übrigem Extrazellulärraum ab 4 Elektrolytkonzentrationen: . Tab. 9.2 4 Bestimmung von Körpervolumina: V = M/c; c = Indikatorkonzentration im Volumen (Plasmavolumen = Evansblau, radioaktiv markierte Proteine; Blutvolumen = 51Cr-markierte Erythrozyten, Extrazellulärvolumen = radioaktive Na+, Cl-, Thiozyanat, Inulin oder Sucrose; Gesamtkörperwasser = tritiiertes Wasser, Antipyrin. Intrazellulärvolumen = Gesamtkörperwasser – Extrazellulärvolumen) 4 Zellvolumenerhaltung: Zellmembranen sind H2O-permeabel, daher osmotisches Gleichgewicht erforderlich:
207 9.1 · Wasser- und Elektrolythaushalt
Na+/K+-ATPase o [Na+]i p, [K+]i n, wegen K+-Gradient und hoher K+-Permeabilität o K+-Ausstrom o außen positives Potenzial o Cl--Ausstrom. Niederes [Cl-]i kompensiert hohe Konzentration organischer osmotisch aktiver Substanzen. Negative Ladungen intrazellulär v.a. durch osmotisch (pro Ladung) weniger aktive Proteine 4 Energiemangel o Gradienten für Na+ und K+ p o Depolarisation o [Cl-]i n o Zellschwellung 4 Zellvolumenregulation: Schwellung o KCl-Cotransporter n, K+- und Cl--Kanäle n o Elektrolytausstrom o Wasserausstrom; Zellschrumpfung o Na+-Kanäle n, Na+-K+-2Cl–-Cotransporter n, Na+/H+-Austauscher n, Cl–/HCO3–-Austauscher n o Elektrolytaufnahme o Wassereinstrom. Zellschrumpfung ferner o Akumulation organischer Osmolyte (Taurin, Sorbitol, Inositol, Betain, Glyzerophosphorylcholin, Aminosäuren [Proteolyse]); Zellschwellung o Osmolytabgabe und Proteinsynthese Wasser 4 Wasser = Lösungsraum, bestimmt Volumen von Flüssigkeitsräumen 4 Regulation: Orale Aufnahme und Produktion (Oxidationswasser) ≈ Verdunstung und Ausscheidung. Wassermangel o Zellschrumpfung, Füllung rechter Vorhof p o Durst (Wasseraufnahme), ADH-Ausschüttung (Antidiurese) 4 Störungen Wasserhaushalt: Wasserüberschuss (Hyperhydration) o Schwellung; Mangel an Wasser (Dehydration) o Schrumpfung. Bei isotonen Störungen nur Extrazellulärraum betrofffen, bei hypotonen Störungen Zellschwellung, bei hypertonen Störungen Zellschrumpfung Natrium 4 Bedeutung: ≈80% extrazellulärer Osmolarität o Verteilung von Wasser zwischen Intra- und Extrazellulärraum inkl. Plasmavolumen o Vorhofdruck o Herzfüllung o Schlagvolumen o Blutdruck. Na+-Kanäle (Depolarisation erregbarer Zellen), Na+-Transport (u. a. Na+/H+-Austauscher, Na+/Ca2+-Austauscher, Na+gekoppelter Transport von Glukose, Aminosäuren) 4 Regulation: Aufnahme (Salzappetit, stimuliert durch Aldosteron), renale Ausscheidung; Natriurese: Atrio6
4
4 4
4 4 4 4
peptin [atrialer natriuretischer Faktor, ANF], brain natriuretic peptide [BNP], C-type-related natriuretic peptide [CNP], Urodilatin (Niere), Ouabain (Nebenniere), Parathormon, Prostaglandine, Dopamin Überschuss an isotoner Kochsalzlösung o Extrazellulärvolumen n o Plasmavolumen n o Vorhofdruck n o Atriopeptin n, Ouabain n, ADH p o Natriurese, Diurese. Ferner: Vorhofdruck n o Schlagvolumen n o Blutdruck n o Sympathikus p o Reninausschüttung p o Angiotensin II p o Aldosteron p, ADH p o Natriurese, Diurese Mangel an Wasser und Kochsalz o ANF p, Ouabain p, Aldosteron n, ADH n o Antinatriurese, Antidiurese Störungen: Überschuss an NaCl o Extrazellulärraum n, Intrazellulärraum p; Mangel an NaCl o Extrazellulärraum p, Intrazellulärraum n Zellschwellung o Hirnödem o Übelkeit, Erbrechen, Bradykardie, Verwirrtheit, Koma Zellschrumpfung o Gehirn o Verwirrtheit, Koma Extrazellulärraum n o Ödeme (v. a. Lungenödem), Blutdruck n Extrazellulärvolumen p o Vorhoffüllung p o Herzminutenvolumen p o Blutdruck p o renale Vasokonstriktion o Renin n o Angiotensin n o Aldosteron n, ADH n o Antidiurese o Nephrolithiasis
Kalium 4 Physiologische Bedeutung: K+ o Zellmembranpotenzial o Erregbarkeit (Skelettmuskeln, Herz, glatte Muskulatur, Neurone), Hormonausschüttung, epithelialer Transport, Säure-Basen-Haushalt, Zellvolumen 4 K+-Transport über Zellmembran abhängig von SäureBasen-Haushalt (Alkalose o Hypokaliämie, Azidose o Hyperkaliämie), Insulin (zelluläre K+-Aufnahme), Glukagon (Abgabe), Schilddrüsenhormone (Aufnahme), Adrenalin [K+-Abgabe (α), K+-Aufnahme (β)] 4 Distal-tubuläre Na+-Resorption n, Aldosteron, Alkalose o Renale K+-Ausscheidung n 4 Hypokaliämie: K+-Verluste (renal [Diuretika, Hyperaldosteronismus], intestinal [Durchfälle]) oder Verschiebung von K+ in die Zellen (v. a. Insulin, Realimentation,Alkalose) o neuromuskuläre Erregbarkeit p (Hyporeflexie), glatte Muskulatur p (Darmatonie, Ileus), K+-Leitfähigkeit Herz p(Extrasystolen), Alkalose, Harnkonzentrierung p
9
208
Kapitel 9 · Wasser und Elektrolythaushalt, Nierenfunktion
4 Hyperkaliämie: Exzessive K+-Zufuhr, zelluläre K+-Verluste (Azidose, Insulinmangel, Zelluntergang [z. B. großflächige Gewebezerstörung, Hämolyse, Tumortherapie]), renale K+-Retention (Niereninsuffizienz, Hypoaldosteronismus, Azidose, K+-sparende Diuretika) o Depolarisation o neuromuskuläre Erregbarkeit (Hyperreflexie, Lähmungen), Kammerflimmern, Herzstillstand
9
Calcium 4 Bedeutung: > 99% des Körpercalciums im Knochen, vorwiegend als Phosphatsalze. Intrazellulärer Botenstoff (Muskelkontraktion, Ausschüttung Hormone, Neurotransmitter, Aktivierung Ionenkanäle, Enzyme); Extrazelluläres Ca2+ o Schwelle Na+-Kanäle erregbarer Zellen, Permeabilität tight junctions, Blutgerinnung, Ca2+-Rezeptor 4 Verknüpfung mit Phosphat: Begrenzte Löslichkeit von Calciumphosphatsalzen (u. a. [CaHPO4], bei Alkalose schlechter löslich. Daher gemeinsame Regulation von Ca2+, HPO42- und pH. Zunahme von [Ca2+], [HPO42-] oder pH o Ausfallen CaHPO4, Mineralisierung Knochen, Zähne 4 Regulation: Extrazelluläre Ca2+-Konzentration p o Parathormon o Mobilisierung CaHPO4 aus Knochen n, renale Ca2+-Resorption n, renale Ausscheidung Phosphat und Bikarbonat n, Calcitriolbildung; Calcitriol o enterale Absorption + renale Resorption Calcium-Phosphat n 4 Calcitriolbildung: 7-Dehydrocholesterin + UV (Haut) o Cholecalciferol (Vitamin D) + Östrogene (Leber) o Calcidiol [25(OH)D3] + Parathormon, Calcitonin, Ca2+- oder Phosphatmangel (Niere) o Calcitriol [1,25(OH)2D3] 4 Hypercalciämie o Calcitonin o Stimulation Knochenmineralisierung, Calcitriolbildung, renale Ca2+Resorption n, renale Phosphatresorptionn 4 Hypocalciämie: Mangel an Calcitriol, Hypoparathyroidismus, Pseudohypoparathyroidismus, Niereninsuffizienz, Pankreatitis, Alkalose o gesteigerte neuromuskuläre Erregbarkeit; Ca2+-Mangel o Entmineralisierung des Knochens 4 Hypercalciämie: Hyperparathyroidismus, Knochentumoren, Immobilisierung, Überschuss an Vitamin D,
exzessive Ca2+-Zufuhr o Störungen der Erregung des Herzens, eingeschränkte renale Konzentrierungsfähigkeit, Nierensteine Phosphat 4 Bedeutung: Knochen, Membranlipide, energiereiche Phosphate (v. a. ATP), Botenstoffe. Proteinphosphorylierung 4 Regulation: siehe Ca2+ 4 Phosphatmangel: Mangelhafte Zufuhr (Alkoholismus, Fasten), eingeschränkte intestinale Absorption (Malabsorption, Vitamin-D-Mangel), renale Verluste (VitaminD-Mangel, renaler Transportdefekt) o ATP-Bildung p (Muskelschwäche, Herzinsuffizienz, Anämie), Entmineralisierung Knochen 4 Phosphatüberschuss: Herabgesetzte renale Ausscheidung (Niereninsuffizienz, Hypoparathyreoidismus, Pseudohypoparathyroidismus), exzessive Zufuhr, Demineralisierung Knochen o CaHPO4-Ausfällungen in Gelenken, Haut, Hypocalciämie o Parathormon n Magnesium 4 Bedeutung: Mg2+-abhängige Enzyme (Kinasen, Phosphatasen), Kanäle, Kontraktion Herzmuskel, Na+/K+-ATPase, Ausschüttung von Neurotransmittern, Hormonen (Parathormon, Calcitonin, Glukagon, Insulin) 4 Regulation: Zelluläre Mg2+-Aufnahme n durch respiratorische Alkalose, Insulin; Intestinale Absorption n durch Parathormon, Calcitriol, Somatotropin, Intestinale Absorption p durch luminale Komplexierung, Ca2+, Aldosteron, Calcitonin. Renale Resorption von Mg2+ n durch Magnesiummangel, Parathormon, ADH. Renale Resorption von Mg2+ p durch Magnesiumüberschuss, Schleifendiuretika, Hypercalciämie, Alkohol, Phosphatmangel, Verluste über Schweiß, Muttermilch 4 Mg2+-Mangel: Zufuhr p, intestinale Absorption p, renale + extrarenale (Schweiß, Muttermilch) Verluste o Na+/K+-ATPase p, K+-Kanäle n o zelluläre K+-Verluste o neuromuskuläre Erregbarkeit n, kardiale Arrhythmien, Herzkraft p 4 Mg2+-Überschuss: Renale Eliminierung p, Mg2+-Aufnahme n o neuromuskuläre und kardiale Erregbarkeit p
209 9.2 · Niere
9.2
Niere
9.2.1
Bau und Funktion
! Die Ausscheidung durch die Nieren geschieht durch glomeruläre Filtration und tubulären Transport
Gefäßen. Das anliegende Tubulusepithel ist dabei besonders hoch (Macula densa) und die Gefäßmuskelzellen enthalten Speichergranula, aus denen sie Renin freisetzen können. Gemeinsam mit den Maculazellen bilden sie den juxtaglomerulären Apparat. Bau der Nierentubuli. Das Tubulussystem besteht aus meh-
Aufgaben. Die Niere ist das wichtigste Ausscheidungsorgan
des Körpers. Sie eliminiert eine Reihe von überflüssigen oder schädlichen Substanzen (sog. harnpflichtige Substanzen). Darüber hinaus spielt die Niere eine überragende Rolle in der Kontrolle des Volumens und der Elektrolytzusammensetzung des Extrazellulärraums. Über den Wasser- und Kochsalzhaushalt kontrolliert sie das Blutvolumen und damit auch den Blutdruck. Zudem wirkt sie bei der Bildung von kreislaufaktiven Hormonen mit. Über den Mineralhaushalt beeinflusst sie indirekt die Mineralisierung des Knochens. Dabei bildet sie selbst Calcitriol, ein für den Mineralhaushalt bedeutsames Hormon. Sie bildet auch Klotho, ein Hormon, das u. a. Altern verzögert. Über die H+und HCO3–-Ausscheidung wirkt sie in entscheidender Weise bei der Regulation des Säure-Basen-Haushaltes mit. Ferner scheidet sie H+ als NH+4 aus, das sie aus Glutamin gewinnt. Das nach Desaminierung übrige Kohlenstoffskelett baut sie zu Glukose auf (Glukoneogenese). Schließlich bildet die Niere Erythropoietin, das die Erythropoiese reguliert. Im Zentrum ihrer Aktivität steht freilich die Kontrolle der Zusammensetzung des Extrazellulärraums.
reren, morphologisch und funktionell unterschiedlichen Abschnitten (. Abb. 9.9). Die filtrierte Flüssigkeit gelangt zunächst in den proximalen Tubulus, der in die HenleSchleife mündet. Die Henle-Schleife leitet die Tubulusflüssigkeit von der Nierenrinde in das Nierenmark und wieder zurück. Die Tubulusflüssigkeit wird dann zum juxtaglomerulären Apparat geführt, wo ein enger Kontakt zwischen den Tubulusepithelzellen (Macula densa) und dem jeweiligen Vas afferens hergestellt wird. Über distalen Tubulus und Verbindungsstück in der Nierenrinde erreicht die Tubulusflüssigkeit ein Sammelrohr, in das jeweils annähernd 3000 Nephrone münden. Über 300 Sammelrohre leiten die Tubulusflüssigkeit (bzw. den Urin) in das Nierenbecken.
9.2.2
Durchblutung
! Die Niere ist pro Gewicht das best durchblutete Organ des Körpers. Allerdings verteilt sich das Blut sehr ungleich über das Organ
Durchblutungswerte. Normalerweise passieren etwa 20 % Funktionsweise. Um dieser Aufgabe gerecht werden zu
können, muss die Niere pro Zeiteinheit ein möglichst großes Volumen ihrer Kontrolle unterziehen. Tatsächlich werden am Tag etwa 150 Liter Plasmawasser in den etwa 2 Millionen Glomerula filtriert und damit der Kontrolle durch die Niere unterworfen. Die filtrierte Flüssigkeit passiert dann ein System von Tubuli (. Abb. 9.9), die den weitaus größten Teil der Flüssigkeit und der gelösten Teilchen wieder zurücknehmen. Übrig bleibt der Urin, der über die Harnwege abgeleitet wird. Bau der Glomerula. Die Endothelzellen der Glomerulum-
kapillaren sind von einer Basalmembran umgeben. Auf der anderen Seite der Basalmembran werden die Gefäße durch Fußfortsätze der Podozyten gestützt. Podozyten und die zwischen den Kapillarschlingen liegenden Mesangialzellen nehmen liegengebliebene Proteine phagozytotisch auf und bauen sie ab. In den Vas afferens und Vas efferens besteht ein enger Kontakt zwischen dem Tubulusepithel und den
des Herzminutenvolumens (ca. 1,2 l/min) die beiden Nieren. Bezogen auf ihr Gewicht (ca. 300 g) sind die Nieren die am besten durchbluteten Organe des Körpers. Nierengefäße. Das Blut aus der Arteria renalis gelangt zu-
nächst über die Aa. interlobares zu den Aa. arcuatae, aus denen senkrecht die Aa. interlobulares entspringen. Die Aa. interlobulares geben die Vasa afferentia ab, die sich in den Glomerula in viele parallele Gefäßschlingen aufteilen. Die Kapillarschlingen münden in die Vasa efferentia, die sich nun erneut aufzweigen. Die Vasa efferentia oberflächlicher Nephrone geben die peritubulären Kapillaren ab, die ein Gefäßnetz um die Tubuli in der Nierenrinde bilden. Vasa efferentia aus tiefer gelegenen Glomerula (sog. juxtamedullären Glomerula) geben die Vasa recta ab, die in langen Kapillarschleifen in das Nierenmark eintauchen. Vasa recta und peritubuläre Kapillaren münden schließlich in die Vv. interlobulares, die das Blut über die Vv. arcuatae und Vv. interlobares zur V. renalis leiten. In der Niere sind
9
210
Kapitel 9 · Wasser und Elektrolythaushalt, Nierenfunktion
9
. Abb. 9.9. Struktur der Niere. Lage von oberflächlichen und tiefen Nephronen. Ausschnitt: Macula densa mit Glomerulum
somit zwei Kapillarnetze (Glomerulumkapillaren und peritubuläre Kapillaren bzw. Vasa recta) hintereinandergeschaltet. Druck und Widerstand in den Nierengefäßen. In Aorta
und Nierenarterie findet beim Gesunden kein wesentlicher Druckabfall statt (. Abb. 9.10), da der Widerstand dieser Gefäßabschnitte sehr gering ist. Die Arteria interlobaris weist bereits einen deutlichen Widerstand auf. Der größte Widerstand liegt jedoch normalerweise im Vas afferens, hier findet also der größte Druckabfall statt. Das Vas afferens steht darüber hinaus unter dem Einfluss einer Reihe von Faktoren, welche den Widerstand dieses Gefäßabschnittes modulieren (. Tab. 9.7). Das Vas afferens gibt eine
Vielzahl paralleler Glomerulumkapillaren ab, die wegen ihrer Parallelschaltung und Kürze einen sehr geringen Widerstand aufweisen. Damit tritt in den Glomerulumkapillaren praktisch kein Druckabfall auf. Die Glomerulumkapillaren münden in das Vas efferens, das wiederum einen erheblichen Widerstand aufweist und einen entsprechenden Druckabfall bewirkt. Die weiteren Gefäßabschnitte, wie peritubuläre Kapillaren und Venen, setzen dem Blutfluss wiederum einen geringen Widerstand entgegen. Der relativ hohe Widerstand im Vas efferens hält den Druck in den Glomerulumkapillaren hoch und gewährleistet damit den für eine normale Filtrationsrate erforderlichen Filtrationsdruck (s. u.). Aus den Vasa efferentia der juxtamedullären Nephrone entspringen die Vasa recta, die trotz ihrer
9
211 9.2 · Niere
. Tab. 9.7. Die wichtigsten Wirkungen von Hormonen auf die Nierenfunktion
. Abb. 9.10. Druckverlauf in den einzelnen Gefäßabschnitten der Niere. Der größte Druckabfall findet in den Gefäßabschnitten mit größtem Widerstand statt (Vas afferens und Vas efferens). Bei Anstieg des systemischen Druckes (grün) wird der Widerstand im Vas afferens gesteigert, bei Abfall des systemischen Druckes wird der Widerstand im Vas afferens gesenkt, sodass der Druck in den glomerulären Kapillaren annähernd gleich bleibt (Autoregulation)
enormen Länge normalerweise keinen sehr hohen Widerstand aufweisen, da eine Vielzahl von Vasa recta parallel geschaltet sind. Allerdings ist der Blutfluss in den Vasa recta bei Beeinträchtigung der Fließeigenschaften des Blutes in hohem Maße gefährdet. So nimmt man an, dass im postischämischen Nierenversagen die Strömungsverlangsamung in den Vasa recta zum Erliegen der Durchblutung dieser Gefäßabschnitte führt, sodass eine Mangelversorgung der benachbarten Zellen folgt.
Hormon
Wirkung
Aldosteron (Mineralokortikoide)
+ Na+-Kanäle, K+-Kanäle, Na+/K+-ATPase, Energiegewinnung in DT und SR
Kortisol (Glukokortikoide)
+ GFR, Na+/H+-Austauscher, Na+-HPO42--Cotransport in PT, Na+/K+-ATPase in dHL, DT, SR
Progesteron
- mineralokortikoide Wirkung
Schilddrüsenhormone
+ RBF, GFR, Na+/K+-ATPase, K+-Kanäle, Na+HPO42--Cotransport im PT
ADH
+ Wasserkanäle, Na+-Kanälen in DT und SR, Cl Kanäle, Na+-K+-2Cl --Cotransport im dHL
Atriopeptin
+ RBF, GFR, - Na+-HPO42--Cotransport im PT, Na+-Resorption im SR
Ouabain
- Na+/K+-ATPase in allen Nephronsegmenten
Parathormon
- Na+-HPO42--Cotransport, HCO3–-Resorption, + Na+/Ca2+-Austauscher im PT, Ca2+-Resorption im DT
Calcitonin
- Na+-HPO42--Cotransport im PT
Somatotropin
+ Na+-gekoppelter Transportprozesse im PT
Insulin
+ Na+-HPO3– -Cotransport im PT, Na+-Resorption und K+-Sekretion im DT
Glukagon
+ RBF, GFR, - Na+- und Ca2+-Resorption im PT
Angiotensin
- RBF, GFR, + Na+/H+-Austauscher im PT
Prostaglandin E2
+ RBF, GFR, - Na+-Resorption in dHL und SR
-
Thromboxan
- RBF, GFR
Leukotriene
- RBF, GFR
Intrarenale Durchblutungsverteilung. Das die Niere
Adenosin (akut)
- RBF, GFR
durchströmende Blut verteilt sich sehr ungleich auf Nierenrinde und Nierenmark: Praktisch das gesamte Blut passiert die in der Nierenrinde liegenden Glomerula. Die Vasa efferentia der oberflächlichen Glomerula geben die peritubulären Kapillaren der Nierenrinde ab, die proximale und distale Konvolute umspülen. Vasa efferentia aus den tiefer gelegenen juxtamedullären Glomerula geben die Vasa recta ab, welche die Durchblutung des Nierenmarks bewerkstelligen. Das Nierenmark, das immerhin ⅓ des Nierengewichtes ausmacht, erhält weniger als 10 % der renalen Durchblutung. Die relativ schlechte Blutversorgung des Nierenmarks wird noch dadurch verschärft, dass die Anordung der Vasa recta in Form von Schleifen die Zulieferung von O2 sowie den Abtransport von CO2 und Stoffwechselprodukten erschwert. Die Durchblutung von Nierenrinde und Nierenmark wird durch verschiedene Faktoren unterschiedlich
Bradykinin
+ RBF, GFR, - Na+-Resorption in dHL und SR
Adrenalin (α)
- Reninausschüttung, Na+-Resorption im SR + Na+-Resorption im PT
Adrenalin (β)
+ Reninausschüttung, NaCl-Resorption in dHL, DT und SR
Acetylcholin
+ RBF
Dopamin
+ RBF, GFR, - Na+-HPO42--Cotransport im PT
Histamin
+ RBF, GFR, - Na+-Resorption im PT
NO
+ RBF, GFR
Endothelin
- RBF, GFR
PT = proximaler Tubulus, dHL = dicker aufsteigender Teil der HenleSchleife, DT = distaler Tubulus, SR = Sammelrohr, RBF = renaler Blutfluss, GFR = glomeruläre Filtrationsrate, + = Aktivierung bzw. Steigerung, - = Hemmung
212
Kapitel 9 · Wasser und Elektrolythaushalt, Nierenfunktion
beeinflusst. Zu den Substanzen, welche Vasodilatation vorwiegend im Nierenmark bewirken, gehören Prostaglandine, Acetylcholin und Bradykinin. Darüber hinaus kommt es bei mäßigem Blutdruckabfall sowie bei Steigerung des Ureterdruckes vorwiegend zu einer Vasodilatation im Nierenmark. Bestimmung der Nierendurchblutung. Die Nierendurch-
blutung kann über die Bestimmung der Plasmakonzentration und der renalen Ausscheidung von Paraaminohippursäure bestimmt werden (7 Kap. 9.2.10).
9.2.3
Filtration
! Der glomeruläre Filter ist permselektiv und verhindert die Filtration der meisten Plasmaproteine
Permselektivität des glomerulären Filters. Eine für die
9
Funktion der Niere wesentliche Eigenschaft des glomerulären Filters ist seine Selektivität gegenüber Inhaltstoffen des Plasmas. Für die Passage durch den glomerulären Filter ist u. a. die Größe eines Moleküls maßgebend. Moleküle mit einem Durchmesser >4 nm bzw. von einem Molekulargewicht >50 kDa können den Filter nicht passieren. Darüber hinaus spielt die Ladung der Moleküle eine wesentliche Rolle (. Abb. 9.11). Negativ geladene Moleküle werden von negativen Fixladungen des glomerulären Filters abgestoßen und passieren erheblich schwerer als positiv geladene Moleküle. Da die meisten Plasmaproteine negativ geladen sind, wird ihre Filtration durch die La-
. Abb. 9.11. Permselektivität des glomerulären Filters. Der Anteil filtrierter Makromoleküle (UF/P) als Funktion der Molekülgröße (Radius) und der Ladung (+ = positiv geladen, - = negativ geladen,
dung erschwert. Bei Entzündungen des Glomerulum (Glomerulonephritis) werden die negativen Fixladungen am glomerulären Filter neutralisiert, die Permselektivität des Filters geht verloren und negativ geladene Plasmaproteine können leichter filtriert werden (. Abb. 9.11). So kommt es auch bei mikroskopisch kaum erkennbaren Schädigungen des Glomerulum (sog. minimal change nephropathy) zur mitunter massiven Ausscheidung von Proteinen (Proteinurie). Proteinbindung. Eine Vielzahl von Substanzen wird an Proteine gebunden, wie etwa eine Reihe von Hormonen (v. a. Schilddrüsenhormone und Steroidhormone) sowie einige Fremdstoffe (Pharmaka und Gifte). Der proteingebundene Anteil wird nicht filtriert. Ca2+ wird zu etwa 40% an Proteine gebunden, und die filtrierte Menge an Ca2+ ist entsprechend gering. Gibbs-Donnan-Potenzial. Die Tatsache, dass die negativ geladenen Plasmaproteine zurückgehalten werden, führt zu einem negativen Ladungsüberschuss auf der Blutseite, der ein Potenzial von etwa 1,5 mV über den glomerulären Filter erzeugt (sog. Gibbs-Donnan-Potenzial). Dieses Potenzial hält Kationen zurück und begünstigt die Filtration von Anionen. Im Ergebnis ist die Konzentration im Filtrat an frei filtrierbaren einwertigen Kationen um etwa 5% niedriger und an frei filtrierbaren einwertigen Anionen um etwa 5% höher als im Plasmawasser. ! Die glomeruläre Filtrationsrate ist eine Funktion des effektiven Filtrationsdruckes
oder n = neutral). Links: Normales Glomerulum, rechts: entzündlich geschädigtes Glomerulum (Glomerulonephritis)
213 9.2 · Niere
Determinanten der glomerulären Filtrationsrate. Die pro
Zeiteinheit filtrierte Flüssigkeitsmenge (GFR) ist abhängig von der Fläche (F) und der hydraulischen Leitfähigkeit des glomerulären Filters (Lp), sowie vom effektiven Filtrationsdruck (Peff ): GFR = Lp · F · Peff Die hydraulische Leitfähigkeit und die Filtrationsfläche sind nicht getrennt bestimmbar und lassen sich zu einem Ultrafiltrationskoeffizienten (Kf) zusammenfassen: Kf = Lp · F Der effektive Filtrationsdruck (Peff ) errechnet sich wiederum aus hydrostatischem (Δp) und kolloidosmotischem (Δπ) Druckunterschied zwischen Glomerulumkapillare (pK, πK) und glomerulärem (Bowman-) Kapselraum (pB, πB): Peff = Δp – Δπ = (pK – pB) – (πK – πB) pK und pB können beim Menschen nicht bestimmt werden. Aus Tierversuchen vermutet man Werte um 50 mmHg (pK) und 15 mmHg (pB). πK liegt bei 25 mmHg, πB ist vernachlässigbar.
Der kolloidosmotische Druck wird im Wesentlichen durch die nichtfiltrierbaren Proteine hervorgerufen. Durch den Filtrationsprozess werden diese Proteine im Blut konzentriert, sodass die Proteinkonzentration und mit ihr πK ansteigen (. Abb. 9.12). Auf diese Weise wird der effektive Filtrationsdruck entlang der Glomerulumkapillare kleiner und sinkt normalerweise gegen Ende der Kapillarschlingen sogar gegen null (Filtrationsgleichgewicht). Der durch die Filtration zunehmende kolloidosmotische Druck limitiert somit die glomeruläre Filtration. Die glomeruläre Filtrationsrate lässt sich mindestens theoretisch über Änderungen jedes der genannten Faktoren beeinflussen: 4 Eine Abnahme des Ultrafiltrationskoeffizienten (Kf), also der hydraulischen Leitfähigkeit und/oder der Fläche des glomerulären Filters mindert die glomeruläre Filtrationsrate, wenn bei dem herabgesetzten Kf das Filtrationsgleichgewicht nicht mehr erreicht wird. Die Wirkung eines herabgesetzten Kf wird dadurch abgeschwächt, daß durch die Abnahme der glomerulären Filtrationsrate der kolloidosmotische Druck in den Kapillaren langsamer ansteigt und daher ein relativ hoher effektiver Filtrationsdruck bis zum Ende der Glomerulumkapillare wirksam bleibt. Umgekehrt führt eine Zu-
. Abb. 9.12. Glomeruläre Druckwerte. Hydrostatischer (p) und onkotischer (π) Druck in Glomerulumkapillaren (pK, πK) und BowmanKapselraum (pB, πB) als Funktion der Länge der glomerulären Kapillarschlinge. Δp und Δπ sind die entsprechenden Druckgradienten über den glomerulären Filter. Da πB praktisch null ist, ist Δπ identisch mit dem onkotischen Druck der Kapillare. Der Druckgradient Δp –Δπ (gelbe Fläche) ist die treibende Kraft für die glomeruläre Filtration. Sie kann gegen Ende der Kapillarschlinge gegen null gehen (Filtrationsgleichgewicht)
nahme des Ultrafiltrationskoeffizienten nur dann zu einer Zunahme der glomerulären Filtrationsrate, wenn vorher das Filtrationsgleichgewicht noch nicht erreicht worden ist 4 Eine Zunahme des Widerstandes im Vas efferens steigert den hydrostatischen Druck in den Glomerulumkapillaren, eine Wirkung, welche eine Zunahme der Filtrationsrate begünstigt. Durch die Zunahme des Widerstandes im Vas efferens nimmt freilich gleichzeitig der renale Plasmafluss ab. Das bedeutet, dass pro filtriertes Volumen ein stärkerer Anstieg des kolloidosmotischen Druckes zu erwarten ist. Der Anstieg des kolloidosmotischen Druckes führt dann relativ schnell zu einer Limitierung der Filtration. Eine Kontraktion des Vas efferens kann also letztlich trotz Steigerung des hydrostatischen Druckes in den Glomerulumkapillaren eine Abnahme der glomerulären Filtrationsrate zur Folge haben 4 Eine Zunahme des Widerstandes im Vas afferens senkt den hydrostatischen Druck in den Glomerulumkapillaren und senkt den renalen Plasmafluss. Die Abnahme
9
214
Kapitel 9 · Wasser und Elektrolythaushalt, Nierenfunktion
des renalen Plasmaflusses führt zu einem schnelleren Anstieg des kolloidosmotischen Druckes pro filtriertes Volumen. Somit führen beide Wirkungen zu einer Herabsetzung der glomerulären Filtrationsrate 4 Eine Zunahme der Plasmaproteinkonzentration steigert den kolloidosmotischen Druck und senkt daher die glomeruläre Filtrationsrate. Umgekehrt führt eine Abnahme der Plasmaproteinkonzentration zu einer Zunahme der glomerulären Filtrationsrate. 4 Bei entzündlicher Schädigung des Glomerulum (Glomerulonephritis) nimmt der Gefäßwiderstand durch Einengung des glomerulären Gefäßbettes zu und der Ultrafiltrationskoeffizient durch Herabsetzung von Filterfläche und -durchlässigkeit ab. Folge ist eine Abnahme des glomerulären Plasmaflusses und der GFR ! Renale Durchblutung und Filtration sind autoreguliert und werden von mehreren Hormonen beeinflusst
Autoregulation von Nierendurchblutung und glomerulärer Filtrationsrate. Die Fähigkeit der Niere, ihre Durchblu-
9
tung und Filtration auch bei wechselndem systemischem Blutdruck konstant zu halten, wird als Autoregulation bezeichnet. Die Niere ist normalerweise in der Lage ist, innerhalb des systemischen Blutdruckbereichs von etwa 80– 180 mmHg sowohl Durchblutung als auch glomeruläre Filtrationsrate annähernd konstant zu halten (. Abb. 9.13). Die Niere erzielt die Konstanz ihrer Durchblutung durch Vasokonstriktion bei Blutdruckanstieg und durch Vasodilatation bei Blutdruckabfall. Bei plötzlichen Änderungen des Blutdruckes benötigt die Niere freilich einige Sekunden, um den Widerstand entsprechend anzupassen.
Die Autoregulation der Nierendurchblutung könnte theoretisch sowohl durch das Vas afferens als auch durch das Vas efferens bewerkstelligt werden. Eine gleichzeitige Autoregulation von Nierendurchblutung und glomerulärer Filtrationsrate ist jedoch nur durch Widerstandsänderung am Vas afferens möglich, da das Vas efferens ja renale Durchblutung und glomeruläre Filtrationsrate unterschiedlich beeinflusst. Für die Autoregulation ist nicht ein einzelner Mechanismus verantwortlich, sondern eine Reihe von Mechanismen, die möglicherweise an unterschiedlichen Segmenten des Vas afferens wirksam werden. Dabei gewährleistet das Zusammenspiel vor allem der folgenden drei Mechanismen die annähernd perfekte Autoregulation der Niere: 4 Wie eine Reihe anderer Gefäße reagieren Nierengefäße bei Zunahme des intramuralen Druckes (bei Blutdruckanstieg) mit einer myogenen Vasokonstriktion (Bayliss-Effekt, durch Aktivierung von Kationenkanälen). Auf diese Weise wird der Widerstand dem jeweiligen Perfusionsdruck angepasst und eine autoregulatorische Wirkung erzielt 4 Eine Mangeldurchblutung v. a. des Nierenmarks löst die Bildung von vasodilatorischen Prostaglandinen aus. Dadurch wird v. a. die Durchblutung des Nierenmarks gewährleistet 4 Eine Zunahme der glomerulären Filtrationsrate führt zu einer Zunahme des filtrierten Angebotes an Kochsalz. Hält die Resorption von Kochsalz in proximalem Tubulus und Henle-Schleife nicht Schritt, dann gelangt mehr Kochsalz bis zur Macula densa, Epithelzellen des distalen Tubulus, die in engem Kontakt mit dem Vas afferens des gleichen Nephrons stehen (. Abb. 9.9). Über Bildung von Adenosin wird bei Zunahme der Kochsalzkonzentration an der Macula densa das zugehörige Vas afferens konstringiert. Folge ist eine Drosselung der glomerulären Filtration. Diese tubuloglomeruläre Rückkopplung (tubuloglomerular feedback) gewährleistet nicht nur eine Autoregulation der Nierendurchblutung, sondern vor allem eine Anpassung der Filtrationsrate an die tubuläre Transportkapazität. Ist bei Schädigung der Niere die Transportkapazität eingeschränkt, dann sinkt über das tubuloglomeruläre Feedback auch die Filtrationsrate Renin-Angiotensin-Aldosteron. Ein gesteigertes Kochsalz-
. Abb. 9.13. Autoregulation von renalem Plasmafluss (RPF) und glomerulärer Filtration (GFR). RPF und GFR als Funktion des systemischen Mitteldruckes (RR)
angebot an die Macula densa löst nicht nur eine Konstriktion des Vas afferens aus, sondern hemmt auch die Ausschüttung von Renin aus spezialisierten Zellen im Vas affe-
215 9.2 · Niere
rens (sog. myoepitheliale Zellen). Die Ausschüttung von Renin wird durch Abnahme der Gefäßdehnung im Vas afferens stimuliert, in der Regel also dann, wenn der Blutdruck abfällt oder wenn Gefäßabschnitte vor dem Vas afferens konstringiert werden (z. B. unter dem Einfluss des Sympathikus). Renin spaltet von dem aus der Leber stammenden Protein Angiotensinogen ein Dekapeptid (Angiotensin I) ab. Ein ubiquitär vorkommendes angiotensin converting enzyme (ACE) bildet daraus durch Abspaltung von zwei weiteren Aminosäuren Angiotensin II. Angiotensin II löst Vasokonstriktion aus und stimuliert die proximaltubuläre Na+-Resorption sowie die Ausschüttung von Aldosteron und ADH (7 Kap. 17.2). Aldosteron fördert die distaltubuläre Kochsalzresorption und ADH die distaltubuläre Wasserresorption. Der Renin-Angiotensin-AldosteronMechanismus spielt eine hervorragende Rolle in der Regulation des Kochsalz-Wasser-Haushaltes (7 Kap. 9.1.4) und des Blutdruckes (7 Kap. 4.2.3). Steuerung von Nierendurchblutung und glomerulärer Filtrationsrate. Eine Vielzahl von Mediatoren beeinflusst die
renale Durchblutung und glomeruläre Filtration (. Tab. 9.7).
Darüber hinaus steigert eiweißreiche Diät renale Durchblutung und glomeruläre Filtrationsrate. Bestimmung der glomerulären Filtrationsrate. Die GFR wird über die Bestimmung der Plasmakonzentration und renalen Ausscheidung filtrierter und tubulär nicht resorbierter Substanzen (v. a. Kreatinin) bestimmt (7 Kap. 9.2.10).
9.2.4
Transport an renalen Epithelien
! Der tubuläre Transport erzeugt aus dem filtrierten Plasmawasser letztlich Urin. Dabei sind mehrere ganz unterschiedliche Nephronsegmente beteiligt
Aufgabe renal-epithelialen Transportes. Normalerweise
werden annähernd 99% des filtrierten Wassers und über 90% der im Filtrat gelösten Substanzen durch die Nierentubuli wieder resorbiert. Darüber hinaus werden einige Substanzen sezerniert. Durch tubuläre Resorption und Sekretion wird schließlich ein Urin erzeugt, dessen Zusammensetzung weit von der des Plasmawassers abweicht. Die zwei
. Tab. 9.8. Transport von Wasser und Substanzen in verschiedenen Tubulusabschnitten Substanz
Resorption bzw. Sekretion (–) in PT
Wasser Kreatinin
HL
Ausscheidung
Beteiligte Transportmechanismen
DT+SR
60
20
15
0
0
0
5* 100
osmotischem Gradienten folgend (Diffusion) kein nennenswerter Transport
Natrium
60
34
6
0,5*
aktiv, Diffusion, solvent drag
Chlorid
55
38
6
1*
Diffusion, solvent drag, sekundär aktiv
Kalium
60
25
-5
20*
Bikarbonat
90
0
10
0,1
sekundär aktiv
Calcium
60
30
9
1
sekundär aktiv, Diffusion, aktiv
Phosphat
70
10
0
20
sekundär aktiv
Magnesium
30
60
0
10
aktiv, Diffusion
Glukose
99
1
0
0
sekundär aktiv
Glyzin, Histidin
90
5
0
5
sekundär aktiv
weitere Aminosäuren
99
0
0
1
sekundär aktiv
Harnstoff
50
- 60
60
50
Diffusion, solvent drag
Harnsäure
60
30
0
10
tertiär aktiv, Diffusion
-20
-10
0
130
tertiär aktiv, Diffusion
Oxalat
aktiv, Diffusion, solvent drag
Resorption und Sekretion (–) in % von der filtrierten Menge in den einzelnen Tubulusabschnitten (PT = Proximaler Tubulus, HL = Henle-Schleife inklusive Pars recta und aufsteigendem dicken Teil, DT + SR = Distaler Tubulus und Sammelrohr). Ausscheidung im Urin in % der filtrierten Menge. Die Zahlen sind nur Anhaltswerte. Die mit einem * versehenen Urinwerte unterliegen besonders starken Schwankungen
9
216
Kapitel 9 · Wasser und Elektrolythaushalt, Nierenfunktion
Aufgaben, Resorption großer Mengen und Feineinstellung der Urinzusammensetzung werden durch verschiedene Tubulussegmente in unterschiedlichem Ausmaß wahrgenommen. Tubulussegmente. Funktionell unterscheidet man mehrere Tubulussegmente, wie proximalen Tubulus, HenleSchleife, distalen Tubulus und Sammelrohr. Sie tragen in unterschiedlichem Ausmaß zum tubulären Transport bei (. Tab. 9.8). Keines der genannten Segmente ist in sich homogen und es gibt Unterschiede zwischen oberflächlichen und tiefen (juxtamedullären) Nephronen. Etwa 80 % der filtrierten gelösten Substanzen sind Na+ und Cl-. Die Resorption von NaCl spielt daher in allen Segmenten die dominierende Rolle.
9.2.5
Resorption, Sekretion
! Im proximalen Tubulus werden zwei Drittel des filtrierten Wassers und Kochsalzes und der größte Teil des filtrierten Bikarbonates resorbiert. Ammoniak wird gebildet und sezerniert
9
. Abb. 9.14. Die wichtigsten Transportprozesse im proximalen Tubulus. S = Substrate für Na+-gekoppelte Transportprozesse (Aminosäuren, Glukose, Phosphat, Laktat, etc.). A- = organische Anionen (ähnliche Transporter existieren auch für organische Kationen)
Allgemeine Physiologie proximal-tubulärer Transportprozesse. Im proximalen Tubulus werden etwa ⅔ des filtrierten
Wassers und Kochsalzes, 95% des filtrierten Bikarbonats, und annähernd 100% der filtrierten Glukose und Aminosäuren resorbiert. Darüber hinaus sezerniert der proximale Tubulus einige Säuren und Basen (. Abb. 9.14). Der proximale Tubulus verfügt über sehr große Transportkapazitäten, kann jedoch im Allgemeinen keinen hohen Gradienten aufbauen. Die luminale Zellmembran der proximalen Tubuluszellen weist eine Reihe Na+-gekoppelter Transportprozesse auf (u. a. für Glukose/Galaktose, Aminosäuren, organische Säuren, Vitamin C, Phosphat, Sulfat). Treibende Kraft dieser Transportprozesse ist der steile elektrochemische Gradient für Na+ aus dem Extrazellulärraum in die Zelle. Er wird durch die Na+/K+-ATPase an der basolateralen Zellmembran aufrechterhalten, die Na+ im Austausch gegen K+ aus der Zelle pumpt (7 Kap. 1.3). Das auf diese Weise in der Zelle akkumulierte K+ verlässt z. T. die Zelle über K+-Kanäle und erzeugt damit das außen positive Zellmembranpotenzial. Bikarbonatresorption. Der quantitativ bedeutsamste Na+-
gekoppelte Transportprozess im proximalen Tubulus ist der Na+/H+-Austauscher, der H+-Ionen im Austausch gegen
Na+ aus der Zelle transportiert. Die H+-Ionen reagieren im Tubuluslumen mit filtriertem HCO–3 zu CO2. Diese Reaktion läuft normalerweise nur langsam ab, wird jedoch durch die in der luminalen Zellmembran sitzende Karboanhydrase (IV) beschleunigt. Das gebildete CO2 diffundiert (z. T. durch Wasserkanäle) in die Zelle und wird dort, unter Vermittlung von Karboanhydrase, wieder in H+ und HCO–3 umgewandelt. HCO3– verläßt die Zelle über einen Na+3 HCO3–-Cotransport. Treibende Kraft für diesen Transport ist das Zellmembranpotenzial, das sowohl HCO–3 als auch Na+ gegen einen chemischen Gradienten aus der Zelle treibt. Durch die genannten Mechanismen wird der größte Teil an filtriertem HCO–3 resorbiert. NH4+-Produktion und -Sekretion. Der proximale Tubulus
produziert NH4+ durch Desaminierung von Glutamin, das über einen Na+-gekoppelten Transport aus dem Blut in die Zelle aufgenommen wird. NH3 verlässt die Zelle vorwiegend durch die luminale Zellmembran und bindet im sauren Tubuluslumen H+. Das bei der Desaminierung von Glutamin gebildete α-Ketoglutarat wird z. T. zu Glukose aufgebaut (7 Kap. 9.2.8).
217 9.2 · Niere
Homeostatischer basolateraler H+- und Ca2+-Transport. +
2+
An der basolateralen Zellmembran wirken ein Na /Ca Austauscher und ein Na+/H+-Austauscher, die in erster Linie die intrazelluläre Ca2+- und H+-Konzentration konstant halten. ! Viele organische Substanzen (u. a. Glukose, Aminosäuren) werden im proximalen Tubulus vollständig resorbiert, einige werden sezerniert
Na+-gekoppelter Transport von organischen Substraten und Anionen. Weitere Transportprozesse koppeln den +
Transport von Na über die luminale Zellmembran an die Resorption jeweils verschiedener Substrate, wie Glukose, Aminosäuren, Laktat, Phosphat, Sulfat etc. Die auf diese Weise zellulär akkumulierten Substrate verlassen die Zellen über verschiedene passive Transportprozesse in der basolateralen Zellmembran. Die Na+-gekoppelten Transportprozesse entziehen dem Lumen das positiv geladene Na+ und erzeugen somit zu Beginn des proximalen Tubulus ein lumennegatives Potenzial. In der zweiten Hälfte des proximalen Tubulus sind die meisten Substrate bereits resorbiert und das Potenzial wird lumenpositiv. Sekretion und Resorption organischer Säuren. Na+-gekop-
pelte Transportprozesse in der basolateralen Zellmembran ermöglichen die zelluläre Aufnahme von Substraten aus dem Blut. Durch einen Na+-Dikarboxylattransporter werden Dikarboxylsäuren aufgenommen, die teilweise zur Energiegewinnung eingesetzt werden, teilweise jedoch auch für den Austausch gegen andere organische Säuren zur Verfügung stehen. Gleichermaßen steht α-Ketoglutarat für den Austausch bereit. Der Gradient von Dikarboxylat und 2-Oxoglutarat über die Zellmembran liefert dabei die Triebkraft für die zelluläre Aufnahme anderer organischer Säuren (tertiär aktiver Transport). Die in der Zelle akkumulierten Säuren verlassen die Zelle über Anionenaustauscher oder Uniporter in der luminalen Zellmembran. Auf diese Weise wird u. a. Paraaminohippursäure (PAH) sezerniert, die zur Messung der Nierendurchblutung eingesetzt wird (7 Kap. 9.2.10). Harnsäure kann über die Anionentransporter sowohl sezerniert als auch resorbiert werden. In der Regel überwiegt die Resorption bei weitem. Über einen Anionenaustauscher werden u. a. Formiat und Oxalat im Austausch gegen Cl- sezerniert. Durch Bindung von H+ reagiert Formiat im Lumen zu Ameisensäure und diffundiert als solche wieder in die Zelle zurück. Dort dissoziiert die Ameisensäure erneut zu Formi-
at und steht für den Austausch gegen Cl- bereit. Auf diese Weise können erhebliche Mengen Cl- resorbiert werden. Transport organischer Basen. Organische Kationen kön-
nen gleichfalls durch Uniporter und Austauscher resorbiert und/oder sezerniert werden. ! Die Resorption von Na+ geschieht im proximalen Tubulus zu einem großen Teil passiv
Resorption durch den parazellulären Shuntweg. Die Re-
sorption v. a. von Na+, HCO–3, Glukose und Aminosäuren entzieht der Tubulusflüssigkeit osmotisch aktive Substanzen. Wasser folgt durch Wasserkanäle in der Zellmembran und durch die tight junctions. Im Strom resorbierten Wassers werden gelöste Teilchen (u. a. Na+, Cl-) mitgerissen (solvent drag). Die luminale Konzentration von Substanzen, die nicht oder relativ gering resorbiert werden, steigt an. Unter anderem nimmt die luminale Konzentration von Cl- zu. Das lumennegative Potenzial zu Beginn des proximalen Tubulus treibt zwar das negativ geladene Cl- durch den parazellulären Shunt, die Resorption hinkt aber dennoch hinter der Resorption anderer Substanzen und Wasser hinterher. Der Anstieg der luminalen Cl--Konzentration fördert die Diffusion von Cl- aus dem Tubuluslumen. Die Cl--Diffusion hinterlässt in der zweiten Hälfte des proximalen Tubulus ein lumenpositives Potenzial. Dieses Potenzial treibt Kationen, wie Na+, K+ und Ca2+ durch die tight junctions an den Zellen vorbei aus dem Lumen. Insgesamt ist mehr als die Hälfte der proximal tubulären Resorption von Na+ passiv, getrieben durch solvent drag und elektrisches Potenzial. Bedeutung passiver Na+-Resorption. Durch parazellulären
Transport und Na+-3HCO3–-Cotransport (s. o.) wird ein großer Teil des Na+ passiv bzw. tertiär aktiv resorbiert. Während die Na+/K+-ATPase ein ATP für den Transport von 3 Na+-Ionen verbraucht, kann der proximale Tubulus fast 10 Na+-Ionen pro ATP resorbieren. Da die Niere in erster Linie für die Na+-Resorption Energie verbraucht, ist die Ökonomie der Na+-Resorptionsmechanismen bedeutsam. ! Transportprozesse in der Henle-Schleife dienen der Harnkonzentrierung
Transportprozesse der Henle-Schleife. Die Henle-Schleife
ist für die Harnkonzentrierung erforderlich (7 Kap. 9.2.6). Sie besteht aus drei völlig unterschiedlichen Nephronsegmenten:
9
218
Kapitel 9 · Wasser und Elektrolythaushalt, Nierenfunktion
4 Der absteigende dicke Teil der Henle-Schleife gehört
9
zum proximalen Tubulus und verfügt über ähnliche Transportsysteme (. Abb. 9.14) 4 Der dünne Teil der Henle-Schleife weist praktisch keine aktive Transportaktivität auf, sondern erlaubt lediglich passiven Elektrolyttransport über Cl--Kanäle in der luminalen und basolateralen Zellmembran sowie kationendurchlässige tight junctions 4 Der wichtigste Nephronabschnitt der Henle-Schleife ist der wasserimpermeable dicke, aufsteigende Teil (. Abb. 9.15). Na+ wird in diesem Segment durch den Na+-K+-2 Cl--Cotransport in die Zelle transportiert. Der steile elektrochemische Gradient für Na+ wird dabei genutzt, um K+ und Cl- in die Zelle zu transportieren. Das so in die Zelle aufgenommene K+ rezirkuliert zum größten Teil wieder zurück in das Lumen, das aufgenommene Cl- verlässt die Zelle vorwiegend über Cl-Kanäle in der basolateralen Zellmembran. Na+ wird im Austausch gegen K+ durch die Na+/K+-ATPase der basolateralen Zellmembran aus der Zelle gepumpt. Das dabei aufgenommene K+ verläßt die Zelle z. T. über einen KCl-Cotransport. Das in das Lumen zurückkehrende K+ und das die Zelle basolateral verlassende Clerzeugen ein lumenpositives transepitheliales Potenzial, das Kationen (Na+, Ca2+, Mg2+) durch die tight junctions aus dem Lumen treibt. Neben den genannten Transportprozessen kann Na+ in der Henle-Schleife noch durch einen Na+/H+-Austauscher resorbiert werden. Normalerweise spielt dieser Transport jedoch eine untergeordnete Rolle für die Na+-Resorption in diesem Segment 4 Der Na+-K+-2 Cl--Cotransport kann statt K+ auch NH+4 resorbieren. Die Resorption von NH4+ in der dicken Henle-Schleife führt zur Akkumulierung von NH4+ im Nierenmark. Da das Sammelrohr für NH3/NH+4 durchlässig ist, gewährleisten die hohen NH4+-Konzentrationen eine effiziente Ausscheidung von NH+4 in den Urin
. Abb. 9.15. Die wichtigsten Transportprozesse im dicken aufsteigenden Teil der Henle-Schleife. Der Na+-K+-2Cl --Cotransport wird über einen Ca2+-Rezeptor durch hohe extrazelluläre Ca2+-Konzentrationen gehemmt
gen Teil durch gesteigerte Resorption im distalen Nephron ausgeglichen werden. Das distale Nephron besteht aus mehreren sehr heterogenen Segmenten (s. o.) und jedes einzelne Segment ist aus unterschiedlichen Zellen zusammengesetzt. Distale Tubuluszelle. Die meisten Zellen des frühen distalen
! Im distalen Nephron geschieht die Feineinstellung der Ausscheidung von Wasser, H+ und Elektrolyten
Tubulus resorbieren Na+ vorwiegend durch einen NaCl-Cotransport (. Abb. 9.16). Cl- verläßt die Zelle über einen KClCotransport an der basolateralen und möglicherweise an der luminalen Zellmembran. Na+ wird aus der Zelle durch die Na+/K+-ATPase transportiert, das dabei akkumulierte K+ verläßt die Zelle z. T. durch K+-Kanäle. Die Zellen können Ca2+ resorbieren, und zwar in erster Linie durch luminale Ca2+-Kanäle und basolaterale Na+/Ca2+-Austauscher.
Transportprozesse im distalen Nephron. Das distale Ne-
Hauptzellen. Im späten distalen Tubulus und Sammelrohr
phron (distaler Tubulus, Verbindungsstück und Sammelrohr) ist für die endgültige Zusammensetzung des Harns verantwortlich. Es kann gegen hohe Gradienten transportieren, verfügt jedoch nur über eine geringe Transportkapazität. Eine herabgesetzte Transportleistung des proximalen Tubulus und der Henle-Schleife kann nur zu einem gerin-
findet man vorwiegend Hauptzellen, die durch Na+-Kanäle und K+-Kanäle in der luminalen Zellmembran charakterisiert sind (. Abb. 9.17). Na+, das in die Zelle gelangt, wird durch die Na+/K+-ATPase in der basolateralen Zellmembran wieder aus der Zelle gepumpt. Die Zelle resorbiert somit Na+ im Austausch gegen K+, d. h. eine gesteigerte Na+-
219 9.2 · Niere
. Abb. 9.16. Die wichtigsten Transportprozesse in der distalen Tubuluszelle
Resorption im distalen Nephron zieht in der Regel eine gesteigerte K+-Sekretion und K+-Ausscheidung nach sich. Schaltzellen. Zwischen den Hauptzellen sind im distalen Nephron sog. Schaltzellen eingestreut, die entweder H+ (Typ A) oder HCO–3 (Typ B) sezernieren. In den Schaltzellen des Typ A wird die H+-Sekretion durch eine H+-ATPase oder (bei K+-Mangel) durch eine H+/K+-ATPase bewerkstelligt (. Abb. 9.17). Das in der Zelle gebildete HCO–3 verlässt die Zelle über einen Cl-/HCO–3Austauscher in der basolateralen Zellmembran. Das so akkumulierte Cl- wird über basolaterale Cl--Kanäle aus der Zelle ausgeschleust. Die HCO–3-Sekretion in den Schaltzellen Typ B wird vorwiegend durch einen luminalen Cl-/HCO–3-Austauscher, basolaterale Cl--Kanäle und eine basolaterale H+-ATPase bewerkstelligt. Durch luminale Cl-/HCO3–-Austauscher und Cl--Kanäle an beiden Membranen resorbieren Schaltzellen Cl-. Cl- kann das Lumen möglicherweise auch parazellulär verlassen. Die Cl--Resorption über Kanäle und den parazellulären Weg wird durch das, von den Na+-Kanälen der Hauptzellen erzeugte, lumennegative Potenzial begünstigt. ! Tubuläre Transportprozesse können genetisch defekt sein oder pharmakologisch beeinflusst werden
. Abb. 9.17. Transportprozesse in Zellen des Sammelrohres. Oben: Hauptzelle, Mitte: Schaltzelle Typ A, Unten: Schaltzelle Typ B
Transportdefekte. Eine gesteigerte oder – häufiger – herab-
gesetzte Aktivität der renalen Transportprozesse führt zu inadäquater Ausscheidung der betroffenen Substanz. Die Transportmechanismen können durch genetische Defekte (. Tab. 9.9) oder durch Schädigung der Niere (z. B. Schwermetallvergiftung) beeinträchtigt werden. Über Änderungen der Plasmakonzentration oder Zunahme der Harnkonzentrationen können dann negative Auswirkungen auftreten. 4 Störungen der proximalen HCO–3-Resorption oder der distaltubulären H+-Sekretion führen zu proximaltubulärer oder distaltubulärer Azidose 4 Eine Überaktivität des epithelialen Na+-Kanals führt über Kochsalzüberschuss zu Blutdrucksteigerungen (Liddle-Syndrom) 4 Genetische Defekte der Kochsalzresorption in der Henle-Schleife (Bartter-Syndrom) oder dem frühdista-
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220
Kapitel 9 · Wasser und Elektrolythaushalt, Nierenfunktion
len Tubulus (Gitelman-Syndrom) führen zu massiven Kochsalzverlusten 4 Beim renalen Diabetes mellitus ist die Affinität oder maximale Transportrate der tubulären Glukosetransporter eingeschränkt 4 Verschiedene Transportdefekte beeinträchtigen die Resorption von Aminosäuren.
Proximale Diuretika. Die proximale NaCl-Resorption kann
durch Hemmung des luminalen Na+/H+-Austauschers oder der Karboanhydrase eingeschränkt werden. Dabei kommt es gleichzeitig zu gesteigerter Ausscheidung von Bikarbonat. Proximale Diuretika werden daher zur Steigerung der Kochsalzausscheidung allein derzeit nicht eingesetzt. Schleifendiuretika. Am stärksten wirksam sind Diuretika, die den Na+-K+-2 Cl--Cotransport in der Henle-Schleife hemmen (Schleifendiuretika). Das gesteigerte Angebot von Na+ an den distalen Tubulus fördert dort die Na+-Resorption über die Na+-Kanäle, wodurch die distaltubuläre K+-Sekretion gesteigert wird. Die Schleifendiuretika führen daher auch zu K+-Verlusten. Die Dosis der Schleifendiuretika kann nicht beliebig gesteigert werden, da die Substanzen auch Na+-K+-2 Cl--Cotransporter in anderen Epithelien
Neben dem Verlust der Substrate kann die gesteigerte Konzentration im Urin pathophysiologische Relevanz erlangen. Insbesondere kann die gesteigerte Ausscheidung schwer löslicher Substanzen Urolithiasis erzeugen (7 Kap. 9.2.9). Diuretika. Einige Transportprozesse können durch Pharmaka gehemmt, und damit eine Diurese (Diuretika) bzw. Natriurese (Saluretika) ausgelöst werden (. Tab. 9.10).
. Tab. 9.9. Molekulare Physiologie und Pathophysiologie renaler Transportprozesse
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Transporter
Genetischer Transportdefekt
Wichtigste Wirkungen
Na+-Glukose/Galaktose- Cotransporter (SGLT-1)
p Glukose-Galaktosemalabsorption*,1
Glukosurie, osmotische Diurese
Na+-Glukose-Cotransport
p isolierte Glukosurie
Glukosurie
Aminosäure-Austauscher für neutrale und basische Aminosäuren (rBAT)
p Cystinurie*,1
Gesteigerte Ausscheidung von Cystin und basischen Aminosäuren, Nierensteine
Resorption neutraler Aminosäuren (SLC6A19)
p Hartnup-Syndrom*,1
Schädigung,Nervensystem, Nikotinsäuremangel
Resorption von Glyzin, Prolin, Hydoxyprolin
pIminoglyzinurie
Keine Symptome
Resorption basischer Aminosäuren (LAT)
pFamiliäre Proteinintoleranz*,1
Erbrechen, Durchfall
Resorption neutraler und basischer Aminosäuren
p Lowe-Syndrom*
Demenz, Katarakt, Azidose
Harnsäureresorption
n Hypourikosurie1
Hyperurikämie, Gicht
Na -Phosphat-Cotransport (NaPi-II)
p Phosphaturie n Pseudohypoparathyreoidismus2
Vitamin-D-resistente Rachitis Hypocalciämie
Cl--Transport in protein- resorbierenden Vesikeln (ClC-5)
n Phosphaturie, Calciurie, Proteinurie
Nierensteine, Rachitis
Ca2+-Kanal (TRPV5)
p Calciurie1,2 n Hypocalciurische Hypercalciämie 2
Nierensteine
p proximaltubuläre Azidose
Azidose, Hyperkaliämie
p distaltubuläre Azidose
Azidose, Hyperkaliämie, Nierensteine, Rachitis
+
Na+/H+-Austauscher, Karboanhydrase II +
-
– 3
H -ATPase, Cl /HCO Austauscher +
+
-
2
1
Na -K -2Cl -Cotransporter, (NKCC-2), K+-Kanal (ROMK), Cl - -Kanal (ClCKb/Barttin) in dicker Henle-Schleife
p Bartter-Syndrom
Na+-Cl --Cotransport
p Gitelman-Syndrom1
Na -Kanal (ENaC)
p Pseudohypoaldosteronismus n Liddle-Syndrom1
Wasserkanäle (AQ-2)
p Diabetes insipidus renalis1,2
+
Volumenmangel, Hypokaliämie, Alkalose, Reninismus, massive Prostaglandinbildung wie Bartter-Syndrom, aber wesentlich milder 1,2
Dehydration, Hyperkaliämie, Azidose Hypertonie, Hypokaliämie Hypertone Dehydratation
p = herabgesetzte Funktion, n = gesteigerte Funktion, * = gleichzeitiger Defekt enteraler Absorption, 1 = defekter Transporter, 2 = gestörte Regulation
221 9.2 · Niere
. Tab. 9.10. Diuretika Diuretikagruppe
Zielmolekül
Wirkung*
Proximale Diuretika
Karboanhydrase, Na+/H+-Austauscher
Na+ n, K+ n, HCO3– nn
Osmodiuretika
Keine vorhanden
Na+ n, Cl - n, HCO3– n
+
+
-
behindert damit die Wasserresorption. Die Resorption von NaCl senkt bei eingeschränkter Wasserresorption die luminale NaCl-Konzentration ab und muss daher zunehmende Gradienten überwinden. Auf diese Weise wird auch die NaCl-Resorption behindert und es kommt zur Natriurese. Osmotische Diurese kann auch durch endogene Substanzen wie Glukose oder Bikarbonat ausgelöst werden, wenn die Resorption mit der Filtration nicht Schritt hält.
Schleifendiuretika
Na -K -2Cl Cotransport
Na+ nnn, K+ nn, Cl - nnn
Frühdistale Diuretika (Thiazide)
NaCl-Cotransport
Na+ nn, Cl - nn, K+ nn, HCO3– n
K +-sparende Diuretika
Na+-Kanäle
Na+ n, Cl - n, K + p
9.2.6
Mineralokortikoidrezeptoren
Na+ n, Cl - n, K + p
! Mechanismen der Harnkonzentrierung erlauben die Ausscheidung von hypoosmolarem oder hyperosmolarem Harn
* = Wirkung auf die Ausscheidung der genannten Elektrolyte, p = Abnahme, n = Zunahme der Ausscheidung
Harnkonzentrierung
Transport in Henle-Schleife. In Abhängigkeit von den Be-
(u. a. Stria vascularis des Innenohrs) hemmen können. Normalerweise erreichen die Schleifendiuretika jedoch durch proximaltubuläre Sekretion im Lumen der Henle-Schleife Konzentrationen, die weit über den Blutkonzentrationen liegen. Nur so ist es möglich, eine Diurese ohne gleichzeitiges Auftreten von Taubheit (durch Hemmung des Na+-K+2 Cl--Cotransporters im Innenohr) zu erzielen. Frühdistale Diuretika. Thiazide hemmen den NaCl-Cotransporter im frühdistalen Tubulus. Auch dabei gelangt mehr Na+ in den späteren distalen Tubulus und es kommt zu gesteigerter K+-Sekretion.
dürfnissen des Körpers scheidet die Niere einen hoch konzentrierten (bis zu 1200 mosmol/l) oder einen stark verdünnten (bis zu 50 mosmol/l) Harn aus. Auf diese Weise sind wir von der Flüssigkeitszufuhr in weiten Grenzen unabhängig, d. h. wir können normalerweise ohne nennenswerte Änderungen der extrazellulären Osmolarität hypotone oder hypertone Nahrung zuführen, vorübergehend dursten oder »über den Durst« trinken. Die jeweiligen Grenzen werden dabei in erster Linie durch die maximale Fähigkeit der Nieren vorgegeben, einen hyper- oder hypotonen Harn zu bilden. Die Konzentrierung bzw. Verdünnung des Harns ist eine Leistung der Henle-Schleife. Gegenstrommultiplikation. Der aufsteigende Teil der Hen-
K+-sparende Diuretika. Hemmung der distaltubulären
Na+-Kanäle durch Na+-Kanalblocker oder Aldosteronantagonisten mindert nicht nur die Na+-Resorption, sondern auch die K+-Sekretion (K+-sparende Diuretika). Auch die Na+-Kanalblocker erreichen luminal hohe Konzentrationen und erlauben eine selektive Hemmung der distaltubulären Na+-Resorption ohne gleichzeitige Hemmung von Na+-Kanälen in anderen Organen, wie den Alveolen der Lunge. Osmotische Diurese. Eine Diurese kann auch durch Infu-
sion von Substanzen erzielt werden, die in der Niere nicht oder nur schlecht resorbiert werden können. Therapeutisch wird beispielsweise der Polyalkohol Mannitol eingesetzt. Mannitol wird filtriert und durch die Flüssigkeitsresorption im Nephron zunehmend konzentriert. Die hohe luminale Mannitolkonzentration hält osmotisch Wasser zurück und
le-Schleife resorbiert Kochsalz, ohne dass Wasser folgen kann (. Abb. 9.18). Der Transport in der aufsteigenden Henle-Schleife mindert somit die Osmolarität im Tubuluslumen und steigert die Osmolarität im Interstitium. Durch die gesteigerte interstitielle Osmolarität wird dem absteigenden Schenkel der Henle-Schleife mehr Wasser als Osmolarität entzogen und die luminale Osmolarität steigt bis zur Schleifenspitze an. Durch die Anordnung des Tubulus in Form einer Schleife wird bis zur Schleifenspitze das Vierfache der Blutosmolarität erzielt, ohne dass große Gradienten über einzelne Tubulusepithelien aufgebaut werden müssen (Gegenstromsystem bzw. Gegenstrommultiplikation). Auf ihrem Weg zurück in Richtung Nierenrinde gibt die Henle-Schleife wieder Kochsalz ohne Wasser ab und die Osmolarität sinkt wieder. Am Ende der HenleSchleife ist die Tubulusflüssigkeit hypoton. Im Verlauf der Henle-Schleife wurde der Tubulusflüssigkeit also insgesamt
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9
Kapitel 9 · Wasser und Elektrolythaushalt, Nierenfunktion
. Abb. 9.18. Harnkonzentrierung. Transport von Kochsalz (rot), Harnstoff (grün) und Wasser (blau) als Pfeile dargestellt. PT = Proximaler Tubulus, HS = Henle-Schleife, DT = Distaler Tubulus, SR = Sammelrohr
Harnstoff. Bei der Harnkonzentrierung spielt neben Koch-
lumen in das Interstitium. Die Zellen des medullären Sammelrohres verfügen über Harnstofftransporter und sind daher (bei Antidiurese) für Harnstoff sehr gut durchlässig. Harnstoff folgt dem chemischen Gradienten vom Lumen des medullären Sammelrohres in das Interstitium des Nierenmarks. Auf diese Weise können mehrere hundert mmol/l Harnstoff im Nierenmark akkumuliert werden (. Abb. 9.18). Interstitieller Harnstoff entzieht dem absteigenden dünnen Teil der Henle-Schleife Wasser und konzentriert so die luminale NaCl-Konzentration. Damit wird ein Kochsalzgradient vom Lumen zum Interstitium geschaffen, der im aufsteigenden Teil der dünnen HenleSchleife die NaCl-Resorption treibt. Auf diese Weise trägt Harnstoff zur Konzentrierung bei.
salz auch Harnstoff eine wesentliche Rolle: Dicke HenleSchleife, distaler Tubulus und kortikales Sammelrohr sind nur schlecht für Harnstoff permeabel. Die Wasserresorption in distalem Tubulus und kortikalem Sammelrohr steigert die luminale Konzentration von Harnstoff und schafft damit einen hohen Gradienten für Harnstoff vom Tubulus-
Antidiuretisches Hormon (ADH). Das antidiuretische Hormon stimuliert (über cAMP) den Einbau von Wasserkanälen (Aquaporin 2) in die luminale Zellmembran von distalem Tubulus und Sammelrohr und steigert damit deren Wasserpermeabilität. Unter dem Einfluss von ADH kann
mehr gelöste Substanz als Wasser entzogen. Die auf diese Weise aufgebaute hohe Osmolarität des Nierenmarks schafft den osmotischen Gradienten für die Wasserresorption im Sammelrohr. Somit kann letztlich ein Urin erzeugt werden, der die hohe Osmolarität des Nierenmarks erreicht. Im dicken Teil der Henle-Schleife ist die NaCl-Resorption sekundär aktiv und auf Energiezufuhr angewiesen (7 Kap. 9.2.5). Im dünnen Teil der Henle-Schleife ist die NaCl-Resorption passiv. Das in das Interstitium gelangte NaCl entzieht der relativ NaCl-impermeablen, absteigenden, dünnen HenleSchleife Wasser und konzentriert damit gleichfalls deren luminale Flüssigkeit.
223 9.2 · Niere
Wasser somit dem osmotischen Gradienten folgend resorbiert werden (Antidiurese). Das Hormon stimuliert ferner den Na+-Transport in der Henle-Schleife und fördert den Einbau von Harnstofftransportern im medullären Sammelrohr. In Abwesenheit des Hormons werden distaler Tubulus und Sammelrohr jedoch impermeabel für Wasser und trotz hoher Osmolarität im Nierenmark wird ein hypoosmolarer Harn ausgeschieden (Wasserdiurese). Dabei wird also mehr Wasser ausgeschieden, als für die isoosmolare Lösung der ausgeschiedenen Substanzen erforderlich wäre (sog. freies Wasser, 7 Kap. 9.2.10). ! Ohne Anordnung der Gefäße in Schleifen würde die Hyperosmolarität des Nierenmarkes schnell ausgewaschen
Vasa recta. Die Hyperosmolarität des Nierenmarks würde sehr schnell ausgewaschen werden, wenn das Nierenmark normal durchblutet wäre. Die Anordnung der Vasa recta in Form langer Schleifen verhindert jedoch den schnellen Abtransport von Kochsalz und Harnstoff. Die absteigenden Vasa recta nehmen, entsprechend den chemischen Gradienten, NaCl und Harnstoff von Interstitium und aufsteigenden Vasa recta auf und erreichen damit bis zur Schleifenspitze eine ähnlich hohe Osmolarität wie das Interstitium. Im Verlauf der aufsteigenden Vasa recta verlassen NaCl und Harnstoff wieder das Blut, sodass die Osmolarität am Ende der Vasa recta nur geringfügig gesteigert ist, die Gefäße also nur wenig der medullären Osmolarität mitnehmen. Versorgungsmangel im Nierenmark. Die Anordnung der Vasa recta in Schleifen bedeutet freilich, daß auch die Zulieferung von Substraten wie Glukose und O2, sowie der Abtransport von Stoffwechselprodukten wie CO2 und Laktat erschwert ist. Beispielsweise geben die oxygenierten Erythrozyten der absteigenden Vasa recta ihr O2 an die desoxygenierten Erythrozyten der aufsteigenden Vasa recta ab und verarmen damit an O2, bereits bevor sie das Nierenmarkgewebe erreichen. Das Gegenstromsystem führt demnach zum Mangel an allem, was im Nierenmark verbraucht wird und zur Anhäufung an allem, was im Nierenmark produziert wird. Aus diesem Grund sind energieverbrauchende Transportprozesse im tiefer gelegenen dünnen Teil der Henle-Schleife nicht mehr möglich und die Konzentrierung muss durch passive Cl-- und Harnstoffdiffusion getrieben werden. ! Störungen der Harnkonzentrierung führen zu nächtlichem Wasserlassen
Störungen der Harnkonzentrierung. Die Harnkonzentrie-
rung ist eingeschränkt, wenn die Hyperosmolarität des Nierenmarks nicht aufgebaut werden kann oder wenn eine herabgesetzte Wasserpermeabilität des Sammelrohrs einen osmotischen Ausgleich zwischen Tubulusflüssigkeit und Interstitium verhindert. Erkannt wird sie am nächtlichen Wasserlassen. Die Osmolarität ist v. a. dann herabgesetzt, wenn die NaCl-Resorption in der dicken Henle-Schleife beeinträchtigt ist: 4 Schleifendiuretika hemmen den Na+-K+-2 Cl--Cotransporter direkt. Auch toxische Schädigung oder genetische Defekte der Transportprozesse beeinträchtigen die NaCl-Resorption in dickem oder dünnem Teil der Henle-Schleife (7 Kap. 9.2.5) 4 Bei Kaliummangel steht im Tubuluslumen nicht genügend K+ für den Na+-K+-2 Cl--Cotransporter bereit und die NaCl-Resorption wird eingeschränkt 4 Bei Hypercalciämie (z. B. Entmineralisierung des Knochens durch einen Knochentumor) verschließt Ca2+ die tight junctions und behindert damit die parazelluläre Resorption von Na+, Ca2+ und Mg2+. Darüber hinaus aktivieren gesteigerte extrazelluläre Ca2+-Konzentrationen einen Ca2+-Rezeptor in der Zellmembran, der einen hemmenden Einfluss auf die Resorption in der dicken Henle-Schleife ausübt 4 Die Osmolarität im Nierenmark ist auch bei proteinarmer Ernährung reduziert, da hierbei weniger Harnstoff zur Verfügung steht 4 Nierenentzündungen führen zu einer Dilatation der Vasa recta. Damit wird die Hyperosmolarität des Nierenmarks ausgewaschen 4 Bei Blutdrucksteigerung autoreguliert das Nierenmark nicht perfekt und die Stromstärkenzunahme führt gleichfalls zum Auswaschen des Nierenmarks (Druckdiurese) 4 Werden nicht oder nur teilweise resorbierbare osmotisch aktive Substanzen filtriert, dann wird die Flüssigkeitsresorption beeinträchtigt. Darunter leidet auch die Flüssigkeitsresorption aus der absteigenden HenleSchleife und damit der Gegenstrommechanismus. Bei forcierter osmotischer Diurese werden letztlich große Mengen isotonen Harns ausgeschieden 4 Die Wasserpermeabilität ist bei ADH-Mangel (zentraler Diabetes insipidus) oder bei Unempfindlichkeit der Nierenepithelien gegen ADH (renaler Diabetes insipidus) herabgesetzt: Ein zentraler Diabetes insipidus entsteht bei herabgesetzter Ausschüttung des Hormons aus der Hypophyse (7 Kap. 10.2). Ein renaler Diabetes insipidus entsteht bei Unfähigkeit der distalen Epithelzellen, auf
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224
Kapitel 9 · Wasser und Elektrolythaushalt, Nierenfunktion
Stimulation durch ADH funktionstüchtige Wasserkanäle in die luminale Membran einzubauen. In beiden Fällen entsteht ein Diabetes insipidus, bei dem bis zu 20 Liter hypotonen Harns pro Tag ausgeschieden werden
9.2.7
Globale Nierenfunktion und Regulation
! Wenn die Niere als zentrales Organ in der Regulation von Volumen und Zusammensetzung der Körperflüssigkeiten sowie der Blutdruckregulation ihrer Aufgabe gerecht werden soll, müssen ihre Partialfunktionen einer präzisen Kontrolle unterzogen werden. Die Kontrolle geschieht durch intrarenale homeostatische Mechanismen, nervale und hormonelle Einflüsse
Glomerulotubuläre Balance. Eine Zunahme der GFR ist in
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aller Regel mit einer proportionalen Zunahme der proximal-tubulären Resorption verbunden. Na+-Resorption und maximale Transportraten (etwa für Glukose) steigen mit der GFR an, sodass die zusätzlich filtrierten Mengen an Wasser und Substanzen am Ende des proximalen Tubulus weitgehend wieder resorbiert sind. Tubuloglomeruläre Balance. Der enge Kontakt von Tubu-
lusepithel und Vas afferens am juxtaglomerulären Apparat dient unter anderem der Anpassung der glomerulären Filtration an die Transportkapazität von proximalem Tubulus und Henle-Schleife. Hält der Transport in den beiden Segmenten mit der Filtration nicht Schritt, dann steigt die Kochsalzkonzentration an der Macula densa und die GFR wird durch Kontraktion des Vas afferens gesenkt. Auf diese Weise wird verhindert, dass bei eingeschränkter Transportkapazität von proximalem Tubulus und Henle-Schleife Kochsalz- und Wasserverluste auftreten, die sonst angesichts der geringen Transportkapazität des distalen Tubulus und Sammelrohrs unvermeidlich wären. Nierenschwelle. Die meisten Transportprozesse der Niere sind sättigbar. Insbesondere die Resorption der organischen Substanzen (u. a. Glukose, Aminosäuren), aber auch von Phosphat und Sulfat wird durch ein Transportmaximum limitiert. Wird das Transportmaximum dieser Substanzen überschritten, dann wird die zusätzlich filtrierte Menge ausgeschieden (7 Kap. 9.2.10). Die Niere begrenzt somit einen Anstieg der Plasmakonzentrationen betroffener Substanzen durch automatische Zunahme der Ausscheidung.
Autoregulation von Ca2+. Hohe Ca2+-Konzentrationen blo-
ckieren die tight junctions und unterbinden auf diese Weise den parazellulären Transport u. a. von Ca2+. Darüberhinaus hemmt Ca2+ über den Ca2+-Rezeptor die Resorption in der dicken aufsteigenden Henle-Schleife, eines der wichtigsten Segmente der tubulären Ca2+-Resorption. Auf diese Weise führt Hypercalciämie auch ohne Vermittlung von Hormonen zur Hypercalciurie. Intrazelluläre Konzentrationen. Die Tätigkeit von Trans-
portproteinen ist häufig eine Funktion intrazellulärer Konzentrationen der transportierten Substanzen. Eine Abnahme der intrazellulären K+-Konzentration inaktiviert luminale K+-Kanäle und senkt auf diese Weise die renale K+-Ausscheidung. Proximaltubulärer Na+/H+-Austauscher und distaltubuläre H+-ATPase werden bei intrazellulärer Azidose stimuliert und bei intrazellulärer Alkalose abgeschaltet. Darüber hinaus bilden die proximalen Tubuluszellen bei intrazellulärer Azidose vermehrt NH+4 . So wird bei zellulärer Azidose vermehrt H+ renal ausgeschieden. Der Phosphatcarrier wird bei intrazellulärem Phosphatmangel vermehrt in die Zellmembran eingebaut. Auf diese Weise wird die renale Phosphatresorption gesteigert und die renale Phosphatausscheidung gedrosselt. Intrazellulärer Phosphatmangel fördert ferner die proximaltubuläre Bildung von Calcitriol, das in die Regulation des Calcium-Phosphat-Stoffwechsels eingreift (7 Kap. 9.1.6, 7 Kap. 9.1.7). Nervale Kontrolle. Die Nieren stehen unter der Kontrolle von sympathischen Nerven, die normalerweise jedoch eine geringe Aktivität aufweisen. Bei Volumenmangel oder sonstiger Aktivierung des Sympathikus senken die Nerven über Kontraktion von Aa. interlobulares sowie von Vasa afferentia und efferentia die glomeruläre Filtrationsrate. Darüberhinaus stimulieren sie die tubuläre Resorption u. a. von Na+, HCO–3, Cl- und Wasser. Schließlich regen die Nerven vorwiegend über β1-Rezeptoren die Ausschüttung von Renin an (7 Kap. 9.2.2). Die Reninausschüttung wird umgekehrt über α1-Rezeptoren gedrosselt. Blutdruck. Obgleich die Niere Durchblutung und Filtration
bei Änderungen des arteriellen Mitteldruckes zwischen 80 und 180 mmHg weitgehend konstant hält (7 Kap. 9.2.3), steigt die Nierenmarkdurchblutung doch bei Zunahme des Blutdruckes. Damit werden Harnkonzentrierung und Na+Resorption beeinträchtigt. Darüber hinaus wird die Aktivität der Nierennerven durch den Blutdruck beeinflusst. Die
225 9.2 · Niere
renale Na+-Ausscheidung ist somit eine steile Funktion des systemischen Blutdruckes. Hormonelle Kontrolle. Nierendurchblutung, glomeruläre Filtrationsrate und tubuläre Transportprozesse werden durch eine Vielzahl von Hormonen kontrolliert (. Tab. 9.7). Die Bedeutung der renalen Wirkung dieser Hormone wird im Zusammenhang mit der Blutdruckregulation (7 Kap. 4.2.2), dem Salz-, Wasser- und Mineralhaushalt (7 Kap. 9.1.4) sowie den Hormonwirkungen (7 Kap. 10.2) näher erläutert. ! Bei einem Kreislaufschock löst die Drosselung der renalen Durchblutung nicht selten ein akutes Nierenversagen aus. Die Niere kann auch bei Entzündungen und Vergiftungen akut ausfallen
Ischämisches akutes Nierenversagen. Eine der Mechanis-
men zur Aufrechterhaltung des Blutdruckes, z. B. bei schweren Blutverlusten, ist die durch den Sympathikus ausgelöste Konstriktion von Nierengefäßen (7 Kap. 4.2.2). Dabei kann es zu einer Ischämie des Nierengewebes kommen, die ein ischämisches akutes Nierenversagen auslöst. Selbst nach Wiederherstellung von Blutvolumen und Blutdruck (z. B. durch Transfusionen) bleibt die GFR massiv erniedrigt und die Niere scheidet keinen (Anurie) oder wenig (Oligurie) Urin aus. Die ischämischen Tubuluszellen bilden Adenosin, das in der Niere im Gegensatz zu anderen Organen eine starke vasokonstriktorische Wirkung ausübt. Die Drosselung der GFR verhindert, daß die ischämischen Tubuluszellen zu energetisch aufwändiger Na+-Resorption gezwungen werden. Wenn sich die Tubuluszellen teilweise erholen, dann setzt die GFR wieder ein. Allerdings bleibt die Transportkapazität der Tubuluszellen häufig für einige Wochen eingeschränkt und es kommt trotz herabgesetzter GFR zu massiver Ausscheidung von Wasser und Elektrolyten (polyurische Phase des akuten Nierenversagens). Bisweilen erholt sich die Niere nicht mehr und es bleibt eine dauerhafte (chronische) Niereninsuffizienz zurück.
! Niereninsuffizienz führt neben Anämie v. a. zu Azidose, Hyperphosphatämie und Anhäufung toxischer Substanzen. Dialyse normalisiert pH und Elektrolytkonzentrationen im Blut und eliminiert toxische Substanzen
Folgen eingeschränkter Nierenfunktion. Ein Ausfall von
funktionstüchtigem Nierengewebe bleibt in der Regel ohne schwere Folgen, bis die glomeruläre Filtrationsrate unter 20 ml/Minute abfällt. Äußerlich erkennbar ist die eingeschränkte Nierenfunktion zunächst an einer herabgesetzten (Oligurie) oder völlig eingestellten (Anurie) Harnproduktion. In aller Regel täuscht das Urinvolumen jedoch über das wirkliche Ausmaß der Störung hinweg, denn die mitunter massiv eingeschränkte GFR läuft parallel mit einer herabgesetzten tubulären Resorption, sodass die Minderung des Harnzeitvolumens zunächst nur mäßig ausfällt. Der Urin ist jedoch wenig konzentriert und die Ausscheidung wesentlicher Bestandteile des Urins ist herabgesetzt. 4 Eine der wichtigsten Konsequenzen der eingeschränkten Ausscheidungsfähigkeit der Niere ist eine Retention von Phosphat, das im Blut Calcium komplexiert und dadurch eine massive Störung des Mineralhaushaltes auslöst (7 Kap. 9.1.7) 4 Die herabgesetzte renale Eliminierung von H+ führt zur Azidose (7 Kap. 5.10.4). Die Retention von Kochsalz und Wasser hat eine Hyperhydration (7 Kap. 9.1.4) zur Folge 4 Die Retention von K+ löst eine Hyperkaliämie (7 Kap. 9.1.5) aus 4 Durch die renale Retention der schlecht löslichen Harnsäure kann es zu Hyperurikämie und schmerzhaften Harnsäureausfällungen v. a. in Gelenken kommen (Gicht) 4 Schließlich zieht die verminderte Ausschüttung von Erythropoietin regelmäßig eine Anämie nach sich (7 Kap. 12.2), der Mangel an Klotho bewirkt möglicherweise ein beschleunigtes Auftreten altersassoziierter Störungen, wie Arteriosklerose Dialyse. Die im Körper akkumulierten Elektrolyte und orga-
Weitere Ursachen von Nierenversagen. Die Nieren können
durch eine Reihe weiterer Erkrankungen in Mitleidenschaft gezogen werden. Anhaltend hoher Blutdruck (Hypertonie), Entzündungen (Glomerulonephritis und Pyelonephritis), Diabetes mellitus und Vergiftungen können zur vollständigen Zerstörung der Nieren führen. Auch der Rückstau von Urin bei Verlegung des Harnleiters durch Harnsteine kann über direkte Schädigung der Tubuli oder folgende Besiedlung mit Erregern die betroffene Niere zerstören.
nischen Substanzen können durch Dialyse aus dem Körper eliminiert werden. Dabei wird Blut durch semipermeable Schläuche geleitet, welche die Diffusion der Substanzen in eine externe Elektrolytlösung erlauben (Hämodialyse). Als Alternative kann der Peritonealraum mit künstlichen Lösungen durchspült werden. Aus dem Blut diffundieren dabei die »harnpflichtigen Substanzen« in den Peritonealraum und werden auf diese Weise entfernt. Wasser wird dabei durch Verwendung hypertoner Lösungen eliminiert. Zu schnelle
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Kapitel 9 · Wasser und Elektrolythaushalt, Nierenfunktion
Korrektur der Azidose kann freilich vorübergehend das Ausfallen von CaHPO4 begünstigen, das im Alkalischen sehr viel schlechter löslich ist als im Sauren (7 Kap. 9.1.6).
über alle Enzyme der Harnstoffsynthese, bildet jedoch keine relevanten Mengen an Harnstoff. Entgiftung von Fremdstoffen. Die Niere kann Xenobiotika
9.2.8
Stoffwechsel und Hormonbildung
! Die Niere erfüllt eine Reihe von Stoffwechselaufgaben. Insbesondere baut sie Glukose auf und inaktiviert Hormone und Fremdstoffe
O2-Verbrauch. Normalerweise wird ein Fünftel des Herzminutenvolumens durch die Glomerula geschleust. Die Durchblutung der Nieren ist damit sehr viel größer, als für die O2-Versorgung der kleinen Organe erforderlich wäre. Die Niere benötigt normalerweise weniger als 10% des angebotenen O2 (Sauerstoffausschöpfung). O2 wird in erster Linie für die Energetisierung des Na+-Transportes benötigt und korreliert mit der tubulären Na+-Resorption. Eine Steigerung der Nierendurchblutung geht in aller Regel mit einer Steigerung der glomerulären Filtrationsrate (GFR) einher (7 Kap. 9.2.3) und bedeutet für die Niere mehr Arbeit, da ja nun auch mehr Na+ resorbiert werden muss.
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Fettsäureabbau. Der proximale Tubulus verwendet für die
Energiegewinnung überwiegend Fettsäuren, Azetazetat und β-Hydroxybutyrat. Glukose wird vom proximalen Tubulus nicht verbraucht. Glukoneogenese. Glutamin wird aus dem Tubuluslumen und aus dem Blut in proximale Tubuluszellen aufgenommen und durch die mitochondriale Glutaminase zu Glutamat desaminiert. Glutamat wird im Zytosol zu 2-Oxoglutarat desaminiert, das schließlich zu Glukose aufgebaut wird. Glukose wird in das Blut abgegeben und die beiden anfallenden NH4+-Ionen zur Säureeliminierung verwendet (7 Kap. 5.10.3). Bei Azidose ist die Niere gezwungen, vermehrt H+ auszuscheiden. Dabei werden im proximalen Tubulus Glutaminabbau und Glukoneogenese gesteigert. Die Niere kann im Übrigen auch aus Laktat Glukose aufbauen. Im Gegensatz zum proximalen Tubulus verbrauchen medulläre Henle-Schleife, distaler Tubulus und Sammelrohr Glukose für die Energiegewinnung. Aminosäurestoffwechsel. Die Niere baut Glutamin unter Bildung von Glukose und NH+4 ab. Umgekehrt bildet die Niere Arginin aus Aspartat und Zitrullin. Schließlich kann sie β-Alanin und Serin produzieren. Die Niere verfügt zwar
selbst umwandeln, wie etwa die Kopplung an Azetylcystein unter Bildung von Merkaptursäure. Inaktivierung von Hormonen. Die Niere spielt eine wesentliche Rolle bei der Inaktivierung von Hormonen, vor allem von Peptidhormonen (u. a. Glukagon, Insulin, Parathormon). Oligopeptide und kleinere Proteine werden filtiert (7 Kap. 9.2.3) und werden durch Peptidasen im proximalen Tubuluslumen teilweise abgebaut. Die einzelnen Aminosäuren werden dann über die entsprechenden Transportsysteme in die Zellen aufgenommen. Darüber hinaus werden filtrierte Proteine über Pinozytose in proximale Tubuluszellen eingeschleust und intrazellulär abgebaut. Auch im Stoffwechsel von Steroidhormonen spielt die Niere eine wichtige Rolle. Steroidhormone können die Zellmembranen leicht passieren und werden in den Tubuluszellen durch Oxidoreduktasen und Hydroxylasen metabolisiert. Zellen, welche Mineralokortikoidrezeptoren (Typ I-Kortikosteroidrezeptoren) aufweisen, exprimieren gleichzeitig eine 11β-Hydroxysteroiddehydrogenase, die Kortisol in Kortison umwandelt. Im Gegensatz zu Kortisol und Aldosteron kann Kortison an den Typ-I-Rezeptor nicht binden und die typischen Aldosteronwirkungen auslösen. Die 11β-Hydroxysteroiddehydrogenase verhindert somit die Auslösung von mineralokortikoiden Wirkungen durch Kortisol (. Tab. 9.7), das ja im Blut eine viel höhere Konzentration als Aldosteron aufweist (7 Kap. 10.2). ! Die Niere bildet eine Reihe von Hormonen
Erythropoietinbildung. In der Niere wird Erythropoietin gebildet, ein Peptidhormon, das die Erythropoiese stimuliert (7 Kap. 2.2). Die Bildung und Ausschüttung des Hormons wird durch Anämie und Hypoxie stimuliert. Bei Niereninsuffizienz führt die herabgesetzte Bildung des Hormons zur Anämie. Thrombopoietin. Die Niere bildet ferner Trombopoietin,
ein Peptidhormon, das die Bildung von Megakaryozyten und damit von Thrombozyten stimuliert. Allerdings wird Thrombopoietin vorwiegend in anderen Organen gebildet. Calcitriol. Durch eine mitochondriale 1 α -Hydroxylase des proximalen Tubulus wird das Hormon Calcitriol
227 9.2 · Niere
(1,25(OH)2D3) aus 25(OH)-Cholecalciferol (25(OH)D3) gebildet. Die 1 α -Hydroxylase wird durch das Nebenschilddrüsenhormon Parathormon sowie durch Ca2+- und Phosphatmangel stimuliert. Calcitriol steigert die enterale und renale Ca2+- und Phosphatresorption und fördert auf diese Weise die Mineralisierung des Knochens (7 Kap. 9.1.7). Klotho. Das Proteohormon Klotho wird vor allem in der
Niere gebildet. Das Hormon hemmt die proximal tubuläre Phosphatresorption und steigert die distaltubuläre Ca2+Resorption. Das Hormon mindert darüber hinaus die Wirkung von Insulin in der Peripherie (7 Kap. 10.3). Ein Mangel an Klotho führt zu beschleunigtem Altern, ein Überschuss zu Langlebigkeit. Klotho erzielt seine lebensverlängernde Wirkung wahrscheinlich durch Hemmung des Insulinstimulierten Phosphatidylinositol (PI)3-Kinaseweges.
kungen von Angiotensin II sind vor allem bei der Blutdruckregulation von hervorragender Bedeutung (7 Kap. 4.2.1)
9.2.9
Ableitende Harnwege
! Der in den Nieren gebildete Harn wird über die Ureteren zur Harnblase geleitet. Die Harnwege können bei Ausfallen von Harnbestandteilen durch Steine verlegt werden
Harnwege. Der in der Niere gebildete Harn sammelt sich
Urodilatin. Die Niere bildet Urodilatin, ein dem Atriopeptin sehr ähnliches Peptid, das gleichfalls die GFR steigert und Natriurese auslöst.
zunächst im Nierenbecken, um dann über den Ureter in die Harnblase transportiert zu werden. Der Harn wird im Ureter durch peristaltische Kontraktionswellen (2–6/min) vorwärts getrieben, die vom Nierenkelch zur Harnblase laufen (2–6 cm/s). Dilatation des Ureters steigert die Frequenz und mechanische Reizung kann spontane Kontraktionen auslösen. Bei Füllung der Harnblase wird die Wandmuskulatur zunächst passiv gedehnt, bis schließlich der Blasenentleerungsreflex ausgelöst wird (7 Kap. 14.3.2).
Gewebshormone. Die Niere bildet wie andere Gewebe eine
Urolithiasis. Einige Ionen oder organische Substanzen
Reihe von Mediatoren, wie u. a. Prostaglandine, Endothelin und Kinine, die ihre Wirkungen vor allem in der Niere selbst ausüben (. Tab. 9.7).
erreichen bisweilen im Harn Konzentrationen, die nicht mehr löslich sind (Übersättigung). Wird der metastabile Bereich (s. u.) überschritten, dann fallen diese Substanzen aus (. Tab. 9.11). Besonders häufig bilden Calciumoxalat und Calciumphosphat Nierensteine, wobei sekundär weitere Ionen, wie Mg2+ und NH4+ beteiligt sein können. Seltener ist eine Harnsäure-, Cystin- oder Xanthinurolithiasis. Primäre Ursache der Urolithiasis kann ein genetischer oder erworbener Transportdefekt sein. So sind Cystinsteine in der Regel Folge eines Transportdefektes in der Niere
Renin-Angiotensin. Das Enzym Renin wird in juxtaglomerulären Zellen gebildet und bei Drosselung der Nierendurchblutung ausgeschüttet (7 Kap. 9.2.2). Es spaltet aus dem hepatischen Plasmaprotein Angiotensinogen das Peptid Angiotensin I ab, aus dem unter dem Einfluss von Angiotensin converting enzyme (ACE) das stark vasokonstriktorisch und antinatriuretisch wirksame Angiotensin II entsteht. Die Wir. Tab. 9.11. Häufigste Ursachen von Nierensteinen Steine
Ursachen*
Begünstigte Faktoren (außer geringem Harnvolumen)
Ca-Oxalat
Gesteigerte Produktion oder Absorption von Oxalat, gesteigerte Absorption oder Mobilisierung von Ca2+
verminderte Ausscheidung von Phosphat oder Zitrat (Calciumbinder) oder Pyrophosphat
Ca–CO3–PO4, Mg–NH 4–PO4
gesteigerte Absorption oder Mobilisierung von Calciumphosphat
alkalischer Urin (Harnwegsinfekte), Mangel an Zitrat
Harnsäure
Überproduktion von Harnsäure
saurer Urin
Natrium-Urat
Überproduktion von Harnsäure
alkalischer Urin, hohe Na+-Konzentration
Cystin
renaler Resorptionsdefekt
saurer Urin
Xanthin
gestörter Abbau
Die meisten Nierensteine (ca. 80 %) enthalten Calciumoxalat, ca. 30% Calcium-Magnesium-Phosphat. 10 % Harnsäure, nur wenige Cystin oder Xanthin. * = Produktion im Stoffwechsel, Absorption im Darm oder Mobilisierung aus dem Knochen
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Kapitel 9 · Wasser und Elektrolythaushalt, Nierenfunktion
(Cystinurie). Die Ausscheidung ist bei normalem tubulärem Transport gesteigert, wenn aufgrund prärenaler Faktoren die Plasmakonzentration gesteigert ist und damit mehr filtriert wird. So begünstigt gesteigerte intestinale Absorption von Oxalat, Purinen oder Calcium gleichermassen Urolithiasis wie gesteigerte Mobilisierung von Calcium aus dem Knochen oder vermehrte Bildung von Harnsäure bei gesteigertem Zelluntergang. Für das Auftreten von Urolithiasis ist freilich nicht nur die Ausscheidung der konkrementbildenden Substanzen maßgebend. Die Konzentration wird auch durch das Harnvolumen diktiert. Starke Antidiurese fördert demnach die Bildung von Harnsteinen. Der Ca2+-Rezeptor in der HenleSchleife hemmt bei Hypercalciämie die NaCl-Resorption in diesem Segment und setzt die Fähigkeit zur Urinkonzentrierung herab. Damit wird ein Zusammentreffen von gesteigerter Calciumausscheidung und Antidiurese normalerweise unterbunden. Die Steinbildung wird ferner vom Urin-pH beeinflusst. Saurer pH führt das mäßig lösliche Urat vermehrt in die sehr schlecht lösliche Harnsäure über und begünstigt damit die Entwicklung von Harnsäuresteinen. Calciumphosphatsteine sind wiederum in alkalischem Milieu sehr viel schlechter löslich als im sauren Milieu (7 Kap. 9.1.6), und ein alkalischer Urin fördert die Bildung von CaHPO4-Steinen. Allerdings hemmt Alkalose die proximal-tubuläre Zitratresorption und damit wird bei Alkalose Zitrat ausgeschieden, das mit Ca2+ sehr gut lösliche Komplexe bildet. Auf diese Weise wird normalerweise einer Ausfällung von CaHPO4 vorgebeugt, wenn eine Alkalose die Ausscheidung von Bikarbonat erfordert. Eine Übersättigung führt nicht sofort zum Ausfällen der gelösten Substanzen, sondern im metastabilen Bereich bleiben die Substanzen zunächst gelöst. Lange Verweildauer (inkomplette Entleerung der ableitenden Harnwege) und das Auftreten von Kristallisationskernen fördert das Ausfallen. Steigen die Konzentrationen über den metastabilen Bereich, dann bilden sich auf jeden Fall Kristalle.
9.2.10
Messgrößen der Nierenfunktion
! Die Nierenfunktion kann durch Messung der glomerulären Filtrationsrate, Clearance und Nierenschwelle überprüft werden
Glomeruläre Filtrationsrate. Substanzen, die frei filtriert werden, weisen im glomerulären Filtrat praktisch die glei-
che Konzentration auf wie im Plasma (P). Ihre filtrierte Menge ist demnach P · GFR (GFR = glomeruläre Filtrationsrate). Werden sie weder resorbiert noch sezerniert, dann ist ihre Ausscheidung (Me) gleich der filtrierten Menge (Mf ), d. h.: Me = Mf oder U · VU = GFR · P Dabei ist U die Konzentration der Substanz im Urin, VU die Urinstromstärke. Bestimmt man U, V und P, dann kann man aus diesen Werten die GFR errechnen: GFR = U · VU/ P Das Polysaccharid Inulin ist praktisch frei filtrierbar und wird weder resorbiert noch sezerniert. Es wird daher zur GFR-Bestimmung eingesetzt. Dazu muß Inulin allerdings infundiert werden. Einfacher ist die Bestimmung der GFR mit Hilfe von Kreatinin, dem Anhydrit von Kreatin. Kreatinin wird ständig von der Muskulatur abgegeben, muss also nicht von außen zugeführt werden. Da es tubulär nur geringfügig transportiert wird, erlaubt es ebenfalls eine Abschätzung der GFR. Die Kreatininkonzentration im Plasma (P) eines Patienten sei 0,1 mmol/l, die Konzentration im Urin (U) 5 mmol/l, die Urinstromstärke 2 ml/min. Dann beträgt die GFR = 5 mmol/l · 2 ml/min/0,1 mmol/l = 100 ml/min.
Im klinischen Alltag wird häufig die Kreatininplasmakonzentration als erstes Maß für die Nierenfunktion herangezogen. Da Kreatinin praktisch ausschließlich über die Niere ausgeschieden wird, muss die pro Zeiteinheit gebildete Kreatininmenge auch renal ausgeschieden werden. Bei Abnahme der GFR sinkt die renale Ausscheidung von Kreatinin (Me) zunächst unter die pro Zeiteinheit produzierte Kreatininmenge (Mp). Da weniger ausgeschieden als produziert wird, steigt die Plasmakonzentration solange an, bis die pro Zeiteinheit filtrierte Menge wieder die produzierte Menge erreicht hat. Im Gleichgewicht ist Me = Mp. Bei konstanter Kreatininproduktion ist somit das Produkt von GFR und Plasmakonzentration konstant (GFR · P = Me = Mp), und die Plasmakonzentration steigt umgekehrt proportional zur GFR (. Abb. 9.19). Allerdings ist die Kreatininproduktion u. a. eine Funktion der Muskelmasse und keineswegs konstant. Eine gesteigerte Kreatininproduktion erfordert eine gesteigerte renale Ausscheidung und damit bei gleicher GFR eine gesteigerte Plasmakreatininkonzentration. Eine mäßige Abnahme der GFR kann daher leicht
229 9.2 · Niere
Freie Wasser-Clearance. In Analogie zur Clearance gelöster
Substanzen kann auch eine freie Wasser-Clearance (CH2O) errechnet werden. Sie wird ermittelt, indem vom Urinvolumen dasjenige Volumen abgezogen wird, das zur plasmaisotonen (Posm) Ausscheidung der im Urin ausgeschiedenen osmotisch aktiven Substanzen erforderlich wäre. Das abgezogene Volumen ist umso größer, je höher die Urinosmolarität (Uosm) ist: CH2O = VU (1–Uosm/ Posm) Ist die Urinosmolarität höher als im Plasma, dann resultiert eine negative freie Wasser-Clearance.
. Abb. 9.19. Abhängigkeit der Kreatininplasmakonzentration von der Kreatinin-Clearance. Die Beziehung gilt unter der Voraussetzung, dass Kreatinin konstant gebildet wird, nicht verstoffwechselt wird und in der Niere unbehindert filtriert, jedoch nicht sezerniert oder resorbiert wird. Der Streubereich entsteht vor allem durch unterschiedliche Produktionsraten von Kreatinin (aus Schmidt, Lang und Thews)
übersehen werden, wenn gleichzeitig weniger Kreatinin produziert wird.
Ein Patient scheidet 6 ml/min eines Harns mit 145 mosmol/kg Wasser aus. Zur plasmaisotonen (Posm = 290 mosmol/kg H2O) Lösung der ausgeschiedenen osmotisch aktiven Substanzen wären 6 ml/min · 145 mosmol/kg H2O/290 mosmol/kg H2O = 3 ml/min erforderlich. Die freie Wasser-Clearance beträgt demnach 6 ml/min-3 ml/min = 3 ml/min. Beträgt die Urinosmolarität 580 mosmol/kg H2O, dann wären (bei einer Urinstromstärke von 6 ml/min) 12 ml/min zur plasmaisotonen Lösung der Urinbestandteile erforderlich. Es resultiert somit eine negative freie Wasser-Clearance von 6-12 = - 6 ml/min.
Transportmaximum und Affinität sättigbarer Transportprozesse. Eine Reihe von renalen Transportprozessen weist
eine maximale Transportrate auf, die im Bereich bzw. nicht weit über der filtrierten Menge (Mf ) liegt (. Abb. 9.20). Für die Ausscheidung der betroffenen Substanzen (Me) sind die kinetischen Parameter des Transportsystems, wie maximale Transportrate (Tm) und Affinität entscheidend. Bei Vorliegen einer einfachen Kinetik gilt für die Transportrate (Mt):
Clearance und fraktionelle Ausscheidung. Die filtrierte
Menge von Inulin und Kreatinin wird zur Gänze ausgeschieden. Das Plasmavolumen, das von Inulin und Kreatinin »geklärt« wurde (Clearance), ist somit die GFR. Bei Substanzen, die teilweise resorbiert werden, ist die renale Clearance (C= U · V/P) kleiner als die GFR, bei Substanzen, die sezerniert werden, ist die Clearance größer als die GFR. Das Verhältnis der Clearance einer Substanz zur GFR wird fraktionelle Ausscheidung genannt. Die fraktionelle Ausscheidung von Kreatinin ist 1. Bei einem Patienten werden eine Harnstoffkonzentration von 5 mmol/l im Plasma, und eine Harnstoffkonzentration von 80 mmol/l im Urin gemessen. Die Harnstromstärke sei 3 ml/min. Die Harnstoff-Clearance beträgt somit C = 80 mmol/l · 3 ml/min/5 mmol/l = 48 ml/min. Ist die Kreatinin-Clearance des Patienten 100 ml/min, dann ist seine fraktionelle Harnstoffausscheidung 0,48. Das heißt, der Patient scheidet etwa die Hälfte des filtrierten Harnstoffs aus.
Mt = C · Tm/(C+C 1/2 ) wobei C 1/2 diejenige Substratkonzentration ist, bei welcher halbmaximal transportiert wird. Für die Ausscheidung der Substanz gilt: Me = Mf – Mt Bei Nettoresorption ist Mt positiv, bei Nettosekretion ist Mt negativ. Mit zunehmender Plasmakonzentration (P) steigt einerseits die filtrierte Menge: (Mf = P · GFR) und andererseits die Konzentration am Transporter (C) und damit die Transportrate. Resorptionsprozesse mit hoher Affinität. Bei hoher Affinität bzw. kleinem C 1/2 sind nur geringe Substratkonzentra-
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Kapitel 9 · Wasser und Elektrolythaushalt, Nierenfunktion
. Abb. 9.20. Filtration, Resorption und Ausscheidung von Substanzen, die in der Niere sättigbar transportiert werden. Die jeweils filtrierte (f, blau), resorbierte (r, braun), sezernierte (s, rot) und ausgeschiedene (a, grün) Menge an Substanz (Menge in mol/min) in Abhängigkeit von der Plasmakonzentration: Links: Resorption mit hoher Affinität (Beispiel Glukose, Phosphat). Im roten Bereich wird die maximale Transportrate erreicht (Nierenschwelle). Die gesamte, zusätzlich filtrierte Menge wird dann ausgeschieden. Die Glukosekonzentration ist normalerweise (5 mmol/l, G1) weit unter der Nierenschwelle. Erst bei einem Anstieg auf das Doppelte (10 mmol/l, G2) wird die Nierenschwelle erreicht. Eine nur mäßige zusätzliche Steigerung der Glukoseplasmakonzentration (auf 12 mmol/l, G3) führt zur
massiven Glukosurie. Mitte: Resorption mit niederer Affinität (Beispiel Harnsäure). Harnsäure wird bereits bei Plasmakonzentrationen ausgeschieden, bei denen der Resorptionsmechanismus noch nicht gesättigt ist (0,3 mmol/l, H1). Bei Steigerung der Plasmakonzentration nehmen Resorption und Ausscheidung zu. Rechts: Sekretion (Beispiel Paraaminohippursäure, PAH). Bei niederen Plasmakonzentrationen (PAH1) ist der Sekretionsmechanismus noch nicht gesättigt und die gesamte, in die Niere gelangende PAH-Menge wird ausgeschieden. Die PAH-Clearance ist dabei gleich dem renalen Plasmafluss RPF (ca 5-fache der GFR). Bei hohen Plasmakonzentrationen ist der Sekretionsmechanismus gesättigt und die Ausscheidung ist nicht mehr proportional dem RPF
tionen erforderlich, um die maximale Transportrate zu erreichen, und die Substanz wird fast vollständig resorbiert, solange die filtrierte Menge nicht die maximale Transportrate übersteigt. Sobald die maximale Transportrate überschritten ist, kommt es zu einer fast vollständigen Ausscheidung der überschüssig filtrierten Menge. Der Übergang von vollständiger Resorption und quantitativer Ausscheidung überschüssig filtrierter Substanz (Nierenschwelle) ist scharf (. Abb. 9.20). Für Phosphat ist die Nierenschwelle normalerweise etwa 20 % niedriger als die Plasmakonzentration, es werden also etwa 20 % der filtrierten Menge ausgeschieden. Für Glukose ist die Nierenschwelle (10 mmol/l) etwa doppelt so hoch wie die Plasmakonzentration im Nüchternzustand (ca. 5 mmol/l). Glukose wird daher nur bei massiv gesteigerten Plasmakonzentrationen ausgeschieden (> 10 mmol/l), wie sie bei Diabetes mellitus (7 Kap. 10.1) auftreten können. Weitere Substrate von Transportprozessen mit hoher Affinität sind einige Aminosäuren (. Abb. 9.20).
Resorptionsprozesse mit niedriger Affinität. Niederaffine
Transportprozesse arbeiten bei niedrigen Substratkonzentrationen weit unter dem Transportmaximum und es wird Substanz ausgeschieden, bevor die filtrierte Menge die maximale Transportrate übersteigt. Eine weitere Zunahme der Plasmakonzentration steigert nicht nur die filtrierte Menge, sondern auch die Resorptionsrate, die Ausscheidung steigt also weniger steil an als die filtrierte Menge (. Abb. 9.20). Beispiele sind Harnsäure und Glyzin. Sekretionsprozesse, Bestimmung des renalen Plasmaflusses. Wird eine Substanz sezerniert, dann addieren sich
filtrierte und transportierte Menge. Bei Sekretionsprozessen mit hoher Affinität (z. B. Paraaminohippursäure, PAH) wird die gesamte, die Niere passierende Substanz ausgeschieden, solange der Transportprozess noch nicht gesättigt ist (. Abb. 9.20). Me = P · RPF
Ein Patient mit schlecht kontrolliertem Diabetes mellitus weist eine Plasmaglukosekonzentration von 15 mmol/l auf. Seine GFR beträgt 100 ml/min (0,1 l/min), sein Transportmaximum für Glukose 1 mmol/min. Seine Glukoseausscheidung beträgt demnach: 0,1l/min · 15 mmol/l –1 mmol/min] = 0,5 mmol/min. Er scheidet demnach ein Drittel der filtrierten Glukosemenge aus.
Dabei ist RPF das pro Zeiteinheit die Niere passierende Volumen (renaler Plasmafluss, RPF). Für die Substanzen ist die renale Clearance somit identisch mit dem RPF. Übersteigt die im renalen Plasma antransportierte Substanz die
231 9.2 · Niere
maximale Sekretionsrate, dann ist die renale Clearance geringer als der RPF. Aus dem RPF und dem Hämatokrit (Hkt) kann der renale Blutfluss (RBF) errechnet werden: RBF = RPF/ (1–Hkt)
Ist die PAH-Konzentration im Plasma eines Probanden 0,2 mmol/l (nichtsättigende Konzentration) und im Urin 20 mmol/l und beträgt die Urinstromstärke 6 ml/min, dann ergibt sich ein renaler Plasmafluss von: RPF = 20 mmol/l · 6 ml/min/0,2 mmol/l] = 600 ml/min. Bei einem Hämatokrit von 0,40 ist der renale Blutfluss dann: RBF = 600 ml/min/ 0,6 = 1 l/min].
In Kürze
Niere Bau und Funktion 4 Aufgaben: Eliminierung überflüssiger/schädlicher Substanzen; Kontrolle Volumen und Elektrolytzusammensetzung Extrazellulärraum, Blutvolumen, Blutdruck. Regulation Säure-Basen-Haushalt, Glukoneogenese, Regulation von Mineralhaushalt und Knochenmineralisierung, Bildung Calcitriol, Erythropoietin, und Klotho 4 Funktionsweise: Filtration von 150 Liter Plasmawasser in 2 Millionen Glomerula, folgende Modifizierung durch tubuläre Transportprozesse 4 Durchblutung: 20% des Herzminutenvolumens (ca. 1,2 l/min) 4 Nierengefäße: Aa. interlobares o Aa. arcuatae o Aa. interlobulares o Vasa afferentia (größer Druckabfall) o glomeruläre Kapillarschlingen o Vasa efferentia (zweitgrößter Druckabfall) o peritubuläre Kapillaren, Vasa recta o Vv. interlobulares o Vv. arcuatae o Vv. interlobares o V. renalis 4 Nierenrinde hervorragend durchblutet, Nierenmark (⅓ des Nierengewichtes) <10% der renalen Durchblutung
4 4 4 4 4
Filtration 4 Permselektivität: Moleküle >4 nm bzw. >50 kDa nicht filtriert, negative Ladungen o Filtration p; Glomerulonephritis o negative Fixladungen p o Permselektivität p 4 Proteinbindung (Hormone, Pharmaka, Gifte, Ca2+) o Filtration p 4 Gibbs-Donnan-Potenzial: Blutseite ≈1,5 mV negativ o im Filtrat einwertige Kationen ≈5% niedriger, einwertige Anionen ≈5% höher als im Plasmawasser. 4 Glomeruläre Filtrationsrate: GFR = Lp · F · Peff; Peff = Δp – Δp = (pK – pB) – (πK – πB); pK ≈50 mmHg, pB ≈15 mmHg, πK ≈ 25 mmHg, πB vernachlässigbar. 4 Filtrationsprozess o πK n o Peff p o Filtrationsgleichgewicht 6
Resorption, Sekretion 4 Proximal-tubulärer Transport (in % vom Filtrat): 70% H2O und NaCl, 95% Bikarbonat, ≈100% Glukose, Aminosäuren; Sekretion Säuren, Basen; große Transportkapazität, keine hohen Gradienten 4 Bikarbonatresorption: Na+/H+-Austauscher, luminale H+-Ionen + HCO3– o CO2 (Karboanhydrase) o CO2-Diffusion in Zelle o zellulär CO2 o H+ + HCO3– o Na+3HCO3– -Cotransport 4 Proximal-tubuläre NH4+-Produktion durch Desaminierung von Glutamin o NH3 ins Lumen o bindet H+ o als NH4+ ausgeschieden. Glutamin o α-Ketoglutarat o Glukose 4 Na+-gekoppelter Transport von Glukose/Galaktose, Aminosäuren, Laktat, Phosphat, Sulfat, Vitamin C
Ultrafiltrationskoeffizient (Kf = F · Lp) p o GFR p Widerstand Vas efferens n o pK n, RPF p o GFR np Widerstand Vas afferens n o pK p o GFR p Plasmaproteinkonzentration n o πK p o GFR p Glomerulonephritis o Widerstand Vas afferens n, Kf p o GFR p 4 Autoregulation: GFR und RPF zwischen 80–180 mmHg annähernd konstant (Widerstandsänderung am Vas afferens) durch myogene Vasokonstriktion (Bayliss-Effekt), Prostaglandine, tubuloglomerulärer Feedback (NaCl an Macula densa o GFR p) 4 Renin-Angiotensin-Aldosteron: NaCl an Macula densa p, Gefäßdehnung Vas afferens p o Renin o Angiotensin I o (angiotensin converting enzyme, ACE) Angiotensin II o Vasokonstriktion, proximaltubuläre Na+-Resorption n, Ausschüttung Aldosteron, ADH o distaltubuläre Kochsalz- und Wasserresorption n Transport 4 Transport an renalen Epithelien: 99% des filtrierten Wassers, >90% filtrierter Substanzen wieder resorbiert, dazu sezerniert o Urin
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Kapitel 9 · Wasser und Elektrolythaushalt, Nierenfunktion
4 Organische Säuren: Bildung von α-Ketoglutarat, Akkumulation Dikarboxylsäuren durch basolateralen Na+-Dikarboxylattransporter o teilweise Austausch gegen andere organische Säuren (tertiär aktiver Transport), die über Anionenaustauscher oder Uniporter in das Lumen sezerniert werden (z. B. Paraaminohippursäure, PAH); Harnsäure über Anionentransporter sezerniert und resorbiert 4 Organische Basen durch Uniporter und Austauscher resorbiert und/oder sezerniert 4 Parazelluläre Resorption: Transzelluläre Resorption o Wasserstrom o solvent drag; lumenpositives transeptheliales Potenzial o passive Na+ Resorption (>50%) 4 Henle-Schleife o Harnkonzentrierung 4 Absteigender dicker Teil wie proximaler Tubulus 4 Dünner Teil: Passiver Transport über Cl--Kanäle und Kationen-permeable tight junctions 4 Dicker aufsteigende Teil: Luminaler Na+-K+-2Cl--Cotransport, luminale K+-Kanäle, basolaterale Cl--Kanäle, Na+/K+-ATPase und KCl-Cotransport; Lumenpositives transepitheliales Potenzial o Transport Na+, Ca2+, Mg2+ durch tight junctions; H2O-impermeabel 4 Distales Nephron transportiert gegen hohe Gradienten, geringe Transportkapazität 4 Distale Tubuluszelle NaCl Resorption, Ca2+-Resorption: luminal NaCl-Cotransport, Ca2+-Kanäle, basolateral KCl-Cotransport, Na+/K+-ATPase, K+-Kanäle, Na+/Ca2+-Austauscher, Ca2+-ATPase 4 Hauptzellen: Luminale Na+-Kanäle, K+-Kanäle, basolateriale Na+/K+-ATPase 4 Schaltzellen: Sekretion H+ (Typ A: luminale H+-ATPase oder H+/K+-ATPase, basolatealer Cl-/HCO3– -Austauscher, Cl--Kanäle) oder HCO3– (Typ B: luminale Cl-/HCO3– -Austauscher, basolaterale Cl--Kanäle, H+-ATPase) 4 Transportdefekte (. Tab. 9.9) proximaltubuläre oder distaltubuläre Azidose, Liddle-Syndrom, Bartter-Syndrom, Gitelman-Syndrom, renaler Diabetes mellitus, Aminoacidurien 4 Diuretika (. Tab. 9.10). Proximale Diuretika, Schleifendiuretika, frühdistale Diuretika, K+-sparende Diuretika, osmotische Diurese. Diurese auch bei Glukosurie, Bikarbonaturie 6
Harnkonzentrierung 4 Harnosmolarität: 50–1200 mosmol/l 4 Gegenstrommultiplikation: Aufsteigender Teil HenleSchleife resorbiert NaCl ohne Wasser o Osmolarität im Interstitium n o Wasserentzug aus absteigendem Schenkel o luminale Osmolarität n (an Schleifenspitze 4-fach). Ende Henle-Schleife = Tubulusflüssigkeit hypoton 4 Hohe Osmolarität Nierenmark o osmotischer Gradient für Wasserresorption im Sammelrohr 4 Harnstoff: H2O-Resorption distaler Tubulus + kortikales Sammelrohr o luminale Harnstoffkonzentration n Harnstoffdiffusion aus medullärem Sammelrohr in Interstitium Nierenmark o Wasserentzug aus dem absteigenden dünnen Teil der Henle-Schleife o luminale NaCl-Konzentration n o Gradient für NaCl-Resorption im aufsteigenden Teil der dünnen Henle-Schleife 4 Antidiuretisches Hormon o cAMP o Einbau von Aquaporin 2 in luminale Zellmembran o Wasserresorption; zusätzlich: Na+-Resorption, Einbau von Harnstofftransportern 4 Vasa recta. Anordnung als Schleife o Rezirkulation o Abtransport von Kochsalz, Harnstoff p, aber auch Rezirkulation Glukose, O2, CO2, Laktat o Mangel an allem, was verbraucht wird und Anhäufung an allem, was gebildet wird 4 Störungen Harnkonzentrierung: Schleifendiuretika, Kaliummangel, Hypercalciämie [o Transport HenleSchleife]; proteinarme Ernährung [o Harnstoff p]; Nierenentzündungen, Blutdrucksteigerung [o Durchblutung Vasa recta n]; osmotische Diurese [o osmotischer Gradient p]; ADH-Mangel bzw. -Unempfindlichkeit [o Wasserresorption p] Globale Nierenfunktion und Regulation 4 Glomerulotubuläre Balance: GFR n o proximal-tubuläre Resorption n 4 Tubuloglomeruläre Balance: NaCl an Macula densa n o Kontraktion Vas afferens o GFR p 4 Nierenschwelle: Überschreiten Transportmaximum o Ausscheidung zusätzlich filtrierter Menge 4 Ca2+-Konzentration n o tight junctions p, Ca2+-Rezeptor o Ca2+-Resorption p 4 Intrazelluläre Konzentrationen K+, H+, Phosphat n o Ausscheidung n
233 9.2 · Niere
4 Nervale Kontrolle: Sympathische Nerven o GFR p, Resorption (u. a. Na+, HCO3– , Cl-, Wasser) n, Reninausschüttung n(β1), p (α1) 4 Blutdrucksteigerung o Nierenmarkdurchblutung n o Diurese 4 Hormone: RPF, GFR, tubuläre Transportprozesse hormonell reguliert (. Tab. 9.7) 4 Ischämisches akutes Nierenversagen: Schock o Vasokonstriktion Niere o Ischämie o Adenosin o akutes Nierenversagen o Anurie, Oligurie o o o polyurische Phase o (teilweise) Erhohlung 4 Weitere Ursachen von Nierenversagen: Hypertonie, Entzündungen (Glomerulonephritis und Pyelonephritis), Diabetes mellitus, Vergiftungen, Verlegung Harnleiter 4 Niereninsuffizienz o GFR < 20 ml/Minute o Oligurie, Anurie o Retention von Phosphat o Calciumkomplexierung o Hyperparathyreoidismus o CaHPO4 Mobiliserung aus Knochen o circulus vitiosus; Eliminierung von H+ p o Azidose; Retention von Kochsalz o Hyperhydration; Retention von K+ o Hyperkaliämie; Retention Harnsäure o Gicht; Erythropoietin p o Anämie; Klotho po beschleunigtes Altern 4 Dialyse: Semipermeable Schläuche o Diffusion harnpflichtiger Substanzen in externe Elektrolytlösung (Hämodialyse); Durchspülung Peritonealraum (Peritonealdialyse) Stoffwechsel und Hormonbildung 4 O2-Ausschöpfung 10%, im Wesentlichen für Energetisierung tubulären Na+-Transportes 4 Fettsäureabbau: Proximaler Tubulus verbrennt v. a. Fettsäuren, Azetazetat, β-Hydroxybutyrat 4 Glukoneogenese aus Laktat und 2-Oxoglutarat aus Glutaminabbau (zur NH3-Bildung) 4 Aminosäurestoffwechsel: Glutaminabbau; Bildung von Arginin aus Aspartat und Zitrullin; Produktion von β-Alanin, Serin
4 Entgiftung von Fremdstoffen: Kopplung von Xenobiotika an Azetylcystein o Merkaptursäure 4 Inaktivierung von Hormonen: Inaktivierung von Peptidhormonen (u. a. Glukagon, Insulin, Parathormon); Steroidhormonumbau durch Oxidoreduktasen und Hydroxylasen, durch 11β-Hydroxysteroiddehydrogenase Umbau von Kortisol in Kortison 4 Hormonbildung: Erythropoietin, Thrombopoietin, Calcitriol, Klotho, Urodilatin, Prostaglandine, Endothelin, Kinine; Renin (Homonbildendes Enzym) o Angiotensin Ableitende Harnwege 4 Harnwege: Nierenbecken o Ureter o Harnblase; Im Ureter peristaltische Kontraktionswellen (2–6/min, 2–6 cm/s) 4 Urolithiasis: Calciumoxalat > Calciumphosphat (+ Mg2+, NH4+) > Harnsäure-, Cystin- oder Xanthinurolithiasis. Ursachen: Transportdefekte (Cystinsteine), intestinale Absorption Oxalat, Purine, Calcium n, Mobilisierung von Calcium aus dem Knochen, Bildung von Harnsäure n, Harnvolumen p, Urin-pH (pH n o Phosphatsteine n, Harnsäuresteine p), Zitrat p, Verweildauer n Messgrößen der Nierenfunktion 4 Glomeruläre Filtrationsrate: GFR = U · VU/P (KreatininClearance) 4 Clearance: Plasmavolumen, das von Substanz »ge• klärt« wird: c = V · U/P 4 Fraktionelle Ausscheidung. Clearance/GFR 4 Freie Wasser-Clearance: CH2O = VU(1 - Uosm/Posm) 4 Transportmaximum und Affinität: Mt = C · Tm/(C + C1/2) 4 Renaler Plasmafluss: RPF = Me,PAH/PPAH 4 Renaler Blutfluss: RBF = RPF/(1 - Hkt)
9
10
10 Hormonale Regulation 10.1
Grundlagen und Allgemeines – 236
10.1.1 10.1.2 10.1.3 10.1.4
Funktionelle Struktur des Hormonsystems – 236 Hormoneigenschaften – 239 Signalkette – 243 Neuroendokrine Signalübertragung – 247
10.2
Wasser und Elektrolythaushalt – 249
10.2.1 10.2.2 10.2.3 10.2.4
ADH – 249 Aldosteron – 250 Natriuretische Faktoren – 252 Calcium-Phosphat-Haushalt regulierende Hormone – 252
10.3
Energiehaushalt und Wachstum – 254
10.3.1 10.3.2 10.3.3 10.3.4 10.3.5 10.3.6
STH, Somatotropin – 254 Schilddrüsenhormone T3, T4 – 256 Glukokortikoide – 258 Insulin – 262 Glukagon – 265 Adrenalin – 265
236
Kapitel 10 · Hormonale Regulation
> > Einleitung Die Abstimmung der Leistungen jeweils verschieden spezialisierter Zellen im Organismus sowie die Anpassung des Organismus an sich ständig ändernde äußere Bedingungen erfordert eine Kommunikation zwischen den verschiedenen Zellen. Sie wird einerseits durch direkten Kontakt über gap junctions gewährleistet, zum anderen geben Zellen Signalstoffe ab, die Funktionen anderer Zellen beeinflussen. Hormone werden meist in spezialisierten Zellen des Körpers (endokrinen Drüsen) gebildet. Allerdings gibt es einen fließenden Übergang von Hormonen im engeren Sinn zu vorwiegend lokal wirkenden Mediatoren und zu Transmittern des Nervensystems. Tatsächlich wirken einige Hormone auch als Transmitter im Nervensystem.
10.1
Grundlagen und Allgemeines
10.1.1
Funktionelle Struktur des Hormonsystems
! Hormone werden in spezialisierten Zellen synthetisiert und teilweise gespeichert. Nach Ausschüttung wirken sie lokal oder über den Blutweg. Ihre Inaktivierung ist Voraussetzung für eine adäquate Regulation
10
Wirkungsweise von Signalstoffen. Signalstoffe erreichen Zellen anderer Organe über die Blutbahn (endokrin), benachbarte Zellen des gleichen Organs (parakrin) oder wirken auf die sezernierende Zelle selbst zurück (autokrin). Hormone im engeren Sinn entfalten ihre Wirkungen vorwiegend auf endokrinem Wege. Ihre endokrine Wirksamkeit setzt voraus, dass sie im Blut nicht vor Erreichen der Zielzellen inaktiviert werden. Hormone wirken auf ihre Zielzellen über Rezeptoren (7 Kap. 10.1.2, 7 Kap. 10.1.3). Dabei handelt es sich um Proteine, die nach Bindung des jeweils spezifischen Hormons ihre Struktur verändern (7 Kap. 10.1.3). Diese Strukturveränderung löst dann eine intrazelluläre Kaskade aus, die letztlich zu den zellulären Wirkungen des jeweiligen Hormons führt (7 Kap. 10.1.3). Hormonspeicherung und -ausschüttung. Hormone kön-
nen nach ihrer Synthese (7 Kap. 10.1.2) zunächst in der Hormondrüse gespeichert werden, bevor sie bei Bedarf ausgeschüttet werden. Insbesondere Proteohormone werden in intrazellulären Vesikeln gespeichert. Ihre Ausschüttung wird durch die intrazelluläre Ca2+-Konzentration reguliert. Ca2+ stimuliert das Verschmelzen von Vesikeln
mit der Zellmembran und in der Folge wird der Inhalt der hormonhaltigen Vesikel in den Extrazellulärraum entleert. Im Gegensatz zu anderen Proteohormonen wird die Ausschüttung von Parathormon durch Ca2+ gehemmt. Diese Hemmung wird durch einen Rezeptor an der Zellmembran für Ca2+ vermittelt (7 Kap. 10.2.4). Schilddrüsenhormone werden nicht in Vesikeln, sondern als Proteine extrazellulär gespeichert (7 Kap. 10.3.2). Inaktivierung von Hormonen. Eine Regulation ist nur möglich, wenn die Hormonkonzentration je nach Bedarf gesteigert oder gesenkt werden kann. Eine Abnahme der Hormonkonzentration erfordert die Entfernung bzw. Inaktivierung des Hormons. Proteohormone werden durch proteolytische Spaltung vor allem in Leber und Niere inaktiviert. Die Steroidhormone werden vorwiegend in der Leber in unwirksame Metabolite abgebaut, die dann über Galle und Nieren ausgeschieden werden. Eine eingeschränkte Funktion von Leber oder Nieren verzögert die Inaktivierung der Hormone und kann auf diese Weise die endokrine Regulation stören. Hormonbindung an Plasmaproteine. Im Blut sind einige Hormone z. T. an Plasmaproteine gebunden. Insbesondere für Schilddrüsenhormone ist der gebundene Anteil mit 99,9% sehr hoch. Steroidhormone werden meist zwischen 60% (Aldosteron) und 90% (Kortisol) an Proteine gebunden, Testosteron sogar zu 98 %. Da die Plasmaproteine die Blutbahn nicht in nennenswertem Ausmaß verlassen, kann der an Plasmaproteine gebundene Hormonanteil die Zielzellen außerhalb der Blutbahn nicht erreichen und bleibt wirkungslos. Andererseits entzieht sich der plasmaproteingebundene Anteil auch der Inaktivierung. Durch die Bindung der Hormone an Plasmaproteine nimmt die Halbwertszeit zu (. Tab. 10.1). Die Plasmaproteinbindung wirkt also wie ein Puffer (7 Kap. 5.10.1). ! Hormone sind in Regelkreise eingebaut. Sie dienen der Regelung und Steuerung von Parametern und Leistungen
Hormonelle Regelkreise. Die Ausschüttung der Hormone unterliegt der Kontrolle von einem oder mehreren Regelkreisen: Hormone wirken direkt oder indirekt auf jene Faktoren, die ihre Ausschüttung fördern oder hemmen. Regelkreise unterliegen typischerweise einer negativen Rückkopplung (. Abb. 10.1): Die Ausschüttung von Glukagon wird durch einen Abfall der Glukosekonzentration im Blut stimuliert. Glukagon stimuliert den Glykogenabbau in der
237 10.1 · Grundlagen und Allgemeines
. Abb. 10.1. Hormonelle Regelkreise. Einfacher hormoneller Regelkreis (links, Beispiel Glukagon) und hypothalamisch/hypophysärer
Regelkreis (rechts, Beispiel Kortisol). Gezeigt ist jeweils nur eine der Wirkungen von Glukagon und Kortisol
Leber und steigert u. a. auf diese Weise die Glukosekonzentration im Blut. Der hormonelle Regelkreis hält also in diesem Fall die Glukosekonzentration im Blut konstant. Die Regelkreise von Hormonen, die vom Hypothalamus aus kontrolliert werden (7 Kap. 10.1.4), sind komplexer, folgen jedoch den gleichen Prinzipien wie die einfachen Regelkreise (. Abb. 10.1). Ein hormoneller Regelkreis reagiert prinzipiell in zwei Richtungen. In unserem Beispiel führt eine Zunahme der Glukosekonzentration zu einer Abnahme, eine Abnahme der Glukosekonzentration zu einer Zunahme der Glukagonausschüttung. Der Regelkreis wirkt somit sowohl einer Abnahme als auch einer Zunahme der Glukosekonzentration entgegen. Wesentliche Eigenschaften eines hormonellen Regelkreises sind die Belastbarkeit auf der einen Seite und die Ansprechzeit auf der anderen. Belastbarkeit bzw. Regelbreite eines hormonellen Regelkreises beschreibt die Fähigkeit, maximale Störgrößen zu kompensieren. Sie hängt davon ab, in welchem Ausmaß das Hormon die Leistung eines Organs beeinflussen kann. Sie ist eingeschränkt bei herabgesetzter Hormonempfindlichkeit oder Leistungsfähigkeit des Zielorgans. Die Ansprechzeit eines hormonellen Regelkreises hängt davon ab, wie schnell die Hormonausschüttung auf eine Änderung des kontrollierten Stoffwechselparameters reagiert, wie lange das Hormon im Blut aktiv
zirkuliert (Halbwertszeit), wie schnell die Wirkung im Zielorgan einsetzt und wie lange sie anhält (. Tab. 10.1). Steuerung der Hormonausschüttung. Steuernde Einflüsse
verstellen die Empfindlichkeit der endokrinen Drüse für . Tab. 10.1. Ungefähre Halbwertszeiten einiger Hormone im Plasma Hormone Liberine, Statine (RH, RIH) Corticotropin (ACTH) Thyrotropin (TSH)
Halbwertszeiten [Minuten] 5 25 70
Follitropin (FSH)
240
Lutropin (LH)
210
Choriongonadotropin (hCG)
500
Prolaktin
30
Somatotropin (STH)
25
Adiuretin (ADH) Oxytozin
6 5
Adrenalin
<2
Kortisol
90
Die biologischen Halbwertszeiten sind im Allgemeinen wesentlich länger
10
238
Kapitel 10 · Hormonale Regulation
den Stoffwechselparameter und erlauben damit seine Änderung. Die Hormonausschüttung wird vor allem über das Nervensystem vielfach kontrolliert. Über Acetylcholin, Noradrenalin und Adrenalin steuert das vegetative Nervensystem die Ausschüttung der meisten Hormone (. Tab. 14.1). Darüber hinaus wird die Ausschüttung vieler Hormone durch glandotrope Hormone aus der Hypophyse reguliert, deren Ausschüttung wiederum unter der Kontrolle des Hypothalamus steht (7 Kap. 10.1.4). Damit können Hormonausschüttung und hormonabhängige Regulation von peripheren Parametern dem jeweiligen Verhalten bzw. dem vom Nervensystem eingeschätzten Bedarf angepasst werden. Beispielsweise fördert Adrenalin im Stress u. a. durch Stimulation der Glukagonausschüttung und Hemmung der Insulinausschüttung einen Anstieg der Blutglukosekonzentration.
Fehlt umgekehrt ein Stimulus der Hormonausschüttung oder steht die hormonproduzierende Zelle unter vorwiegend hemmenden Einflüssen, dann nimmt die Zahl hormonproduzierender Zellen durch gesteigertes Absterben (Apoptose, programmierter Zelltod) ab. Folge ist eine Aplasie der Hormondrüse. Schrumpfung und Abnahme der Zahl hormonproduzierender Zellen führt zur Atrophie der Hormondrüse. Hypertrophie und Atrophie der Hormondrüsen gewährleisten normalerweise eine langfristige Anpassung der Hormonausschüttung an die Erfordernisse des Regelkreises. Versagt dieser Mechanismus, dann kommt es zur gestörten Hormonausschüttung. ! Die Hormonausschüttung kann inadäquat hoch oder für die Erfordernisse zu gering sein. Die Ansprechbarkeit der Zielorgane kann gesteigert oder herabgesetzt sein
Vermaschung von Regelkreisen. Ein Hormon ist in der Re-
gel Teil mehrerer Regelkreise. So wird die Glukagonausschüttung nicht nur durch Glukose, sondern u. a. auch durch Aminosäuren stimuliert. ! Die Hormonwirkung ist keine Konstante, sondern eine Funktion der Empfindlichkeit von Zielzellen
Ansprechbarkeit der Zielzellen. Die Zielzellen reagieren
10
nicht immer gleich auf den Einfluss eines Hormons. Vielmehr können Zellen ihre Empfindlichkeit gegenüber einem Hormon steigern oder herabsetzen. Darüber hinaus stehen die Zellen meist gleichzeitig auch unter dem Einfluss anderer Hormone, welche die Zellfunktion ebenfalls beeinflussen. Schließlich werden die regulierten Stoffwechselparameter auch durch Zellen beeinflusst, die nicht unter der Kontrolle des jeweiligen Hormons stehen.
Primärer Hormonüberschuss. Ein Überwiegen der Prolife-
ration hormonproduzierender Zellen führt zur Hyperplasie der Hormondrüse und damit zu gesteigerter Hormonausschüttung. Die Hyperplasie kann Folge anhaltend gesteigerten Bedarfes an dem Hormon sein. In diesem Fall ist die gesteigerte Hormonausschüttung adäquat. Die Zellproliferation kann jedoch auch inadäquat gesteigert sein. Eine unkontrollierte Zellteilung tritt bei Tumoren (Adenome) auf. Bilden die Tumorzellen einer endokrinen Drüse Hormone, dann resultiert ein (primärer) Hormonüberschuss. Hormone können auch von Tumorzellen gebildet werden, die nicht von Hormondrüsenzellen abstammen (ektope Hormonproduktion). Die Hormonbildung ist dabei Folge einer Dedifferenzierung der Zellen (besonders häufig bei kleinzelligen Bronchialkarzinomzellen). Sekundärer Hormonüberschuss. Sehr viel häufiger als ein
Anpassung des Wachstums von Hormondrüsen. Die Zahl
hormonproduzierender Zellen wird normalerweise durch Zellteilung (Zellproliferation) auf der einen und Zelltod (Apoptose) auf der anderen Seite ständig den Erfordernissen angepasst. Regulierte Parameter beeinflussen häufig nicht nur die Ausschüttung des Hormons, sondern auch die Teilung der hormonproduzierenden Zellen. Anhaltend gesteigerte Stimulation fördert das Wachstum der Hormondrüse durch Zunahme der Zahl hormonproduzierender Zellen (Hyperplasie). Zunahme von Zahl und Größe hormonproduzierender Zellen führt zur kompensatorischen Hypertrophie der Hormondrüse, die dann eine gesteigerte Hormonausschüttung bei gegebenem Stimulus gewährleistet.
primärer Hormonüberschuss ist ein sekundärer Hormonüberschuss. Bei Hormonen, die in mehr als einen Regelkreis eingebaut sind, führt die Vernetzung (Vermaschung) von Regelkreisen zu Störungen, wenn die verschiedenen Regelkreise unterschiedliche Hormonkonzentrationen erfordern. Tertiärer Hormonüberschuss. Die Hypertrophie einer Hor-
mondrüse bei anhaltender Stimulation der Hormonausschüttung führt zu einer gesteigerten Hormonausschüttung auch bei normaler Stimulation, da ja eine größere Zahl von Zellen das Hormon ausschüttet. Eine Hormondrüse, die einer anhaltenden Stimulation ausgesetzt war, verhält sich
239 10.1 · Grundlagen und Allgemeines
also funktionell wie eine Hormondrüse, die durch Tumorwachstum hypertrophiert ist. Dabei spricht man von tertiärem Hormonüberschuss. Hormonmangel. Die anhaltend fehlende Stimulation einer Hormondrüse führt in der Regel zur Aplasie der Hormondrüse mit entsprechend reduzierter Hormonausschüttung. Gleichermaßen führt eine Schädigung der Hormondrüse zu eingeschränkter Hormonausschüttung. Mechanische Schädigung (Trauma), Befall mit Krankheitserregern, Bekämpfung durch das eigene Immunsystem bei Autoimmunerkrankungen (7 Kap. 2.5), Durchblutungsstörungen oder Gifte können zum Untergang der hormonproduzierenden Zellen (durch Apoptose oder Nekrose) führen. Bisweilen müssen die Hormondrüsen wegen Vorliegens eines Tumors chirurgisch entfernt werden. Die Nebenschilddrüsen werden bisweilen bei der Entfernung von Schilddrüsengewebe versehentlich mit entfernt. ! Hormone können substituiert oder therapeutisch eingesetzt werden
Hormonsubstitution. Bei unzureichender Hormonausschüttung können Hormone durch den Arzt verabreicht werden. Die Hormonsubstitution ist umso schwieriger, je kürzer ein Hormon wirkt und je stärker und je schneller es auf Änderungen von geregelten Parametern reagieren muss. Zu den häufigsten Hormonen, die substituiert werden, zählen Insulin (7 Kap. 10.3.4), Erythropoietin (7 Kap. 9.2.8) und Schilddrüsenhormone (7 Kap. 10.3.2). Insbesondere die regelmäßige Verabreichung von Insulin ersetzt dabei keinesfalls einen intakten Regelkreis. Hormone als Medikamente. Auch wenn kein Hormonman-
gel vorliegt, können die Wirkungen von Hormonen therapeutisch genutzt werden. Zu den am häufigsten therapeutisch eingesetzten Hormonen zählen weibliche Sexualhormone und Glukokortikoide. Die Sexualhormone werden als Ovulationshemmer und Glukokortikoide zur Hemmung der Immunabwehr (7 Kap. 2.5) bei Erkrankungen verabreicht, die durch inadäquate Aktivität des Immunsystems zustande kommen (Immunsuppression, 7 Kap. 2.5). Sportler verwenden (verbotenerweise) bisweilen Erythropoietin, Somatotropin oder Androgene, um ihre Leistungsfähigkeit zu steigern. Neben den jeweils erwünschten Wirkungen treten dabei auch unerwünschte Wirkungen der jeweiligen Hormone auf. Wegen dieser Nebenwirkungen verbietet sich der unkritische therapeutische Einsatz von Hormonen.
10.1.2
Hormoneigenschaften
! Hormone können nach Struktur und Bildungsorten eingeteilt werden, sie wirken über Rezeptoren in der Zellmembran oder im Zytosol der Zielzelle
Struktur und Synthese von Hormonen. Die meisten Hor-
mone sind Proteine bzw. Peptide (. Tab. 10.2). Sie werden von Ribosomen des rauen endoplasmatischen Retikulums (7 Kap. 1.4.2) synthetisiert und dann in sekretorischen Vesikeln abgepackt. Bei der Biosynthese werden häufig zunächst längere Proteine (Prohormone oder Präprohormone) gebildet, aus denen die peripher wirkenden Hormone abgespalten werden. Dabei können aus einem Präkursor mitunter mehrere unterschiedliche Hormone gebildet werden. Beispielsweise werden in der Hypophyse aus dem Präkursor Proopiomelanokortikotropin gleich drei unterschiedliche Hormone gebildet (Kortikotropin, α-Melanotropin und β-Lipotropin, 7 Kap. 10.2). Nebennierenrindenhormone,Sexualhormone (. Abb. 10.9)
und Calcitriol (7 Kap. 10.2.4) werden aus Cholesterin bzw. Dehydrocholesterin synthetisiert. Die Schilddrüsenhormone T3 und T4 werden durch Jodierung und Kopplung der Aminosäure Tyrosin gebildet (7 Kap. 10.3.2). Adrenalin (7 Kap. 14.2.2), Serotonin (7 Kap. 2.4.1) und Histamin (7 Kap. 2.5.4) sind ebenfalls Derivate von Aminosäuren. Eikosanoide (Prostaglandine, Thromboxan, Leukotriene, 7 Kap. 10.1.3) werden aus der mehrfach ungesättigten Arachidonsäure gebildet, Adenosin ist ein Purin (7 Kap. 4.4). Periphere Aktivierung von Hormonen. Einige Hormone werden nicht in der aktiven Form ausgeschüttet, sondern bedürfen einer Aktivierung im Gewebe, um ihre volle Wirksamkeit entfalten zu können. So wird das Schildrüsenhormon T4 durch eine periphere Konvertase in das wesentlich wirksamere T3 dejodiert, und das unwirksame Testosteron durch eine Reduktase in das eigentlich wirksame Dehydrotestosteron umgewandelt. Wirkungsweise. Proteine und Peptidhormone wirken über
Rezeptoren an der Zellmembran, die Hormone müssen also nicht in die Zelle eindringen, um ihre Wirkungen zu entfalten. Steroidhormone und Schilddrüsenhormone wirken hingegen vorwiegend über intrazelluläre Rezeptoren, die nach Bindung des Hormons die Transkription von Genen im Zellkern und damit die Synthese entsprechender Proteine regulieren (7 Kap. 10.1.3). Zu den regulierten Genpro-
10
240
Kapitel 10 · Hormonale Regulation
. Tab. 10.2. Bildungsorte, Stimulatoren und Wirkungen der Hormone
10
Hormone (Synonym)
Bildungsort
Wichtigste Stimulatoren (+) und Hemmer (–) der Ausschüttung
Wichtigste Wirkungen (+ = Stimulation, - = Hemmung)
Kortikoliberin (CRF)
Hypothalamus
+ Stress
+ Ausschüttung von Kortikotropin (ACTH)
Gonadoliberin (GnRH)
Hypothalamus
– Gestagene,Testosteron +/– Östrogene
+ Ausschüttung von Lutropin (LH), Follitropin (FSH) und Prolaktin
Prolaktoliberin (PRF)
Hypothalamus
+ Berührung Brustwarze
+ Prolaktinausschüttung
Prolaktostatin (PIF)
Hypothalamus
– Berührung Brustwarze
– Prolaktinausschüttung
Thyroliberin (TRH)
Hypothalamus
– T3, T4
+ Ausschüttung von Thyrotropin (TSH) und Prolaktin
Somatoliberin (GHRH)
Hypothalamus
+ Aminosäuren, Hypoglykämie
+ Ausschüttung von Somatotropin
Somatostatin (GHRIH)
Hypothalamus, übriges ZNS Pankreas,Darm
– NREM-Schlaf, Stress
– Ausschüttung von Somatotropin, Thyrotropin, Kortikotropin, Insulin, Glukagon, VIP, Gastrin, Pankreozymin, Renin; exokrine Sekretion in Magen und Pankreas; Darmmotilität; Blutplättchenaggregation
Oxytozin
Hypothalamus
+ Berührung Brustwarze, Dehnung Uteruszervix
+ Uteruskontraktion, Laktation
Adiuretin (ADH, Vasopressin)
Hypothalamus
+ Zellschrumpfung, Stress, Angiotensin II – Vorhofdehnung
+ Steigerung renaler Wasserresorption, (Kortikotropinausschüttung, Vasokonstriktion)
Kortikotropin (adrenokortikotropes Hormon = ACTH)
Hypophyse
+ Kortikoliberin
+ Ausschüttung von Kortikosteroiden, v. a. Kortisol, Pigmentdispersion (Lipolyse, Insulinausschüttung)
Follitropin (Follikel stimulierendes Hormon = FSH)
Hypophyse
+ Gonadoliberin - Inhibin
+ Follikelreifung und Bildung von Östradiol in Follikeln, Spermiogenese
Lutropin (luteinisierendes Hormon = LH)
Hypophyse
+ Gonadoliberin – Inhibin
+ Testosteronproduktion in Leydig-Zwischenzellen des Hodens, Follikelsprung und Umwandlung in Corpus luteum, Progesteronbildung
Thyrotropin (Thyreoidea-stimulierendes Hormon = TSH)
Hypophyse
+ Thyroliberin, Noradrenalin
+ Bildung und Ausschüttung von Schilddrüsenhormonen, Schilddrüsenwachstum
Somatotropin (growth hormone = GH somatotropes Hormon = STH)
Hypophyse
+ Somatoliberin - Somatostatin
+ Bildung von Somatomedinen in der Leber, Proteinaufbau, Lipolyse, renale Elektrolytretention, Erythropoiese, Wachstum – Glukoseaufnahme in Zellen, Glykolyse, Glukoneogenese aus AS
Prolaktin
Hypophyse
+ Prolaktoliberin, Gonadoliberin – Prolaktostatin
+ Milchproduktion; Laktogenese; Galaktopoese (Mammogenese); Bildung von Sexualhormonen
Melanotropin (Melanozyten stimulierendes Hormon = α-, β-, γ-MSH)
Hypophyse
+ Kortikoliberin
+ Pigmentdispersion
Lipotropin (lipotropes Hormon = β-, γLPH)
Hypophyse
+ Stress
+ Lipolyse (s. a. Endorphine)
Melatonin
Zirbeldrüse
– Licht (Retina)
+ Melanophorenkontraktion, Melanotropinantagonist, biologische Rhythmen (?)
241 10.1 · Grundlagen und Allgemeines
. Tab. 10.2 (Fortsetzung) Hormone (Synonym)
Bildungsort
Wichtigste Stimulatoren (+) und Hemmer (–) der Ausschüttung
Wichtigste Wirkungen (+ = Stimulation, - = Hemmung)
Glukokortikoide z. B. Kortisol
Nebennierenrinde
+ Kortikoliberin Kortikotropin
+ Glukoneogenese aus Aminosäuren und Glyzerin; Proteinabbau in Binde- und Muskelgewebe; Proteinaufbau in Leber; Lipolyse; Bildung von Erythrozyten, Thrombozyten und neutrophilen Granulozyten; Salzsäuresekretion Magen; Herzkraft; Vasokonstriktion – Schleimproduktion (Magen); Glykolyse; Bildung von Lymphozyten; eosinophilen Granulozyten, Plasmazellen und Antikörpern; Bildung von Prostaglandinen, Zellteilung
Mineralokortikoide, z. B. Aldosteron
Nebennierenrinde
+ Angiotensin II, Kortikotropin
+ Natriumresorption in distalem Nephron, Darm, Schweiß- und Speicheldrüsen, Ausscheidung von K+, Mg2+, H+
Östrogene, z. B. Östradiol-17β
Ovar, Plazenta
+ FSH
+ Ausbildung der Geschlechtsorgane und -merkmale, Wachstum von Uterusschleimhaut (Proliferationsphase) und Milchdrüsenschläuchen; Blutgerinnung, Thrombose; Proteinaufbau; Elektrolytretention; Quellung von Bindegewebe und Schleimhäuten; Bindegewebs- und Knochenaufbau und -reifung; – Insulinempfindlichkeit Fettzellen; Zervixschleimkonsistenz
Gestagene, z. B. Progesteron
Ovar, Plazenta
+ LH
+ Erschlaffung Uterus; Ausreifung von Uterusschleimhaut (Sekretionsphase) und Milchdrüsenalveolen; Zervixschleimkonsistenz; Temperaturanstieg; Glukokortikoidwirkungen – Aldosteronempfindlichkeit Niere
Androgene, z. B. Testosteron
Nebennnierenrinde, Testis
+ LH + FSH
+ Spermiogenese; Ausbildung der Geschlechtsorgane und-merkmale; Libido; Proteinaufbau, renale Elektrolytretention; Bindegewebs-, Muskel- und Knochenaufbau und -reifung; Hämatopoese
Inhibin
Ovar, Testis
Antimüllerhormon
Testis
+ FSH
– Entwicklung Vagina, Uterus
Schilddrüsenhormone, Thyroxin (T4), Trijodthyronin (T3)
Thyreoidea
+ Thyrotropin
+ Enzymsynthese und Grundumsatz; körperliche und geistige Entwicklung, Lipolyse, Glykolyse; Glykogenolyse; Glukoneogenese, Cholesterinabbau, Herzfrequenz, Darmmotilität
+ FSH-Ausschüttung; Differenzierung von Erythrozyten
Calcitonin
Thyreoidea
+ Hypercalciämie
– renale Calcium- und Phosphatresorption; Osteolyse
Parathormon (Parathyrin, PTH)
Parathyreoidea
+ Hypocalciämie
+ renale Calciumresorption, Osteolyse, renale Bildung von Calcitriol – renale Phosphatresorption
Calcitriol, D-Hormon (1,25(OH)2D3)
Niere, Plazenta
+ Parathyrin, Phosphatmangel, Hypokalzämie
+ Reifung des Knochens, renale und enterale Calcium- und Phosphatresorption
Klotho
Niere
Atrialer natriuretischer Faktor (Atriopeptin)
Herz
+ Vorhofdehnung
+ Natriurese, GFR, Vasodilatation
Ouabain
Nebenniere
+ Na+-Überschuss
+ Herzkraft, Natriurese
Erythropoietin
Niere
+ Hypoxie
+ Erythropoiese
Insulin
Pankreas
+ Glukose, Aminosäuren, Gastrin,Sekretin – Somatostatin, Adrenalin, Galanin
+ zelluläre (v. a. Leber, Fett, Skelettmuskel) Aufnahme vonFettsäuren, Aminosäuren,Glukose, Kalium, Magnesium und Phosphat; Glykolyse; Synthese von Triglyzeriden, Proteinen, Glykogen; Zellteilung – Glukoneogenese, Ketogenese, Lipolyse, Proteinabbau
Glukagon
Pankreas
+ Hypoglykämie, Aminosäuren,Sekretin, – Somatostatin
+ Glykogenolyse, Glukoneogenese; Proteolyse; Lipolyse; Ketogenese, – Darmmotilität
+ renale Calcium-Resorption – renale Phosphatresorption, Insulin- und IGF-Wirkungen, Altern
10
242
Kapitel 10 · Hormonale Regulation
. Tab. 10.2 (Fortsetzung) Hormone (Synonym)
Bildungsort
Wichtigste Stimulatoren (+) und Hemmer (–) der Ausschüttung
Wichtigste Wirkungen (+ = Stimulation, - = Hemmung)
Somatomedine
Leber, Niere
+ Somatotropin
+ Synthese von Kollagen und Chondroitinsulfat, Knochenbildung, Insulinwirkungen, Wachstum, Zellteilung
Angiotensin II, III
Niere, Lunge
– Perfusionsdruck Niere
+ Ausschüttung Aldosteron und ADH, Blutdrucksteigerung
Prostaglandin PGE2
viele Organe
gewebsspezifisch, z. B. Entzündung, Ischämie, Zellschädigung
+ Gefäßpermeabilität; Vasodilatation; Bronchodilatation; Kontraktion von Pulmonalgefäßen, Darm und schwangerem Uterus; Ausschüttung von Kortikotropin, Nebennierenrindenhormonen, Somatotropin, Prolaktin, Gonadotropinen, Glukagon, Renin, Erythropoietin; GFR; Natriurese, Kaliurese, Fieber, Schmerz, Osteolyse – Salzsäuresekretion Magen, ADH-Wirkung, Insulinausschüttung, Lipolyse, Verschluss des Ductus arteriosus Botalli, zelluläre Immunabwehr
PGF2α
viele Organe
gewebsspezifisch (7 PGE2)
+ Kontraktion Bronchien, Uterus, Darm, Vasokonstriktion (z. B. Haut), Vasodilatation (z. B. Muskel); Ausschüttung von Kortikotropin, Somatotropin, Prolaktin
Prostazyklin PGl2
viele Organe
gewebsspezifisch (7 PGE2)
+ Vasodilatation, Reninausschüttung, Natriurese, Bronchodilatation, Osteolyse, Schmerz, Fieber – Thrombozytenaggregation, Magensaftsekretion
Thromboxan TxA2
viele Organe
gewebsspezifisch (7 PGE2)
+ Thrombozytenaggregation, Reninausschüttung, Kontraktion Gefäße, Darm, Bronchien
Leukotriene
Leukozyten, Makrophagen
+ Entzündung
+ Kontraktion Bronchien, Darm, Gefäße; Gefäßpermeabilität Chemotaxis; Adhäsion; Ausschüttung Histamin, Insulin, Prostaglandine, lysosomale Enzyme
Kinine(Bradykinin)
viele Organe
+ Entzündung, aktivierte Blutgerinnung
+ Vasodilatation; Kapillarpermeabilität, Herzkraft; Bronchospasmus; Schmerz; Ausschüttung Katecholamine, Prostaglandine, Verschluss des Ductus arteriosus Botalli
Serotonin
viele Organe
gewebsspezifisch, z. B. + Thrombozyten-Aktivierung
+ Kontraktion von Bronchial- und Darmmuskulatur, Vasokonstriktion v. a. Lungen- und Nierengefäße; Kapillarpermeabilität; Histaminfreisetzung; Katecholaminausschüttung
Histamin
Gewebsmastzelllen, Leukozyten
+Antigen-IgE-AntikörperKomplexe
+ Vasodilatation, Kapillarpermeabilität; Kontraktion von Bronchialmuskulatur, Darm, Uterus, größere Gefäße; Schmerz, Jucken; Magensaftsekretion; Herzkraft; Katecholaminausschüttung
Adenosin
ubiquitär
+ Energiemangel
+ Vasodilatation (Herz, Gehirn), Vasokonstriktion (Niere) – Fettabbau, Noradrenalinausschüttung
Endorphine
ZNS, Magen, Darm
+ Stress
+ Schmerzdämpfung, Beruhigung, Euphorisierung, Prolaktinausschüttung – Atmung, Herzfrequenz und Blutdruck; Darmmotilität
10
dukten zählen auch Elemente der Signaltransduktion. Über gesteigerte Expression von Rezeptoren oder Signalmolekülen kann ein Hormon die Zelle für die Wirkung anderer Hormone sensibilisieren. Wirkeintritt. Wirkungen über Rezeptoren an der Zellmembran setzen normalerweise schnell ein, während Wirkungen über Genexpression relativ lange Zeit in Anspruch nehmen.
Proteohormone wirken daher in der Regel schneller als Steroidhormone. Die Geschwindigkeit der Wirkung wird ferner durch die Plasmaproteinbindung von T3/T4 und der Steroidhormone verlangsamt. Die meisten Wirkungen treten daher bei Proteohormonen schneller ein als bei Steroidhormonen. Allerdings lösen auch Steroidhormone schnelle Wirkungen über membranständige Rezeptoren aus und auch Proteohormone beeinflussen die Genexpression (7 Kap. 10.1.3).
243 10.1 · Grundlagen und Allgemeines
Bildungsorte. Hormone werden typischerweise in speziali-
sierten Zellen gebildet, die in Hormondrüsen organisiert sind (. Tab. 10.2). Die wichtigsten Hormondrüsen sind Hypothalamus/Hypophyse (7 Kap. 10.1.4, 7 Kap. 10.2.1, 7 Kap. 10.3.1), Nebenniere (7 Kap. 10.2.2, 7 Kap. 10.2.3, 7 Kap. 10.3.4, 7 Kap. 14.2.2), Nebenschilddrüse (7 Kap. 9.1.6), Gonaden (7 Kap. 11.2, 11.4), Schilddrüse (7 Kap. 10.2.4) und Inseln des Pankreas (7 Kap. 10.3.4, 7 Kap. 10.3.5).
10.1.3
Signalkette
die Zielzellen unter Vermittlung dieser intrazellulären Mechanismen. Ein Teil der Hormone bindet an intrazelluläre (zytosolische oder nukleäre) Rezeptoren, andere Hormone über Rezeptoren an der Zellmembran. Die Koppelung der Hormone an die Zellmembran führt zur Aktivierung von Ionenkanälen, zur Bildung intrazellulärer Transmitter und/ oder zur Phosphorylierung intrazellulärer Proteine. Dabei regulieren Hormone häufig über unterschiedliche Rezeptoren mehrere Signalwege gleichzeitig. Intrazelluläre Rezeptoren. Steroidhormone (Glukokorti-
Signaltransduktion in Zielzellen. Hormonabhängige intrazelluläre Mechanismen regulieren Enzymaktivitäten und Transportprozesse an der Zellmembran, den Zustand der Elemente des Zytoskeletts etc. Hormone und sonstige Signalstoffe, welche die Zellfunktion beeinflussen, wirken auf
koide, Mineralokortikoide, Östrogene, Progesteron, Androgene, Calcitriol) binden in erster Linie an intrazelluläre Rezeptoren (. Abb. 10.2). Der Hormon-Rezeptor-Komplex wandert in den Zellkern und bindet dort an spezifische hormonresponsive Elemente (HRE) der Desoxyribonukleinsäure (DNA). Damit wird die Bildung von bestimmter, hormonabhängiger messenger ribonucleic acid (mRNA) stimuliert (Transkription). Die mRNA wandert zum rauen endoplasmatischen Retikulum, wo die Ribosomen die mRNA in Proteine übersetzen (Translation). Die auf diese Weise gebildeten Proteine (induced proteins), wie u. a. Enzyme und Transportproteine, vermitteln die genomischen
. Abb. 10.2. Wirkung von Hormonen über intrazelluläre Rezeptoren. Das Hormon (Steroidhormon) bindet an den zytosolischen Rezeptor. Der Hormon-Rezeptor-Komplex wandert in den Zellkern und bindet dort an hormonresponsive Elemente (HRE). Dadurch wird die
Transkription hormonregulierter Gene stimuliert (Bildung von messenger RNA, mRNA). Durch Translation der mRNA in den Ribosomen des rauen endoplasmatischen Retikulums entstehen die vom Hormon induzierten Proteine (Transportproteine, Enzyme etc.)
! Die Zellen verfügen über Mechanismen, welche die verschiedenen Zellfunktionen miteinander koordinieren und einer besonderen, nach außen gerichteten Leistung unterordnen. Erster Schritt ist die Aktivierung von Hormonrezeptoren
10
244
Kapitel 10 · Hormonale Regulation
. Abb. 10.3. Aktivierung von heterotrimeren G-Proteinen. Nach Bindung des Hormons (H) an den Rezeptor (R) wird an der α-Untereinheit eines heterotrimeren G-Proteins ein GDP durch ein GTP ersetzt und die βγ-Untereinheit abgespalten. In dieser Konfiguration werden
die Hormonwirkungen ausgelöst. Das G-Protein wird durch Abspaltung eines Phosphates (Bildung von GDP) wieder inaktiviert. Dabei bindet die α-Untereinheit wieder die βγ-Untereinheit
Wirkungen der Hormone. Sie wirken über Beeinflussung vielfältiger Stoffwechsel- und Transportleistungen der Zelle. Die Schilddrüsenhormone T3/T4 wirken in analoger Weise über Rezeptoren im Zellkern. Die Regulation über genomische Wirkungen ist relativ langsam, da die Proteine erst synthetisiert werden müssen. Steroidhormone und Schilddrüsenhormone können jedoch auch die Aktivität vorhandener Proteine, wie etwa Ionenkanäle, beeinflussen (nichtgenomische Wirkung).
inaktiviert wird. Die inaktive α-Untereinheit lagert schließlich wieder die βγ-Untereinheit an. Die Inaktivierung des G-Proteins trägt zur Limitierung der Hormonwirkung bei. Neben den heterotrimeren G-Proteinen spielen bei der zellulären Signaltransduktion noch weitere GTP-bindende Proteine eine Rolle, wie z. B. Ras und Rac. Sie weisen Ähnlichkeit mit der α-Untereinheit heterotrimerer G-Proteine auf und werden u. a. auch als »kleine G-Proteine« bezeichnet. Auch diese Proteine werden durch Bindung von GTP aktiviert und durch Abspaltung von Phosphat inaktiviert.
Membranständige Rezeptoren. Die meisten Hormone
10
(u. a. alle Peptidhormone) entfalten ihre Wirkung über Rezeptoren der Zellmembran und folgende Aktivierung von membranständigen Enzymen oder Ionenkanälen. Dabei kann ein bestimmtes Hormon an mehrere, unterschiedliche Rezeptoren binden, die jeweils verschiedene intrazelluläre Transmissionsmechanismen in Gang setzen. Die Rezeptoren sind keine Konstanten, sondern können von den Zielzellen reguliert werden. Rezeptoren werden bei anhaltend hohen Hormonkonzentrationen meist downreguliert, d. h. die Zielzelle vermindert die Zahl der Rezeptoren und damit ihre Empfindlichkeit gegenüber dem Hormon. Damit entzieht sie sich einer zu starken Beanspruchung durch das Hormon. G-Proteine. Häufig werden die Wirkungen membranständiger Rezeptoren durch GTP-bindende Proteine vermittelt (. Abb. 10.3). Heterotrimere G-Proteine bestehen aus drei Untereinheiten (α, β, γ). Bei Aktivierung durch den besetzten Hormonrezeptor bindet die α-Untereinheit GTP im Austausch gegen GDP und spaltet die βγ-Untereinheit ab. Die Wirkungen des G-Proteins werden vorwiegend durch die GTP-bindende α-Untereinheit ausgelöst. Die α-Untereinheit besitzt GTPase-Aktivität, durch die ein Phosphat vom GTP abgespalten und damit die α-Untereinheit wieder
! Über Aktivierung von entsprechenden Enzymen werden die sekundären Botenstoffe cAMP und cGMP gebildet, die ihrerseits die A-Kinase bzw. G-Kinase stimulieren. Auch das Zellvolumen ist eine sekundäre Botschaft
Adenylatzyklase. Über ein stimulierendes heterotrimeres G-Protein (Gs) wird die Adenylatzyklase aktiviert, ein Enzym der Zellmembran, das ATP zu zyklischem AMP (cAMP) umwandelt (. Abb. 10.4). Die Adenylatzyklase kann über ein weiteres G-Protein (Gi) gehemmt werden. cAMP aktiviert wiederum bestimmte Proteinkinasen (AKinasen), die Enzyme und Transportproteine durch Einbau von Phosphat (Phosphorylierung) aktivieren oder inaktivieren. Durch cAMP kann auch die Synthese von Enzymen und Transportproteinen stimuliert werden. cAMP wird durch Phosphodiesterasen gespalten und damit inaktiviert. Phosphatasen gewährleisten die Dephosphorylierung der Substrate von Proteinkinasen und damit die Beendigung der Hormonwirkung, wenn kein neues cAMP gebildet wird. Über gesteigerte Bildung von cAMP wirken u. a. die glandotropen Hormone der Hypophyse, Liberine, Statine, Glukagon, glucagon like peptide (GLP-1), Parathormon (PTH), Calcitonin, Adiuretin (ADH, Typ 2 Rezeptoren), Gastrin, Sekretin, gastric inhibitory peptide (GIP), vasoacti-
245 10.1 · Grundlagen und Allgemeines
. Abb. 10.4. Zusammenstellung der wichtigsten Elemente intrazellulärer Signaltransduktion: R = Rezeptor, TK = Tyrosinkinase, TyrP = phosphoryliertes Tyrosin, Ki und Ka = inaktive und aktivierte Kinasen, MAP-Kinase = Mitogen Activated Kinase, SM = Sphingomyelinase, Cer = Ceramid, Gs und Gi = stimulierendes und hemmendes G-Protein, AC = Adenylatzyklase, PLC = Phospholipase C, PLA2 = Phospholipase
A2, IP3 = Inositoltrisphosphat, PIP2 = Phosphatidylinositolbisphosphat, DAG = Diacylglyzerol, AA = Arachidonsäure, LO = Lipoxygenase, CO = Cyclooxigenase, LT = Leukotriene, PG = Prostaglandine, GC = Guanylatzyklase, PKC = Proteinkinase C, Arg = Arginin, NOS = NO-Synthase, NO = Stickoxid, cAMP = zyklisches Adenosinmonophosphat, cGMP = zyklisches Guanosinmonophosphat
ve intestinal peptide (VIP), Adrenalin (β-Rezeptoren), Dopamin, Histamin, Serotonin, und Prostaglandine. Die cAMP-Bildung wird u. a. durch Adrenalin (α2-Rezeptoren), Galanin und Somatostatin gehemmt.
K+-2 Cl--Cotransporters zur zellulären Elektrolytaufnahme und damit zur osmotischen Schwellung von Leberzellen. Diese Zellschwellung hemmt den Abbau und fördert den Aufbau von Makromolekülen, v. a. von Proteinen. Glukagon führt umgekehrt durch Aktivierung von Ionenkanälen zu zellulären Elektrolytverlusten, Zellschrumpfung und Aktivierung der Proteolyse.
Guanylatzyklase. Ein weiterer second messenger ist das zyklische Guanosinmonophosphat (cGMP), das durch die Guanylatzyklase gebildet wird (. Abb. 10.4). Die Guanylatzyklase kann Teil des Rezeptormoleküls sein oder als lösliche Guanylatzyklase im Zytosol vorliegen. cGMP erzielt seine Wirkungen unter Vermittlung von G-Kinasen und cGMP-abhängigen Ionenkanälen. Ein Substrat der G-Kinasen ist die Ca2+-ATPase in der Zellmembran und in Organellen, welche Ca2+ aus dem Zytosol pumpt und damit die zytosolische Ca2+-Konzentration senkt. Über cGMP wirken Stickoxid (NO, endothelial derived relaxant factor, EDRF) und Atriopeptin (atrialer natriuretischer Faktor, ANF). NO aktiviert die lösliche Guanylatzyklase, Atriopeptin wirkt über einen Rezeptor mit integrierter Guanylatzyklase. Zellvolumen. In der Signalübermittlung kann auch das Zellvolumen als second message dienen: So führt Insulin durch Aktivierung des Na+/H+-Austauschers und des Na+-
! Durch Aktivierung der Phospholipase C werden Inositolphosphate gebildet, welche die zytosolische Ca2+-Konzentration steigern
Phospholipase C. Einige Hormone stimulieren – wiederum unter Vermittlung von entsprechenden G-Proteinen – die Phospholipase C, ein Enzym, das Phosphatidylinositolbisphosphat (PIP2) in Diacylglyzerol (DAG) und 1,4,5-Inositoltrisphosphat (1,4,5-InsP3) spaltet (. Abb. 10.4). 1,4,5InsP3 setzt Ca2+ aus intrazellulären Speichern frei. Unter anderem entsteht aus 1,4,5-InsP3 1,3,4,5-Tetrakisphosphat (1,3,4,5-InsP4), das den Ca2+-Einstrom aus dem Extrazellulärraum fördert. Aus 1,4,5-InsP3 und 1,3,4,5-InsP4 werden noch weitere, weitgehend inaktive Inositolphosphate gebildet. Das durch 1,4,5-InsP3 und 1,3,4,5-InsP4 in das Zytosol
10
246
Kapitel 10 · Hormonale Regulation
gelangte Ca2+ aktiviert oder hemmt intrazelluläre Enzyme, Ionenkanäle und andere Transportproteine. Ca2+ entfaltet seine Wirkungen zum Teil durch Bindung an das Protein Calmodulin. Der Ca2+-Calmodulin-Komplex aktiviert Calmodulinabhängige Kinasen (CaM-Kinasen), die bestimmte Enzyme und Transportproteine phosphorylieren. Diacylglyzerol (DAG) aktiviert über die Proteinkinase C den Na+/H+-Austauscher, der H+ im Austausch gegen Na+ aus der Zelle pumpt. Die folgende Alkalinisierung der Zelle beeinflusst wiederum eine Reihe von Zellfunktionen. Die Bildung von 1,4,5-IP3 und DAG wird u. a. durch Adrenalin (α1-Rezeptoren), Acetylcholin, Histamin (H1-Rezeptoren), Adiuretin (ADH, Typ 1 Rezeptoren), Pankreozymin, Angiotensin, Thyroliberin, Substanz P, und Serotonin stimuliert. ! Kinasen wirken vielfältig auf andere Kinasen und treten damit eine Kinasekaskade los. Unter anderem enden die Kaskaden in der Aktivierung von Transkriptionsfaktoren
10
Kinasekaskaden. Insulin und eine Vielzahl von Wachstumsfaktoren (z. B. epidermal growth factor EGF, nerve growth factor NGF, platelet derived growth factor PDGF und fibroblast growth factor FGF) binden an Rezeptoren, die selbst Proteinkinaseaktivität aufweisen und ihre Zielproteine an der Aminosäure Tyrosin phosphorylieren (Tyrosinkinasen). Andere Mediatoren, wie der tumor necrosis factor (TNFα) binden an Rezeptoren, die zytosolische Tyrosinkinasen binden und aktivieren können. Der Rezeptor für den transforming growth factor TGFβ verfügt über intrazelluläre Serin-Threonin-Kinase-Aktivität, d. h. die von ihm regulierten Proteine werden an den Aminosäuren Serin oder Threonin phosphoryliert. Die Aktivierung der Kinasen ist Ausgangspunkt von Kinasekaskaden, wie der mitogen-activated-protein-Kinase (MAP-Kinase)-Kaskade. Da jede aktivierte Kinase mehrere Kinasen aktivieren kann, können die Kinasekaskaden das intrazelluläre Signal explosionsartig verstärken. Phosphatidylinositol-3-Kinase (PI3K). An phosphorylierte
Tyrosine bindet u. a. PI3K. Eine Aktivierung der PI3K führt über die phosphoinositide dependent kinase (PDK) zur Stimulation u. a. von Protein Kinase B (PKB/Akt) und Serum und Glukokorticoid-induzierbare Kinase (SGK). Die Kinasen regulieren Transportprozesse an der Zellmembran und Transkriptionsfaktoren. PKB und SGK werden auch durch die Kinase mTOR (mammalian target of rapamycin) aktiviert, die u. a. über SGK Transportprozesse stimuliert.
Transkriptionsfaktoren. Ca2+ und verschiedene Kinasekas-
kaden führen zur Aktivierung bestimmter Transkriptionsfaktoren, wie etwa c-Fos und c-Jun. Die Transkriptionsfaktoren wandern in den Kern und regulieren dort die Genexpression. ! Caspasen sowie Bax, Bad und Bcl2 entscheiden über Leben und Tod von Zellen
Caspasen. Bestimmte Enzyme (Caspasen) beeinflussen ihre Zielproteine durch proteolytische Spaltung. Sie spielen vor allem bei der Signalkaskade des apoptotischen Zelltodes (7 Kap. 1.6) eine wesentliche Rolle. Bax, Bad, Bcl2. Die Proteine Bad und Bax können sich an Mitochondrien anlagern und über Öffnung von Poren Zytochrom C freisetzen. Zytochrom C stimuliert wiederum Caspasen, welche den apoptotischen Zelltod auslösen können (7 Kap. 1.6). Bcl2 hemmt die Wirkung von Bax und Bad und wirkt auf diese Weise dem Zelltod entgegen. Einige Wachstumsfaktoren (u. a. Insulin) aktivierenProteinkinase B, die u. a. Bad phosphoryliert. Die Phosphorylierung von Bad führt zu einer Bindung an das Protein 14-3-3, die den Einbau von Bad in die Mitochondrienmembran und damit die Apoptose hemmt. ! NO, Eicosanoide und Sphingomyelinase sind nicht nur intrazelluläre sondern auch extrazelluläre Botenstoffe
Stickoxid (NO), Superoxid (O2-). NO und O2- wirken sowohl als intrazelluläre Signalmoleküle, als auch als Mediatoren zur Beeinflussung benachbarter Zellen. NO wird durch verschiedene NO-Synthasen gebildet, die z. B. in Endothelzellen durch intrazelluläres (zytosolisches) Ca2+ aktiviert (eNOS) oder bei Entzündungen verstärkt exprimiert werden (induzierbare NO-Synthase, iNOS). O2- wird durch die NADPH-Oxidase gebildet. NO wirkt u. a. über Nitrosylierung von Proteinen, Aktivierung von G-Kinasen, Stimulation der Ca2+-ATPase und Abnahme der zytosolischen Ca2+-Konzentration (. Abb. 4.12). O2- wirkt über Oxidation von Proteinen. Eicosanoide. Die Phospholipase A2 spaltet aus Triglyzeri-
den der Zellmembran die mehrfach ungesättigte Fettsäure Arachidonsäure ab. Aus Arachidonsäure werden die Eicosanoide gebildet, eine Gruppe von Mediatoren mit einer Vielzahl z. T. antagonistischer Wirkungen. Die wichtigsten Vertreter sind die Prostaglandine (u. a. PGE2 und PGF2α),
247 10.1 · Grundlagen und Allgemeines
die Thromboxane (u. a. TxA2), sowie die Leukotriene (u. a. LTC4 und LTD4). Auf der einen Seite sind Eicosanoide intrazelluläre Signalmoleküle, die durch Hormone und andere Faktoren freigesetzt werden und die Funktion der betroffenen Zelle beeinflussen. Auf der anderen Seite werden Eicosanoide auch durch die Zelle in die Umgebung und das Blut abgegeben und modifizieren die Funktion anderer Zellen (. Tab. 10.2). Ceramid. Einige Hormone, Mediatoren bzw. Zytokine (z. B. tumor necrosis factor TNFα) aktivieren das Enzym Sphingomyelinase, das aus Sphingomyelin der Zellmembran Ceramid abspaltet. Ceramid fördert die Bildung von Membranbereichen (Platformen), in denen Signalmoleküle konzentriert und damit aktiviert werden. Ceramid stimuliert u. a. Kinasen und Cl--Kanäle und hemmt Ca2+- und K+Kanäle. Es kann programmierten Zelltod auslösen. Sphingomyelinase kann freigesetzt werden und damit andere Zellen beeinflussen.
10.1.4
bzw. Transmitters wurde gewählt, da es aus dem gleichen Gen wie Calcitonin (7 Kap. 10.2.4) gebildet wird. Über Regulation der Freisetzung von Hormonen durch den Hypophysenvorderlappen beeinflusst der Hypothalamus die Ausschüttung einer Vielzahl von Hormonen und peripheren Parametern. Der Hypothalamus bildet sogenannte Liberine (releasing hormones) und Statine (release inhibiting hormones), die über Nervenendigungen in das Portalblut der Hypophyse abgegeben werden (. Abb. 10.5). Über diesen Weg erreichen die Liberine und Statine Zellen im Hypophysenvorderlappen, die neben direkt peripher wirkenden Hormonen Tropine (glandotrope Hormone) bilden. Die glandotropen Hormone beeinflussen die entsprechenden Hormondrüsen in der Peripherie. Die durch die peripheren Hormone beeinflussten Stoffwechselparameter wirken z. T. auf den Hypothalamus zurück. Darüber hinaus üben die peripheren Hormone einen hemmenden Einfluss auf Hypothalamus und Hypophyse aus. Schließlich kann das glandotrope Hormon oder sogar das Liberin selbst die Liberinausschüttung im Hypothalamus hemmen.
Neuroendokrine Signalübertragung
! Im Hypothalamus werden die neurohypophysären Hormone Oxytozin und ADH, sowie hypophysiotrope Hormone gebildet
Neurohypophyse. In Neuronen der hypothalamischen Nu-
clei paraventricularis und supraopticus des Hypothalamus werden Oxytozin und ADH gebildet, Nonapeptide, die sich in nur zwei Aminosäuren unterscheiden. Allerdings bildet ein Neuron nicht gleichzeitig beide Hormone. Über die Axone der Neurone werden Oxytozin oder ADH bei Bedarf zum Hinterlappen der Hypophyse transportiert und dort ausgeschüttet (Neurosekretion). ADH spielt eine entscheidende Rolle bei der Regulation der renalen Wasserausscheidung (7 Kap. 10.2.1), Oxytozin stimuliert die Uteruskontraktion bei der Geburt (7 Kap. 11.9) und fördert die Milchejektion bei der Laktation (7 Kap. 11.10). Hypophysiotrope Hormone des Hypothalamus. Der Hypothalamus bildet ferner eine Reihe von Hormonen, welche die Ausschüttung von Hormonen im Hypophysenvorderlappen regulieren (hypophysiotrope Hormone). Schließlich bilden Neurone im Hypothalamus (aber auch extrahypothalamische Neurone) noch calcitonin gene related peptide (CGRP), ein Peptid aus 37 Aminosäuren, das u. a. starke periphere Vasodilatation auslöst. Der Name des Hormons
. Abb. 10.5. Hypophyse. Neuroendokrine Zellen des Thalamus bilden Liberine (releasing hormones) und Statine (release inhibiting hormones), die sie über das Axon zu den Blutkapillaren transportieren. Über das Blut gelangen die Mediatoren zur Hypophyse und stimulieren bzw. hemmen dort die Ausschüttung der Tropine, die über die Blutbahn zu den peripheren Hormondrüsen transportiert werden. Weitere spezialisierte Zellen des Hypothalamus bilden ADH und Oxytozin, transportieren die Hormone über Axone zur Neurohypophyse und schütten sie dort in das Blut aus (Neurosekretion)
10
248
Kapitel 10 · Hormonale Regulation
Gonadoliberin (gonadotropin releasing hormone, GnRH) stimuliert die Ausschüttung der Gonadotropine Lutropin (luteotropes Hormon, LH) und Follitropin (Follikelstimulierndes Hormon, FSH). Die Gonadotropine regulieren die Ausschüttung der Sexualhormone Östrogene, Gestagene und Testosteron (7 Kap. 11.2, 7 Kap. 11.4). Kortikoliberin (corticotropin releasing hormone, CRH) fördert die Ausschüttung von Kortikotropin (adrenocorticotropes Hormon, ACTH). ACTH stimuliert v. a. Wachstum und Hormonausschüttung der Nebennierenrinde (7 Kap. 10.3.4). Thyroliberin (thyrotropin releasing hormone, TRH) stimuliert die Ausschüttung von Thyrotropin (Thyreoidea stimulierendes Hormon, TSH), das Wachstum und Hormonbildung in der Schilddrüse fördert (7 Kap. 10.3.2), und die Ausschüttung von Prolaktin hemmt (7 Kap. 11.3). Somatoliberin stimuliert und Somatostatin hemmt die Ausschüttung von Somatotropin (7 Kap. 10.3.1). So-
matostatin hemmt ferner die Ausschüttung von Prolaktin. Somatostatin wird nicht nur im Hypothalamus, sondern in einer Vielzahl von Geweben gebildet, unter anderem in den Inseln der Bauchspeicheldrüse, wo es die Ausschüttung von Insulin (7 Kap. 10.3.5) und Glukagon (7 Kap. 10.3.6) hemmt. Im Gastrointestinaltrakt reguliert es als lokaler Mediator eine Vielzahl von Funktionen (7 Kap. 7.6). Unterbrechung des Einflusses vom Hypothalamus auf den Hypophysenvorderlappen. Ein Ausfall des hypothalami-
schen Einflusses auf die Hypophyse steigert die Auschüttung von Prolaktin (durch Wegfall der hypothalmischen Hemmung) und mindert die Ausschüttung von Somatotropin, Kortikotropin, Melanotropin, Thyrotropin und Gonadotropinen (durch Wegfall der hypothalamischen Stimulation). Ohne Ersatz der peripheren Hormone wird ein Ausfall der Hypophyse nicht überlebt.
In Kürze
Grundlagen und Allgemeines
10
Funktionelle Struktur des Hormonsystems 4 Wirkungsweise: Signalstoffe wirken über Rezeptoren endokrin, parakrin und autokrin 4 Inaktivierung: Proteohormone o proteolytische Spaltung (v. a. Leber, Niere); Steroidhormone o unwirksame Metabolite o Ausscheidung Galle, Niere 4 Plasmaproteinbindung: T3/T4 99,9%; Aldosteron 60%, Kortisol 90%, Testosteron 98%; wirkt wie Puffer 4 Regelkreise: Parameter no Hormonausschüttung o Hormonwirkung o Parameter p (negatives Feedback); Parameter no hypothalamisches releasing hormone o hypophysäres Tropin o peripheres Hormon o Hormonwirkung o Parameter p 4 Eigenschaften: Belastbarkeit (Regelbreite), Ansprechzeit, Vermaschung mit anderen Regelkreisen 4 Steuerung: ZNS o Limbisches System o Hypothalamus o Hypophyse, vegetatives Nervensystem (Acetylcholin, Noradrenalin, Adrenalin) o Hormonausschüttung 4 Modulation: Ansprechbarkeit der Zielzellen; Zahl hormonproduzierender Zellen reguliert durch Zellproliferation, Apoptose (Hyperplasie, Hypoplasie, Aplasie). Größe hormonproduzierender Zellen (Hypertrophie, Hypotrophie) 6
4 Hormonüberschuss: Unkontrollierte Teilung hormonproduzierender Zellen o Adenom o primärer Hormonüberschuss; Stimulation n o Hormonausschüttung n o sekundärer Hormonüberschuss; Stimulation n o Hypertrophie Hormondrüse n o Hormonausschüttung n o tertiärer Hormonüberschuss 4 Hormonmangel: Stimulation p, Trauma, Krankheitserreger, Autoimmunerkrankungen, Gifte 4 Hormonsubstitution: Umso schwieriger, je kürzer Hormon wirkt; z. B. Insulin, Erythropoietin, Schilddrüsenhormone 4 Hormone als Medikamente: Sexualhormone (Ovulationshemmer) Glukokortikoide (Immunsuppression), Erythropoietin, Somatotropin, Androgene (Steigerung Leistungsfähigkeit) o Nebenwirkungen! Hormoneigenschaften 4 Struktur/Synthese/Speicherung: Proteine, Peptide = raues endoplasmatischen Retikulum o sekretorische Vesikel; Nebennierenrindenhormone, Calcitriol = Synthese aus Cholesterin, Dehydrocholesterin; T3/T4 = Jodierung, Kopplung von Tyrosin o extrazelluläre Speicherung; Adrenalin, Serotonin, Histamin = ebenfalls aus Aminosäuren. Eikosanoide (Prostaglandine,
249 10.2 · Wasser und Elektrolythaushalt
Thromboxan, Leukotriene) = aus mehrfach ungesättigter Arachidonsäure, Adenosin ist Purin 4 Periphere Aktivierung: T4 o T3 (Konvertase), Testosteron o Dehydrotestosteron (Reduktase) 4 Bildungsorte: Hypothalamus/Hypophyse, Nebenniere, Gonaden, Schilddrüse, Nebenschilddrüse, Inseln des Pankreas Signalkette 4 Steroidhormone (Glukokortikoide, Mineralokortikoide, Östrogene, Progesteron, Androgene, Calcitriol) o v. a. intrazelluläre Rezeptoren o HormonRezeptor-Komplex wandert in Zellkern o hormonresponsive Elemente (HRE) o Transkription o induced proteins 4 Proteohormone o membranständige Rezeptoren o G-Proteine o GTP-Bindung α-Untereinheit (o Hormonwirkung), Abspaltung βγ-Untereinheit o GTPase-Aktivität o Inaktivierung 4 Gs o Adenylatzyklase o cAMP o A-Kinasen o Phosphorylierung (o Phosphodiesterasen o cAMP-Spaltung) [u. a. mehrere Peptidhormone, Adrenalin (β-Rezeptoren), Histamin, Serotonin, Prostaglandine]; Gi o Hemmung cAMP-Bildung [Adrenalin (α2), Insulin, Somatostatin] 4 Guanylatzyklase o cGMP o G-Kinasen, cGMP-abhängige Ionenkanäle. [NO, Atriopeptin] 4 Zellvolumen: Insulin o Na+/H+-Austauscher n, Na+K+-2Cl--Cotransporter no Zellschwellung o Proteolyse p, Glukagon o Ionenkanäle n o Zellschrumpfung o Proteolyse n 4 G-Proteine o Phospholipase C o DAG, 1,4,5-InsP3 o Ca2+-Freisetzung o u. a. Ca2+-Calmodulin-Komplex o CaM-Kinasen [u. a. Adrenalin (α1), Acetylcholin, Histamin (H1)]
10.2
Wasser und Elektrolythaushalt
10.2.1
ADH
! Adiuretin (antidiuretisches Hormon ADH, Vasopressin) dient in erster Linie der Regulation des Körperwassers. Es wird bei Verminderung des intra- und/oder extrazellulären Volumens ausgeschüttet und bewirkt eine Herabsetzung der renalen Wasserausscheidung
4 U. a. Wachstumsfaktoren o Tyrosinkinasen 4 transforming growth factor o Rezeptor mit SerinThreonin-Kinase-Aktivität 4 Kinasekaskaden (PI3 Kinase, MAP-Kinase-Kaskade) o u. a. PKB, SGK [Insulin, IGF1] 4 Transkriptionsfaktoren o Genexpression 4 Caspasen o proteolytische Spaltung o Apoptose 4 Bax, Bad, Bcl2 o Einbau in Mitochondrien o Stimulation (Bax,Bad) [Hemmung (Bcl2)] von Zytochrom C-Freisetzung o Apoptose; PKB o Bindung von Bad an 14-3-3 o Apoptose p 4 NO-Synthasen (eNOS, iNOS) o NO o Nitrosylierung, G-Kinasen o Ca2+ p 4 NADPH-Oxidase o O2- o Oxidation von Proteinen 4 Phospholipase A2 o Arachidonsäure o Prostaglandine (PGE2, PGF2α), Thromboxane (TxA2), Leukotriene (LTC4, LTD4) 4 Sphingomyelinase o Ceramid o Membranplatformen o Signalverstärkung (u. a. Apoptose) Neuroendokrine Signalübertragung 4 Hypothalamische Nuclei paraventricularis, supraopticus des Hypothalamus o Oxytozin und ADH o axonaler Transport o Neurohypophyse o Bei Aktionspotenzial Ausschüttung (Neurosekretion) 4 Hypothalamus o hypophysiotrope Hormone (Liberine, Statine) o Axone o Nervenendigungen o Portalblut, Hypophyse o Tropinausschüttung n (GnRH o LH, FSH; CRH o ACTH; TRH o TSH, Somatoliberin/ Somatostatin o Somatotropin); Dopamin o Prolaktin p 4 Ausfall hypothalamische Einflusses auf Hypophyse o Prolaktin n, Somatotropin p, Kortikotropin p, Melanotropin p, Thyrotropin p, Gonadotropine p
ADH-Ausschüttung. Adiuretin wird aus einem größeren Protein (Präproadiuretin) abgespalten. Die Ausschüttung von Adiuretin aus den Nervenendigungen wird durch Aktionspotenziale ausgelöst. Die Depolarisation öffnet spannungssensitive Ca2+-Kanäle, die Zunahme der Ca2+-Konzentration vermittelt dann die Entleerung der Vesikel. Wichtigste Stimuli für die Ausschüttung von Adiuretin sind eine Zunahme der extrazellulären Osmolarität und eine Abnahme des Plasmavolumens.
10
250
Kapitel 10 · Hormonale Regulation
Die Osmolarität wird im Hypothalamus selbst und möglicherweise in der Leber registriert. Wahrscheinlich ist die Zellschrumpfung der adäquate Reiz für die Adiuretinausschüttung. Die Zellschrumpfung führt in den Neuronen des Hypothalamus zur Aktivierung von unselektiven Ionenkanälen, die bei normalem Zellvolumen durch die Dehnung der Zellmembran gehemmt werden (stretch inhibited channels). Die Aktivierung der unselektiven Ionenkanäle depolarisiert die Zellmembran und löst damit Aktionspotenziale aus. Infusion hypertoner Harnstofflösung führt zu keiner Stimulation der Adiuretinausschüttung, wahrscheinlich deshalb, weil Harnstoff leicht die Zellmembran passieren kann und eine hypertone Harnstofflösung somit keine osmotische Zellschrumpfung auslöst. Bei K+-Überschuss ist die Adiuretinausschüttung gehemmt, möglicherweise deshalb, weil die zelluläre Aufnahme von K+ zu einer Zellschwellung führt. Das Plasmavolumen wird durch Dehnungsrezeptoren im linken Vorhof registriert. Eine Zunahme des Vorhofdrucks hemmt, eine Abnahme des Vorhofdrucks fördert die Ausschüttung von Adiuretin. Die Adiuretinausschüttung ist ferner bei Stress, Angst, Erbrechen und sexueller Erregung gesteigert, bei Kälte dagegen herabgesetzt. Sie wird durch Angiotensin II, Dopamin und Endorphine gefördert, durch GABA gehemmt.
ADH-Mangel. Ein Mangel an Adiuretin kann Folge einer Schädigung des Hypothalamus, einer Hemmung der Adiuretinausschüttung durch Toxine (z. B. Alkohol, Opiate) oder in seltenen Fällen eines genetischen Defektes in der Adiuretinsynthese sein (zentraler Diabetes insipidus). Eine Unempfindlichkeit der Niere gegenüber der Wirkung von Adiuretin kann selbst bei intakter Ausschüttung von Adiuretin einen Diabetes insipidus hervorrufen (renaler Diabetes insipidus). Die renale Wirksamkeit von Adiuretin ist dann eingeschränkt, wenn der Einbau der Wasserkanäle ausbleibt (z. B. genetische Defekte) oder wenn durch herabgesetzte Osmolarität im Nierenmark der osmotische Gradient für die Wasserresorption fehlt, wie etwa bei Hemmung der Kochsalzresorption in der dicken Henle-Schleife durch Schleifendiuretika, durch K+-Mangel oder durch Hypercalciämie, bei Mangel an Harnstoff durch proteinarme Diät oder bei Auswaschen des Nierenmarks durch Entzündungen (7 Kap. 9.2.6). Ein absoluter Mangel an Adiuretin hat die Ausscheidung großer Mengen hypotonen Harns zur Folge. Die Patienten müssen am Tag bis zu 20 Liter trinken, um eine lebensbedrohliche Dehydratation abzuwenden. Ein mäßiger Mangel an Adiuretin (-Wirkung) ist häufig daran erkennbar, dass die Patienten nachts Wasser lassen müssen (Nykturie). ADH-Überschuss. Ein Überschuss an Adiuretin kann durch
10
ADH-Wirkungen. Die antidiuretische Wirkung von Adiure-
tin wird durch Steigerung der Wasserpermeabilität der luminalen Zellmembran in distalem Konvolut und Sammelrohr erzielt (Typ 2 Rezeptoren, cAMP). Adiuretin stimuliert den Einbau von Wasserkanälen (Aquaporinen) in die Zellmembran. Dadurch kann Wasser dem osmotischen Gradienten folgend das Lumen verlassen (7 Kap. 9.2.6). In Abwesenheit von Adiuretin scheidet die Niere große Mengen (bis zu 20 Liter/Tag) hypotonen (< 1 00 mosmol/l) Harns aus. Bei maximaler Adiuretinausschüttung erreicht die Harnosmolarität die Osmolarität des Nierenmarks (bis zu 1200 mosmol/l). In hohen Konzentrationen wirkt Adiuretin vasokonstriktorisch (Typ 1 Rezeptoren, IP3). Dabei wirkt es v. a. auf die Kapazitätsgefäße. Auf diese Weise erreicht Adiuretin eine Steigerung des zentralen Venendrucks und ermöglicht die Aufrechterhaltung des Herzminutenvolumens auch bei herabgesetztem Blutvolumen. ! Störungen der ADH-Ausschüttung oder –Wirkung beeinträchtigen die Regulation der renalen Wasserausscheidung
Bildung von Adiuretin in einem Tumor (z. B. kleinzelliges Bronchialkarzinom) hervorgerufen werden. Der Adiuretinüberschuss führt zur Retention von Wasser mit drohender Zunahme des Extra- und Intrazellulärvolumens.
10.2.2
Aldosteron
! Aldosteron, das wichtigste Mineralokortikoid, dient in erster Linie der Konservierung von Na+ bei Verminderung des Blutvolumens
Synthese. Aldosteron ist ein Steroid, das in der Zona glomerulosa der Nebennierenrinde synthetisiert wird. Neben Aldosteron üben noch 18-Hydroxykortikosteron, Kortikosteron und 11-Deoxykortikosteron eine mineralokortikoide Wirkung aus. Auch das vorwiegend glukokortikoid wirkende Nebennierenrindenhormon Kortisol (7 Kap. 10.3.4) passt in den zytosolischen Mineralokortikoidrezeptor. Kortisol wird freilich normalerweise in den Zielzellen der Mineralokortikoide durch die 11β-Hydroxysteroid-Dehydrogenase inaktiviert.
251 10.2 · Wasser und Elektrolythaushalt
Ausschüttung. Die Ausschüttung von Aldosteron wird
durch einen relativen Mangel an Blutvolumen stimuliert (. Abb. 4.8). Bei Mangel an Blutvolumen kommt es zu einer Senkung des zentralen Venendrucks und verminderter Herzfüllung. Durch die Abnahme der Herzfüllung drohen Abnahme von Schlagvolumen, Herzminutenvolumen und Blutdruck. Folge ist eine Aktivierung des Sympathikus, der u. a. die Nierendurchblutung einschränkt. Die Abnahme der renalen Perfusion führt wiederum zur Ausschüttung von Renin in der Macula densa (7 Kap. 9.2.8). Renin spaltet aus dem in der Leber gebildeten Protein Angiotensinogen das Peptid Angiotensin I ab. Durch ein ubiquitär (v. a. in der Lunge) vorkommendes angiotensin converting enzyme (ACE) werden zwei weitere Aminosäure abgespalten, und es entsteht Angiotensin II. Angiotensin II wirkt selbst massiv vasokonstriktorisch (40-mal stärker als Adrenalin) und stimuliert die Ausschüttung von Adiuretin (ADH) und Aldosteron. Es hemmt die weitere Ausschüttung von Renin. Die Ausschüttung von Aldosteron wird ferner durch K+-Überschuss (Zellschwellung) stimuliert und durch K+Mangel gehemmt. Kortikotropin (ACTH). ACTH löst nur eine kurzfristige Steigerung der Aldosteronausschüttung aus. Untergeordnete Stimulatoren der Aldosteronausschüttung sind ferner Melanotropin, β-Endorphin, Adiuretin (ADH), Katecholamine und Serotonin. Die Ausschüttung von Aldosteron wird durch Atriopeptin (ANF), Dopamin und Somatostatin gehemmt. Wirkung. Wichtigste Wirkung von Aldosteron ist die Steigerung der Na+-Resorption im distalen Nephron durch Aktivierung bzw. Neusynthese von Na+-Kanälen (ENaC) und Na+/H+-Austauschern in der luminalen Zellmembran, die Synthese von Na+/K+-ATPase in der basolateralen Zellmembran sowie von Enzymen, die der Energiebereitstellung dienen. Dadurch wird nicht nur die Na+-Resorption, sondern auch die K+-Sekretion gefördert. K+ gelangt über die Na+/K+-ATPase in die Zelle und verlässt sie vorwiegend über die durch den Na+-Einstrom depolarisierte luminale Zellmembran. Ähnliche Wirkungen entfaltet Aldosteron auch auf andere Na+-transportierende Epithelien, wie Dickdarm, Schweißdrüsenausführungsgänge, Milchdrüsen und Speicheldrüsen. Auch die Wirkungen auf diese Epithelien dienen in erster Linie der Na+-Konservierung. So ist die NaCl-Konzentration im Schweiß bei gesteigerter Aldosteronausschüttung erniedrigt. Neben seiner stimulierenden Wirkung auf die renale Na+-Resorption und K+-Sekretion fördert Aldosteron noch
die renale Mg2+-Resorption, sowie die distal-tubuläre H+Sekretion (H+-ATPase) und die NH4+-Ausscheidung. Schließlich werden Aldosteronrezeptoren auch in nichtepithelialen Geweben gefunden, wie etwa im Gehirn, wo Aldosteron u. a. den Salzappetit steigert. Schließlich begünstigt Aldosteron bei Kochsalzüberschuss die Bildung von Bindegewebe (Fibrosierung), u. a. in Herz und Gefäßen. ! Störungen der Aldosteronausschüttung oder -wirkung beeinflussen die renale Kochsalzausscheidung und führen zur Entgleisung der Blutdruckregulation
Primärer Aldosteronüberschuss. Ein primärer Überschuss an Mineralokortikoiden kann Folge eines aldosteronproduzierenden Tumors (Morbus Conn) sein, oder von bestimmten Enzymdefekten im Kortisolstoffwechsel, die zu herabgesetzter Kortisolbildung führen (7 Kap. 10.3.4). Die fehlende negative Rückkopplung durch Kortisol führt über gesteigerte Ausschüttung von Kortikotropin (ACTH) zu einer Zunahme der Mineralokortikoide. Beim 11β-Hydroxylase-Defekt, z. B., wird das mineralokortikoid wirksame 11-Desoxycorticosteron vermehrt gebildet. Pseudohyperaldosteronismus. Gesteigerte Mineralokorti-
koidwirkung liegt bei einem (sehr seltenen) genetischen Defekt oder bei Hemmung (Lakritzeabusus) der 11βHydroxysteroid-Dehydrogenase vor. Der fehlende intrazelluläre Abbau erlaubt Kortisol die Bindung an und Aktivierung von Mineralokortikoidrezeptoren. Einige sehr seltene Defekte der Aldosteronrezeptoren führen zu gesteigerter Aktivierbarkeit durch andere Hormone (v. a. Progesteron). Sekundärer Hyperaldosteronismus. Sehr viel häufiger als
der primäre Hyperaldosteronismus ist der sekundäre Hyperaldosteronismus, eine Folge gesteigerter Reninausschüttung. Die Reninausschüttung ist bei gedrosselter Nierendurchblutung erhöht, wie etwa bei Nierenarterienstenose. Die Nierendurchblutung ist ferner immer dann beeinträchtigt, wenn der Blutdruck nur durch massive Aktivierung des Sympathikus aufrechterhalten werden kann, wie bei Hypovolämie, bei Herzinsuffizienz oder bei peripherer Vasodilatation (z. B. bei Sepsis, Leberinsuffizienz). Folgen eines Überschusses an Mineralokortikoiden (bzw. von Mineralokortikoidwirkung) sind Retention von Na+ und Wasser sowie gesteigerte Eliminierung von K+ und H+. Ein primärer Aldosteronüberschuss führt demnach zu Blutdruckanstieg, Hypokaliämie und metabolischer Alkalose. Bei einem sekundären Hyperaldosteronismus kann
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252
Kapitel 10 · Hormonale Regulation
– je nach Ursache – das Blutvolumen erhöht, normal oder erniedrigt sein, jedenfalls droht die Entwicklung einer Hypokaliämie und einer metabolischen Alkalose. Aldosteronmangel. Ein Mangel an Mineralokortikosteroiden kann bei Schädigung der Nebennierenrinde und bei bestimmten Enzymdefekten der Nebennierenrindenhormonsynthese auftreten, die zu einer herabgesetzten Bildung von Mineralokortikoiden führen. Darüber hinaus kann die Ansprechbarkeit des distalen Nephron für Aldosteron herabgesetzt sein, wie bei genetischen Defekten des Rezeptors oder des Na+-Kanals (Pseudohypoaldosteronismus). Folgen des Mangels an Mineralokortikoiden oder deren Wirkungen sind Blutdruckabfall, Hyperkaliämie und metabolische Azidose
10.2.3
Natriuretische Faktoren
! Natriuretische Hormone fördern die renale Kochsalzausscheidung
pothalamus) gefunden, wo sie u. a. den Durst und die ADH-Ausschüttung unterdrücken. Auch in der Niere selbst wird ein natriuretisches Peptid gebildet, das Urodilatin, dessen Struktur und Wirkungen denen von Atriopeptin sehr ähnlich sind. Digitalisähnliche natriuretische Faktoren. In der Nebennie-
re werden ferner natriuretische Faktoren gefunden, die dem Digitalisglykosid Ouabain strukturell sehr ähnlich oder mit Ouabain identisch sind. Sie hemmen die Na+/K+-ATPase. Weitere natriuretische Hormone. Eine Reihe weiterer Hor-
mone übt eine natriuretische Wirkung aus, wie Parathormon (Hemmung der proximal-tubulären Na+-Resorption), Prostaglandine (renale Durchblutungssteigerung und Hemmung der tubulären Kochsalzresorption) und Dopamin (Steigerung renaler Durchblutung und glomerulärer Filtrationsrate sowie Hemmung der tubulären Na+-Resorption).
10.2.4
Calcium-Phosphat-Haushalt regulierende Hormone
Atriopeptin. Die Vorhöfe des Herzens bilden eine Gruppe
10
von Peptiden (Atriopeptin, atrialer natriuretischer Faktor, ANF), die eine Steigerung der renalen Na+-Ausscheidung bewirken. Die Atriopeptinausschüttung wird v. a. durch Vorhofdehnung gefördert. Die Bildung und/oder Ausschüttung von Atriopeptin wird durch Glukokortikoide, T3/T4, Adiuretin, Angiotensin II und Adrenalin (α, β) gesteigert. Atriopeptinwirkungen. Atriopeptin erzeugt eine Dilatation von Widerstands- und Kapazitätsgefäßen, eine gesteigerte kapilläre Filtration von Flüssigkeit in das Interstitium, einen verzögerten lymphatischen Rückfluss filtrierter Flüssigkeit, eine gesteigerte Nierendurchblutung, eine Erhöhung der glomerulären Filtrationsrate, eine Hemmung der Na+-Resorption im Sammelrohr und eine Hemmung der Renin- und Aldosteronausschüttung. Atriopeptin steigert somit die renale Ausscheidung von Na+ und Wasser. Durch die genannten Wirkungen reduziert Atriopeptin das Blutvolumen. Darüber hinaus senkt Atriopeptin über Minderung von Herzfrequenz und Herzkraft das Herzzeitvolumen. Die Wirkungen von Atriopeptin senken auf diese Weise den Blutdruck. Weitere natriuretische Peptide. Atriopeptin und ähnliche
Peptide (brain natriuretic peptide, BNP, oder C-type-related natriuretic peptide, CNP) werden auch im Gehirn (v. a. Hy-
! Parathormon, Calcitriol und Calcitonin dienen einer konstanten Plasmacalciumkonzentration und einer ausgeglichenen Calciumphosphatbilanz
Parathormon (Parathyrin, PTH). Parathormon wird in der Nebenschilddrüse bei erniedrigten Plasmacalciumkonzentrationen ausgeschüttet, wie an anderer Stelle ausgeführt wird (7 Kap. 9.1.6). Parathormon stimuliert die Mobilisierung von Knochenmineralien, fördert die renale Ca2+-Resorption und hemmt die renale Resorption von Phosphat und Bikarbonat (. Abb. 9.7). Damit steigert es die Plasmacalciumkonzentration und senkt die Phosphat- und Bikarbonatplasmakonzentrationen. Parathormon stimuliert ferner die Bildung von Calcitriol (1,25(OH)2D3) in der Niere. Calcitriol. Calcitriol wird aus Vitamin D (Cholecalciferol) gebildet, das in der Haut unter UV Bestrahlung aus 7-Dehydrocholesterin synthetisiert werden kann (7 Kap. 9.1.6). Aus Cholecalciferol entsteht in der Leber östrogenabhängig Calcidiol [25(OH)D3], aus dem unter dem stimulierenden Einfluss von Parathormon, Calcitonin, Calcium- und Phosphatmangel in der Niere Calcitriol gebildet wird (7 Kap. 9.1.6). Calcitriol stimuliert die enterale Absorption und renale Resorption von Calcium und Phosphat und begünstigt damit die Mineralisierung des Knochens (. Abb. 9.8).
253 10.2 · Wasser und Elektrolythaushalt
Calcitonin. Calcitonin wird in der Schilddrüse gebildet und bei Hypercalciämie ausgeschüttet (7 Kap. 9.1.6). Das Hormon stimuliert die renale Bildung von Calcitriol, fördert die renale Ca2+-Resorption, hemmt die renale Phosphatresorption und stimuliert die Mineralisierung des Knochens. Durch die Mineralisierung des Knochens senkt es die Plasmacalciumkonzentration. Ein Ausfall des Hormons (z. B. bei Entfernung der Schilddrüse) bleibt ohne relevante pathophysiologische Konsequenzen. ! Störungen der Parathormon- oder Calcitriolausschüttung oder -wirkung können Hypocalciämie oder Hypercalciämie, Calciumphosphatausfällungen oder Störungen der Knochenmineralisierung nach sich ziehen
der Harnkonzentrierung und Calciurie. Letztere kann zur Bildung von Calciumsteinen (Urolithiasis) führen. Ein sekundärer Hyperparathyreoidismus entsteht bei eingeschränkter Nierenfunktion (Niereninsuffizienz), die über Einschränkung der renalen Phosphatausscheidung, Hyperphosphatämie, Komplexierung von Ca2+ und Abfall der Konzentration an freiem Ca2+ zur Stimulation der Parathormonausschüttung führt. Parathormon mobilisiert Knochenmineralien, der Versuch bleibt jedoch weitgehend wirkungslos, da das gleichzeitig mobilisierte Phosphat nicht durch die Niere ausgeschieden werden kann und Phosphat weiterhin Ca2+ komplexiert. Die anhaltende Hypocalciämie führt schließlich zur Hypertrophie der Nebenschilddrüsen, deren Parathormonausschüttung dadurch selbst bei Normocalciämie gesteigert ist (tertiärer Hyperparathyreoidismus).
Hypoparathyreoidismus. Mangel an Parathormon (Hy-
poparathyreoidismus, z. B. durch versehentliche Entfernung der Nebenschilddrüsen bei einer Schilddrüsenoperation) oder fehlende Wirksamkeit des Hormons (Pseudohypoparathyreoidismus) führen über eingeschränkte Calcitriolbildung, herabgesetzte renale und intestinale Resorption sowie verminderte Mobilisierung aus dem Knochen regelmäßig zur Hypocalciämie.
Mangel an Calcitriol. Bei Vitamin-D-Mangel ist die intesti-
nale Ca2+- und Phosphatabsorption beeinträchtigt, Hypocalciämie und Hypophosphatämie beeinträchtigen die Knochenmineralisierung. Die Hypocalciämie stimuliert ferner die Ausschüttung von Parathormon, das seinerseits Calciumphosphat aus dem Knochen mobilisiert. Folge ist eine unzureichende Mineralisierung des Knochens (Rachitis beim Kind und Osteomalazie beim Erwachsenen).
Hyperparathyreoidismus. Eine überschüssige Bildung von
Parathormon (z. B. durch einen parathomonproduzierenden Tumor) führt zu gesteigerter Mobilisierung von Calciumphosphat aus dem Knochen (runde Entmineralisierungsherde) und zu Hypercalciämie, die über Stimulation des Ca2+-Rezeptors die renale Kochsalz- und Ca2+-Resorption hemmt (7 Kap. 9.2.11). Folge ist eine Einschränkung
Calcitriolüberschuss. Unkritische Vitamin-D-Zufuhr führt
zu gesteigerter intestinaler Ca2+ und Phosphatabsorption mit Zunahme der Plasmakonzentrationen. Folge ist u. a. die gesteigerte renale Ausscheidung von Calciumphosphat und damit das gehäufte Auftreten von Calciumphosphatsteinen (Urolithiasis).
In Kürze
Wasser und Elektrolythaushalt ADH 4 Osmolarität (Hypothalamus, Leber?) n, Plasmavolumen (Vorhofdehnung) p o ADH-Ausschüttung 4 ADH-Wirkungen o Typ 2 Rezeptoren o cAMP o Aquaporin 2 o renale H2O-Resorption; Typ 1 Rezeptoren o 1,4,5-InsP3 o Vasokonstriktion (v. a. Kapazitätsgefäße) 4 ADH-Mangel o zentraler Diabetes insipidus, ADHWirkung p o renaler Diabetes insipidus 4 ADH-produzierende Tumoren o ADH-Überschuss o Zunahme Extra- + Intrazellulärvolumen 6
Aldosteron 4 Blutvolumen p o zentraler Venendruck p o Herzfüllung p o Schlagvolumen p o Herzminutenvolumen p o Blutdruck p o Sympathikus n o Nierendurchblutung p o Renin n o Angiotensin I o (ACE) Angiotensin II o Zona glomerulosa der Nebennierenrinde o Aldosteronausschüttung n; ferner K+-Überschuss, ACTH (nur kurzfristig), Melanotropin, β-Endorphin, Adiuretin (ADH), Katecholamine und Serotonin o Aldosteronausschüttung n; Atriopeptin (ANF), Dopamin, Somatostatin o Aldosteronausschüttung p
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254
Kapitel 10 · Hormonale Regulation
4 Wirkung: Aldosteron (sowie 18-Hydroxykortikosteron, Kortikosteron und 11-Deoxykortikosteron) o ENaC n, Na+/H+-Austauscher n, Na+/K+-ATPase n, H+-ATPase n o Na+-Resorption n, K+-Sekretion n, Mg2+-Resorption n, H+-Sekretion n, NH4+-Ausscheidung n, Salzappetit n, Fibrosierung 4 Primärer Aldosteronüberschuss (Morbus Conn, Tumore, Enzymdefekte im Kortisolstoffwechsel), Pseudohyperaldosteronismus (genetisch, Lakritzeabusus) o Hypertonie, Hypokaliämie, Alkalose 4 Sekundärer Hyperaldosteronismus (Hypovolämie, Herzinsuffizienz, Leberinsuffizienz o renale Durchblutung p o Renin n) o Hypokaliämie, Alkalose 4 Aldosteronmangel (Schädigung Nebennierenrinde, Enzymdefekte, defekter Rezeptor [Pseudohypoaldosteronismus]) o Blutdruckabfall, Hyperkaliämie und metabolische Azidose
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Natriuretische Faktoren 4 Vorhofdehnung, Glukokortikoide, T3/T4, Adiuretin, Angiotensin II und Adrenalin (α, β) o Atriopeptinausschüttung o Dilatation Widerstands- und Kapazitätsgefäße, periphere Filtration n, Nierendurchblutung n, GFR n, distaltubuläre Na+-Resorption p, Renin- und Aldosteronausschüttung p, Herzfrequenz p und Herzkraft p, Herzzeitvolumen p, Blutdruck p 4 Weitere natriuretische Peptide und Hormone: Atriopeptin, brain natriuretic peptide (BNP), C-type-related natriuretic peptide [CNP], Urodilatin, Ouabain, Parathormon, Prostaglandine, Dopamin
10.3
Energiehaushalt und Wachstum
10.3.1
STH, Somatotropin
! Die Wirkungen von Somatotropin (growth hormone, GH) zielen in erster Linie auf das Wachstum von Skelett und Organen, sowie die Schaffung der dafür erforderlichen metabolischen Voraussetzungen ab
Synthese und Ausschüttung. Somatotropin, ein Protein
mit 191 Aminosäuren, wird im Hypophysenvorderlappen gebildet. Seine Ausschüttung wird durch Somatoliberin (Somatotropin releasing factor oder growth hormone releas-
Calcium-Phosphat-Haushalt regulierende Hormone 4 Hypocalciämie o Parathormon o Mobilisierung Knochenmineralien n, renale Ca2+-Resorption n, renale Resorption von Phosphat und Bikarbonat p, Bildung von Calcitriol n 4 7-Dehydrocholesterin (+ UV-Licht) o Cholecalciferol (+ Östrogene) o Calcidiol (+ Parathormon, Calcitonin, Ca2+-Mangel, Phosphatmangel) o Calcitriol o enterale Absorption und renale Resorption von Calcium und Phosphat o CaHPO4 n o Knochenmineralisierung 4 Hypercalciämie o Calcitonin o renale Ca2+-Resorption n, renale Phosphatresorption p, Calcitriolbildung n o intestinale Calcium- und Phosphatabsorption n 4 Mangel an Parathormon (Hypoparathyreoidismus), fehlende Wirksamkeit des Hormons (Pseudohypoparathyreoidismus) o Calcitriolbildung p, renale und intestinale Ca2+ Resorption p, Mobilisierung Knochen p o Hypocalciämie 4 Hyperparathyreoidismus o Knochenmobilisierung n o Hypercalciämie o Harnkonzentrierung p, Calciurie (o Urolithiasis) 4 Niereninsuffizienz o renale Phosphatausscheidung p o Hyperphosphatämie o Komplexierung Ca2+ o sekundärer Hyperparathyreoidismus, Hypertrophie Nebenschilddrüsen (tertiärer Hyperparathyreoidismus) o circulus vitiosus 4 Vitamin-D-Mangel o intestinale Ca2+- und Phosphatabsorption p o Knochenmineralisierung p (Rachitis [Kinder], Osteomalazie [Erwachsene]) 4 Vitamin-D-Zufuhr nn o Calcitriolüberschuss o intestinale Ca2+-und Phosphatabsorption n o renale CaHPO4Ausscheidung n o Urolithiasis
ing hormone, GHRH) gefördert sowie durch Somatostatin (Somatotropin release inhibiting factor oder growth hormone release inhibiting factor, GHRIF) gehemmt. Somatoliberin (41 Aminosäuren) und Somatostatin (14 Aminosäuren) sind Peptide aus dem Hypothalamus, die in das Portalblut der Hypophyse abgegeben werden (7 Kap. 10.1.4). Stimulatoren der STH-Ausschüttung. Über Beeinflussung der Somatoliberin- und Somatostatinausschüttung stimulieren Aminosäuren (v. a. Arginin), Hypoglykämie, Glukagon, Schilddrüsenhormone, Östrogene, Dopamin, Serotonin, Noradrenalin (α), Endorphine, NREM-Schlaf und Stress die Somatotropinausschüttung.
255 10.3 · Energiehaushalt und Wachstum
Somatotropinwirkungen. Die Wirkungen von Somatotropin werden z. T. durch Somatomedine (insulin like growth factors, IGF’s) vermittelt, Peptide, die in der Leber unter
dem Einfluss von Somatotropin gebildet werden. Somatotropin fördert das Längenwachstum von Knochen und die Hypertrophie von Eingeweiden, fördert die für das Wachstum erforderliche Synthese von Proteinen (u. a. Kollagen), hemmt die Glukoneogenese aus Aminosäuren, und drosselt den Glukoseverbrauch durch Hemmung der Glukoseaufnahme und Glykolyse in Fett- und Muskelzellen (. Abb. 10.6). Somatotropin fördert damit die Entwicklung einer Hyperglykämie, stimuliert jedoch andererseits direkt die Ausschüttung von Insulin, wodurch es eine vorüberge-
. Abb. 10.6. Wirkungen von Hormonen auf die Energiesubstrate im Körper. Insulin fördert den Aufbau von Proteinen, Glykogen und Triacylglyceriden. Es stimuliert die Aufnahme von Glukose in Muskelzellen sowie von Glukose, Aminosäuren und freien Fettsäuren in Fettzellen. In der Leber fördert es die Glykogensynthese und die Glykolyse. Glukagon stimuliert den Abbau von Proteinen in Leber und Muskel und fördert die Glukoneogenese in der Leber. Es fördert den hepatischen Glykogenabbau und die Lipolyse. Katecholamine stimulieren den Abbau von Glykogen in Leber und Muskel, wobei der Muskel Glukose weiter zu Laktat abbaut. Katecholamine fördern den Proteinabbau und die Glukoneogenese in der Leber. Sie stimulieren die Lipolyse und die hepatische Bildung von Ketonkörpern aus den freigesetzten Fettsäuren. Die Glukokortikoide (Kortisol ) stimulieren den Abbau von Proteinen im Muskel, wobei die Aminosäuren in der Leber zur Proteinsynthese (v. a. Plasmaproteine) und Glukoneogenese
verwendet werden. Sie fördern die Lipolyse und die hepatische Bildung von Ketonkörpern aus den freigesetzten Fettsäuren und hemmen die Glukoseaufnahme und Glykolyse in Muskel und Fettgewebe. Somatotropin fördert den Proteinaufbau in Leber und Muskel. Es hemmt die Glukoneogenese in der Leber sowie die Glukoseaufnahme und Glykolyse im Muskel und Fettgewebe. Es stimuliert die Lipolyse. Die Schilddrüsenhormone (T3, T4) fördern die Proteinsynthese, aber auch die hepatische Glukoneogenese aus Aminosäuren. Sie stimulieren den hepatischen Glykogenabbau, die Lipolyse, die hepatische Bildung von Ketonkörpern sowie die Glukoseaufnahme und Glykolyse in Muskel und Fettgewebe. Glc = Glukose; As = Aminosäuren; Fs = freie Fettsäuren; KK = Ketonkörper; Glg = Glykogen; Pr = Proteine; TG = Triglyzeride. Durchgehende Pfeile = gesteigerter Substratflux, unterbrochene Pfeile = herabgesetzter Substratflux. Normale Substratfluxe sind nicht eingetragen
Hemmer der STH-Ausschüttung. Die Ausschüttung wird
durch Hyperglykämie, Hyperlipidämie, Gestagene, Kortisol, Somatomedine, Thyroliberin, Adrenalin (β), GABA, Adipositas und Kälte gehemmt. Die Somatotropinausschüttung ist im frühen Erwachsenenalter am höchsten und nimmt dann mit zunehmendem Alter ab.
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Kapitel 10 · Hormonale Regulation
hende Abnahme der Glukosekonzentration im Blut erzielen kann. Somatotropin fördert die Lipolyse, eine Wirkung, die teilweise durch Sensibilisierung der Fettzellen für Katecholamine erzielt wird. Somatotropin bewirkt eine renale Elektrolytretention. Über Somatomedine fördert Somatotropin die Zellproliferation in vielen Geweben, wie Knorpelzellen (Knochenwachstum) und Blutstammzellen (Erythropoiese). Über Stimulation der T-Lymphozyten und Makrophagen unterstützt es die Immunabwehr. ! Störungen der Somatotropinausschüttung oder -wirkung ziehen in erster Linie Wachstumsstörungen nach sich
Synthese. Trijodthyronin (T3) und Thyroxin (T4) sind dreifach bzw. vierfach jodierte Tyrosinderivate, die in den Follikeln der Schilddrüse gebildet werden. Zur Synthese von T3/T4 ist die Aufnahme von Jod in die Epithelzellen der Follikel (Thyrozyten) erforderlich (. Abb. 10.7). Diese Aufgabe wird von einem Na+-J--Symporter übernommen, der durch den Na+-Gradienten getrieben wird. J- verlässt die Thyrozyten über Kanäle in der luminalen Membran. Die Thyrozyten sezernieren in das Lumen ferner Thyreoglobulin, ein tyrosinreiches Protein. Unter Einwirkung einer Peroxidase wird J- im Lumen oxidiert und anschließend an Tyrosinreste des Thyreoglobulins gekoppelt. Dadurch ent-
Somatotropinüberschuss. Ein Überschuss an Somatotropin tritt bei einem Tumor von somatotropinproduzierenden Zellen auf. Folge eines Somatotropinüberschusses vor Abschluss der Pubertät und damit des Längenwachstums ist Riesenwuchs. Nach Abschluss des Längenwachstums (Schluss der Epiphysenfugen) bleibt die Körpergröße gleich. Stattdessen kommt es zur Akromegalie, d. h. zum gesteigerten appositionellen Knochenwachstum. Besonders auffällig ist eine Vergrößerung von Kinn und Nase, eine Verbreiterung von Kiefer- und Backenknochen, Händen und Füßen. Bedeutsam ist auch eine Größenzunahme der Eingeweide, wie Herz, Leber, Niere und Schilddrüse, sowie der Zunge (Makroglossie).
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Somatotropinmangel. Ein Mangel an Somatotropin kann bei globaler Schädigung der Hypophyse (Hypophyseninsuffizienz) oder isoliert auftreten. Auch bei normaler Somatotropinausschüttung ist die Somatotropinwirkung unzureichend, wenn etwa die Bildung von Somatomedinen in der Leber eingeschränkt ist (z. B. bei Leberinsuffizienz). Ein Mangel an Somatotropin oder an Somatotropinwirkung führt beim Kind zum hypophysären Zwergwuchs. Beim Erwachsenen bleibt ein isolierter Mangel an Somatotropin oft unerkannt. Die Abnahme der Somatotropinkonzentration trägt zum Überwiegen des Proteinabbaus und der eingeschränkten Immunabwehr im Alter bei.
10.3.2
Schilddrüsenhormone T3, T4
! Aufgabe von Thyroxin und Trijodthyronin. Die Schilddrüsenhormone Thyroxin (T4) und Trijodthyronin (T3) dienen der Entwicklung und wahrscheinlich der Aufrechterhaltung spezialisierter Leistungen
. Abb. 10.7. Biosynthese von Thyroxin (T4) und Trijodthyronin (T3). Die Follikelzellen der Schilddrüse synthetisieren im Golgi-Apparat Thyreoglobulin (Tg), ein Protein, das reich an der Aminosäure Tyrosin ist (1). Thyreoglobin wird in das Lumen der Follikel, das Kolloid, sezerniert (2). Dort wird an Tyrosin Jod gekoppelt (3). Das dazu erforderliche Jod muß zunächst in Form von Jodidionen aus dem Blut aufgenommen (Na+-gekoppelter Transport, 1´), zum Lumen transportiert und oxidiert werden (2´). Nun wird ein jodiertes Tyrosin an ein zweites jodiertes Tyrosin gekoppelt (4). Durch Spaltung des Thyreoglobins werden dann Thyroxin (T4) und Trijodthyronin (T3) abgespalten (7). Die Schilddrüsen bilden hauptsächlich das wenig wirksame T4. In der Peripherie wird jedoch T4 zum wesentlich wirksameren T3 dejodiert (8)
257 10.3 · Energiehaushalt und Wachstum
steht Mono- und Dijodtyrosin-Thyreoglobulin. In einem weiteren Schritt wird ein jodierter Tyrosinrest auf einen zweiten jodierten Tyrosinrest unter Abspaltung von Alanin übertragen. Dadurch entstehen in Thyreoglobulin eingebaute T4 (3,5,3´,5´-Tetrajodthyronin) und T3 (3,5,3´-Trijodthyronin, . Abb. 10.7). Bei Bedarf wird das Thyreoglobulin von den Thyreozyten endozytotisch aufgenommen, T3 und T4 freigesetzt und die Hormone in das Blut abgegeben. Die Schilddrüsenhormonbildung kann pharmakologisch an mehreren Stellen gehemmt werden (Thyreostatika): Perchlorate, Pertechnat und Thiozyanat hemmen die Jodaufnahme in die Thyrozyten und Thioamide die Peroxidase. Die Bildung und Freisetzung von T3 und T4 kann ferner durch J--Überschuss gehemmt werden. Plasmaproteinbindung. Im Blut wird der größte Anteil von T3/T4 an Plasmaproteine gebunden (. Tab. 10.1), v. a. an Albumin, thyroxinbindendes Präalbumin (TBPA) und thyroxinbindendes Globulin (TBG). Die Bildung von TBG und damit die Bindung von T3/T4 ist u. a. bei einer Schwangerschaft gesteigert. Die Bindung an Plasmaproteine resultiert in einer extrem langen Halbwertszeit der Hormone (ca. 1 Tag für T3, ca. 7 Tage für T4). Periphere Aktivierung. Die Schilddrüse sezerniert überwiegend das weit weniger wirksame T4. In der Peripherie wird jedoch T4 zu T3 dejodiert. Bei schweren Erkrankungen wird statt T3 das unwirksame reverse rT3 (3,3´,5´-Trijodthyronin) gebildet und damit die Schilddrüsenhormonwirkung herabgesetzt. Ausschüttung. Die Ausschüttung von T3 und T4 steht unter der Kontrolle des Hypothalamus. Dort wird Thyreoliberin (thyrotropin releasing hormone, TRH) gebildet, ein Tripeptid, das im Hypophysenvorderlappen die Bildung von Thyrotropin (Thyreoidea stimulierendes Hormon, TSH) stimuliert. Thyrotropin stimuliert wiederum das Wachstum der Schilddrüse sowie die Bildung und Ausschüttung von T3 und T4. Die Bildung von Thyrotropin wird durch T4 gehemmt, über einen Regelkreis mit negativer Rückkopplung werden somit die T3- und T4-Konzentrationen im Blut weitgehend konstant gehalten. Die Ausschüttung von Thyrotropin wird ferner durch Somatostatin, Dopamin und Glukokortikoide gehemmt sowie durch Noradrenalin (α) und Östrogene gefördert. Wirkungen. Die Schildrüsenhormone T3 und T4 stimulie-
ren die Proteinsynthese, eine Wirkung, die für eine norma-
le geistige und körperliche Entwicklung unerlässlich ist. Vor allem die intellektuelle Entwicklung hängt in kritischer Weise von diesen Hormonen ab. Die Schilddrüsenhormone T3/T4 fördern während der Hirnentwicklung das Auswachsen von Dendriten und Axonen, sowie die Bildung von Synapsen und Myelinscheiden. T3/T4 stimulieren, teilweise über Steigerung der Somatotropinbildung und -ausschüttung, das Längenwachstum des Knochens, sie stimulieren die Synthese einer Vielzahl von Enzymen, Transportproteinen (z. B. der Na+/K+-ATPase), G-Proteinen und Rezeptoren, sie fördern die enterale Glukoseabsorption, die hepatische Glykogenolyse und Glukoneogenese und die Glykolyse in vielen Organen, sie steigern durch die Stimulation der Lipolyse die Fettsäurekonzentration im Blut, sie stimulieren andererseits den Abbau von VLDL und den Umbau von Cholesterin in Gallensäuren, sie steigern den Umsatz von Bindegewebsgrundsubstanz (Glykosaminoglykanen) und die Umwandlung von Karotin in Vitamin A. T3/T4 zwingen durch den gesteigerten Energieverbrauch in peripheren Geweben zur peripheren Vasodilatation, sie sensibilisieren ferner u. a. das Herz für Katecholamine (Folgen sind gesteigerte Herzfrequenz und Herzkraft, z. T. durch Steigerung der Expression von β-Rezeptoren), sie erhöhen durch die Wirkungen auf Herz und Gefäße den systolischen Blutdruck und erniedrigen den diastolischen Blutdruck, sie steigern renalen Blutfluss, glomeruläre Filtrationsrate und tubuläre Transportkapazität in der Niere. T3/T4 stimulieren die Aktivität von Schweiß- und Talgdrüsen der Haut, sie fördern die Darmmotilität und steigern die neuromuskuläre Erregbarkeit. Aufgrund ihrer Wirkungen steigern T3 und T4 den Energieverbrauch. Folge ist eine Zunahme des Grundumsatzes, der die Temperaturregulation zu verstärkter Wärmeabgabe zwingt. ! Störungen der Schilddrüsenhormonausschüttung oder -wirkung ziehen Herz, Kreislauf, Darm, Niere, Nervensystem und Stoffwechsel in Mitleidenschaft
Schilddrüsenhormonmangel. Ein Mangel an T3/T4 (Hypo-
thyreose) kann Folge einer herabgesetzten Stimulation der Schilddrüse durch Thyrotropin sein oder einer primär eingeschränkten Ausschüttung von T3/T4, wie bei Jodmangel, bei defekten oder gehemmten Enzymen der Schilddrüsenhormonsynthese oder bei Schädigung der Schilddrüse. Liegt die Ursache der verminderten Schilddrüsenhormonbildung in der Schilddrüse selbst, dann führt die fehlende negative Rückkopplung durch T3/T4 zu einer gesteigerten
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258
Kapitel 10 · Hormonale Regulation
Ausschüttung von Thyroliberin und Thyrotropin. Die Stimulation des Schilddrüsenwachstums durch Thyrotropin führt dann (z. B. bei Jodmangel) zu bisweilen massiver Zunahme des Schilddrüsengewebes. Folgen eines Mangels an T3/T4. Mangel an T3/T4 führt beim Kleinkind binnen weniger Wochen nach der Geburt zu irreversibler Einschränkung der Intelligenz sowie zu verzögertem Längenwachstum (Kretinismus). Kinder mit angeborener Hypothyreose sind häufig taub. Intrauterin kann jedoch mütterliches T3/T4 die Entwicklung des Feten aufrechterhalten. Beim Erwachsenen führt T3/T4-Mangel zu herabgesetzter neuromuskulärer Erregbarkeit, Hyporeflexie, Antriebslosigkeit und Depressionen. Die fehlenden Stoffwechselwirkungen äußern sich in einer Zunahme des Fettgewebes, einer Hypercholesterinämie und einem Absinken des Grundumsatzes. Die Patienten neigen zu Hypoglykämien. Herabgesetzter Abbau von Glykosaminoglykanen im Unterhautfettgewebe führt zu deren Ablagerung (Myxödem), die Haut ist zudem kalt, trocken und schuppig. Schließlich ist die Darmmotorik herabgesetzt (Obstipation). Ist der Mangel Folge gestörter Bildung von T3 und T4 in der Schilddrüse (z. B. bei Jodmangel), dann ist die Bildung von Thyrotropin gesteigert, dessen trophische Wirkung zur Größenzunahme der Schilddrüse führt (Struma, Kropf).
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Schilddrüsenhormonüberschuss. Ein Überschuss an T3/T4
(Hyperthyreose) kann bei gesteigerter Ausschüttung von Thyrotropin oder bei thyrotropinunabhängiger Überfunktion der Schilddrüse auftreten. Sehr viel häufiger ist der Morbus Basedow, der durch Autoantikörper (7 Kap. 2.5.3) ausgelöst wird, die gegen den Thyrotropinrezeptor in der Schilddrüse gerichtet sind. Bindung der Autoantikörper bewirkt über Aktivierung des Rezeptors eine gesteigerte Bildung von T3/T4 und eine Größenzunahme der Schilddrüse. Eine weitere Konsequenz der Autoimmunerkrankung ist eine retrobulbäre Entzündung, welche durch Einwanderung von Zellen und Schwellung des retrobulbären Gewebes die Augen hervortreten lässt (Exophthalmus). Folgen eines Überschusses an Schilddrüsenhormonen.
T3/T4-Überschuss steigert die Herzfrequenz mitunter bis zum Vorhofflimmern. Das gesteigerte Schlagvolumen und die periphere Vasodilatation führen zu einer großen Blutdruckamplitude. Die neuromuskuläre Erregbarkeit ist gesteigert, es treten Hyperreflexie, Zittern und Schlaflosigkeit auf. Gesteigerte Darmmotorik führt zu Durchfällen. Der
Grundumsatz ist gesteigert, die Patienten schwitzen häufig. Das Fettgewebe wird eingeschmolzen, durch gesteigerte Expression proteolytischer Enzyme überwiegt der Proteinabbau, die Patienten magern ab. Die Konzentration freier Fettsäuren im Blut ist erhöht und die Plasmakonzentration von Cholesterin herabgesetzt.
10.3.3
Glukokortikoide
! Glukokortikoide dienen in erster Linie der Mobilisierung von Reserven in Stresssituationen, d. h. bei akuter psychischer (Wut, Angst) oder physischer (z. B. Blutverlust) Belastung
Synthese. Glukokortikoide werden in der Zona fasciculata
der Nebennierenrinde gebildet, wichtigster Vertreter ist Kortisol. Kortisol wird aus Cholesterin über mehrere enzymabhängige Syntheseschritte und Metabolite gebildet (. Abb. 10.8). Neben den in der Zona fasciculata gebildeten Glukokortikoiden werden in der Nebennierenrinde noch in der Zona glomerulosa Mineralokortikoide (Aldosteron) und in der Zona reticularis Sexualhormone (fast ausschließlich Androgene, v. a. Dihydroepiandrosteron, 7 Kap. 11.4) synthetisiert. Hypothalamisch-hypophysäre Regulation der Kortisolausschüttung. Die Bildung und Ausschüttung der Gluko-
kortikoide steht unter der Kontrolle von Hypothalamus und Hypophyse: Im Hypothalamus wird das Peptid (44 Aminosäuren) Kortikoliberin (corticotropin releasing hormone, CRH) gebildet, das in POMC-(Proopiomelanocortin-) Zellen der Hypophyse die Ausschüttung von Kortikotropin (Adrenocorticotropes Hormon, ACTH), ein Peptid mit 39 Aminosäuren, stimuliert. Die POMC-Zellen synthetisieren zunächst ein höhermolekulares Protein, aus dem unter dem Einfluss von Kortikoliberin (CRH) nicht nur Kortikotropin (ACTH), sondern auch γ-Melanotropin (γMSH) und β-Lipotropin freigesetzt werden. β-Lipotropin ist wiederum Vorstufe für die Bildung von Endorphinen. Kortikotropin (ACTH) enthält auch noch die Sequenz von α-Melanotropin (α-MSH), das aus Kortikotropin (ACTH) durch Abspaltung der 13 aminoterminalen Aminosäuren gebildet wird. γ-Melanotropin fördert die Pigmentierung der Haut. Kortikotropin (ACTH) fördert das Wachstum der Nebennierenrinde und stimuliert die Synthese von Glukokortikoiden, von adrenalen Androgenen sowie in geringerem Ausmaß von Mineralokortikoiden. Kortikotropin
259 10.3 · Energiehaushalt und Wachstum
. Abb. 10.8. Synthese der Nebennierenrindenhormone. In der Zona glomerulosa werden die Mineralokortikosteroide gebildet, in der Zona fasciculata die Glukokortikoide, in der Zona reticularis die Vorstufen der Sexualhormone, die in der Peripherie zu den Sexualhormonen umgewandelt werden. Normalerweise synthetisiert die
Nebennierenrinde nur Spuren von Östradiol und Testosteron. Beteiligte Enzyme: 1 = 20,22-Desmolase; 2 = 3β-Dehydrogenase; 3 = 21 β-Hydroxylase; 4 = 11β-Hydroxylase; 5 = 18-Hydroxylase; 6 = 18-Methyloxidase; 7 = 17α-Hydroxylase; 8 = 17,20-Lyase; 9 = 17-Reduktase
(ACTH) stimuliert die Expression mehrerer Enzyme der Steroidhormonsynthese, unter anderem fördert es den ersten Schritt, die Mobilisierung von Cholesterin. Darüber hinaus stimulieren unphysiologisch hohe Konzentrationen von Kortikotropin (ACTH) einerseits die Lipolyse und andererseits die Insulinausschüttung (wobei Insulin die Lipolyse wieder hemmt, 7 Kap. 10.3.5). Kortikotropin (ACTH) beeinflusst schließlich die Funktion von Lymphozyten. Neben seiner Wirkung auf die POMC-Zellen aktiviert Kortikoliberin (CRH) den Sympathikus und mindert die Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme.
hemmt und durch Adiuretin (ADH), Noradrenalin (α), Angiotensin II, Atriopeptin (ANF), Vasoactives intestinales Peptid (VIP), Interleukine, Histamin, Serotonin und Cholecystokinin stimuliert. Die Ausschüttung folgt einer ausgeprägten Tagesrhythmik. Kortisol erreicht in den frühen Morgenstunden (6 Uhr) einen Gipfel und fällt normalerweise während des Tages laufend ab. Wichtigster Stimulus für die Ausschüttung von Kortikoliberin (CRH), Kortikotropin (ACTH) und Kortisol ist Stress. Die Kortisolausschüttung ist bei schwerer physischer (z. B. Arbeit, Infektionen) und psychischer (z. B. Angst) Belastung, bei Schmerzen, Blutdruckabfall und Hypoglykämie gesteigert.
Negative Rückkopplung der Kortisolausschüttung. Die
Ausschüttung von Kortikoliberin (CRH) und Kortikotropin (ACTH) wird durch die Kortisolkonzentration im Blut gehemmt. Diese negative Rückkopplung dient der Regulation der Plasmakonzentration von Kortisol. Bei Hemmung der Kortisolbildung (z. B. durch den diagnostisch genutzten 11β-Hydroxylase-Hemmer Metopiron) wird normalerweise die Ausschüttung von CRH und ACTH gesteigert. Stimulatoren der Kortisolausschüttung. Die Ausschüttung
von Kortikotropin (ACTH) wird durch Endorphine ge-
Stoffwechselwirkungen. Die metabolischen Wirkungen
von Kortisol zielen auf eine Bereitstellung von Energiesubstraten ab (. Abb. 10.9): Durch Stimulation der Lipolyse werden Fettsäuren freigesetzt, die in der Leber z. T. zur Bildung von Ketonkörpern (Azetazetat und β-Hydroxybutyrat), z. T. zur Bildung von VLDL verwendet werden. Die Aufnahme von Glukose in Fettzellen und die Lipogenese werden durch Kortisol gehemmt. Im Muskel werden Aufnahme und Verbrauch von Glukose eingeschränkt. Durch
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260
Kapitel 10 · Hormonale Regulation
. Abb. 10.9. Wirkungen der Nebennierenrindenhormone
10
Abbau von Proteinen in der Peripherie (Bindegewebe, Muskel und Knochengrundsubstanz) werden Aminosäuren bereitgestellt. Die Aminosäuren werden in der Leber z. T. zur Synthese von Plasmaproteinen, z. T. zur Glukoneogenese eingesetzt. Die gesteigerte Glukosebildung in der Leber und der herabgesetzte Glukoseverbrauch in der Peripherie begünstigen einen Anstieg der Plasmakonzentration von Glukose. Wirkungen auf Blutzellen, Immunabwehr und Wundheilung (immunsuppressive bzw. entzündungshemmende Wirkung). Glukokortikoide hemmen Zellteilung und Wachs-
tum, sie hemmen die Kollagensynthese und stören auf diese Weise Reparationsvorgänge bei Verletzungen oder Entzündungen. Glukokortikoide erzielen diese Wirkungen z. T. über Stimulation der Expression von Vasocortin, das die Histaminausschüttung unterdrückt, und Lipocortin, das die Phospholipase A2 hemmt. Aufgrund ihrer hemmenden Wirkung auf die Immunabwehr werden Glukokortikoide therapeutisch bei Erkrankungen eingesetzt, die durch überschießende Immunabwehr verursacht werden. Dabei nimmt man freilich die anderen Wirkungen der Hormone in Kauf. Wirkungen auf den Knochen. Im Knochen hemmen die
Glukokortikoide die Tätigkeit der Osteoblasten und fördern die Tätigkeit der Osteoklasten. Darüber hinaus hemmen sie die intestinale Absorption und renale Resorption
von Ca2+. Unter dem Einfluss der Glukokortikoide überwiegt demnach der Knochenabbau. Wirkungen auf den Magen. Glukokortikoide stimulieren die Sekretion der Salzsäure im Magen. Gleichzeitig hemmen sie die Schleimproduktion und die Bildung vasodilatierender Prostaglandine. Unter dem Einfluss von Glukokortikoiden ist die Magenschleimhaut damit in geringerem Maße gegen die aggressive Wirkung der sezernierten Salzsäure geschützt. Wirkungen auf Lunge und Kreislauf. Im Feten fördern die Glukokortikoide die Entwicklung der Lunge und die rechtzeitige Bildung von Surfactants. An Herz und Gefäßen wirken Glukokortikoide u. a. über Stimulation der Ausschüttung von Katecholaminen. Dadurch steigern sie einerseits die Herzkraft und andererseits den peripheren Widerstand. Folge ist eine Steigerung des Blutdrucks. Wirkungen auf die Niere. Glukokortikoide passen auch in den Mineralokortikoidrezeptor und können eine relevante mineralokortikoide Wirkung ausüben, d. h. sie fördern die renale Retention von Na+ und die renale Eliminierung von K+. Andererseits hemmen sie die Adiuretin(ADH-)Ausschüttung. Über eine Hypervolämie begünstigen sie einen Blutdruckanstieg, der durch gesteigerte Katecholaminwirkung verstärkt wird. In den Zielzellen der
261 10.3 · Energiehaushalt und Wachstum
Mineralokortikoide (u. a. Niere) werden Glukokortikoide allerdings sehr schnell durch eine 11β-HydroxysteroidDehydrogenase inaktiviert. Obwohl das wichtigste Glukokortikoid Kortisol eine um den Faktor 100 höhere Plasmakonzentration an freiem Hormon aufweist als das wichtigste Mineralokortikoid Aldosteron, ist die mineralokortikoide Wirkung von Kortisol daher normalerweise weitaus geringer als die von Aldosteron. Glukokortikoide steigern die Ausschüttung von Atriopeptin (ANF, 7 Kap. 10.2.2) und die glomeruläre Filtrationsrate in der Niere. ! Glukokortikoidüberschuss und -mangel ziehen Stoffwechsel, Immunabwehr, Herz, Kreislauf, Niere, Magen und Knochen in Mitleidenschaft
nulozyten gesteigert, die Immunabwehr jedoch durch Verminderung der Lymphozyten und Drosselung der Ausschüttung von Entzündungsmediatoren beeinträchtigt. Durch die Hemmung von Zellproliferation und Kollagensynthese ist die Wundheilung erschwert. Ein Mangel an Kollagenfasern schwächt die Festigkeit des Bindegewebes und es kommt in der Haut zu Striae distensae. Bei Kindern ist das Knochenwachstum verzögert, beim Erwachsenen kann der Knochenabbau zu Osteoporose führen. Die gesteigerte mineralokortikoide Wirkung unterstützt die Entwicklung der Hypertonie, senkt die Plasma-K+-Konzentration und begünstigt die Entwicklung einer metabolischen Alkalose. Ursachen eines Mangels. Ein Mangel an Glukokortikoiden
Ursachen eines Überschusses. Ein Überschuss an Gluko-
kortikoiden kann Folge einer gesteigerten Kortikotropin(ACTH-)Ausschüttung durch die Hypophyse (Morbus Cushing) oder durch einen dedifferenzierten Tumor (z. B. kleinzelliges Bronchialkarzinom) sein. Andererseits kann die Ausschüttung von Glukokortikoiden auch ohne vermehrte Kortikotropinausschüttung bei einem Nebennierentumor gesteigert sein (primärer Hyperkortisolismus, Cushing-Syndrom). Dabei ist die Ausschüttung von Kortikotropin (ACTH) durch negative Rückkopplung erniedrigt. Häufig ist ein Überschuss an Glukokortikoiden Folge einer therapeutischen Zufuhr durch den Arzt (iatrogen). Auch dabei ist die ACTH-Ausschüttung unterdrückt. Folgen eines Überschusses. Ein Überschuss an Glukokortikoiden fördert den Abbau von Fett und Proteinen (v. a. Muskeln, Bindegewebe, Knochengrundsubstanz) in der Peripherie (v. a. Extremitäten). Die Glykolyse ist gehemmt und die Glukoneogenese gesteigert. Die resultierende Hyperglykämie stimuliert die Ausschüttung von Insulin, dessen lipogenetische Wirkung die lipolytische Wirkung von Glukokortikoiden am Rumpf, nicht aber in den Extremitäten übersteigt. Die Folge ist eine Umverteilung des Fettgewebes zugunsten von Stamm und Nacken (Vollmondgesicht, Stammfettsucht, Stiernacken). Ist die Insulinausschüttung unzureichend, kann sich ein Diabetes mellitus entwickeln (Steroiddiabetes). Der Anstieg an freien Fettsäuren fördert die hepatische Bildung von VLDL. Die Wirkungen auf den Kreislauf führen zu Blutdruckanstieg, die Wirkungen auf den Magen zu Schleimhautläsionen (Magenulkus). Im Blut sind die Konzentrationen von Erythrozyten, Thrombozyten und neutrophilen Gra-
kann durch herabgesetzte Ausschüttung von Kortikotropin (ACTH) oder eine gestörte Bildung von Glukokortikoiden in der Nebennierenrinde hervorgerufen werden. Eine primäre Nebenniereninsuffizienz (z. B. durch entzündliche Zerstörung der Nebennieren) nennt man Morbus Addison. Die ACTH-Ausschüttung kann u. a. nach Entfernung eines kortisol- oder kortikotropinproduzierenden Tumors bzw. nach plötzlichem Absetzen einer Glukokortikoidtherapie unzureichend sein. Bei einem kortisol- oder kortikotropinproduzierenden Tumor oder unter einer Behandlung mit Glukokortikoiden sind nämlich durch die negative Rückkopplung die Kortikoliberin-(CRH-) und Kortikotropin-(ACTH-)Auschüttung unterdrückt. Folge ist eine Atrophie der POMC-Zellen und v. a. der Nebennierenrindenzellen. Dem plötzlichen Abfall der Plasmakortisolkonzentration kann dann nicht mit einer angemessenen ACTH-Ausschüttung gegengesteuert werden. Bei einem primären Defekt in der Nebennierenrinde ist hingegen die Ausschüttung von ACTH durch fehlende Rückkopplung gesteigert. Ist die Bildung von Glukokortikoiden durch einen genetischen Enzymdefekt eingeschränkt, dann führt das gesteigert ausgeschüttete Kortikotropin (ACTH) zu einer Hypertrophie der Nebennierenrinde und einer gesteigerten Bildung der Vorstufen von Kortisol. Die Hormone vor dem Enzymdefekt häufen sich an. Auf diese Weise können – je nach Enzymdefekt – vermehrt oder vermindert mineralokortikoid oder androgen wirksame Hormone gebildet werden. Beim 21β-Hydroxylase-Defekt werden z. B. gesteigerte Mengen an Androgenen bei herabgesetzter Bildung von Glukokortikoiden und Mineralokortikosteroiden gebildet, beim 11β-Hydroxylase-Defekt werden sowohl Androgene als auch Mineralokortikosteroide
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262
Kapitel 10 · Hormonale Regulation
(11-Desoxykortikosteron) vermehrt gebildet (adrenogenitales Syndrom). Folgen eines Mangels. Bei Kortisolmangel führt die Stimulation des Glukoseverbrauchs im Muskel zur Hypoglykämie, die zur Gegenregulation (v. a. durch Adrenalin) zwingt. Damit kommt es indirekt zu gesteigerter Glykogenolyse, Lipolyse, Proteinabbau, Muskelschwund und Gewichtsverlust. Die herabgesetzte Kortisolwirkung auf den Kreislauf führt zu lebensbedrohlichem Blutdruckabfall, der durch die Na+- und Wasserverluste bei herabgesetzter mineralokortikosteroider Wirkung verstärkt wird. Im Blut ist bei Kortisolmangel die Zahl an Erythrozyten, Thrombozyten und neutrophilen Granulozyten vermindert, die Zahl an Lymphozyten und eosinophilen Granulozyten erhöht. Die Sekretion von Salzsäure im Magen ist eingeschränkt. Bei primärem Mangel an Nebennierenrindenhormonen ist wegen der gesteigerten Stimulation der POMC-Zellen durch Kortikoliberin (CRH) die Ausschüttung von Kortikotropin (ACTH) und Melanotropin gesteigert, die Wirkung von Melanotropin führt zur Braunfärbung der Haut (Morbus Addison).
10.3.4
10
Insulin
! Insulin wird bei Überschuss an Energiesubstraten (v. a. Glukose) ausgeschüttet und fördert die Anlegung von Energiespeichern
nen Anstieg der Plasmakonzentrationen von Glukose, Aminosäuren (v. a. Leucin, aber auch Arginin und Alanin), Azetazetat und in weit geringerem Ausmaß von Fettsäuren gefördert. Die Plasmaglukosekonzentration ist der weitaus wichtigste Regulator der Insulinausschüttung. Zelluläre Mechanismen der Insulinausschüttung. Glukose wirkt z. T. über eine Beeinflussung der Ionenkanäle an der Zellmembran (. Abb. 10.10). Glukose wird in die B-Zelle aufgenommen und glykolytisch abgebaut. Dabei entsteht ATP, das ATP-sensitive K+-Kanäle (KATP-Kanäle) in der Zellmembran hemmt. Diese Kanäle sind zur Aufrechterhaltung des Zellmembranpotenzials erforderlich. Ihre Hemmung hat eine Depolarisation zur Folge, die spannungsabhängige Ca2+-Kanäle öffnet. Die folgende Erhöhung der intrazellulären Ca2+-Konzentration führt dann zur Stimulation der Insulinausschüttung. Die Glukokinase, welche Glukose in die Glykolyse einschleust, hat in den B-Zellen eine ungewöhnlich geringe Affinität und wird erst bei 10 mmol/l Glukose halb gesättigt. Damit ist gewährleistet, dass die Insulinausschüttung auch bei hohen Glukosekonzentrationen noch auf deren Änderungen reagiert. Eine Hemmung der KATP-Kanäle führt auch unabhängig von Glukose zu einer Depolarisation der Zellmembran und damit zur Insulinausschüttung. Durch Hemmung der KATP-Kanäle stimulieren Sulfonylharnstoffe die Ausschüttung von Insulin (orale Antidiabetika). Durch den Einfluss auf das Membranpotenzial wirkt Hyperkaliämie fördernd, Hypokaliämie hemmend auf die Insulinausschüttung.
Bildungsort. Insulin wird in den B-Zellen der Langerhans-
Inseln des Pankreas gebildet. Die B-Zellen stellen 80 % der Inselzellen, 15 % sind glukagonproduzierende A-Zellen und nur wenige Zellen bilden Somatostatin (D-Zellen) oder das pankreatische Polypeptid. Insulinsynthese. Insulin ist ein Peptid (51 Aminosäuren) aus zwei Ketten, einer A-Kette mit 21 Aminosäuren und einer B-Kette mit 30 Aminosäuren, die über zwei Disulfidbrücken miteinander verbunden sind. Insulin wird durch Abspaltung eines C-Peptids aus Proinsulin gebildet. Das C-Peptid wird gemeinsam mit Insulin ausgeschüttet. Seine Plasmakonzentration ist ein Maß für die Insulinausschüttung. Wirkung von Substraten auf die Insulinausschüttung. Die Ausschüttung von Insulin ist pulsierend. Sie wird durch ei-
. Abb. 10.10. Regulation der Insulinausschüttung durch Glukose. Glukose wird in die Zelle aufgenommen und abgebaut. Dabei entsteht ATP, das die ATP-sensitiven K+-Kanäle hemmt. Der herabgesetzte Ausstrom von K+ führt zur Depolarisation der Zellmembran und damit zur Öffnung von spannungssensitiven Ca2+-Kanälen. Ca2+ strömt ein und stimuliert die Insulinausschüttung
263 10.3 · Energiehaushalt und Wachstum
Zeitverlauf der Insulinausschüttung. Wird die Glukose-
konzentration im Blut plötzlich gesteigert und dann auf dem erhöhten Wert gehalten, kommt es zu einer biphasischen Insulinausschüttung: Eine schnelle transiente Insulinausschüttung innerhalb der ersten 10 Minuten wird gefolgt von einer zweiten, langsamer ansteigenden Ausschüttung des Hormons. Bei anhaltend hohen Glukosekonzentrationen nimmt die Insulinausschüttung nach etwa 2 – 3 Stunden wieder ab. Stimulation der Insulinausschüttung durch Hormone und Transmitter. Die Insulinausschüttung wird durch Acetyl-
cholin (wirkt z. T. über depolarisierende Na+-Kanäle), Cholecystokinin (wirkt über InsP3 und Diacylglyzerol), sowie durch Glukagon, glukagon like peptide (GLP), Sekretin, gastric inhibitory peptide (GIP), Gastrin, Pankreozymin, Kortikotropin und Somatotropin (wirken über cAMP) stimuliert. Die Hormone sensibilisieren die B-Zellen für den Einfluss von Glukose auf die Insulinausschüttung. Bei niederen Plasmaglukosekonzentrationen sind die Hormone jedoch wirkungslos. Die verstärkende Wirkung von Acetylcholin und von gastrointestinalen Hormonen auf die Insulinausschüttung kommt bei Nahrungszufuhr zum Tragen: Bereits bevor die Nahrungsbestandteile enteral absorbiert werden, also bevor es zu einem deutlichen Anstieg der Plasmakonzentrationen von Glukose und Aminosäuren kommt, wird die Insulinausschüttung gesteigert. Daher fällt die Insulinausschüttung bei oraler Glukosezufuhr deutlich stärker aus als bei intravenöser Zufuhr von Glukose. Der Sympathikus mindert über Noradrenalin (α2-Rezeptoren) und den Cotransmitter Galanin die Insulinausschüttung. Sie wirken zumindest teilweise über eine Aktivierung von K+-Kanälen, die zur Hyperpolarisation der Zellen führt. Selektive Aktivierung von β-Rezeptoren stimuliert die benachbarten A-Zellen zur Ausschüttung von Glukagon, das wiederum parakrin die Insulinausschüttung fördert. Die Insulinausschüttung wird durch Somatostatin gehemmt, das in benachbarten D-Zellen der LangerhansInseln gebildet und ausgeschüttet wird. Dessen Ausschüttung wird durch Glukose, Aminosäuren, Fettsäuren, Acetylcholin, Adrenalin (β-Rezeptoren), Glukagon, vasoactive intestinal peptide (VIP), Sekretin und Cholecystokinin stimuliert. Stoffwechselwirkungen von Insulin. Das im Pankreas ausgeschüttete Insulin gelangt zunächst mit dem Pfortaderblut in die Leber, wo die Hormonkonzentration daher ein Vielfaches der Konzentration im peripheren Blut beträgt.
Die Wirkungen von Insulin zielen zunächst auf eine Speicherung der Energiesubstrate ab (. Abb. 10.11). Insulin stimuliert die zelluläre Aufnahme (v. a. in Muskel- und Fettzellen) von Glukose, Aminosäuren und Fettsäuren, fördert den Abbau von Triglyzeriden in Chylomikronen des Blutes, beeinflusst die Aufnahme freiwerdender Fettsäuren und Glyzerin in das Fettgewebe und die Speicherung dieser als Triglyzeride, stimuliert die Bildung von Glykogen und von Proteinen, hemmt die Lipolyse, bremst die Glykogenolyse, Proteolyse und Glukoneogenese und stimuliert die Glykolyse. Wirkungen auf Elektrolyte. Insulin wirkt z. T. über eine Ak-
tivierung des Na+/H+-Austauschers und des Na+-K+-2 Cl-Cotransporters in der Zellmembran. Die Aktivität beider Carrier führt zu einer Zellschwellung, die – zumindest in der Leber – den Abbau der Makromoleküle (Glykogen und Proteine) hemmt. Die Aktivierung des Na+/H+-Austauschers führt ferner zu einer zellulären Alkalose. Da die Schrittmacherenzyme der Glykolyse ihr pH-Optimum im alkalischen Bereich haben, stimuliert Insulin über eine intrazelluläre Alkalose die Glykolyse. Das über den Na+/H+Austauscher in die Zelle gelangte Natrium wird durch die Na+/K+-ATPase im Austausch gegen K+ wieder aus der Zelle gepumpt. Folge ist eine zelluläre Aufnahme von K+. Die Bindung von Phosphat an die in die Zelle aufgenommene Glukose führt ferner zu einer zellulären Aufnahme von
. Abb. 10.11. Zelluläre Wirkungen von Insulin. Insulin stimuliert (in Fett- und Muskelzellen) die zelluläre Aufnahme von Aminosäuren (As), Fettsäuren (Fs), Glukose (Glc), Phosphat (Pi) und Mg2+. Die Substrate werden zu Proteinen (Pr), Glykogen (Glg) und Triglyzeriden (TG) aufgebaut. Ferner stimuliert Insulin den Na+/H+-Austauscher, den Na+-K+2Cl--Cotransport und die Na+/K+-ATPase. Folgen sind zelluläre K+-Aufnahme und intrazelluläre Alkalose. Die Alkalose stimuliert die Glykolyse und begünstigt die Zellteilung
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264
Kapitel 10 · Hormonale Regulation
Phosphat. Schließlich fördert Insulin die zelluläre Aufnahme von Mg2+. Weitere Wirkungen von Insulin. Insulin stimuliert die renaltubuläre Na+-Resorption und steigert die Herzkraft. Insulin fördert die Zellteilung und begünstigt das Längenwachstum. ! Insulinmangel führt zu Diabetes mellitus, Insulinüberschuss zu Hypoglykämie
Insulinmangel. Ein Mangel an Insulin kann absolut oder
10
relativ sein: Ein absoluter Insulinmangel ist meist Folge einer Zerstörung der B-Zellen (Typ 1, früher juveniler Diabetes). In der Regel ist die Ursache eine Autoimmunerkrankung, bei welcher die Inselzellen durch das eigene Immunsystem vernichtet werden. Der absolute Insulinmangel ist auf Zufuhr von Insulin angewiesen (insulin dependent diabetes mellitus, IDDM). Beim relativen Mangel an Insulin (Typ 2, früher Altersdiabetes) ist die Insulinkonzentration im Blut mitunter sogar erhöht, die Zielorgane sind jedoch relativ unempfindlich gegen das Hormon. Ursache ist eine Down-Regulation der Rezeptoren oder genetische Defekte der Rezeptoren oder von Elementen intrazellulärer Signaltransduktion. Die Patienten mit relativem Insulinmangel leiden häufig unter Fettleibigkeit, welche die Insulinempfindlichkeit der Peripherie herabsetzt. Ein relativer Mangel an Insulin kann schließlich bei gesteigerter Ausschüttung von Hormonen auftreten, die die Plasmaglukosekonzentration steigern, wie Somatotropin, Schilddrüsenhormone, Glukagon, Glukokortikoide (Steroiddiabetes) und Katecholamine. Der relative Insulinmangel kann durch Diät und orale Antidiabetika behandelt werden (non insulin dependent diabetes mellitus, NIDDM). Unmittelbare Folgen des absoluten Mangels an Insulin. Ein
Insulinmangel führt zu Einschmelzung von Glykogen, Fett und Proteinen und zu einem Anstieg der Plasmakonzentrationen von Glukose, Aminosäuren und Fettsäuren. Die Akkumulation von Fettsäuren, Azetazetat und β-Hydroxybutyrat führt zur metabolischen Azidose. Die respiratorische Kompensation der metabolischen Azidose erfordert eine vertiefte Atmung (Kußmaul-Atmung), der verzögerte Abbau von Lipoproteinen führt zur Hyperlipoproteinämie. Übersteigt die Plasmaglukosekonzentration die Nierenschwelle (7 Kap. 9.10), so kommt es zur Glukosurie und
durch die nichtresorbierte Glukose zur osmotischen Diurese mit entsprechenden Verlusten an Wasser und Elektrolyten. Die Notwendigkeit, häufig große Mengen Wasser zu lassen, kann ein erster Hinweis auf das Vorliegen eines Diabetes mellitus sein. Die Patienten sind meist dehydriert. Die Zellen verlieren K+ und Phosphat, die sie bei Zufuhr von Insulin wieder aufnehmen. Die Zufuhr von Insulin bei einem Patienten mit Diabetes mellitus zieht daher eine mitunter lebensbedrohliche Abnahme der K+- und Phosphatkonzentration im Plasma nach sich. Die Störungen des Energiehaushaltes sowie des Wasserund Elektrolythaushalts bei »entgleistem« Diabetes mellitus kann die Funktion des Nervensystems massiv beeinträchtigen, sodass Bewusstlosigkeit auftritt (Coma diabeticum). Folgen des relativen Mangels an Insulin. Beim relativen
Insulinmangel überwiegt die Hyperglykämie, da die Wirkungen auf den Lipid- und Proteinstoffwechsel geringere Konzentrationen des Hormons erfordern als die Wirkungen auf den Kohlenhydratstoffwechsel. So tritt bei relativem Insulinmangel z. B. kaum Azidose auf. Folgen von anhaltendem Insulinmangel. Anhaltender Insulinmangel führt vor allem durch Hyperglykämie und Hyperlipidämie zu einer Reihe von weiteren Störungen. Sie ziehen v. a. die Gefäße in Mitleidenschaft. Es wird vermehrt Bindegewebe gebildet. Folgen sind u. a. Herzinfarkte, Zerstörung der Nieren (diabetische Nephropathie) periphere Durchblutungsstörungen und Zerstörung der Netzhaut des Auges (diabetische Retinopathie). Insulinüberschuss. Am häufigsten ist ein Insulinüberschuss
Folge zu hoher Dosierung von Insulin oder oralen Antidiabetika bei der Behandlung eines Diabetes mellitus. Seltener ist die Ursache eines Insulinüberschusses ein insulinproduzierender Tumor oder eine inadäquate Stimulation der Insulinausschüttung. Bei hohen Aminosäurekonzentrationen im Blut, z. B., kann die Insulinausschüttung für die Plasmaglukosekonzentration zu hoch sein. Folgen eines Insulinüberschusses. Wichtigste Folge eines
Insulinüberschusses ist eine häufig bedrohliche Hypoglykämie, die zur Aktivierung des Sympathikus mit den entsprechenden Auswirkungen führt (u. a. Tachykardie, Blutdruckanstieg, Schweißausbruch und Zittern). Die Hypoglykämie gefährdet insbesondere die Funktion und das Überleben von Hirnzellen, die ja auf Glukose als Energieträger angewiesen sind.
265 10.3 · Energiehaushalt und Wachstum
10.3.5
Glukagon
! Die Aufgabe von Glukagon ist in erster Linie die Bereitstellung von Substraten für die Energieversorgung bei Hypoglykämie oder gesteigertem Energiebedarf
dabei jedoch der gleichzeitige Insulinmangel. Der isolierte Mangel von Glukagon zieht keine tiefgreifenden Störungen nach sich, da er durch Ausschüttung agonistischer Hormone (u. a. Adrenalin) und durch herabgesetzte Ausschüttung von Insulin kompensiert werden kann.
Glukagonausschüttung. Glukagon ist ein Peptid (29 Amino-
säuren), das in A-Zellen der Langerhans-Inseln des Pankreas und in Intestinalzellen aus einer Vorstufe (Präproglukagon) gebildet wird. Aus Präproglukagon entstehen auch glucagonlike peptides (GLP), die Glukagon sehr ähnlich sind. Die Ausschüttung von Glukagon wird durch Hypoglykämie, Anstieg der Aminosäurenkonzentration und Abfall der Konzentration an freien Fettsäuren stimuliert. Darüberhinaus wird die Glukagonausschüttung durch Acetylcholin, Adrenalin (α-Rezeptoren) und gastrointestinale Hormone gefördert. Die Ausschüttung wird durch den Transmitter γ-Aminobuttersäure (GABA) und durch Somatostatin gehemmt.
Glukagonüberschuss. Ein Überschuss an Glukagon durch
Glukagonwirkungen. Die Wirkungen des Glukagon zielen zunächst auf eine Mobilisierung von Energiesubstraten ab. Glukagon fördert die Glykogenolyse, die Lipolyse, die Bildung von Ketonkörpern aus Fettsäuren, den Abbau von Proteinen und die Glukoneogenese aus Aminosäuren. Die Wirkungen von Insulin und Glukagon sind somit weitgehend antagonistisch. Bei Zufuhr von Aminosäuren verhindert die Ausschüttung beider Hormone eine Änderung der Plasmakonzentrationen von Glukose und freien Fettsäuren. Weitere Wirkungen von Glukagon bestehen in einer Steigerung der Herzkraft (bei sehr hohen Konzentrationen) sowie einer Steigerung der renalen glomerulären Filtrationsrate.
Freisetzung. Adrenalin wird aus dem Nebennierenmark freigesetzt. Seine Freisetzung wird durch das vegetative Nervensystem reguliert (7 Kap. 14).
Glukagonmangel. Ein Mangel an Glukagon tritt bei Schädigungen des Pankreas auf. Im Vordergrund steht
einen Tumor der A-Zellen ist selten. Er erfordert eine gesteigerte Ausschüttung von Insulin. Dabei kann es zu einem relativen Mangel an Insulin kommen.
10.3.6
Adrenalin
! Adrenalin wird bei physischer oder psychischer Bedrohung ausgeschüttet und mobilisiert alle Reserven im Kampf ums Überleben
Wirkungen. Adrenalin führt zu einer Dilatation der Gefäße
v. a. in Herz, Muskeln und Leber, und zu einer Kontraktion von Gefäßen in Haut, Darm und Niere. Adrenalin hemmt die Darm-, Blasen- und Uterusmuskulatur und aktiviert die Sphinktere am Darm- und Blasenausgang. Es weitet die Atemwege durch Hemmung der Bronchialmuskulatur. Es stimuliert Glykogenolyse und Lipolyse und beeinflusst die Ausschüttung der meisten Hormone. Es stimuliert die Kontraktion der Mm. arrectores pilorum und des musculus dilatator pupillae. Schließlich mobilisiert Adrenalin Leukozyten, begünstigt Thrombozytenaggregation und stimuliert die Speicheldrüsen.
10
266
Kapitel 10 · Hormonale Regulation
In Kürze
Energiehaushalt und Wachstum STH, Somatotropin 4 Aminosäuren (v. a. Arginin), Hypoglykämie, Glukagon, Schilddrüsenhormone, Östrogene, Dopamin, Serotonin, Noradrenalin (α), Endorphine, NREM-Schlaf, Stress, Gestagene p, Thyroliberin p, Adrenalin (β) p, GABA, Adipositas p, Kälte p, Alter p o GHRH n, Somatostatin p (Hypothalamus) o Somatotropinausschüttung n (Hypophyse) 4 Wirkungen: IGF n (Leber), Längenwachstum Knochen n, Hypertrophie Eingeweide n, Proteinsynthese n, Lipolyse n, Glukoneogenese aus Aminosäuren p, Glukoseaufnahme p, Glykolyse p (o Hyperglykämie), renale Elektrolytausscheidung p, Zellproliferation (o Knochenwachstum, Erythropoiese), Immunabwehr n 4 Tumor o Somatotropinüberschuss o Riesenwuchs (bzw. nach Epiphysenschluss Akromegalie), Größenzunahme Eingeweide (Makroglossie) 4 Hypophyseninsuffizienz (Leberinsuffizienz) o Somatotropinmangel (IGF-Mangel) o Klein- bzw. Zwergwuchs, Überwiegen Proteinabbau, eingeschränkte Immunabwehr
10
Gallensäuren n, Umsatz von Bindegewebsgrundsubstanz n, Vitamin-A-Synthese aus Karotin n, Herzfrequenz n, Herzkraft n, systolischer Blutdruck n, diastolischer Blutdruck p, renaler Blutfluss n, GFR n, renaltubulärer Transport n, Schweiß- und Talgdrüsenaktivität n, Darmmotilität n, neuromuskuläre Erregbarkeit n, Grundumsatz n 4 Thyrotropin p, Jodmangel, Enzymdefekte, Schädigung Schilddrüse o T3/T4-Mangel o gestörte geistige Entwicklung (Hörverlust), Verzögerung Längenwachstum (Kretinismus), neuromuskuläre Erregbarkeit p, Hyporeflexie, Antriebslosigkeit, Depressionen, Fettgewebe n, Hypercholesterinämie, Grundumsatz p, Hypoglykämie, Ablagerung Glykosaminoglykane (Myxödem), kalte, trockene schuppige Haut, Obstipation, (bei primärem Mangel an T3/T4 Struma) 4 Thyrotropin n, T3/T4–produzierendes Adenom, aktivierende Autoantikörper gegen TSH-Rezeptor (M. Basedow) o T3/T4-Überschuss (Hyperthyreose ± Struma) o Herzfrequenz (bis zu Vorhofflimmern) n, Blutdruckamplitude n, Hyperreflexie, Zittern, Schlaflosigkeit, Durchfälle, Grundumsatz n, Schwitzen, Fettgewebe p, Proteinabbau n, im Blut freie Fettsäuren n, Cholesterin p (bei M. Basedow: Antikörper o retrobulbäre Entzündung und Schwellung o Exophthalmus)
Schilddrüsenhormone T3, T4 4 Synthese: Jodaufnahme in Thyrozyten durch Na+-J-Symporter basolateral o Ausstrom luminal o Oxidation o Kopplung an Tyrosinreste von Thyreoglobulin Glukokortikoide 4 Endorphine p, ADH n, Noradrenalin (α) n, Angioteno Mono-, Dijodtyrosin-Thyreoglobulin o Übertrasin II n, Atriopeptin n, VIP n, Interleukine n, Histamin n, gung von jodiertem Tyrosinrest auf zweiten jodierten Serotonin n, Cholecystokinin n, Tagesrhythmik (frühe Tyrosinrest (unter Abspaltung von Alanin) o ThyreoMorgenstunden) n, Stress (Arbeit, Infektionen, Angst, globulin-T4 (3,5,3´,5´-Tetrajodthyronin) und Thyreoglobulin-T3 (3,5,3´-Trijodthyronin) o Bei Bedarf EndoSchmerzen, Blutdruckabfall, Hypoglykämie) n o CRH zytose o Abspaltung T3/T4 o Ausschüttung o Plasmao ACTH (+ γ-Melanotropin, β-Lipotropin) o Zona proteinbindung o peripher T4 zu T3 fasciculata Nebennierenrinde o Kortisolausschüt4 Somatostatin p, Dopamin p, Glukokortikoide p, Nortung 4 Wirkungen: Lipolyse n; Fettsäuren n; Azetazetat n; adrenalin (α) n Östrogene n o TRH o TSH o Schildβ-Hydroxybutyrat n, Glukoseaufnahme in Fettzellen p; drüsenwachstum, T3/T4-Ausschüttung o Thyrotropin p Lipogenese p; muskuläre Glukoseaunahme p; Protein4 Wirkungen: geistige, körperliche Entwicklung n; Soabbau Peripherie (Bindegewebe, Muskel und Knochenmatotropin (o Längenwachstum Knochen) n, Synthegrundsubstanz) n; Plasmaproteinsynthese n; Glukonese Proteine (Enzyme, Transportproteine [Na+/K+-ATogenese n; Glukoseplasmakonzentration n; ThromboPase], G-Proteine, Rezeptoren) n, Glukoseabsorption n, zyten n; Blutgerinnung n; neutrophile Granulozyten n; Glykogenolyse (Leber) n, Glukoneogenese n, Glykoeosinophile, basophile Granulozyten, Monozyten, Lymlyse n, Lipolyse n, VLDL-Abbau n, Cholesterinumbau in phozyten p. Entzündungsmediatoren (Prostaglandine, 6
267 10.3 · Energiehaushalt und Wachstum
Interleukine, Lymphokine, Histamin, Serotonin) p; Freisetzung lysosomaler Enzyme p; Apoptose T-Lymphozyten (o Immunsuppression); Zellteilung p; Wachstum p, Kollagensynthese p, Gewebereparatur p. Osteoblasten p; Osteoklasten n;intestinale Absorption und renale Resorption von Ca2+ p (o Knochenabbau): HCl-Sekretion Magen n; Schleimproduktion, Prostaglandinsynthese Magen p; Lungenreifung und Surfactantbildung n; Herzkraft n, peripherer Widerstand n, Blutdruck n; GFR n; schwache mineralokortikoide Wirkung; ADH p; Atriopeptin n 4 ACTH-produzierender Tumor (Morbus Cushing), primär gesteigerte Kortisolausschüttung (Cushing-Syndrom), iatrogene Zufuhr o Überschuss an Glukokortikoiden o Abbau peripheres Fett, Proteine (Muskeln, Bindegewebe, Knochengrundsubstanz), Glykolyse p, Glukoneogenese n o Hyperglykämie o Insulin n o Lipogenese o Vollmondgesicht, Stammfettsucht, Stiernacken; Steroiddiabetes; VLDL n; Blutdruckanstieg; Magenulzera; Erythrozyten n, Thrombozyten n, neutrophile Granulozyten n; Immunabwehr p; Wundheilung p; Striae distensae; bei Kindern Knochenwachstum p; beim Erwachsenen Osteoporose; Plasma-K+-Konzentration p; metabolische Alkalose 4 ACTH p, primär gestörte Bildung von Glukokortikoiden (Morbus Addison) o Kortisolmangel o Blutdruckabfall; Erythrozyten, Thrombozyten, neutrophilen Granulozyten p, Lymphozyten und eosinophile Granulozyten n. HCl-Sekretion Magen p; Glukoseverbrauch im Muskel n o Hypoglykämie o Adrenalinausschüttung o Glykogenolyse, Lipolyse, Proteinabbau, Muskelschwund, Gewichtsverlust; CRHn o POMC-Zellen n o ACTH n, Melanotropin n (o Braunfärbung der Haut) 4 Genetischer Enzymdefekt o Kortisolbildung p o ACTH n o Hypertrophie der Nebennierenrinde und Bildung von Kortisolvorstufen n o mineralokortikoid oder androgen wirksame Hormone np o adrenogenitales Syndrom Insulin 4 Insulinausschüttung: Glukose n > Aminosäuren (v. a. Leucin, aber auch Arginin und Alanin) n > Azetazetat n >>> Fettsäuren n; Glukoseaufnahme o Glucoseabbau o ATP n o KATP-Kanäle p o Depolarisa6
4
4
4 4
4 4
4
tion o spannungsabhängige Ca2+-Kanäle n o Ca2+-Einstrom o intrazelluläre Ca2+-Konzentration o Insulinausschüttung Sulfonylharnstoffe (orale Antidiabetika) o KATP-Kanäle p o Insulinausschüttung n; Hyperkaliämie o Depolarisation o Insulinausschüttung n; Hypokaliämie o Hyperpolarisation o Insulinausschüttung p Acetylcholin (o depolarisierende Na+-Kanäle n), Cholecystokinin (InsP3 o Ca2+), Glukagon, glucagon like peptide (GLP), Sekretin, gastric inhibitory peptide (GIP), Gastrin, Pankreozymin, Kortikotropin und Somatotropin (o cAMPn) o Sensibilisierung der B-Zellen für Hyperglykämie Sympathikus (α2), Galanin, Somatostatin o Insulinausschüttung p Wirkungen: Zelluläre Aufnahme (v. a. Muskel-, Fettzellen) Glukose, Aminosäuren, Fettsäuren n, Abbau Triglyzeride in Chylomikronen n, Aufnahme Fettsäuren und Glyzerin in Fettgewebe n; Glykogenaufbau n, Proteinaufbau n, Lipolyse p, Glykogenolyse p, Proteolyse p, Glukoneogenese p, Glykolyse n; Na+/H+-Austauscher n, Na+-K+-2Cl--Cotransporter n; Na+/K+-ATPase n; Zellschwellung, Alkalose; zelluläre Aufnahme von K+, Phosphat, Mg2+, renaltubuläre Na+-Resorption n; Herzkraft n; Zellteilung n, Längenwachstum n Autoimmunerkrankung o Zerstörung der B-Zellen o absoluter Insulinmangel (Typ 1 Diabetes) Hyperalimentation o Übergewicht o Down-Regulation Insulinrezeptoren o periphere Insulinresistenz o relativer Mangel an Insulin (Typ 2 Diabetes); Somatotropin, Schilddrüsenhormone, Glukagon, Glukokortikoide (Steroiddiabetes) und Katecholamine o relativer Mangel an Insulin Akute Folgen Insulinmangel: Glykogen p, Fett p,Proteine p, Plasmakonzentrationen von Glukose n, Aminosäuren n, Lipoproteine n, Fettsäuren n, Azetazetat n, β-Hydroxybutyrat n (o metabolische Azidose o Kußmaul-Atmung); Hyperglykämie o Glukosurie o osmotische Diurese o Verluste an Wasser und Elektrolyten o Durst; zelluläre Verluste von K+, Phosphat [Verabreichung von Insulin o zelluläre Wiederaufnahme o Hypokaliämie, Hypophosphatämie]; Hyperglykämie, metabolische Entgleisung, Wasser-, Elektrolytstörungen o Coma diabeticum
10
268
Kapitel 10 · Hormonale Regulation
4 Folgen anhaltender Insulinmangel: Hyperglykämie, Hyperlipidämie o Schädigung von Gefäßen o Herzinfarkte, Zerstörung der Nieren (diabetische Nephropathie), periphere Durchblutungsstörungen und Zerstörung der Netzhaut des Auges (diabetische Retinopathie) 4 Überdosierung von Insulin (häufig), orale Antidiabetika (häufig), Aminosäuren Blut n (z. B.. Leberinsuffizienz), insulinproduzierender Tumor (sehr selten) o Insulinüberschuss o Hypoglykämie o Sympathikusaktivierung o Tachykardie, Blutdruckanstieg, Schweißausbruch, Zittern; Substratmangel Neurone o Bewusstlosigkeit (z. T. irreversible) Schädigung Gehirn Glukagon 4 Hypoglykämie, Aminosäuren n, freie Fettsäuren p, Acetylcholin n, Adrenalin (α) n, gastrointestinale Hormone n, GABA p, Somatostatin p o Glukagonaus-
10
schüttung o Glykogenolyse n, Lipolyse n, Bildung von Ketonkörpern aus Fettsäuren n, Proteolyse n, Glukoneogenese aus Aminosäuren n, Herzkraft n, GFR n 4 Schädigungen Pankreas o Glukagonmangel (klinisch wenig relevant) 4 Tumor der A-Zellen o Glukagonüberschuss o Insulinbedarf n Adrenalin 4 Vegetatives Nervensystem o Adrenalinausschüttung o Dilatation Gefäße in Herz, Muskeln, Leber, Kontraktion Gefäße in Haut, Darm, Niere; Darm-, Blasen- und Uterusmuskulatur p, Sphinkteren Darm- Blasenausgang n, Bronchialmuskulatur p, Glykogenolyse n, Lipolyse n, Hormonausschüttung np, Kontraktion Mm. arrectores pilorum, musculus dilatator pupillae n, Mobilisierung Leukozyten n, Thrombozytenaggregation n, Speicheldrüsensekretion n
11
11 Sexualentwicklung und Reproduktionsphysiologie 11.1
Geschlechtsfestlegung und Pubertät – 271
11.1.1 11.1.2
Geschlechtsentwicklung – 271 Störungen der Geschlechtsentwicklung – 271
11.2
Weibliche Sexualhormone
11.2.1 11.2.2 11.2.3 11.2.4
Regulation der weiblichen Sexualhormone – 272 Wirkungen der weiblichen Sexualhormone – 273 Überschuss und Mangel an weiblichen Sexualhormonen Oxytozin und Prolaktin – 274
– 272
11.3
Menstruationszyklus
11.3.1 11.3.2
Zyklusphasen – 275 Hormonelle Verhütungsmittel
11.4
Androgene – 276
11.4.1 11.4.2 11.4.3
Synthese und Regulation von Testosteron – 276 Testosteronwirkungen – 277 Störungen der Testosteronausschüttung oder Wirkung
11.5
Gameten
11.5.1 11.5.2
Oozyten – 279 Spermien – 279
11.6
Kohabitation und Befruchtung – 279
11.6.1 11.6.2
Kohabitation – 279 Befruchtung – 280
11.7
Schwangerschaft
11.7.1 11.7.2 11.7.3
Hormonelle Umstellung – 281 Plazenta – 281 Umstellung im mütterlichen Organismus
– 274
– 275 – 276
– 279
– 281
– 282
– 278
11.8
Fetus
– 283
11.8.1 11.8.2
Wachstum, Endokrines System Organentwicklung – 283
11.9
Geburt
11.9.1 11.9.2 11.9.3 11.9.4
Hormonelle und vegetativ-nervale Steuerung der Uteruskontraktionen Wehentätigkeit – 285 Anpassung des Neugeborenen – 285 Umstellung der Mutter nach der Geburt – 286
11.10
Laktation
11.10.1 11.10.2
Mechanismen und Regulation mütterlicher Milchproduktion Muttermilch – 287
11.11
Alter – 287
11.11.1 11.11.2
Wechseljahre, Menopause – 287 Hormonsubstitution – 287
– 283
– 285
– 286 – 286
– 285
271 11.1 · Geschlechtsfestlegung und Pubertät
> > Einleitung Fortpflanzung, Altern und Tod sind Voraussetzung für die ständige Erneuerung von menschlichem Leben. In Abhängigkeit von einem testisdeterminierenden Faktor auf dem Y Chromosom entwickeln sich männliche oder weibliche Gonaden, die männliche bzw. weibliche Sexualhormone bilden. Unter dem Einfluss der Sexualhormone entwickeln sich die inneren und äußeren Geschlechtsorgane, die sekundären Geschlechtsmerkmale und eine Vielzahl von extragenitalen Eigenschaften inklusive der psychischen Ausprägung. Damit werden Mann und Frau auf unterschiedliche Aufgaben in der Fortpflanzung vorbereitet.
11.1
Geschlechtsfestlegung und Pubertät
11.1.1
Geschlechtsentwicklung
mon unterdrückt. Die äußeren sekundären Geschlechtsmerkmale (Behaarung, Stimme) werden in erster Linie durch die Konzentrationen an Androgenen determiniert (7 Kap. 11.4.2), die Entwicklung weiblicher Genitale und einiger weiblicher Geschlechtsmerkmale werden durch Östrogene gefördert. Über die männliche oder weibliche Prägung des Gehirns entscheidet wahrscheinlich die Anwesenheit von Androgenen in der zweiten Schwangerschaftshälfte. Definition des Geschlechtes. Das Geschlecht kann nun aufgrund des Chromosomensatzes (XX bzw. XY), aufgrund der Gonaden (Ovar oder Testis), der inneren Genitale, der äußeren Erscheinungsform, aber auch der psychischen Geschlechterrolle definiert werden.
11.1.2
! Die Gonadenentwicklung wird durch den testisdeterminierenden Faktor geprägt, die Entwicklung von Geschlechtsorganen von Androgenen und Anti-MüllerHormon
Störungen der Geschlechtsentwicklung
! Intersexualität tritt auf, wenn sich die verschiedenen Geschlechtsmerkmale nicht eindeutig oder in unterschiedlicher Ausprägung ausbilden
Pseudohermaphroditismus. Beim PseudohermaphroditisGonadenentwicklung. Die Entwicklung der Gonadenan-
lagen zu Ovar oder Testis wird durch An- oder Abwesenheit des testisdeterminierenden Faktors (TDF) festgelegt, der auf der SRY (sex determining region of Y) des Y-Chromosoms kodiert wird und die Entwicklung der Testis bewirkt. Bei Fehlen des TDF entwickelt sich ein Ovar. Die Gonaden entscheiden über die Bildung von weiblichen oder männlichen Sexualhormonen. In den Leydig-Zwischenzellen der Testis wird Testosteron, in den Sertolizellen des Hodens Anti-Müller-Hormon (Müller-Inhibitionsfaktor, MIF) gebildet. Im Ovar werden Gestagene und Östrogene, aber in geringen Konzentrationen auch Androgene (vorwiegend Androstendion) gebildet. Umgekehrt bildet der Mann nicht nur Androgene, sondern auch Gestagene (z. T. Vorstufen der Testosteronbildung) und Östradiol (überwiegend durch periphere Umwandlung von Testosteron). Entwicklung der Geschlechtsorgane. Die Entwicklung der
Wolff-Gänge zum männlichen inneren Genitale (Nebenhoden und Samenleiter) wird von Androgenen gefördert, die Entwicklung von Müller-Gängen zum weiblichen inneren Genitale (Eileiter, Uterus, Vagina) vom Anti-Müller-Hor-
mus entsprechen die Gonaden dem Chromosomengeschlecht. Der männliche Pseudohermaphroditismus weist jedoch intersexuelle oder weibliche Geschlechtsmerkmale auf. Ursache kann Mangel an Gonadotropinen sein, z. B. bei Unterdrückung der Gonadotropinausschüttung durch gesteigerte Bildung weiblicher Sexualhormone durch einen Tumor. Weitere Ursachen sind defekte Hoden, fehlende Konversion von Testosteron in Dihydrotestosteron (5α-Reduktasemangel, 7 Kap. 11.4.2) sowie defekte Androgenrezeptoren. Der weibliche Pseudohermaphroditismus kann Folge iatrogener Zufuhr oder gesteigerter Bildung von Androgenen sein, wie bei einem androgenproduzierenden Tumor oder bei Enzymdefekten von Nebennierenrindenhormonen, die zu gesteigerter Bildung von Androgenen führen. Eine mangelhafte Bildung von weiblichen Sexualhormonen kann über Steigerung der Gonadotropinausschüttung die Bildung von Androgenen fördern.
11
272
Kapitel 11 · Sexualentwicklung und Reproduktionsphysiologie
In Kürze
Geschlechtsfestlegung und Pubertät Geschlechtsentwicklung 4 : Sex determining region of Y (SRY) o Testisdeterminierender Faktor (TDF) o Testis o Testosteron (Leydig-Zwischenzellen), Anti-Müller-Hormon (Sertolizellen) o Wolff-Gänge o Nebenhoden, Samenleiter 4 : Fehlender TDF o Ovar o Östrogene (Follikelzellen), Gestagene (Corpus luteum), fehlendes AntiMüller-Hormon o Müller-Gänge o Eileiter, Uterus, Vagina
11.2
Weibliche Sexualhormone
11.2.1
Regulation der weiblichen Sexualhormone
! Die Ausschüttung von Sexualhormonen wird durch Hypothalamus und Hypophyse über Gonadoliberine und Gonadotropine reguliert
11
Gonadotropine. Unter dem stimulierenden Einfluss pulsatil ausgeschütteten Gonadoliberins (GnRH) werden bei beiden Geschlechtern die Gonadotropine des Hypothalamus, Follitropin (FSH) und Lutropin (LH), freigesetzt. Die Gonadotropine fördern Bildung und Ausschüttung der Sexualhormone, deren Wirkungen für die Reproduktionsmechanismen unerläßlich sind. Bei den weiblichen Hormonen sind es die Östrogene und Gestagene. Freilich werden auch bei der Frau Androgene (Testosteron) gebildet. Die Gonadotropinausschüttung wird durch Leptin unterstützt. Bei starker Abnahme der Fettmasse (z. B. Anorexie) ist die Leptinausschüttung für eine adäquate Gonadotropinausschüttung nicht ausreichend. Ontogenetische Entwicklung. Beim Kind sind die Gonadotropinspiegel und damit die Konzentrationen an Sexualhormonen verschwindend gering. Erst mit der Pubertät setzt die pulsatile Ausschüttung von Gonadoliberin (GnRH) und damit der Gonadotropine ein und die Sexualhormone werden gebildet. Bei der Frau sind die meisten Follikel in der fünften Lebensdekade verbraucht, das Ovar stellt seine Produktion an Östrogenen und Gestagenen ein und die bei der geschlechtsreifen Frau mehr oder weniger regelmäßi-
4 Definition des Geschlechtes: Chromosomensatz (XX bzw. XY), Gonaden (Ovar oder Testis), innere Genitale, äußere Erscheinungsform, psychische Geschlechterrolle Störungen der Geschlechtsentwicklung 4 Tumor o Sexualhormone n o Gonadotropine p; defekte Hoden, 5α-Reduktasemangel, Androgenrezeptordefekt o männlicher Pseudohermaphroditismus 4 Zufuhr, Tumore, Enzymdefekte o Androgene n o weiblicher Pseudohermaphroditismus
gen Regelblutungen (. Abb. 11.1) bleiben aus. Der Zeitpunkt der letzten Regelblutung wird als Menopause, die Zeit danach als Postmenopause bezeichnet. Regulation der weiblichen Sexualhormone. Follitropin (FSH) fördert die Reifung der Follikel und die Östrogenproduktion in den Granulosazellen der Follikel des Ovars (. Abb. 11.1). Die Östrogene (Östron, Östradiol, Östriol) hemmen bei niedrigen Konzentrationen die Ausschüttung der Gonadotropine (negative Rückkopplung). Durch die weitere Entwicklung der Follikel nimmt die Östrogenproduktion jedoch weiter zu und bei hohen Östrogenkonzentrationen schlägt die Hemmung in eine Stimulation der Gonadotropinausschüttung um (positive Rückkopplung), die zu einem massiven Anstieg der Gonadotropinkonzentration und damit zum Eisprung führt. Nach dem Eisprung wandeln sich die Zellen des geplatzten Follikels zum Gelbkörper (Corpus luteum) um. Die vom Corpus luteum unter dem Einfluss von Lutropin gebildeten Gestagene sowie nach dem Eisprung auch die Östrogene hemmen die weitere Ausschüttung von Gonadotropinen, die Konzentrationen an Gonadotropinen und mit einiger Verzögerung auch an Östrogenen und Gestagenen sinken wieder ab. In der Regel nimmt dieser Zyklus 28 Tage in Anspruch, wobei die Dauer zwischen Menstruation und Ovulation äußerst variabel ist. Abbau und Ausscheidung von Östrogenen und Gestagenen. Östradiol wird in in der Leber zu Östron abgebaut.
Östron wird u. a. an Sulphat und Glukuronsäure gekoppelt und über die Niere ausgeschieden. Progesteron wird zu Pregnandiol abgebaut, an Glukuronsäure gekoppelt und über die Niere ausgeschieden.
273 11.2 · Weibliche Sexualhormone
Zellen noch Oxytozin (7 Kap. 11.2.5) und Relaxin, die Muttermund bzw. Schambeinfuge auflockern und damit für eine etwaige Geburt vorbereiten.
11.2.2
Wirkungen der weiblichen Sexualhormone
! Östrogene und Gestagene sind für die Sexualfunktionen erforderlich, haben jedoch zusätzlich eine Vielzahl extragenitaler Wirkungen
Wirkungen weiblicher Sexualhormone auf die Geschlechtsorgane. Östrogene (v. a. das besonders wirksame
. Abb. 11.1. Weiblicher Zyklus. Regulation der Ausschüttung weiblicher Sexualhormone (oben), Proliferation, Sekretion und Desquamation der Uterusschleimhaut (unten)
Östradiol) fördern die Entwicklung der Müller-Gänge in Eileiter und Gebärmutter, der Scheide, der Ovarien und der sekundären Geschlechtsmerkmale (u. a. Entwicklung der Mammae, die weibliche Fettverteilung). Für die Stimulation der Scham- und Achselbehaarung benötigen die Östrogene die Kooperation mit den Androgenen. Östrogene beeinflussen ferner die psychische Entwicklung zur Frau. Bei geschlechtsreifen Frauen fördern Östrogene die Proliferation, Gestagene die Reifung und Sekretionstätigkeit der Uterusschleimhaut. Gestagene mindern ferner die Kontraktilität der Uterusmuskulatur. Bei Abfall von Progesteron gegen Ende des Zyklus wird die Uterusschleimhaut abgestoßen (Regelblutung, . Abb. 11.1). Östrogene vermindern, Gestagene steigern die Konsistenz des Zervixschleims. Gestagene verengen den Muttermund und hemmen die Eileitermotilität. Östrogene steigern, Gestagene hemmen die Proliferation und Abschilferung von Vaginalepithel, dessen Glykogen von der Vaginalflora zu Milchsäure abgebaut wird. Der durch Milchsäure gesenkte pH hemmt das Vordringen pathogener Keime. Östrogene fördern die Ausbildung von Drüsenschläuchen, Gestagene die Ausbildung von Alveolen der Milchdrüsen. Extragenitale Wirkungen der Sexualhormone. Östrogene
Weitere Hormone. Die Granulosazellen bilden außer
Östrogenen Inhibin und Activin sowie mit den Thekazellen die Androgene Androstendion und Testosteron (7 Kap. 11.4). Activin fördert, Inhibin hemmt die Gonadotropinausschüttung. Auch das aus der Hypophyse stammende Prolaktin (7 Kap. 11.2.5) hemmt die GnRH-Ausschüttung und damit die Ausschüttung von Gonadotropin. Darüber hinaus mindert es die Ansprechbarkeit des Ovars für Gonadotropine. Schließlich bilden die Corpus-luteum-
und Gestagene üben eine Reihe von extragenitalen Wirkungen aus. Östrogene 4 fördern Proteinaufbau 4 mindern die Insulinempfindlichkeit des Fettgewebes 4 stimulieren die Bildung von HDL (high density lipoprote-
ins) und von VLDL (very low density lipoproteins), senken die Plasmakonzentrationen der LDL (low density lipoproteins) und setzen damit das Arterioskleroserisiko herab
11
274
Kapitel 11 · Sexualentwicklung und Reproduktionsphysiologie
4 steigern andererseits die Gerinnungsbereitschaft des
Blutes 4 fördern die renale Elektrolytretention 4 unterstützen über Hydroxylierung von Vitamin D3 die Mineralisierung des Knochens 4 fördern bei Kindern Knochenwachstum und -reifung und beschleunigen den Epiphysenschluss Gestagene 4 steigern den Grundumsatz 4 erhöhen die Körpertemperatur 4 lösen eine Hyperventilation aus 4 üben eine mäßige glukokortikoide und antimineralokortikoide (natriuretische) Wirkung aus 4 senken die Produktion von Cholesterin und die Plasmakonzentrationen von HDL und LDL
Mangel an Sexualhormonen lässt keinen normalen Zyklus zu. Bei Östrogenmangel fehlt die Proliferationsphase des Uterus und die Gestagene sind nicht in der Lage, die Reifung herbeizuführen. Bei Gestagenmangel entfällt die Reifung der Uterussschleimhaut. In beiden Fällen sind die Patientinnen unfruchtbar. Die Regelblutungen bleiben aus (Amenorrhö). Der Mangel an Östrogenen äußert sich ferner in herabgesetzter Ausprägung äußerer Geschlechtsmerkmale, in Anfälligkeit gegenüber Vaginalinfektionen, in Osteoporose und bei Kindern in verzögertem Epiphysenschluss, der trotz verlangsamtem Wachstum letztlich zu einem Hochwuchs führen kann. Der Mangel an Östrogenen in der Postmenopause beschleunigt die im Alter ohnehin fortschreitende Entmineralisierung des Knochens. Ein Mangel an Östrogenen führt im Übrigen auch beim Mann zu beschleunigtem Knochenabbau. Weitere Ursachen von Infertilität. Auch bei normaler Aus-
11.2.3
Überschuss und Mangel an weiblichen Sexualhormonen
! Sowohl ein Überschuss als auch ein Mangel an weiblichen Sexualhormonen führt zu Amenorrhö und zu einer Reihe von genitalen und extragenitalen Störungen
Überschuss an weiblichen Sexualhormonen. Ein Überschuss an weiblichen Sexualhormonen ist meist Folge
11
exogener Zufuhr (Kontrazeptiva). Ferner bilden einige Tumore Sexualhormone. Dabei ist die Gonadotropinausschüttung unterdrückt, die Reifung der Follikel bleibt aus, eine geregelte Abstoßung der Uterusschleimhaut kommt nicht zustande und die Patientinnen sind unfruchtbar. Bei Kindern leiten hohe Östrogenkonzentrationen eine frühzeitige Geschlechtsreife ein und beschleunigen das Wachstum. Dabei führt allerdings der vorzeitige Epiphysenschluss letztlich zu einem Minderwuchs. Die Einnahme von Kontrazeptiva steigert das Risiko für das Auftreten von tiefen Venenthrombosen und Lungenembolien. Durch Reduktion des Östrogenanteils kann das Risiko herabgesetzt werden. Mangel an weiblichen Sexualhormonen. Ein Mangel an weiblichen Sexualhormonen ist häufig Folge herabgesetz-
ter Gonadoliberinausschüttung bei massiver psychischer (z. B. Stress) und physischer (z. B. schwere Allgemeinerkrankungen, Mangelernährung) Belastung. Die Bildung von Östrogenen und/oder Gestagenen ist ferner bei einer Funktionsstörung des Ovars beeinträchtigt.
schüttung von Sexualhormonen ist die Frau infertil, wenn kein Eisprung stattfindet, wenn der Eileiter nicht durchgängig, oder wenn die Funktion des Uterus gestört ist.
11.2.4
Oxytozin und Prolaktin
! Oxytozin und Prolaktin sind hypophysäre Hormone, die bei der hormonellen Regulation von Geburt und Laktation beteiligt sind
Oxytozin. Oxytozin fördert die Kontraktion der Uterus-
muskulatur (im Orgasmus oder bei der Geburt), der glatten Muskulatur der Milchdrüsen (beim Stillen) und der Samenkanälchen (bei der Ejakulation). Oxytozin beeinflusst die Psyche und trägt so wahrscheinlich zur emotionalen Bindung der stillenden Mutter an den Säugling bei. Prolaktin. Prolaktin ist ein Peptidhormon (199 Aminosäuren), das im Hypophysenvorderlappen gebildet wird. Die Prolaktinausschüttung wird durch Thyroliberin, Endorphine, Angiotensin II und vasoactive intestinal peptide (VIP) stimuliert und durch Dopamin sowie ein weiteres Prolaktostatin (PIH) gehemmt. Der Einfluss von Dopamin auf die Prolaktinausschüttung überwiegt, d. h. bei Unterbrechung des Einflusses vom Hypothalamus wird vermehrt Prolaktin ausgeschüttet. Die Prolaktinausschüttung ist bei der Laktation (Stillen) sowie u. a. bei Stress gesteigert. Prolaktin fördert Wachstum, Differenzierung und Tätigkeit der Brustdrüse, hemmt die Ausschüttung von Gonadotropinen (LH, FSH) und beeinflusst die Immunabwehr.
275 11.3 · Menstruationszyklus
In Kürze
Weibliche Sexualhormone Regulation der weiblichen Sexualhormone 4 Ab Pubertät bis zu Menopause o GnRH (pulsatil) o Gonadotropine [ FSH (o Follikelreifung, Granulosazellen o Östrogenproduktion), LH (o Corpus luteum o Gestagene)] 4 Prolaktin p, Leptin n o Gonadotropine n 4 Granulosazellen zusätzlich o Inhibin (o Gonadotropine p), Activin (o Gonadotropine n), Thekazellen o Androstendion,Testosteron 4 Corpus-luteum-Zellen zusätzlich o Oxytozin, Relaxin Wirkungen der weiblichen Sexualhormone 4 Östrogene (Östradiol) o Reifung Eileiter, Gebärmutter, Scheide, Ovarien, Mammae, weibliche Fettverteilung, Psyche, (+ Androgene o Scham-, Achselbehaarung); Proliferation Uterusschleimhaut, Zervixschleimkonsistenz p, Proliferation Vaginalepithel n (o Glykogen o Milchsäure o pH p) Drüsenschläuche Milchdrüse n, Proteinaufbau n, Insulinempfindlichkeit Fettgewebe p, HDL n, VLDL n, LDL p (o Arterioskleroserisiko p), Gerinnungsbereitschaft Blut n, renale Elektrolytretention n, Calcidiolbildung n, Knochenmineralisierung n, Epiphysenschluss 4 Gestagene (Progesteron) o Reifung, Sekretion Uterusschleimhaut n, Zervixschleimkonsistenz n, Kontraktilität Uterusmuskulatur p, Verengung Mutter-
11.3
Menstruationszyklus
11.3.1
Zyklusphasen
! Die weiblichen Hormone und Sexualfunktionen durchlaufen einen etwa 4-wöchigen Rhythmus
Zyklusabhängige Veränderungen der Hormonspiegel. Im weiblichen Zyklus kommt es zu charakteristi-
schen Veränderungen der Hormonkonzentrationen (7 Kap. 11.2.1). Vor dem Eisprung steigen die Konzentrationen von Östradiol und LH steil an (. Abb. 11.1). Nach dem Eisprung sinkt die LH-Konzentration wieder ab und es wird durch den Gelbkörper im Ovar Progesteron gebildet. Bei Zusammenbruch des Gelbkörpers nehmen die
mund, Eileitermotilität p, Proliferation Vaginalepithel p, Alveolen Milchdrüsen n, Grundumsatz n, Körpertemperatur n, Hyperventilation n, glukokortikoide Wirkung n, antimineralokortikoide (natriuretische) Wirkung n, Cholesterinproduktion p, HDL p, LDL p Überschuss und Mangel an weiblichen Sexualhormonen 4 Kontrazeptiva, Tumore o Überschuss Sexualhormone o Gonadotropine p, (o Follikelreifung p), gestörte Menstruation (o Infertilität), frühzeitige Geschlechtsreife, beschleunigtes Wachstum, vorzeitiger Epiphysenschluss (o Minderwuchs), Venenthrombosen n, (o Lungenembolie). 4 Stress, Magersucht (o Leptin p) o Gonadoliberine p o Mangel Sexualhormone o Proliferation/Sekretion Uterusschleimhaut (o Infertilität), äußere Geschlechtsmerkmale p, Vaginalinfektionen, Osteoporose, verzögerter Epiphysenschluss (o Hochwuchs) Oxytozin und Prolaktin 4 Oxytozin o Kontraktion Uterusmuskulatur Milchdrüsengänge, Samenkanälchen; Zuneigung 4 Thyroliberin n, Endorphine n, Angiotensin II n VIP n, Dopamin p, PIH p o Prolaktin n o Brustdrüse, Gonadotropine (LH, FSH) p, Immunabwehr
Konzentrationen von Östrogenen und Gestagenen wieder steil ab. Veränderungen im Uterus. Unter der Wirkung von Östrogenen proliferiert das Endometrium des Uterus und wird zunehmend dicker (7 Kap. 11.2.2). Unter dem Einfluss der Gestagene wird die Sekretionsphase eingeleitet. Der Abfall der Gestagenkonzentration am Ende des Zyklus führt zur Abstoßung der Uterusschleimhaut (7 Kap. 11.2.2). Veränderungen im Ovar. Zu Beginn des Zyklus reifen
mehrere Tausend Follikel. Die Follikelzellen bilden Östrogene (7 Kap. 11.2.1). Die steil ansteigenden Konzentrationen an LH führen zum Rupturieren von einem (oder
11
276
Kapitel 11 · Sexualentwicklung und Reproduktionsphysiologie
sehr selten von mehr als einem) Follikel (7 Kap. 11.2.1). Die zurückbleibenden Follikelzellen bilden sich in gestagenproduzierende Corpus-luteum-Zellen um. Nach etwa 14 Tagen kommt es zur Apoptose der Corpusluteum-Zellen. Damit bricht die Progesteronproduktion ein. Empfängnisbereitschaft während des Zyklus. Unter dem Einfluss der Östrogene ist die Zervixschleimkonsistenz herabgesetzt und damit der Muttermund für Spermien besonders durchgängig. Gestagene steigern die Konsistenz des Zervixschleims. Nach dem Eisprung ist das weibliche Ei nur etwa 12–24 Stunden empfängnisbereit. Spermien sind für 24–48 Stunden lebensfähig. Damit ist eine Befruchtung durch einen Koitus maximal zwei Tage vor bis zu einem Tag nach dem Eisprung möglich.
11.3.2
Hormonelle Verhütungsmittel
! Empfängnis kann durch Hormonzufuhr verhindert werden
Kontrazeptiva. Durch Zufuhr von Östrogenen oder Gestagenen wird die Ausschüttung der Gonadotropine (v. a. der für die Auslösung der Ovulation erforderliche Sekretionsgipfel) gehemmt. Durch Zufuhr von Progesteron kann die Konsistenz des Zervixschleims gesteigert und damit der Durchtritt von Spermien verhindert werden. Hohe Dosen an Östrogenen können die Einnistung des Keimlings kurz nach der Befruchtung verhindern. Progesteronantagonisten. Im Gegensatz zu den Kontra-
zeptiva sind Progesteronrezeptorantagonisten auch noch nach der Einnistung des Eis wirksam. Sie unterbinden die Wirkungen von Progesteron und lösen somit einen Schwangerschaftsabbruch aus.
In Kürze
Menstruationszyklus
11
Zyklusphasen 4 Hormonspiegel: Östradiol n, LH n o Eisprung o LH p, Progesteron n o (≈14 Tage) Zusammenbruch Gelbkörper o Östrogene p, Gestagene p 4 Uterus: (Östrogeneo ) Proliferation o (Gestageneo ) Sekretionsphase o Abstoßung 4 Ovar: Reifung mehrerer Tausend Follikel o Östrogene; LH n o Rupturieren eines Follikels o Corpus-luteumZellen o Gestagenproduktion o (≈14 Tage) Apoptose Corpus-luteum-Zellen o Progesteronproduktion p 4 Empfängnisbereitschaft: Östrogene o Zervixschleimkonsistenz p o Muttermund durchgängig
11.4
Androgene
11.4.1
Synthese und Regulation von Testosteron
! Das wichtigste männliche Sexualhormon ist Testosteron, das in den Leydig-Zwischenzellen des Hodens gebildet wird
Testosteronsynthese. Die Syntheseschritte von Testosteron sind in 7 Kap. 10.3.3 (. Abb. 10.8) dargestellt.
(fruchtbar); Gestagene o Zervixschleimkonsistenz n o undurchgängig; Ei ≈12–24 h empfängnisbereit, Spermien ≈24–48 h lebensfähig. Befruchtung ≈zwei Tage vor bis 1 Tag nach dem Eisprung Hormonelle Verhütungsmittel 4 Kontrazeptiva: Östrogene, Gestagene o Gonadotropine p o Ovulation unterbunden; Progesteron o Zervixschleimdurchlässigkeit p, Östrogene nn o Einnistung p 4 Progesteronantagonisten o Schwangerschaftsabbruch
Regulation der Ausschüttung. Die Testosteronproduktion
und Ausschüttung wird durch Lutropin (LH, ICSH = interstitial cell stimulating hormone) gefördert, das in der Hypophyse unter dem stimulierenden Einfluss von Gonadoliberin (GnRH) aus dem Hypothalamus gebildet wird (7 Kap. 11.2.1). Testosteron hemmt die Ausschüttung von GnRH und damit von Lutropin und Follitropin (. Abb. 11.2). Unter dem Einfluss von FSH bilden die Sertoli-Zellen des Hodens Inhibin, das die Ausschüttung von GnRH hemmt, und androgenbindendes Protein (ABP), das den Transport von Testosteron in die Samenkanälchen
277 11.4 · Androgene
vermittelt. Beim Mann werden aus Testosteron im Übrigen auch Östrogene gebildet, die offenbar für die Mineralisierung des Knochens wichtig sind (7 Kap. 11.2.2).
11.4.2
Testosteronwirkungen
! Testosteron ist für die Entwicklung männlicher Reproduktionsorgane und der sekundären Geschlechtsmerkmale verantwortlich
Genitale Wirkungen von Testosteron. Sie dienen in erster
Linie der Entwicklung und Tätigkeit der Reproduktionsorgane (. Abb. 11.2). Testosteron fördert Wachstum und Entwicklung von Tubuli seminiferi, Samenleiter, Samenblase, Prostata, Skrotum und Penis. Testosteron gelangt unter Vermittlung von androgenbindendem Protein in die Samenkanälchen und fördert dort, gemeinsam mit Follitropin, die Bildung und Reifung der Spermatozyten. Testosteron fördert ferner die Reifung der Spermien im Nebenhoden und die Sekretionstätigkeit von Prostata (vermindert Ejakulatviskosität) und Samenblase (Beimengung von Fruktose und Prostaglandinen). Wirkungen auf sekundäre Geschlechtsmerkmale. Testosteron ist für die Ausbildung der sekundären Geschlechtsmerkmale verantwortlich, wie 4 Bartwuchs 4 männliche Schambehaarung 4 Hautdicke 4 Pigmentierung des Skrotum 4 Kehlkopfwachstum (Stimmbruch) 4 Verdickung der Stimmbänder 4 Sekretionstätigkeit der Talgdrüsen und Schweißdrüsen in Achselhöhlen und Genitalbereich
Die Anwesenheit von Testosteron ist für den männlichen Haarausfall verantwortlich. . Abb. 11.2. Bildung und Wirkung männlicher Sexualhormone
Weitere Wirkungen. Testosteron 4 steigert über Stimulation der Erythropoietinausschüt-
tung die Erythropoiese 4 steigert z. T. über Stimulation von Proteinaufbau das
Muskel- und Knochenwachstum 4 senkt die Konzentration an HDL (high density lipopro-
teins) im Blut 4 beeinflusst die Fettverteilung 4 fördert die renale Retention von Elektrolyten
11
278
Kapitel 11 · Sexualentwicklung und Reproduktionsphysiologie
Zwar beschleunigt Testosteron bei Jugendlichen und Kindern das Längenwachstum, gleichzeitig leitet es den Verschluss der Epiphysenfugen ein und beendet damit das Längenwachstum. Ein Überschuss an Testosteron führt somit letztlich zu herabgesetzter Körpergröße, während Mangel an Testosteron zu Riesenwuchs führt (eunuchoider Hochwuchs). Durch Beeinflussung von limbischem System und Hypothalamus steigert Testosteron die Libido. Dihydrotestosteron. Die Wirkungen von Testosteron
werden teilweise nicht durch das Hormon selbst, sondern durch Dihydrotestosteron ausgelöst, das unter Vermittlung des Enzyms 5α-Reduktase in Sertoli-Zellen und Peripherie aus Testosteron gebildet wird. Die Sertoli-Zellen bilden ferner aus Testosteron Östrogene, die wie Testosteron selbst die Entwicklung der Spermatozyten fördern.
11.4.3
Störungen der Testosteronausschüttung oder Wirkung
! Ein Mangel an Testosteron führt zu weiblicher Ausprägung, ein Überschuss zu Virilisierung
11
Testosteronmangel. Wichtigste Störung bei herabgesetzter Testosteronproduktion durch Hodeninsuffizienz oder Mangel an 5α-Reduktase ist Infertilität. Ferner werden in Abhängigkeit vom Entwicklungsstadium die sekundären Geschlechtsmerkmale weniger stark ausgeprägt. Ein völliger Mangel an Testosteronwirkung führt zu einer weiblichen Ausprägung der Reproduktionsorgane mit völligem Fehlen sekundärer Geschlechtsmerkmale (hairless women). Testosteronüberschuss. Bei langdauernder exogener Zufuhr von Testosteron (z. B. Anabolikamissbrauch) wird über die Hemmung der Follitropin-(FSH-) und Lutropin-(LH-)Ausschüttung im Hoden weniger Testosteron und androgenbin-
dendes Protein gebildet, was zu Hodenatrophie und Verlust der Fertilität führen kann. Bei Frauen folgen Vermännlichung (Virilisierung) bei gleichzeitiger Störung des weiblichen Hormonhaushaltes und damit ebenfalls Infertilität. In Kürze
Androgene Synthese und Regulation von Testosteron 4 Testosteronsynthese: (. Abb. 10.8) 4 GnRH (pulsatil) o LH n (o Testosteron n), FSH n (o Inhibin n,androgenbindendes Proteinn) o GNRH p o LH p, FSH p Testosteronwirkungen 4 Testosteron (5α-Reduktase) o Dihydrotestosteron o Wachstum, Entwicklung Tubuli seminiferi, Samenleiter, Samenblase, Prostata, Skrotum, Penis n; Spermatozytenreifung n, Sekretion n Prostatasekretion (o Ejakulatviskosität p), Samenblase (Fruktose, Prostaglandine), Bartwuchs, männliche Schambehaarung, Hautdicke, Pigmentierung des Skrotum, Kehlkopfwachstum (Stimmbruch), Verdickung Stimmbänder, Sekretion Talgdrüsen, Schweißdrüsen; Haarausfall; Erythropoietin n; Muskel-, Knochenwachstum, HDL p, Fettverteilung, renale Elektrolytretention; Längenwachstum, Epiphysenfugenschluss, Libido Störungen der Testosteronausschüttung oder Wirkung 4 Hodeninsuffizienz, Mangel an 5α-Reduktase o Dihydrotestosteronmangel o Infertilität, sekundäre Geschlechtsmerkmale p (hairless women) 4 Exogene Zufuhr Testosterono Testosteronüberschuss o LH p (o endogene Androgenproduktion p), FSH p (o androgenbindendes Protein p), o Hodenatrophie, Infertilität; Bei o Virilisierung, GnRH p o Östrogene p, Gestagene p o Infertilität
279 11.6 · Kohabitation und Befruchtung
11.5
Gameten
11.5.1
Oozyten
! Oozyten reifen in Follikeln des Ovars und werden beim Eisprung in den Eileiter katapultiert
die relativ hohe K+-, Phosphat-, und Glycerophosphorylcholin sowie relativ geringe Na+- und Ca2+-Konzentrationen aufweist. Die Prostata sezerniert u. a. Zitrat und Zink, die Samenbläschen Fruktose, Prostaglandine, und das koagulierende Seminogelin. Im weiblichen Genitaltrakt erhalten die Spermien zudem Zugang zu Glukose und Laktat.
Oozytenreifung. Bereits während der embryonalen Ent-
In Kürze
wicklung der Frau werden aus den sich mitotisch teilenden Urkeimzellen (Eistammzellen, Oogonien) primäre Oozyten gebildet. Zum Zeitpunkt der Geburt verfügt die Frau über etwa 2 Millionen Oogonien. Zum Zeitpunkt der Pubertät sind es noch ca. 300.000 pro Ovar (Atresie). Durch Meiose halbiert sich der Chromosomensatz zur reifen Oozyte. In der Prophase der Meiose I lagern sich Follikelzellen an das Ei an und werden von östrogenproduzierenden Granulosazellen ummantelt (Primordialfollikel). Durch Größenzunahme der Eizelle und Proliferation der Follikelzellen und Granulosazellen bilden sich Sekundärfollikel und Tertiärfollikel (Graaf-Follikel).
Gameten
Eisprung. Unter dem Einfluss von LH wächst der Follikel,
und rupturiert, unterstützt durch die proteolytische Wirkung von eiweißspaltenden Enzymen (Proteasen) und durch Kontraktionen in der Follikelbasis: Dadurch wird das Ei in den Eileiter geworfen.
11.5.2
Oozyten 4 Oozytenreifung: Urkeimzellen o primäre Oozyten o Halbierung Chromosomensatz + Follikelzellen + östrogenproduzierende Granulosazellen o Primordialfollikel o Sekundärfollikel o Tertiärfollikel (Graaf-Follikel), LHo Follikelwachstum o Ruptur (Eisprung) Spermien 4 Follitropin, Testosteron, Östrogene o Tubuli seminiferi o Spermatogonien o Spermatozyten o Halbierung Chromosomensatz o Spermatiden o Spermatozoen (Spermien) (70 Tage) o Speicherung in Nebenhoden, Vasa deferentia o + Sekrete Samenblase, Prostata, Schleimdrüsen o Ejakulation 4 Ejakulatzusammensetzung: K+ n, Phosphat n, Glycerophosphorylcholin n, Na+ p, Ca2+ p-Konzentrationen, Zitrat, Zink, Fruktose, Prostaglandine, Seminogelin
Spermien
! Spermien reifen in den Tubuli seminiferi und gelangen über Ejakulation in die Vagina
11.6
Kohabitation und Befruchtung
Reifung der Spermien. Unter dem Einfluss von Follitropin,
11.6.1
Kohabitation
Testosteron und den aus Testosteron gebildeten Östrogenen werden in den Tubuli seminiferi aus Spermatogonien über Spermatozyten und unter Halbierung des Chromosomensatzes die Spermatiden gebildet, aus denen ohne weitere Zellteilung die Spermatozoen (Spermien) entstehen. Die Reifung benötigt etwa 70 Tage. Dabei spielen die Sertoli-Zellen eine wesentliche Rolle. Die Reifung der Spermien wird erst in den Nebenhoden (Epididymis) vollendet. Bis zur Ejakulation werden sie in Nebenhoden und Vasa deferentia gespeichert. Mit den Sekreten von Samenblase, Prostata und Schleimdrüsen werden sie schließlich bei der Ejakulation ausgeworfen. Zusammensetzung des Ejakulats. Die Spermien werden in
einer luminalen »Konservierungs-Füssigkeit« aufbewahrt,
! Sexuelle Erregung führt zu Erektion und Ejakulation beim Mann, zum Anschwellen von Labia minora, Vagina und Uterus bei der Frau. Die Kohabitation führt bei beiden Geschlechtern zu Orgasmus
Steuerung der Genitalfunktionen beim Mann. Sexuelle Er-
regung löst beim Mann die Erektion des Gliedes aus. Sie ist Folge einer Dilatation der Arterien der Corpora cavernosa und des Corpus spongiosum urethrae, die durch parasympathische vegetative Neurone aus dem Rückenmarksegment S2 – S4 ausgelöst wird. Transmitter der postganglionären Neurone sind neben Acetylcholin VIP und Stickoxid (NO). Die Vasodilatation wird u. a. durch Aktivierung der
11
280
Kapitel 11 · Sexualentwicklung und Reproduktionsphysiologie
Proteinkinase G (7 Kap. 10.1.3) vermittelt. Darüber hinaus kann die Erektion auch psychogen über sympathische Innervation aus dem Thorakolumbalmark ausgelöst werden. Die Erektion wird durch Afferenzen gefördert, welche v. a. von der Glans penis über den N. pudendus zum Sakralmark laufen. Die Emission, d. h. der Übertritt von Samenflüssigkeit und Prostatasekret in die Urethra wird durch sympathische Efferenzen ausgelöst, welche die Kontraktionen von Epididymis, Ductus deferens, Vesicula seminalis und Prostata stimulieren. Zur Ejakulation kommt es durch Kontraktionen der über den N. pudendus somatisch innervierten Mm. bulbo- und ischiocavernosi sowie der Beckenbodenmuskulatur. Emission und Ejakulation werden v. a. durch Reiben des Penis ausgelöst, wobei die Afferenzen über den N. dorsalis penis (durch den N. pudendus) zum Rückenmark laufen. Während Emission und Ejakulation tritt beim Mann Orgasmus auf. Nach dem Orgasmus folgt die Rückbildungsphase mit einer Refraktärzeit von weniger als einer Stunde bis mehreren Stunden.
11
Steuerung der Genitalfunktionen bei der Frau. Bei der Frau kommt es bei Erregung zum Zurückweichen und Auseinanderklaffen der Labia maiora, sowie zum Anschwellen von Klitoris, Labia minora, Vagina und Uterus. Die zugrundeliegende Vasodilatation wird durch parasympathische Neurone aus dem Sakralmark und sympathische Neurone aus dem Lumbalmark ausgelöst. Die erregenden Afferenzen werden aus Klitoris, Labia minora etc. über den N. pudendus zum Sakralmark geleitet. Während des Orgasmus kommt es zur mehrfachen Kontraktion der orgastischen Manschette der Vagina und zu Kontraktionen des Uterus, welche durch sympathische Innervation vermittelt wird. Im Gegensatz zum Mann kann die Frau mehrere Orgasmen hintereinander erleben. Danach folgt die Rückbildungsphase. Wurde der Orgasmus nicht erreicht, ist die Rückbildungsphase langsamer.
11.6.2
Befruchtung
! Spermien folgen dem Maiglöckchenduft der Eizelle und reifen auf der Reise. Für die Befruchtung müssen Corona radiata und Zona pellucida des Eis überwunden werden
Spermatozoenaszension. Die in die Vagina entleerten
Spermien dringen in den Zervikalkanal des Uterus ein, dessen Schleim um die Ovulation eine besonders geringe Vis-
kosität aufweist. Die Spermien werden z. T. durch orgastische Uteruskontraktionen (7 Kap. 11.6.1) in Richtung des Eileiters katapultiert. Allerdings erreichen nur wenige Hundert der über 100 Millionen Spermien eines Ejakulates den Eileiter. Sie wandern mit einer Geschwindigkeit von 35 µm/s in Richtung der Eizelle. Die Eizelle gibt einen Maiglöckchenduftstoff ab, der die Spermien chemotaktisch anlockt. Die Spermien werden erst während der ascension befruchtungsfähig (Kapazitation). Dabei lösen sich Proteasehemmer von der Membran und es werden Proteasen sowie Rezeptoren für die Andockung an die weibliche Eizelle freigelegt. Befruchtung. Die Eizelle ist von einer äußeren Corona radiata und inneren Zona pellucida umgeben. Mit Hilfe ihrer Proteasen (Acrosin) durchdringen reife Spermien die Corona radiata und binden mit ihren speziesspezifischen Rezeptoren an die Zona pellucida. Nach Verschmelzen mit der Eizellmembran wird der Kopf des Spermiums internalisiert. Nach Eindringen eines Spermiums gibt die Eizelle Proteasen ab, welche die Rezeptoren an der Zona pellucida abbaut. Damit können in der Regel keine weiteren Spermien binden. Wanderung und Implanation der Eizelle. Die Befruchtung des mütterlichen Eis durch die väterlichen Spermien geschieht in der Regel bereits im Eileiter. Bis zum Erreichen des Uterus in etwa 4 Tagen hat das Ei dann viele Teilungen durchlaufen und es wird das Morulastadium (ca. 60 Zellen) erreicht. Die Ernährung wird durch Pyruvat, Laktat und Aminosäuren aus dem Tubensekret gewährleistet. Binnen 7 Tagen bildet sich die Blastozyte (Trophoblast und Embryoblast), die sich an das Uterusepithel heftet und mit Hilfe von Proteasen in das Endometrium eindringt. Das Endometrium ist in der Sekretionsphase ein hervorragender Nährboden für die Einnistung des Keimlings. Nährstoffe werden von Zellen der Uterusschleimhaut (Decidua) geliefert. Mit Hilfe von Proteolyse eröffnet der Trophoblast mütterliche Gefäße und schafft Hohlräume (Lakunen), in die sich mütterliches Blut ergießt. Letztlich entsteht auf diese Weise die Plazenta (7 Kap. 11.7.2).
281 11.7 · Schwangerschaft
In Kürze
Kohabitation und Befruchtung Kohabitation 4 : Afferenzen Glans penis o N. pudendus o Sexuelle Erregung o parasympathische vegetative Neurone (S2– S4) o Acetylcholin, VIP, NO o Proteinkinase G o Dilatation Arterien Corpora cavernosa, Corpus spongiosum urethrae o Erektion o sympathische Efferenzen o Kontraktion Epididymis, Ductus deferens, Vesicula seminalis, Prostata o Emission o Kontraktion Mm. bulbo-, ischiocavernosi, Beckenbodenmuskulatur o Ejakulation o Orgasmus o Rückbildungsphase (>1 Stunde) 4 : Afferenzen Klitoris, Labia minora o N. pudendus o parasympathische Neurone Sakralmark, sympathische Neurone Lumbalmark o Vasodilatation o Öffnen Labia maiora, Anschwellen Klitoris, Labia minora,
11.7
Schwangerschaft
11.7.1
Hormonelle Umstellung
! Der Keimling stimuliert zunächst die mütterliche Progesteronbildung durch Gonadotropine, später bildet er selbst Progesteron
Bildung von Gonadotropinen durch den Keimling. In wenigen Tagen bildet das Chorion des Keimlings humanes Choriongonadotropin, das im Corpus luteum der Mutter die weitere Ausschüttung von Gestagenen stimuliert. Damit wird ein Abfall der Gestagenkonzentration verhindert und die Regelblutung bleibt aus. Die Plazenta bildet ferner humanes Chorionsomatomammotropin (HCS, Plazentares laktogenes Hormon, HPL), das somatotropinähnliche Wirkungen entfaltet (7 Kap. 10.3.1). Das Hormon kann bereits 6 – 8 Tage nach der Befruchtung in Blut und Urin der Schwangeren nachgewiesen werden (Schwangerschaftstest). Progesteron- und Östriolbildung durch den Keimling. Ab
der 8. bis 10. Schwangerschaftswoche werden in der Plazenta des Keimlings aus mütterlichem Cholesterin hinreichende Mengen an Progesteron produziert, sodass der weitere Verlauf der Schwangerschaft vom Ovar unabhängig ist. Der Fetus bildet in seinen Nebennierenrinden ferner Dehydroepiandrosteron (DHEA), das in der Plazenta u. a. zur Öst-
Vagina, Uterus o Orgasmus o Sympathikus o Kontraktion orgastischer Manschette Vagina, Uterus o Orgasmus (wiederholbar) o Rückbildungsphase (langsam) Befruchtung 4 Spermien o Zervikalkanal o Eileiter (35 µm/s) o chemotaktischer Maiglöckchenduftstoff der Eizelle o während ascension Kapazitation o Durchdringen Corona radiata o Bindung an Rezeptoren der Zona pellucida o Verschmelzen o Internalisierung Kopf des Spermiums o proteolytischer Abbau Rezeptoren o Teilungen o Morulastadium (≈60 Zellen) o Blastozyte (Trophoblast und Embryoblast) o Implantation, Proteolyse Öffnung mütterlicher Gefäße o Lakunen o Plazenta
riolproduktion eingesetzt wird (fetoplazentare Einheit). Gegen Ende der Schwangerschaft bildet die Nebenniere unter dem Einfluss von ACTH zunehmend Kortisol und die Bildung von DHEA sowie von Progesteron geht zurück.
11.7.2
Plazenta
! Die Plazenta dient vor allem dem Stoffaustausch. Außerdem bildet sie Hormone
Bau der Plazenta. Zotten der Plazenta tauchen in die mit
mütterlichem Blut gefüllten intervillösen Hohlräume, die von Spiralarterien der mütterlichen Schleimhaut gespeist werden. Im Zentrum der Zotten sind die fetalen Blutgefäße, die sich in den Nabelschnurgefäßen vereinigen. Die fetalen Blutgefäße sind vom mütterlichen Blut durch das Epithel der Plazentazotten getrennt (Plazentaschranke). Plazentadurchblutung. Gegen Ende der Schwangerschaft
fließt etwas mehr als die Hälfte (55%) des fetalen Herzzeitvolumens (≈600 ml/min) durch die Plazenta. Der Blutdruck liegt in den Arterien bei 50-60 mmHg, in den Venen bei 10-20 mmHg. Die mütterliche Durchblutung liegt bei etwa 500 ml/min. Die mütterliche Plazentadurchblutung ist nicht autoreguliert und sinkt daher bei Blutdruckabfall. Ferner wird sie bei Uteruskontraktionen gedrosselt. Eine Mangeldurchblutung führt zur Hypoxie
11
282
Kapitel 11 · Sexualentwicklung und Reproduktionsphysiologie
des Feten, die an einer Verlangsamung der Herzfrequenz erkennbar ist. Funktion der Plazenta. Neben der Hormonbildung
11
(7 Kap. 11.7.1) dient die Plazenta in erster Linie der Versorgung des Feten über das mütterliche Blut. Die hohe O2-Affinität des fetalen Hämoglobin (7 Kap. 11.8.2) und die gleichzeitig herabgesetzte O2-Affinität des mütterlichen Blutes (7 Kap. 11.7.3) erleichtert die fetale O2-Aufnahme. Bei einem mittleren PO2 von etwa 4 kPa im arterialisierten Nabelvenenblut ist das fetale Hämoglobin etwas mehr als 50% gesättigt. Ferner werden Nährstoffe (Glukose, Aminosäuren, Vitamine) vom Feten aufgenommen. Der Transport von Glukose, Aminosäuren, Laktat, Vitamin B, Dehydroascorbinsäure, wird durch Carrier unterstützt (für Glukose z. B. GLUT1), Eisen wird durch Endozytose aufgenommen. CO2 und Stoffwechselendprodukte (z. B. Harnstoff) werden an das mütterliche Blut abgegeben. Der CO2-Partialdruck bleibt im arterialisierten Nabelschnurblut normalerweise unter 6 kPa. Auch Wasser und Elektrolyte werden über die Plazenta ausgetauscht. Die Plazenta erlaubt auch die Passage von mehreren Pharmaka, Toxinen, und Krankheitserregern (v. a. Viren). So führte die Hemmung der Angiogenese durch das als Schlafmittel eingesetzte Medikament Contergan bei Feten zu katastrophalen Missbildungen, ohne erkennbare entsprechende Nebenwirkungen beim Erwachsenen auszulösen. Für die Mütter sonst meist harmlose Infektionen (z. B. Röteln) können gleichermaßen massive Schädigungen beim Feten auslösen. Die Plazenta transportiert andererseits durch rezeptorvermittelte Endozytose auch Immunglobuline der Klasse IgG und bietet damit einen Schutz vor Infektionen. Andererseits kann dadurch auch eine Immunreaktion gegen den Feten auftreten (Rhesusinkompatibilität, 7 Kap. 2.5.5).
11.7.3
Umstellung im mütterlichen Organismus
! Die Schwangerschaft zwingt dem mütterlichen Organismus eine Leistungssteigerung auf
Gewichtszunahme. Das Gewicht der Schwangeren steigt um etwa 12 kg, wobei der Fetus (etwa 3,5 kg), die Plazenta (ca. 1 kg) und das Fruchtwasser (ca 1 kg) weniger als die Hälfe der Gewichtszunahme beisteuern. Die Masse der Uterusmuskulatur steigt von etwa 50 g auf etwa 1 kg, und auch die Masse der Brustdrüsen nimmt zu.
Nahrungsbedarf. Die Ernährung des Feten steigert den Be-
darf an Nährstoffen, Vitaminen und Spurenelementen. Schwangeren muss vor allem zusätzlich (1 mg/Tag) Eisen für die Hämoglobinbildung zugeführt werden. Gesteigerte Zufuhr von Vitamin D fördert die enterale Calciumphosphatabsorption und verhindert somit, dass die Mineralisierung des fetalen Skeletts auf Kosten der Mineralisierung mütterlicher Knochen und Zähne geschieht. Herz, Kreislauf, Blut. Die zusätzliche Durchblutung der Plazenta und die für die Versorgung des Feten erforderliche Leistungssteigerung der mütterlichen Organe erfordert eine Zunahme des Herzzeitvolumens (um 30–40%) und Blutvolumens (um 30%). Die periphere Vasodilatation wird durch vasodilatatorisch wirksame Mediatoren (u. a. PGE2) aus der Plazenta unterstützt. Durch Stimulation der Erythropoiese werden junge Erythrozyten mit hohen BPG-Konzentrationen und daher geringer O2-Affinität gebildet. Das Plasmavolumen nimmt stärker zu als die Erythrozytenzahl, sodass der Hämatokrit sinkt. Die damit verbundene Viskositätsabnahme kann zum Auftreten von Strömungsgeräuschen führen, zumal Herzminutenvolumen und damit Strömungsgeschwindigkeit gesteigert sind. Die Kompression von tiefen Venen im Becken kann den Rückstrom des Blutes von den Beinen behindern. Niere. Der renaler Blutfluss und die Filtrationsfraktion stei-
gen und damit die glomeruläre Filtrationsrate (um etwa 50%). Trotz renaler Vasodilatation steigt die Ausschüttung von Renin, das Angiotensin II bildet und so die Ausschüttung von Aldosteron steigert. Aldosteron stimuliert die distale Natriumresorption und trotz gesteigerter GFR wird letztlich weniger Kochsalz und Wasser ausgeschieden. Extrazellulärvolumen und Plasmavolumen nehmen zu. Aufgrund der vasodilatatorischen Mediatoren kommt es trotz hoher Angiotensinspiegel und trotz Hypervolämie normalerweise zu keiner Hypertonie. Bei etwa 5% der Schwangeren bildet die Plazenta offenbar weniger vasodilatatorisch wirksame Prostaglandine und es überwiegen vasokonstriktorische Einflüsse (z. B. Angiotensin II). Folgen sind Hypertonie und Zunahme des Widerstandes von Nierengefäßen. Schädigung der Glomerula führt zu Proteinurie, periphere Filtration zu Ödemen. (EPH-Gestose [Edema, Proteinuria, Hypertension]). Atmung. Unter dem Einfluss von Gestagenen steigt die
Ventilation um etwa 20% an und der PCO2 sinkt geringfügig ab.
283 11.8 · Fetus
In Kürze
Schwangerschaft Hormonelle Umstellung 4 Hormonbildung: Humanes Choriongonadotropin (o mütterliche Gestagene), ab 6–8 Tagen Chorionsomatomammotropin (HCS, somatotropinähnlich), ab 8. Schwangerschaftswoche Progesteron (Nebennierenrinden-Dehydroepiandrosteron (DHEA) o Östriol (fetoplazentare Einheit) o Ende Schwangerschaft o fetales ACTH o Kortisol n, DHEA p, Progesteron p Plazenta 4 Bau: In intervillöse Hohlräume (mütterliches Blut aus Spiralarterien) tauchen Zotten mit zentralen fetalen Blutgefäßen und Epithel (Plazentaschranke) 4 Durchblutung: Fetales HZV (≈600 ml/min) o 55% durch Plazenta; Blutdruck 50–60 mmHg arteriell, 10– 20 mmHg venös; mütterlicher Blutdruckabfall, Uteruskontraktionen o mütterliche Durchblutung (normalerweise 500 ml/min) p o fetale Hypoxie o fetale Herzfrequenz p
4 Funktionen: Hormonbildung; Aufnahme O2, Nährstoffe (Glukose, Aminosäuren, Vitamine, z. T. Carrier-vermittelt), Eisen (Endozytose); IgG Immunglobuline (Endozytose); Abgabe CO2, Stoffwechselendprodukte; WasserElektrolytaustausch (aber auch Passage von Pharmaka, Toxinen, und Krankheitserregern [v. a. Viren]) Umstellung im mütterlichen Organismus 4 Schwangerschaft o Gewicht n (≈12 kg,, davon ≈3,5 kg Fet, ≈1 kg Plazenta, ≈1 kg Fruchtwasser, Uterusmuskulatur ≈1 kg), Bedarf an Nährstoffen n, Vitaminen n (v. a. Vitamin D), Spurenelementen n (v. a. Eisen); Herzzeitvolumen n (≈30–40%); Blutvolumens n (≈30%), Erythropoiese n (o O2-Affinität p), Hämatokrit p (o Strömungsgeräusche); Ventilation n (≈20%); PCO2 p; GFR n (≈50%); Renin n (o Angiotensin II no Aldosteron n); Natriumresorption n (o Na+Ausscheidung p) 4 Bei ≈5% der Schwangeren Hypertonie; Proteinurie, Ödeme (EPH-Gestose)
11.8
Fetus
11.8.2
11.8.1
Wachstum, Endokrines System
! Die meisten Organe entwicklen sich innerhalb weniger Wochen
! Der Embryo wächst und stellt durch Hormonproduktion sicher, dass er nicht abgestoßen wird
Wachstum. Der Embryo wächst von 10 cm Körperlänge
und 100 g Gewicht in der zwölften Woche auf etwa 50 cm Körperlänge und 3,5 kg Gewicht bei Geburt. Der Fettanteil beträgt bei der Geburt etwa 15%. Endokrines System. Die Bildung von plazentaren Hormonen
wurde bereits dargestellt (7 Kap. 11.7.1). Die Plazenta erlaubt die Passage von Steroidhormonen und von Schilddrüsenhormonen T3/T4. Die übrigen mütterlichen Hormone gelangen nur wenig in den fetalen Kreislauf. Insulin und Glukagon werden im Feten ab der 8 Schwangerschaftswoche gebildet. In den überproportinal großen Nebennieren des Feten wird zunächst vorwiegend Dehydroepiandrosteron (DHEA) gebildet, das von der Plazenta zur Progesteronsynthese verwendet wird (7 Kap. 11.7.1). Unter dem Einfluss von ACTH bildet die Nebenniere ab der 36. Woche zunehmend Kortisol.
Organentwicklung
Kreislauf. Das Herz schlägt ab der 5. Woche, der Kreislauf
entwickelt sich bis zur 11. Woche. Die Besonderheiten des fetalen Kreislaufes wurden im Kreislaufkapitel dargestellt (7 Kap. 4.6). Lunge. Die Lunge des Feten ist mit Alveolarsekret gefüllt,
das ständig nachgebildet wird und in das Fruchtwasser abfließt. Ab der 26. Woche wird unter dem Einfluss von Kortisol Surfactant gebildet, das ebenfalls teilweise in das Fruchtwasser gelangt. Ein Mangel an Surfactant erschwert die Entfaltung der Lunge nach der Geburt. Ab der 12. Schwangerschaftswoche treten Atembewegungen auf. Blutzusammensetzung, Gastransport. Ab der 4. Schwan-
gerschaftswoche werden Erythrozten in Mesenchym und Blutgefäßen, später in Leber und Milz gebildet. Die Erythrozyten des fetalen Blutes weisen eine besonders hohe O2Affinität auf, mit der gewährleistet wird, dass O2 in hinrei-
11
284
Kapitel 11 · Sexualentwicklung und Reproduktionsphysiologie
chender Menge vom mütterlichen Hämoglobin zum fetalen Hämoglogin wechselt. Nachteil der hohen Affinität ist die erschwerte O2-Abgabe in den fetalen Geweben. Der O2Partialdruck im arterialisierten Blut ist etwa 4 kPa, der CO2-Partialdruck liegt unter 6 kPa (7 Kap. 11.7.2). Granulozyten und Lymphozyten werden ab der 8. Woche gebildet. Die Thrombozytenzahl ist gering und die Konzentration der Gerinnungsfaktoren niedrig. An Plasmaproteinen wird zunächst α-Fetoprotein, später überwiegend Albumin gebildet. Der Fetus bildet keine Immungloguline, die Konzentration mütterlicher IgG ist aber wegen des plazentaren Transportes in Feten höher als im mütterlichen Blut. Gastrointestinaltrakt. Der Gastrointestinaltrakt ist ab der
30. Woche voll funktionsfähig. Der Fetus schluckt Fruchtwasser, das zum größten Teil intestinal absorbiert wird. Im Kolon bleibt nicht absorbiertes Material als Mekonium liegen. Bei Hypoxie wird die Darmperistaltik angeregt und das Mekonium in das Fruchtwasser entleert. Leber. Die Leber nimmt ab der 8. Schwangerschaftswoche ihre Stoffwechseltätigkeit auf und entwickelt sich bis zur Geburt kontinuierlich weiter. Der linke Leberlappen wird ausschließlich vom O2-reichen Blut aus der Nabelschnurvene versorgt, der rechte auch vom O2-armen Pfortaderblut.
Bei Geburt verliert der linke Leberlappen seine privilegierte O2-Versorgung und bildet sich zurück, wodurch die Leberfunktion vorübergehend beeinträchtigt ist. Die Ausscheidung von Bilirubin ist in der Fetalzeit Aufgabe der Plazenta und wird nach der Geburt nur mit Verzögerung übernommen. Dadurch wird die Hyperbilirubinämie durch gesteigerten Abbau von Erythrozyten (7 Kap. 11.9.4) verstärkt. Niere. Glomeruläre Filtration setzt in der 22. Schwanger-
schaftswoche ein. Mit Zunahme funktionierender Nephrone steigt die Filtration bis zur 36. Woche an. Die renale Durchblutung bleibt mit 2% des Herzzeitvolumens gering. Tubuläre Transportprozesse erzeugen einen glukose- und eiweißfreien, hypotonen Harn. Erst in den beiden Monaten nach der Geburt gewinnt die Niere die Fähigkeit zur Harnkonzentrierung. Sie bleibt noch mehrere Jahre unter der Fähigkeit des Erwachsenen. Gehirn. Neurone vermehren sich durch Zellproliferation bis zur 28. Schwangerschaftswoche. Danach vermehren sich nur noch Gliazellen. Die Neurone nehmen allerdings weiter an Volumen zu und differenzieren sich, Axone werden ab der 24. Woche myelinisiert, ab der 20. Woche sind typische EEG-Muster meßbar. Die Gehirnentwicklung ist bei der Geburt jedoch noch nicht abgeschlossen.
In Kürze
11
Fetus Wachstum, Endokrines System 4 12. Woche (≈10 cm Länge/100 g Gewicht)o Geburt (50 cm/3,5 kg), Hormonbildung Plazenta (7 Kap. 11.7), plazentarer Übertritt Steroidhormone, T3/T4, fetale Bildung von Insulin, Glukagon (ab 8 Woche) Organentwicklung 4 Herzschläge ab 5. Woche, Kreislauf (7 Kap. 4.6), Lunge flüssigkeitsgefüllt, ab 26. Woche Kortisol o Surfactant, ab der 12. Schwangerschaftswoche Atembewegungen; ab 4. Woche Erythrozyten (O2-Affinität n); ab
6. Woche Granulozyten, Lymphozyten; Thrombozytenzahl p; Plasmaproteine (erst α-Fetoprotein, später Albumin; Gerinnungsfaktoren p, nur mütterliche IgG); ab 30. Woche Gastrointestinaltrakt funktionsfähig (Hypoxie o Darmperistaltik o Entleerung Mekonium in Fruchtwasser); ab 8. Woche Leberfunktion; ab 22. Woche glomeruläre Filtration (renale Durchblutung 2% des HZV); erst nach Jahren normale Harnkonzentrierung; bis zur 28. Woche Vermehrung Neurone; danach Volumen n, Differenzierung, ab 24.Woche Myelinisierung; ab 20. Woche EEG-Muster; Gehirnentwicklung bei Geburt nicht abgeschlossen
285 11.9 · Geburt
11.9
Geburt
11.9.1
Hormonelle und vegetativ-nervale Steuerung der Uteruskontraktionen
! Östrogene bereiten den Uterus für die Geburt vor. Ausgelöst wird sie v. a. durch Abfall der Gestagenkonzentrationen
net (bei normaler Lage des Kindes) die Zervix. Dazu werden bei Erstgebärenden etwa 8–12 Stunden benötigt (Eröffnungsperiode). Nach völligem Verstreichen des Muttermundes beginnt die Austreibungsperiode, die durch reflektorisch ausgelöste Bauchpressen der Mutter unterstützt wird. Sie dauert normalerweise weniger als eine Stunde. Nachgeburt. Die Kontraktionen halten mit geringerer Hef-
Hormonelle und nervale Regulation der Geburt. Die ho-
hen Östrogenkonzentrationen während der Schwangerschaft fördern die Expression von kontraktilen Elementen, Ionenkanälen, gap junctions und Rezeptoren und bereiten den Uterus somit für die Geburt vor. Die zunehmende Dehnung durch den wachsenden Fetus fördert zudem das Auftreten von Depolarisationen mit folgenden Kontraktionen. Progesteron hyperpolarisiert jedoch die Uterusmuskulatur und unterbindet daher weitgehend Kontraktionen. Durch Anstieg der Östrogen- und Abfall der Progesteronkonzentrationen gegen Ende der Schwangerschaft (7 Kap. 11.7.1) wird die Geburt eingeleitet. Bei Einsetzen von Kontraktionen wird der Keimling gegen den Muttermund und die Vagina gepresst, die eine hohe Dichte von Mechanorezeptoren aufweisen. Reizung dieser Mechanorezeptoren stimuliert die weitere Ausschüttung von Oxytozin (Ferguson-Reflex), sodass der Geburtsvorgang an Dynamik gewinnt. Schließlich treten Presswehen auf, die Kind und Plazenta austreiben. Oxytozin aus dem Hypophysenhinterlappen stimuliert die Uteruskontraktionen, und stimuliert die Bildung kontraktionsfördernder Prostaglandine.
11.9.2
Wehentätigkeit
! Das Austreiben des Feten erfordert die koordinierte Kontraktion der Uterusmuskulatur
Schrittmacher. Effektive Wehen erfordern eine koordinier-
te Kontraktion aller Uterusmuskeln. Meist bildet sich ein Schrittmacherbezirk aus, von dem sich die Depolarisationen über gap junctions ausbreiten.
tigkeit nach der Geburt des Kindes an und führen zur Ablösung und dem Ausstoßen der Plazenta. Weitere Kontraktionen pressen Gefäße ab und limitieren den Blutverlust, der normalerweise etwa 350 ml erreicht.
11.9.3
Anpassung des Neugeborenen
! Der Neugeborenene muss sich nach der Geburt in wenigen Minuten an völlig neue Bedingungen anpassen
Atmung. Die Unterbrechung des CO2-Abtransportes durch
die Plazenta führt nach der Geburt schnell zu einem Anstieg des PCO2 und damit zu einem Atemantrieb. Die Atmung wird ferner durch die Abkühlung der Haut stimuliert. Die Entfaltung der Alveolen wird durch Surfactant unterstützt. Ferner wird Natrium und damit Flüssigkeit über einen epithelialen Na+-Kanal resorbiert (ENaC), der auch im Sammelrohr der Niere die Natriumresorption bewerkstelligt (7 Kap. 9.2.4). Kreislauf, Blut. Die Umstellung des Kreislaufes nach der
Geburt wird im Kreislaufkapitel beschrieben (7 Kap. 4.6). Die hohe O2-Afffinität des fetalen Hämoglobins bietet nach der Geburt keine Vorteile mehr und behindert die O2-Abgabe in der Peripherie. Die fetalen Erythrozyten müssen also ausgetauscht werden. Fetale Erythrozyten sind gegen Oxidation schlecht geschützt und werden durch den hohen O2-Partialdruck in der Lunge in den suizidalen Zelltod getrieben. Der Abbau des Häms fetaler Erythrozyten führt zu einem bisweilen schädlichen Anstieg der Bilirubinkonzentration im Blut. Niere,Wasserhaushalt. Neugeborene sind wegen der einge-
Wehen. Bereits vor der Geburt treten Uteruskontraktio-
nen auf, die wegen der zunehmenden Expression von gap junctions immer größere Bereiche des Uterus erfassen (Vorwehen). Bei der Geburt kontrahiert der Uterus zunächst etwa alle drei Minuten und der kindliche Kopf öff-
schränkten Konzentrierungsfähigkeit ihrer Nieren bei Flüssigkeitsverlusten besonders gefährdet. Verdauung, Ernährung. Der Neugeborene hat einen
funktionstüchtigen Gastrointestinaltrakt, der Kohlenhy-
11
286
Kapitel 11 · Sexualentwicklung und Reproduktionsphysiologie
drate und Proteine aufschließen und resorbieren kann. Die Gallesekretion und damit die Emulsion von Fetten ist nach der Geburt zunächst eingeschränkt. Laktase wird erst gegen Ende der Schwangerschaft gebildet, und Frühgeborene können Laktose der Muttermilch nicht abbauen.
11.9.4
Umstellung der Mutter nach der Geburt
! Durch die Geburt fallen die plazentaren Hormone plötzlich aus
Hormonelle Umstellung. Der Verlust der Plazenta führt zu Thermoregulation. Der Neugeborene ist wegen seiner im
Verhältnis zum Körpergewicht großen Oberfläche und seines geringen Unterhautfettgewebes in besonderem Maße gefährdet, auszukühlen (7 Kap. 8.2.4). Im Gegensatz zum Erwachsenen verfügt er andererseits über braunes Fettgewebe, das er zur Wärmebildung verwenden kann.
einem abrupten Abfall der plazentaren Hormone. Dadurch fällt die Hemmung des Hypothalamus und der Hypophyse weg und es werden wieder Gonadotropine und Prolaktin ausgeschüttet. Uterus, Brustdrüse. Die Gebärmutter bildet sich nach der
Geburt schnell zurück und erreicht die ursprüngliche Größe in etwa 4 Wochen. Die Laktation setzt am 2. bis 4. Tag ein (7 Kap. 11.10.1).
In Kürze
Geburt Hormonelle und vegetativ-nervale Steuerung der Uteruskontraktionen 4 Östrogene n o Uterus o kontraktile Elemente, Ionenkanäle, gap junctions, Rezeptoren (Dehnung o Depolarisation o Kontraktion); Ende Schwangerschaft o Progesteron p o Depolariation o Kontraktionen o Druck Keimling gegen Muttermund, Vagina o Mechanorezeptoren o Oxytozinausschüttung (Ferguson-Reflex) o Presswehen
11
Wehentätigkeit 4 Schrittmacher o gap junctions o Ausbreitung (zunächst alle drei Minuten) o Eröffnungsperiode (8– 12 h bei Erstgebährenden) o Austreibungsperiode (<1 h) o Nachgeburt (Blutverlust ≈350 ml)
11.10
Laktation
11.10.1
Mechanismen und Regulation mütterlicher Milchproduktion
! Östrogene und Gestagene bereiten die Brustdrüse bereits während der Schwangerschaft vor, nach der Geburt regulieren Prolaktin und Oxytozin Milchproduktion und Ejektion
Regulation der Laktation. Die in der Schwangerschaft hohen Östrogen- und Gestagenkonzentrationen fördern (ge-
Anpassung des Neugeborenen 4 Plazentarer CO2-Abtransport p o PCO2 n o Atemantrieb o Lungenentfaltung (Surfactant-unterstützt) o Entwässerung (ENaC-unterstützt); Kreislaufumstellung (7 Kap. 4.6); Oxigenierung Blut o Untergang O2empfindlicher fetaler Erythrozyten o Hyperbilirubinämie; eingeschränkte renale Konzentrierungsfähigkeit; funktionstüchtiger Gastrointestinaltrakt aber zunächst Laktasemangel; Wärmeverluste Haut (braunes Fettgewebe) Umstellung der Mutter nach der Geburt 4 Plazentare Hormone p o Gonadotropine n, Prolaktin n; Uterusschrumpfung in ≈4 Wochen, Laktation nach 2–4 Tagen
meinsam mit Somatotropin, Prolaktin, Glukokortikoiden und Insulin) die Entwicklung der Milchdrüse, hemmen aber die Sekretionstätigkeit. Bei Abfall der Östrogene und Gestagene mit der Geburt setzt unter der stimulierenden Wirkung die Milchsekretion ein. Die Berührung der Brustwarze durch den Säugling löst über einen Reflex die Ausschüttung von Oxytozin aus, das eine Kontraktion der myoepithelialen Zellen und damit die Milchejektion veranlasst. Gleichzeitig wird die Kontraktion der Uterusmuskulatur angeregt, eine nach der Geburt erwünschte Nebenwirkung.
287 11.11 · Alter
Beim Stillen wird reflektorisch die hypothalamische Dopaminfreisetzung gehemmt und damit zusätzlich die Ausschüttung von Prolaktin stimuliert, das die weitere Milchproduktion fördert (7 Kap. 11.2.5). Prolaktin und Oxytozin hemmen die Ausschüttung von Gonadotropinen. Damit ist die Fertilität während des Stillens herabgesetzt (aber nicht völlig aufgehoben).
11.10.2
Muttermilch
! Die menschliche Muttermilch ist nicht nur Lieferant von Energiesubstraten
Zusammensetzung. Die Muttermilch besteht zu 87% aus
Wasser und enthält neben Proteinen (1,5%), Fett (4%) und Kohlenhydraten (7%, v. a. Laktose) alle Vitamine außer Vitamin B12, essentielle Aminosäuren sowie essentielle Fettsäuren. Die Konzentrationen an K+, Ca2+ und Phosphat sind höher und die Konzentrationen an Na+ und Cl- geringer als sonstige Extrazellulärflüssigkeit. Kuhmilch enthält mehr Proteine und weniger Laktose als Muttermilch. Die Muttermilch enthält unter anderem IgA Antikörper, wodurch die Immunabwehr des Säuglings unterstützt wird. In Kürze
Laktation Mechanismen und Regulation mütterlicher Milchproduktion 4 Östrogene n, Gestagene n (+ Somatotropin, Prolaktin, Glukokortikoide, Insulin) o Entwicklung Milchdrüse n, Sekretion p; Geburt o Östrogene p, Gestagene p o Milchsekretion; Berührung Brustwarze o Oxytozin n o Milchejektion, Uterusmuskulaturkontraktion 4 Stillen o Hypothalamus Dopamin p o Prolaktin o Milchproduktion, Gonadotropine p (o Fertilität p) Muttermilch 4 Zusammensetzung: 87% Wasser, Proteine (1,5%), Fett (4%), Kohlenhydrate (7%, v. a. Laktose), Vitamine (außer B12), essentielle Aminosäuren + Fettsäuren, Elektrolyte (v. a. K+, Ca2+, Phosphat), IgA Antikörper
11.11
Alter
11.11.1
Wechseljahre, Menopause
! Die Abnahme der Östrogen- und Gestagenproduktion in den Wechseljahren ruft unangenehme Nebenwirkungen hervor
Menopause. In der fünften Lebensdekade nimmt die Hor-
monproduktion im Ovar ab, die Regelblutungen werden unregelmäßig (Wechseljahre). Die Zeit nach der letzten Regelblutung (Menopause, 7 Kap. 11.2.1) wird als Postmenopause bezeichnet. Der Mangel an Östrogenen in den Wechseljahren führt zu ungezügelter Gonadotropinfreisetzung mit folgender hypothalamischer Aktivierung bei jeder LH Episode. Die Aktivierung benachbarter wärme- und kreislaufregulierender Neurone (7 Kap. 14.3.4) führt dabei zu unangenehmen Hitzewallungen und Tachykardieanfällen. Durch Wegfall der Östrogen- und Gestagenwirkungen in der Menopause kommt es ferner zu allmählichem Knochenabbau, der zu Schenkelhalsbrüchen, etc. führen kann. Der Mangel an Östrogenen beeinflusst die Lipoproteinkonzentrationen im Blut, es sinken HDL und VLDL und es steigen die LDL-Konzentrationen (7 Kap. 11.2.2). Durch Wegfall der Wirkung auf die Vaginalzellproliferation (7 Kap. 11.2.2) wird in der Vagina weniger Glykogen abgebaut und Laktat gebildet, der pH steigt und das Eindringen pathogener Erreger (v. a. Pilze) wird begünstigt.
11.11.2
Hormonsubstitution
! Zur Abfederung von klimakterischen Beschwerden können Hormone substituiert werden. Dabei müssen freilich Risiken in Kauf genommen werden
Vorteile der Hormonsubstitution. Die Verabreichung von Östrogenen mit oder ohne Gestagene verhindert die Hitzewallungen, schränkt Vaginalinfektionen ein und bremst den Knochenabbau. Nachteile der Hormonsubstitution. Die Verabreichung von
Östrogenen steigert die Gefahr der Entwicklung von Karzinomen in der Brustdrüse und im Endometrium. Darüber hinaus treten häufiger Schlaganfälle wegen Thromboembolien auf.
11
288
Kapitel 11 · Sexualentwicklung und Reproduktionsphysiologie
In Kürze
Alter Wechseljahre, Menopause 4 >40 Lebensjahre o ovarielle Hormonproduktion p, Regelblutungen p (Wechseljahre) o letzte Regelblutung (Menopause) o Postmenopause 4 Wechseljahre o Östrogene p o Gonadotropinfreisetzung, hypothalamische Aktivierung (wärme-, kreislaufregulierende Neurone) o Hitzewallungen, Tachykardieanfälle
11
4 Postmenopause o Östrogene p o Knochenabbau, HDL p,VLDL p, LDL n; Vaginalzellproliferation p o Glykogen po Laktat p o pH n o Erreger n Hormonsubstitution 4 Vorteile: Hitzewallungen p, Vaginalinfektionen p, Knochenabbau p 4 Nachteile: Brustdrüsen-, Endometriumkarzinome n, Thromboembolien n
12
12 Funktionsprinzipien des Nervensystems 12.1
Ionenkanäle
12.1.1 12.1.2
Kationenkanäle – 290 Cl–-Kanäle – 291
– 290
12.2
Ruhemembranpotenzial
12.2.1 12.2.2
Ionengradienten und Permeabilitäten – 291 Gleichgewichtspotenziale, Membranpotenzial – 292
– 291
12.3
Signalübertragung in Zellen – 292
12.3.1 12.3.2 12.3.3 12.3.4
Passive elektrische Eigenschaften – 292 Aktionspotenzial – 294 Fortleitung des Aktionspotenzials – 295 Intrazellulärer Transport – 297
12.4
Signalübertragung zwischen Zellen – 298
12.4.1 12.4.2 12.4.3 12.4.4 12.4.5
Prinzipien synaptischer Übertragung – 298 Transmitterfreisetzung – 298 Transmitter – 299 Übertragung an der motorischen Endplatte – 301 Ligandengesteuerte Übertragung an zentralen Synapsen – 302
12.5
Signalverarbeitung im Nervensystem – 305
12.5.1 12.5.2
Elementarmechanismen – 305 Verarbeitung in Neuronenpopulationen – 305
12.6
Funktionsprinzipien sensorischer Systeme – 307
12.6.1 12.6.2 12.6.3
Allgemeine Aspekte – 307 Rezeptorpotenzial – 307 Transformation der Reize – 307
12.7
Gliazellen und Liquor
12.7.1 12.7.2 12.7.3
Gliazellen – 308 Liquor – 309 Blut-Hirn-Schranke – 311
– 308
290
Kapitel 12 · Funktionsprinzipien des Nervensystems
> > Einleitung Die Aufgaben des menschlichen Nervensystems werden von mindestens 100 Milliarden Neuronen wahrgenommen. Jedes dieser Neurone empfängt über Tausende von Synapsen hemmende und fördernde Einflüsse seiner Aktivität. Auf ein Neuron konvergiert somit eine große Zahl von anderen Neuronen. Umgekehrt beeinflusst das Neuron über eine ähnliche Vielzahl von Axonkollateralen die Aktivität anderer Neurone. Konvergenz und Divergenz von Erregungen sind wichtige Voraussetzungen für die Informationsverarbeitung im zentralen Nervensystem.
12.1
Ionenkanäle
12.1.1
Kationenkanäle
! Spannungsabhängige Na+-Kanäle ermöglichen die blitzschnelle Depolarisation von Nervenzellmembranen. K+Kanäle halten das Ruhemembranpotenzial und beschleunigen die Repolarisation. Das Zellmembranpotenzial wird ferner durch Ca2+-Kanäle und unspezifische Kationenkanäle beeinflusst
Spannungsabhängige Na+-Kanäle. Die schnelle Depolari-
12
sation während eines Aktionspotenziales ist Folge der Aktivierung von spannungsabhängigen Na+-Kanälen (7 Kap. 1.5). Sie werden bei Depolarisation der Zellmembran bis zum Schwellenpotenzial (≈-60 mV) aktiviert und binnen weniger als einer Milllisekunde inaktiviert. Die spannungsabhängigen Na+-Kanäle werden nicht über die gesamte Nervenzellmembran eingebaut sondern nur im Axon und seinem Ursprung in der Nervenzelle (Axonhügel, . Abb. 12.1). Damit entsteht ein Aktionspotenzial zu Beginn des Axons und breitet sich über die gesamte Länge des Axons aus. Die Bindung von Ca2+ an der extrazellulären Seite verändert das Fixladungspotenzial der Zellmembran und verschiebt damit die Schwelle der Na+-Kanäle. Bei Hypocalciämie wird die Schwelle gesenkt und das Auslösen von Aktionspotenzialen begünstigt. Dadurch können Muskelkrämpfe auftreten (Tetanie). K+-Kanäle. Die K+-Kanäle sind für die Aufrechterhaltung
des Ruhemembranpotenzials erforderlich (7 Kap. 1.5). Bei einem Aktionspotenzial in Nerven- und Muskelzellen beschleunigt eine blitzschnelle Aktivierung von spannungsabhängigen K+-Kanälen die Repolarisation und verkürzt so die Aktionspotenzialdauer.
. Abb. 12.1. Strukturelemente eines Neurons. Über Synapsen (5) an Zellkörper und Dendriten (1) erhält das Neuron Informationen von Rezeptoren und anderen Neuronen. Über sein Axon (2) leitet es seine Erregungen zu anderen Neuronen, zu Muskelzellen etc., wo es die Erregung über Nervenendigungen (6) weitergibt. Myelinisierte Axone sind von Myelinscheiden (3) umgeben, die durch Ranvier-Schnürringe (4) unterbrochen sind
Ca2+-Kanäle. In den Nervenendigungen (. Abb. 12.1) ver-
mitteln spannungsabhängige Ca2+-Kanäle den Einstrom von Ca2+, das die Transmitterausschüttung auslöst (7 Kap. 12.4.2). In den Dendriten von Nervenzellen (. Abb. 12.1) erzeugen Ca2+-Kanäle bei Aktivierung kurze Depolarisationen der dendritischen Zellmembran (Ca2+-Spikes). Ligandengesteuerte Kationenkanäle. Transmitter beein-
flussen über Aktivierung von Ionenkanälen das Zellmembranpotenzial und damit die Erregung von Neuronen (7 Kap. 12.4.4, 7 Kap. 12.4.5, 7 Kap. 12.4.7).
291 12.2 · Ruhemembranpotenzial
12.1.2
Cl--Kanäle
! Cl--Kanäle tragen zur Repolarisation nach einem Aktionspotenzial bei und beeinflussen die Erregbarkeit
Einfluss von Cl--Kanälen auf das Zellmembranpotenzial. Die
intrazelluläre Cl--Konzentration ist in Neuronen weniger als ein Zehntel der extrazellulären Cl--Konzentration und das Gleichgewichtspotenzial liegt bei Neuronen meist bei etwa -75 mV (7 Kap. 12.2.2). Bei einer Depolarisation strömt das negativ geladene Cl- in die Zelle und trägt damit zur Repolarisation bei. Die Cl--Kanäle sind insbesondere für die schnelle Repolarisation von Muskelzellen erforderlich (7 Kap. 13.2.2). Ligandengesteuerte Cl--Kanäle. Die Wirkung von Cl--
Kanälen auf das Membranpotenzial spielt auch bei der Wirkung von Neurotransmittern eine Rolle. Unter anderem wirkt der Neurotransmitter γ-Aminobuttersäure GABA (7 Kap. 12.4.3) teilweise über Aktivierung von Cl-Kanälen. Die Wirkung hängt dabei vom Membranpoten-
zial und vom Cl--Gleichgewichtspotenzial ab. Ist das Zellmembranpotenzial stärker polarisiert als das Cl--Gleichgewichtspotenzial, dann wird Cl- aus der Zelle getrieben und die Zelle depolarisiert. Ist das Zellmembranpotenzial weniger polarisiert als das Cl--Gleichgewichtspotenzial, dann wird Cl- in die Zelle getrieben und die Zelle hyperpolarisiert. Das Zellmembranpotenzial bewegt sich also bei Aktivierung der Kanäle in Richtung des Gleichgewichtspotenziales. Meist liegt das Cl--Gleichgewichtspotenzial zwischen dem Ruhemembranpotenzial und der Schwelle zur Auslösung des Aktionspotenziales. Eine Aktivierung von Cl--Kanälen führt dann bei der unerregten Zelle zur Depolarisation, erschwert jedoch eine Depolarisation unter das Cl--Gleichgewichtspotenzial und damit das Erreichen der Schwelle zur Aktivierung von Na+-Kanälen. Während der Hinentwicklung ist die intrazelluläre Cl-Konzentration relativ hoch und das Cl--Gleichgewichtspotenzial niedriger als die Schwelle zur Aktivierung von Na+Kanälen. Daher wirkt GABA während der Hirnentwicklung als aktivierender Neurotransmitter.
In Kürze
Ionenkanäle Kationenkanäle 4 Spannungsabhängige Na+-Kanäle (Schwellenpotenzial ≈-60 mV) Axonhügel, Axon o blitzschnelle (<1 ms) Depolarisation o Inaktivierung 4 K+-Kanäle Repolarisation 4 Ca2+-Kanäle o Ca2+-Einstrom o Transmitterausschüttung; dendritische Ca2+-Spikes 4 Transmitter o ligandengesteuerte Kationenkanäle o Zellmembranpotenzial o Erregung
12.2
Ruhemembranpotenzial
12.2.1
Ionengradienten und Permeabilitäten
! Die neuronale Zellmembran weist unterschiedliche Gradienten und Permeabilitäten für die am Potenzial beteiligten Ionen auf
Cl--Kanäle 4 Aktivierung Cl--Kanäle o Verschiebung Membranpotenzial in Richtung Cl--Gleichgewichtspotenzial (≈-75 mV Erwachsener) o Hemmung der Depolarisation bis zur Schwelle (≈-60 mV) 4 GABA o ligandengesteuerte Cl--Kanäle o Hemmung Erregung beim Erwachsenen; Während Hirnentwicklung intrazelluläre Cl--Konzentration hoch o Cl-Gleichgewichtspotenzial positiver als Schwelle o GABA exzitatorischer Transmitter
zentration ([K+]i ≈150 mmol/l) höher als die extrazelluläre K+-Konzentration ([K+]e ≈5 mmol/l). K+ erzeugt ein Membranpotenzial, das Cl- aus der Zelle treibt. (7 Kap. 1.5). Die Cl--Konzentration ist daher intrazellulär ([Cl-]i ≈6 mmol/l) geringer als extrazellulär ([Cl-]e ≈110 mmol/l). Durch Na+/ Ca2+-Austauscher und Ca2+-ATPase ist die Ca2+-Konzentration ebenfalls intrazellulär ([Ca2+]i ≈100 nmol/l) niedriger als extrazellulär ([Ca2+]e ≈1 mmol/l).
Ionengradienten. Aufgrund der Tätigkeit der Na+/K+-AT-
Pase ist die intrazelluläre Na+-Konzentration ([Na+]i ≈15 mmol/l) geringer als die extrazelluläre Na+-Konzentration ([Na+]e ≈ 150 mmol/l) und die intrazelluläre K+-Kon-
Permeabilitäten. In Ruhe ist die Zellmembran von Neuro-
nen für Na+ weitgehend undurchlässig und hauptsächlich für K+ permeabel.
12
292
Kapitel 12 · Funktionsprinzipien des Nervensystems
12.2.2
Gleichgewichtspotenziale, Membranpotenzial
! Die Gleichgewichtspotenziale und Leitfähigkeiten der Ionen bestimmen das Membranpotenzial
Gleichgewichtspotenziale. Die Gleichgewichtspotenziale
(7 Kap. 1.5) sind angesichts der Ionengradienten (7 Kap. 12.2.1) in typischen Neuronen bei -90 mV für K+ ([K+]i/[K+]e ≈ 30), bei +60 mV für Na+ ([Na+]i/[Na+]e ≈0,1) bei -70 mV für Cl([Cl-]i/[Cl-]e ≈0,07) und bei +120 mV für Ca2+ ([Ca2+]i/ [Ca2+]e ≈10-4). Membranpotenzial. In unerregten Neuronen ist die K+-
Leitfähigkeit mehr als 20-fach höher als die Na+-Leitfähigkeit und das Membranpotenzial in der Nähe des K+Gleichgewichtspotenziales (EK = -61 mV · lg[K+]i/[K+]e, 7 Kap. 1.5). Ist die Zellmembran für mehr als ein Ion permeabel, so bestimmen die Leitfähigkeiten (g n) und Gleichgewichtspotenziale (En) aller Ionen (n) das Zellmembranpotenzial (EM = Σ(gn · En/gt), 7 Kap. 1.5), wobei gt die Gesamtleitfähigkeit der Zellmembran (für alle Ionen) ist. In Kürze
Ruhemembranpotenzial
12
Ionengradienten und Permeabilitäten 4 Ionengradienten: [Na+]i ≈15 mmol/l, [Na+]e ≈150 mmol/l, [K+]i ≈150 mmol/l, [K+]e ≈5 mmol/l, [Cl-]i) ≈6 mmol/l, ([Cl-]e) ≈110 mmol/l, [Ca2+]i ≈0,1 µmol/l [Ca2+]e ≈1 mmol/l. Na+/K+-ATPase o Na+-, K+-Gradienten o Membranpotenzial o Cl-Verteilung; Na+/Ca2+-Austauscher, Ca2+-ATPase o Ca2+-Verteilung; Permeabilitäten: Ruhe K+ >> Na+, Erregung Na+ > K+
12.3
Signalübertragung in Zellen
12.3.1
Passive elektrische Eigenschaften
! Die Geschwindigkeit der elektronischen Ausbreitung eines Aktionspotenzials ist eine Funktion der Membrankapazität und des Zytoplasmawiderstandes
Elektrotonische Ausbreitung des Aktionspotenzials. Die Öffnung von Na+-Kanälen und die durch den Na+-Einstrom erzeugte Depolarisation schaffen eine Potenzialdifferenz zwischen der depolarisierten (erregten) Membran und benachbarten unerregten Membranabschnitten. Diese Potenzialdifferenz führt zu einem Strom innerhalb und außerhalb der Zelle, der auch die benachbarten Membranabschnitte depolarisiert (. Abb. 12.2). Erreicht die Depolarisation am vormals unerregten Membranabschnitt die Schwelle für die Na+-Kanäle, dann kommt es auch an dieser Stelle zur Entwicklung eines Aktionspotenzials und auf diese Weise breitet sich das Aktionspotenzial über die gesamte Zellmembran aus. Kapazität. Die Depolarisation einer Zellmembran (ΔU) erfordert eine Ladungsverschiebung (ΔQ), die wie bei einem Kondensator umso größer sein muss, je größer die Membranfläche (F) und die spezifische Kapazität der Membran (C≈1 µF/cm2) ist:
ΔQ=F · C · ΔU Je geringer C und je größer der depolarisierende Strom pro Fläche, desto schneller und stärker wird die Membran depolarisiert.
Gleichgewichtspotenziale, Membranpotenzial 4 Gleichgewichtspotenziale: -90 mV K+, +60 mV Na+, -70 mV Cl-, +120 mV Ca2+ 4 Membranpotenzial: EM = Σ(gn · En/gt) (7 Kap. 1.5)
. Abb. 12.2. Einfluss des Rezeptorpotenzials auf die Aktionspotenzialfrequenz. Bei unterschwelligem Reiz (links) kommt kein Aktionspotenzial zustande. Bei gerade überschwelligem Reiz ist die Aktionspotenzialfrequenz gering, bei deutlich überschwelligem Reiz hoch
293 12.3 · Signalübertragung in Zellen
Membranzeitkonstante. Ein Maß für die Geschwindigkeit, mit der die Membran depolarisiert wird, ist die Membranzeitkonstante. Bei der Menge an erforderlichem Strom muss berücksichtigt werden, dass bei Depolarisation ein K+-Ausstrom einsetzt, der die weitere Depolarisation behindert. Daher muss vor allem bei langsamer Depolarisation sehr viel mehr Strom eingesetzt werden, als für die Entladung der Membran erforderlich wäre. Der während der Millisekunde eines Aktionspotenzials erzeugte Einstrom ist somit nicht in der Lage, ein größeres Membranstück zu depolarisieren. Der Einfluss eines depolarisierenden Stroms nimmt exponentiell mit dem Abstand zur Stromquelle ab. Ein Maß für die Abnahme ist die Membranlängskonstante λ. Bis zu einem Abstand von einem λ nimmt die Depolarisation um etwa 63% ab. Die Membranlängskonstante und damit die Reichweite von depolarisierenden Strömen sinken mit steigender Membrankapazität und abnehmendem Membranwiderstand einer Nervenfaser. Ferner sinken sie mit steigendem Zytoplasmawiderstand, den der depolarisierende Strom überwinden muss. Der Zytoplasmawiderstand (R) ist ist eine Funktion der Querschnittsfläche (πr 2 ) des Axons (R~1/πr 2 ). Die Membranfläche und damit der depolarisierende Strom nimmt andererseits mit dem Umfang (2πr) zu, also mit dem Radius und nicht mit seinem Quadrat. Das Verhältnis von depolarisierendem Strom durch die Membran zu Zytoplasmawiderstand und damit die Leitungsgeschwindigkeit steigen mit der Zunahme des Axondurchmessers. Die elektronische Leitung ist an den dünnen Dendriten und an kleinen Zellen wegen des relativ hohen Zytoplasmawiderstandes entsprechend langsam. Daher haben Membranströme an dünnen Dendriten einen relativ geringen Einfluss auf das Membranpotenzial eines Neurons. Eine äußerst wirksame Maßnahme zur Steigerung der Nervenleitungsgeschwindigkeit ist die Myelinisierung der Markscheiden von Nervenfasern (7 Kap. 12.3.3). ! Rezeptoren und Nerven können durch Strominjektion gereizt werden
Künstliche Reizung von Rezeptoren und Nerven. Rezeptoren, Nervenzellen und Nervenfasern lassen sich künstlich durch Applikation von Strom reizen. Bei einer bipolaren Reizung von Nerven werden die beiden Pole (die positiv geladene Anode und die negativ geladene Kathode) eines Reizgerätes in die Nähe des Nervs gebracht (z. B. durch leitenden Kontakt mit der Haut über dem Nerven). Der Nerv
wird über der Anode hyperpolarisiert und über der Kathode depolarisiert. Bei einer unipolaren Erregung wird eine kleinflächige, dicht am Nerven gelegene Kathode und eine großflächige, entfernt vom Nerven gelegene, Anode verwendet. Die Stromdichte über der Kathode ist damit sehr viel höher als die Stromdichte unter der Anode. Der Nerv wird durch die Kathode depolarisiert und damit erregt. Bei Verwendung von extrazellulären Elektroden fließt nur ein Bruchteil des Stroms durch die Zellmembran. Die Stromstärke muss daher vielfach höher sein als der Strom über die Zellmembran. Wird eine Nervenzellmembran durch einen überschwelligen Reizstrom (I) bis zur Schwelle entladen, dann muss dazu eine bestimmte Ladungsmenge verschoben werden (ΔQ). Darüber hinaus muss der Reizstrom den repolarisierenden K+-Ausstrom (IK) überwinden (7 Kap. 12.1.1). Zwischen der applizierten Stromstärke (I) und der Zeit (t), die benötigt wird, um eine Erregung auszulösen, ergibt sich daher folgender (vereinfachter) Zusammenhang: (I - IK) · t = ΔQ Ein Strom, der den repolarisierenden K+-Ausstrom IK nicht übersteigt, erzeugt auch bei langer Stromapplikation keine Erregung. Bei Strömen über IK tritt die Erregung umso früher ein, je größer I ist (. Abb. 12.3). Der Strom, der bei lang andauernder Reizung gerade noch eine Erregung auslöst, wird als Rheobase bezeichnet. Die Zeit, die bei doppeltem Rheobasenstrom benötigt wird, eine Erregung auszulösen, nennt man Chronaxie. Rheobase und Chronaxie sind Kenngrößen einer erregbaren Zelle (7 Kap. 12.4). Bei unterschwelliger Depolarisation wird ein Teil der Na+-Kanäle aktiviert und wieder inaktiviert, ohne dass ein Aktionspotenzial ausgelöst wurde. Diese Na+-Kanäle können bei einer weiteren Depolarisation nicht mehr aktiviert werden. Durch die Abnahme der erregbaren Na+-Kanäle muss die Zellmembran zur Aktivierung genügender Na+Kanäle stärker depolarisiert werden, d. h. die Schwelle für die Auslösung eines Aktionspotenzials depolarisiert. Eine geringfügige weitere Depolarisation führt zur Aktivierung und folgenden Inaktivierung weiterer Na+-Kanäle und verursacht somit eine weitere Depolarisation der Erregungsschwelle. Auf diese Weise kann ein langsam einschleichender Strom die Zelle völlig depolarisieren, ohne dass je ein Aktionspotenzial auftritt. Bei einem Wechselstrom wird die Membran abwechselnd depolarisiert und hyperpolarisiert. Bei einem hoch-
12
294
Kapitel 12 · Funktionsprinzipien des Nervensystems
12.3.2
Aktionspotenzial
! Das Aktionspotenzial von Neuronen ist eine lawinenartige, extrem kurzlebige Depolarisation
Auslösung des Aktionspotenzials. Das Aktionspotenzial
wird durch Öffnung von spannungsabhängigen Na+-Kanälen ausgelöst, deren Offenwahrscheinlichkeit mit einer Depolarisation zunimmt (7 Kap. 1.5). Repolarisation. Die Repolarisation ist Folge der schnellen Inaktivierung spannungsabhängiger Na+-Kanäle und wird durch Aktivierung spannungsabhängiger K+-Kanäle beschleunigt. Unmittelbar nach dem Aktionspotenzial hyperpolarisiert die Zellmembran (Nachhyperpolarisaton), u. a. weil die Na+/K+-ATPase 3 Na+-Ionen gegen 2 K+-Ionen austauscht und daher elektrogen ist.
12
. Abb. 12.3. Zusammenhang von Reizintensität und Reizdauer überschwelliger Reize. Oben: Ein depolarisierender Strom (I=Q/t) muss die Ladung einer Membran (QM) erst abbauen und benötigt dazu Zeit: Die Änderung des Potenzials mit der Zeit folgt einer exponentiellen Funktion: E=E 0 · (1- e -t/τ), wobei τ die Zeitkonstante der Membran ist. Unten links: Einmaliger, konstanter Reiz: Ein Reiz muss die Membran bis zur Schwelle depolarisieren, wozu sie entladen werden muss. Die dazu erforderliche Ladungsmenge ist das Produkt der Nettoreizstromstärke (I – Irh) und der Zeit t. Irh (Rheobasenstrom) entspricht dem repolarisierenden K+-Strom an der Schwelle. Ist der Reizstrom I geringer als Irh, dann wird auch bei langem Reiz keine Erregung ausgelöst (blaue Fläche). Bei hinreichendem Produkt (I – Irh)·t ist der Reiz überschwellig (rote Fläche). Die Chronaxie (Chr) ist diejenige Reizdauer, die bei I=2 · Irh gerade noch eine Erregung auslöst. Unten rechts: Langsam ansteigender Reiz. Bei Applikation unterschwelliger Reize (blau) führt die Depolarisation der Membran zur Aktivierung weniger Na+-Kanäle, die in der Folge inaktiviert werden. Die Inaktivierung der Na+-Kanäle mindert die Erregbarkeit der Membran und die Schwelle zur Auslösung eines Aktionspotenzials (Es) depolarisiert. Daher kann das Membranpotenzial (EM) langsam bis auf 0 mV depolarisiert werden, ohne dass ein Aktionspotenzial ausgelöst wird
frequenten Wechselstrom (> 500 kHz) ist der Wechsel so schnell, dass die Menge an Ladung nicht ausreicht, um bis zur Schwelle zu depolarisieren. Damit können hochfrequente Wechselströme zur Erwärmung eines Gewebes eingesetzt werden, ohne dass eine Aktivierung erregbarer Zellen auftritt. Die in Deutschland verwendete Wechselstromfrequenz von 50 kHz führt jedoch leider zur Aktivierung erregbarer Zellen (Nerven, Skelettmuskeln, Herz) und kann daher auch bei relativ geringen Stromstärken tödliche Stromunfälle auslösen.
Refraktärzeit. Während und unmittelbar nach einem Aktionspotenzial ist kein weiteres Aktionspotenzial auslösbar (absolute Refraktärzeit), da die Na+-Kanäle noch inaktiviert sind (. Abb. 1.7). Nach dem Aktionspotenzial erschweren die aktivierten K+-Kanäle und die Tätigkeit der Na+/K+-ATPase eine erneute Depolarisation (relative Refraktärzeit). Das Aktionspotenzial der Nervenzelle (. Abb. 1.7) folgt dem Alles-oder-nichts-Gesetz, d. h. bei Erreichen der Schwelle kommt es zur vollständigen Depolarisation unabhängig von der Reizstärke bzw. vom Rezeptorpotenzial. Die Reizstärke beeinflusst jedoch die Aktionspotenzialfrequenz (. Abb. 12.2): Bei starkem depolarisierendem Reiz kommt es nach der Repolarisation trotz relativer Refraktärzeit relativ schnell zur erneuten Depolarisation bis zur Schwelle der Na+-Kanäle und dem erneuten Auftreten eines Aktionspotenzials. Auf diese Weise wird die Amplitude des Rezeptorpotenzials in eine Frequenz der Aktionspotenziale übersetzt (Transformation des Reizes oder Kodierung in Frequenzen, 7 Kap. 12.3.3). Lokalanästhetika. Blockierung von spannungsabhängigen Na+-Kanälen unterbindet die axonale Fortleitung eines Aktionspotenzials. Pharmaka, die spannungsabhängige Na+-Kanäle hemmen, werden daher zur Hemmung der Weiterleitung von Schmerzafferenzen eingesetzt (Lokalanästhetika).
295 12.3 · Signalübertragung in Zellen
12.3.3
Fortleitung des Aktionspotenzials
! Aktionspotenziale sind frequenzmodulierte Information. Durch saltatorische Weiterleitung wird sie beschleunigt weitergeleitet
Frequenzmodulation. Die Erregung in einem Neuron oder einem Rezeptor muss auch über weite Strecken (bis über einen Meter) getreu weitergeleitet werden. Die Amplitude der neuronalen Depolarisation kann über diese weiten Strecken nicht unverfälscht bleiben. Daher wird die Amplitude des neuronalen oder Rezeptorpotenzials in die Frequenz von Aktionspotenzialen übersetzt (Kodierung, . Abb. 12.2). Die Frequenz der an der Nervenendigung ankommenden Aktionspotenziale ist die gleiche wie die Frequenz der Aktionspotenziale im Neuron oder am Rezeptor, da normalerweise kein Aktionspotenzial während der Weiterleitung durch das Axon verschwindet. Die Frequenzmodulation der Information ermöglicht somit eine getreue Weiterleitung der Information. Am Axonende entscheidet die Frequenz der Aktionspotenziale über die Ausschüttung von Transmitter und damit über die Depolarisation des folgenden Neurons. Die saltatorische Erregungsfortleitung. Die kontinuierliche Erregungsausbreitung ist langsam (7 Kap. 12.3.1). Die bloße Zunahme des Durchmessers ermöglicht nur eine bescheidene Zunahme der Leitungsgeschwindigkeit (z. B. im Riesenaxon des Tintenfisches). Während der Evolution ist jedoch ein Mechanismus entwickelt worden, der eine sehr viel schnellere Fortleitung zulässt: Bei der saltatorischen Fortleitung werden große Membranabschnitte übersprungen, die weder K+- noch Na+-Kanäle aufweisen und deren Potenzial daher passiv dem Potenzial der angrenzenden aktiven Membranabschnitte folgt. Bei Depolarisation eines erregbaren Membranabschnittes werden sie durch die intrazellulären Ströme depolarisiert. Die passiven Membranabschnitte verzögern die Depolarisation nicht durch K+-Ausstrom, sind jedoch andererseits auch nicht in der Lage, selbst ein Aktionspotenzial auszubilden. Erst der nächste erregbare Membranabschnitt verfügt über Na+-Kanäle und kann wieder ein aktives Aktionspotenzial erzeugen. Durch Überspringen des unerregbaren Nervenfaserabschnittes wird erheblich Zeit gewonnen. Nun ist die Länge des übersprungenen Membranabschnittes begrenzt. Um die Depolarisation über diese Membranabschnitte zu leiten, müssen auch diese Abschnitte depolarisiert werden, d. h. die Ladung der Membran muss aufgehoben werden. Die Menge an Ladung, die zur Depolarisation des passiven
Membranabschnittes verschoben werden muss, ist natürlich umso größer, je länger der passive Membranabschnitt ist. Wenn der passive Membranabschnitt zu lang ist, dann reicht die Menge an Na+, die während eines Aktionspotenzials in die Zelle strömt, nicht aus, um die passive Membran soweit zu depolarisieren, bis die Schwelle der nächsten aktiven Membran erreicht wird. In diesem Fall wird das Aktionspotenzial nicht weitergeleitet (. Abb. 12.4). ! Myelinscheiden beschleunigen die Fortleitungsgeschwindigkeit von Nervenfasern vielfach
Funktion der Myelinscheiden. Je geringer die spezifische
Kapazität eines passiven Membranabschnitts ist, desto länger kann dieser Abschnitt sein, ohne dass die Weiterleitung des Aktionspotenzials gefährdet ist. Der Bau von schnellleitenden Nervenfasern zielt daher auf eine möglichst geringe spezifische Kapazität der passiven Membranabschnitte ab. Die Kapazität eines Kondensators nimmt mit dem Abstand der Kondensatorplatten ab. Darüber hinaus wird er herabgesetzt, wenn sich zwischen den beiden Platten (Dielektrikum) nichtpolarisierbares Material (z. B. Lipide) befindet. Die schnell leitenden Nervenfasern verfügen über Myelinscheiden. Die Myelinscheiden sind lipidreiche Ausläufer von Schwann-Zellen oder von Oligodendrogliazellen, die sich mehrfach um die Axone der Neurone wickeln. Damit ist erreicht, dass der »Kondensatorplattenabstand“ groß und das Dielektrikum apolar ist. Die myelinisierten Nervenfasern weisen also eine sehr geringe spezifische Kapazität auf. Darüber hinaus unterbinden sie repolarisierende K+-Ströme an den umwickelten Membranabschnitten (Isolierung). Ranvier-Schnürringe. Die Myelinscheiden verdünnen sich
periodisch an den sogenannten Ranvier-Schnürringen oder Knoten. Dort verfügt die Membran über eine hohe Konzentration an Na+- und K+-Kanälen und ist damit erregbar. Die Erregung springt somit von einem Ranvier-Schnürring zum andern. Normalerweise ist die Myelinisierung stärker, als für das Springen von einem Ranvier-Schnürring zum nächsten erforderlich wäre. In der Regel erlaubt das Verhältnis von Na+-Einstrom und spezifischer Kapazität das Überspringen von zwei Ranvier-Schnürringen. Der unerregbare Membranabschnitt zwischen zwei Ranvier-Schnürringen wird Internodium genannt. Nervenfaserklassen. Je nach Myelinisierungsgrad und Funktion werden die verschiedenen Nervenfasern in Klassen eingeteilt (. Tab. 12.1). Besonders schnell leitende Ner-
12
296
Kapitel 12 · Funktionsprinzipien des Nervensystems
. Tab. 12.1. Die verschiedenen Klassen von Nervenfasern Fasergruppe
Durchmesser (µm)
NLG (m/s)
Funktion
Aα (Ia, Ib)
15
100
A: primäre Muskelspindeln (Ia), Sehnenorgane (Ib) E: α-Motoneurone
Aβ (II)
8
50
A: Berührung, Druck, sekundäre Muskelspindeln
Aγ
5
20
E: Muskelspindeln
Aδ (III)
3
15
A: Mechanorezeption, Temperatur, Schmerz
B
3
7
E: Sympathisch präganglionär
C (IV)
1
1
A: Schmerz, Mechanorezeption, Temperatur E: Sympathisch postganglionär
(nach Erlanger und Gasser sowie Lloyd und Hunt). C (IV) = Fasern sind nicht myelinisiert A = afferent; E = efferent
leiten. Periphere Nerven sind häufig gemischt, sie enthalten schnelle und langsame Nervenfasern.
12
. Abb. 12.4. Fortleitung eines Aktionspotenzials. Der Na+-Einstrom (rot) depolarisiert den erregten Membranabschnitt. Die Depolarisation erzeugt eine Potenzialdifferenz zu den angrenzenden Membranabschnitten, die auf diese Weise ebenfalls depolarisiert werden. Bei kontinuierlicher Ausbreitung (a) bewirkt die Depolarisation der angrenzenden Membranabschnitte einen K+-Ausstrom (grün), der den Strom teilweise kurzschließt und damit die Ausbreitung behindert. Durch Zwischenschalten eines impermeablen Membranabschnittes (b) kann die Ausbreitung beschleunigt werden. Allerdings muß der Na+-Einstrom ausreichend sein, um die Ladung des impermeablen Membranabschnittes umzupolen und den nächsten permeablen Membranabschnitt bis zur Schwelle zu depolarisieren. Durch Myelinisierung (c) wird die Kapazität des impermeablen Membranabschnittes herabgesetzt und damit ermöglicht, dass ein größerer Abschnitt übersprungen werden kann. Nimmt bei demyelinisierenden Erkrankungen (z. B. multiple Sklerose) die Myelinscheidendicke ab (d), dann reicht der Na+-Strom wegen der Zunahme der Membrankapazität nicht mehr aus, die gesamte impermeable Membran zu depolarisieren und das Aktionspotenzial wird nicht mehr weitergeleitet. Oben: Der Abfall des Potenziales ΔE entlang der Nervenfaserlänge Δx folgt der Funktion: Ex=E0 · e-x/l, wobei l die Längskonstante der Membran ist
venfasern werden vor allem in der Motorik eingesetzt, während die Nervenfasern für Wärme und teilweise für Schmerz, sowie die postganglionären vegetativen Nervenfasern (7 Kap. 14.2) unmyelinisiert sind und daher langsam
Messung der Nervenleitungsgeschwindigkeit. Zur Messung der Nervenleitungsgeschwindigkeit werden an einer Stelle des Nerven Aktionspotenziale ausgelöst (7 Kap. 12.3.1) und an einer zweiten Stelle der Zeitpunkt ermittelt, zu dem die Aktionspotenziale ankommen. Der Abstand zwischen Reizelektrode und Ableitelektrode (d) über der Zeitdauer (t) zwischen Reizung und Ankunft der Aktionspotenziale ergibt dann die Leitungsgeschwindigkeit (d/t). Dabei leitet der Nerv gleichermaßen in die physiologische (orthodrom) und entgegengesetzte (antidrom) Richtung. Alternativ kann ein Muskel an zwei Stellen des jeweiligen motorischen Nerven gereizt und der jeweilige Zeitpunkt der Muskelerregung bestimmt werden. Die Nervenleitungsgeschwindigkeit ist dabei der Abstand zwischen den beiden Reizelektroden (d) über der Differenz der Zeitpunkte (Δt) zu denen die Erregung im Muskel einsetzt (d/Δt). Demyelinisierende Erkankungen. Ein Verlust von Markscheidendicke ist mitunter Folge einer Autoimmunreaktion (7 Kap. 2.5, multiple Sklerose) gegen die Myelinscheiden oder Oligodendrogliazellen (7 Kap. 12.7.1) oder einer Kompression des Nerven (z. B. des Nervus facialis im knöchernen Verlauf). Durch die Zunahme der Internodienkapazität ist dabei mehr Strom zur Depolarisation der Internodien erforderlich. Zunächst kommt es zu einer Verlangsamung der
297 12.3 · Signalübertragung in Zellen
Erregungsfortleitung, da nunmehr keine Ranvier-Schnürringe mehr übersprungen werden können. Bei starker Demyelinisierung kommt es zur völligen Leitungsunterbrechung, da der Strom eines Ranvier-Schnürringes nicht mehr ausreicht, um das Internodium bis zum nächsten RanvierSchnürring überschwellig zu depolarisieren und an diesem Ranvier-Schnürring ein Aktionspotenzial auszulösen.
12.3.4
Intrazellulärer Transport
! Der Zellkern einer Nervenzelle liegt im Zellkörper (Soma). Proteine müssen von dort über die Axone in die Nervenendigungen transportiert werden. Die Axone verfügen über mehrere effiziente Mechanismen des Stofftransports über weite Strecken
anterograde axonale Transport (≈1 mm/Tag) wird wahrscheinlich durch Polymerisierung von Zytoskelettbestandteilen selbst hervorgerufen. Der langsame axonale Transport bestimmt die Geschwindigkeit, mit der ein abgeschnittener peripherer Nerv wieder in Richtung Peripherie wächst. Retrograder axonaler Transport. Der retrograde axonale
Transport (≈200 mm/Tag) schafft proteinhaltige Vesikel in Richtung Zellkörper. Er transportiert u. a. Wachstumsfaktoren (nerve growth factor NGF und brain derived nerve growth factor BDNF), die für das Überleben von Neuronen erforderlich sind. Über den retrograden axonalen Transport peripherer Nerven können jedoch auch Krankheitserreger (z. B. Herpes- und Polio-Viren) und ihre Toxine (z. B. Tetanustoxin) in das zentrale Nervensystem gelangen. Motorproteine. Der axonale Vesikeltransport wird durch
Anterograder axonaler Transport. Der schnelle axonale
Transport (≈400 mm/Tag) bewegt Vesikel unter Verbrauch von ATP in Richtung der Axonterminalen. Der langsame
Motorproteine vermittelt, die sich entlang von Aktinfilamenten (Myosine) oder Mikrotubuli (Kinesine und Dyneine) bewegen.
In Kürze
Signalübertragung in Zellen Passive elektrische Eigenschaften 4 Kapazität: ΔQ = F · C · ΔU 4 Membranzeitkonstante = Maß für die Geschwindigkeit, mit der die Membran depolarisiert wird 4 Membranlängskonstante λ = Membranabschnitt, in dem Depolarisation auf 37% abnimmt 4 Zytoplasmawiderstand (R~1/πr2) sinkt (und Leitungsgeschwindigkeit steigt) mit Zunahme Axondurchmesser 4 Künstliche Reizung von Rezeptoren und Nerven: (I-IK) · t=ΔQ 4 Rheobase = Strom, der bei lang andauernder Reizung gerade noch Erregung auslöst 4 Chronaxie = Zeit, die bei doppeltem Rheobasenstrom benötigt wird, eine Erregung auszulösen 4 Langsam einschleichender Strom o sukzessive Inaktivierung Na+-Kanäle o Depolarisation ohne Auslösung Aktionspotenzial 4 Hochfrequenter Wechselstrom (>500 kHz) o keine Erregung; Wechselstromfrequenz von 50 kHz o Aktivierung erregbarer Zellen o auch bei relativ geringen Stromstärken tödliche Stromunfälle 6
Aktionspotenzial 4 Auslösung: Öffnung spannungsabhängiger Na+Kanäle (7 Kap. 1.5). 4 Repolarisation: Inaktivierung Na+-Kanäle + Aktivierung K+-Kanäle + Na+/K+-ATPase 4 Refraktärzeit: Absolute Refraktärzeit = kein Aktionspotenzial (AP) auslösbar (Na+-Kanäle inaktiviert), relative Refraktärzeit AP schwer auslösbar (K+-Kanäle n, Na+/ K+ATPase n) 4 Alles-oder-nichts-Gesetz = Erreichen der Schwelle o vollständige Depolarisation 4 Reizstärke o Aktionspotenzialfrequenz (Frequenzkodierung) 4 Lokalanästhetika o Blockierung von Na+-Kanälen o Leitungsunterbrechung Fortleitung des Aktionspotenzials 4 Frequenzmodulation o kein Informationsverlust 4 Impermeable Axonabschnitte (Internodien) mit geringer Kapazität o Saltatorische Erregungsfortleitung von und zu Ranvier-Schnürringen 4 Schwann-Zellen, Oligodendrogliazellen o Myelinscheiden o Isolierung n, Kapazität Internodium pp
12
298
Kapitel 12 · Funktionsprinzipien des Nervensystems
o weniger Strom pro Axonabschnitt o längere Internodien o schnellere Fortleitung 4 Myelinisierungsgrad Nervenfaserklassen (. Tab. 12.1) 4 Messung Nervenleitungsgeschwindigkeit: Elektrodenabstand (d) pro Zeitdauer (Δt); orthodrom = antidrom 4 Demyelinisierende Erkankungen: Entzündung, Druck o Markscheidendicke p o Internodienkapazität n o Strom reicht nicht zur Depolarisation bis zur Schwelle des nächsten Ranvier-Schnürringes o Leitungsunterbrechung
12.4
Signalübertragung zwischen Zellen
12.4.1
Prinzipien synaptischer Übertragung
! Die Information zwischen zwei Neuronen kann durch direkte elektrische Verbindungen oder über Ausschüttung eines Transmitters (chemische Synapse) erfolgen
Elektrische Synapsen. Bestimmte Kanalproteine in der
12
Zellmembran (Connexine) bilden mit entsprechenden Kanalproteinen von Nachbarzellen einen Kanalkomplex, der den Durchtritt von Ionen und ungeladenen kleinen Teilchen von Zelle zu Zelle ermöglicht (gap junctions). Bei Depolarisation einer Zelle A, die über eine elektrische Synapse mit einer Zelle B verbunden ist, entsteht ein elektrisches Gefälle an der elektrischen Synapse, das Kationen in die Zelle B und Anionen in die Zelle A treibt. Der Strom depolarisiert Zelle B und bremst die Depolarisation in Zelle A. Auch nichterregbare Zellen (z. B. Epithelien) verfügen über interzelluläre Verbindungskanäle, die durch Connexine gebildet werden. Chemische Synapsen. Im Nervensystem spielen elektrische
Synapsen eine untergeordnete Rolle. Bei weitem häufiger und bedeutsamer sind chemische Synapsen (. Abb. 12.5). Bei diesen Synapsen gibt ein Neuron (präsynaptisches Neuron) einen chemischen Botenstoff (Transmitter) ab, der auf ein zweites Neuron (postsynaptisches Neuron) wirkt. Eine chemische Synapse besteht aus der transmitterfreisetzenden präsynaptischen Membran des ersten Neurons, dem synaptischen Spalt, in den der Transmitter abgegeben wird, und der subsynaptischen Membran des zweiten Neurons, auf die der Neurotransmitter einwirkt. Die Potenzialänderung an der subsynaptischen Membran breitet sich elektro-
Intrazellulärer Transport 4 Schneller axonaler Transport von Vesikeln durch Motorproteine entlang von Aktinfilamenten (Myosine) oder Mikrotubuli (Kinesine und Dyneine) (anterograd ≈400 mm/Tag [z. B. Enzyme für Transmittersynthese], retrograd ≈200 mm/Tag [z. B. NGF, BDNF, Viren, Toxine]), langsamer anterograder axonaler Transport (≈1 mm/Tag)
tonisch auf die benachbarten Membranabschnitte (postsynaptische Membran) des zweiten Neurons aus.
12.4.2
Transmitterfreisetzung
! Aktionspotenziale öffnen spannungsgesteuerte Ca2+-Kanäle in der präsynaptischen Endigung, Ca2+ strömt ein und löst die Fusion transmitterhaltiger Vesikel mit der präsynaptischen Membran aus
Auslösung der Transmitterfreisetzung. Die Neurotransmitter sind in präsynaptischen Vesikeln abgepackt, die teilweise direkt unter der präsynaptischen Membran liegen. Bei Erregung des präsynaptischen Neurons wandert ein Aktionspotenzial dem Axon entlang bis zur Synapse. Dort führt die Depolarisation zu einer Aktivierung spannungsabhängiger Ca2+-Kanäle. Ca2+ strömt durch diese Kanäle in die Nervenendigung und vermittelt die Fusion von transmitterhaltigen Vesikeln mit der präsynaptischen Zellmembran (Exozytose, 7 Kap. 1.3.2). Die Vesikel entleeren sich in den synaptischen Spalt. Die Vesikelmembran wird dann wieder durch clathrinvermittelte Endozytose internalisiert. Durch die Entleerung des Vesikelinhaltes steigt im synaptischen Spalt die Transmitterkonzentration deutlich an und der Transmitter bindet an Rezeptoren der subsynaptischen Membran. Durch Bindung des Transmitters werden direkt oder unter Vermittlung von G-Proteinen Ionenkanäle der postsynaptischen Membran aktiviert oder inaktiviert und damit das Zellmembranpotenzial des postsynaptischen Neurons verändert (ligandengesteuerte Kanäle bzw. rezeptormodulierte Kanäle). Quanten. Bei der Fusion eines Vesikels mit der präsynapti-
schen Membran entleert sich der gesamte Inhalt des Vesi-
299 12.4 · Signalübertragung zwischen Zellen
dazu erforderlichen Enzyme werden im Zellleib des Neurons synthetisiert und dann durch anterograden axonalen Transport zur Nervenendigung transportiert (7 Kap. 12.3.4). Acetylcholin wird durch Azetylierung von Cholin gebildet, Serotonin durch Hydroxylierung und Dekarboxylierung von Tryptophan, GABA durch Dekarboxylierung von Glutamat, Histamin durch Dekarboxylierung von Histidin. Dopamin, Noradrenalin und Adrenalin werden über mehrere Schritte aus Tyrosin gebildet, Taurin über mehrere Schritte aus Cystein. Die Transmitter Glutamat, Aspartat und Glyzin sind proteinogene Aminosäuren. Die Neurotransmitter werden über entsprechende Transportprozesse in den Vesikeln konzentriert. Neuropeptide werden über Proteinsynthese bzw. Abspaltung der Peptide im Zellkörper synthetisiert und durch axonalen Transport in großen, dichten Vesikeln zur Nervenendigung gebracht.
12.4.3 . Abb. 12.5. Chemische Erregungsübertragung am Beispiel der muskulären Endplatte (Transmitter Acetylcholin, ACH). Das in der Nervenendigung ankommende Aktionspotenzial aktiviert Na+-Kanäle (1), wodurch die Zellmembran weiter depolarisiert wird. Die Depolarisation öffnet spannungsabhängige Ca2+-Kanäle (2), Ca2+ vermittelt die Verschmelzung ACH-haltiger Vesikel mit der präsynaptischen Membran (3). ACH wird in den Spalt ausgeschüttet (4) und bindet an ACH-Rezeptoren (5) der subsynaptischen Membran, unspezifische Kationenkanäle, die bei Bindung von ACH öffnen. Der folgende Na+-Einstrom depolarisiert die subsynaptische Membran und durch elektrotonische Ausbreitung (6) die benachbarte postsynaptische Membran, wodurch dort spannungsabhängige Na+-Kanäle geöffnet werden (7). Die Erregung wird durch Spaltung von ACH durch die Acetylcholinesterase (8) beendet. Die Spaltprodukte Essigsäure und Cholin werden z. T. wieder in die Nervenendigung aufgenommen (9) und zu ACH gekoppelt, das dann wieder in die Vesikel transportiert wird (10)
kels in den synaptischen Spalt. Die Gesamtheit der Transmitter eines Vesikels wird also auf einmal abgegeben. Die Mengen an Transmitter, die in einem Vesikel abgespeichert werden, sind somit die kleinsten Einheiten (Quanten) der Transmitterfreisetzung. Autorezeptoren. Der Transmitter kann auch an Rezeptoren der präsynaptischen Membran binden und damit die Funktion der transmitterausschüttenden Zelle selbst beeinflussen. Transmittersynthese. Die meisten Neurotransmitter
(. Abb. 12.6) werden in der Nervenendigung gebildet. Die
Transmitter
! Bei den chemischen Synapsen kommt eine Vielzahl unterschiedlicher Neurotransmitter zum Einsatz, die jeweils über verschiedene Rezeptoren ihre Wirkungen auf die postsynaptischen Neurone ausüben
Aminosäuren. Die exzitatorischen Aminosäuren Glutamat
und Aspartat und die hemmenden Neurotransmitter Glyzin sind proteinogene Aminosäuren, Taurin eine ß-Aminoethylsulfonsäure (. Tab. 12.2). Monoamine. Einige Neurotransmitter sind Monoamine,
wie Serotonin (Hydroxytryptophan), die Katecholamine (Dopamin, Adrenalin, Noradrenalin, 7 Kap. 14.2.2), Histamin und der wichtigste inhibitorische Neurotransmitter des zentralen Nervensystems GABA (γ-Aminobuttersäure) (. Tab. 12.2). Oligopeptide. Wichtige, als Neurotransmitter eingesetzte Oligopeptide (Neuropeptide) sind die schmerzhemmenden Opioide Endorphin und Enkephalin, die Schmerzafferenzen übertragende Substanz P, sowie die auch endokrin wirksamen Signalstoffe Angiotensin II, Somatostatin und das vasoaktive intestinale Peptid VIP. Acetylcholin. Neben seiner Rolle als Überträgerstoff an der
muskulären Endplatte (7 Kap. 12.4.4) ist Acetylcholin Überträgerstoff im vegetativen Nervensystem (7 Kap. 14) und aktivierender Transmitter im zentralen Nervensystem.
12
300
Kapitel 12 · Funktionsprinzipien des Nervensystems
. Abb. 12.6. Die wichtigsten Neurotransmitter und ihre Vorstufen
Cotransmitter. Die Vesikel speichern nicht nur einen Trans-
12
mitter sondern weitere Mediatoren, die gleichfalls Wirkungen auf das postsynpatische oder präsynaptische Neuron ausüben können. Zu Cotransmittern zählen ATP, ADP und AMP, die über purinerge Rezeptoren ihre Wirkungen entfalten. NO. Aus Arginin kann Nitroxid (NO) abgespalten werden,
das über die präsynaptische oder postsynpatische Membran diffundiert und über Nitrosylierung und/oder Aktivierung der G-Kinase (7 Kap. 10.1.3) seine Wirkungen entfaltet. Gleichermaßen könnte CO als Botenstoff dienen. Beendigung des Signals. Neuronale Informationsübertragung erfordert, dass ein Signal beendet wird, dass also der Transmitter wieder entfernt wird. Das geschieht entweder durch Abbau oder zelluläre Aufnahme des Transmitters. Acetylcholin wird beispielsweise zu Essigsäure und Cholin
gespalten, die wieder durch das präsynaptische Neuron aufgenommen werden (7 Kap. 12.4.4). Glutamat, Aspartat, GABA, Taurin und Monoamine werden durch Na+ gekoppelten Transport in Gliazellen oder Neurone aufgenommen. Steuerung der Transmitterwirksamkeit. Die Ausschüttung und Wirkung von Neurotransmittern sind keine Konstanten, sondern unterliegen modulierenden Einflüssen. Über Autorezeptoren der präsynaptischen Membran kann die Transmitterausschüttung gehemmt werden (Autoinhibition), die Empfindlichkeit der Rezeptoren kann durch modulierende Einflüsse gesteigert oder herabgesetzt werden. Häufig kommt es bei einer Interaktion mit Transmittern zu Internalisierung und Abbau von Rezeptoren (Desensitisierung), die eine Abnahme der Zahl an verfügbaren Rezeptoren und damit eine Abnahme der Transmitterwirkung zur Folge haben. Umgekehrt führt verminderte oder fehlende Neuro-
301 12.4 · Signalübertragung zwischen Zellen
12.4.4
. Tab. 12.2. Wichtige Neurotransmitter Transmitter
Rezeptor
Strom
Bedeutung
Acetylcholin
Endplatte nikotinisch muskarinisch
INa,K INa,K IK,ICa
Muskelkontraktion veg. Ganglien Parasympathikus
(Nor)adrenalin
α β
ICa –IK
Sympathikus
ATP
purinerg
INa, Ca
veg. Nervensystem Hemmung
ICl
α-Motoneurone
Glyzin Dopamin
D2
IK
Basalganglien
GABA
GABAA, GABAB
ICl I K ,–ICa
Hemmer ZNS
Glutamat
AMPA* NMDA**
INa,K INa,Ca
Stimulator ZNS
Serotonin
5HT1
IK
Schlaf
–IK
Schmerz
µ, d
IK
Schmerzhemmung
Substanz P Endorphine
Beispiele von Rezeptoren, regulierten Strömen an der Zellmembran und physiologischer Bedeutung * = AMPA-Rezeptor wird so genannt, weil er besonders gut durch αAmino-3-hydroxy-5-methyl-4-isoxal-propionic acid aktiviert wird. Da er auch Kainat bindet, wird er auch A/K-Rezeptor (AMPA/Kainat) genannt. ** = NMDA-Rezeptor wird so genannt, weil er besonders gut durch N-methyl-D-Aspartat aktiviert wird
transmitterausschüttung zu einer Sensibilisierung des postsynaptischen Neurons, die u. a. durch eine Zunahme der Zahl an Rezeptoren erreicht wird. Desensibilisierung und Sensibiltisierung sind wichtige Mechanismen des Nervensystems, um einen adäquaten Informationsfluss sicherzustellen. Bei der pharmakologischen Therapie von Erkrankungen des Nervensystems wird u. a. versucht, durch Beeinflussung des Transmitterstoffwechsels eine herabgesetzte oder gesteigerte Aktivität der jeweiligen Neurone zu erzielen. Dabei wird die Bildung von Neurotransmittern durch Hemmung entsprechender Enzyme herabgesetzt, die Speicherung durch Hemmung der Transportproteine an den Vesikeln beeinträchtigt, die Wirkung durch Rezeptorblocker unterbunden oder die Wirkung durch Hemmer des Transports aus dem synaptischen Spalt verstärkt. Erkrankungen des Nervensystems können bisweilen auf genetische Defekte von transmitterbildenden oder -abbauenden Enzymen, Transportproteinen oder Rezeptoren zurückgeführt werden.
Übertragung an der motorischen Endplatte
! Die Übertragung einer Erregung von der Nervenendigung auf den Muskel geschieht in der motorischen Endplatte. Kurz vor dem Muskel endet die Myelinscheide, der Nerv verzweigt sich mehrfach und bildet mehrere enge Verbindungen mit der Muskelzellmembran. Die Übertragung an der Endplatte entspricht der synaptischen Übertragung erregender Nerven
Mechanismen der Erregungsübertragung. Erreicht ein Aktionspotenzial die Nervenendigungen, kommt es zur Öffnung spannungsabhängiger Ca2+-Kanäle, Ca2+ strömt ein und vermittelt die Verschmelzung acetylcholinhaltiger präsynaptischer Vesikel mit der präsynaptischen Membran. Dadurch wird Acetylcholin in den synaptischen Spalt ausgeschüttet. Acetylcholin bindet an nikotinische Rezeptoren der subsynaptischen Membran und löst dadurch einen unspezifischen Kationenstrom aus. Der Einstrom von Na+ depolarisiert die subsynaptische Membran (Endplattenpotenzial) und durch elektrotonische Ausbreitung auch die unmittelbar angrenzenden Membranabschnitte/ postsynaptische Membran). Wird dort die Schwelle erreicht, dann kommt es zur Ausbildung eines Aktionspotenzials, das sich schnell über die gesamte Muskelzellmembran ausbreitet. Im synaptischen Spalt wirkt eine Acetylcholinesterase, die durch Spaltung des Acetylcholin in Essigsäure und Cholin dessen Wirkung binnen weniger Millisekunden beendet. Essigsäure und Cholin werden in die präsynaptische Nervenendigung aufgenommen, wieder zu Acetylcholin verestert und als solches in den Vesikeln gespeichert. Acetylcholin kann auch durch eine im Blut vorkommende Cholinesterase gespalten und damit inaktiviert werden. Ein Vesikel enthält etwa 104 Acetylcholinmoleküle. Die Ausschüttung eines Vesikels erzeugt eine messbare Depolarisation (Miniaturendplattenpotenzial), die allerdings kein Aktionspotenzial auslösen kann. Beeinflussung der Übertragung durch Pharmaka und Gifte. Eine Reihe von Substanzen kann die synaptische
Übertragung an der motorischen Endplatte unterbinden bzw. verstärken. Das vom Bakterium Clostridium botulinum gebildete Botulinustoxin unterbindet die Fusion der Vesikel mit der präsynaptischen Membran und damit die Acetylcholinausschüttung. Das Gift des indianischen Pfeilgiftes Curare (d-Tubocurarin) verdrängt Acetylcho-
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302
Kapitel 12 · Funktionsprinzipien des Nervensystems
lin kompetitiv vom Rezeptor, ohne selbst den Rezeptor zu aktivieren. Beide Substanzen hemmen somit die neuromuskuläre Übertragung und lösen Lähmungen aus. Succinylcholin aktiviert wie Acetylcholin den Acetylcholinrezeptor, kann aber durch die Acetylcholinesterase der Endplatte nicht inaktiviert werden. Es erzeugt somit im Bereich der Endplatte eine Dauerdepolarisation, wodurch die spannungsabhängigen Na+-Kanäle inaktiviert werden und sich kein Aktionspotenzial mehr ausbilden kann. Curare und Succinylcholin werden in der Anästhesie zur Muskelrelaxation eingesetzt. Die Acetylcholinesterase kann durch Physostigmin (bzw. Prostigmin, Neostigmin) gehemmt und damit die Acetylcholinwirkung verstärkt werden. Überdosierung der Acetylcholinesterasehemmer führt jedoch wie bei Succinylcholin zu Dauerdepolarisation und Lähmung. Myasthenie. Die Myasthenia gravis ist die wichtigste Stö-
rung der neuromuskulären Übertragung. Die Erkrankung wird durch Antikörper (Autoantikörper) gegen die nikotinischen Acetylcholinrezeptoren ausgelöst, die Acetylcholin vom Rezeptor verdrängen. Um dennoch eine hinreichende Kontraktion des Muskels zu erzielen, muss der Patient mehr Acetylcholin ausschütten, der erhöhte Verbrauch von Acetylcholin führt schließlich zur vorzeitigen Erschöpfung der betroffenen Muskeln. Bei dieser Erkrankung werden Acetylcholinesterasehemmer zur Steigerung der neuromuskulären Übertragung eingesetzt.
12
Myasthenisches Syndrom Eaton-Lambert. Bei dieser Erkrankung werden Antikörper gegen die spannungsabhängigen Ca2+-Kanäle in der präsynaptischen Nervenendigung gebildet, was zur Folge hat, dass weniger Ca2+ einströmt, weniger Acetylcholin ausgeschüttet wird, und die Muskelkontraktion wegen Abnahme der postsynaptischen Aktionspotenzialfrequenz abgeschwächt ist. Im Gegensatz zur Myasthenie nimmt die Kontraktionskraft bei wiederholter Aktivierung des Muskels zu. Denervierung. Normalerweise findet man muskuläre Acetylcholinrezeptoren nur in der postsynaptischen Membran der Endplatte, die weniger als 1% der Muskelmembranfläche einnimmt. Bei Denervierung werden jedoch Acetylcholinrezeptoren über die gesamte Muskelzelloberfläche verteilt. Dadurch besteht die Chance, dass Kollateralen benachbarter Nervenfasern durch Aussprossen auf eine acetylcholinempfindliche Membran
stoßen und eine erneute neuromuskuläre Verbindung herstellen können.
12.4.5
Ligandengesteuerte Übertragung an zentralen Synapsen
! Transmitter fördern oder hemmen die Erregung von Neuronen über Beeinflussung jeweils spezifischer Rezeptoren
Exzitatorisches postsynaptisches Potenzial. Werden
durch den Neurotransmitter unspezifische Kationenkanäle geöffnet (z. B. durch Glutamat), dann strömt in erster Linie Na+ in die Zelle und depolarisiert die subsynaptische Zellmembran (. Abb. 12.6). Da sich K+ im Gegensatz zu Na+ bei unerregter Zellmembran nahe seinem elektrochemischen Gleichgewicht befindet, ist für einen K+-Ausstrom nur eine geringe treibende Kraft vorhanden. Der depolarisierende Na+-Einstrom erzeugt das exzitatorische postsynaptische Potenzial (EPSP). Ein einzelnes EPSP kann 0,1 mV bis zu 10 mV erreichen. Bei hinreichender Depolarisation des postsynaptischen Neurons wird die Schwelle von Na+-Kanälen zu Beginn des Axons (Axonhügel) erreicht und es entsteht dort ein Aktionspotenzial, das zu der Nervenendigung des postsynaptischen Neurons weitergeleitet wird. In einigen wenigen Neuronen wird ein EPSP nicht durch Aktivierung von Kationenkanälen, sondern durch Hemmung von K+Kanälen ausgelöst. Inhibitorisches postsynaptisches Potenzial. Werden
durch den Neurotransmitter K+-Kanäle aktiviert, dann kommt es zu einer Hyperpolarisation der postsynaptischen Membran und es entsteht ein inhibitorisches postsynaptisches Potenzial (IPSP). Ist die Aktivierung der K+-Kanäle stark genug, dann verhindert das IPSP die Aktivierung der spannungsabhängigen Na+-Kanäle am Axonhügel und unterbindet damit eine Erregung des Neurons (. Abb. 12.7). Auch die Aktivierung von Cl--Kanälen (z. B. durch GABA oder Glyzin) führt beim Erwachsenen zur Herabsetzung der Erregbarkeit des Neurons (. Abb. 12.7). Das Gleichgewichtspotenzial für Cl- liegt in der Regel bei etwa -75 mV. Werden also Cl--Kanäle einer unerregten Zelle aktiviert, dann strömt Cl- aus der Zelle heraus und depolarisiert die Zellmembran. Die Depolarisation ist jedoch ohne Belang, da sie maximal auf -75 mV erfolgt, ein Wert weit negativer als die Erregungsschwelle des Neuron (ca. -60 mV). Ist das Neuron jedoch durch ein
303 12.4 · Signalübertragung zwischen Zellen
. Abb. 12.7. Exzitatorische (EPSP) und inhibitorische (IPSP) postsynaptische Potenziale. a: Unterschwelliges EPSP; b: Summation zweier unterschwelliger EPSP und damit Auslösung eines Aktionspo-
tenzials; c: IPSP; d: Unterbindung eines Aktionspotenzials durch ein IPSP trotz gleichzeitiger Auslösung von zwei EPSPs
EPSP unter -75 mV depolarisiert, dann strömt Cl- in die Zelle und hyperpolarisiert die Membran, behindert also wie ein K+-Ausstrom die weitere Depolarisation und damit die Auslösung von Aktionspotenzialen.
wird bei polarisierter Membran durch Mg2+ blockiert, das jedoch bei Depolarisation aus dem Kanal gedrängt wird und damit die Kanalöffnung freigibt (. Abb. 12.8). Glutamat kann den NMDA-Kanal also nur öffnen und einen Ca2+-Einstrom veranlassen, wenn die Zelle depolarisiert ist, wenn also etwa gleichzeitig der AMPA-Rezeptor aktiviert ist. Die Wirkung kann also nur eintreten, wenn zwei unterschiedliche Erregungen gleichzeitig auf ein Neuron einwirken, ein wichtiger Mechanismus neuronaler Informationsverarbeitung.
Metabotrope Rezeptoren. Ein präsynaptisches Neuron
kann auf ein postsynaptisches Neuron nicht nur über Auslösung von EPSPs oder IPSPs wirken. Vielmehr können Neurotransmitter über metabotrope Rezeptoren die intrazelluläre Signaltransduktion beeinflussen, wie etwa die Bildung von intrazellulären Botenstoffen (z. B. InsP3 oder cAMP), die Aktivierung von Proteinkinasen oder die Bildung von NO (7 Kap. 12.4.3). Durch die intrazellulären Signalwege kann eine Vielzahl von zellulären Funktionen beeinflusst werden, die letztlich in gesteigerte oder herabgesetzte Erregbarkeit münden. Kooperation von NMDA- und AMPA-Rezeptoren. Der wichtigste exzitatorische Neurotransmitter des zentralen Nervensystems ist Glutamat. U. a. kann es über den AMPARezeptor (. Tab. 12.2) einen Na+- und K+-permeablen Kationenkanal öffnen und damit die Zellmembran depolarisieren sowie über den NMDA-Rezeptor einen Na+-, K+- und Ca2+-permeablen Kationenkanal öffnen und damit neben der Depolarisation die zytosolische Ca2+-Konzentration steigern (ligandengesteuerte Kanäle). Der NMDA-Kanal
. Abb. 12.8. Kooperation von NMDA- und Nicht-NMDA-Rezeptoren. Glutamat (grün) kann bei polarisierter Membran den NMDA-Rezeptor nicht aktivieren, da der NMDA-Rezeptor durch Mg2+ (rot) verstopft ist (a). Bei gleichzeitiger Aktivierung des Nicht-NMDA-Rezeptors (AMPA-Rezeptor) wird die Zellmembran depolarisiert, wodurch Mg2+ aus dem NMDA-Kanal gedrängt wird und Glutamat den NMDA-Kanal öffnen kann (b). Folge ist u. a. ein Einstrom von Ca2+. Aktivierung des Nicht-NMDA-Rezeptors allein hat nur Depolarisation, nicht jedoch Zunahme der intrazellulären Ca2+-Konzentration zur Folge (c)
12
304
Kapitel 12 · Funktionsprinzipien des Nervensystems
In Kürze
Signalübertragung zwischen Zellen
Transmitterfreisetzung 4 Aktionspotenzial o Depolarisation o Aktivierung spannungsabhängige Ca2+-Kanäle o Ca2+-Einstrom o Exozytose transmitterhaltiger Vesikel o Transmitter in synaptischem Spalt o Aktivierung Ionenkanäle in subsynaptischer Membran o Potenzialänderung postsynaptisches Neuron 4 Quanten: Gesamter Transmitterinhalt eines Vesikels = kleinste Einheit der Transmitterfreisetzung 4 Autorezeptoren: Aktivierung von Rezeptoren der präsynaptischen Membran 4 Transmittersynthese: Azetylierung Cholin o Acetylcholin; Hydroxylierung + Dekarboxylierung Tryptophan o Serotonin; Dekarboxylierung Glutamat o GABA; Dekarboxylierung Histidin o Histamin; Tyrosin o o o Dopamin, Noradrenalin, Adrenalin; Cystein o o o Taurin; Glutamat, Aspartat, Glyzin = proteinogene Aminosäuren; Proteinsynthese o Neuropeptide
Übertragung an der motorischen Endplatte 4 Aktionspotenzial Nervenendigung o Ca2+-Kanäle o Ca2+-Einstrom o Exozytose o Acetylcholinausschüttung (104 Acetylcholinmoleküle/Vesikel) o nikotinische Rezeptoren subsynaptische Membran o unspezifischer Kationenstrom o Depolarisation subsynaptische Membran (Endplattenpotenzial) o Depolarisation angrenzender postsynaptische Membran o Schwelle o fortgeleitetes Akionspotenzial; Acetylcholinesterase (Synapse, Blut) o Spaltung Acetylcholin o Aufnahme Essigsäure, Cholin in präsynaptische Nervenendigung o erneute Veresterung zu Acetylcholin o Speicherung 4 Botulinustoxin o Vesikelfusion p; Curare (d-Tubocurarin) o Bindung Acetylcholin Rezeptor p; Succinylcholin o Daueraktivierung Acetylcholinrezeptor o Dauerdepolarisation o Inaktivierung Na+-Kanäle; Physostigmin (Prostigmin, Neostigmin) o Acetylcholinesterase p 4 Autoantikörper gegen nikotinische Acetylcholinrezeptoren o Verdrängung Acetylcholin vom Rezeptor o mehr Acetylcholinausschüttung erforderlich o Erschöpfung der betroffenen Muskelno Myasthenie 4 Antikörper gegen Ca2+-Kanäle o Ca2+-Einstrom p o ACH-Ausschüttung p o Muskelkontraktion p o Myasthenisches Syndrom Eaton-Lambert (wiederholteAktivierung o Kontraktionskraft n) 4 Denervierung o Ausbreitung Acetylcholinrezeptoren über gesamte Muskelzelloberfläche
Transmitter 4 Acetylcholin; Aminosäuren: Glutamat, Aspartat, Glyzin, (Taurin = β-Aminoethylsulfonsäure); Monoamine: Serotonin (Hydroxytryptophan), Katecholamine (Dopamin, Adrenalin, Noradrenalin), Histamin, GABA; Oligopeptide: Opioide (Endorphin, Enkephalin), Substanz P, Angiotensin II, Somatostatin, VIP 4 Cotransmitter: ATP, ADP, AMP, NO 4 Signalbeendigung: Transmitterabbau (Acetylcholin), zelluläre Aufnahme (Glutamat, Aspartat, GABA, Taurin, Monoamine) 4 Autoinhibition, Rezeptor(de)sensitisierung o Transmitterwirksamkeit 4 Genetische Defekte, Pharmaka o Transmittersynthese, -speicherung, -transport; Rezeptorblocker
Ligandengesteuerte Übertragung an zentralen Synapsen 4 Neurotransmitter (z. B. Glutamat) o unspezifische Kationenkanäle n (K+-Kanäle p) o Depolarisation = exzitatorisches postsynaptisches Potenzial (EPSP) o Depolarisation Axonhügel zur Schwelle o Aktionspotenzial 4 Neurotransmitter (z. B. GABA, Glycin) o K+-Kanäle n, Cl--Kanäle n o Hyperpolarisation bzw. Hemmung von Depolarisation zur Schwelle o Inhibitorisches postsynaptisches Potenzial (IPSP) o Aktionspotenziale p 4 Neurotransmitter o Metabotrope Rezeptoren o InsP3, cAMP, Proteinkinasen, NO 4 Glutamat o AMPA-Rezeptor o Kationenkanal o Na+Einstrom o Depolaration o Mg2+-Block im NMDA-Kanal p o Aktivierbarkeit des NMDA-Kanals durch Glutamat o Ca2+-Einstrom
Prinzipien synaptischer Übertragung 4 Elektrische Synapsen: Connexine o gap junctions o Durchtritt Ionen [und ungeladene Teilchen] o Weiterleitung von Potenzialänderungen 4 Chemische Synapsen: Chemischer Botenstoff aus präsynpatischem Neuron wirkt auf subsynaptische Membran des postsynaptischen Neurons mit folgenden Potentialänderungen der postsynaptischen Membran
12
305 12.5 · Signalverarbeitung im Nervensystem
12.5
Signalverarbeitung im Nervensystem
12.5.1
Elementarmechanismen
! Bahnung und Hemmung sind Elementarmechanismen der Informationsverarbeitung in neuronalen Netzwerken
Divergenz und Konvergenz. Das Axon eines einzelnen
Neurons verzweigt sich vielfach und kann daher eine Vielzahl anderer Neurone beeinflussen (Divergenz). Umgekehrt wird ein Neuron durch eine Vielzahl von Nervenendigungen anderer Neurone beeinflusst (Konvergenz). Die Neurone können sich gegenseitig bahnen oder hemmen. Bahnung. Die Konvergenz von Erregungen ist Vorausset-
zung für die räumliche Bahnung (7 Kap. 12.5.2). Hemmung. Die Auslösung eines Aktionspotenzials durch
ein EPSP kann umgekehrt durch gleichzeitiges Auftreten von IPSPs unterbunden werden. Hemmungen spielen bei der neuronalen Informationsverarbeitung eine mindestens ebenso bedeutsame Rolle, wie Stimulationen. Die neuronale Hemmung wird häufig durch spezialisierte, zwischengeschaltete Neurone (Interneurone) vermittelt. Über Aktivierung hemmender Interneurone können Neurone ihre eigene Hemmung veranlassen. Dabei spricht man von Rückwärtshemmung (rekurrente Hemmung, z. B. Renshaw-Hemmung, 7 Kap. 15.4.1). Bei der Vorwärtshemmung wird das hemmende Interneuron nicht durch das gehemmte, sondern durch ein anderes Neuron aktiviert. Bei der lateralen Hemmung hemmt ein Neuron – wiederum über Interneurone – benachbarte Neurone. Die laterale Hemmung ermöglicht die Kontrastierung eines Reizes (. Abb. 12.9).
12.5.2
Verarbeitung in Neuronenpopulationen
! Neurone integrieren bahnende und hemmende Einflüsse
Zeitliche und räumliche Summation. Das durch ein einzel-
nes präsynaptisches Aktionspotenzial ausgelöste exzitatorische postsynaptische Potenzial (EPSP) erreicht in aller Regel nicht die Schwelle des postsynaptisches Neurons. Auch ein unterschwelliger Reiz kann einige Na+-Kanäle öffnen. Wenn die Zahl der Na+-Kanäle jedoch klein ist, dann ge-
. Abb. 12.9. Kontrastierung durch laterale Hemmung. Zwei Reize (gelb und braun) treffen auf eine Reihe von Rezeptoren. Durch ihre Überlagerung sind sie durch die Rezeptoren (blau) nicht mehr getrennt erkennbar. Die Rezeptoren aktivieren Neurone (grün), die über Interneurone (rot) jeweils ihre Nachbarneurone hemmen. Dabei ist die Hemmung der Nachbarn umso stärker, je stärker das Neuron erregt wird (im Zahlenbeispiel hemmt jedes Interneuron mit der Hälfte der Wirkung des Rezeptors). Durch die laterale Hemmung werden wieder zwei Reize erkennbar
nügt der zusätzliche depolarisierende Strom durch diese Kanäle nicht für die Aktivierung einer hinreichenden Zahl weiterer Na+-Kanäle und die Auslösung eines Aktionspotenziales. Die Depolarisation bleibt lokal, wird aber nicht als Aktionspotenzial weitergeleitet. Das subsynpatische EPSP dauert jedoch wesentlich länger als ein Aktionspotenzial, sodass hochfrequent eintreffende präsynaptische Aktionspotentiale additiv wirken und ein wesentlich stärkeres EPSP auslösen (zeitliche Summation). Ferner addieren sich gleichzeitig depolarisierende Wirkungen präsynaptischer Aktionspotentiale verschiedener Synapsen (räumliche Summation).
12
306
Kapitel 12 · Funktionsprinzipien des Nervensystems
Langzeitpotenzierung und Langzeitdepression. Das durch den NMDA-Rezeptor in die postsynaptische Zelle gelangte Ca2+ (7 Kap. 12.4.5) kann über Auslösung einer zellulären Signalkaskade die Empfindlichkeit des postsynaptischen Neurons über einen längeren Zeitraum steigern (sog. Langzeitpotenzierung) oder herabsetzen (sog. Langzeitdepression). Langzeitpotenzierung und Langzeitdepression sind wichtige zelluläre Mechanismen der Gedächtnisbildung. Unter anderem kann Ca2+ im postsynaptischen Neuron eine NO-Synthase aktivieren. Das NO kann im postsynaptischen Neuron über Aktivierung der Guanylylzyklase und folgende Aktivierung der cGMP-abhängigen G-Kinase den AMPA-Rezeptor phosphorylieren und damit dessen Empfindlichkeit herabsetzen. NO kann ferner in das präsynaptische Neuron diffundieren und dort über Modulation des Ca2+-Transports die Transmitterausschüttung beeinflussen. Präsynaptische Hemmung. Die synaptische Übertragung kann durch axoaxonale Synapsen modifiziert werden, d. h.
durch Synapsen an den Axonen anderer Nervenzellen. Durch die präsynaptische Hemmung wird die Ausschüttung des Transmitters aus der präsynaptischen Nervenendigung herabgesetzt. Meist wird die Herabsetzung durch Aktivierung eines unspezifischen Kationenkanals erreicht, der die Nervenendigung vordepolarisiert und damit einen Teil der spannungsabhängigen Na+-Kanäle inaktiviert. Dadurch stehen weniger aktivierbare Na+-Kanäle zur Verfügung, ein ankommendes Aktionspotenzial wird gedämpft und damit die Aktivierung der spannungsabhängigen Ca2+Kanäle und der Ca2+-Einstrom herabgesetzt. Eine Minderung des Ca2+-Einstroms kann auch durch cAMP-vermittelte Hemmung der spannungsabhängigen Ca2+-Kanäle erreicht werden. Präsynaptische Bahnung. Umgekehrt kann die Transmit-
terausschüttung gesteigert werden (Bahnung), etwa durch Aktivierung der spannungsabhängigen Ca2+-Kanäle oder durch Hemmung von K+-Kanälen mit folgender Verlängerung des Aktionspotenzials.
In Kürze
Signalverarbeitung im Nervensystem
12
Elementarmechanismen 4 Neuron o Axonverzweigung o viele Neurone o Divergenz; jedes Neuron viele Synapsen o Konvergenz 4 Gegenseitige Bahnung (additive EPSP) o Erregbarkeitn; Hemmung (durch Interneurone) o IPSP o Erregbarkeit p; Rückwärtshemmung (rekurrente Hemmung, z. B. Renshaw-Hemmung); Vowärtshemmung; laterale Hemmung o Kontrastierung Verarbeitung in Neuronenpopulationen 4 Addition von hochfrequent eintreffenden präsynaptischen Aktionspotentialen o zeitliche Summation; Addition EPSP zweier Synapsen o räumliche Summation
4 Aktivierung NMDA-Rezeptor o Ca2+-Einstrom o Empfindlichkeit postsynaptisches Neuron n o Langzeitpotenzierung 4 Ca2+-Einstrom o NO-Synthase o Guanylylzyklase o cGMP o G-Kinase o AMPA-Rezeptor-Phosphorylierung o Kanalaktivität p o Empfindlichkeit postsynaptisches Neuron p o Langzeitdepression 4 Axoaxonale Synapsen o Kationenkanäle n o Vordepolarisation o Inaktivierung Na+-Kanäle o Aktionspotenzial p o Transmitterausschüttung präsynaptische Nervenendigung p o präsynaptische Hemmung 4 cAMPo Ca2+-Kanäle p o ebenfalls präsynaptische Hemmung 4 Spannungsabhängige Ca2+-Kanäle n, K+-Kanäle p o Verlängerung Aktionspotenzial o präsynaptische Bahnung
307 12.6 · Funktionsprinzipien sensorischer Systeme
12.6
12.6.1
Funktionsprinzipien sensorischer Systeme Allgemeine Aspekte
! Spezialisierte Rezeptoren reagieren auf Licht, Schallwellen, sonstige mechanische Reizung, Temperatur, bestimmte chemische Strukturen und schädigende Reize
Sinnesreize. Nervenendigungen oder spezialisierte Rezeptoren reagieren auf mechanische Deformierung, Temperaturänderungen, bestimmte chemische Strukturen oder Licht mit einer Änderung des Membranpotenziales, wie an anderer Stelle ausgeführt wird. (7 Kap. 16.1.2). Über Auslösung von Aktionspotenzialen wird die Information an das zentrale Nervensystem weitergeleitet.
Transduktion. Die Reize lösen in der Rezeptorzelle (Sensor-
zelle) Potenzialänderungen aus. Die meisten Rezeptoren reagieren auf den Reiz mit einer Depolarisation (7 Kap. 16.1.2). Die Photorezeptoren des Auges reagieren hingegen auf Lichteinfall mit einer Hyperpolarisation (7 Kap. 17.2.2). In Abhängigkeit von den Rezeptoren, werden die Potenzialänderungen durch mechanisch gesteuerte Ionenkanäle (7 Kap. 16.1.2), ligandengesteuerte Ionenkanäle (7 Kap. 16.1.2), oder second messenger gesteuerte Ionenkanäle (z. B.7 Kap. 17.2.2, 7 Kap. 19.2.2, 7 Kap. 19.3.2) ausgelöst. Die Potenzialänderung beeinflusst entweder die Ausschüttung von Transmitter, der folgende Neurone bzw. Nervenendigungen erregt (sekundäre Sinneszellen) oder löst im Rezeptor ein Aktionspotenzial aus, das in Richtung des zentralen Nervensystems weitergeleitet wird (primäre Sinneszellen). Beziehung zwischen Reizstärke und Rezeptorpotenzial.
Sinnesmodalitäten. Ein einzelner Rezeptor ist nicht für alle
Sinnesreize gleichermaßen empfindlich. Die Empfindlichkeit ist vielmehr eine Funktion der Ausstattung mit entsprechenden Ionenkanälen und Membranrezeptoren der Rezeptorzelle. Die Empfindlichkeit wird ferner durch Nachbarzellen und extrazelluläre Matrix beeinflusst. Auge und Ohr sind Strukturen, die der spezifischen Zuführung von Sinnesreizen an die jeweiligen Sinneszellen dienen. Eine Rezeptorzelle wird also durch bestimmte Reize (adäquate Reize) besonders leicht erregt. Wie an anderer Stelle ausgeführt wird (7 Kap. 16.1.2), erfordern inadäquate Reize eine sehr viel höhere Energie, um eine Erregung auslösen zu können. An Sinnesmodalitäten unterscheiden man neben Auge und Ohr Mechanorezeptoren, Thermorezeptoren, Chemorezeptoren und Nozizeptoren (7 Kap. 16.1.1). Subjektive Wahrnehmungen. Die neuronale Verarbeitung
erschöpft sich keineswegs nur in der Feststellung, dass ein bestimmter Rezeptor gereizt wurde. Die wesentliche Aufgabe besteht letztlich darin, den Reiz zu interpretieren und seine Bedeutung für eigenes Handeln festzulegen. Die Interpretation einer Empfindung führt zur Wahrnehmung. Auf dem Weg vom Reiz zur Empfindung und Wahrnehmung spielen subjektive Faktoren eine wesentliche Rolle.
12.6.2
Rezeptorpotenzial
! Der Reiz wird in Änderungen des Membranpotenziales übersetzt und die Information wird über Aktionspotenziale weitergeleitet
Die minimale Reizstärke, die gerade noch eine Erregung auslöst, ist die Reizschwelle. Oberhalb der Schwelle steigt das Ausmaß der Depolarisation mit der Intensität des Reizes, wie an anderer Stelle ausgeführt wird (7 Kap. 16.1.2). Bei großen Reizintensitäten wird die maximale Potenzialänderung (bzw. Aktionspotenzialfrequenz) erreicht, die durch weitere Reizstärkenzunahme nicht weiter gesteigert werden kann. Die Reizstärke zwischen der Schwelle und derjenigen Reizstärke, die gerade ausreicht, die maximale Erregung auszulösen, ist der Arbeitsbereich des Rezeptors (Sensors).
12.6.3
Transformation der Reize
Elektrotonische Ausbreitung. Innerhalb des Rezeptors breitet sich die durch den Reiz ausgelöste Potenzialänderung elektrotonisch aus (7 Kap. 12.3.1). Erreicht die Depolarisation die Schwelle der Na+-Kanäle, dann wird ein Aktionspotenzial ausgelöst, das afferent weitergeleitet wird (7 Kap. 12.3.1). Dabei wird die Amplitude des Rezeptorpotenziales in die Frequenz von Aktionspotenzialen übersetzt (Frequenzkodierung). Differentialfühler–Proportionalfühler. Meist setzen Rezep-
toren (Sensoren) bei anhaltender Reizung ihre Empfindlichkeit herab, sie gewöhnen sich an die gesteigerte Reizintensität (Adaptation). Im Extremfall nimmt die Erregung bei anhaltendem Reiz allmählich wieder auf das Ausgangsniveau ab. Die Rezeptoren reagieren somit nur auf Änderungen der Reizintensität, nicht auf die Reizintensität selbst, man nennt sie daher Differentialfühler oder phasische
12
308
Kapitel 12 · Funktionsprinzipien des Nervensystems
den benachbarten Arealen. Auf diese Weise können Kontraste verschärft werden (7 Kap. 17.2.3). In Kürze
Funktionsprinzipien sensorischer Systeme Allgemeine Aspekte 4 Sensoren sind spezialisiert für Licht, Schallwellen, sonstige mechanische Reizung, Temperatur, bestimmte chemische Strukturen, schädigende Reize; Schwelle für adäquaten Reiz besonders niedrig 4 Interpretation des Reizes o subjektive Wahrnehmung o Handeln Rezeptorpotenzial 4 Reize o Sensorzelle o mechanisch gesteuerte Ionenkanäle, ligandengesteuerte Ionenkanäle, second messenger gesteuerte Ionenkanäle o Potenzialänderungen o Aktionspotenzial (primäre Sinneszellen) oder Transmitterausschüttung (o Depolarisation folgender Neurone bzw. Nervenendigungen [sekundäre Sinneszellen]) 4 Arbeitsbereich des Rezeptors (Sensors) = von Reizschwelle bis zur maximalen Erregung
. Abb. 12.10. Verhalten von Proportionalfühlern (PF), Differentialfühlern (DF) und Proportional-Differentialfühlern (PDF) bei einem Rechteckreiz (schwarz). Gezeigt ist jeweils grob schematisch das Rezeptorpotenzial (rot) und die Aktionspotenziale (blau)
12
Fühler (. Abb. 12.10). Bei Rezeptoren, die nicht adaptieren, ist die Erregung stets proportional der Reizstärke, man nennt sie daher Proportionalfühler oder tonische Fühler. Meist haben Fühler eine phasische und eine tonische Komponente, d. h. bei plötzlichem Anstieg der Reizstärke auf einen höheren konstanten Wert nimmt die Erregung zunächst überschießend zu und sinkt dann auf einen Wert ab, der höher ist, als der Ausgangswert. Diese Rezeptoren nennt man Proportional-Differentialfühler (PD-Fühler). Rezeptives Feld. Mehrere Rezeptoren können auf ein Neuron konvergieren und dieses gemeinsam erregen. Das von diesen Rezeptoren versorgte Areal bezeichnet man dann als rezeptives Feld. Hemmt dieses Neuron durch laterale Hemmung die Nachbarneurone, dann führen Reize im rezeptiven Feld zur Hemmung der Weiterleitung von Reizen in
Transformation der Reize 4 Proportionalfühler = Erregung proportional der Reizstärke, Differentialfühler = Änderungen der Reizintensität; Proportional-Differentialfühler sowohl Reizstärke als auch ihre Änderung 4 Konvergenz mehrerer Rezeptoren auf ein Neuron = Rezeptives Feld 4 Laterale Hemmung von Nachbarneuronen o Kontrastverschärfung
12.7
Gliazellen und Liquor
12.7.1
Gliazellen
! Im zentralen Nervensystem sind die Neurone von den weitaus zahlreicheren Gliazellen umgeben. Man unterscheidet je nach Struktur und Funktion Astroglia, Oligodendroglia und Mikroglia
Bildung von Myelinscheiden und Phagozytose. Die Oligo-
dendrogliazellen bilden die Myelinscheiden der zentralen Axone (. Abb. 12.11), die Schwann-Zellen die Myelinschei-
309 12.7 · Gliazellen und Liquor
Regulation von Konzentrationen an Ca2+, H+ und Neurotransmittern. Gliazellen sind auch in der Lage, die extrazel-
luläre Ca2+-Konzentration und den extrazellulären pH zu regulieren. Schließlich verhindern sie, dass Neurotransmitter aus einer Synapse zu anderen Neuronen diffundieren, nehmen Transmitter auf und bauen sie wieder in ihre Vorstufen ab. Neurotransmitter können umgekehrt die Funktion von Gliazellen modulieren. Rolle bei der Hirnentwicklung. Gliazellen spielen ferner
eine entscheidende Rolle bei der Gehirnentwicklung, wo sie das Auswachsen von Axonen und Dendriten fördern. Umgekehrt hemmen sie im erwachsenen Gehirn das Aussprossen von Axonen und Dendriten.
12.7.2
Liquor
! Der Liquor ist unverzichtbarer Volumenpuffer im unnachgiebigen knöchernen Schädel. Seine Zusammensetzung liefert wichtige diagnostische Hinweise
Aufgabe des Liquors. Das Gehirn ist nach Verknöcherung . Abb. 12.11. Gliazellen. Oligodendrozyt mit Myelinscheiden und Astrozyt mit Kontakten zu einem Neuron und einem Gefäß
den peripherer Axone. Astroglia (. Abb. 12.11) und Mikroglia sind ferner zur Phagozytose befähigt Regulation der extrazellulären K+-Konzentration. Wich-
tigste Aufgabe der Gliazellen ist die Kontrolle des extrazellulären Milieus. Der Extrazellulärraum beträgt weniger als 25 % des Gehirnvolumens. Wenn die Zellen z. B. bei einer Salve von Aktionspotenzialen nur 1% ihres K+ abgeben, dann verdoppelt sich die extrazelluläre K+-Konzentration und das K+-Gleichgewichtspotenzial nimmt um 18 mV ab. Die Gliazellen nehmen jedoch normalerweise bei Anstieg der extrazellulären K+-Konzentration K+ aus dem Extrazellulärraum auf und halten damit die extrazelluläre K+-Konzentration niedrig. Zum Teil geben sie das K+ wieder an anderer Stelle mit niedriger extrazellulärer K+-Konzentration ab (spatial buffering). Dabei kann K+ über gap junctions an benachbarte Gliazellen weitergegeben werden. Versagen die Gliazellen, dann führt der Anstieg der extrazellulären K+-Konzentration zur Aktivierung von Nachbarneuronen, die dabei wiederum K+ verlieren. Auf diese Weise kann sich eine Erregung ausbreiten, wie etwa bei der Epilepsie.
der Schädelnähte von einer unnachgiebigen Hülle umgeben, eine Volumenausdehnung des Gehirns ist nicht möglich und ein intrakranielles Kompartiment kann sich nur auf Kosten anderer Kompartimente ausdehnen. Der Intrazellulärraum nimmt 70 – 80 % des Volumens ein, der zwischen den zellulären Elementen liegende interstitielle Raum etwa 15 %, der Liquorraum weniger als 10 % und der intravaskuläre Raum weniger als 5%. Der Liquorraum ist über das Foramen magnum zum Liquorraum des Rückenmarks offen. Damit bietet sich der Liquorraum als ein Volumenpuffer an, der schnell Volumenänderungen in anderen Kompartimenten ausgleichen kann. So wird beispielsweise bei jedem Pulsschlag der intravaskuläre Raum vorübergehend vergrößert und pulssynchron entweicht ein kleines Volumen Liquor über das Foramen magnum, d. h. der vaskuläre Raum nimmt auf Kosten des Liquorraums vorübergehend zu. Auch moderate Änderungen des Zellvolumens können durch entsprechende Verschiebungen von Liquor kompensiert werden. Hirndrucksteigerung. Unter pathophysiologischen Bedin-
gungen beanspruchen Tumore und Blutungen intrakranielles Volumen auf Kosten des Liquorraums. Ist der Liquorraum kollabiert, dann kommt es zu einer steilen Druckzunahme, welche den gleichfalls nach außen offenen Gefäß-
12
310
Kapitel 12 · Funktionsprinzipien des Nervensystems
raum komprimiert. Folge ist eine massive Einschränkung der Hirndurchblutung. Eine akute Abflussstörung von Liquor führt gleichermaßen zu einer Drucksteigerung, die über eine Einengung des Gefäßlumens die Gehirndurchblutung in Mitleidenschaft zieht. Liquorzirkulation. Liquor wird v. a. in den Plexus choroidei der Seitenventrikel gebildet (. Abb. 12.12). Von dort fließt er über die Foramina interventricularia in den dritten Ventrikel und von dort über den Aquädukt in den vierten Ventrikel. Über die Foramina Luschkae und Magendii gelangt er in den Subarachnoidalraum und zu den Arachnoidalvilli der Hirnsinus (Pacchionischen Granulationen), wo er in die venösen Sinus aufgenommen wird. Störungen der Liquorzirkulation. Störungen in der Liquorzirkulation führen zum Liquorrückstau. Je nach Lo-
12
kalisation unterscheidet man einen kommunizierenden Hydrozephalus, bei dem der Liquorfluss zwischen den Ventrikeln ungestört ist, von einem nichtkommunizierenden Hydrozephalus bei Verlegung von Verbindungen zwischen den Ventrikeln. Mögliche Ursachen sind Missbildungen, Narben und Tumore. Die Resorption von Liquor in den Arachnoidalvilli ist bei Abflussstörungen der Sinus beeinträchtigt, wie etwa bei Thrombose oder sonstigem Verschluss der Sinus oder bei Behinderung des venösen Abflusses (z. B. bei Herzinsuffizienz). Bei angeborenem Hydrozephalus erlauben die noch nicht verknöcherten Knochennähte ein Nachgeben der knöchernen Hülle und es entsteht ein Wasserkopf (Hydrozephalus). Bei bereits verschlossenen Nähten erzeugt der Liquorüberschuss einen Überdruck.
. Abb. 12.12. Bildung und Fluss des Liquors
Folgen von Hirndrucksteigerungen. Erkennbar ist eine
Hirndrucksteigerung am Papillenödem: Durch den gesteigerten intrakraniellen Hirndruck kann Lymphe aus dem Augenhintergrund nicht mehr über den Lymphkanal im Zentrum des Sehnerven zum Intrakranialraum abfließen. Lymphe staut sich am Austritt des Sehnervs zurück und wölbt die Papille vor (Stauungspapille). Weitere Folgen von Hirndrucksteigerung sind Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Schwindel, Einschränkungen des Bewusstseins (u. a. wegen der Durchblutungseinschränkung), Bradykardie und Hypertonie (durch Kompression des Hirnstamms), Schielen (Abklemmen des Nervus abducens) und weite, lichtstarre Pupillen (Abklemmen des Nervus oculomotorius). Schließlich droht die Herniation von Hirnteilen durch das Tentorium cerebelli oder das Foramen magnum. Die Kompression des Hirnstamms führt dabei unmittelbar zum Tod. Bei einseitiger Druckzunahme kann es auch zur Herniation des Gyrus cinguli unter die Falx cerebri kommen mit Kompression der Vasa cerebri anteriora und entsprechenden Ausfällen der Hirnfunktionen. Liquorzusammensetzung. Die Liquorzusammensetzung
ist von diagnostischer Bedeutung bei bestimmten Erkrankungen des Gehirns: Normalerweise entspricht die Elektrolytzusammensetzung in etwa der des Serums. Allerdings ist die Konzentration an Proteinen und damit an proteingebundenen Ca2+-Ionen niedriger. Auch die K+Konzentration ist normalerweise um etwa 1 mmol/l geringer als im Serum. Die Proteinkonzentration im Liquor ist bei Liquorstau (fehlende Resorption in den Arachnoidalvilli), sowie bei Infektionen (v. a. Bildung durch immunkompetente Zellen) gesteigert. Die Glukosekonzentration ist im Liquor u. a. bei Tumoren, akuten bakteriellen Infektionen, Tuberkulose, Befall des Gehirns mit Pilzen und Hefe, sowie in sehr seltenen Fällen bei defektem Glukosetransporter herabgesetzt. Blutzellen werden normalerweise nicht im Liquor gefunden, bei Infektionen (z. B. Meningitis) treten jedoch Leukozyten, nach Blutungen (z. B. in Hirntumoren) Erythrozyten in den Liquor über. Die Farbe des normalerweise fast wasserklaren Liquors wird bei Blutungen rötlich (Erythrozyten) oder gelblich (Blutfarbstoffe, bilirubinbindende Plasmaproteine) und bei Ansammlungen von Leukozyten und Proteinen trüb.
311 12.7 · Gliazellen und Liquor
12.7.3
Blut-Hirn-Schranke
! Die Blut-Hirn-Schranke schützt die Neurone vor unkontrollierten schädlichen Änderungen des extrazellulären Milieus
Aufbau der Blut-Hirn-Schranke. Die Endothelzellen der
Hirnkapillaren bilden (außer im Hypophysenhinterlappen, in der Area postrema und im Plexus choroideus) unter dem Einfluss von Astrozyten dichte Schlussleisten (tight junctions), die keinen Durchtritt von im Blut gelösten Substanzen (Elektrolyten, Proteinen) oder Zellen zulassen (BlutHirn-Schranke oder Blut-Liquor-Schranke). Das extrazelluläre Milieu des Gehirns wird auf diese Weise vom Blut abgekoppelt, um zu verhindern, dass Nervenzellen Elektrolytschwankungen, Transmittern, Hormonen, Wachstumsfaktoren und Immunreaktionen im Blut ausgesetzt sind. Die Versorgung des Gehirns mit Substraten wird dabei durch spezifische Transportprozesse gewährleistet (u. a. für Glukose, Aminosäuren). Pharmaka und Toxine können die
Blut-Hirn-Schranke überwinden, wenn sie durch diese Transportprozesse akzeptiert werden oder eine so hohe Lipidlöslichkeit aufweisen, dass die Zellmembranen keine Diffusionsbarriere darstellen. Durchbrechung der Blut-Hirn-Schranke. Die tight junctions können unter pathologischen Bedingungen geöffnet und damit die Blut-Hirn-Schranke durchbrochen werden, wie etwa bei Hirntumoren (die keine funktionellen Astrozyten enthalten), bei Hyperosmolarität (durch Infusion hypertoner Mannitollösungen in hirnversorgende Arterien) und bei bakterieller Meningitis. Bei Neugeborenen ist die Blut-Hirn-Schranke normalerweise noch nicht dicht. Daher kann bei Hyperbilirubinämie des Neugeborenen (nicht jedoch des Erwachsenen) Bilirubin in das Gehirn eindringen und sich in Kernen des Hirnstamms ablagern (Kernikterus). Folglich kommt es zur Schädigung der Basalganglien mit Auftreten von Hyperkinesien.
In Kürze
Gliazellen und Liquor Gliazellen 4 Aufgaben: Oligodendrogliazellen o Myelinscheiden zentraler Neurone; Schwann-Zellen o Myelinscheiden peripherer Axone; Astroglia, Mikroglia o Phagozytose; Regulation der extrazellulären Konzentrationen an K+ (Abgabe an Stellen mit niedriger extrazellulärer K+-Konzentration = spatial buffering), Ca2+, H+, Neurotransmitter; Auswachsen von Axonen o Hirnentwicklung Liquor 4 Aufgabe: Volumenpuffer 4 Liquorzirkulation: Plexus choroidei Seitenventrikel o Foramina interventricularia o dritter Ventrikel o Aquädukt o vierter Ventrikel o Foramina Luschkae, Magendii o Subarachnoidalraum, Arachnoidalvilli Hirnsinus (Pacchionische Granulationen) o venöse Sinus 4 Missbildungen, Narben, Tumore, Sinusabflussstörungen o kommunizierender Hydrozephalus (Liquorfluss zwischen Ventrikeln ungestört) bzw. nichtkommunizierender Hydrozephalus o Liquorrückstau o Hydrozephalus
4 Hirndrucksteigerungen: Tumore, Blutungen, Abflussstörung von Liquor o intrakranieller Druck n o Kompression Gefäßraum o Hirndurchblutung p 4 Auswirkungen Drucksteigerung: Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Schwindel, Bewusstseinsverlust, Bradykardie, Hypertonie, Schielen (N. abducens), weite, lichtstarre Pupillen (N. oculomotorius); Lymphabfluss aus dem Augenhintergrund p o Lymphstau am Austritt des Sehnerven o Stauungspapille 4 Herniationen: Hirnteile durch Tentorium cerebelli oder Foramen magnum (o Kompression Hirnstamm o Tod), Gyrus cinguli unter Falx cerebri o Kompression Vasa cerebri anteriora 4 Liquorzusammensetzung: Im Vergleich zu Serum: Proteine, proteingebundene Ca2+-Ionen p, K+-Konzentration p, Liquorstau, Infektionen o Proteine n; Tumoren, Infektionen o Glukose p Blut-Hirn-Schranke 4 Astrozyten o Endothelzellen der Hirnkapillaren o dichte Schlussleisten (tight junctions) (Nicht dicht: Area postrema, Plexus choroideus beim Erwachsenen; Neugeborene, Hirntumoren, Hyperosmolarität, Meningitis)
12
13
13 Muskulatur 13.1
Allgemeine Muskelphysiologie
13.1.1 13.1.2 13.1.3 13.1.4 13.1.5
Myofilamente – 314 Sarkolemm – 317 Sarkoplasmatisches Retikulum Sarkoplasma – 320 Energieumwandlung – 320
13.2
Quergestreifte Muskulatur
13.2.1 13.2.2 13.2.3
Allgemeine Grundlagen – 322 Skelettmuskel – 322 Herzmuskel – 324
– 314
– 318
– 322
13.3
Glatter Muskel
13.3.1 13.3.2
Kontraktionsauslösung im glatten Muskel – 325 Regulation der glatten Muskelaktivität – 325
– 325
314
Kapitel 13 · Muskulatur
> > Einleitung Muskelzellen sind für die Durchführung von Bewegungen oder die Erzeugung mechanischen Drucks oder Spannung spezialisiert. Je nach Eigenschaften und Aufgaben unterscheidet man quergestreifte Muskulatur, die zur Durchführung willkürlicher Bewegungen eingesetzt wird, Herzmuskulatur, die das Blut durch den Kreislauf pumpt und glatte Muskulatur, die Blutgefäße und Hohlorgane umschließt, wie z. B. MagenDarm-Kanal, Harnleiter und Blase, Uterus, Samenleiter, Bronchien etc. Ferner regulieren glatte Muskeln im Auge die Linsenkrümmung und Pupillenweite sowie im Mittelohr das Spiel der Gehörknöchelchen.
hezustand werden die Bindungsstellen am Aktin des quergestreiften Muskels durch das Tropomyosin verlegt. Totenstarre. Nimmt das ATP bei gesteigerter intrazellulärer
Ca2+-Konzentration ab, dann kann die Bindung zwischen Myosin und Aktin nicht mehr gelöst werden und der Muskel verharrt im kontrahierten Zustand (Wegfall der »Weichmacherwirkung« von ATP). Auf diese Weise entsteht die Totenstarre der Skelettmuskulatur. ! Bei der Kontraktion durchlaufen die kontraktilen Elemente einen Reaktionszyklus
Kontraktionszyklus in Skelett- und Herzmuskel. Die Mus13.1
Allgemeine Muskelphysiologie
13.1.1
Myofilamente
! Die Muskelzelle kontrahiert durch Interaktion von Aktinund Myosinfilamenten
Aktinfilamente. Einzelne, kugelige (globuläre) Aktinmoleküle (G-Aktin) werden entlang langgestreckten, fadenförmigen Tropomyosinmolekülen perlschnurartig aneinander geheftet und bilden auf diese Weise die etwa 6 nm dicken Aktinfilamente (F-Aktin, . Abb. 13.1). Dabei sind jeweils zwei Aktinketten miteinander verschlungen. Die Aktinfilamente sind durch senkrecht verlaufendes α-Aktinin miteinander verbunden (Z-Streifen). An die Tropomyosinmoleküle lagern sich in der quergestreiften und der Herzmuskulatur jeweils im Abstand von 40 nm Troponinmoleküle an, die für die Regulation der Muskelkontraktion bedeutsam sind (s. u.).
13
kelkontraktion wird durch einen Anstieg der zytosolischen Ca2+-Konzentration ausgelöst. Ca2+ bindet an Troponin, wodurch an den Aktinfilamenten Bindungsstellen für die Myosinköpfchen frei werden (. Abb. 13.1). Durch das Freilegen der Myosinbindungsstellen am Aktin kann Myosin unter Mg2+-abhängiger Spaltung eines gebundenen ATP (ATPase) an das Aktinfilament binden und unter Abgabe von Phosphat und ADP um 45° abknicken. Durch diesen Knick wird das Myosin um etwa 10 – 20 nm am Aktinfilament entlang verschoben. Das am Aktin haftende Myosinköpfchen löst sich nun unter erneuter Bindung von ATP vom Aktinfilament, bildet mit dem Myosinhals wieder einen Winkel von 90° und haftet an eine um 10 – 20 nm weiter gelegene Bindungsstelle. Durch eine Vielzahl solcher Zyklen schiebt sich das Myosin allmählich am Aktinmolekül entlang und erzeugt damit ein Ineinanderschieben der Myosin- und Aktinfilamente (sliding filaments). Der Muskel kann sich auf diese Weise auf etwa die Hälfte der Ruhelänge verkürzen. Calponin/Caldesmon. Der glatte Muskel verfügt über kein
Myosinfilamente. Die Myosinfilamente sind mit 12 nm we-
sentlich dicker als die Aktinfilamente. Etwa 300, jeweils ca. 150 nm lange, Myosinmoleküle assoziieren durch elektrostatische Wechselwirkungen ihrer jeweils ca. 90 nm langen stabförmigen Anteile (»Schäfte«) zu einem ca. 1,6 μm langen Myosinfilament. An den jeweiligen Enden sind die Myosinmoleküle zu den Myosinköpfchen verdickt, die an Myosinhälsen hängen. Mit Ausnahme eines kleinen Bereiches in der Mitte des Myosinfilamentes ragen über die gesamte Länge des Myosinfilamentes (im Abstand von etwa 14 nm) Myosinköpfchen heraus. Die Myosinköpfchen können ATP binden und zu ADP spalten. Die Myosinköpfchen binden bei der Muskelkontraktion an die Aktinfilamente. Im Ru-
Troponin. Dessen Funktion wird durch die Proteine Calponin/Caldesmon wahrgenommen. Titin. Die elastischen Eigenschaften des Muskels, d. h. die
Zunahme der Spannung bei passiver Dehnung des erschlafften Muskels (Ruhedehnungskurve), werden durch Titin vermittelt, ein sehr großes Protein (>3000 kDa), das sich wie eine Feder dehnen lässt. Es verbindet die Z-Streifen (7 Kap. 13.1.1) mit den Myosinfilamenten. ! Die Kontraktionskraft und Kontraktionsgeschwindigkeit sind eine Funktion von Vordehnung und Kontraktionsform. Man unterscheidet dabei mehrere Kontraktionsformen
315 13.1 · Allgemeine Muskelphysiologie
. Abb. 13.1. Kontraktionszyklus eines Muskels. Das Ineinanderschieben von Aktinfilamenten und Myosin wird durch Abknicken von Myosinköpfchen erzielt (A). Voraussetzung für die Bindung von Myosin an Aktin ist, dass Ca2+ durch Verlagerung von Tropomyosin die Bindungsstellen für Myosin am Aktinfilament freilegt (B). Myosin bindet ATP (Ca). Nach Abspaltung eines Phosphates bin-
det nun Myosin an Aktin (Cb) und in der Folge knickt das Köpfchen ab (45°) und ADP wird freigesetzt (Cc). Durch erneute Bindung von ATP kann sich Myosin vom Aktin lösen, sich aufrichten (90°) und die nächste Bindungsstelle aufsuchen. Durch eine Serie solcher »Ruderschläge« bewegt sich Myosin am Aktin entlang (nach Rüegg aus Schmidt et al.)
Beziehung zwischen Kraft und Vordehnung des Muskels.
Bei der isometrischen Kontraktion bleibt die Länge des Muskels gleich, der Muskel entwickelt jedoch ein Maximum an Kraft. Äußere Arbeit (Kraft · Weg) wird bei einer rein isometrischen Muskelkontraktion nicht geleistet (. Abb. 13.3), obgleich der Muskel Energie (bzw. ATP) verbraucht. Bei der isotonen Muskelkontraktion verkürzt sich der Muskel gegen eine gleichbleibende Kraft (Last). In aller Regel ändern sich jedoch bei einer Muskelverkürzung auch die Kraft bzw. der Druck, gegen den kontrahiert wird. Bei der Verkürzung eines Skelettmuskels ändern sich z. B. die Hebel am Gelenk und damit die Kraft selbst bei konstanter Last. Nimmt während der Muskelverkürzung die Kraft zu, gegen die kontrahiert werden muss, dann nennt man die Muskelkontraktion auxoton.
Die bei der Muskelkontraktion erzeugte Kraft ist keine Konstante, sondern hängt von der Vordehnung ab. Der Muskel entwickelt bei mittlerer Vordehnung (Sarkomerlänge von ca. 2,2 µm) die größte Kraft (. Abb. 13.2). Bei stärkerer Vordehnung kann nur ein Teil der Myosinköpfchen an Aktin binden, bei starker Muskelverkürzung überlappen sich die Aktinfilamente teilweise und behindern die weitere Kontraktion. Darüber hinaus fördert Vordehnung des Muskels den Ca2+-Einstrom und steigert über Zunahme der Ca2+-Affinität von Troponin C die Wirkung von Ca2+ auf die kontraktilen Elemente, Wirkungen, die bei zu geringer Vordehnung des Muskels ausbleiben. Kontraktionsformen. Die Muskelkontraktion kann je nach
mechanischen Randbedingungen unterschiedlich ablaufen.
13
316
Kapitel 13 · Muskulatur
. Abb. 13.2. Abhängigkeit der Muskelkraft von der Vordehnung. Bei geringer Vordehnung wird die Muskelkraft durch Ineinanderschieben der Aktinfilamente behindert (a). Bei zu starker Vordeh-
nung ist der Kontakt zwischen Aktin und Myosin herabgesetzt und die Kontraktionskraft nimmt gleichermaßen ab (c, d) (nach Ghez aus Kandel et al.)
. Abb. 13.3. Spannungs-Längen-Diagramm und Kontraktionsformen eines Muskels. Ruhedehnungskurve und Maxima isometri-
scher (a) und isotoner (b) Muskelkontraktionen sowie verschiedene Formen der Muskelkontraktion (c)
13
317 13.1 · Allgemeine Muskelphysiologie
Bei der Anschlagszuckung ist nur eine begrenzte Verkürzung des Muskels möglich. Die zunächst isotone oder auxotone Kontraktion geht dann in eine isometrische Muskelzuckung über. Beispielsweise ist die Kontraktion der Kaumuskulatur beim Zubeißen eine Anschlagszuckung. Umgekehrt besteht die Unterstützungszuckung aus einer initialen isometrischen Muskelzuckung, gefolgt von einer isotonen bzw. auxotonen Kontraktion. Eine Unterstützungszuckung wird z. B. bei Heben eines Gewichtes durchgeführt, wobei zunächst der Muskel isometrisch angespannt werden muss, bis er die – für das Heben des Gewichtes – erforderliche Kraft erreicht hat. ! Die Kontraktionsgeschwindigkeit hängt von den Eigenschaften des Muskels und der Last ab
Kontraktionsgeschwindigkeit. Die Geschwindigkeit einer
Muskelkontraktion hängt zunächst von der Geschwindigkeit der zytosolischen Ca2+-Konzentrationszunahme ab. Sie ist umso schneller, je größer die zellulären Speicher sind und je dichter sie die kontraktilen Elemente umgeben. Die
Zunahme der Ca2+-Konzentration und damit die Geschwindigkeit der Kontraktion kann durch Hormone bzw. Mediatoren gesteigert werden, wie etwa durch Noradrenalin am Herzen. Die Geschwindigkeit einer Muskelkontraktion hängt ferner von der Frequenz des Kontraktionszyklus ab. Eine hohe ATPase-Aktivität am Myosin beschleunigt den Zyklus. Skelettmuskeln, die für die Durchführung schneller Bewegungen spezialisiert sind (z. B. Augenmuskeln), weisen eine höhere Myosin-ATPase-Aktivität auf als langsame Haltemuskeln (z. B. M. soleus der Wade). Die Kontraktionsgeschwindigkeit hängt schließlich von der Last ab, gegen die der Muskel kontrahieren muss (Hill-Gesetz). Bei lastfreier Kontraktion (L = 0) erreicht die Verkürzungsgeschwindigkeit ihr Maximum (Vmax). Ist die Last mit der maximalen Kraft des Muskels identisch (Lmax), dann geht die Verkürzungsgeschwindigkeit gegen null (isometrische Kontraktion). Ist die Last größer als Lmax, dann wird der Muskel trotz Anspannung gedehnt (. Abb. 13.4). Die Last beeinflusst auch die erbrachte Leistung. Sie ist bei lastfreier Kontraktion null und bei mittlerer Last am größten.
13.1.2
Sarkolemm
! Die Depolarisation des Sarkolemms ist der erste Schritt bei der Auslösung der Muskelkontraktion
Tubuläres System. Der große Durchmesser von Skelettmus-
kelzellen erlaubt keinen hinreichend schnellen Transport von extrazellulärem Ca2+ von der Zelloberfläche zu den kontraktilen Elementen. Die Zellmembran von Skelettmuskeln (Sarkolemm) ist daher stark eingefaltet und erzeugt ein transversales tubuläres System, das in engem Kontakt mit Ca2+-speichernden intrazellulären Hohlräumen (longitudinales tubuläres System, sarkoplasmatisches Retikulum) steht. Damit gelangt die Zellmembran in die Nähe aller kontraktilen Elemente und ermöglicht bei Depolarisation lokal Einstrom und Freisetzung von Ca2+ (. Abb. 13.5). . Abb. 13.4. Verkürzungsgeschwindigkeit und Muskelleistung als Funktion der Last. Die Verkürzungsgeschwindigkeit (oben) ist bei kleiner Last am größten, allerdings wird dabei keine Leistung erbracht (unten). Ist die Last so groß wie die maximale Muskelkraft (Vmax), gehen Verkürzungsgeschwindigkeit und Leistung gegen null. Ist die Last größer als Vmax , dann werden Verkürzungsgeschwindigkeit und Leistung sogar negativ (d. h. der Muskel wird von der Last gedehnt) (nach Hescheler und Hirche aus Deetjen und Speckmann)
Fortleitung der Depolarisation. Die spannungsabhängigen Na+-Kanäle im Sarkolemm gewährleisten die blitzartige (3–5 m/s) Ausbreitung einer Depolarisation über die gesamte Skelettmuskelfaser inklusive transversales tubuläres System, ergreift jedoch im Gegensatz zu glatten Muskeln (7 Kap. 13.3.1) und Herzmuskel (7 Kap. 3.1.2) keine benachbarten Muskelfasern.
13
318
13
Kapitel 13 · Muskulatur
. Abb. 13.5. Freisetzung von Ca2+ im Skelettmuskel durch Depolarisation. In Ruhe ist die Zellmembran polarisiert (innen negativ) und die Speicher des sarkoplasmatischen Retikulums speichern Ca2+ (rot). Bei Erregung wird die Zellmembran durch Öffnung von Na+-Kanälen und folgenden Na+-Einstrom (lila Pfeile) depolarisiert. Dadurch öffnen spannungsabhängige Ca2+-Kanäle (orange Pfeile). In der Folge werden
Ca2+-Kanäle in der Membran des sarkoplasmatischen Retikulums geöffnet (orange Pfeile). Ca2+ strömt in das Zytosol und löst die Muskelkontraktion aus. Die Erschlaffung wird durch Repolarisation der Zellmembran eingeleitet. Dabei strömt Cl– ein (blaue Pfeile) und K+ aus (grüne Pfeile) und Ca2+ wird wieder in die Speicher gepumpt (orange Pfeile) (nach Rüegg aus Schmidt et al.)
Calciumfreisetzung und -einstrom. Die Depolarisation des
Neurotransmitter Acetylcholin aufweisen, breiten sich beim denervierten Skelettmuskel Acetylcholinrezeptoren über die gesamte Zellmembran aus. Für eine Erregung des Muskels ist jedoch ein erneuter Kontakt mit einer Nervenendigung erforderlich. Auch denervierte glatte Muskeln steigern ihre Rezeptorendichte für Mediatoren und Hormone und können somit leichter erregt werden.
Sarkolemm aktiviert spannungs-abhängige Ca2+-Kanäle (LTyp Ca2+-Kanäle bzw. Dihydropyridinrezeptoren, DHPR), über welche Ca2+ aus dem Extrazellulärraum einströmt. Die Aktivierung der DHP-Rezeptoren bewirkt eine Aktivierung der Ryanodinrezeptoren (RYR-1 im Skelettmuskel, RYR-2 im Herzen), die sowohl im transversalen tubulären System als auch im sarkoplasmatischen Retikulum verankert sind. Die Aktivierung der Ryanodinrezeptoren führt zu einer Ca2+-Freisetzung aus dem sarkoplasmatischen Retikulum, die den Einstrom von Ca2+ aus dem Extrazellulärraum bei weitem überwiegt. Die Zunahme der zytosolischen Calciumkonzentration führt letztlich zur Kontraktion des Muskels (7 Kap. 13.1.1). Die Potenzialabhängigkeit der Aktivität von DHP-Rezeptoren gewährleistet die Kopplung der Muskelkontraktion an das Zellmembranpotenzial (elektromechanische Kopplung).
Erschlaffung. Bei Repolarisation der Zellmembran sinkt die zytosolische Ca2+-Konzentration wieder schnell ab, da Ca2+Pumpen Ca2+ zurück in die Speicher und Na+/Ca2+-Austauscher sowie Ca2+-Pumpen Ca2+ in den Extrazellulärraum transportieren. Damit wird der Kontraktionszyklus unterbrochen und der Muskel erschlafft. Im Skelettmuskel wird die Repolarisation durch Cl--Einstrom unterstützt (7 Kap. 13.2.2).
13.1.3
Sarkoplasmatisches Retikulum
Regulation der Muskelkontraktion durch Nerven. Der
Skelettmuskel wird normalerweise über Nerven depolarisiert und damit eine Kontraktion ausgelöst. Auch die Multiunit-Muskelfasern der glatten Muskulatur werden hauptsächlich durch den Einfluss von Nerven depolarisiert. Bei Denervierung werden sie zunächst stillgelegt. Die denervierte Muskulatur verändert jedoch ihre Sensibilität gegenüber Nervenreizen. Während normalerweise weniger als 1 % der Fläche eines Skelettmuskels Rezeptoren für den
! Ca2+ aus dem sarkoplasmatischen Retikulum überflutet die Muskelzelle mit Ca2+
Calciumspeicher. Das sarkoplasmatische Retikulum dient als intrazellulärer Ca2+-Speicher. Eine Ca2+-ATPase (sarcoplasmic endoplasmic reticulum Ca2+ transporting ATPase, SERCA) pumpt Ca2+ aus dem Zytosol in das sarkoplasmatische Retikulum.
319 13.1 · Allgemeine Muskelphysiologie
. Abb. 13.6. Beziehung zwischen Aktionspotenzial (EM = Zellmembranpotenzial) und Muskelkontraktion (K = Kontraktionskraft). Beim Skelettmuskel (oben) löst ein einzelnes Aktionspotenzial nur eine geringe Zunahme der zytosolischen intrazellulären Ca2+-Konzentration
(Cai) und Kontraktion aus. Durch hochfrequente Reizung des Muskels steigen Cai und Kontraktionskraft an (sog. tetanische Reizung). Im Herzen (unten) erfolgt die Kontraktion bereits während des Aktionspotenzials und eine tetanische Reizung des Herzmuskels ist nicht möglich
Depolarisation, Ca2+ und die Regulation der Kontraktionskraft. Die Muskelkontraktion ist eine Funktion der zytosoli-
können demnach mehrere Aktionspotenziale bereits vor Einsetzen der Kontraktion auftreten und eine stufenweise Zunahme der zytosolischen Ca2+-Konzentration bewirken. Die Frequenz der Aktionspotenziale entscheidet dabei über zytosolische Ca2+-Konzentration und Kontraktionskraft (sog. Tetanisierung des Muskels, . Abb. 13.6). Auch im Herzmuskel wird Ca2+ aus intrazellulären Speichern freigesetzt. Im Herzen spielt jedoch der Ca2+-Einstrom von außen eine wesentlich größere Rolle als im Skelettmuskel und extrazellulärer Ca2+-Entzug führt nach wenigen Schlägen zum Herzstillstand. Beim Herzen ist ferner das Aktionspotenzial lang und lässt keine Tetanisierung zu (7 Kap. 3.1.1).
schen Ca2+-Konzentration: Je höher die zytosolische Ca2+Konzentration, desto mehr Aktinbindungsstellen werden frei und desto stärker ist die Kontraktionskraft. Die Erregung wird in der Regel durch eine Depolarisation der Zellmembran ausgelöst, die zu einer Öffnung von spannungssensitiven Ca2+-Kanälen und Freisetzung von Ca2+ aus intrazellulären Speichern führt (7 Kap. 13.1.2). Durch Ca2+-Einstrom und Ca2+-Freisetzung steigt die zytosolische Ca2+-Konzentration schlagartig von ca. 0,1 bis auf 10 µmol/l. Die Depolarisation (Aktionspotenzial) ist im Skelettmuskel nur kurz, und es
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320
Kapitel 13 · Muskulatur
IP3 stimulierte Ca2+-Freisetzung. In glatten Muskelzellen
kann auch Inositoltrisphosphat (IP3) eine Ca2+ -Freisetzung auslösen (7 Kap. 13.3.2).
13.1.4
Sarkoplasma
! Die Ca2+-Konzentration im Sarkoplasma wird durch mehrere Pumpen reguliert
Ionenzusammensetzung. Die Ionenzusammensetzung des Sarkoplasma entspricht derjenigen von anderen Zellen (7 Kap. 12.2.2). Für die Kontraktion maßgebend ist die zytosolische Ca2+-Konzentration (7 Kap. 13.1.1), die durch Ca2+-Kanäle, Ca2+-ATPasen und Na+/Ca2+-Austauscher reguliert wird (7 Kap. 13.1.2). Eine Zunahme der intrazellulären Na+-Konzentration mindert die treibende Kraft für den Na+/Ca2+-Austauscher und kann daher die intrazelluläre Ca2+-Konzentration und damit die Muskelkraft steigern. Auf diese Weise steigern Hemmstoffe der Na+/K+-ATPase (Digitalisglykoside) die Herzkraft. Intrazelluläre K+- und Cl--Konzentrationen können über Beeinflussung des Membranpotenziales (7 Kap. 1.5) die Muskeltätigkeit beeinflussen. Eine Zunahme der intrazellulären H+-Konzentration behindert die Bindung von Ca2+ und mindert damit die Kontraktilität (7 Kap. 5.10.3). Regulation der SERCA. Die Aktivität der SERCA kann im Herzmuskel und in glatten Muskeln durch second messenger (cAMP und cGMP) stimuliert und damit die Ca2+-Aufnahme in die Speicher beschleunigt werden. Im Herzmuskel wird dadurch die Erschlaffung beschleunigt (7 Kap. 3.4.2), im glatten Muskel kann dadurch die Kontraktion abgeschwächt werden.
13
Regulation der Kontraktion durch intrazelluläre Transmitter. Im glatten Muskel wird die Ca2+-Sensitivität durch eini-
ge intrazelluläre second messenger reguliert (7 Kap. 13.3.2).
13.1.5
Energieumwandlung
! Die Muskelkontraktion ist auf Energie in Form von ATP angewiesen
ATP-Spaltung und -Resynthese. Die Muskeltätigkeit erfor-
dert Energie in Form von ATP, das sowohl für die Kontraktion als auch für die Erschlaffung des Muskels erforderlich
ist (7 Kap. 13.1.1). Mangel an ATP verhindert die Lösung des Myosins vom Aktin und führt damit zu einem Erstarren des Muskels (z. B. Totenstarre, 7 Kap. 13.1.5). ATP-Gewinnung. Im Muskel kann ATP sowohl durch Glukoseabbau zu Laktat (anaerobe Glykolyse) als auch durch aerobe Verbrennung von Fettsäuren, Ketonkörpern und Glukose gewonnen werden. Bei Verfügbarkeit von Sauerstoff bevorzugt die Muskulatur Fettsäuren als Energiesubstrat. Das Herz gewinnt seine Energie v. a. durch oxidativen Abbau von Fettsäuren, Glukose und Laktat (7 Kap. 3.3.2). Energiespeicher. Der Muskel verfügt über mehrere Mecha-
nismen, die eine Tätigkeit auch bei kurzfristiger Unterbrechung der Zufuhr von O2 oder Substraten ermöglichen. Der Gehalt an ATP erlaubt nur eine äußerst kurzfristige Fortsetzung der Muskeltätigkeit. Der Muskel akkumuliert über einen Na+-gekoppelten Transporter (CreaT) das in der Leber gebildete Kreatin, das im Muskel reversibel Phosphat binden und an ADP abgeben kann. Die Reaktion wird durch die Kreatinkinase katalysiert. Kreatinphosphat ist ein kurzfristiger Energiespeicher. Im Muskel wird O2 an Myoglobin gebunden, das eine wichtige Rolle im O2-Transport innerhalb des Muskels spielt aber ebenfalls ein nur äußerst kurzfristiger Speicher ist. Skelettmuskeln können erhebliche Mengen an Glykogen speichern, bei dessen Abbau Glukose-1-phosphat zur Energiegewinnung bereitgestellt wird. Der Glykogengehalt eines Muskels entscheidet über seine Fähigkeit, seine Arbeit bei O2-Mangel aufrecht zu erhalten. Wirkungsgrad. Der Wirkungsgrad eines Muskels ist die
geleistete mechanische Arbeit (Kraft · Weg) in % des Energieverbrauches. Er ist bei statischer Muskelarbeit praktisch null, da ohne Bewegung keine Arbeit geleistet wird. Bei dynamischer Muskelarbeit kann der Wirkungsgrad bis zu 25% des Energieverbrauches erreichen. Dabei werden 75% der Energie in Wärme umgewandelt. Wärmebildung von Muskeln. Die Aktivierungswärme entsteht durch die Umwandlung von ATP in mechanische Energie, die Erschlaffungswärme durch das Freiwerden der mechanischen Energie bei Dehnung elastischer Elemente des Muskels, und die Erholungswärme durch die chemischen Umsätze zur Herstellung des ursprünglichen Zustandes. Bei anhaltender isometrischer Kontraktion wird der Kontraktionszyklus ständig durchlaufen und es werden somit ständig große Mengen Wärme freigesetzt (Erhaltungswärme).
321 13.1 · Allgemeine Muskelphysiologie
In Kürze
Allgemeine Muskelphysiologie Myofilamente 4 Aktinmoleküle (G-Aktin) bilden entlang Tropomyosinmolekülen 6 nm dicke Aktinfilamente (F-Aktin), senkrecht verlaufendes α-Aktinin (Z-Streifen), angelagerte Troponinmoleküle, Myosinfilamente (12 nm), Myosinköpfchen an Myosinhälsen. Myosinköpfchen enthalten ATPase-Aktivität 4 ATP p bei hoher Ca2+-Konzentration o Bindung zwischen Myosin und Aktin kann nicht gelöst werdeno Totenstarre 4 Kontraktionszyklus in Skelett- und Herzmuskel: Zytosolische Ca2+-Konzentration n o Ca2+ bindet Troponin o Bindungsstellen für Myosinköpfchen frei o Bindung Myosin (unter Mg2+-abhängiger ATP-Spaltung) o 45° Abknicken o Lösen o erneute ATP-Bindung o Winkel von 90° o erneutes Anheften o erneutes Abknicken (sliding filaments) 4 Glatter Muskel statt Troponin Calponin/Caldesmon 4 Titin (>3000 kDa) dehnbar = elastische Eigenschaften des Muskels, verbindet Z-Streifen 4 Mittlere Vordehnung (Sarkomerlänge von ca. 2,2 µm) o größte Kraft; Ca2+-Einstrom n, Ca2+-Affinität von Troponin C n; weitere Vordehnung n o weniger Überlappung Myosin-Aktin o Kraft p; Vordehnung p o Überlappung Aktinfilamente, Ca2+-Einstrom p, Ca2+-Affinität von Troponin C p o Kraft p 4 Isometrisch (= Länge bleibt konstant); Isoton (= Kraft [Last] bleibt konstant); Auxoton (Länge p, Kraft n); Anschlagszuckung (isoton/auxoton o isometrisch): Unterstützungszuckung (isometrisch o isoton/auxoton) 4 Größe, Dichte zellulärer Ca2+-Speicher n, [o Geschwindigkeit Ca2+-Konzentrationszunahme n], ATPase-Aktivität am Myosin n [o Frequenz Kontraktionszyklus] o Kontraktionsgeschwindigkeit n 4 Lastfreie Kontraktion o Verkürzungsgeschwindigkeit maximal, Leistung bei mittlerer Last am größten Sarkolemm 4 Zellmembran von Skelettmuskeln, stark eingefaltet (transversales tubuläres System), enger Kontakt zu Ca2+-speichernden intrazellulären Hohlräumen (longitudinales tubuläres System, sarkoplasmatisches Retikulum) o schnelle zytosolische Ca2+-Zunahme nach Depolarisation
4 Depolarisation o Na+-Kanäle o blitzartige (3–5 m/s) Ausbreitung o Ca2+-Kanäle (L-Typ Ca2+-Kanäle bzw. Dihydropyridinrezeptoren, DHPR), o Ryanodinrezeptoren (RYR-1 im Skelettmuskel, RYR-2 im Herzen) o Ca2+-Freisetzung aus sarkoplasmatischem Retikulum (>>Ca2+-Einstrom aus Extrazellulärraum) o Kontraktion des Muskels (elektromechanische Kopplung); Repolarisation (u. a. durch Cl--Einstrom) o zytosolische Ca2+-Konzentration p (sarcoplasmic endoplasmic reticulum Ca2+ transporting ATPase, SERCA, sarkolemmale Ca2+-ATPase, Na+/Ca2+-Austauscher) Sarkoplasmatisches Retikulum 4 Frequenz der Aktionspotenziale o zytosolische Ca2+Konzentration o Kontraktionskraft (Tetanisierung) 4 Inositoltrisphosphat (IP3) in glatten Muskelzellen o Ca2+-Freisetzung Sarkoplasma 4 Ca2+-Kanäle, Ca2+-ATPasen, Na+/ Ca2+-Austauscher o zytosolische Ca2+-Konzentration; Hemmung Na+/ K+-ATPase (Digitalisglykoside) o zytosolische Na+Konzentration n o Na+/Ca2+-Austauscher p o intrazelluläre Ca2+-Konzentration n o Muskelkraft n 4 K+-, Cl--Konzentrationen o Membranpotenzial o Kontraktion 4 pHi p o Bindung von Ca2+ p o Kontraktilität p 4 cAMP, cGMP o SERCA n o beschleunigte Erschlaffung Energieumwandlung 4 Skelettmuskel: Anaerober Glukoseabbau, Verbrennung von Fettsäuren (bevorzugt), Ketonkörpern, Glukose 4 Herz: Verbrennung von Fettsäuren, Glukose und Laktat 4 Energiespeicher: ATP, Kreatinphosphat, O2-Myoglobin, Glykogen 4 Wirkungsgrad: statische Muskelarbeit 0, dynamische Muskelarbeit ≤25% 4 Aktivierungswärme (Umwandlung ATP in mechanische Energie), Erschlaffungswärme (Freiwerden mechanischer Energie), Erholungswärme (chemische Umsätze, Herstellung ursprünglicher Zustand), anhaltende isometrische Kontraktion (Erhaltungswärme)
13
322
Kapitel 13 · Muskulatur
13.2
Quergestreifte Muskulatur
13.2.1
Allgemeine Grundlagen
! Die zytosolische Ca2+-Konzentration und damit die Muskelkraft steigt mit zunehmender Aktionspotenzialfrequenz. Die Kraft bzw. Muskelspannung steigt ferner mit der Zahl rekrutierter Muskelfasern und deren Vordehnung
Aktivierung der Endplatte und Mechanismen der Ca2+-Freisetzung. Eine Muskelfaser wird über ihre motorische End-
platte aktiviert, wie an anderer Stelle ausgeführt wird (7 Kap. 12.4.4). An der postsynaptischen Membran der Endplatte entsteht ein Aktionspotenzial, das über transversale Tubuli in die Tiefe der Zelle zum sarkoplasmatischen Retikulum weitergeleitet wird (7 Kap. 13.1.3). Dort wird über Aktivierung von DHP-Rezeptoren (L-Typ-Ca2+-Kanälen) und v. a. Freisetzung von Ca2+ über Ryanodinrezeptoren die intrazelluläre Ca2+-Konzentration gesteigert (7 Kap. 13.1.3). Tetanische Muskelkontraktion. Die Muskelzuckung tritt
13
beim Skelettmuskel erst mit erheblicher Verzögerung ein und dauert auch wesentlich länger an als ein Aktionspotenzial (. Abb. 13.6). Damit ist die Frequenz von Einzelzuckungen begrenzt (< 5 Hz). Die Kontraktionskraft einer einzelnen Muskelfaser kann jedoch durch Zunahme der Aktionspotenzialfrequenz gesteigert werden. Dabei addieren sich die Wirkungen einzelner Aktionspotenziale (Superposition) auf die Muskelkraft. Bei höheren Aktionspotenzialfrequenzen (> 20 Hz) kommt es zu einer anhaltenden Kontraktion der Muskelfaser (tetanische Kontraktion). Die tetanische Kontraktion (Tetanus) ist ein physiologischer Vorgang und darf nicht mit Tetanie verwechselt werden, die gesteigerte neuromuskuläre Erregbarkeit bei Hypokapnie (7 Kap. 5.10.4) und bei Hypocalciämie (7 Kap. 9.1.6). Ferner wird der Wundstarrkrampf ebenfalls Tetanus genannt, bei dem durch das Tetanustoxin des Wundstarrkrampferregers die Ausschüttung des hemmenden Transmitters Glyzin unterbunden wird und auf diese Weise lebensbedrohliche Krämpfe ausgelöst werden. Regulation der Muskelkraft. Für die Kontraktionskraft eines Skelettmuskels spielt neben der Aktionspotenzialfrequenz einzelner Muskelfasern auch die Zahl der gleichzeitig aktivierten Muskelfasern eine Rolle: Alle, von einem α-Motoneuron im Rückenmark innervierten Muskelfasern (motorische Einheit) werden bei Aktivierung dieses Motoneu-
rons kontrahiert. Je mehr Motoneurone bzw. motorische Einheiten sich an der Kontraktion beteiligen, desto stärker wird die Kontraktionskraft. Ruhedehnungskurve. Bei passiver Dehnung des Muskels
nimmt die Muskelspannung durch Dehnung elastischer Elemente (Titin) zu. Der Zusammenhang zwischen Länge und Spannung eines ruhenden Muskels wird durch die Ruhedehnungskurve dargestellt (. Abb. 13.3). Während der Muskelkontraktion addieren sich passive Spannung und aktiv erzeugte Kraft des Muskels (. Abb. 13.2).
13.2.2
Skelettmuskel
! Cl--Kanäle sind bei der Repolarisation beteiligt, Ionenkanaldefekte führen zu Myotonie und Lähmungen
Bedeutung der Cl--Kanäle für die Repolarisation. Die en-
gen longitudinalen Tubuli des sarkoplasmatischen Retikulums weisen ein sehr geringes Volumen auf. Bei einem repolarisierenden K+-Ausstrom steigt die intratubuläre K+Konzentration daher sehr schnell an, das K+-Gleichgewichtspotenzial sinkt ab und die Repolarisation wird erschwert. Ein Anstieg der extrazellulären K+-Konzentration um 10 mmol/l von 5 auf 15 mmol/l K+ bedeutet eine Abnahme des K+-Gleichgewichtspotenzials um etwa 30 mV (7 Kap. 1.5). Daher erfordert die Repolarisation in den longitudinalen Tubuli auch die Aktivierung von Cl--Kanälen. Der repolarisierende Cl--Strom von den Tubuli in die Zelle senkt zwar die tubuläre Cl--Konzentration, ein Absinken der extrazellulären Cl--Konzentration um 10 mmol/l von 110 mmol/l auf 100 mmol/l ändert das Gleichgewichtspotenzial jedoch um weniger als 3 mV. Genetische Defekte von Ionenkanälen. Genetische Defekte der Cl--Kanäle führen zur Myotonie. Bei dieser Erkrankung ist die Repolarisation gestört und einer Depolarisation folgen Salven weiterer Aktionspotenziale (Myotonia Thomsen oder Becker). Bei der Paramyotonie führt eine Mutation des Na+-Kanals zur verzögerten Inaktivierung bei Kälte, die Patienten leiden unter Muskelsteifigkeit, wenn die Muskeltemperatur absinkt. Bei der periodischen hyperkaliämischen Lähmung führen Mutationen des Na+-Kanals zu persistierendem Na+Einstrom mit anhaltender, ausgeprägter Depolarisation, zellulären K+-Verlusten mit Hyperkaliämie und beeinträchtigter Repolarisation, die zur Lähmung führen kann.
323 13.2 · Quergestreifte Muskulatur
Ein genetischer Defekt des Ryanodinrezeptors führt zur malignen Hyperthermie: Bei dieser Erkrankung wird der Ryanodinrezeptor durch Halothan aktiviert, das bei Narkose eingesetzt wird. Patienten mit diesem Ionenkanaldefekt reagieren auf Anästhetika wie Halothan mit massiver Aktivierung der Muskulatur, die u. a. zur Temperatursteigerung führt. ! Schnelle Zielbewegungen und Haltearbeit erfordern unterschiedliche Muskelfasertypen
Muskelfasertypen. Der Körper verfügt über zweierlei Mus-
kelfasertypen, die langsamen S-(slow) und die schnellen F(fast)Muskelfasern. Die S-Muskelfasern sind reich an Mitochondrien und Myoglobin und mit einem dichten Kapillarnetz versorgt. Sie sind relativ schwer ermüdbar und eignen sich besonders für langdauernde Muskelarbeit. Die F-Muskelfasern sind hingegen reich an Glykogen und glykolyti-
. Abb. 13.7. Elektromyogramm. Stark schematisierte Bilder normaler und pathologischer Registrierungen vor, während und nach maximaler Muskelkontraktion. Bei neurogener Muskeldystrophie ist die maximale Frequenz herabgesetzt, da die Zahl der motorischen Einheiten in Elektrodennähe durch Untergang von Motoneuronen reduziert ist. Bei myogener Muskeldystrophie ist die gemessene Amplitude he-
schen Enzymen. Sie sind vor allem für schnelle, kurzdauernde Muskelkontraktionen geeignet. Der Anteil an F-Fasern ist in denjenigen Muskeln besonders hoch, die schnelle Zielbewegungen durchführen müssen (z. B. Augenmuskeln). Der Anteil an SMuskelfasern überwiegt in der Haltemuskulatur (z. B. M. soleus). Ein intermediärer Muskelfasertyp verfügt über eine große Menge an Mitochondrien und glykolytischen Enzymen. ! Elektromyographie unterstützt die Diagnostik von Störungen der Muskelkontraktion
Elektromyographie. Die elektrischen Eigenschaften eines
Muskels lassen sich in der Klinik durch Elektromyographie erfassen (. Abb. 13.7). Dabei wird die Potenzialdifferenz zwischen Elektroden auf der Hautoberfläche über dem Muskel und einer Referenzelektrode (transkutane Elektro-
rabgesetzt, da die motorischen Einheiten durch Muskelfaseruntergang kleiner geworden sind. Bei Myasthenia gravis fallen bei anhaltender Aktivierung zunehmend Muskelfasern einer motorischen Einheit aus, und die Amplitude nimmt ab. Beim myasthenischen Syndrom wird die Aktivierung der Muskelfasern bei anhaltender Kontraktion besser und die Amplitude steigt entsprechend
13
324
Kapitel 13 · Muskulatur
myographie) abgegriffen. Alternativ wird eine Nadelelektrode in den Muskel eingestochen. Die Amplitude der intramuskulär aber extrazellulär gemessenen Potenzialänderungen ist mit etwa 1 mV sehr viel kleiner als die Amplitude eines Aktionspotenzials (ca. 100 mV). Die Amplitude der Potenzialänderungen steigt mit der Zahl gleichzeitig depolarisierender Muskelfasern in unmittelbarer Nähe der Elektrode. Da alle Muskelfasern einer motorischen Einheit (7 Kap. 13.2.1) gleichzeitig depolarisieren, zeigt die Amplitude an, wieviele Muskelfasern einer motorischen Einheit in unmittelbarer Nähe zur Elektrode liegen. Die Kontraktionsstärke nimmt mit der Frequenz der Potenzialänderungen zu. Da unterschiedliche motorische Einheiten in der Regel nicht gleichzeitig kontrahieren, nimmt die gemessene Aktionspotenzialfrequenz bei gleichzeitiger Aktivierung benachbarter motorischer Einheiten zu. Die bei maximaler Kontraktion des Muskels erreichte Frequenz hängt somit von der Zahl der motorischen Einheiten ab, deren Muskelfasern im Bereich der Nadelelektrode liegen. Die Elektromyographie wird v. a. zur Unterscheidung muskulärer und neuronaler Funktionsausfälle eingesetzt. Bei Untergang von einigen Muskelfasern einer motorischen Einheit nimmt die Amplitude der Potenzialänderungen ab, da nun weniger Muskelfasern gleichzeitig depolarisieren. Bei Untergang von Neuronen fallen alle betroffenen motorischen Einheiten aus. Die denervierten Muskelfasern werden dann durch Kollateralen benachbarter Motoneurone innerviert. Die jeweiligen motorischen Einheiten werden somit größer. Bei teilweisem Untergang von Motoneuronen
wird im betroffenen Muskel somit die Frequenz der Potenzialänderungen geringer, die Amplitude jedoch größer.
13.2.3
Herzmuskel
! Der Herzmuskel ist eine Volumenpumpe. Auch er wird bei Zunahme der zytosolischen Ca2+-Konzentration kontrahiert
Kontraktionsmechanismus. Auch die Kontraktion des Herzmuskels wird durch Zunahme der zytosolischen Ca2+-Konzentration ausgelöst (7 Kap. 3.2.1). Über Bindung an Troponin C leitet es die Interaktion von Aktinfilamenten und Myosin ein (7 Kap. 3.2.1). Im Herzen gelangt Ca2+ vorwiegend durch spannungsabhängige Ca2+-Kanäle in die Zelle und wird aus intrazellulären Speichern freigesetzt (7 Kap. 3.2.1). Kontraktionsformen während des Herzzyklus. Die Kon-
traktion des Herzens beginnt mit einer isovolumetrischen Kontraktion bis zum Erreichen des Druckes in Aorta (linkes Herz) bzw. Arteria pulmonalis (rechtes Herz). Dann folgt eine auxotone Kontraktion mit gleichzeitiger Spannungszunahme und Volumenverkleinerung. Es folgt eine isovolumetrische Erschlaffung bei geschlossenen Herzklappen und schließlich die erneute Herzfüllung mit gleichzeitiger Druck- und Volumenzunahme (7 Kap. 3.2.3). Die isovolumetrische Kontraktion des Herzens ist keine strikte isometrische Kontraktion, da die Muskelfasern sich verkürzen und damit eine Formveränderung des Herzens bewirken.
In Kürze
Quergestreifte Muskulatur
13
Allgemeine Grundlagen 4 Mit zunehmender Aktionspotenzialfrequenz addieren sich Wirkungen einzelner Aktionspotenziale (Superposition) zur Muskelkraft. Bei >20 Hz o anhaltende Kontraktion (tetanische Kontraktion) 4 Tetanie = neuromuskuläre Erregbarkeit n bei Hypokapnie, Hypocalciämie 4 Tetanus entsteht durch Tetanustoxin (o Glyzinausschüttung p) o lebensbedrohliche Krämpfe 4 Aktionspotenzialfrequenz einzelner Muskelfasern + Zahl gleichzeitig aktivierter Motoneurone (motorische Einheiten) o Kontraktionskraft 4 Passive Dehnung o Dehnung Titin o Ruhedehnungskurve 6
Skelettmuskel 4 Genetischer Defekt Cl--Kanäle o gestörte Repolarisation o Aktionspotenzialsalven o Myotonie 4 Genetischer Defekt Na+-Kanäle o verzögerte Inaktivierung bei Kälte o Paramyotonie: 4 Defekter Na+-Kanal o anhaltende Öffnung o Depolarisation, K+-Verluste, Hyperkaliämie o Periodische hyperkaliämische Lähmung 4 Defekter Ryanodinrezeptor o Aktivierung durch Halothan o Ca2+-Freisetzung o maligne Hyperthermie 4 Slow Muskelfasertyp reich an Mitochondrien, Myoglobin, Kapillaren (rot) o relativ schwer ermüdbar, langdauernde Muskelarbeit (z. B. M. soleus)
325 13.3 · Glatter Muskel
4 Fast Muskelfasertyp reich an Glykogen, glykolytische Enzyme o schnelle, kurzdauernde Muskelkontraktionen (z. B. Augenmuskeln) 4 Intermediärer Muskelfasertyp reich an Mitochondrien und glykolytischen Enzymen. 4 Transkutane Elektromyographie: Amplitude Zahl gleichzeitig depolarisierter Muskelfasern in Elektrodennähe Muskelfasern einer motorischen Einheit; Frequenz Zahl gleichzeitig aktivierter benachbarter motorischer Einheiten Zahl motorischer Einheiten in
13.3
Glatter Muskel
13.3.1
Kontraktionsauslösung im glatten Muskel
! Im glatten Muskel fehlt die Streifung. Bei der Aktivierung sind Zellmembranpotenzial, Ca2+, MLCK und Caldesmon/ Calponin beteiligt
Elektrodennähe; Muskelfasern einer motorischen Einheit p o Amplitude p; Untergang Neurone o Frequenz p Herzmuskel 4 Kontraktionsauslösung: Ca2+-Einstrom über Kanäle der Zellmembran und aus intrazellulären Speichern o zytosolische Ca2+-Konzentration n o Ca2+-Bindung an Troponin C o Interaktion Aktinfilamente und Myosin 4 Herzzyklus: Isovolumetrische Kontraktion o auxotone Kontraktion o isovolumetrische Erschlaffung o erneute Herzfüllung (7 Kap. 3.2.3)
Caldesmon/Calponin im glatten Muskel eine ähnliche Rolle wie Troponin/Tropomyosin im quergestreiften Muskel. Myosin wird durch eine Phosphatase (MLCP) dephosphoryliert und damit inaktiviert. Mechanische Eigenschaften. Bei gleichem Querschnitt errei-
chen glatte Muskeln in etwa die gleiche Kraft wie quergestreifte Muskeln. Ihre Kontraktionsgeschwindigkeit ist jedoch geringer. Sie können sich andererseits sehr viel stärker verkürzen. Bei Haltearbeit können sie den Querbrückenzyklus verlangsamen und können damit den Energieverbrauch auf <1% des Energieverbrauches von Skelettmuskeln senken.
Strukturelle Besonderheiten des glatten Muskels. Während im quergestreiften Muskel und Herzmuskel die Aktinund Myosinfilamente (Verhältnis 2 : 1) dicht gepackt aneinander liegen und durch das geordnete Nebeneinander die Streifung der Muskulatur bewirken, sind die kontraktilen Elemente im glatten Muskel weniger geordnet und daher fehlt auch die Streifung. Es überwiegen bei weitem die Aktinfilamente (18 : 1). Sie überkreuzen sich und bilden auf diese Weise die dense bodies, die wie die Z-Streifen der quergestreiften Muskulatur (7 Kap. 13.1.1) α-Aktinin enthalten.
13.3.2
Ausbreitung des Aktionspotenzials. Bei den glatten Mus-
Automatie. Die meisten glatten Muskeln (single unit) benö-
keln gibt es sowohl Muskelfasern, die miteinander über gap junctions verbunden sind und damit eine elektrische Einheit bilden (single unit, z. B. Magen-Darm-Kanal, Ureter, Uterus) als auch Muskelfasern, die voneinander isoliert sind (sog. Multiunit-Fasern, z. B. Bronchien, Gefäße).
tigen für ihre Aktivität keine Innervation. Stattdessen depolarisieren einige der Zellen automatisch in einem bestimmten Rhythmus (Automatie), und depolarisieren über die gap junctions die Nachbarzellen. Auf diese Weise breitet sich die Erregung über alle miteinander verbundenen Zellen aus. Das Nervensystem wirkt lediglich modulierend auf die Aktivität der Zellen ein, es beeinflusst die Frequenz der Depolarisationen, die Geschwindigkeit der Erregungsausbreitung und die Intensität der Kontraktion. Auch Mediatoren und Hormone können die Erregung der Muskeln beeinflussen, etwa über Änderung des Zellmembranpotenzials oder der Ca2+-Transportsysteme.
Aktivierungsmechanismen. Bei Aktivierung des glatten
Muskels bindet Ca2+ an Calmodulin. Der Ca2+-Calmodulinkomplex aktiviert die Myosin-leichte-Ketten-Kinase (myosin-light chain-kinase MLCK), die ihrerseits eine Untereinheit des Myosins phosphoryliert und damit Myosin aktiviert. Darüber hinaus spielen die Regulatorproteine
Regulation der glatten Muskelaktivität
! Der glatte Muskel arbeitet automatisch. Die Kontraktion wird durch Ca2+, Protein-Phosphorylierung und Dehnung reguliert
13
326
Kapitel 13 · Muskulatur
Regulation des Ca2+-Einstroms. In single unit glatten Mus-
keln führt die Depolarisation zur Öffnung von spannungsabhängigen Ca2+-Kanälen und zur Freisetzung von Ca2+ aus dem sarkoplasmatischen Retikulum. Durch Aktivierung von Ca2+-sensitiven K+-Kanälen kommt es in der Folge zur Hyperpolarisation und damit zur Hemmung der Ca2+-Kanäle. Damit wird der Ca2+-Einstrom beendet, das zytosolische Ca2+ sinkt wieder ab, die Aktivierung der K+-Kanäle nimmt ab und die Zelle kann erneut depolarisieren. Auf diese Weise entsteht eine Oszillation von Zellmembranpotenzial und intrazellulärer Ca2+-Konzentration. Das Membranpotenzial glatter Muskelzellen wird ferner durch KATPKanäle beeinflusst, die bei Abnahme der intrazellulären ATP-Konzentration aktiviert werden. KCa- und KATP-Kanäle können durch cAMP und cGMP stimuliert werden. In multiunit glatten Muskelzellen wird die intrazelluläre Ca2+-Konzentration v. a. über rezeptoroperierte Ca2+-Kanäle und durch Freisetzung von intrazellulärem Ca2+ über Inositoltrisphosphat gesteigert. RegulationdurchPhosphorylierung. Die Aktivität der MLCK ist nicht nur eine Funktion der zytosolischen Ca2+-Konzentra-
tion. Die Aktivität bzw. Ca2+-Empfindlichkeit der MLCK und damit die Muskelkontraktion wird durch Proteinkinase A (PKA)-abhängige Phosphorylierung herabgesetzt. Die MLCP und damit die Muskelerschlaffung wird durch eine Rho-Kinase und durch die Proteinkinase C gehemmt sowie durch die G-Kinase gefördert. Über Ca2+, Proteinkinase A, Rhokinase, Proteinkinase C und Proteinkinase G wirken Hormone und Mediatoren auf die Kontraktion glatter Muskelzellen. Dehnung. Wird ein glatter Muskel gedehnt, dann nimmt
wie im Herz- und Skelettmuskel die Spannung zu. Allerdings nimmt die Spannung bei anhaltender Dehnung wieder ab, der Muskel »gewöhnt« sich also an seine neue Länge (plastische Dehnung). Regulation glatter Gefäßmuskeln. Wie an anderer Stelle ausgeführt (7 Kap. 4.4.1), wird die Kontraktion von glatten Gefäßmuskelzellen durch eine Vielzahl von Faktoren reguliert, wie etwa CO2, H+, K+, Adenosin, NO, EDHF (endothelial derived hyperpolarising factor), PAF (platelet activating factor), Endotheline, Prostaglandine, Angiotensin II und den Sympathikus (α, β).
In Kürze
Glatter Muskel
13
Kontraktionsauslösung im glatten Muskel 4 Kontraktile Elemente im glatten Muskel weniger geordnet o keine Streifung; vorwiegend Aktinfilamente, dense bodies mit α-Aktinin 4 Elektrisch gekoppelt (single unit) in Magen-Darm-Kanal, Ureter, Uterus; elektrisch isoliert (multi unit) in Bronchien, Gefäßen 4 Aktivierung o Ca2+ o Bindung an Calmodulin o Myosin-leichte-Ketten-Kinase (MLCK) n o Myosinphosphorylierung o Myosinaktivierung; MLCP o Myosindephosphorylierung o Inaktivierung 4 Regulatorproteine Caldesmon/Calponin wie Troponin/Tropomyosin im quergestreiften Muskel 4 Kraft/Querschnitt glatte Muskeln = quergestreifte Muskeln; Glatte Muskeln langsamer, stärker verkürzend, bei Haltearbeit <1% des Energieverbrauches von Skelettmuskeln Regulation der glatten Muskelaktivität 4 Meist automatische Depolarisation, Kontraktion glatter Muskeln (single unit), Nervensystem, Mediatoren, Hormone modulierend
4 Depolarisation o Ca2+-Kanäle n, Ca2+-Freisetzung aus sarkoplasmatischem Retikulum n o Ca2+-sensitive K+ Kanäle n o Hyperpolarisation o Ca2+-Kanäle p o Ca2+-Einstrom n o Oszillationen 4 Intrazelluläres ATP p o KATP-Kanäle n; cAMP, cGMP o K+Kanäle 4 Rezeptoroperierte Ca2+-Kanäle n, Inositoltrisphosphat (Ca2+-Freisetzung) o multi unit o intrazelluläre Ca2+Konzentration 4 Proteinkinase A oCa2+-Empfindlichkeit der MLCK p o Muskelkontraktion p 4 Rho-Kinase, Proteinkinase C o MLCP p o Muskelerschlaffungp 4 G-Kinase o MLCP n o Muskelerschlaffung n 4 Dehnung o transient Tonus n o plastische Dehnung 4 Regulatoren glatter Gefäßmuskeln: CO2, H+, K+, Adenosin, NO, EDHF, PAF, Endotheline, Prostaglandine, Angiotensin II, Sympathikus (α, β)
14
14 Vegetatives Nervensystem 14.1
Morphologische Grundlagen, Entwicklung, Wachstumsfaktoren – 328
14.1.1 14.1.2
Strukturelle Organisation – 328 Afferenzen, Darmnervensystem – 329
14.2
Zelluläre und molekulare Mechanismen der Signaltransduktion im vegetativen Nervensystem – 330
14.2.1 14.2.2
Synaptische Übertragung in den Ganglien – 330 Informationsübertragung von postganglionären Axonen auf Zielorgane
14.3
Funktionelle Organisation des Vegetativen Nervensystems – 334
14.3.1 14.3.2 14.3.3 14.3.4
Vegetative Steuerungen – 334 Vegetative Reflexe – 334 Supraspinale Kontrolle durch das Stammhirn – 336 Hypothalamische und limbische Steuerung – 336
– 330
328
Kapitel 14 · Vegetatives Nervensystem
> > Einleitung Das vegetative Nervensystem dient in erster Linie der Regulation des »inneren Milieus« und der Anpassung von Organleistungen an den jeweiligen Bedarf. Seine Tätigkeit entzieht sich weitgehend der bewussten Kontrolle durch das somatische Nervensystem.
14.1
Morphologische Grundlagen, Entwicklung, Wachstumsfaktoren
14.1.1
Strukturelle Organisation
! Im vegetativen Nervensystem innerviert ein Neuron im ZNS ein zweites Neuron in Ganglien oder im regulierten Organ, das über seine Nervenendigungen die vegetativen Transmitter freisetzt
Aufbau. Das periphere vegetative Nervensystem umfasst das sympathische und parasympathische Nervensystem sowie das Darmnervensystem. Vom Rückenmark aus erreichen sympathische und parasympathische Nervensysteme die Zielorgane jeweils über zwei Neurone. Der Zellkörper des ersten Neurons (präganglionäres Neuron), sitzt in der intermediären Zone des Rückenmarks (. Abb. 14.1) oder in Kernen der Hirnnerven III, VII, IX oder X. Sein Axon verlässt das Rückenmark über die Vorderwurzel und innerviert ein zweites Neuron (postganglionäres Neuron), dessen Axon dann das Zielorgan innerviert. Die Zellkörper der präganglionären Neurone des sympathischen Nervensystems sitzen im thorakalen und lumbalen Rückenmark (thorakolumbales System), die Zellkörper der präganglionären Neurone des parasympathischen Nervensystems im Hirnstamm und im Sakralmark (kraniosakrales System).
14
. Abb. 14.1. Strukturelle Organisation des vegetativen Nervensystems. Präganglionäre sympathische Fasern (rot), postganglionäre sympathische Fasern (rosarot), präganglionäre parasympathische Fa-
sern (grün), postganglionäre parasympathische Fasern (blau) und Ganglien (gelb) (nach Jänig aus Schmidt et al.)
329 14.1 · Morphologische Grundlagen, Entwicklung, Wachstumsfaktoren
Ganglien. Ansammlungen an Zellkörpern postganglionä-
rer vegetativer Neurone nennt man Ganglien. Die sympathischen Ganglien sind zum größten Teil perlschnurartig vor der Wirbelsäule angeordnet (Grenzstrangganglien), beim Sympathikus sind die Axone der präganglionären Neurone daher meist kurz, die Axone der postganglionären Neurone lang. Die präganglionären Axone sind zum Teil, die postganglionären Axone nicht myelinisiert. Die parasympathischen Ganglien liegen in der Nähe oder sogar innerhalb der Zielorgane. Beim Parasympathikus sind also die Axone der präganglionären Neurone in der Regel lang, die Axone der postganglionären Neurone kurz (. Abb. 14.1). Varikositäten. Die Nervenendigungen der postganglionären Axone bilden Varikositäten, transmitterfreisetzende Auftreibungen in den Zielorganen.
14.1.2
Afferenzen, Darmnervensystem
! Viszerale Afferenzen in vegetativen Nerven informieren das ZNS über Gefäße und Organe
Viszerale Afferenzen. In den vegetativen Nerven (v. a. N. vagus und Nn. splanchnici) befinden sich auch viszerale afferente Fasern. Die Zellkörper der spinalen viszeralen afferenten Nervenfasern liegen in den Spinalganglien, die Zellkörper der viszeralen afferenten Nervenfasern von Hirnnerven in entsprechenden Ganglien dieser Nerven. Die viszeralen Afferenzen tragen Informationen aus Druck-, Volumen- und Chemorezeptoren der Organe zu Rückenmark und Hirnstamm. Auf diese Weise wird das
zentrale Nervensystem über Dehnung von Lunge, Herz, Gefäßen, Magen-Darm-Kanal, Harnblase und Genitalorganen, die O2- und CO2-Konzentration im Blut, die Osmolarität in der Leber sowie die Glukosekonzentration im Magen-Darm-Kanal informiert. Viszerale Schmerzen werden ausschließlich durch spinale Nervenfasern vermittelt. ! Das Darmnervensystem koordiniert und reguliert die Funktionen des Magen-Darm-Traktes
Darmnervensystem. Das Darmnervensystem umfasst etwa
die gleiche Zahl (108) an Neuronen wie das Rückenmark. Die Zellkörper liegen zum größten Teil in den Plexus myentericus (Auerbach) und submucosus (Meissner). Afferente Neurone weisen rezeptive Neuriten auf, efferente Neurone regulieren bzw. steuern Motorik, epithelialen Transport (Sekretion und Resorption) und Hormonausschüttung in der Darmwand. Afferente und efferente Neurone sind über hemmende und fördernde Interneurone miteinander verknüpft. Als Transmitter dienen Acetylcholin, Serotonin, Stickoxid (NO), ATP und eine Reihe von Peptiden, wie u. a. VIP, Substanz P und Somatostatin (7 Kap. 14.2.2). Sympathische und parasympathische Nerven üben meist nur einen modulierenden Einfluss auf das Darmnervensystem aus und sind für die koordinierte Funktion des Darms (z. B. Propulsionsbewegungen, 7 Kap. 7.2) nicht erforderlich. Die Motorik zu Beginn (Schlucken) und Ende (Defäkation) des Magendarmtraktes erfordert freilich die Koordination von Darmnervensystem, Sympathikus, Parasympathikus und somatischem Nervensystem (7 Kap. 7.2). Über Beeinflussung der Blutgefäße regulieren sympathische Nervenfasern ferner die Durchblutung des MagenDarm-Traktes.
In Kürze
Morphologische Grundlagen, Entwicklung, Wachstumsfaktoren Strukturelle Organisation 4 Peripheres vegetatives Nervensystem = sympathisches (thorakolumbales System) und parasympathisches Nervensystem (kraniosakrales System), Darmnervensystem 4 Neurone: Präganglionäres Neuron intermediäre Zone Rückenmark oder Kerne Hirnnerven III, VII, IX, X; o postganglionäres Neuron o Zielorgan 6
4 Ganglien = postganglionäre vegetative Neurone; sympathisch(Grenzstrangganglien) = Axone präganglionär z. T. myelinisiert, kurz, postganglionär meist lang, nicht myelinisiert; parasympathisch (in Nähe oder in Zielorganen) = Axone präganglionär meist lang, postganglionär kurz 4 Varikositäten = transmitterfreisetzende Auftreibungen in Zielorganen
14
330
Kapitel 14 · Vegetatives Nervensystem
Afferenzen, Darmnervensystem 4 Viszerale Afferenzen in vegetativen Nerven (v. a. N. vagus und Nn. splanchnici) für Druck-, Volumenund Chemorezeptoren, Dehnung Lunge, Herz, Gefäße, Magen-Darm-Kanal, Harnblase und Genitalorgane, O2- CO2-Konzentration, Osmolarität (Leber), Glukosekonzentration (Magen-Darm); viszerale Schmerzen über spinale Nervenfasern 4 Darmnervensystem: 108 Neurone (wie Rückenmark). Plexus myentericus (Auerbach), submucosus
14.2
Zelluläre und molekulare Mechanismen der Signaltransduktion im vegetativen Nervensystem
14.2.1
Synaptische Übertragung in den Ganglien
! Neurone vegetativer Ganglien werden durch Acetylcholin erregt. Sie integrieren Efferenzen aus dem ZNS
Transmitter. Der Transmitter des präganglionären Neurons
ist bei Sympathikus und Parasympathikus (nikotinisch) Acetylcholin. Konvergenz und Divergenz in den vegetativen Ganglien.
14
Ein einzelnes präganglionäres Neuron aktiviert in aller Regel eine Vielzahl von postganglionären Neuronen (Divergenz). Umgekehrt konvergieren in der Regel mehrere präganglionäre Neurone auf ein einzelnes postganglionäres Neuron. Die von einem präganglionären Neuron aktivierten postganglionären Neurone üben meist gleichartige Funktionen aus, wie etwa die Regulation von Schweißdrüsen oder die Stimulation von glatten Gefäßmuskelzellen. Die präganglionären und dazugehörenden postganglionären Neurone sind die Endstrecke des vegetativen Nervensystems. Nebennierenmark. Das Nebennierenmark wird durch Zellen gebildet, die sympathischen Ganglienzellen entsprechen (Homologie). Wie die Ganglienzellen werden sie von präganglionären sympathischen Axonen innerviert, welche die Ausschüttung der Transmitter stimulieren. Die Nebennierenmarkzellen bilden jedoch keine Axone, mit denen sie die
(Meissner). Afferenzen + Efferenzen (Motorik, Sekretion, Resorption, Hormonausschüttung), Interneurone; Transmitter: Acetylcholin, Serotonin, Stickoxid (NO), ATP, Peptide (VIP, Substanz P, Somatostatin). Sympathikus und Parasympathikus modulieren; Sympathikus reguliert Durchblutung 4 Schlucken, Defäkation erfordern Darmnervensystem, Sympathikus, Parasympathikus, somatisches Nervensystem
Zielorgane erreichen, sondern schütten ihre Transmitter (die Katecholamine Adrenalin und Noradrenalin, 7 Kap. 14.2.2) in die Blutbahn aus. Die im Nebennierenmark ausgeschütteten Katecholamine wirken somit wie Hormone (endokrin, 7 Kap. 10.3.6) und erreichen auch Zellen, die nicht durch Fasern des vegetativen Nervensystems innerviert werden. Damit spielen sie vor allem bei der Regulation des Stoffwechsels eine wesentliche Rolle. Die ins Blut ausgeschütteten Katecholamine können andererseits im Gegensatz zu den vegetativen Nervenfasern nicht spezifisch einzelne Organfunktionen stimulieren, ohne die Funktion anderer Organe zu beeinflussen. Katecholamine aus dem Nebennierenmark werden vor allem bei Notfallsituationen ausgeschüttet, wie z. B. bei Blutverlust, Unterkühlung, Hypoglykämie, Hypoxie, Verbrennungen und schwerer körperlicher oder psychischer Belastung.
14.2.2
Informationsübertragung von postganglionären Axonen auf Zielorgane
! Periphere Transmitter des vegetativen Nervensystems sind Adrenalin, Noradrenalin, Acetylcholin und NANC Mediatoren
Transmitter. Das postganglionäre Neuron setzt beim Para-
sympathikus gleichfalls Acetylcholin frei, beim Sympathikus in aller Regel Noradrenalin. Nur die sympathische Stimulation der Schweißdrüsen und möglicherweise die sympathisch vermittelte Vasodilatation von Muskelgefäßen werden durch Acetylcholin erzeugt. Zellen im Nierenmark schütten Adrenalin (80 %) und Noradrenalin (20 %) in das Blut aus. Im Blut ist die Noradrenalinkonzentration jedoch normalerweise wesentlich höher als die Adrenalinkonzen-
331 14.2 · Zelluläre und molekulare Mechanismen der Signaltransduktion im vegetativen Nervensystem
tration, da auch das in den Nervenendigungen freigesetzte Noradrenalin teilweise ins Blut gelangt. Neben Acetylcholin, Noradrenalin und Adrenalin werden durch vegetative Nervenendigungen noch weitere Mediatoren freigesetzt (NANC = nichtadrenerge nichtcholinerge Transmitter), wie u. a. Adenosintriphosphat (ATP), Stickoxid (NO), vasoaktives intestinales Peptid (VIP) und Neuropeptid Y (NPY). Die NANC-Mediatoren tragen zur Wirkung der vegetativen Nerven bei. So wirkt Stickoxid (NO) u. a. erschlaffend auf die glatte Muskulatur des Darms und der Blutgefäße des erektilen Gewebes, Adenosintriphosphat (ATP) und vasoaktives intestinales Peptid (VIP) wirken vasodilatierend und stimulieren die Sekretion in verschiedenen Epithelien und Neuropeptid Y (NPY) verstärkt die Wirkung von Noradrenalin auf Gefäße und Herz. Acetylcholinrezeptoren. Die Acetylcholinrezeptoren an
den Ganglienzellen unterscheiden sich von den Acetylcholinrezeptoren an den Zielzellen des parasympathischen Nervensystems. Die Acetylcholinrezeptoren der Ganglienzellen und der Nebennierenmarkzellen können durch Nikotin aktiviert und durch quarternäre Ammoniumverbindungen (Ganglienblocker) blockiert werden. Die cholinergen Rezeptoren in den Zielzellen des Parasympathikus werden durch Muscarin (ein Gift aus dem Fliegenpilz) und Pilocarpin aktiviert und durch Atropin (ein Gift aus der Tollkirsche) blockiert. Acetylcholin wirkt über nikotinische Rezeptoren direkt (ligandengesteuert) auf Ionenkanäle und über muskarinische Rezeptoren und unterschiedliche intrazelluläre Signalwege auf verschiedene zelluläre Effektoren (7 Kap. 10.1.3). ! Bei den Adrenozeptoren unterscheidet man α- und β-Rezeptoren
Adrenozeptoren. Auch die Adrenozeptoren sind nicht einheitlich, sondern lassen sich in zwei Klassen (α und β) einteilen, die jeweils mehrere Subtypen umfassen. Die Rezeptoren weisen unterschiedliche Affinitäten für aktivierende (Agonisten) und blockierende (Antagonisten) Substanzen auf. Ein α-Adrenozeptor bindet z. B. Noradrenalin besser als Adrenalin und Adrenalin besser als die synthetische Substanz Isoproterenol (ein β-Adrenozeptoragonist), Ein β-Adrenozeptor bindet umgekehrt Isoproterenol besser als Adrenalin und Adrenalin besser als Noradrenalin. Die verschiedenen Rezeptortypen koppeln ferner an unterschiedliche intrazelluläre Mechanismen (7 Kap. 10.1.3)
und vermitteln unterschiedliche Wirkungen von Noradrenalin und Adrenalin (. Tab. 14.1). Eine Reihe von Funktionen werden gleichzeitig durch α- und β-Rezeptoren beeinflusst, wobei die Wirkungen jeweils antagonistisch sein können. So wird die Gefäßkontraktion über α-Adrenozeptoren gefördert und durch βAdrenozeptoren gehemmt. In der Klinik wird eine Vielzahl spezifischer Agonisten und Antagonisten eingesetzt, welche die jeweils gewünschte Wirkung im Körper erzielen, ohne die Gesamtheit der übrigen Wirkungen des Sympathikus auszulösen. Präsynaptische und extrasynaptische Rezeptoren. α- und
β-Adrenozeptoren findet man nicht nur in den Membranen der Zielzellen, sondern auch in den präsynaptischen Membranen von Nervenendigungen. Aktivierung der präsynaptischen α2-Rezeptoren hemmt, Aktivierung der präsynaptischen β-Rezeptoren stimuliert die Ausschüttung von Noradrenalin. Über α2-Rezeptoren wird ferner die Ausschüttung von Acetylcholin gehemmt (z. B. in den Bronchien). Umgekehrt kann Acetylcholin über muskarinische Rezeptoren die Ausschüttung von Noradrenalin hemmen. Damit können sich Sympathikus und Parasympathikus sowohl selbst als auch gegenseitig beeinflussen. Schließlich findet man α- und β-Rezeptoren auch außerhalb der Synapsen. Aktiviert werden die extrasynaptischen Rezeptoren durch Katecholamine aus dem Nebennierenmark und durch Noradrenalin, das aus den Synapsen diffundiert. ! Die Wirkungen des Sympathikus erscheinen in ihrer Gesamtheit dann sinnvoll, wenn eine Notfallsituation bewältigt werden soll, etwa die Flucht vor einer Raubkatze
Wirkungen des Sympathikus. Aktivierung des Sympathikus (. Tab. 14.1) führt zu: 4 Stimulation des Herzens und Vasokonstriktion peripherer Gefäße (v. a. Haut, Darm, Niere). Auf diese Weise wird ein Absinken des Blutdruckes verhindert, wenn die massive Muskeltätigkeit eine entsprechende Durchblutung erfordert 4 Dilatation der Gefäße in Herz und Muskeln So wird die Durchblutung dieser in der Notfallsituation entscheidenden Organe gesteigert 4 Dilatation der arteriellen Lebergefäße. Damit wird die, durch Vasokonstriktion der Darmgefäße herabgesetzte, Durchblutung aus dem Pfortadergebiet kompensiert 4 Hemmung der Darm- und Blasenmuskulatur und die Aktivierung der Sphinktere. Damit wird die in dieser
14
332
Kapitel 14 · Vegetatives Nervensystem
4 4
4
4
14
Situation nicht mögliche Miktion und Defäkation unterbunden Hemmung der Uterusmuskulatur. Damit wird die Einleitung einer Geburt verhindert Hemmung der Bronchialmuskulatur. Damit wird der Atemwegswiderstand herabgesetzt und so die erforderliche Steigerung des Atemzeitvolumens erleichtert Stimulation der Schweißsekretion. Die folgende Abkühlung der Haut ermöglicht eine Wärmeabgabe mit relativ geringer Hautdurchblutung Stimulation der Glykogenolyse und der Lipolyse. Auf diese Weise werden die erforderlichen Energiesubstrate bereitgestellt
Auch die Wirkungen des Sympathikus auf die Hormonausschüttung sind in einer Notfallsituation sinnvoll, wie etwa die Hemmung der Ausschüttung des blutzuckersenkenden Insulins aus den B-Zellen des Pankreas (7 Kap. 10.3.4) oder des vasodilatatorisch wirkenden Histamins aus den basophilen Granulozyten und Gewebsmastzellen (7 Kap. 4.2.2). Die Stimulation der Mm. arrectores pilorum ist wohl der – beim Menschen kaum mehr erfolgreiche – Versuch, durch Aufstellen der Haare einen etwaigen Kampfgegner einzuschüchtern. Der Sympathikus erweitert die Pupillen, weite, lichtstarre Pupillen sind ein diagnostisch wertvolles Indiz für massive Aktivierung des Sympathikus (z. B. im Blutverlustschock, 7 Kap. 4.2.2). Weitere Wirkungen des Sympathikus sind Mobilisierung von Leukozyten, Begünstigung der Thrombozytenaggregation und Stimulation der Speicheldrüsen. Es muss nochmals betont werden, dass die Gesamtheit der Wirkungen nur in seltenen Notfallsituationen ausgelöst wird. Normalerweise arbeitet das vegetative Nervensystem nicht synchron, sondern die einzelnen vegetativen Nervenfasern regulieren die jeweiligen Organfunktionen weitgehend unabhängig voneinander. So kann beispielsweise ein Lichteinfall in das Auge eine parasympathisch vermittelte Pupillenverengung auslösen und gleichzeitig eine Zunahme der Körpertemperatur über sympathische Nervenfasern die Schweißsekretion stimulieren. Die Fähigkeit des vegetativen Nervensystems, organspezifisch zu regulieren, ist ein wesentlicher Vorteil gegenüber den Hormonen, bei deren Ausschüttung jeweils die gesamte Palette der hormonspezifischen Wirkungen ausgelöst wird. ! Der Parasympathikus wirkt vielfach antagonistisch zum Sympathikus
. Tab. 14.1. Wirkungen von Sympathikus und Parasympathikus auf einzelne Organfunktionen Funktion
Sympathikus
Parasympathikus
Herz*
+ (E1)
–
Arterien in Herz, Leber
– (E2)
0
Arterien in Haut, Niere, Darm, Gehirn; Venen
+ (D1)
0
Arterien in Skelettmuskel
+ (D1) – (E2 , ACh)
0 –
Muskelaktivität (-Kontraktion)
Arterien, Penis, Klitoris, Schamlippen
+ (D1)
Sphinktere (Darm, Blase)
+ (D1)
–
alle anderen Muskeln in Darm, Blase
– (E2 , D2)
+
Bronchialmuskulatur
– (E2)
+
Sphincter pupillae (Auge)
0
+
Dilatator pupillae (Auge)
+ (D1)
0
Musculus tarsalis (Oberlidheber)
+ (D1)
0
Musculus ciliaris
0
+
M. orbitalis
+ (D1)
0
Arrectores pilorum (Haut)
+ (D1)
0
innere Geschlechtsorgane (Mann)
+ (D1)
0
Uterus
– (E2)
0
Schweißdrüsen
+ (ACh)
0
Speicheldrüsen
+ (D1)
+
alle anderen Drüsen (Tränen, Bronchial, Verdauung)
0/–
+
+ (E)
+/0
Drüsensekretion
Ausschüttung von Hormonen, Mediatoren Glukagon, Calcitonin, Parathormon, Renin, Somatostatin, Gastrin, Melatonin Somatotropin, Kortikotropin, Thyrotropin
+ (D)
+/0
Histamin, Somatotropin, Thyroxin
– (E)
+/0
Prolaktin, Renin, Insulin
– (D)
+/0
Abbau von Leberglykogen
+ (D1 , E2)
0
Abbau von Muskelglykogen
+ (E2)
0
Mobilisierung von Fett (Lipolyse)
+ (E2)
0
Mobilisierung von Leukozyten (Leukozytose)
+ (E1)
0
Thrombozytenaggregation Zelluläre K+-Aufnahme
+ (D2)
0
+ (E2)
0
Zelluläre K+-Abgabe
+ (D1)
0
Sonstige Wirkungen
jeweils + = Stimulation, - = Hemmung der Muskelkontraktion, Drüsensekretion, etc., in runden Klammern die vorwiegend verantwortlichen Rezeptoren, * = im Herzen Zunahme von Frequenz, Kontraktionskraft, Überleitungsgeschwindigkeit
333 14.2 · Zelluläre und molekulare Mechanismen der Signaltransduktion im vegetativen Nervensystem
Wirkungen des Parasympathikus. Reizung der jeweiligen
parasympathischen Fasern mindert die Herzfrequenz und indirekt die Herzkraft (7 Kap. 3.4.2), stimuliert die Bronchialmuskulatur, hemmt die Sphinktere des Darms und fördert die Motilität der übrigen Darm- und Blasenmuskulatur. Er stimuliert die Sekretionstätigkeit von Tränendrüsen, Speicheldrüsen, Bronchialdrüsen und Drüsen des Verdauungstraktes. Er verengt die Pupillen. Über parasympathische Nerven werden schließlich die Gefäße in Penis, Klitoris und den Schamlippen dilatiert (7 Kap. 14.3.2). Zusammenwirken von Sympathikus und Parasympathikus. Eine Reihe von Geweben bzw. Organen werden sowohl
parasympathisch als auch sympathisch innerviert. Die Wirkungen sympathischer und parasympathischer Fasern sind dabei häufig antagonistisch. Die Organfunktion hängt von der jeweiligen Summe sympathischer und parasympathischer Aktivierung ab. Meist wird bei der vegetativen Regulation einer Organfunktion die Aktivierung der jeweiligen sympathischen Fasern von einer Inaktivierung der parasympathischen Fasern begleitet (und umgekehrt). Eine Ak-
tivierung der sympathischen Nervenfasern zum Herzen führt beispielsweise zu einer Zunahme der Herzfrequenz, die durch gleichzeitige Abnahme der Aktivität parasympathischer Nervenfasern unterstützt wird (synergistische Regulation). ! Vegetative Neurone sind meist spontan aktiv, ihre Aktivität kann gesteigert oder herabgesetzt werden
Spontanaktivität. Viele postganglionäre vegetative Neuro-
ne sind bereits normalerweise aktiv und unterhalten damit ein mittleres Aktivitätsniveau (z. B. in Vasokonstriktorneuronen zur Regulation des Gefäßmuskeltonus) der jeweiligen Zielorgane. In Abhängigkeit von der Aktivität der präganglionären Neurone kann die Aktivität der postganglionären Neurone und damit die jeweilige Funktion der Zielzellen gedrosselt oder gesteigert werden. Über Abnahme der Aktivität sympathischer Nervenfasern kann also z. B. Vasodilatation und durch Zunahme der Aktivität Vasokonstriktion ausgelöst werden.
In Kürze
Zelluläre und molekulare Mechanismen der Signaltransduktion im vegetativen Nervensystem Synaptische Übertragung in den Ganglien 4 Transmitter sympathisch und parasympathisch Acetylcholin (nikotinisch, Hemmung durch Ganglienblocker) 4 Konvergenz, Divergenz in vegetativen Ganglien 4 Nebennierenmark von präganglionären sympathischen Axonen innerviert; Transmitter (80% Adrenalin, 20% Noradrenalin) ins Blut (endokrin); bedeutsam bei Notfallsituationen, Blutverlust, Unterkühlung, Hypoglykämie, Hypoxie, Verbrennungen, schwere körperliche, psychische Belastung Informationsübertragung von postganglionären Axonen auf Zielorgane 4 Transmitter postganglionär parasympathisch Acetylcholin (muskarinisch), sympathisch [Nor]adrenalin, Acetylcholin (Schweißdrüsen, Vasodilatation Muskelgefäße); NANC [= nichtadrenerge nichtcholinerge Transmitter = ATP, NO, VIP, Neuropeptid Y (NPY)] 4 Acetylcholinrezeptoren: Muscarinisch (Hemmung durch Atropin)
4 Adrenozeptoren: α-Adrenozeptor (Noradrenalin > Adrenalin > Isoproterenol); β-Adrenozeptor (Isoproterenol > Adrenalin > Noradrenalin) 4 Präsynaptisch α2 n, präsynaptisch β p o Noradrenalinausschüttung p, Acetylcholin p 4 Präsynaptisch Acetylcholin (muskarinisch) n o Noradrenalin p 4 Sympathikus (. Tab. 14.1) o Herz n (β1); Vasokonstriktion Haut, Darm, Niere (α1). Vasodilatation Herz, Muskeln, Leber (β2); Darm- und Blasenmotilität p (β2, α2); Sphinktere n (α1), Uterusmuskulatur p (β2); Bronchialmuskulatur p (β2); Schweißsekretion n (ACH); Glykogenolyse n (α1,β2); Lipolyse n (β2); Insulinausschüttung p (β), Histaminausschüttung p (β); Mm. arrectores pilorum n (α1); Dilatator Pupillae n (α1); Mobilisierung Leukozyten n (β1), Thrombozytenaggregation n (α2) Speicheldrüsen n (α1) 4 Parasympathikus o Herzfrequenz p, Herzkraft p; Bronchialmuskulatur n; Sphinktere Darm p; Motilität übrige Darm- Blasenmuskulatur n; Drüsensekretion n; Pupillenverengung; Dilatation Gefäße in Penis, Klitoris, Schamlippen
14
334
Kapitel 14 · Vegetatives Nervensystem
14.3
Funktionelle Organisation des Vegetativen Nervensystems
14.3.1
Vegetative Steuerungen
! Das vegetative Nervensystem steuert Kreislauf, Linsenkrümmung, Pupillenweite, Bronchien, Darm-und Blasenmuskulatur sowie die Ausschüttung von Hormonen
Kreislauf. Der Sympathikus wirkt positiv chronotrop, dromotrop, bathmotrop und inotrop auf das Herz (7 Kap. 3.4.2) und vasokonstriktorisch (α) oder vasodilatatorisch (β) auf die Gefäße (7 Kap. 4.1.5, . Tab. 14.1). Der Parasympathikus wirkt am Herzen negativ chronotrop, negativ dromotrop und indirekt negativ inotrop (7 Kap. 3.4.2). Er wirkt in den Genitalgefäßen vasodilatatorisch; Sympathische und parasympatische Einflüsse können den Blutdruck an die jeweiligen Erfordernisse anpassen (7 Kap. 4.2.2). Aktivierung des Parasympathikus (z. B. durch Schlag auf den Carotissinus) kann den Zusammenbruch des Blutdruckes zur Folge haben (vasovagale Synkope). Auge. Im Auge regulieren Sympathikus und Parasympathi-
kus Linsenkrümmung (7 Kap. 17.1.4) und Pupillenweite (7 Kap. 17.1.5). Die Bronchien werden durch den Parasympathikus verengt und durch den Sympathikus (β2) erweitert, die Darm- und Blasenmuskulatur wird durch den Parasympathikus stimuliert und den Sympathikus gehemmt, die jeweiligen Sphinktere durch den Parasympathikus erschlafft und durch den Sympathikus stimuliert (7 Kap. 14.2.2). Sowohl Sympathikus als auch Parasympathikus stimulieren die Sekretionstätigkeit von Drüsen (7 Kap. 14.2.2) und sind bei der Steuerung von Sexualfunktionen beteiligt (7 Kap. 14.2.2, 7 Kap. 14.3.2).
14
14.3.2
Vegetative Reflexe
! Über Reflexe reguliert das vegetative Nervensystem Funktionen von Kreislauf, Auge, Gastrointestinaltrakt und Bronchien
Reflexe. Die präganglionären Neurone stehen unter dem
Einfluss viszeraler Afferenzen des gleichen Rückenmarksegments. Diese Afferenzen werden im Rückenmark umgeschaltet, wobei mindestens ein Interneuron zwischen dem afferenten Neuron und dem präganglionären Neuron zwischengeschalten ist. Der gesamte Reflexbogen benötigt somit inklusive der Synapse zwischen präganglionärem und postganglionärem Neuron mindestens drei Synapsen. Über entsprechende Reflexe greift das vegetative Nervensystem in die Regulation verschiedenster Funktionen ein, wie bei den entsprechenden einzelnen Organfunktionen erläutert wird. Insbesondere bei der Regulation von Herzfunktion (7 Kap. 3.4.2) und Blutdruck (7 Kap. 4.2.2) spielt das vegetative Nervensystem eine entscheidende Rolle. Über Pupillenreflexe (7 Kap. 17.1.5) wird die Pupille des Auges bei Stimulation der Linsenkrümmung (Betrachtung naher Objekte) und bei Zunahme des Lichteinfalls durch den Parasympathikus verengt. Über gastroentrale Reflexe werden die Sekretionstätigkeit von Darmdrüsen (7 Kap. 7.3) sowie Durchmischung und Transport von Darminhalt (7 Kap. 7.2) kontrolliert und koordiniert. Auch der geordnete Ablauf der Darmmotorik zu Beginn (Schlucken, Erbrechen) und Ende (Defäkation) des Magendarmkanals erfordert die aktive Beteiligung des vegetativen Nervensystems (7 Kap. 7.2). Die Bronchien werden in der späten Exspirationsphase reflektorisch verengt und damit die Exspiration unterstützt (7 Kap. 5.2.2). Eine gesteigerte Bronchokonstriktion (Bronchospasmus) steigert jedoch den Strömungswiderstand in den Bronchien und behindert daher die Atmung (7 Kap. 5.4.2).
Hormone. Über Beeinflussung der Ausschüttung von Hor-
monen (. Tab. 14.1) greift das vegetative Nervensystem in die Steuerung und Regulation des Stoffwechsels ein. So übt Adrenalin nicht nur selbst eine blutzuckersteigernde Wirkung aus (. Tab. 14.1), sondern hemmt auch die Ausschüttung des blutzuckersenkenden Hormons Insulin und stimuliert die Ausschüttung des blutzuckersteigernden Hormons Glukagon.
! Die Regulation der Miktion erfordert periphere vegetative Reflexe und supraspinale Kontrolle
Miktion. Eine Entleerung der Blase wird durch die netzförmige Blasenwandmuskulatur (M. detrusor vesicae) bewirkt, die an der Harnröhre ansetzt und bei Kontraktion eine Verkürzung der Harnröhre und eine Öffnung des inneren Blasensphinkters hervorruft. Eine vorzeitige Entleerung wird durch Kontraktion des inneren und äußeren Blasensphinkters verhindert. Die Blasenwandmuskulatur
335 14.3 · Funktionelle Organisation des Vegetativen Nervensystems
wird durch den Parasympathikus (2. – 4. Sakralsegment), der innere Blasensphinkter durch den Sympathikus (1. – 2. Lumbalsegment) und der äußere Blasensphinkter somatomotorisch (N. pudendus aus S3 und S4) innerviert (. Abb. 14.2). Afferenzen aus Dehnungsrezeptoren der Blasenwand werden über viszerale Nervenfasern zum Rückenmark geleitet und dort auf Interneurone umgeschaltet, die einerseits zu parasympathischen Neuronen, andererseits zu pontinen Neuronen projizieren. Die pontinen Neurone stehen zusätzlich unter dem Einfluss von Hypothalamus und Großhirn. Normalerweise wird bei einem Blasenvolumen von über 200 ml die Schwelle der pontinen Neurone erreicht, die dann über Aktivierung der präganglionären parasympathischen Neurone in S2–S4 die Kontraktion der Blasenmuskulatur auslösen. Die Kontraktion der Blasenmuskulatur führt zu einer Spannungszunahme der Blasenwand und steigert damit weiter den afferenten Zustrom. Darüber hinaus werden die präganglionären parasympathischen Neurone durch Afferenzen aus der Harnröhrenwand stimuliert, die bei Eintritt des Harns in die Harnröhre aktiviert werden. Gleichzeitig werden zentrale hemmende Einflüsse unterdrückt. Damit kommt es nach Einsetzen des Harnflusses zu einer zunehmenden Kontraktion der Blasenmuskulatur, die eine schnelle Entleerung der Blase ermöglicht. Bei Blasenentzündung sind die Afferenzen in der Blasenwand sensibilisiert und Blasenkontraktionen setzen bereits bei geringfügiger Füllung ein. Folge ist häufiges Wasserlassen (Polakisurie). ! Rückenmarksdurchtrennung unterbindet zunächst die vegetativen Reflexe unterhalb der Läsion. Später kommt es zur Hyperreflexie
Rückenmarksdurchtrennung. Eine Rückenmarksdurchtrennung führt durch Wegfall der deszendierenden Bahnen zunächst zum spinalen Schock mit Erliegen vegetativer Aktivität unterhalb der Läsion. Der Ausfall sympathischer Innervation der Gefäße führt zum Blutdruckabfall und die vegetativen Reflexe sind erloschen. Insbesondere der Blasenentleerungsreflex ist aufgehoben, und die Blase muss mit Kathetern entleert werden. Erst nach Wochen bis Monaten stellt sich die vegetative neuronale Aktivität wieder ein und die segmentalen Reflexe (Miktion, Defäkation) treten wieder auf. Die Blasenentleerung kann dann bei entsprechender Dehnung der Blasenwand z. B. durch Klopfen auf die Blase ausgelöst werden (Reflexblase). Schließlich kommt es zur Hyperreflexie, wo-
. Abb. 14.2. Die Verschaltungen des Miktionsreflexes. Afferenzen von Dehnungsrezeptoren der Blasenwand (blau), sympathische (rot), parasympathische (grün) und somatische (gelb) Efferenzen sowie deszendierende Kontrolle (lila, rosa und dunkelgrün). Unterbrochene Pfeile bedeuten herabgesetzte Aktivität von Efferenzen. Links: Miktion; Rechts: Kontinenz (nach Jänig aus Schmidt et al.)
bei z. B. bei Auslösung des Blasenentleerungsreflexes auch andere vegetative Reaktionen ausgelöst werden können (z. B. Blutdruckanstieg). ! Die Funktion des vegetativen Nervensystems ist an gestörter autonomer Regulation erkennbar
Funktionelle Testung des vegetativen Nervensystems. Die
Funktion des vegetativen Nervensystems kann durch Prü-
14
336
Kapitel 14 · Vegetatives Nervensystem
fung der jeweiligen Reflexe überprüft werden, wie des Pupillenreflexes (7 Kap. 17.1.5). Störungen des vegetativen Nervensystems äußern sich u. a. in inadäquater Reaktion von Herzfrequenz und Blutdruck beim Übergang vom Liegen zum Stehen (7 Kap. 4.2.2), bei wiederholten tiefen Atemzügen (>1,5 Liter) und beim Pressen (Valsalva-Versuch). Ferner kann die herabgesetzte Reaktion der Schweißsekretion auf mechanische Hautreizung oder Temperaturanstieg eine mangelhafte autonome Regulation aufdecken.
14.3.3
Supraspinale Kontrolle durch das Stammhirn
! Das Stammhirn integriert motorische und vegetative Funktionen
Präganglionäre Neurone. Die Zellkörper der präganglio-
nären Neurone liegen in der intermediären Zone des thorakolumbalen und sakralen Rückenmarks. Sie steuern die Aktivität der postganglionären Neurone. Die Aktivität der präganglionären Neurone wird durch Afferenzen aus dem jeweiligen Rückenmarksegment und durch deszendierende Bahnen v. a. aus der Medulla oblongata reguliert. Gegenseitige Beeinflussung von vegetativem und somatischem Nervensystem. Jedes Rückenmarksegment erhält
14
viszerale und somatische Afferenzen und beeinflusst Organe, Haut und Muskulatur efferent über vegetative und somatische Efferenzen. Das von einem Rückenmarksegment afferent innervierte Hautareal nennt man Dermatom. Viszerale und somatische Afferenzen konvergieren im Rückenmark z. T. auf die gleichen Neurone. Das Erregungsniveau dieser Neurone wird also sowohl durch viszerale als auch durch somatische Afferenzen beeinflusst. Beispielsweise konvergieren viszerale Afferenzen aus dem Herzen und somatische Afferenzen aus der Haut von linkem Arm und linker Schulter auf die gleichen Neurone im Zervikalmark. Für die weitere neuronale Verarbeitung ist nicht mehr erkennbar, ob ein gesteigertes Erregungsniveau dieser Neurone auf viszerale oder somatische Afferenzen zurückzuführen ist. Bei einem Herzinfarkt, beispielsweise, wird das Erregungsniveau durch nozizeptive Afferenzen aus dem Herzen gesteigert. Folge ist gesteigerte Berührungsempfindlichkeit (Hyperästhesie) und Schmerzempfindlichkeit (Hyperalgesie) im linken Arm und in der linken Schulter (übertrage-
ner Schmerz). Durch Beeinflussung efferenter Neurone im gleichen Rückenmarksegment kommt es u. a. zur Vasodilatation im jeweiligen Dermatom (viszerokutaner Reflex) und zu gesteigertem Tonus der von dem jeweiligen Rückenmarksegment versorgten Muskulatur. Umgekehrt kann über Reizung somatischer Afferenzen Einfluss auf die vom gleichen Segment innervierten Organe genommen werden (kutiviszeraler Reflex). Medulla oblongata in der Regulation vegetativer Funktionen. Die präganglionären sympathischen und parasympa-
thischen Neurone stehen unter dem ständigen Einfluss aus Neuronen der Medulla oblongata. Eine wichtige Schaltstelle in der Medulla oblongata ist der Nucleus tractus solitarii, in den alle viszeralen Afferenzen des N. vagus von Herz, Lunge und Magen-Darm-Trakt projizieren. Über Kerne des Hirnstamms beeinflusst er die präganglionären Neurone. Der Nucleus tractus solitarii hat reziproke Verbindungen zu limbischem System und Hypothalamus (. Abb. 14.3), der die Ausschüttung hypophysärer Hormone kontrolliert (7 Kap. 10.1.4). Besondere, für die Steuerung der präganglionären Neurone wichtige Kerngebiete liegen in der Medulla oblongata (Nuclei raphé [serotoninerg], rostrale ventrolaterale Medulla oblongata) und in der Pons (noradrenerg). Neurone in der Medulla oblongata sind für die homöostatische Regulation des arteriellen Blutdrucks (7 Kap. 4.2.2) und der Atmung (7 Kap. 5.8) erforderlich und an der Regulation der Pupillenweite (7 Kap. 17.1.5) und Linsenkrümmung (7 Kap. 17.1.4) beteiligt (7 Kap. 14.3.1). Sie vermitteln die willkürliche Kontrolle von Blasen- und Mastdarmentleerung (7 Kap. 14.3.2) und die emotionale Auslösung von Genitalfunktionen (7 Kap. 11.6.1).
14.3.4
Hypothalamische und limbische Steuerung
! Bei der Regulation und Steuerung des inneren Milieus nimmt der Hypothalamus eine zentrale Rolle ein. Neurone im Hypothalamus sind in Regelkreise eingebaut, welche verschiedene vegetative Parameter des Körpers (z. B. Temperatur) konstant halten (Homöostase)
Allgemeine Rolle des Hypothalamus in der Steuerung des vegetativen Nervensystems und des Endokriniums. Eine
Aufgabe des Hypothalamus ist die Anpassung des Kreislaufes, der Atmung und des Gastrointestinaltraktes an den durch die verschiedenen Verhaltensweisen definierten Be-
337 14.3 · Funktionelle Organisation des Vegetativen Nervensystems
. Abb. 14.4. Die wichtigsten Kerngebiete des Hypothalamus (nach Jänig aus Schmidt et al.)
. Abb. 14.3. Verschaltungen des vegetativen Nervensystems
darf. Im Rahmen dieser integrativen Funktionen erhält der Hypothalamus fortlaufend Rückmeldungen aus der Peripherie des Körpers über afferente Neurone, über Hormone im Blut und über physikalische (Temperatur) und chemische (Osmolalität) Parameter im Blut. So regulieren z. B. Neurone im Hypothalamus über Sympathikus und Parasympathikus während schwerer körperlicher Arbeit den Kreislauf. Im medialen Hypothalamus (. Abb. 14.4) werden z. T. die Blutparameter gemessen, welche durch die peripheren Hormone reguliert werden, sowie die Konzentrationen an peripheren Hormonen und von hypophysären Hormonen, welche die periphere Hormonausschüttung stimulieren (glandotrope Hormone bzw. Tropine). Über Liberine (releasing hormones, RHs) und Statine (release inhibiting hormones, RIHs) können Neurone des medialen Hypothalamus die Ausschüttung der Tropine regulieren (7 Kap. 10.1.4). Die Liberin- und Statinausschüttung, die Tropine, peripheren Hormone und Blutparameter bilden Regelkreise mit meist negativer Rückkopplung (7 Kap. 10.1.4), die Hormon- und
Parameterkonzentrationen in Grenzen halten. Das Nervensystem kann – vor allem über limbisches System und lateralen Hypothalamus – die Liberinausschüttung im medialen Hypothalamus steuern und damit periphere Konzentrationen an Hormonen und Parametern beeinflussen. Damit werden eben diese Parameter an das jeweilige Verhalten angepasst. Eine besondere Funktion des Hypothalamus ist somit die Verknüpfung von Nervensystem und Endokrinium. Die Rolle des Hypothalamus in der Regulation der Hormonausschüttung. Über Beeinflussung des vegetativen
Nervensystems reguliert der Hypothalamus die Ausschüttung der meisten peripheren Hormone (. Tab. 14.1). Darüber hinaus bilden Neurone im Hypothalamus selbst Hormone und kontrollieren die Hormonausschüttung in der Hypophyse (7 Kap. 10.1.4): Neurone in den hypothalamischen Nuclei supraoptici und paraventricularis bilden Oxytozin und antidiuretisches Hormon (ADH), befördern sie über axonalen Transport zur Neurohypophyse und geben sie dort in die Blutgefäße ab (7 Kap. 10.2.1). Die Liberine und Statine werden in Neuronen der hypophysiotropen Zone des Hypothalamus direkt über der Hypophyse gebildet. Die Mediatoren werden über axonalen Transport zum Pfortadersystem der Hypophyse transportiert und dort freigesetzt. Mit dem Blutstrom gelangen sie dann zu den hormonproduzierenden Zellen der Hypophyse (7 Kap. 10.1.4). Über Liberine und Tropine beeinflusst der Hypothalamus diverse Funktionen, wie u. a. Blutdruck, Stoffwechsel, Wachstum, sexuelle Reifung und sexuelle Aktivität.
14
338
Kapitel 14 · Vegetatives Nervensystem
Die Rolle des Hypothalamus in der Temperaturregulation.
Zur Regulation und Steuerung der Körpertemperatur integrieren Neurone im Hypothalamus wiederum Funktionen des somatischen (z. B. Zusammenkauern bei Kälte) und vegetativen (z. B. periphere Vasokonstriktion bei Kälte) Nervensystems (7 Kap. 8.2). Da durch Kälte ferner die ADH-Ausschüttung gehemmt und bei langanhaltender Kälte die Thyroliberin-(TRH-) Ausschüttung gefördert wird, beeinflusst der Hypothalamus temperaturabhängig auch das Endokrinium. Kontrolle der Nahrungsaufnahme, Hunger. Die Nahrungsaufnahme wird im Hypothalamus gesteuert, der unter dem Einfluß von Glukorezeptoren in lateralem Hypothalamus, Hirnstamm und Leber, Afferenzen aus dem Magen (Leerkontraktionen) und Thermorezeptoren u. a. im Hypothalamus, sowie von Hormonen, wie Leptin steht (7 Kap. 7.1.3). Aktivierung der Neurone im lateralen Hypothalamus bewirken offenbar Hunger, Aktivierung der Neurone im ventromedialen Hypothalamus Sättigung. Zerstörung des lateralen Hypothalamus führt daher zu Nahrungsverweigerung (Aphagie), Zerstörung des ventromedialen Hypothalamus zu Fresssucht (Hyperphagie). Fettsucht und Magersucht (z. B. Anorexia nervosa) sind freilich nur in sehr seltenen Fällen Folge von Läsionen im Hypothalamus. Kontrolle der Flüssigkeitsaufnahme, Durst. Der Hypotha-
14
wird (7 Kap. 20.2.1), sind die über dem Chiasma opticum gelegenen Nuclei suprachiasmatici sowie die ventromedialen Kerne des Hypothalamus wesentliche Schrittmacher für den zirkadianen Rhythmus, der u. a. den Schlaf-WachRhythmus auslöst. ! Neurone des Hypothalamus verfügen über Programme, welche Somatomotorik, vegetatives Nervensystem und Hormone einem jeweiligen Verhaltensmuster (z. B. Wut) anpassen
Hypothalamische Verhaltensprogramme. Im Hypothala-
mus existieren Neuronenpopulationen, welche über fixe Programme für die Durchführung bestimmter, artspezifischer Verhaltensweisen verfügen. 4 Reizung bestimmter Neurone im kaudalen Hypothalamus löst die »fight and flight reaction« (bzw. Abwehrreaktion, defense reaction, Stress) aus. Sie beinhaltet eine Zunahme des Muskeltonus und die Einnahme artspezifischer Abwehrstellungen (z. B. Katzenbuckel), massive Aktivierung des Sympathikus (z. B. Blutdrucksteigerungen, Schweißausbruch, Sträuben der Haare), und Ausschüttung u. a. von ADH und Kortikoliberin bzw. CRH, das über Kortikotropin (ACTH) die Ausschüttung von Kortisol bewirkt. Die vielfältigen Wirkungen des Sympathikus und des Kortisols bereiten den Körper vegetativ auf Kampf oder Flucht vor 4 Im Gegensatz zur fight and flight reaction führt Reizung von wiederum anderen Neuronen im dorsalen Hypothalamus zu »nutritivem Verhalten«. Es beinhaltet Aktivierung parasympathischer Neurone und Hemmung sympathischer Neurone zum Gastrointestinaltrakt, Abnahme von Muskeltonus und -durchblutung, sowie gesteigerte Nahrungsaufnahme 4 Wiederum andere Neurone im Hypothalamus fördern artspezifisches Sexualverhalten oder lösen Brutpflegeverhalten aus
lamus erzeugt ferner Durst, der bei Mangel an intrazellulärem oder extrazellulärem Wasser entsteht (7 Kap. 7.1.3). Das intrazelluläre Wasser (bzw. die Osmolalität der extrazellulären Flüssigkeit) wird durch osmorezeptive Neurone in der lateralen präoptischen Region des Hypothalamus und der Wand des 3. Ventrikels registriert. Diese Neurone reagieren auf Zellschrumpfung (bei Abnahme des intrazellulären Wassers) mit einer Depolarisation durch Öffnen von mechanosensiblen nichtselektiven Kationenkanälen. Folge ist der osmotische Durst. Ein Mangel an extrazellulärer Flüssigkeit mindert die Aktivität vagaler Dehnungsrezeptoren (Volumenrezeptoren) in herznahen Gefäßen und im rechten Vorhof des Herzens (hypovolämischer Durst). Darüber hinaus wird bei einem Mangel an extrazellulärer Flüssigkeit die Perfusion der Niere beeinträchtigt (7 Kap. 9.2.8). Folge ist u. a. die Bildung von Angiotensin II, das seinerseits Durst auslöst (7 Kap. 7.1.3).
Bei diesen Programmen koordiniert der Hypothalamus die Aktivitäten von somatosensorischem und vegetativem Nervensystem mit endokrinen Systemen. Das zentrale Nervensystem bedient sich unter Vermittlung des limbischen Systems (7 Kap. 20.2.4) dieser fixen Programme im Hypothalamus, wenn der entsprechende soziale Kontext gegeben ist.
Die Bedeutung des Hypothalamus für die zirkadiane Rhythmik. Wie an anderer Stelle ausführlicher erläutert
! Läsionen im Hypothalamus haben vielfältige vegetative Dysregulationen zur Folge
339 14.3 · Funktionelle Organisation des Vegetativen Nervensystems
Folgen von Läsionen im Hypothalamus. Aus dem Gesagten über den Hypothalamus folgt, dass Läsionen im Hypothalamus massive Störungen der vegetativen Steuerung zur Folge haben müssen. 4 Eine Läsion des vorderen Hypothalamus (inkl. Regio praeoptica) zieht Störungen der Temperaturregulation, der zirkadianen Rhythmik mit Schlaflosigkeit und endokrine Störungen, wie Diabetes insipidus durch ADHMangel und Pubertas präcox durch gestörte Sexualhormonausschüttung nach sich
4 Eine Läsion des medialen Hypothalamus hat gleich-
falls Störungen der Temperaturregulation und des Endokriniums, daneben Hyperphagie sowie Störungen von Gedächtnis und Emotionen zur Folge 4 Eine Läsion des lateralen Hypothalamus beeinträchtigt Emotionen, Appetit und Durstgefühl 4 Läsionen des hinteren Hypothalamus führen neben komplexen endokrinen, vegetativen und emotionalen Störungen zu Poikilothermie, Schlafsucht und Gedächtnisausfällen
In Kürze
Funktionelle Organisation des Vegetativen Nervensystems Vegetative Steuerungen 4 Herz: Sympathikus o positiv chronotrop, dromotrop, bathmotrop, inotrop; Parasympathikus o negativ chronotrop, negativ dromotrop, indirekt negativ inotrop 4 Gefäße: Sympathikus vasokonstriktorisch (α), vasodilatatorisch (β, ACH), Genitalbereich Parasympathikus vasodilatatorisch 4 Auge: Sympathikus o Pupillenweite n; Parasympathikus Linsenkrümmung n, Pupillenweite p 4 Bronchienweite: Parasympathikus p, Sympathikus (β2) n 4 Parasympathikus n, Sympathikus p oDarm- und Blasenmotilität n, Sphinktere p. 4 Hormone (. Tab. 14.1) Vegetative Reflexe 4 Reflexe: Viszerale Afferenzen o Interneuron(e) Rückenmark o präganglionäres Neuron o postganglionäres Neuron o Zielorgan (Herz, Blutdruck, Bronchien, Pupillen, gastroentrale Motorik, Sekretion) 4 Miktion: Dehnung Blasenwand (>200 ml) o viszerale Afferenzen o Interneurone o pontine Neurone o Parasympathikus [S2–S4] (o M. detrusor vesicae n), Sympathikus [L1, L2] (o innerer Blasensphinkter p), N. pudendus [S3, S4) (o äußerer Blasensphinkter p) o Blasenentleerung o Afferenzen Harnröhrenwand o Blasenentleerung nn 4 Blasenentzündung o viszerale Afferenzen o Schwelle Miktionsreflex p o Polakisurie 4 Rückenmarksdurchtrennung o Spinaler Schock o vegetative Aktivität unterhalb Läsion p o Blutdruckabfall, vegetative Areflexie o nach Wochen/Monaten Blutdruckanstieg, Hyperreflexie (Reflexblase) 6
4 Diagnostische Prüfung: Pupillenreflex; Herzfrequenz, Blutdruck nach Aufstehen, nach tiefen Atemzügen (>1,5 Liter), beim Pressen (Valsalva-Versuch); Schweißsekretion Supraspinale Kontrolle durch das Stammhirn 4 Viszerale + somatische Afferenzen eines Dermatoms o gleiche Interneurone Rückenmarksegment: Herzinfarkt o nozizeptive Afferenzen vom Herzen n o Berührungsempfindlichkeit n (Hyperästhesie), Schmerzempfindlichkeit n (Hyperalgesie) linker Arm, linke Schulter (übertragener Schmerz) 4 Viszerale Afferenzen o Vasodilatation (viszerokutaner Reflex), Muskeltonus n im gleichen Dermatom 4 Somatische Afferenzen o Organe gleiches Rückenmarksegment (kutiviszeraler Reflex). 4 Afferenzen N. vagus aus Herz, Lunge, Magendarmtrakt o Nucleus tractus solitarii (l limbisches System, Hypothalamus o hypophysäre Hormone) o deszendierende Bahnen o präganglionäre sympathische/ parasympathische Neurone 4 Nuclei raphé [serotoninerg], rostrale ventrolaterale Medulla oblongata, Pons (noradrenerg) in Medulla oblongata o Blutdruck, Atmung, Pupillenweite, Linsenkrümmung, willkürliche Kontrolle Blasen- und Mastdarmentleerung, emotionale Auslösung von Genitalfunktionen Hypothalamische und limbische Steuerung 4 Anpassung Kreislauf, Atmung, Gastrointestinaltrakt an Verhaltensweisen 4 Hypothalamus o Messung hormonregulierter Blutparameter, Hormonkonzentrationen o (Oxytozin,
14
340
Kapitel 14 · Vegetatives Nervensystem
4 4
4
4
14
ADH), Liberine o hypophysäre Tropine o Hormone o Blutdruck, Stoffwechsel, Wachstum, sexuelle Reifung und sexuelle Aktivität Zentrales Nervensystem o limbisches System o Hypothalamus o Oxytozin, ADH, Liberine Hypothalamus o Temperaturregulation o Verhalten (Zusammenkauern bei Kälte), vegetative Funktionen (Vasokonstriktion bei Kälte), Hormonausschüttung (ADH p, TRH n bei Kälte) Afferenzen aus Magen (Leerkontraktionen), Glukorezeptoren, Thermorezeptoren, Leptin o Hunger o Nahrungsaufnahme (lateraler Hypothalamus o Hunger, ventromedialer Hypothalamus o Sättigung) Osmorezeptive Neurone und Wand 3. Ventrikel o osmotischer Durst; vagale Dehnungsrezeptoren herznahe Gefäße, rechter Vorhof o hypovolämischer Durst
4 Nuclei suprachiasmatici, ventromediale Kerne Hypothalamus o zirkadianer Rhythmus 4 Zentrales Nervensystem o limbisches Systemo hypothalamische Neurone o fixe Programme = fight and flight reaction (o Muskeltonus n, Sympathikus n [Blutdruck n, Schweiß n, Haarsträuben], ADH n, CRH n [o ACTH n o Kortisol n]), nutritives Verhalten (Parasympathikus n, Sympathikus p, Muskeltonus p, Nahrungsaufnahme n, Gastrointestinaltrakt n), artspezifisches Sexualverhalten, Brutpflegeverhalten 4 Läsionen Hypothalamus: Vorderer H. (inkl. Regio praeoptica) o Temperaturregulation, zirkadiane Rhythmik (Schlaflosigkeit), endokrine Störungen (Diabetes insipidus, Pubertas präcox); medialer H. o Temperaturregulation, endokrine Störungen, Hyperphagie, Gedächtnis, Emotionen; lateraler H. o Emotionen, Appetit, Durst; hinterer H. o komplexe endokrine, vegetative, emotionale Störungen, Poikilothermie, Schlafsucht, Gedächtnisausfälle
15
15 Motorik 15.1
Programmierung der Willkürbewegung – 343
15.1.1 15.1.2
Von der Bewegungsabsicht zur Bewegung Bewegungsformen – 343
15.2
Motorische Repräsentation auf dem Kortex
15.2.1 15.2.2
Primärer motorischer Kortex – 344 Prä- und supplementärmotorischer Kortex
15.3
Efferente Projektion der motorischen Kortizes – 345
15.3.1 15.3.2
Prinzipielle Verschaltungsmuster – 345 Projektion in subkortikale Gebiete – 345
15.4
Neuronale Systeme des Rückenmarks
15.4.1 15.4.2 15.4.3 15.4.4 15.4.5
Neuronentypen und ihre Lage – 347 Reflexsysteme des Rückenmarks – 347 Reflexsystem der Muskelspindelafferenz – 349 Reflexsystem der Golgi-Sehennorgane – 351 Reflexsystem der Beugereflexe – 351
15.5
Motorische Funktionen des Hirnstamms
15.5.1 15.5.2 15.5.3 15.5.4
Augenmotorik – 353 Bewegungs- und Lagesinn – 353 Vestibulariskerne und motorische Funktionen – 354 Andere motorische Funktionen des Hirnstammes – 354
15.6
Basalganglien
15.6.1 15.6.2 15.6.3
Verschaltung/Informationsfluss – 356 Verarbeitungsprinzipien – 356 Störungen der Motorik – 357
15.7
Cerebellum
15.7.1 15.7.2 15.7.3
Verschaltung, Informationsfluss – 359 Verarbeitungsprinzipien – 359 Störungen der Motorik – 361
– 356
– 359
– 343
– 344
– 345
– 347
– 353
15.8
Integrale motorische Funktionen des Zentralnervensystems – 362
15.8.1 15.8.2 15.8.3 15.8.4 15.8.5
Laufen und Gehen – 362 Stehen und Gleichgewicht – 362 Ergreifen eines Gegenstandes – 363 Motorisches Lernen – 363 Sprache – 363
15.9
Störungen der Motorik
15.9.1 15.9.2 15.9.3 15.9.4
Muskeltonus – 364 Spastik – 364 Tremor – 364 Querschnittsverletzung des Rückenmarks
– 364
– 365
343 15.1 · Programmierung der Willkürbewegung
> > Einleitung Menschliches und tierisches Verhalten äußert sich letztlich in Muskelkontraktionen, die Bewegungen erzeugen oder verhindern. Die Muskulatur steht unter der Kontrolle des Nervensystems, das in vielfältiger Weise auf äußere oder innere Reize reagiert. Auch ohne Bewegung ist die Motorik aktiv, die dosierte Kontraktion antagonistischer Muskeln unterhält einen Muskeltonus, der Voraussetzung ist für Körperhaltung und aufrechtes Stehen (Stützmotorik). Zusätzlich zur Stützmotorik entstehen Bewegungen, welche durch innere oder äußere Reize ausgelöst werden. Die einfachste motorische Aktion ist der motorische Reflex, eine in der Regel einfache, stereotype Bewegung auf einen Reiz. Automatismen sind angeborene oder erlernte Bewegungsabfolgen, die entweder völlig automatisch sind (z. B. Atmung) oder durch innere oder äußere Reize ausgelöst werden. Die Willkürmotorik kann sich einzelner Automatismen bedienen. Während der Durchführung werden die Automatismen jedoch einem motorischen Plan untergeordnet, der bewusst entworfen wird.
15.1
15.1.1
Programmierung der Willkürbewegung Von der Bewegungsabsicht zur Bewegung
! Die Durchführung einer Bewegung erfordert Motivation, Plan und Ausführung und damit die Einbeziehung entsprechender Areale des Gehirns
deszendierende motorische Bahnen letztlich die α-Motoneurone des Rückenmarks ansteuert 4 Die α-Motoneurone aktivieren die Muskelfasern. Die Gesamtheit der von einem α-Motoneuron innervierten Muskelfasern ist eine motorische Einheit. Die α-Motoneurone sind die gemeinsame Endstrecke für die Regulation der Muskeltätigkeit Wenn wir wegen der Unaufmerksamkeit eines Fußgängers mit dem Fahrrad stürzen, entsteht in den Motivationsarealen das Bedürfnis, den Fußgänger zu beschimpfen. Die Motivationsareale werden dabei durch Schmerzafferenzen aus dem aufgeschürften Knie aktiviert. Nun muss im Assoziationskortex (v. a. in den Sprachzentren) ein Plan erstellt werden, welche Worte den eigenen Gefühlen am ehesten Rechnung tragen. In Basalganglien und Kleinhirn werden die zur Artikulation erforderlichen Bewegungsprogramme abgerufen und über den Thalamus dem motorischen Kortex zugespielt. Von dort aus werden die α-Motoneurone der für die Artikulation erforderlichen Muskeln in einer, dem Bewegungsprogramm entsprechenden, zeitlichen Abfolge aktiviert.
Bereitschaftspotenzial. Die Aktivierung von kortikalen
Neuronen vor der Durchführung einer Bewegung erzeugt ein »kortikales Bereitschaftspotenzial« (7 Kap. 20.1.4). Rückmeldung. Auf jeder Ebene wird das zielmotorische
Programm durch Afferenzen aus der Peripherie und aus dem Nervensystem selbst modifiziert und damit den äußeren und inneren Verhältnissen angepasst. Auf diese Weise können wir auch dann noch sprechen, wenn der Mund voll oder unsere Lippen angeschwollen sind.
15.1.2
Bewegungsformen
Durchführung von Zielbewegungen. Stark vereinfacht
lässt sich die Sequenz der Ereignisse bei der Durchführung von Zielbewegungen folgendermaßen darstellen: 4 Die Motivation, eine Bewegung durchzuführen, entsteht in Motivationsarealen, wenig definierten kortikalen und subkortikalen Strukturen v. a. des limbischen Systems (7 Kap. 20.2.4) 4 Die Motivationsareale aktivieren Assoziationsareale des Kortex, in denen ein Bewegungsplan, eine Strategie festgelegt wird 4 Von den Assoziationsarealen aus werden die geeigneten Bewegungsprogramme in prämotorischem Kortex, Basalganglien und Kleinhirn abgerufen 4 Basalganglien und Kleinhirn aktivieren über den Thalamus den motorischen Kortex, der über verschiedene
! Ballistische Bewegungen, Folgebewegungen und Stützmotorik werden bei der Durchführung unterschiedlich kontrolliert
Ballistische Bewegungen. Sehr schnelle zielgerichtete Be-
wegungen (ballistische Bewegungen) folgen v. a. einem Bewegungsprogramm und werden während der Durchführung durch reflektorische Rückmeldungen nur geringfügig korrigiert. Vor allem das Kleinhirn stellt Bewegungsprogramme für ballistische Bewegungen bereit. Eine Kopie der Aktivität deszendierender kortikaler Bahnen wird wiederum dem Kleinhirn zugespielt. Der Vergleich des Bewegungserfolges mit der geplanten Bewegung ermöglicht dann eine Perfektionierung ballistischer Bewegungen.
15
344
Kapitel 15 · Motorik
Bei langsamen Folgebewegungen ist eine feine Abstimmung mit den Reflexschleifen erforderlich, da die Reflexe sonst den Ablauf der Bewegung stören würden (7 Kap. 15.4.3). Stützmotorik. Auch ohne Durchführung zielmotorischer Bewegungen werden Länge und Spannung der Muskeln ständig kontrolliert. Die gleichzeitige Aktivierung von
Agonisten und Antagonisten unterhält einen Muskeltonus, der passive Bewegungen von Muskeln und Gelenken verhindert bzw. behindert. Eine funktionierende Stützmotorik ist Voraussetzung für Stehen und Sitzen. Ohne intakte Stützmotorik ist schließlich keine erfolgreiche Zielmotorik möglich, u. a. weil die zielmotorischen Bewegungen die Erhaltung des Gleichgewichts gefährden würden.
In Kürze
Programmierung der Willkürbewegung Von der Bewegungsabsicht zur Bewegung 4 Motivationsareale [u. a. limbisches System] (Absicht, erkennbar am Bereitschaftspotenzial) o Assoziationsareale (Plan) o prämotorischer Kortex, Basalganglien, Kleinhirn (Programme) o Thalamus o motorischer Kortex (Durchführung) o deszendierende motorische Bahnen o α-Motoneuron (= gemeinsame Endstrecke für Regulation der Muskeltätigkeit) 4 Auf jeder Ebene Modifikation des zielmotorischen Programmes durch Afferenzen
15.2
Motorische Repräsentation auf dem Kortex
15.2.1
Primärer motorischer Kortex
Bewegungsformen 4 Kleinhirn o Bewegungsprogramme für schnelle zielgerichtete Bewegungen (ballistische Bewegungen) o nur geringfügige reflektorische Rückmeldungen, Perfektion durch Vergleich von Bewegungserfolg mit Bewegungsplan 4 Langsame Folgebewegungen o feine Abstimmung mit Reflexschleifen 4 Gleichzeitige Aktivierung von Agonisten und Antagonisten o Muskeltonus o Stützmotorik o Stehen, Sitzen, Gleichgewichterhaltung während Zielmotorik
! Der Motorkortex ist die letzte kortikale Instanz bei der Durchführung von Willkürbewegungen
15
Motorkortex. Axone von Neuronen des Motorkortex in der Area 4 des Gyrus praecentralis (. Abb. 15.1) ziehen teilweise direkt zu Motorneuronen der Hirnnervenkerne und des Rückenmarks. Durch Reizungen im Gyrus praecentralis lassen sich demnach einzelne Bewegungen auslösen. Dabei ist der Motorkortex streng somatotopisch gegliedert (Homunculus, . Abb. 15.1). Da Finger und Mund besonders vielfältige und fein abgestufte Bewegungen durchführen, ist die Zahl der Neurone, die Bewegungen in diesen Bereichen kontrollieren, besonders groß. Diese Areale nehmen also einen großen Teil des Gyrus praecentralis ein.
. Abb. 15.1. Strukturelle Organisation des somatomotorischen Kortex. Links: Lage von motorischen Kortexarealen (Gyrus praecentralis, supplementärmotorischer Kortex und praemotorischer Kortex). Rechts: Somatotopische Gliederung des Gyrus praecentralis (sog. Homunculus) (nach Penfield und Rasmussen)
Die Efferenzen des Mortorkortex gehen von den Pyramidenzellen aus, deren Erregung zu einzelnen Gelenkbewegungen, nicht zur Aktivierung einzelner Muskeln führen. Die Aktivität der Pyramidenzellen wird durch Interneurone, wie die Sternzellen und die Korbzellen moduliert (7 Kap. 20.1.1).
345 15.3 · Efferente Projektion der motorischen Kortizes
15.2.2
Prä- und supplementärmotorischer Kortex
! Supplementärmotorischer Kortex und prämotorischer Kortex sind zur Durchführung komplexer Bewegungen erforderlich
Supplementärmotorischer und prämotorischer Kortex. Vor dem Gyrus praecentralis liegt der prämotorische Kortex und der supplementärmotorische Kortex (Area 6 und 8,
. Abb. 15.1), die bei der Programmierung komplizierterer Bewegungen mitwirken. Der supplementärmotorische Kortex wird etwa bei komplexen Fingerbewegungen (z. B. Klavierspielen) eingesetzt, der prämotorische Kortex zur Koordination von Rumpfmuskulatur, proximaler und distaler Muskulatur bei Orientierung des Körpers zu einem Zielobjekt. Auch Neurone des somatosensorischen Kortex im Gyrus postcentralis (Area 1, 2, 3) werden bei Bewegungen aktiviert. Ihre Beteiligung ist vor allem für die räumliche Organisation von Bewegungen erforderlich.
In Kürze
Motorische Repräsentation auf dem Kortex Primärer motorischer Kortex 4 Stimulation Motorkortex (Area 4, Gyrus praecentralis) o Bewegungen 4 somatotop organisiert (Homunculus) mit großer Repräsentanz von Fingern, Mund 4 Sternzellen, Korbzellen o Pyramidenzellen o deszendierende Bahnen o einzelne Gelenkbewegungen
15.3
Efferente Projektion der motorischen Kortizes
15.3.1
Prinzipielle Verschaltungsmuster
! Der Motorkortex projiziert in vielfältige kortikale und subkortikale Strukturen
Projektionen. Der Motorkortex projiziert zu Rückenmark, Striatum, Thalamus, Nucleus ruber, Pons, Formatio reticularis und unterer Olive. Kommissuren- und Assoziationsfasern. Der Motorkortex ist über Kommissurenfasern durch den Balken mit der gegenüberliegenden Seite und durch Assoziationsfasern mit anderen Kortexarealen verbunden (7 Kap. 20.1.1).
Prä- und supplementärmotorischer Kortex 4 Supplementärmotorischer Kortex o komplexe Fingerbewegungen 4 prämotorischer Kortex o Koordination von Rumpfmuskulatur, proximaler und distaler Muskulatur bei Körperorientierung 4 somatosensorischer Kortex (Gyrus postcentralis, Area 1–3) o räumliche Organisation Bewegungen
Kortikospinale und Kortikobulbäre Bahnen. Neurone aus Motorkortex und angrenzenden kortikalen Arealen bilden mit ihren Axonen kortikospinale und kortikobulbäre Bahnen, die über die Capsula interna somatotopisch geordnet zu Hirnstamm, Medulla oblongata und Rückenmark ziehen. Etwa 5% der deszendierenden Efferenzen gehen von Betz-Riesenzellen direkt zu den α-Motoneuronen des Rückenmarks. Die überwiegende Zahl von Efferenzen gehen von kleinen Pyramidenzellen über Interneurone in Kernen des Hirnstamms und im Rückenmark zu den Motoneuronen. Etwa 90 % der zum Rückenmark ziehenden Fasern kreuzen in der Medulla oblongata auf die Gegenseite, wo sie als Tractus corticospinalis lateralis zu Interneuronen und Motoneuronen des Rückenmarks ziehen. Etwa 10 % der Fasern erreichen ungekreuzt über den Tractus corticospinalis ventralis die Neurone im Rückenmark. Pyramidenbahn. Tractus corticospinalis lateralis und
15.3.2
Projektion in subkortikale Gebiete
! Der Motorkortex beeinflusst die Motorik über kortikospinale und kortikobulbäre Bahnen. Nur ein kleiner Teil erreicht die α-Motoneurone direkt
ventralis bilden die Pyramidenbahn. Die monosynaptischen Verbindungen zwischen Pyramidenzellen des Motorkortex und den α-Motoneuronen sind vor allem für feine Zielbewegungen bedeutsam, da das Signal unverfälscht weitergegeben wird (Kortikomotoneuronales [CM] System). Eine große Zahl von Efferenzen erreichen
15
346
Kapitel 15 · Motorik
jedoch zunächst Interneurone, welche die Motoneuronenaktivität modulieren. Einige Fasern beeinflussen über Interneurone des Hinterhorns und Kollateralen zu den Nuclei gracilis und cuneatus die Weiterleitung sensorischer Signale (7 Kap. 16). Die Pyramidenbahn aktiviert mit der rubrospinalen Bahn und dem Tractus reticulospinalis lateralis vorwiegend die Beuger des Beines und die Strecker des Armes. Tractus reticulospinalis medialis und vestibulospinalis stimulieren vorwiegend die Antigravitätsmuskeln, d. h. die Beuger der Arme und die Strecker der Beine. Extrapyramidale motorische Systeme. Früher wurde die
Pyramidenbahn den extrapyramidalen motorischen Systemen gegenübergestellt, zu denen Corpus striatum, Putamen, Pallidum, Nucleus subthalamicus, Substantia nigra und Nucleus ruber gezählt wurden. Eine solche Einteilung berücksichtigt nicht, dass die Pyramidenbahn mit den anderen motorischen Strukturen eine funktionelle Einheit bildet. ! Ausfall kortikospinaler Bahnen führt zunächst zum spinalen Schock, gefolgt von Hyperreflexie und Spastik
Unterbrechung motorischer Bahnen. Ein isolierter Aus-
fall der Pyramidenbahn ist sehr selten. Er zieht lediglich eine Einschränkung der Feinbeweglichkeit v. a. der Finger
nach sich. Sehr viel häufiger ist ein Ausfall mehrerer kortikaler Efferenzen z. B. bei einer Schädigung im Motorkortex oder im Bereich der Capsula interna (z. B. durch Blutungen oder Ischämie im Bereich der Arteria cerebri media). Dabei fallen neben der Pyramidenbahn weitere Verbindungen des Motorkortex, wie z. B. zum Nucleus ruber und zur medullären Formatio reticularis aus. Folge ist eine herabgesetzte Aktivität dieser Bahnen. Die vestibulospinalen und medialen retikulospinalen Bahnen sind weniger betroffen, da sie unter einem stärkeren Einfluss z. B. aus dem Kleinhirn stehen. Eine Unterbrechung der Weiterleitung im Bereich der Capsula interna hat daher letztlich ein Überwiegen der Strecker des Beines und der Beuger des Armes zur Folge. Zunächst kommt es jedoch zu einem spinalen Schock durch Wegfall supraspinaler Innervation von α-Motoneuronen (7 Kap. 15.4.1). Im spinalen Schock ist die Muskulatur schlaff und es sind keine Reflexe (7 Kap. 15.4.2) auslösbar. Die partielle »Denervierung« der α-Motoneurone zieht jedoch eine Steigerung der Empfindlichkeit dieser Neurone nach sich und die ausgefallenen Nervenendigungen supraspinaler Neurone werden durch Synapsen aus Neuronen des Rückenmarks ersetzt. Damit gewinnen die Reflexe (7 Kap. 15.4.2) einen stärkeren Einfluss auf die α-Motoneuronenaktivität. Folge ist Hyperreflexie. Schließlich entwickelt sich Spastik (7 Kap. 15.9.2).
In Kürze
Efferente Projektion der motorischen Kortizes Prinzipielle Verschaltungsmuster 4 Projektionen o Rückenmark, Striatum, Thalamus, Nucleus ruber, Pons, Formatio reticularis, untere Olive 4 Kommissurenfasern o Balken o andere Seite; Assoziationsfasern o andere Kortexareale
4 4
15
Projektion in subkortikale Gebiete 4 Motorkortex, angrenzende kortikale Areale o kortikospinale + kortikobulbäre Bahnen o Capsula interna (somatotopisch geordnet) o Hirnstamm, Medulla oblongata, Rückenmark; ≈90% kreuzen in Medulla oblongata o Tractus corticospinalis lateralis o Interneurone, Motoneurone; ≈10% ungekreuzt o Tractus corticospinalis ventralis 4 Pyramidenbahn = Tractus corticospinalis lateralis + ventralis; ≈5% monosynaptische Verbindungen Py-
4 4 4
ramidenzellen Motorkortex o α-Motoneuronen (= kortikomotoneuronales [CM] System). o feine Zielbewegungen Einige Fasern o Interneurone o Nuclei gracilis, cuneatus o Weiterleitung sensorischer Signale Pyramidenbahn, rubrospinale Bahn, Tractus reticulospinalis lateralis o vorwiegend Beuger Bein, Strecker Arm Tractus reticulospinalis medialis, vestibulospinalis o Antigravitätsmuskeln (Beuger Arme, Strecker Beine) Isolierter Ausfall der Pyramidenbahn o Einschränkung Feinbeweglichkeit Finger (selten) Ausfall mehrerer kortikaler Efferenzen o Unterbrechung Efferenzen zu Nucleus ruber, medulläre Formatio reticularis o spinaler Schock o Überwiegen Beinstrecker, Armbeuger, Hyperreflexie, Spastik
347 15.4 · Neuronale Systeme des Rückenmarks
15.4
Neuronale Systeme des Rückenmarks
15.4.1
Neuronentypen und ihre Lage
! Die Motorik wird von Motoneuronen und Interneuronen des Rückenmarks kontrolliert
α-Motoneurone. Die motorische Einheit besteht aus einem
α-Motoneuron und allen von ihm innervierten Muskelfasern. Die α-Motoneurone sind die letzte Instanz bzw. gemeinsame Endstrecke, über die alle Einflüsse des Nervensystems auf die Muskulatur wirken müssen. Die α-Motoneurone stehen unter dem Einfluss von Afferenzen aus dem gleichen Muskel, Afferenzen und Interneuronen des gleichen Rückenmarkssegmentes, Neuronen aus anderen Rückenmarksegmenten sowie supraspinalen Neuronen, wie z. B. Neuronen aus dem Motorkortex. Das Axon des α-Motoneurons bildet in der Regel mehrere Kollateralen, welche jeweils eine Muskelfaser innervieren. Das Aktionspotenzial des α-Motoneurons breitet sich über alle Kollateralen aus und erreicht alle Muskelfasern der motorischen Einheit praktisch gleichzeitig. Die Muskelfasern einer motorischen Einheit liegen nicht direkt nebeneinander, sondern sind über einen größeren Querschnitt eines Skelettmuskels verteilt. Damit wird erreicht, dass die synchrone Kontraktion der Fasern einer motorischen Einheit über einen größeren Querschnitt des Muskels verteilt wird. Größe motorischer Einheiten. Die Zahl der durch ein αMotoneuron innervierten Muskelfasern ist nicht einheitlich. Bei Muskeln, die für die Feinmotorik eingesetzt werden (z. B. Muskulatur des Daumens, der Lippen, der Augenlider), ist sie klein. In diesen Muskeln ist also die Zahl der α-Motoneurone, welche für die Innervation dieser Muskeln eingesetzt werden, relativ groß, und damit kann die neuronale Kontrolle der Bewegung dieser Muskeln besonders fein abgestimmt werden. Bei Muskeln, welche vorwiegend Haltearbeit leisten müssen (z. B. Wadenmuskulatur), ist dagegen die Zahl der Muskelfasern pro α-Motoneuron groß. γ-Motoneurone. Die γ-Motoneurone innervieren Muskelspindeln, spezialisierte Muskelfasern zur Messung der Muskellänge (7 Kap. 15.4.3). Sie verstellen Länge bzw. Empfindlichkeit der Muskelspindeln und beeinflussen so indirekt die Aktivität der α-Motoneurone (7 Kap. 15.4.3). Die Muskelfasern der Muskelspindeln werden als intrafusale
Muskulatur der übrigen, extrafusalen Muskulatur gegenübergestellt. Neben α-Motoneuronen und γ-Motoneuronen unterscheidet man noch β-Motoneurone, die sowohl intrafusale als auch extrafusale Muskulatur innervieren. Renshaw-Hemmung. Kollateralen des Axons von α-Moto-
neuronen zweigen bereits im Rückenmark ab und enden an den Renshaw-Zellen. Diese Zellen sind inhibitorische Neurone, deren Axone zur Population derjenigen α-Motoneurone zurückkehren, durch die sie aktiviert werden. Über die Renshaw-Zellen hemmt das α-Motoneuron sich selbst. Die Renshaw-Zellen bewirken somit eine negative Rückkopplung der α-Motoneuronaktivität. Darüber hinaus hemmen Renshaw-Zellen andere Interneurone, welche antagonistische Muskeln hemmen. Damit fördern die Renshaw-Zellen die Aktivität dieser Muskeln. Transmitter der Renshaw-Zellen ist Glyzin. Das Gift Strychnin verdrängt Glyzin vom Rezeptor und löst so Muskelkrämpfe aus. Interneurone. Jeweils unterschiedliche Interneurone vermitteln die Übertragung von Erregungen innerhalb des jeweiligen Rückenmarksegmentes (Schaltneurone), die Übertragung in andere Rückenmarksegmente (propriospinale Neurone), auf die andere Rückenmarkseite (kommissurale Neurone) oder die Weiterleitung von Signalen zu supraspinalen Strukturen (Bahnneurone).
15.4.2
Reflexsysteme des Rückenmarks
! Die Aktivität der α-Motoneurone wird durch Reflexe ständig modifiziert. Die Reflexe werden durch Dehnung der Muskeln (Muskeldehnungsreflex), durch Dehnung der Sehnen und durch Reizung von Afferenzen in Haut und Eingeweiden ausgelöst
Definition. Zu einem Reflex gehören jeweils ein oder meh-
rere Rezeptoren (z. B. Dehnungsrezeptoren im Muskel), ein afferenter Schenkel (afferente Nervenfaser), eine Umschaltung im Rückenmark (»Reflexzentrum«, z. B. Interneurone und α-Motoneurone), ein efferenter Schenkel (z. B. Axone der Motoneurone) und ein Effektor (z. B. Skelettmuskelfasern). Regeltechnisch besteht ein Reflex aus einem Fühler (Rezeptor), einem Regler (Interneurone und α-Motonneurone) und einem Stellglied (Muskel). Der Regler stellt die geregelte Größe (Muskellänge) auf einen Sollwert. Wenn
15
348
Kapitel 15 · Motorik
die augenblickliche Muskellänge (Istwert) vom Sollwert abweicht, dann löst der Reflex eine Korrektur aus, die den Istwert dem Sollwert angleicht. Bei monosynaptischen Reflexen werden α-Motoneurone direkt von afferenten Fasern stimuliert. Bei polysynaptischen Reflexen sind ein oder mehrere Interneurone dazwischen geschalten. Die Interneurone werden zusätzlich durch andere Afferenzen aus der Peripherie, durch andere Interneurone im Rückenmark und durch deszendierende Bahnen aus Kortex und Hirnstamm in ihrer Aktivität beeinflusst. Ihre Erregung integriert diese Einflüsse und ist daher nicht nur eine Funktion der Reflexafferenz. Je mehr Interneurone in einem Reflexkreis eingebaut sind, desto größer ist die Zeitspanne zwischen Reiz und Reizerfolg (Latenz) und desto variabler ist die Reflexantwort. Beim monosynaptischen Reflex ist die Latenz weitgehend konstant, da nur eine Synapse beteiligt ist. Variabilität der Reflexantwort. Die Wirkung eines Reizes auf
15
die Reflexantwort ist selbst bei monosynaptischen Reflexen keine Konstante und nimmt mit steigender Zahl an Synapsen bzw. dazwischen geschalteten Interneuronen zu, da andere fördernde oder hemmende Einflüsse auf das α-Motoneuron bzw. die Interneurone einwirken. In der Klinik spricht man bei gesteigerter Reflexantwort von Hyperreflexie, bei herabgesetzter oder ausbleibender Reflexantwort von Hypo- bzw. Areflexie. Bei abgeschwächtem Muskeldehnungsreflex wird versucht, die Reflexantwort durch Aktivierung der Motorik zu steigern, z. B. indem man den Patienten auffordert, zu gähnen oder seine Hände vor der Brust zu verhaken und fest auseinander zu ziehen (Jendrassik-Handgriff). Die Auslösung eines Reflexes kann dadurch erleichtert werden, indem stimulierende Einflüsse gleichzeitig von mehreren Afferenzen bzw. Interneuronen auf das α-Motoneuron einwirken (räumliche Fazilitation) oder indem kurz hintereinander Erregungen über die gleiche Afferenz eintreffen (zeitliche Fazilitation). Umgekehrt kann die Auslösung eines Reflexes durch konkurrierende neuronale Aktivität verhindert werden (Okklusion). Die Schwelle für die Auslösung eines Reflexes ist eine Funktion der Empfindlichkeit von beteiligten Sensoren und der gleichzeitigen Bahnung oder Hemmung von Motoneuronen durch andere Einflüsse. Die Schwelle von Muskeldehnungsreflexen wird durch Aktivierung von Muskelspindeln herabgesetzt (7 Kap. 15.4.3). Oberhalb der Schwelle nimmt die Reflexantwort bei steigender Reizstärke bis zum Maximalwert (Sättigung) zu.
Bei Zielbewegungen muss neben der Aktivierung von α-Motoneuronen auch die Empfindlichkeit der Muskelspindeln entsprechend verstellt werden, da die Muskelverkürzung sonst die reflektorische Aktivierung der α-Motoneurone mindert. Theoretisch kann eine Bewegung reflektorisch durch Herabsetzung der Schwelle ausgelöst werden (Servomechanismus). H-Reflex. Eigenreflexe können durch Beklopfen der Seh-
nen (T-Reflex, 7 Kap. 15.4.3) oder durch elektrische Reizung des Nerven ausgelöst werden (H-Reflex nach Hoffmann). Bei geringer H-Reflex-Reizstärke werden zunächst ausschließlich bzw. vorwiegend die Ia-Afferenzen überschwellig erregt und die folgende Muskelkontraktion (bzw. Aktivierung im Elektromyogramm) ist in erster Linie Folge der Aktivierung von α-Motoneuronen durch die Ia-Afferenzen (. Abb. 15.2). Mit zunehmender Reizstärke werden auch die Axone der α-Motoneurone direkt erregt und es tritt eine M-Welle auf (Gruppe-II-Fasern). Schließlich verschwindet der H-Reflex, da die α-Motoneurone
. Abb. 15.2. Hoffmann-Reflex (H-Reflex). Bei geringer elektrischer Reizung eines Nerven werden ausschließlich Ia-Fasern erregt. Über die entsprechende α-Motoneuronenpopulation gelangt die Erregung zum zugehörenden Muskel und erzeugt dort einen Ausschlag im EMG (blau). Bei zunehmender Reizstärke werden auch die α-Motoaxone aktiviert, wodurch im EMG früher ein Ausschlag (M-Welle) sichtbar ist. Bei sehr hoher Reizstärke entsteht im EMG nur noch die M-Welle, da die α-Motoneurone durch die direkte elektrische Reizung refraktär sind und den H-Reflex nicht mehr leiten können (Kollision der Aktionspotenziale) (nach Wiesendanger aus Schmidt et al.)
349 15.4 · Neuronale Systeme des Rückenmarks
über ihre Axone antidrom erregt werden und von den IaFasern nicht mehr orthodrom aktiviert werden können (Kollision der Erregungen).
15.4.3
Reflexsystem der Muskelspindelafferenz
! Dehnung von Muskelspindeln stimuliert die Kontraktion des betroffenen Muskels und reguliert über Interneurone die Kontraktion anderer Muskeln
Muskelspindeln. Die Dehnung des Muskels beim Muskeldehnungsreflex wird durch spezialisierte, von Bindegewebe umgebene Rezeptoren, die Muskelspindeln gemessen (. Abb. 15.3). Die Muskelspindeln werden bei Dehnung des Muskels mitgedehnt und damit erregt. Muskelspindeln messen somit die Muskellänge. Die Muskelspindeln weisen ferner kontraktile Elemente auf (intrafusale Muskulatur), die von Nervenendigungen umschlungen werden. Es gibt zwei Typen von intrafusalen Muskelspindelfasern, die Kernsackfasern und die Kernkettenfasern. Die Kernsackfasern, nicht aber die Kernkettenfasern adaptieren (Proportional-Differential-Fühler bzw. PD-Fühler, 7 Kap. 16). Die Muskelspindeln sind über den Querschnitt des Muskels verstreut.
. Abb. 15.3. Aufbau und Innervation verschiedener Muskelspindeln. Links und rechts Kernsackfasern, Mitte Kernkettenfasern
Im mittleren Bereich der Muskelspindeln enden Ia-Fasern (primäre Afferenzen) und Gruppe-II-Fasern (sekundäre Afferenzen, vorwiegend an Kernkettenfasern) von sensiblen Neuronen, deren Zellkörper in den Spinalganglien sitzen. Die afferenten Ia-Fasern aktivieren α-Motoneurone des gleichen Muskels. Damit wird bei Dehnung eines Muskels die Kontraktion dieses Muskels ausgelöst und der Muskel wieder auf die ursprüngliche Länge (»Sollwert«) zurückgeführt. Der Muskeldehnungsreflex arbeitet somit wie ein Regelkreis. Da die beteiligten Nervenfasern stark myelinisiert sind, ist die Latenzzeit bis zur Kontraktion des Muskels gering. Ein in der Klinik häufig untersuchter Muskeldehnungsreflex ist der Patellarsehnenreflex (. Abb. 15.4): Durch Beklopfen der Patellarsehne wird der M. quadriceps gedehnt und damit dessen Kontraktion ausgelöst. Die Latenz des Patellarsehnenreflexes beträgt etwa 30 ms. Man bezeichnet die durch Beklopfen der Sehne (T = tendon) aus-
. Abb. 15.4. Muskeldehnungsreflex am Beispiel des »Patellarsehnenreflexes«. Afferenzen (blau) des gedehnten Muskels (M. quadriceps femoris) werden im Rückenmark auf Motoneurone (rot) desselben Muskels umgeschaltet. Gleichzeitig werden über hemmende Interneurone (grün) die Motoneurone (braun) des Antagonisten (M. biceps femoris) gehemmt
15
350
Kapitel 15 · Motorik
gelösten Reflexe im Übrigen auch als T-Reflexe. Die Bezeichnung Sehnenreflexe ist allerdings etwas unglücklich, da Auslöser der Muskelkontraktion nicht die Dehnung der Sehne sondern die des Muskels ist. Bauchdeckenreflex. Ein Schlag mit dem Reflexhammer auf die Bauchdecke dehnt die Bauchmuskulatur und löst über einen monosynaptischen Reflexbogen ihre Kontraktion aus. γ-Motoneurone. Die kontraktilen Elemente der Muskel-
spindeln werden durch γ-Motoneurone innerviert, welche die Länge bzw. Empfindlichkeit der Muskelspindeln verstellen (. Abb. 15.5). Man unterscheidet demnach die durch die γ-Motoneurone innervierte Muskulatur der Muskelspindeln (intrafusale Muskulatur) und die durch die α-Motoneurone innervierten übrigen Muskelfasern (extrafusale Muskulatur). Bei einer langsamen Zielbewegung werden die γ-Motoneurone gemeinsam mit α-Motoneuronen innerviert. Damit wird verhindert, dass der Muskeldehnungsreflex einer Längenänderung des Muskels entgegenwirkt. Bei einer sehr schnellen Bewegung (ballistische Bewegung) ist die gleichzeitige Innervation der γ-Motoneurone nicht erforderlich, da die Rückkopplung erst nach Abschluss der Bewegung einsetzt. Eine Aktivierung der γ-Motoneurone löst eine Muskelkontraktion aus, da die Kontraktion der intrafusalen Muskulatur eine Dehnung der sensiblen Areale der Muskelspindeln und damit über Ia-Fasern eine Stimulation der α-Motoneurone nach sich zieht. Von dieser Möglichkeit wird jedoch bei der Steuerung der Motorik normalerweise kein Gebrauch gemacht, sondern α- und γ-Motoneurone werden gleichzeitig aktiviert (α-γ-Coaktivierung). β-Motoneurone innervieren gleichzeitig intrafusale und extrafusale Muskulatur (7 Kap. 15.4.1). Weitere Verschaltungen des Muskeldehnungsreflexes.
15
Der Muskeldehnungsreflex weist nur eine einzige Synapse im Rückenmark auf (monosynaptischer Reflexbogen, Transmitter Glutamat). Kollateralen der afferenten Ia-Fasern enden aber auch an Interneuronen des Rückenmarks, die α-Motoneurone antagonistischer Muskeln am gleichen Gelenk hemmen (. Abb. 15.4). Schließlich werden die Afferenzen der Muskelspindeln zu supraspinalen Neuronen geleitet. Sekundäre Muskelspindelafferenzen. Gruppe-II-Fasern aktivieren und hemmen polysynaptisch die α-Motoneuro-
. Abb. 15.5. Erregung von Muskelspindeln. Aktivierung bei passiver Dehnung des Muskels (a), bei Stimulation und Kontraktion der extrafusalen Muskulatur über α-Motoneurone (b), bei Stimulation und Kontraktion der intrafusalen Muskulatur durch γ-Motoneurone (c), sowie bei Koaktivierung von α- und γ-Motoneuronen (d). Gezeigt sind jeweils rechts die Aktionspotenziale (PDIa) in den Ia-Muskelspindelafferenzen (oben) und die Muskellänge (l )
ne desjenigen Muskels, in dem die Muskelspindel liegt. Darüber hinaus aktivieren sie u. a.Interneurone, welche αMotoneurone von Flexoren der gleichen Extremität stimulieren, unabhängig davon, ob die von Gruppe-II-Fasern innervierte Muskelspindel in einem Extensor oder einem Flexor liegt.
351 15.4 · Neuronale Systeme des Rückenmarks
15.4.4
Reflexsystem der Golgi-Sehennorgane
! Dehnung von Sehenrezeptoren hemmt die Kontraktion des entsprechenden Muskels
Sehnenrezeptoren. Im Gegensatz zur Dehnung des Mus-
kels, führt Dehnung einer Sehne zur Hemmung der α-Motoneurone dieses Muskels (autogene Hemmung). Die Hemmung wird durch die Golgi-Sehnenorgane ausgelöst, nicht adaptierende Nervenendigungen, die in Kollagenfasern gepackt sind. Bei Dehnung der Sehne bzw. bei Zug auf die Kollagenfasern werden die Nervenendigungen komprimiert und auf diese Weise erregt. Die Rezeptoren liegen an der Grenze zwischen Muskel und Sehne und messen die Spannung des Muskels, nicht seine Länge. Der durch sie ausgelöste Reflex wirkt einer übersteigerten Muskelspannung entgegen, welche zu Sehnen- oder Muskelrissen führen könnte.
le ein Fremdreflex ausgelöst (. Abb. 15.6). Die Aktivierung der Beuger des linken Beines zieht die Extremität von der Schadensquelle zurück. Gleichzeitig werden die Extensoren der gegenüberliegenden Extremität aktiviert (gekreuzter Streckreflex). Die beiden anderen Extremitäten (in unserem Beispiel die Arme) werden gleichfalls an der ipsilateralen Seite gebeugt und an der kontralateralen Seite gestreckt (doppelt gekreuzter Streckreflex). Klinisch kann ein Fremdreflex z. B. über Bestreichen der Fußsohle mit einem spitzen Gegenstand ausgelöst werden. Folge ist normalerweise eine Plantarflexion aller Zehen, eine Dorsalflexion des Fußes und bei starker Reizung eine Flexion in Knie und Hüftgelenk.
Afferenz. Die Sehnenrezeptoren werden durch Ib-Fasern
innerviert (. Tab. 1.2). Die Ib-Afferenzen enden an spinalen Interneuronen, welche die α-Motoneurone des gespannten Muskels und seiner Agonisten hemmen. Gleichzeitig steigern die Afferenzen über Interneurone die Aktivität der Antagonisten am gleichen Gelenk. Afferenzen aus Sehnenorganen fördern bevorzugt Flexoren. Schließlich werden auch Kollateralen der Afferenzen aus den Sehnenorganen zu supraspinalen Neuronen weitergeleitet.
15.4.5
Reflexsystem der Beugereflexe
! Bei Fremdreflexen werden Muskelkontraktionen durch Afferenzen aus Haut oder Eingeweiden ausgelöst
Fremdreflexe. Bei den Fremdreflexen stammt die Afferenz nicht aus dem Muskel, sondern aus der Haut oder von den Eingeweiden. Als Auslöser von Fremdreflexen spielen vor allem Schmerzafferenzen eine Rolle, aber auch unerwartete nicht schmerzhafte Berührung kann einen Fremdreflex auslösen. Über langsam leitende Fasern (Gruppe III und IV) werden diese Afferenzen auf Interneurone des Rückenmarks übertragen. Über eine Kette von Interneuronen (polysynaptisch) werden dann die Flexoren stimuliert und die Extensoren gehemmt. Tritt man beispielsweise mit dem linken Fuß auf einen Nagel, dann wird über die Schmerzrezeptoren der Fußsoh-
. Abb. 15.6. Verschaltung des Beuge- und gekreuzten Streckreflexes. (a) Bei Treten auf einen Nagel werden die Beuger des verletzten Beines stimuliert und die Strecker gehemmt. Kontralateral werden Strecker stimuliert und Beuger gehemmt (hemmende Interneurone grün, stimulierende Interneurone braun). (b) Damit wird erreicht, dass der Fuß vom Nagel abgehoben wird
15
352
Kapitel 15 · Motorik
Bauchhautreflex. Bestreichen der Bauchhaut stimuliert
die Kontraktion der Bauchmuskulatur. Dieser Reflex ist im Gegensatz zum Bauchdeckenreflex (7 Kap. 15.4.3) polysynaptisch.
Lidschlussreflex. Ein Schlag mit dem Reflexhammer auf die Nasenwurzel löst reflektorisch Lidschluss aus. Die Afferenzen dieses Fremdreflexes laufen über den Nervus trigeminus, die Efferenzen über den Nervus facialis.
In Kürze
Neuronale Systeme des Rückenmarks
15
Neuronentypen und ihre Lage 4 Afferenzen gleicher Muskel, Interneurone gleiches Rückenmarkssegment, Neurone anderer Rückenmarksegmente, supraspinale Neurone (u. a. Motorkortex) o α-Motoneuron 4 α-Motoneuron + alle von ihm innervierte Muskelfasern = motorische Einheit 4 Muskeln für Feinmotorik (Daumen, Lippen, Augenlider) = kleine motorische Einheit 4 Muskeln für grobe Motorik (Wadenmuskulatur) = große motorische Einheiten 4 γ-Motoneurone o Muskelspindeln (intrafusale Muskulatur) 4 α-Motoneurone o Axonkollateralen o Interneuron (Transmitter Glyzin) (o gleiches α-Motoneuron p Renshaw-Hemmung) o hemmende Interneurone p o antagonistische Muskeln n 4 Schaltneurone (o innerhalb jeweiligem Rückenmarksegment), propriospinale Neurone (Übertragung in andere Rückenmarksegmente), kommissurale Neurone (auf andere Rückenmarksseite) Bahnneurone (Weiterleitung zu supraspinalen Strukturen).
4 Interneurone integrieren Einfluss aus peripheren Afferenzen, anderen Interneuronen Rückenmark, deszendierenden Bahnen aus Kortex, Hirnstamm 4 Reflexantwort n = Hyperreflexie; Reflexantwort p = Hyporeflexie; keine Reflexantwort = Areflexie 4 Jendrassik-Handgriff o Hände vor der Brust verhaken und fest auseinander ziehen 4 räumliche + zeitliche Fazilitation = Summation von Stimulationen 4 Okklusion = Löschung durch konkurrierende neuronale Aktivität 4 Aktivierung von Muskelspindeln o Schwelle p 4 Oberhalb der Schwelle steigt Reflexantwort mit Reizstärke bis zum Maximalwert (Sättigung) 4 Servomechanismus = Bewegung reflektorisch durch Herabsetzung der Schwelle 4 H-Reflex (nach Hoffmann) elektrische Reizung o Ia-Afferenzen (o α-Motoneurone o Muskelkontraktion), mit zunehmender Reizstärke Axone der α-Motoneurone direkt aktiviert, M-Welle (Gruppe-II-Fasern), dann Verschwinden des H-Reflex (α-Motoneurone antidrom erregt und daher nicht mehr durch die Ia-Fasern orthodrom erregbar = Kollision Erregungen)
Reflexsysteme des Rückenmarks 4 Reflexelemente: Rezeptoren (Dehnungsrezeptoren Muskel, Fühler), afferenter Schenkel (afferente Nervenfaser), Umschaltung im Rückenmark (»Reflexzentrum«, Interneurone, α-Motoneurone, Regler), efferenter Schenkel (z. B. Axone der Motoneurone) und Effektor (z. B. Skelettmuskelfasern, Stellglied) 4 Geregelte Größe = Muskellänge (Sollwert) 4 Afferente Fasern o direkt α-Motoneurone (monosynaptisch = geringe Latenz, stabiler Einfluss) 4 Afferente Fasern o Interneurone o α-Motoneurone (polysynaptisch = große Latenz, variabler Einfluss) 6
Reflexsystem der Muskelspindelafferenz 4 Muskeldehnung (z. B. Beklopfen Patellarsehne; T-Reflex) o Dehnung Muskelspindel (Kernsackfasern [PD-Fühler], Kernkettenfaser [Proportionalfühler]) o Ia-Fasern (primäre Afferenzen), GruppeII-Fasern (sekundäre Afferenzen, vorwiegend Kernkettenfasern) o α-Motoneurone gleicher Muskel (monosynaptisch, Transmitter Glutamat) o Muskelkontraktion (Regelkreis mit kurzem Feedback, Latenzzeit 30 ms) 4 Bauchdeckenreflex = Muskeldehnungsreflex 4 γ-Motoneurone verstellen Länge bzw. Empfindlichkeit Muskelspindeln durch Kontraktion intrafusaler Muskulatur; bei langsamen Zielbewegungen α-γ-Coaktivie-
353 15.5 · Motorische Funktionen des Hirnstamms
rung, bei ballistischen Bewegungen γ-Aktivierung nicht erforderlich 4 Afferente Ia-Fasern (o α-Motoneurone gleicher Muskel) o Interneurone Rückenmark o α-Motoneurone antagonistischer Muskeln; supraspinale Neurone 4 Sekundäre Muskelspindelafferenzen o Gruppe-IIFasern o polysynaptisch α-Motoneurone gleicher Muskel p Reflexsystem der Golgi-Sehnenorgane 4 Dehnung Sehne o Golgi-Sehnenorgane o Ib-Fasern o α-Motoneuron p (autogene Hemmung, bevorzugt Flexoren) o supraspinale Neurone
15.5
Motorische Funktionen des Hirnstamms
15.5.1
Augenmotorik
! Die Tätigkeit der Augenmuskeln soll die Ausrichtung der Augen auf die interessierenden Objekte gewährleisten. Die jeweiligen Bewegungen müssen schnell und mit äußerster Präzision durchgeführt werden
Augenmuskeln. Die Augenbewegungen werden durch
die Musculi recti medialis und lateralis (bewegen die Augen in der Horizontalebene) die Musculi rectus superior und obliquus inferior (heben die Augen) und die Musculi recti inferior und obliquus superior (senken die Augen) durchgeführt, wie an anderer Stelle erläutert wird (7 Kap. 17.1.8). Steuerung. Die Augenmuskeln werden von Strukturen im Hirnstamm gesteuert (7 Kap. 17.1.8). Die Colliculi superiores vermitteln v. a. die Anpassung der Augenbewegungen an die Netzhautbilder (7 Kap. 15.7.2, 7 Kap. 17.1.8). Da visuelle Informationen zur Gleichgewichtserhaltung beisteuern, wird die Augenmotorik auch durch Afferenzen aus dem Gleichgewichtsorgan und dem Kleinhirn beeinflusst. Dieser Einfluss wird durch Vestibulariskerne und die parapontine retikuläre Formation vermittelt (7 Kap. 17.1.8).
Reflexsystem der Beugereflexe 4 Schmerzafferenzen o langsam leitende Fasern (Gruppe III, IV) o Interneurone Rückenmark polysynaptisch o Flexoren n, Extensoren p gleicher Extremität (Fremdreflex), Extensoren n andere Extremität (gekreuzter Streckreflex). Die beiden anderen Extremitäten ebenfalls ipsilateral gebeugt und kontralateral gestreckt (doppelt gekreuzter Streckreflex) 4 Bestreichen Fußsohle o Plantarflexion aller Zehen, Dorsalflexion Fuß, Flexion Knie, Hüftgelenk 4 Bauchhautreflex: Bestreichen, Beklopfen Bauchhaut o Kontraktion der Bauchmuskulatur 4 Lidschlussreflex: Schlag mit Reflexhammer auf Nasenwurzel o reflektorisch Lidschluss
15.5.2
Bewegungs- und Lagesinn
! Neurone im Hirnstamm spielen bei der Stützmotorik und bei der Durchführung programmgesteuerter Automatismen eine wesentliche Rolle. Ihre deszendierenden Bahnen beeinflussen vorwiegend über Interneurone die Aktivität von α-Motoneuronen
Gleichgewicht. Bewegung und Lage des Kopfes werden
durch das Gleichgewichtsorgan wahrgenommen, wie an anderer Stelle ausgeführt wird (7 Kap. 18.6). Die Afferenzen erreichen die Vestibulariskerne im Hirnstamm (7 Kap. 15.5.3). Stützmotorik. Vor allem die vestibulospinalen und media-
len retikulospinalen Bahnen dienen der Stützmotorik, also der Aufrechterhaltung des Gleichgewichts. Sie stimulieren vorwiegend die Antigravitätsmuskeln, das sind diejenigen Muskeln, die der Schwerkraft entgegenwirken. Beim Menschen sind dies die Strecker der Beine und die Beuger der Arme. Die rubrospinalen und die lateralen retikulospinalen Bahnen haben andererseits eine eher hemmende Wirkung auf die Antigravitätsmuskulatur. Den Neuronen im Hirnstamm kommt ferner bei der stützmotorischen Absicherung von zielmotorischen Bewegungen eine wichtige Aufgabe zu (posturale Synergien).
15
354
Kapitel 15 · Motorik
15.5.3
Vestibulariskerne und motorische Funktionen
! Die Vestibulariskerne dienen der Gleichgewichtserhaltung. Sie fördern die Aktivität der Antigravitätsmuskeln
Verschaltung der Vestibulariskerne. In den vier Vestibula-
riskernen (Nucleus superior, inferior, medialis und lateralis) münden die afferenten Axone des Vestibularnerven aus dem Gleichgewichtsorgan (7 Kap. 18.6.3). Sie informieren die Vestibulariskerne über Stellung und Drehbeschleunigung des Kopfes. Zusätzlich erhalten die Vestibulariskerne Afferenzen aus den Muskelspindeln v. a. der Haltemuskulatur und sind daher über die Stellung des Kopfes zum Körper informiert (7 Kap. 18.6.3). Efferenzen der Vestibulariskerne führen zu γ-Motoneuronen und α-Motoneuronen v. a. der Antigravitätsmuskulatur (Tractus vestibulospinalis), zur Formatio reticularis, zum Kleinhirn (Vestibulocerebellum), zu den Augenmuskelkernen, zum Hypothalamus und über basale Thalamuskerne zum insulären Kortex und Gyrus postcentralis (7 Kap. 18.6.3). Aufgabe der Vestibulariskerne. Die Vestibulariskerne inte-
grieren die relevanten Informationen für die Erhaltung des Gleichgewichtes und geben diese Informationen an das Vestibulocerebellum weiter, in dem die Informationen verrechnet werden (7 Kap. 15.7.2). Vestibulariskerne und Kleinhirn kontrollieren die Augenbewegungen (7 Kap. 17.1.8). Auf diese Weise wird normalerweise erreicht, dass die Augen bei Drehbewegungen des Kopfes so bewegt werden, dass das Abbild der Umwelt auf der Netzhaut des Auges stehen bleibt (7 Kap. 15.7.2, 7 Kap. 15.7.3, 7 Kap. 18.6.4). Rolle des Hirnstammes bei der Regulation des Muskeltonus.
15
hemmt den Vestibulariskern und führt zu einer tonischen Aktivierung aller Extensoren mit Überstreckung aller Gliedmassen und der Wirbelsäule (Opisthotonus, Dezerebrierungsstarre). Eine Läsion oberhalb des Nucleus ruber (z. B. Blutung in die Capsula interna) resultiert in einer Beugung der oberen und in einer Streckung der unteren Extremitäten. Halte- und Stellreflexe. Nach Dezerebrierung können in
Tieren einige Halte- und Stellreflexe ausgelöst werden, die normalerweise von kortikalen Efferenzen überdeckt werden: Mit den Stellreflexen wird versucht, den Kopf senkrecht zu stellen. 4 Bei Beugung des Kopfes (Dehnung der Nackenmuskulatur) werden die vorderen Extremitäten gebeugt und die hinteren Extremitäten gestreckt 4 Bei Strecken des Kopfes werden die vorderen Extremitäten gestreckt und die hinteren Extremitäten gebeugt 4 Bei Drehen des Kopfes auf eine Seite werden die Extremitäten auf dieser Seite gebeugt. Wird bei fixiertem Kopf der Rumpf auf eine Seite gedreht, dann werden die Extremitäten auf dieser Seite gestreckt (. Abb. 15.7)
15.5.4
Andere motorische Funktionen des Hirnstammes
! Neurone im Hirnstamm können einfache Automatismen durchführen und sie steuern vegetative Funktionen über vegetatives und somatosensorisches Nervensystem
Automatismen. Der Hirnstamm verfügt über einfache Programmbausteine, wie Gehen (Lokomotion), Kauen,
Die vestibulären Bahnen und die medialen reticulospinalen Bahnen steigern die Aktivität der Antigravitätsmuskeln (Extensoren der Beine, Beuger der Arme), die lateralen reticulospinalen Bahnen, die rubrospinale Bahn und die kortikospinalen Bahnen fördern vor allem die Aktivität der Beuger (7 Kap. 15.5.2). Insgesamt steigert die Aktivität der deszendierenden Bahnen aus dem Hirnstamm den Muskeltonus. Lokalisierte Läsionen. Unterbrechung des Hirnstammes
unmittelbar unterhalb des Nucleus vestibularis lateralis unterbindet die Aktivierung des Extensoren durch den Vestibulariskern. Dadurch überwiegt unterhalb der Läsion die Aktivität der Beuger. Eine Unterbrechung zwischen dem Nucleus vestibularis lateralis und dem Nucleus ruber ent-
. Abb. 15.7. Stellreflexe: Bei Linksdrehen und bei Linksbeugen des Kopfes werden die linken Extremitäten gestreckt und die rechten gebeugt. Bei Rechtsdrehen und bei Rechtsbeugen des Kopfes werden die rechten Extremitäten gestreckt und die linken gebeugt
355 15.5 · Motorische Funktionen des Hirnstamms
Schmatzen. Sie können bei der Durchführung zielmotorischer Bewegungen vom Großhirn abgerufen und sinnvoll in eine motorische Handlung eingebaut werden.
Atmungsregulation. Die atemregulierenden Neurone im
Steuerung vegetativer Funktionen. Neurone im Hirn-
Apallisches Syndrom. Bei Ischämie werden die viel emp-
stamm steuern über die Nerven trigeminus, glossopharyngeus und Vagus das Kauen und den Schluckreflex (7 Kap. 7.2.2). Über das vegetative Nervensystem steuern Neurone im Hirnstamm die Motorik des Magens (7 Kap. 7.2.3) und des Darms (7 Kap. 7.2.5). Neurone im Hirnstamm steuern über vegetatives und somatomotorisches Nervensystem den komplexen Ablauf des Erbrechens (7 Kap. 7.2.4) und der Defäkation (7 Kap. 7.2.5). Die Auslösung der Harnblasenentleerung (Miktion) erfordert normalerweise den permissiven Einfluss von pontinen Neuronen des Hirnstamms (7 Kap. 14.3.2). Neurone im Hirnstamm sind schließlich bei der Kontrolle der Herzfunktion (7 Kap. 3.4.2) und der Regulation des Blutdrucks (7 Kap. 4.2.2) beteiligt (7 Kap. 14.3.2).
findlicheren Neurone der Großhirnrinde schneller geschädigt als die Neurone des Hirnstamms. Nach einem Kreislaufstillstand kann daher die Großhirnrinde zerstört sein und die Neurone des Hirnstamms überleben (apallisches Syndrom). Dabei überwiegt typischerweise der Einfluss auf die Antigravitätsmuskeln und der Patient liegt mit gestreckten Beinen und gebeugten Armen im Bett. Das ist vor allem dann der Fall, wenn auch die Neurone des Nucleus ruber zugrunde gegangen sind, welche eher eine hemmende Wirkung auf die Antigravitätsmuskeln ausüben. Bisweilen können Automatismen, wie Kauen und Schmatzen auftreten, die sich nun der Kontrolle durch die frontale und temporale Großhirnrinde entziehen. Der Mensch ist im Gegensatz zum Tier jedoch nicht fähig, ausschließlich über Steuerung von Neuronen in Hirnstamm und Rückenmark zu gehen.
Hirnstamm steuern die Atemtätigkeit, wie an anderer Stelle näher ausgeführt wird (7 Kap. 5.8.1).
In Kürze
Motorische Funktionen des Hirnstamms Augenmotorik 4 Netzhautbilder o Colliculi superiores o Musculi recti medialis und lateralis [o Augen in Horizontalebene], Musculi rectus superior und obliquus inferior [o heben Augen], Musculi recti inferior und obliquus superior [o senken Augen] 4 Gleichgewichtsorgan, Kleinhirn o Vestibulariskerne, parapontine retikuläre Formation o Augenmuskeln Bewegungs- und Lagesinn 4 Vestibulospinale, mediale retikulospinale Bahnen o Antigravitätsmuskeln n (beim Menschen Strecker Beine und Beuger Arme, dienen Stützmotorik) 4 Rubrospinale, laterale retikulospinale Bahnen o Antigravitätsmuskulatur p 4 Neurone Hirnstamm o stützmotorische Absicherung zielmotorischer Bewegungen (posturale Synergien) Vestibulariskerne und motorische Funktionen 4 Gleichgewichtsorgan, Muskelspindelafferenzen der Haltemuskulatur o Vestibulariskerne (Nucleus superior, inferior, medialis und lateralis) o γ-Motoneurone, α-Motoneurone Antigravitätsmuskulatur 6
(Tractus vestibulospinalis), Formatio reticularis, Kleinhirn (Vestibulocerebellum), Augenmuskelkerne, Hypothalamus, basale Thalamuskerne (o insulärer Kortex, Gyrus postcentralis) 4 Unterbrechung Hirnstamm unmittelbar unterhalb Nucleus vestibularis lateralis o Überwiegen Beuger 4 Unterbrechung zwischen Nucleus vestibularis lateralis und Nucleus ruber o Aktivierung Extensoren, Überstreckung Gliedmassen und Wirbelsäule (Opisthotonus, Dezerebrierungsstarre); Läsion oberhalb des Nucleus ruber o Beugung obere und Streckung untere Extremitäten 4 Halte- und Stellreflexe dezerebrierter Tiere: Kopfbeugung o Beugung vordere Extremitäten, Streckung hintere Extremitäten; Strecken des Kopfes o Streckung vordere Extremitäten, Beugung hintere Extremitäten; Drehen des Kopfes o Beugung Extremitäten auf die hingedrehte Seite; Rumpfdrehen bei fixiertem Kopf o Streckung Extremitäten auf hingedrehter Seite Andere motorische Funktionen des Hirnstammes 4 Automatismen: Gehen (Lokomotion), Kauen, Schmatzen
15
356
Kapitel 15 · Motorik
4 Vegetative Funktionen: Hirnstamm o Nn. trigeminus, glossopharyngeus, Vagus o Kauen, Schluckreflex, o vegetatives Nervensystem gastrointestinale Motorik, Erbrechen, Defäkation, Harnblasenentleerung,
15.6
Basalganglien
15.6.2
15.6.1
Verschaltung/Informationsfluss
! Das Striatum kann den Thalamus stimulieren oder hemmen. Dopamin fördert in beiden Fällen die Aktivität des Thalamus
! Die Basalganglien sind eine Gruppe von Neuronen, welche bei der Planung und Programmierung der Zielmotorik beteiligt sind. Sie bestehen aus dem Striatum, das sich aus dem Putamen und dem Nucleus caudatus zusammensetzt, sowie aus der Pars externa und interna des Pallidum, dem Nucleus subthalamicus und der Substantia nigra (Pars compacta und Pars reticularis)
Funktion der Basalganglien. Bei der Durchführung von Ziel-
motorik werden die Basalganglien vom Assoziationskortex aktiviert und kontrollieren über den Thalamus die Durchführung der Bewegung durch den Motorkortex. Sie bestimmen die Schwelle für die Durchführung geplanter Bewegungen.
15
Herzfunktion, Regulation Blutdruck, atemregulierende Neurone 4 Ischämie o Schädigung Großhirnrinde bei erhaltenem Hirnstamm o apallisches Syndrom o Überwiegen von Antigravitätsmuskeln, Kauen, Schmatzen
Verschaltung der Basalganglien. Das Striatum erhält erregende Eingänge aus weiten Gebieten der Großhirnrinde, v. a. aus dem Assoziationskortex (Transmitter vorwiegend Glutamat). Die Neurone im Striatum stehen ferner unter dem Einfluss von cholinergen Interneuronen (. Abb. 15.8). Die Efferenzen des Striatum sind vorwiegend GABAerg und hemmen Neurone in Pallidum (Pars interna und externa) und Substantia nigra (sowohl Pars compacta als auch Pars reticulata). Die Neurone in der Pars externa des Pallidum hemmen über den Transmitter GABA Neurone im Nucleus subthalamicus, die ihrerseits Neurone in der Pars interna des Pallidum erregen. Die Neurone der Pars interna des Pallidum hemmen über GABA Neurone im Thalamus. Die Neurone in der Pars reticularis der Substantia nigra hemmen ebenfalls über GABA Neurone im Thalamus. Substantia nigra. Die Neurone in der Substantia nigra (pars compacta) üben durch den Transmitter Dopamin sowohl einen hemmenden (D2-Rezeptoren), als auch einen fördernden (D1-Rezeptoren) Einfluss auf Neurone des Striatum aus (. Abb. 15.8).
Verarbeitungsprinzipien
Transmitter. Wie bereits ausgeführt (7 Kap. 15.6.1), werden
Neurone im Striatum durch Glutamat (kortikale Bahnen) und Acetylcholin (Interneurone) stimuliert und durch Dopamin (Substantia nigra, pars compacta) teilweise stimuliert und teilweise gehemmt. Ihre Efferenzen wirken über GABA hemmend. Auch die Substantia nigra (pars reticularis) und der Globus pallidus (pars interna und externa) wirken über GABA hemmend, während der glutamaterge Nucleus subthalamicus aktivierend wirkt. Die GABAergen Neurone der Basalganglien schütten zusätzlich Neuropeptide, wie Substanz P und Enkephalin, aus, die modulierende Einflüsse auf die postsynaptischen Neurone ausüben. Schaltkreise. Neurone im Striatum beeinflussen den Thala-
mus auf drei Wegen: 4 Über Pars externa des Pallidum (GABA), Nucleus
subthalamicus (Glutamat) und Pars interna des Pallidum (GABA) hemmen Neurone im Striatum (GABA) die Aktivität im Thalamus. Diese Neurone werden durch Dopamin gehemmt 4 Über Pars interna des Pallidum (GABA) fördern Neurone im Striatum (GABA) die Aktivität im Thalamus. Diese Neurone werden durch Dopamin stimuliert 4 Über Pars reticularis der Substantia nigra (GABA) fördern Neurone im Striatum (GABA) die Aktivität im Thalamus. Auch diese Neurone werden durch Dopamin stimuliert Über alle drei Schaltkreise steigert Dopamin aus der Substantia nigra die Aktivität des Thalamus und fördert somit die Durchführung von Bewegungen.
357 15.6 · Basalganglien
. Abb. 15.8. Verschaltungen der Basalganglien bei intaktem Gehirn, bei Morbus Parkinson, Chorea und Hemiballismus. GABAerge (hemmende) Neurone sind blau, dopaminerge (hemmend und stimu-
15.6.3
Störungen der Motorik
! Ausfall der Substantia nigra führt u. a. zur Hypokinesie des Morbus Parkinson, Läsionen in Striatum, Pallidum und Nucleus subthalamicus zur Hyperkinesie
Morbus Parkinson. Eine häufige Störung der Basalganglien ist der Morbus Parkinson. Er ist Folge eines Untergangs von dopaminergen Neuronen in der Pars compacta der Substantia nigra. Damit steht der Thalamus unter einer tonischen Hemmung (7 Kap. 15.6.2) und die Patienten haben große Mühe, eine Bewegung durchzuführen (Hypokinesie,
lierend) sind grün, glutamaterge (stimulierend) rot und cholinerge (stimulierend) braun eingezeichnet. p.e. = pars externa, p.i. = pars interna, p.r. = pars reticularis, p.c. = pars compacta
Akinesie). Darüber hinaus ist der Muskeltonus gesteigert und die Muskulatur setzt jeder passiven Bewegung Widerstand entgegen (Rigor). Das Zusammentreffen von Rigor und Hypokinesie wird auch als hyperton-hypokinetisches Syndrom bezeichnet. Die tonische Kontraktion der Gesichtsmuskulatur führt zur mimischen Starre. Schließlich kommt es zu einem Tremor, der durch alternierende Innervation von Antagonisten charakterisiert ist. Er tritt hauptsächlich in Ruhe auf (Ruhetremor), verschwindet allerdings z. B. im Schlaf (7 Kap. 15.9.3). Vegetative Störungen der Patienten mit Morbus Parkinson, wie etwa gesteigerte Aktivität der Speichel- und
15
358
Kapitel 15 · Motorik
Talgdrüsen (Salbengesicht), sowie Veränderungen der Psyche, sind auf den Ausfall weiterer dopaminerge Verbindungen zurückzuführen. Schließlich kommt es bei Patienten mit Morbus Parkinson auch zur Verlangsamung kognitiver Leistungen (Bradyphrenie). Therapie des Morbus Parkinson. Die Symptome des Mor-
bus Parkinson können durch Zufuhr von L-Dopa, der Vorstufe von Dopamin vorübergehend gebessert werden. Dopamin selbst kann die Blut-Hirn-Schranke nicht überschreiten und ist daher wirkungslos. Acetylcholinantagonisten hemmen den stimulierenden Einfluss der cholinergen Interneurone und Glutamatantagonisten den stimulierenden Einfluss des Kortex. Beide Substanzklassen werden zur Therapie des Morbus Parkinson eingesetzt. Durch
Hemmstoffe der Monoaminoxidase kann der Abbau von Dopamin unterbunden und durch Einsatz von antioxidativ wirksamen Substanzen der Untergang von Zellen in der Substantia nigra hinausgezögert werden. Hyperkinesien. Ein Untergang von Neuronen in den Ba-
salganglien führt über den Wegfall der Hemmung des Thalamus zum Auftreten von unwillkürlichen Bewegungen. Ein Untergang von Neuronen im Striatum führt zur Chorea (groteske, verrenkende Bewegungen), ein Untergang des Nucleus subthalamicus zum Hemiballismus (plötzliche, schleudernde Bewegungen), ein Untergang von Neuronen im Pallidum zu Athetose (langsame, quälende Verkrampfungen). Der Muskeltonus zwischen den Bewegungen ist eher niedrig (hypoton-hyperkinetisches Syndrom).
In Kürze
Basalganglien Verschaltung/Informationsfluss 4 Großhirnrinde (v. a. Assoziationskortex) o (Glutamat) o Striatum n (l cholinerge Interneurone) o (GABA) o Pallidum p (Pars interna + externa), Substantia nigra p (Pars compacta + reticulata) 4 Pars externa Pallidum o (GABA) o Nucleus subthalamicus p o (Glutamat) o Pars interna Pallidum n o (GABA) o Thalamus p 4 Pars reticularis Substantia nigra (GABA) o Thalamus 4 Substantia nigra Pars compactao (Dopamin) o Striatum p(D2), n(D1) 4 Dopamin stimuliert über drei Wege die Aktivität im Thalamus (p+p=n) 4 Substantia nigra o (Dopamin) o Striatum p o (GABA) o Pars externa Pallidum p o (GABA) o Nucleus subthalamicus p o (Glutamat) o Pars interna des Pallidum n o (GABA) o Thalamus p 4 Substantia nigra o (Dopamin) o Striatum n o (GABA) o Pars interna des Pallidum p o (GABA) o Thalamus p
15
4 Substantia nigra o (Dopamin) o Striatum n o (GABA) o Pars reticularis Substantia nigra p o (GABA) o Thalamus p Störungen der Motorik 4 Morbus Parkinson o Untergang dopaminerger Neurone in Substantia nigra (Pars compacta) o Dopamin p o Thalamus p oHypokinesie, Akinesie; Muskeltonus n, Rigor n (hyperton-hypokinetisches Syndrom), mimische Starre, Ruhetremor (alternierend); zusätzlich Speichel-, Talgdrüsen-Sekretion (Salbengesicht), psychische Veränderungen, Bradyphrenie; Therapie: L-Dopa (o Dopamin), Acetylcholinantagonisten, Hemmstoffe Monoaminoxidase 4 Hyperkinesien: Neurone Basalganglien p o Thalamus n o hypoton-hyperkinetisches Syndrom (Striatum p o Chorea; Nucleus subthalamicus p o Hemiballismus; Pallidum p o Athetose
359 15.7 · Cerebellum
15.7
Cerebellum
15.7.1
Verschaltung, Informationsfluss
! Dem Kleinhirn kommt sowohl bei der Durchführung zielmotorischer Bewegungen als auch bei der Kontrolle der Stützmotorik eine entscheidende Rolle zu
Afferenzen. Seine Afferenzen erhält das Kleinhirn aus der
Peripherie (u. a. von Muskelspindeln), dem Hirnstamm und der Großhirnrinde. IntrazerebellareVerschaltung. Die Afferenzen konvergieren letztlich auf die Purkinje-Zellen (. Abb. 15.9), deren Axone die einzigen Efferenzen aus der Kleinhirnrinde darstellen (Transmitter GABA). Die Afferenzen erreichen die Kleinhirnneurone über Moosfasern und Kletterfasern (Transmitter Aspartat und Glutamat). Die Kletterfasern (vorwiegend aus der Olive) erregen direkt die Purkinje-Zellen, die Moosfasern (vorwiegend aus pontinen Kernen) erregen Körnerzellen, die über die Parallelfasern Purkinje-Zellen und hemmende Interneurone des Kleinhirns (Stern-, Korb- und Golgizellen) erregen. Die Interneurone erzielen durch rückläufige und laterale Hemmung eine Kontrastverschärfung. Über vorgelagerte Kerne (7 Kap. 15.7.2) beeinflussen die PurkinjeFasern die übrigen Elemente der Motorik. Die Purkinje-Zellen und die Kleinhirnkerne sind streng somatotopisch organisiert, die Muskulatur des Kopfes ist in den hinteren, die der Beine in den vorderen Anteilen der Kerne repräsentiert.
15.7.2
Verarbeitungsprinzipien
! Jeweils spezialisierte Anteile des Kleinhirns dienen der Erhaltung des Gleichgewichts, der Durchführung, Kontrolle und Speicherung von Zielmotorik sowie der Unterstützung der Großhirnrinde bei einigen kognitiven Leistungen
Bedeutung des Kleinhirns für Stützmotorik und Gleichgewichtserhaltung. Das Vestibulocerebellum (Lobus floc-
culonodularis, Vermis, paravermale Anteile) dient in erster Linie der Erhaltung des Gleichgewichtes. Das Vestibulocerebellum erhält u. a. Einflüsse von den Muskelspindeln der Haltemuskulatur, den Gleichgewichtsorganen und dem Auge (vom Corpus geniculatum laterale und von der primären Sehrinde). Die Efferenzen laufen über die Nuclei
. Abb. 15.9. Feinbau des Kleinhirns. Die einzigen efferenten Zellen des Kleinhirns sind die Purkinje-Zellen. Ihre Axone wirken über GABA hemmend auf Neurone in den Nuclei dentatus, nodosus, emboliformis, fastigii und vestibularis lateralis. Die Purkinje-Zellen werden über afferente Fasern aus der unteren Olive (Kletterfasern), den Raphékernen und dem Locus coeruleus, sowie von Interneuronen der Kleinhirnrinde (Korbzellen und Sternzellen) innerviert. Die Sternzellen stehen wiederum unter dem Einfluss von Körnerzellen, die von pontinen Neuronen über Moosfasern aktiviert werden. Weitere Interneurone, die Golgi-Zellen, werden von Körnerzellen und von Moosfasern innerviert und beeinflussen ihrerseits die Körnerzellen. Ansammlungen von Körner- und Purkinje-Zellen bilden die Körnerzellschicht und PurkinjeZellschicht der Kleinhirnrinde. Die Dendritenbäume der Purkinje-Zellen reichen in die Molekularschicht, in der auch die Korb- und Sternzellen zu finden sind
fastigii und vestibulares (. Abb. 15.10) zu den stützmotorischen Neuronen des Hirnstamms und den Augenmuskelkernen. Das Kleinhirn hat die Aufgabe, die genannten Afferenzen miteinander zu verrechnen. Die Länge der Nackenmuskulatur stellt dabei die Beziehung zwischen Rumpf und Kopf fest, die Aktivität der Gleichgewichtsorgane die Stellung des Kopfes zur Schwerkraft. Die Bilder auf der Netzhaut des Auges signalisieren die Beziehung des Kopfes zur Umwelt. Kenntnis dieser Informationen erlaubt die Voraussage, ob der Körper im Gleichgewicht ist. Soll bei Bewegungen des Kopfes das Bild auf der Netzhaut stehen bleiben, dann müssen die Augenmuskeln das Auge entsprechend mitbewegen. Das Kleinhirn errechnet mit Hilfe der Signale aus den Gleichgewichtsorganen und des Bewegungsapparates das jeweils erforderliche Ausmaß an Augenbewegungen. Sollte trotz entsprechender Augenbewe-
15
360
Kapitel 15 · Motorik
. Abb. 15.10. Verschaltungen des Kleinhirns. a: Verschaltung des Vestibulocerebellum. b: Verschaltung des Spinocerebellum, c: Verschaltung des Pontocerebellum
gung das Bild auf der Netzhaut wandern, dann entsteht der Eindruck, dass sich die Umgebung bewegt (7 Kap. 15.7.3). Die Bedeutung des Kleinhirns für die Zielmotorik. Das Spi-
15
nocerebellum (Vermis und mediale Anteile der Hemisphären) sowie das Cerebrocerebellum (Pontocerebellum, Hemisphären) stehen vorwiegend im Dienste der Zielmotorik. Dabei fällt dem Kleinhirn die Aufgabe zu, Programme zur Durchführung zielmotorischer Bewegungen bereitzustellen (Cerebrocerebellum) und die Durchführung dieser Programme zu kontrollieren (Spinocerebellum). Über pontine Kerne und die untere Olive gelangt die Bewegungsstrategie des Assoziationskortex zum Cerebrocerebellum (. Abb. 15.10). Dort werden bestimmte Programme abgerufen und über Nucleus dentatus und Thalamus dem Motorkortex zugespielt.
Efferenzkopie. Die Efferenzen vom Motorkortex zum Rückenmark geben Kollateralen ab (Efferenzkopie), welche über die untere Olive dem Spinocerebellum zugespielt werden. Das Spinocerebellum erhält ferner eine Rückmeldung von sensorischen Afferenzen aus der Peripherie. Das Spinocerebellum gibt seine Informationen über Nucleus globosus und emboliformis an Thalamus und Nucleus ruber weiter (. Abb. 15.10). Über den Thalamus wird die Großhirnrinde und über die rubrospinale Bahn die Motoneurone des Rückenmarks beeinflusst. Die Programme der Kleinhirnhemisphären lassen sich durch die Rückkopplung ständig modifizieren und perfektionieren. Damit spielen die Kleinhirnhemisphären eine entscheidende Rolle beim Erlernen motorischer Leistungen (prozedurales Lernen, 7 Kap. 20.2.3).
361 15.7 · Cerebellum
Läsionen des Vestibulocerebellum. Bei Läsionen des Vestibulocerebellum kommt es vor allem zu massiver Einschränkung des Gleichgewichts. Die Patienten leiden unter Schwindel, Übelkeit und Erbrechen. Die Augenmuskeln führen Pendelbewegungen durch (Nystagmus), die nicht durch entsprechende Kopfbewegungen begründet sind. Demnach wandert das Bild auf der Netzhaut und die Patienten haben den Eindruck, dass sich der Raum dreht. Augenfolgebewegungen sind abgehackt. Die mangelhafte Koordination der Stützmotorik führt zu torkelndem Gang, zur Rumpf- und Gangataxie (zerebellare Ataxie). Läsionen in Spinocerebellum und Cerebrocerebellum. Bei
. Abb. 15.10. Fortsetzung
Bedeutung des Kleinhirns für kognitive Leistungen. Das
Cerebrocerebellum spielt auch eine Rolle bei der Durchführung komplexer Leistungen des Nervensystems. Das linke Cerebrocerebellum unterstützt die rechte Großhirnhälfte beim visuell-räumlichen Denken, das rechte Cerebrocerebellum die linke Großhirnhälfte bei der Sprache.
15.7.3
Störungen der Motorik
! Läsionen des Kleinhirns beeinträchtigen in erster Linie die Erhaltung des Gleichgewichts und die präzise Durchführung von Bewegungen
Schädigung von Spino- und Cerebrocerebellum stehen vor allem Störungen der Zielmotorik im Vordergrund: 4 Der Muskeltonus ist herabgesetzt und die Gelenke sind überstreckbar 4 Bei zielgerichteten Bewegungen entsteht ein Intentionstremor: Versucht ein kleinhirngeschädigter Patient ein Glas zu ergreifen, dann zittert seine Hand umso mehr, je näher sie sich dem Glas nähert. Beim Versuch, den Blick in eine bestimmte Richtung zu lenken, tritt Nystagmus auf 4 Der Patient ist nicht in der Lage, bei Zielbewegungen die richtige Kraft einzusetzen und das richtige Ausmaß der erforderlichen Bewegung abzuschätzen (Dysmetrie) 4 Bei der Durchführung einer komplexen Bewegung ist dem Patienten nicht mehr die zeitlich richtig gestaffelte Kontraktion mehrerer Muskelgruppen möglich (Dysbzw. Asynergie) 4 Der Patient ist nicht in der Lage, eine Muskelkontraktion schnell zu stoppen, wenn der Widerstand plötzlich nachlässt (Reboundphänomen) 4 Er kann antagonistische Muskelbewegungen (z. B. Pronation und Supination) nicht schnell hintereinander ausführen (Dys- bzw. Adiadochokinese) 4 Schnell wechselnde Bewegungen bereiten ihm große Schwierigkeiten. So ist seine Sprache inadäquat laut, verwaschen, langsam, zerhackt und monoton (skandierende Sprache, Dysarthrie) 4 Das motorische Lernen ist beeinträchtigt
15
362
Kapitel 15 · Motorik
In Kürze
Cerebellum Verschaltung, Informationsfluss 4 Peripherie (u. a.Muskelspindeln), Hirnstamm, Großhirnrinde o Olive o Purkinje-Zellen o (GABA) o Kleinhirnkerne 4 Pontine Kerne o Moosfasern o Körnerzellen o Parallelfasern o Purkinje-Zellen, Stern-, Korb- und Golgi-Zellen (= hemmende Interneurone o rückläufige + laterale Hemmung o Kontrastverschärfung) 4 Purkinje-Zellen und Kleinhirnkerne somatotopisch organisiert Verarbeitungsprinzipien 4 Muskelspindeln Haltemuskulatur, Gleichgewichtsorgan, Auge o Vestibulocerebellum (Lobus flocculonodularis, Vermis, paravermale Anteile) o Nuclei fastigii und vestibulares o Gleichgewicht 4 Assoziationskortex o pontine Kerne o Cerebrocerebellum (Pontocerebellum, Hemisphären [Bewegungsprogramme]), o Nucleus dentatus o Thalamus o Motorkortex o Zielmotorik
15.8
Integrale motorische Funktionen des Zentralnervensystems
15.8.1
Laufen und Gehen
4 Peripherie, Motorkortex o untere Olive o Spinocerebellum (Vermis und mediale Anteile der Hemisphären [Durchführungskontrolle]) o nucleus globosus und emboliformis o Thalamus (o Großhirnrinde), Nucleus ruber (o rubrospinale Bahn o Motoneurone Rückenmark) o prozedurales Lernen 4 Cerebellare kognitive Leistungen. Unterstützung visuell-räumlichen Denkens, Sprache Störungen der Motorik 4 Läsionen Vestibulocerebellum o Gleichgewichtsstörungen (Schwindel, Übelkeit, Erbrechen), Nystagmus, torkelnder Gang, Rumpf- und Gangataxie (zerebellare Ataxie). 4 Läsionen Spinocerebellum und Cerebrocerebellum o Muskeltonus p, Gelenke überstreckbar, Intentionstremor, Dysmetrie, Dys- , Asynergie, Reboundphänomen, Dys-, Adiadochokinese, skandierende Sprache, Dysarthrie, motorisches Lernen p (Beeinträchtigung der Zielmotorik)
Stehen), der abgetrennte Anteil des Rückenmarks kann jedoch keine Gehbewegungen mehr auslösen.
15.8.2 ! Rückenmarksautomatismen unterstützen Gehbewegungen. Ohne deszendierende Bahnen aus dem Kortex ist beim Menschen jedoch Gehen nicht möglich
15
Rückenmarksautomatismen. Über Ketten von Interneuronen und propriospinale Bahnen sind die verschiedenen Segmente des Rückenmarks miteinander verbunden. Spinale Neuronenverbände sind beim Tier sogar in der Lage, einfache koordinierte Bewegungen aller vier Extremitäten durchzuführen, wie etwa einfache Gehbewegungen (Rückenmarksautomatismen). Beim neugeborenen Menschen können solche Gehbewegungen noch durch Berührung der Fußsohle ausgelöst werden. Die Rückenmarksautomatismen unterstützen auch beim Erwachsenen die Durchführung von Bewegungen. Nach Durchtrennung des Rückenmarks (Querschnittsläsion) ist zwar noch kurzfristiges Stehen möglich (spinales
Stehen und Gleichgewicht
! Gleichgewichtserhaltung erfordert die Verrechnung von Propriozeption mit Afferenzen aus dem Gleichgewichtsorgan
Gleichgewicht. Zur Erhaltung des Gleichgewichtes werden Afferenzen aus Gleichgewichtsorgan, Muskelspindeln und Sehnenorganen (Propiozeption) verrechnet, wie an anderer Stelle ausgeführt wird (7 Kap. 15.7.2, 7 Kap. 18.6.3). Die Verrechnung geschieht in erster Linie im Kleinhirn (7 Kap. 15.7.2). Muskeltonus. Stehen und Erhalten des Gleichgewichts erfordern eine hinreichende Muskelspannung der Antigravitätsmuskulatur (7 Kap. 15.5.2), die eine Dehnung der Muskeln verhindert. Der Muskeltonus ist bei Schädigung der Substatia nigra gesteigert (7 Kap. 15.6.3), bei Schädigung
363 15.8 · Integrale motorische Funktionen des Zentralnervensystems
von Basalganglien (7 Kap. 15.6.3) und des Kleinhirns (7 Kap. 15.7.3) herabgesetzt.
ern, führen zum Verlust erlernter Fertigkeiten (Apraxie), wie etwa das Binden von Schnürsenkeln.
Reaktionen auf Änderungen von Lage und Beschleunigungskräften. Stützmotorik bedeutet nicht nur die stati-
15.8.5
sche Erhaltung des Gleichgewichtes, sondern auch die Anpassung von Körperstellung und Muskeltonus an Änderungen von Körperlage und Beschleunigungskräften. Bei Seitwärtsbeschleunigung der Standfläche wird automatisch das Gewicht auf die Gegenseite verlagert, bei Beschleunigung nach oben (Liftreaktion) werden die Extensoren, bei Beschleunigung nach unten die Flexoren aktiviert.
15.8.3
Ergreifen eines Gegenstandes
! Feinmotorische Bewegungen der Finger erfordern monosynaptische Innervation von beteiligten α-Motoneuronen durch den Motorkortex
Beteiligte Strukturen. Die Feinmotorik der Finger, die für das präzise Ergreifen von Gegenständen erforderlich ist, wird bei höheren Affen und beim Menschen durch monosynaptische Verbindungen zwischen Pyramidenzellen des Motorkortex und den α-Motoneuronen (Kortikomotoneuronales [CM] System der Pyramidenbahn) kontrolliert (7 Kap. 15.3.2). Bewegungsprogramme und Bewegungskontrolle sind Aufgaben vor allem des Kleinhirns. Folge von Läsionen. Äußerst seltene isolierte Läsionen des
CM-Systems beeinträchtigen die Fingerfertigkeit. Kleinhirnläsionen behindern das Ergreifen von Gegenständen durch Auftreten von Intentionstremor (7 Kap. 15.7.3).
15.8.4
Sprache
! Sprache erfordert die Beteiligung von entsprechenden sensorischen und motorischen Assoziationskortex-Arealen
Die Sprache ist eine komplexe motorische Leistung, zu der Phonation und Artikulation erforderlich sind, wie an anderer Stelle ausgeführt wird (7 Kap. 18.5.1). Für das Sprechen sind u. a. Neurone des motorischen (Broca) und sensorischen (Wernicke) Sprachzentrums erforderlich (7 Kap. 18.5.1). Sprachstörungen (Aphasie) treten bei Läsionen im motorischen Sprachzentrum, dem sensorischen Sprachzentrum, und/oder der Verbindung von sensorischem und motorischem Sprachzentrum auf (7 Kap. 18.5.3). Ferner können Läsionen im Temporallappen, im vorderen unteren Frontallappen, im parietalen-temporalen Assoziationskortex oder im Bereich der Basalganglien, des Thalamus und des Kleinhirns zu charakteristischen Störungen der Sprache führen (7 Kap. 18.5.3). In Kürze
Integrale motorische Funktionen des Zentralnervensystems Laufen und Gehen 4 Interneurone und propriospinale Bahnen o spinale Neuronenverbände o Rückenmarksautomatismen o Unterstützung bei Durchführung von Bewegungen 4 Querschnittsläsion: kurzfristiges Stehen (spinales Stehen), jedoch keine Gehbewegungen
Motorisches Lernen
! Motorisches Lernen ist eine Leistung von Cerebrocerebellum und Assoziationskortex
Beteiligte Strukturen. Motorisches Lernen erfordert die Schaffung entsprechender Bewegungsprogramme vor allem im Cerebrocerebellum (7 Kap. 15.7.3). Bei komplexen motorischen Leistungen sind entsprechende Bereiche des Assoziationskortex erforderlich. Apraxie. Läsionen in assoziativen motorischen Arealen (prämotorischer Kortex), die komplexe Handlungen steu-
Stehen und Gleichgewicht 4 Schädigung Substantia nigra o Muskeltonus n, Schädigung Basalganglien, Kleinhirn o Muskeltonus p 4 Stützmotorik o Gleichgewichterhaltung + Anpassung Körperstellung und Muskeltonus an Änderungen von Körperlage und Beschleunigungskräften: Seitwärtsbeschleunigung o Gewicht auf Gegenseite; Beschleunigung nach oben (Liftreaktion) o Extensoren n, Beschleunigung nach unten o Flexoren p 6
15
364
Kapitel 15 · Motorik
Ergreifen eines Gegenstandes 4 Assoziationskortex, Supplementärmotorischer Kortex, Kleinhirn o Monosynaptisch Pyramidenzellen Motorkortex zu α-Motoneuronen (Kortikomotoneuronales [CM] System) o Feinmotorik Finger Motorisches Lernen 4 Cerebrocerebellum, Assoziationskortex o Motorisches Lernen; Läsionen o Verlust erlernter Fertigkeiten (Apraxie) Sprache 4 7 Kap. 18.5.1, 7 Kap. 18.5.3
15.9
Störungen der Motorik
15.9.3
15.9.1
Muskeltonus
! Tremor sind unwillkürliche oszillierende Bewegungen variabler Amplitude und Frequenz
! Der Muskeltonus ist u. a.bei Läsionen des Kleinhirns, der Basalganglien und der Substantia nigra gestört. Dabei werden Körperhaltung und die Durchführung von Zielbewegungen beeinträchtigt
Muskuläre Hypertonie. Der Muskeltonus ist bei Morbus Parkinson massiv gesteigert, wie an anderer Stelle ausgeführt wird (Rigor, 7 Kap. 15.6.3). Muskuläre Hypotonie. Bei Läsionen des Kleinhirns (7 Kap. 15.7.3) und der Basalganglien (7 Kap. 15.6.3) kommt es zu einer Abnahme des Muskeltonus, wie an anderer Stelle ausgeführt wird.
15.9.2
Spastik
! Spastik tritt bei Ausfall deszendierender Bahnen auf
15
Die Muskelspindeln reagieren jedoch überwiegend phasisch, d. h. bei langsamer oder anhaltender Dehnung lässt die Erregung wieder nach. Damit gewinnt der Einfluss der Sehnenorgane das Übergewicht. Bei Dehnung hemmen die Sehnenorgane die Muskelkontraktion. Unter anderem durch ihren Einfluss gibt der Muskel bei langsamer bzw. langanhaltender Dehnung nach (Taschenmesserphänomen). Das Überwiegen der Extensoren führt bei Bestreichen der Fußsohle zur Dorsalflexion, anstatt der beim Gesunden üblichen Plantarflexion. Dieses sog. Babinski-Zeichen, ist beim Neugeborenen normal, beim Erwachsenen wird es als Hinweis auf eine Pyramidenbahnläsion gewertet. Tatsächlich sind Spastik und das Babinski-Zeichen Folge einer Läsion mehrerer kortikofugaler Bahnen inklusive der Pyramidenbahn.
Spastik. Die Aktivität der α-Motoneurone steht nach Ausfall deszendierender Bahnen vor allem unter dem Einfluss der Muskelspindeln und Sehnenorgane. Dehnung der Muskelspindeln stimuliert über einen monosynaptischen Reflexbogen die α-Motoneurone des gleichen Muskels, der gesteigerte Einfluss der Muskelspindeln äußert sich somit in einer massiven Kontraktion bei Dehnung (Spastik).
Tremor
Ruhetremor des Morbus Parkinson. Beim Morbus Parkinson tritt häufig ein Tremor von etwa 4–6 Hertz auf, der meist zunächst einseitig in den Händen beginnt und sich dann proximal und auf die andere Körperseite ausbreitet. Er ist auf alternierende Erregungen von Agonisten (z. B. Pronatoren) und Antagonisten (Supinatoren) zurückzuführen. Typisch sind Fingerbewegungen, die an Münzenzählen oder Pillendrehen erinnern. Der Tremor tritt vorwiegend bei Ruhe auf, verschwindet allerdings z. B. im Schlaf. Intentionstremor bei Kleinhirnläsionen. Zu den typischen
Störungen bei Läsionen des Kleinhirns zählt ein Tremor von etwa 3–8 Hertz, der v. a. bei Zielbewegungen auftritt. Er wird ebenfalls durch alternierende Erregung von Agonisten und Antagonisten hervorgerufen. Dabei wird die Amplitude mit zunehmender Näherung an das Zielobjekt immer größer. Ein langsam alternierender Tremor von etwa 1–4 Hertz tritt bei Läsionen des Nucleus ruber (7 Kap. 15.5.2) und bei Athetose (7 Kap. 15.6.3) auf. Halte- und Aktionstremor. Im Alter tritt häufig ein Tremor von etwa 5–8 Hertz auf, der durch gleichzeitige Aktivierung von Agonisten und Antagonisten hervorgerufen wird. Angst Müdigkeit, Alkohol, Stress, (Aktivierung von adrenergen β-Rezeptoren 7 Kap. 14.2.2, Glukokortikoide
365 15.9 · Störungen der Motorik
7 Kap. 10.3.4), Hyperthyreose (7 Kap. 10.3.2) und eine Viel-
Rückenmarksdurchtrennung. Hier kommt es zunächst zu
zahl von Pharmaka begünstigen das Auftreten von Tremor. Tritt ein Tremor ohne erkennbare Ursache auf, dann spricht man von essentiellem Tremor. Er hat meist eine Frequenz von 6–12 Hertz. Er tritt familiär gehäuft auf, was eine genetische Ursache nahe legt.
einem spinalen Schock der abgetrennten Neurone. Die Aktivität der α-Motoneurone erlischt, Reflexe (motorische oder vegetative) sind nicht auslösbar. Erst nach etwa vier bis sechs Wochen bilden sich wieder Reflexe aus. Diese Reflexe werden dann in den folgenden Wochen bis Monaten stärker und es entwickelt sich schließlich eine Hyperreflexie der Beugemuskulatur. Diese Entwicklung ist zum Teil Folge einer Neubildung von Synapsen zwischen spinalen Neuronen, welche die Synapsen mit deszendierenden Bahnen ersetzen. Die Aktivität eines α-Motoneurons wird damit zunehmend von Einflüssen aus dem Rückenmark und der Peripherie diktiert.
15.9.4
Querschnittsverletzung des Rückenmarks
! Rückenmarksdurchtrennung führt primär zum spinalen Schock, später entwickelt sich Hyperreflexie
In Kürze
Störungen der Motorik Muskeltonus 4 Morbus Parkinson o Muskeltonus n; Läsionen Kleinhirn, Basalganglien o Muskeltonus p Spastik 4 Ausfall deszendierender Bahnen o Einfluss Muskelspindeln, Sehnenorgane auf α-Motoneurone nn o Dehnung o Muskelspindeln no Kontraktion nn (Spastik) o (Adaptation phasischer Muskelspindeln), Sehnenorgane n o Kontraktion p (Taschenmesserphänomen) 4 Ausfallen deszendierender kortikaler Bahnen o Extensoren n o Bestreichen Fußsohle o Dorsalflexion (Babinski-Zeichen)
Tremor 4 Morbus Parkinson o Ruhetremor (4–6 Hertz, alternierend, Hände o proximal und auf andere Körperseite) 4 Kleinhirnläsionen o Intentionstremor (3–8 Hertz, alternierend, v. a. bei Zielbewegungen) 4 Läsionen nucleus ruber oder bei Athetose o grober Tremor (1–4 Hertz, alternierend) 4 Alter, Angst, Müdigkeit, Alkohol, Streß, Glukokortikoide, Hyperthyreose o Halte-, Aktionstremor (5–8 Hertz, gleichzeitige Aktivierung Agonisten und Antagonisten) 4 Genetischer Defekt o essentieller Tremor (6–12 Hertz) Querschnittsverletzung des Rückenmarks 4 Rückenmarksdurchtrennung o spinaler Schock o Areflexie o nach etwa vier bis sechs Wochen Neubildung von Synapsen zwischen spinalen Neuronen o Reflexe o Wochen bis Monate o Hyperreflexie Beugemuskulatur
15
16
16 Somatoviszerale Sensorik 16.1
Funktionelle und morphologische Grundlagen – 368
16.1.1 16.1.2 16.1.3
Einteilung, Modalitäten und Qualitäten – 368 Rezeptive Strukturen – 368 Afferente und zentrale Strukturen – 370
16.2
Tastsinn
16.2.1 16.2.2 16.2.3 16.2.4
Qualitäten – 375 Eigenschaften der Rezeptoren – 375 Funktionelle Organisation – 376 Besonderheiten des Tastsinnes der Hand
16.3
Temperatursinn – 377
16.3.1 16.3.2
Warm-/Kaltsensoren, afferente Bahnen und zentralnervöse Projektionen – 377 Funktionelle Organisation des Warm/Kaltsinnes – 378
16.4
Tiefensensibilität
16.4.1 16.4.2
Funktionelle Organisation – 379 Biologische Bedeutung der Tiefensensibilität
16.5
Viszerale Sensorik
16.5.1 16.5.2 16.5.3
Periphere und zentrale Sensoren – 380 Viszerale Sensibilität – 380 Viszerale Reflexe – 381
16.6
Nozizeption
16.6.1 16.6.2 16.6.3 16.6.4 16.6.5
Nozizeptorerregung – 381 Nervenläsionen – 382 Spinale Organisation der Nozizeption – 382 Supraspinale Organisation von Nozizeption und Schmerz – 383 Endogene Schmerzhemmung – 383
16.7
Störungen der somatoviszeralen Sensibilität – 385
16.7.1 16.7.2
Periphere Störungen – 385 Zentrale Störungen – 385
– 375
– 376
– 379 – 379
– 380
– 381
368
Kapitel 16 · Somatoviszerale Sensorik
> > Einleitung
16.1.2
Mechanische, thermische und chemische Reize werden von Rezeptoren in der Haut (Oberflächensensibilität), dem Bewegungsapparat (Tiefensensibilität) und den Organen (viszerale Sensibilität) in Potenzialänderungen übersetzt. Dabei vermittelt der Bau des Rezeptors und die Ausstattung seiner Zellmembran mit bestimmten Ionenkanälen Spezifität und weitere Eigenschaften (z. B. Empfindlichkeit, Adaptation) des Rezeptors.
! Die Eigenschaften von Rezeptoren sind u. a. eine Funktion der Rezeptorstruktur
16.1
Funktionelle und morphologische Grundlagen
16.1.1
Einteilung, Modalitäten und Qualitäten
! In einer ersten Einteilung lassen sich Mechanorezeptoren, Thermorezeptoren, Chemorezeptoren und Nozizeptoren unterscheiden. In der Haut bilden Tastsinn, Temperatursinn und Schmerz die Oberflächensensibilität
Sinnesmodalitäten. Das somatosensorische System vermittelt Informationen von der Hautoberfläche (Hautsensibilität bzw. Oberflächensensibilität), vom Bewegungsapparat (Propriozeption) und von den Eingeweiden (viszerale Sensibilität). Jeweils spezialisierte Rezeptoren vermitteln dabei Mechanorezeption, Thermorezeption, Chemorezeption und Nozizeption (Schmerz). Juckreiz entsteht wahrscheinlich durch Reizung von Nozizeptoren.
Rezeptive Strukturen
Primäre und sekundäre Rezeptorzellen. Reize aktivieren
an Nervenendigungen Kationenkanäle und führen so zur Depolarisation. Bei Erreichen der Schwelle für spannungsabhängige Na+-Kanäle bilden sich weitergeleitete Aktionspotenziale aus (7 Kap. 12.1.1). Primäre Rezeptorzellen leiten die Erregung selbst in Richtung des zentralen Nervensystems. Sekundäre Rezeptorzellen schütten bei Depolarisation einen Transmitter aus, der eine folgende Nervenendigung erregt (7 Kap. 14.4.1). Rezeptorstrukturen. Welche Reize in besonderem Maße die Erregung eines Rezeptors auslösen können, hängt im Wesentlichen vom Bau des Rezeptors ab. Der Tastsinn, beispielsweise, wird durch jeweils spezialisierte Strukturen (Hilfszellen) vermittelt, welche die Nervenendigungen umgeben und wie Filter nur einen Teil der mechanischen Deformierungen übertragen (. Abb. 16.1 und . Tab. 16.1). Durch diese Strukturen und die Eigenschaften der jeweiligen Nervenendigungen wird die Selektivität der »Rezeptoren« für bestimmte mechanische Reize erzielt (7 Kap. 16.2.2).
Submodalitäten und Qualitäten der Hautsensorik. Die Re-
zeptoren auf der Hautoberfläche informieren über die Qualitäten Berührung, Druck und Vibration (Tastsinn), über Wärme und Kälte (Temperatursinn und Thermorezeption) sowie über schädliche Reize (Nozizeption, Juckreiz). Qualitäten der Propriozeption. Rezeptoren der Proprio-
zeption informieren über Lage, Bewegung und Kraft im Bewegungapparat.
16
Qualitäten der viszeralen Sensibilität. Rezeptoren der Viszerozeption informieren über Dehnung von Hohlorganen und Gefäßen, über Konzentrationen von CO2, O2, H+, K+, Ca2+ und Glukose, über Osmolarität und über schädliche Reize.
. Abb. 16.1. Rezeptoren in der Haut
369 16.1 · Funktionelle und morphologische Grundlagen
. Tab. 16.1. Somatosensorische Rezeptoren Rezeptor
wichtigster Reiz
Adaptation
Nerv
Weiterleitung
Druck (fein)
SA I
II
lemniscal
Ruffini
Scherkräfte, Druck
SA II
II
lemniscal
Meissner
Vibration (niederfrequent)
FA I
II
lemniscal
Pacini
Vibration (hochfrequent)
FA II
II
lemniscal
Haarfollikel
Haarbewegungen
FA I
II
lemniscal
freie Nervenendigungen
Druck (grob)
Schnell
III
extralemniscal
freie Nervenendigungen
Kälte (15–35 °C)
Mittel
III, IV
extralemniscal
freie Nervenendigungen
Wärme (30 – 45 °C)
Mittel
IV
extralemniscal
starke mechanische, thermische Reize, H+, K+
langsam
III
lemniscal
Mediatoren, etc
langsam
IV
extralemniscal
Gelenkrezeptoren
Gelenkkapseldehnung
FA und SA
II,III
lemniscal
Golgi-Sehnenorgane
Muskelspannung
langsam,PD
Ib
lemniscal
Muskelspindeln Kernsack
Muskellänge
langsam,PD
Ia
lemniscal
Muskelspindeln Kernketten
Muskellänge
langsam
Ia,II
lemniscal
Mechanorezeptoren Haut Merkel
Thermorezeptoren Haut
Schmerzrezeptoren (Haut, Tiefe, viszeral) freie Nervenendigungen
Tiefensensibilität
Viszerale Sensibilität Mechanorezeptoren
Wandspannung von Hohlorganen
FA und SA
III,IV
extralemniscal
Chemorezeptoren
H+, CO2, O2, K+, Osmolarität, Glukose, Mediatoren
SA
III,IV
extralemniscal
SA I = langsam (slow) adaptierend, kleines, scharf begrenztes rezeptives Feld, SA II = langsam adaptierend, großes, unscharf begrenztes rezeptives Feld, FA I = schnell (fast) adaptierend, kleines, scharf begrenztes rezeptives Feld, FA II = schnell adaptierend, großes, unscharf begrenztes rezeptives Feld, PD = Proportionaldifferentialfühler
Die Sehnenorgane sind in die Sehnen eingebaute Dehnungsrezeptoren, die durch Spannen der Sehne gereizt werden. Die Muskelspindeln sind spezialisierte Muskelfasern, die Dehnungsrezeptoren enthalten und die Muskellänge messen (7 Kap. 15.4.3). Durch efferente Innervierung können kontraktile Elemente in den Muskelspindeln verkürzt und damit die Muskellänge verstellt werden, bei welcher die Muskelspindel erregt wird. Rezeptorpotenzial. Das Potenzial von Rezeptoren bzw. Nervenendigungen ändert sich, wenn ein äußerer Reiz (chemisch, thermisch, mechanisch, optisch) zu einer Aktivierung oder Inaktivierung eines Ionenkanals führt. Je nach Rezeptor sind die zellulären Mechanismen der Regulation sensorischer Ionenkanäle ganz verschieden. Das Er-
gebnis ist meist eine Depolarisation der Zelle. Bei den Photorezeptoren kommt es hingegen bei Lichteinfall zu einer Hyperpolarisation (7 Kap. 17.2.2). Eine Depolarisation wird in der Regel durch die Aktivierung von unspezifischen Kationenkanälen hervorgerufen, durch die Na+, seinem steilen elektrochemischen Gefälle folgend, in die Zelle strömt. Der Einstrom von Na+ erzeugt einen Generatorstrom, der die Zelle depolarisiert (Rezeptorpotenzial). Die Umwandlung eines äußeren Reizes (z. B. mechanischer Reiz) in eine Potenzialänderung (Generatorpotenzial oder Sensorpotenzial) der Rezeptorzelle nennt man Transduktion. Ein überschwelliges Generatorpotenzial erzeugt eine Sequenz von Aktionspotenzialen. Die Übersetzung eines Generatorpotenzials in eine Folge von Aktionspotenzialen nennt man Transformation.
16
370
Kapitel 16 · Somatoviszerale Sensorik
Einfluss der Reizstärke. Die Intensität des Reizes bestimmt die Amplitude der Depolarisation. Führt etwa ein mechanischer Reiz zur Aktivierung von mechanosensitiven Ionenkanälen, dann werden umso mehr Ionenkanäle geöffnet, je stärker der mechanische Reiz ist. Folglich fällt die Depolarisation des Rezeptors umso stärker aus, je größer der Reiz ist. Bei Depolarisation durch Bindung eines Stoffes (Liganden) nimmt das Ausmaß der Depolarisation mit der Konzentration des Liganden zu. Die Empfindung ist jedoch keine reine Abbildung des Rezeptorpotenzials, sondern auch eine Funktion der Reizweiterleitung und -verarbeitung im Nervensystem. Psychophysik. Je empfindlicher ein Rezeptor ist, desto kleiner ist die Reizintensität, die gerade noch ausreicht, um eine Empfindung auszulösen (Reizschwelle, IRo). Zwei Reize verschiedener Intensität können bei der Unterschiedsschwelle gerade noch als unterschiedlich stark empfunden werden. Die Empfindung (E) nimmt in der Regel nicht linear-proportional mit der Intensität (IR) eines Reizes zu, sondern ist im mittleren Bereich in etwa eine Funktion des Logarithmus der Reizstärke (E = log(IR/IRo), Weber-Fechner-Gesetz). Der Unterschied an Lärmempfindung ist zum Beispiel zwischen einem und zwei Motorrädern genauso groß wie zwischen zwei und vier Motorrädern. Über einen weiten Bereich gilt die Stevens-Potenzfunktion:
E = (IR-IRo)n wobei n in Abhängigkeit von der Reizart Werte zwischen 0,33 und 3,5 annehmen kann. Der Wert ist am größten (d. h. die Zunahme der Empfindungsstärke am steilsten) für Schmerz, gefolgt von Druck, Vibration, Lautstärke (Gehör) und Helligkeit (Auge). Einfluss der Reizmodalität. Die Rezeptoren sind nicht ge-
16
genüber verschiedenen mechanischen, thermischen, chemischen oder optischen Reizen gleichermaßen empfindlich, sondern sind in der Regel auf bestimmte Reize spezialisiert. Diese Reize nennt man die adäquaten Reize für den jeweiligen Rezeptor. Die Spezifität der Rezeptoren ist Voraussetzung für die Unterscheidung verschiedener Sinnesmodalitäten (. Tab. 16.1). Der Rezeptor ist zwar durchaus in der Lage, auch auf inadäquate Reize zu reagieren, die Reizintensität muss jedoch vielfach höher sein als bei Angebot eines adäquaten Reizes. Jeder weiß, dass ein Schlag auf das Auge zu Lichtempfindungen (man sieht Sterne) führt, das Auge kann aber mit seiner Empfindlichkeit auf
mechanische Reize mit Mechanorezeptoren nicht konkurrieren. Wird ein Rezeptor jedoch inadäquat gereizt, so ist der Reiz für das Nervensystem von einem adäquaten Reiz nicht mehr zu unterscheiden. Die Sterne bei einem Schlag auf das Auge gleichen daher echten Sternen. Die Spezifität eines Reizes kann im übrigen durch Strukturen unterstützt (oder erst ermöglicht) werden, die den entsprechenden Reiz an den richtigen Rezeptor leiten (Auge, Ohr). Zeitliches und räumliches Auflösungsvermögen. Neben
der Sinnesmodalität und Intensität eines Reizes erhält das Nervensystem auch Informationen über sein zeitliches Auftreten und bei gleichzeitiger Erregung mehrerer Rezeptoren auch über seine räumliche Ausbreitung. Zeitliches und räumliches Auflösungsvermögen sind wesentliche Voraussetzungen für die adäquate Bewertung eines Reizes. Adaptation. Rezeptoren können bei anhaltender Reizung
ihre Empfindlichkeit herabsetzen (7 Kap. 12.6.3). Rezeptoren können nur auf Änderungen der Reizintensität (Differentialfühler), proportional zur Reizstärke (Proportionalfühler) oder auf beides (Proportional-Differentialfühler bzw. PD-Fühler) reagieren (7 Kap. 12.6.3).
16.1.3
Afferente und zentrale Strukturen
! Die Afferenzen erreichen über unterschiedlich schnell leitende Fasern das Rückenmark und werden über Hinterstrang –oder Vorderseitenstrangbahnen zum Thalamus und von dort zur Großhirnrinde weitergeleitet
Verteilung und Afferenzen von Sensortypen. Die Afferen-
zen aus den verschiedenen Sensortypen werden in unterschiedlich schnell leitenden Nervenfasern zum Rückenmark geleitet (. Tab. 16.1). Afferenzen von Mechanorezeptoren der Haut (Berührung, Druck, Vibration) leiten über relativ schnell leitende II (Aβ) Fasern und langsam leitende III (Aδ) und IV (C) Fasern, Afferenzen von Thermorezeptoren über langsam leitende III (Aδ) und IV (C) Fasern, Afferenzen aus Nozizeptoren über langsam leitende III (Aδ) und IV (C) Fasern, Afferenzen aus Propriozeptoren über schnell leitende Ia, Ib und II Fasern und Viszerozeptoren über langsam leitende III (Aδ) und IV (C) Fasern. Am zentralen Ende des Axons löst ein Aktionspotenzial über Aktivierung von spannungsgesteuerten Ca2+-Kanälen den Neurotransmitter Glutamat und die Neuropeptide Substanz P und CGRP (Calcitonin generelated peptide) aus.
371 16.1 · Funktionelle und morphologische Grundlagen
Präsynaptische Hemmung der Weiterleitung. Die Afferenzen stehen unter dem hemmenden Einfluss von GABA, Serotonin, Noradrenalin, endogenen Opioiden und endogenen Cannabinoiden aus deszendierenden und lokalen Fasern. Weiterleitung von Afferenzen. Die Afferenzen aus Mecha-
norezeptoren der Haut und aus Rezeptoren der Tiefensensibilität treten im medialen Teil, die übrigen Afferenzen im lateralen Teil der Hinterwurzel in das Rückenmark ein (. Abb. 16.2). Die Afferenzen dienen teilweise der synaptischen Aktivierung oder Hemmung von α-Motoneuronen und vegetativen Neuronen im Rückenmark. Andererseits leiten Kollateralen der Afferenzen über Hinterstrangbahnen oder Vorderseitenstrangbahnen die Information zu Hirnstamm, Thalamus und Großhirnrinde. Informationen über den Bewegungsapparat werden ferner über spinocerebelläre Bahnen zum Kleinhirn weitergeleitet (. Abb. 16.2).
Hinterstrangbahn (lemniscale Bahn). Afferenzen aus Me-
chanorezeptoren der Haut und von Propriozeptoren werden z. T. ohne Umschaltung über die Hinterstrangbahnen der gleichen Seite zu den Nuclei cuneatus und gracilis in der Medulla oblongata weitergeleitet. Die Axone der Neurone dieser Kerne kreuzen im Lemniscus medialis der Medulla oblongata zur Gegenseite und ziehen dann zum ventrobasalen Komplex des Thalamus. Von dort wird die Erregung zum somatosensorischen Kortex im Gyrus postcentralis (Areae 1, 2, 3) weitergeleitet. Viele der Neurone in den Nuclei gracilis und cuneatus sowie im Thalamus werden bereits durch eine einzige Afferenz erregt (sog. Relaiskerne), es findet also sehr wenig Konvergenz statt und die Afferenzen werden weitgehend unverfälscht weitergegeben. Durch kollaterale Hemmung wird freilich eine Kontrastierung erreicht. Die Afferenzen sind im Verlauf der Hinterstrangbahn streng somatotopisch gegliedert. Afferenzen aus der unteren Körperhälfte liegen in der Hinterstrangbahn medial und projizieren zum Nucleus gracilis, Afferenzen aus der oberen Körperhälfte liegen lateral und projizieren zum Nucleus cuneatus. Ein kleiner Teil der Mechanorezeption (Haarfollikelrezeptoren) wird über den spinozervikalen Trakt weitergeleitet, der im Halsmark umgeschaltet wird und sich dann der lemniscalen Bahn anschließt. Vorderseitenstrangbahn (Tractus spinoreticularis und Tractus spinothalamicus). Afferenzen aus einem Teil der
. Abb. 16.2. Somatosensorische Bahnen. Verlauf der spinozerebellären Bahnen und Hinterstrangbahnen (links), sowie der Vorderseitenstrangbahnen (rechts)
Mechanorezeptoren, Temperaturfühlern und Nozizeptoren steigen ohne Umschaltung über den Lissauer Trakt ein bis zwei Rückenmarksegmente auf oder ab und werden dann im Hinterhorn umgeschaltet (. Abb. 16.2). Die Axone der zweiten Neurone kreuzen auf die Gegenseite und ziehen dann über den Vorderseitenstrang nach oben. Ein Teil des Vorderseitenstrangs schließt sich in der Medulla oblongata der lemniscalen Bahn an und projiziert teilweise zum ventrobasalen Komplex, teilweise zum posterioren Kern des Thalamus (Mechanorezeption, heller Schmerz). Die neospinothalamische Bahn vermittelt die Weiterleitung des hellen Schmerzes und der lokalisierten Temperaturwahrnehmung. Die übrigen Afferenzen werden über die paläospinothalamische Bahn und die spinoretikuläre Bahn weitergeleitet. Durch mehrfache Umschaltung, Konvergenz und Divergenz in spinoretikulärer und z. T. in spinothalamischer Bahn geht die zeitliche und räumliche Schärfe der Afferenzen verloren, die Afferenzen der Thermorezeptoren können daher schlecht lokalisiert werden. Durch Verbin-
16
372
Kapitel 16 · Somatoviszerale Sensorik
dungen zu Formatio reticularis, Hypothalamus (Tractus spinohypothalamicus) und limbischem System üben sie jedoch einen besonders intensiven Einfluss auf Motorik, vegetative Funktionen und Emotionen aus. Thalamus. Der Thalamus ist die wichtigste Umschaltstelle zwischen subkortikalen Strukturen und der Großhirnrinde. Er wird als »Tor zum Bewusstsein« bezeichnet. Außer dem Geruchsinn werden alle sensorischen Afferenzen in jeweils spezifischen Kerngebieten des Thalamus umgeschalten (. Tab. 16.2 und . Abb. 16.3). Darüber hinaus ist der Thalamus wichtigste Umschaltstelle zwischen verschiedenen Anteilen der Großhirnrinde. Die spezifischen thalamokortikalen Systeme dienen jeweils spezifischen Leistungen. Die spezifischen somatosensorischen Afferenzen aus der lemniscalen Bahn werden im ventrobasalen Komplex (Nucleus ventralis posterior) umgeschalten, die Afferenzen aus dem Auge im Corpus geniculatum laterale und die Afferenzen aus dem Ohr im Corpus geniculatum mediale. Diese spezifischen Bahnen sind jeweils somatotopisch fein gegliedert und vermitteln ein getreues Abbild der Sinneseindrücke. Sie projizieren hauptsächlich in die jeweils spezifischen Kortexareale, wie primärer somatosensorischer Kortex, primäre Sehrinde und primäre Hörrinde. Die Nuclei ventralis anterior und ventralis lateralis dienen der Durchführung von Zielmotorik (7 Kap. 15.1). Der Pulvinar thalami ist wichtige Um-
. Abb. 16.3. Die Kerne des Thalamus und ihre Verbindungen (. Tab. 16.2). A = Nucleus anterior, CM = Centrum medianum, DM und DL = Nucleus dorsomedialis und dorsolateralis, GM und GL = Geniculatum mediale und laterale, IL = intralaminare Kerne, LP = Nucleus lateralis posterior, Pu = Pulvinar, VA und VL = Nuclei ventroanterioris und ventrolateralis, VPM und VPL = Nuclei ventroposterior medialis und lateralis (nach Kelly aus Kandel et al.)
. Tab. 16.2. Die wichtigsten Kernareale im Thalamus und ihre Verbindungen
16
Kerne
Afferenzen
Projektionen
Funktion
Nucleus ventralis anterior
Basalganglien
Motorkortex
Motorik
Nucleus ventralis lateralis
Kleinhirn
Motorkortex
Motorik
Nucleus ventroposterior medialis
Somatosensorischer Kortex
Trigeminuskerne
Somatosensorik Gesicht
Nucleus ventroposterior lateralis
Lemniscus medialis
Somatosensorischer Kortex
Somatosensorik Körper
Corpus geniculatum laterale
Nervus opticus
Sehrinde
Gesichtsinn
Corpus geniculatum mediale
untere Vierhügel
Hörrinde
Gehör
Pulvinar, Nucleus lateralis posterior
obere Vierhügel, temporale, parietale occipitale Rinde
temporale, parietale, occipitale Rinde
Integration sensorischer Information
Nucleus anterior
Corpora mammillaria
Gyrus cinguli
Emotionen
Nucleus dorsomedialis
Corpora amygdaloidea, Hypothalamus
präfrontale Rinde
Emotionen
Nucleus dorsolateralis
Gyrus cinguli
Gyrus cinguli
Emotionen
Centrum medianum,
Formatio reticularis
Basalganglien,
Emotionen, Vigilanz,
intralaminare Kerne etc.
Tractus spinothalamicus, Globus pallidus, Kortex
Kortex
Bewusstsein
373 16.1 · Funktionelle und morphologische Grundlagen
schaltstelle für integrative Leistungen des Gehirns, wie etwa die Sprache (7 Kap. 18.5). Er projiziert zu verschiedenen Assoziationsarealen der Großhirnrinde (7 20.1.1). Demgegenüber vermittelt das generalisierte thalamokortikale System wenig spezifische Erregungen. Zu diesem System gehört die Massa intermedia, und die Nuclei centromedianus, parafascicularis, anteroventralis und anterodorsalis. Es wird u. a. aus der Formatio reticularis aktiviert (sog. aufsteigendes retikuläres aktivierendes System, ARAS) und ist für Vigilanz, Schlaf-Wach-Rhythmus und für die Regulation von Emotionen und Motivation bedeutsam. Ohne hinreichende Aktivierung des generalisierten thalamokortikalen Systems ist eine bewusste Wahrnehmung von spezifischen Sinneseindrücken nicht möglich. Ausschaltung des generalisierten thalamokortikalen Systems führt zur Bewusstlosigkeit (7 Kap. 20.2.2). Großhirnrinde. Neurone des Thalamus projizieren zum pri-
mären somatosensorischen Kortex (SI) im Gyrus postcentralis. Der Gyrus postcentralis ist streng somatotopisch gegliedert. An seiner Oberfläche lässt sich ein Homunculus abbilden. Dabei nehmen Finger, Mundregion und Zunge jeweils besonders große Areale ein, da diese Körperteile besonders viele (kleine, eng umgrenzte) rezeptive Felder aufweisen. Parallel zur somatotopischen Gliederung liegt auch eine Gliederung nach Sinnesmodalitäten vor (. Abb. 16.4). Neurone, die Afferenzen gleicher Modalität aus der gleichen Körperregion erhalten und verarbeiten, sind in Säulen übereinander angeordnet. Neurone unterschiedlicher Modalität, jedoch gleicher Körperregion liegen nebeneinander auf gleicher Höhe. Aus dem primären Kortex werden die Informationen in sekundäre sensorische Hirnareale überspielt, wo eine Analyse der Sinneseindrücke vorgenommen wird. Hier konvergieren verschiedene Modalitäten und die Gesamtheit der Sinneseindrücke wird interpretiert. Auf diese Weise entstehen Wiedererkennen und Verstehen von Sinneseindrücken (7 Kap. 20.2.3). Der sekundäre sensorische Kortex liegt posterior vom primären somatosensorischen Kortex, wobei die jeweiligen Areale für das Gesicht direkt nebeneinander liegen. Er erhält Informationen aus beiden Körperhälften und ist weniger streng somatotopisch organisiert als der primäre sensorische Kortex. Er hat Verbindungen zu den Amygdala (emotionale Bewertung von Sinneseindrücken) und zum Hippokampus (Gedächtnis).
. Abb. 16.4. Topographische Organisation der sensorischen Rinde. Homunculus und Aufteilung nach Modalitäten: Area 1: Mechanorezeption Haut FA; Area 2: Gelenke; Area 3a: Muskel, 3b: Mechanorezeption Haut SA,FA (nach Penfield und Rasmussen)
Der posteriore Parietallappen erzeugt v. a. eine räumliche Dimension. Der Körper als räumliche Struktur wird in den äußeren Raum eingeordnet. Hierbei spielt die Integration visueller, propriozeptiver und somästhetischer Information eine Rolle. Läsionen in diesem Areal führen zum Hemineglekt, dem Ignorieren der kontralateralen Körperhälfte und seiner Umgebung. Thermorezeption, Nozizeption und Viszerozeption projizieren u. a. in die Inselrinde, die wiederum in das limbische System projiziert und damit eine wesentliche Rolle bei der Steuerung von Emotionen spielt. Kontrolle der spinalen synaptischen Übertragung. Die
Weiterleitung der Sinneseindrücke kann an jeder Umschaltstelle modifiziert werden. Über deszendierende Bahnen beeinflusst beispielsweise der Kortex die Weiterleitung im Thalamus und die Weiterleitung der Afferenzen in den Nuclei gracilis und cuneatus, also der ersten Umschaltstelle der lemniscalen Bahn. Die deszendierenden Bahnen können zur Kontrastverschärfung beitragen. Besondere Bedeutung erlangen Mechanismen, die eine Weiterleitung von Schmerzafferenzen hemmen (7 Kap. 16.6.6).
16
374
Kapitel 16 · Somatoviszerale Sensorik
In Kürze
Funktionelle und morphologische Grundlagen Einteilung, Modalitäten und Qualitäten 4 Sinnesmodalitäten: Oberflächensensibilität, Propriozeption, viszerale Sensibilität; Mechanorezeption, Thermorezeption Chemorezeption, Nozizeption (inkl. Juckreiz) 4 Qualitäten (Submodalitäten) Haut: Berührung, Druck und Vibration (Tastsinn), Wärme und Kälte (Temperatursinn) schädliche Reize (Nozizeption, Juckreiz) 4 Qualitäten Propriozeption: Lage, Bewegung und Kraft im Bewegungapparat. 4 Qualitäten viszerale Sensibilität: Dehnung Hohlorgane, Gefäße; CO2-, O2-, H+-, K+-, Ca2+-, Glukosekonzentrationen; Osmolarität; schädliche Reize
4
4
4 Rezeptive Strukturen 4 Primäre (leiten Erregung selbst) sekundäre Rezeptorzellen (Ausschüttung Transmitter o Erregung Nervenendigung) 4 Hilfszellen umgeben Nervenendigungen, wirken wie Filtero Selektivität 4 Reiz (chemisch, thermisch, mechanisch, optisch) o meist Aktivierung von unspezifischen Kationenkanälen [Ausnahme Auge (7 Kap. 17.2.2)] o Na+-Einstrom o Depolarisation o Rezeptorpotenzial (Transduktion) o Sequenz von Aktionspotenzialen (Transformation) 4 Reizstärke o Amplitude der Depolarisation o Aktionspotenzialfrequenz 4 Psychophysik: Reizintensität, die gerade noch eine Empfindung auszulöst = Reizschwelle, IRo 4 Zwei gerade noch unterschiedlich wahrgenommene Reize = Unterschiedsschwelle 4 Zeitliches und räumliches Auflösungsvermögen 4 Empfindung E ~ log(IR/IRo) (Weber-Fechner-Gesetz); E ~ (IR-IRo)n (Stevens-Potenzfunktion) 4 Adäquater Reiz = geringe Reizenergie o Erregung 4 Proportionalfühler: E ~ R; Differentialfühler: E ~ ∆R/∆t; PD-Fühler: E ~ (R + ∆R/∆t)
16
Afferente und zentrale Strukturen 4 Weiterleitung: Mechanorezeptoren Haut (Berührung, Druck, Vibration) o II (Aβ), III (Aδ), IV (C); Thermorezeptoren o III (Aδ) und IV (C) Fasern; Nozizeptoren 6
4 4
4
4
o III (Aδ), IV (C); Propriozeptoren o Ia, Ib, II; Viszerozeptoren o III (Aδ), IV (C) Transmitter erste Synapse Rückenmark: Glutamat, Substanz P, CGRP (calcitonin gene related peptide); präsynaptische Hemmung der Weiterleitung: GABA, Serotonin, Noradrenalin, endogene Opioide, endogene Cannabinoide Mechanorezeptoren Haut, Propriozeptoren o (z. T. ohne Umschaltung) o ipsilaterale Hinterstrangbahn o Nuclei cuneatus, gracilis o Kreuzung im Lemniscus medialis Medulla oblongata o ventrobasaler Komplex Thalamus o somatosensorischer Kortex Gyrus postcentralis (Areae 1, 2, 3) Lemniscale Bahn wenig Konvergenz (unverfälschte Weitergabe), Kontrastierung (kollaterale Hemmung), somatotopische Gliederung (Afferenzen untere Körperhälfte o mediale Hinterstrangbahn o Nucleus gracilis, Afferenzen obere Körperhälfte o lateral o Nucleus cuneatus) Haarfollikelrezeptoren o spinozervikaler Trakt o Umschaltung Halsmark o lemniscale Bahn Mechanorezeptoren, Temperaturfühler, Nozizeptoren o (ohne Umschaltung) o Lissauer Trakt o Umschaltung im Hinterhorn o Kreuzung auf Gegenseite o Vorderseitenstrang o teilweise lemniscale Bahn [Mechanorezeption, heller Schmerz, lokalisierte Temperaturwahrnehmung] o ventrobasaler Komplex + posteriorer Kern Thalamus, neospinothalamische Bahn), teilweise extralemniskal (o Formation reticularis, spinoretikuläre Bahn, Thalamus, paläospinothalamische Bahn) Mehrfache Umschaltung [Konvergenz, Divergenz] in spinoretikulärer und z. T. in spinothalamischer Bahn o zeitliche und räumliche Schärfe der Afferenzen p; Verbindungen zu Formatio reticularis [Motorik], Hypothalamus [vegetative Funktionen], limbisches System [Emotionen] Spezifische thalamokortikale Systeme. Lemniscale Bahn o ventrobasaler Komplex, Nucleus ventralis posterior o somatosensorischer Kortex; Auge o Corpus geniculatum laterale o primäre Sehrinde; Ohr o Corpus geniculatum mediale o primäre Hörrinde; Motorkortex o Nuclei ventralis anterior und ventralis latera-
375 16.2 · Tastsinn
lis o Kleinhirn, Basalganglien; Pulvinar thalami Sprache (getreue Übertragung von Information) 4 Generalisiertes thalamokortikales System: aufsteigendes retikuläres aktivierendes System, ARAS o Massa intermedia, Nuclei centromedianus, parafascicularis, anteroventralis und anterodorsalis (Vigilanz, Schlaf-Wach-Rhythmus, Emotionen, Motivation); Ausfall o Bewusstlosigkeit 4 Thalamus o primärer somatosensorischer Kortex (SI) (Gyrus postcentralis, Gliederung somatotopisch [Homunculus] und nach Sinnesmodalitäten [Säulen, Neurone unterschiedlicher Modalität, jedoch gleicher Körperregion nebeneinander auf gleicher
16.2
Tastsinn
16.2.1
Qualitäten
! Mechanorezeptoren der Haut bilden die periphere Grundlage für den Tastsinn. Sie informieren über Berührung, Druck und Vibration. Gemeinsam mit dem Temperatursinn und dem Schmerz bilden sie die Oberflächensensibilität
Berührung, Druck. Mechanische Deformierung der Hautoberfläche und damit von Rezeptoren in der Haut werden als Berührung oder Druck wahrgenommen. Die Empfindlichkeit für Berührung kann klinisch durch einen Wattebausch getestet werden. Vibration. Oszillierende Deformierungen der Hautoberflä-
che werden durch spezialisierte Rezeptoren wahrgenommen, die durch Frequenzen von 3 bis über 300 Hz erregt werden. Vibrationsempfindung kann klinisch durch aufgesetzte Stimmgabeln getestet werden.
16.2.2
Eigenschaften der Rezeptoren
! Rezeptoren des Tastsinns unterscheiden sich in Ansprechbarkeit, Adaptation und Größe von rezeptiven Feldern
Strukturen, Ansprechbarkeit. Die unterschiedlichen Re-
zeptoren des Tastsinns unterscheiden sich in den beteiligten Strukturen, welche die Eigenschaften der Rezeptoren
Höhe]) o sekundäre sensorische Hirnareale (posterior vom primären somatosensorischen Kortex; Analyse Sinneseindrücke, Interpretation der Gesamtheit der Sinneseindrücke o Wiedererkennen, Verstehen) oAmygdala (emotionale Bewertung), Hippokampus (Gedächtnis) 4 posteriore Parietallappen o räumliche Einordnung; Läsionen o Hemineglekt 4 Thermorezeption, Nozizeption,Viszerozeption o Inselrinde o limbische System (Emotionen) 4 Deszendierende Bahnen (Kortex o Thalamus, Nuclei gracilis, cuneatus) o Kontrastverschärfung, Hemmung Weiterleitung (Schmerzafferenzen)
wesentlich beeinflussen (. Abb. 16.1 und . Tab. 16.1). Es werden schnell adaptierende (FA = fast adapting) von langsam adaptierenden (SA = slowly adapting) Rezeptoren unterschieden (Differentialfühler und Proportionalfühler, . Abb. 12.9). Die Ansprechbarkeit der Rezeptoren wird durch den anatomischen Bau entscheidend beeinflusst. So reagiert nach Entfernen der Korpuskeln von den schnell adaptierenden Pacini-Körperchen der Rezeptorrest tonisch. Darüber hinaus unterscheiden sich die Rezeptoren bzw. ihre Verschaltung im zentralen Nervensystem in der Größe ihrer rezeptiven Felder (I oder II), d. h. in der Größe des Hautareals, dessen Reizung Aktionspotenziale in der versorgenden Nervenfaser auslöst. Kleine, scharf begrenzte rezeptive Felder garantieren eine hohe räumliche Auflösung mechanischer Reize (FA I bzw. SA I). Große rezeptive Felder erlauben nur eine grobe räumliche Zuordnung des Reizes (FA II bzw. SA II). Im Einzelnen werden folgende Mechanorezeptoren unterschieden (. Abb. 16.1, . Tab. 16.1): Die Merkel-Zellen sind Gruppen von ca. 40 spezialisierten Epithelzellen. Ihre Nervenendigungen sind langsam adaptierend und für senkrecht auf die Haut wirkende Kräfte besonders empfindlich, ihre rezeptiven Felder sind klein (SA I). Sie vermitteln in erster Linie die Empfindung für Berührung und Druck. Die Ruffini-Körperchen enthalten einen von einer Bindegewebskapsel umgebenen flüssigkeitsgefüllten Raum. Ihre Nervenendigungen sind langsam adaptierend, ihre rezeptiven Felder groß (SA II). Ihre Nervenendigungen werden am stärksten bei Einwirken von Scherkräften gereizt.
16
376
Kapitel 16 · Somatoviszerale Sensorik
Sie vermitteln die Empfindung von Spannung, Berührung und Druck. Die Meissner-Körperchen sind, von einer Bindegewebskapsel umgebene, scheibenförmige Schwann-Zellen, in die schnell adaptierende Nervenendigungen münden. Sie werden durch (niederfrequente) Vibrationen am besten gereizt. Ihre rezeptiven Felder sind klein (FA I). Sie vermitteln die Empfindung von Berührung und Vibration (. Abb. 16.5). Die Pacini-Körperchen bestehen aus mehreren Schichten von äußeren Bindegewebszellen und inneren SchwannZellen. Ihre Nervenendigungen adaptieren extrem schnell, die Pacini-Körperchen sprechen daher auf hochfrequente Vibrationen am besten an, ihre rezeptiven Felder sind groß (FA II). Sie vermitteln die Empfindung von Berührung und Vibration (. Abb. 16.5). Die Haarfollikel-Rezeptoren umgeben die Haarfollikel und werden bei Bewegung der Haare gereizt. Die Haarfollikel sind schnell adaptierend, sie nehmen die Bewegung eines einzelnen Haares wahr (FA I).
16.2.3
Funktionelle Organisation
! Mechanorezeptoren sind ungleich über die Haut verteilt. Dementsprechend unterscheiden sich die rezeptiven Felder
Verteilung von Mechanorezeptoren auf der Körperoberfläche. Mechanorezeptoren sind nicht gleichmäßig über die
Körperoberfläche verteilt. Die Rezeptorendichte ist am größten an den Fingerspitzen > Lippen > Wangen > Handfläche = Zehen > Stirn = Sohle > Arme = Beine = Rumpf. Entsprechend sind die rezeptiven Felder an den Fingerspitzen am kleinsten, am Rumpf am größten. Die Größe des rezeptiven Feldes kann ermittelt werden, indem zwei Punkte auf der Hautoberfläche gereizt werden. Werden sie als getrennt erkannt, gehören sie zu unterschiedlichen Feldern. Bei kleinem rezeptiven Feld können z. B. zwei 5 mm voneinander entfernte mechanische Reize als noch getrennt wahrgenommen werden. Die »Zweipunkt-Schwelle« hängt neben dem Rezeptortyp auch von der Dichte der Rezeptoren ab. Bei gleichzeitiger Reizung (simultan) ist das räumliche und zeitliche Auflösungsvermögen schlechter und die Zweipunktschwelle größer als bei sukzessiver Reizung. Frequenzoptimum von Vibrationsensoren. Bei Vibrationen ist die Schwelle bei etwa 20 Hz für die Merkel-Zellen und bei etwa 200 Hz für die Pacini-Körperchen am niedrigsten. Bedeutung von Mechanosensoren. Die Mechanorezeption
diente in der Evolution u. a. der Wahrnehmung von Feinden. Durch niederfrequente Vibrationen des Bodens kann das Nahen von großen Tieren, durch hochfrequente Vibrationen und Berührung (Kitzel) die Landung von Stechmücken auf der Hautoberfläche erkannt werden
16.2.4
Besonderheiten des Tastsinnes der Hand
! Die Fingerspitzen weisen die höchste Rezeptorendichte auf. Damit wird Begreifen möglich
Verteilung der Sensortypen. Die Dichte von Mechano-
16 . Abb. 16.5. Vibrationsempfindlichkeit von Mechanorezeptoren. Oben: Frequenzabhängigkeit der Wahrnehmungsschwelle von Meissner- und Pacini-Körperchen (am Affen). Unten: Aktionspotenziale in verschiedenen Mechanorezeptoren bei einem rampenförmigen Reiz
rezeptoren auf der Handoberfläche ist besonders groß (7 Kap. 16.3.2). Dabei sind die rezeptiven Felder der oberflächlich gelegenen Merkel-Zellen und MeissnerKörperchen wesentlich kleiner als die rezeptiven Felder
377 16.3 · Temperatursinn
der tiefer gelegenen Ruffini- und Pacini-Körperchen. An den Fingerspitzen ist die Rezeptorendichte höher als an der Handfläche. Zentrale Repräsentation. Afferenzen aus der Hand neh-
men im Thalamus und Gyrus postcentralis ein relativ gro-
ßes Areal ein. Gleichzeitig sind die rezeptiven Felder auf der Handoberfläche besonders klein. Bei Afferenzen aus der Hand ist die räumliche Auflösung besonders gut und die Übertragungssicherheit im ZNS besonders hoch. Daher kann man begreifend Strukturen von Gegenständen auflösen.
In Kürze
Tastsinn Qualitäten 4 Berührung, Druck, Vibration Eigenschaften der Rezeptoren 4 Schnell adaptierend (FA = fast adapting), langsam adaptierend (SA = slowly adapting), Größe rezeptiver Felder (I oder II) 4 Merkel-Zellen: ≈40 Epithelzellen (SA I), Berührung, Druck, Vibration (Frequenzoptimum 20 Hz); RuffiniKörperchen: Bindegewebskapsel mit flüssigkeitsgefülltem Raum (SA II). Spannung, Berührung, Druck; Meissner-Körperchen: Bindegewebskapsel scheibenförmige Schwann-Zellen (FA I), Berührung, Vibration;
16.3
Temperatursinn
16.3.1
Warm-/Kaltsensoren, afferente Bahnen und zentralnervöse Projektionen
! Thermorezeptoren sind ungleich über die Körperoberfläche verteilt. Die räumliche Auflösung geht bei der Weiterleitung zum Gehirn zum großen Teil verloren
Rezeptoren. Temperaturrezeptoren sind freie Nervenendigungen (Primäre Rezeptoren), die mit temperaturempfindlichen Kationenkanälen ausgestattet sind (. Tab. 16.1). Die Nervenzelle sitzt im Spinalganglion. Die afferenten Fasern sind langsam leitend (. Tab. 16.1). Ausgehend von einer Indifferenztemperatur von 30 °C führt Abkühlung zu einer Erregung von Kaltrezeptoren, Erwärmung zur Aktivierung von Warmrezeptoren. Bei Erwärmung über 45 °C sinkt jedoch die Aktivität der Warmrezeptoren und bei Abkühlung unter 20 °C die Aktivität der Kaltrezeptoren wieder ab (. Abb. 16.6). Die Kaltrezeptoren liegen in der Haut oberflächlicher als die Warmrezeptoren. Bei Erhitzen über 45 °C kommt es zu paradoxer Aktivierung der Kaltrezeptoren.
Pacini-Körperchen: Mehrere Schichten Bindegewebszellen und Schwann-Zellen (FA II), Berührung, Vibration (Frequenzoptimum 200 Hz); Haarfollikel-Rezeptoren: Haarfollikel (FA I), Haarauslenkung Funktionelle Organisation 4 Rezeptorendichte Fingerspitzen > Lippen > Wangen > Handfläche = Zehen > Stirn = Sohle > Arme = Beine = Rumpf; Testung durch »Zweipunkt-Schwelle« Besonderheiten des Tastsinnes der Hand 4 Rezeptordichte n, zentrale Repräsentation n o räumliche Auflösung n, Übertragungssicherheit n
Verteilung Hautoberfläche. Sowohl die Warm- als auch die
Kaltrezeptoren sind ungleichmäßig über die Hautoberfläche verteilt. Ihre Dichte ist im Gesichtsbereich am größten und am Oberkörper dichter als am Unterbauch. In den Extremitäten ist die Dichte sehr gering. Diese Verteilung ist sinnvoll, da bei Kälte die Hautdurchblutung der Extremitäten stark gedrosselt wird und daher die Temperatur der Hautoberfläche stark absinkt (7 Kap. 8.2.4). Die peripheren rezeptiven Felder sind entsprechend im Gesichtsbereich am kleinsten. Proportional-Differentialverhalten. Die Temperatur-
fühler sind klassische PD-Fühler, die bei Änderungen der Temperatur zunächst überschießend reagieren (. Abb. 12.9). Aufsteigende Bahnen. Afferenzen aus Temperaturfühlern
gelangen über den Lissauer Trakt zum zweiten Neuron (7 Kap. 16.1.3) im Hinterhorn (. Abb. 16.2). Die Axone der zweiten Neurone kreuzen auf die Gegenseite und ziehen dann über den Vorderseitenstrang zum Hirnstamm. Dabei geht die zeitliche und räumliche Schärfe der Afferenzen z. T. verloren (7 Kap. 16.1.3). Über Verbindungen zu For-
16
378
Kapitel 16 · Somatoviszerale Sensorik
16.3.2
Funktionelle Organisation des Warm/ Kaltsinnes
! Die Temperaturempfindlichkeit von Thermorezeptoren ist variabel
Warm- und Kaltempfindung. Die Warm- und Kaltempfin-
dung entsteht durch zentralnervöse Verrechnung von Afferenzen aus beiden Rezeptortypen (Warm- und Kaltrezeptoren). Eine konstant bleibende Temperatur von 30 bis 35 °C löst keine Warm-Kalt-Empfindung aus (Indifferenztemperatur). Allerdings wird auch in diesem Bereich eine Änderung der Temperatur wahrgenommen. Die Empfindlichkeit für Temperaturänderungen ist eine Funktion der Temperatur. So reagieren z. B. bei Kälte die Kaltrezeptoren empfindlicher auf Änderungen der Temperatur als bei Wärme. Wird eine große Hautfläche erwärmt oder abgekühlt, dann wird die Temperaturänderung schneller wahrgenommen als bei Erwärmung oder Abkühlen einer kleinen Hautfläche. Ferner nimmt die Empfindlichkeit der Rezeptoren mit der Geschwindigkeit der Temperaturänderung zu. Das räumliche Auflösungsvermögen der Temperaturrezeption ist im Gesichtsbereich und am Oberkörper am besten (7 Kap. 16.3.1). Thermorezeptoren sind PD-Fühler (7 Kap. 16.3.1). Längere Exposition kann die Kältetoleranz steigern (Habituation, 7 Kap. 8.2.5). . Abb. 16.6. Aktivität von Kaltrezeptoren (blau) und Warmrezeptoren (rot) in Abhängigkeit von der Temperatur. Oben: Erregung bei unterschiedlicher Dauertemperatur. Unten: Ansprechen auf einen plötzlichen Temperatursprung
Beziehung zur Thermoregulation. Die Warm-Kalt-Empfindung dient der Thermoregulation, wie an anderer Stelle weiter ausgeführt wird (7 Kap. 8.2.4). In Kürze
Temperatursinn
16
matio reticularis (tractus spinoreticularis), Hypothalamus (Tractus spinohypothalamicus) und limbisches System beeinflussen sie Motorik, vegetative Funktionen und Emotionen (7 Kap. 16.1.3). Die Verbindung zum Hypothalamus ist besonders für die Regulation der Körpertemperatur bedeutsam (7 Kap. 14.3.4). Über den Thalamus erreicht die Information die Großhirnrinde, wobei insbesondere Verbindungen zur Inselrinde bestehen (7 Kap. 16.1.3). Thermosensitive Neurone sind jedoch in der Rinde relativ selten und die rezeptiven Felder entsprechend groß. Dabei werden auch Neurone gefunden, die nur bei Änderungen der Temperatur ansprechen (komplexe Neurone).
Warm-/Kaltsensoren, afferente Bahnen und zentralnervöse Projektionen 4 Freie Nervenendigungen (Primäre Rezeptoren) temperaturempfindliche Kationenkanäle (PD-Fühler), Indifferenztemperatur = 30 °C; Abkühlung bis 20 °C o Kaltrezeptoren n; Erwärmung bis 45 ° o Warmrezeptoren n; Kaltrezeptoren oberflächlicher als Warmrezeptoren. > 45 °C o Kaltrezeptoren n (Kälteparadoxon!) 4 Rezeptordichte: Gesichtsbereich > Oberkörper > Unterbauch >>> Extremitäten 4 Aufsteigende Bahnen: Neospinothalamische, spinoretikuläre, paläospinothalamische Bahn 6
379 16.4 · Tiefensensibilität
Funktionelle Organisation des Warm-/Kaltsinnes 4 Warm- und Kaltempfindung o zentralnervöse Verrechnung Warm- + Kaltrezeptoren (30–35 °C = Indifferenztemperatur); Längere Kälteexposition o Habituation
16.4
Tiefensensibilität
16.4.1
Funktionelle Organisation
Kortex weitergeleitet. Propriozeptive Afferenzen informieren ferner über spinozerebellare Bahnen das Kleinhirn (7 Kap. 15.7).
16.4.2
Biologische Bedeutung der Tiefensensibilität
! Propriozeption ist für die unwillkürliche Aufrechterhaltung der Körperstellung und für die kontrollierte Durchführung von Bewegungen erforderlich
Körperstellung. Dehnungsrezeptoren in Muskeln (Muskel! Die Propriozeption informiert über Lage, Bewegung und Kraft
Sensoren. In den Gelenkkapseln und perikapsulären Fas-
zien liegen schnell (FA) oder langsam (SA) adaptierende Mechanorezeptoren, die v. a. bei Extremstellungen der Gelenke aktiviert werden. Dehnungsrezeptoren in Sehnen (Golgi-Sehnenorgane, 7 Kap. 15.4.4) informieren über die Muskelspannung und Dehnungsrezeptoren in Muskelspindeln (7 Kap. 15.4.3) über die Muskellänge. Die jeweiligen Afferenzen sind die besonders schnell leitenden Ia Fasern für die Muskelspindeln und Ib Fasern für die Golgi-Sehnenorgane sowie die schnell leitenden II Fasern für die sekundären Muskelspindeln und die Gelenkrezeptoren. Sinnesqualitäten. Die Länge der Muskeln eines Gelenkes bestimmt die Gelenkstellung. In der Gesamtheit informiert die Propriozeption über Lage des Körpers, Bewegungen und Kraftentwicklung. Sie ermöglicht beispielsweise über die Muskelspannung der Haltemuskulatur eine Abschätzung des Gewichtes eines in der Hand gehaltenen Gegenstandes.
spindeln, Sehnen, Sehnenorganen) und Gelenkkapseln vermitteln Informationen über die Funktion des Bewegungsapparates bzw. die Stellung der Gelenke. Ohne Propriozeption ist das Körpergleichgewicht selbst unter visueller Kontrolle und willkürlicher Steuerung nur schwer möglich. Kontrolle der Motorik. Rezeptoren in Muskelspindeln und
Sehnen spielen eine entscheidende Rolle bei der Kontrolle von Muskeltonus und Bewegung. Die Funktion von Muskelspindeln (7 Kap. 15.4.3) und Sehnenrezeptoren (7 Kap. 15.4.4) wird an anderer Stelle ausgeführt. In Kürze
Tiefensensibilität Funktionelle Organisation 4 Gelenkstellung o Mechanorezeptoren in Gelenkkapseln, perikapsuläre Faszien o II 4 Muskelspannung o Dehnungsrezeptoren in Sehnen (Golgi-Sehnenorgane) o Ib 4 Muskellänge o Muskelspindeln o Ia, II 4 Propriozeptive Afferenzen (o Reflexe) o Hinterstrangbahnen o Lemniscus medialis o Thalamus o somatosensorischer Kortex; spinozerebellare Bahnen o Kleinhirn
Arbeitsbereicheinstellung. Die Muskelspindeln stehen
unter der Kontrolle von efferenten Fasern aus γ-Motoneuronen, durch die ihre Empfindlichkeit verstellt werden kann, wie an anderer Stelle ausgeführt wird (7 Kap. 15.4.3). Zentrale Bahnen. Propriozeptive Afferenzen regulieren
über Reflexe die Aktivität des gleichen und anderer Muskeln (7 Kap. 15.4.3). Sie werden andererseits über die Hinterstrangbahnen, den Lemniscus medialis und den Thalamus zur Area 3a und 2 des primären somatosensorischen
Biologische Bedeutung der Tiefensensibilität 4 Information über Lage des Körpers, Bewegungen und Kraftentwicklung o u. a. Gleichgewicht, Kontrolle Motorik
16
380
Kapitel 16 · Somatoviszerale Sensorik
16.5
Viszerale Sensorik
16.5.1
Periphere und zentrale Sensoren
! Die viszerale Sensibilität umfasst Chemorezeptoren, Baro- und Dehnungsrezeptoren, Nozizeptoren und Irritationssensoren. Sie dienen der Regulation vegetativer Funktionen
Chemorezeptoren. Viszerale Chemorezeptoren liefern In-
formationen über die Osmolarität, über Glukose-, O2-, CO2-, pH-, K+- und Ca2+-Konzentrationen. Rezeptoren der Glomera aortica und carotica messen pH, CO2 und O2 (7 Kap. 5.8.1). Die H+-Konzentration wird auch in der Medulla oblongata gemessen (7 Kap. 5.8.1). Da CO2 die BlutHirn-Schranke schneller überwindet als H+ oder HCO3–, reagieren die Rezeptoren in der Medulla oblongata vor allem auf Änderungen der CO2-Konzentration im Blut (7 Kap. 5.8.1.).
Bedeutung von viszeralen Rezeptoren. Die Pressorezeptoren dienen der Blutdruckregulation (7 Kap. 4.2) sowie Dehnungsrezeptoren im Niederdrucksystem (Herzvorhöfe) der Regulation des Blutvolumens (7 Kap. 10.2.1). Dehnungsrezeptoren in der Blase lösen Harndrang aus und gewährleisten damit die zeitgerechte Blasenentleerung (7 Kap. 14.3.2). Dehnungsrezeptoren im Darm erzeugen Stuhldrang und dienen der Regulation gastrointestinaler Motorik (7 Kap. 7.2.1, 7 Kap. 7.2.3, 7 Kap. 7.2.5) inklusive Erbrechen (7 Kap. 7.2.4) und Defäkation (7 Kap. 7.2.1). Dehnungsrezeptoren in der Lunge beeinflussen die Atemtätigkeit (7 Kap. 5.8.1).
16.5.2
Viszerale Sensibilität
! Afferenzen führen über spinale Nerven und den Nervus vagus letztlich zur Inselrinde. Sie sind in die Steuerung und reflektorische Regulation vegetativer Funktionen eingebunden
Barorezeptoren. Barorezeptoren im Hochdrucksystem des
Kreislaufes (Carotissinus, Aorta) dienen der Messung des Blutdruckes (7 Kap. 4.2.1). Ihre Afferenzen werden über die Nervi vagus und glossopharyngeus geleitet. Barorezeptoren in der linken Herzkammer schützen vor Überdehnung (7 Kap. 4.2.1). Dehnungsrezeptoren. Mechanorezeptoren in der Wand
verschiedener Hohlorgane (Blase, Magen, Darm, Vorhöfe des Herzens, etc.) werden bei passiver Dehnung und bei Kontraktion der Muskulatur gereizt. Die Rezeptoren werden somit bei zunehmender Wandspannung erregt.
Afferenzen und zentrale Projektion. Afferenzen viszeraler
Schmerzen führen im Wesentlichen über spinale Afferenzen, die parallel zu den efferenten sympathischen Fasern in den Gefäßwänden liegen. Die Afferenzen werden nach Umschaltung im Rückenmark über den somatosensorischen Thalamus zur Inselrinde geleitet. Weitere Verbindungen führen zum Nucleus parabrachialis. Andere Afferenzen (z. B. aus Chemo- und Dehnungsrezeptoren) können auch über den Nervus vagus zum Nucleus tractus solitarius und von dort zum Hypothalamus und ebenfalls zur Inselrinde weitergeleitet werden. Über Gyrus cinguli und Hypothalamus beeinflusst die Inselrinde wiederum vegetative Funktionen (7 Kap. 14.3.4).
Nozizeptoren. Mit den Blutgefäßen erreichen Nozizepto-
16
ren alle Organe. Sie innervieren Herz, Atemwege, Ösophagus, Gastrointestinaltrakt, Gallenblase, Leber- und Milzkapsel, Harnwege und Harnblase, Gonaden, Geschlechtsorgane, und Hirnhäute. Das Gehirn selbst, Leber, Milz, Pankreas, Niere und Nebenniere verfügen über keine relevanten Nozizeptoren. Nozizeptoren bzw. Irritationssensoren in den Atemwegen lösen Niesen und Husten aus (7 Kap. 5.8.1) und Irritationsrezeptoren in Rachen, Ösophagus und Magen Erbrechen (7 Kap. 7.2.4). In den übrigen Organen rufen sie vegetative Reaktionen und bewusste Wahrnehmung aus, die allerdings meist auf die Hautfläche projiziert werden.
Reflexe. Die Afferenzen dienen ferner reflektorischen Regelkreisen innerhalb des vegetativen Nervensystems (7 Kap. 16.5.2), die der Blutdruckregulation (7 Kap. 4.2), der Regulation von Blutvolumen (7 Kap. 10.2.1), Blasenentleerung (7 Kap. 14.3.2), gastrointestinaler Motorik (7 Kap. 7.2.1, 7 Kap. 7.2.3, 7 Kap. 7.2.5), Erbrechen (7 Kap. 7.2.4) und Defäkation (7 Kap. 7.2.1), Nies- und Hustenreflexen (7 Kap. 5.8.1) dienen (7 Kap. 16.5.1). Über viszerokutane Reflexe beeinflussen Afferenzen aus den Organen die Hautdurchblutung und über viszeromotorische Reflexe beeinflussen Afferenzen aus den Organen die Muskelspannung.
381 16.6 · Nozizeption
16.5.3
Viszerale Reflexe
rer Stelle ausgeführt wird ( 7 Kap. 7.2.1, 7 Kap. 7.2.3, 7 Kap. 7.2.5).
! Viszerale Reflexe koordinieren die gastrointestinale Motorik
Erbrechen, Defäkation. Erbrechen (7 Kap. 7.2.4) und DefäRegulation gastrointestinaler Motorik. Viszerale Reflexe
koordinieren die gastrointestinale Motorik, wie an ande-
kation (7 Kap. 7.2.1) sind wichtige gastrointestinale Reflexe, die an anderer Stelle beschrieben werden.
In Kürze
Viszerale Sensorik Periphere und zentrale Sensoren 4 Chemorezeptoren: Osmolarität, Glukose-, O2-, CO2-, pH-, K+-, Ca2+-Konzentrationen (viszeral); pH, CO2 und O2 (Glomera aortica, carotica), CO2 Blut o pH Medulla oblongata; Barorezeptoren (Blutdruck Carotissinus, Aorta); Dehnungsrezeptoren (Blase, Magen, Darm, Herzvorhöfe); Nozizeptoren alle Organe außer Gehirn (wohl aber Hirnhäute), Leber, Milz, Pankreas, Niere, Nebenniere; Irritationssensoren (Atemwege) o Niesen und Husten 4 Bedeutung: Regulation Blutdruck, Blutvolumen, Blasenentleerung, Defäkation, Erbrechen gastrointestinale Motorik, Atemtätigkeit
16.6
Nozizeption
16.6.1
Nozizeptorerregung
! Schmerz entsteht bei Reizung entsprechender freier Nervenendigungen. Die gesteigerte Reizung von Nozizeptoren bei Gewebsläsionen ist komplex
Schmerz. Schmerzreize können durch freie Nervenendigungen in Haut, Bewegungsapparat, inneren Organen und Gefäßen wahrgenommen werden. Sie können durch hohe Reizintensitäten (Dehnung, Temperatur) sowie bei Gewebsläsionen ausgelöst werden. Die Schmerzempfindung kann zeitlich und räumlich gut (heller, erster Schmerz) oder schlecht (dumpfer, zweiter Schmerz) definiert werden. Dabei ist der zweite Schmerz deutlich unangenehmer. Reizung mechanosensibler Nozizeptoren in der Haut (z. B. Nadelstich) lösen zunächst hellen Schmerz aus, während Gewebsläsionen und Reizung von Nozizeptoren in Bewegungsapparat und Organen meist a priori dumpfen Schmerz hervorrufen. Bei den Rezeptoren lassen sich A-Mechanorezeptoren, A-polymodale Rezepto-
Viszerale Sensibilität 4 Spinale Afferenzeno somatosensorischer Thalamus o Inselrinde, Nucleus parabrachialis 4 Chemo-, Dehnunsgrezeptoren o Nervus vagus o Nucleus tractus solitarius o Hypothalamus o Inselrinde o Gyrus cinguli, Hypothalamus o Vegetative Funktionen 4 Reflexe: Blutdruckregulation, Blutvolumen, Blasenentleerung, gastrointestinale Motorik, Erbrechen, Defäkation, Niess-, Hustenreflexe, viszerokutane Reflexe, viszeromotorische Reflexe Viszerale Reflexe 4 Regulation gastrointestinaler Motorik 4 Erbrechen, Defäkation
ren (beide markhaltige Fasern) und C-polymodale Rezeptoren (nichtmarkhaltige Fasern) unterscheiden. In der Haut ist die Dichte von Nozizeptoren besonders groß. Bei Sensibilisierung sinkt die Erregungsschwelle von Nozizeptoren in den nichtnoxischen Bereich, sodass sonst nichtnoxische Reize Schmerzen auslösen können (Allodynie). Die Sensibilisierung kann ferner die Antwort auf noxische Reize verstärken (Hyperalgesie). Schmerz bei Gewebsläsionen. Nekrotische Zellen setzen K+ und intrazelluläre Proteine frei. K+ reizt die Nozizeptoren, die Proteine und bei Hautläsionen eindringende Erreger lösen eine Entzündung aus. Folge ist die Freisetzung einer Vielzahl von schmerzauslösenden Mediatoren, wie Leukotrienen, Histamin, Prostaglandin E2 und Bradykinin. Leukotriene, Prostaglandin E2 und Histamin sensibilisieren die Nozizeptoren. Es treten Hyperalgesie und Allodynie auf. Histamin löst ferner Juckreiz aus. Histamin, Prostaglandin E2 und Bradykinin wirken zudem vasodilatatorisch und steigern die Gefäßpermeabilität. Folge ist die Bildung eines lokalen Ödems, der Gewebsdruck steigt und erregt die sensibilisierten Nozizeptoren. Durch die Gewebs-
16
382
Kapitel 16 · Somatoviszerale Sensorik
läsion wird ferner die Blutgerinnung aktiviert, und damit die Ausschüttung von Bradykinin und Serotonin ausgelöst. Durch Gefäßverschluss kommt es zur Ischämie, ein Ansteigen der extrazellulären Konzentrationen von K+ und H+ führt wiederum zur Aktivierung der Nozizeptoren. Die Nozizeptoren geben bei Reizung die Peptide Substanz P (SP) und calcitonin gene related peptide (CGRP) ab, die unter anderem die Entzündung fördern sowie Vasodilatation und Gefäßpermeabilitätssteigerung bewirken (neurogene Entzündung). Auf diese Weise entsteht ein Circulus vitiosus. Durch Kollateralen der Schmerzafferenzen werden Motorik beeinflusst, vegetative Begleitreaktionen ausgelöst (Sympathikusaktivierung) und die psychische Komponente des Schmerzerlebens hervorgerufen. Juckreiz. Wie Schmerz, wird auch Juckreiz über polymodale freie Nervenendigungen (C-Fasern) wahrgenommen. Für den Juckreiz ist möglicherweise die Nähe der Nervenendigungen zu Mastzellen bedeutsam, die bei Reizung Histamin und Tryptase freisetzen. Über Aktivierung von H1-Rezeptor sowie Protease-aktivierter Rezeptor PAR-2 werden dann die entsprechenden Nervenendigungen depolarisiert. ! Schmerzen sind ein Hinweis auf krankhafte Vorgänge im Körper. Häufig ist der Schmerz das wesentliche Problem
vus ulnaris im Sulcus ulnaris oder durch Kompression der Hinterwurzel bei Bandscheibenvorfall. Die Wahrnehmung wird dann in das Innervationsgebiet des Nerven projiziert. Phantomschmerz. Nach Amputation einer Extremität treten bisweilen Schmerzempfindungen in der nicht mehr vorhandenen Extremität auf. Der Wegfall von Afferenzen aus der amputierten Extremität führt zur plastischen Reorganisation des entsprechenden rezeptiven Feldes im somatosensorischen Kortex. Die deafferentierten kortikalen Neurone werden dann von Afferenzen aus anderen Körperregionen innerviert. Die Reorganisation ist offenbar bei Patienten mit Phantomschmerz besonders stark ausgeprägt.
16.6.3
Spinale Organisation der Nozizeption
! Schmerz wird über den Vorderseitenstrang zu Thalamus und Rinde weitergeleitet, Verbindungen u. a. zum limbischen System prägen die emotionale Komponente
Plastizität der synaptischen Übertragung. Die synaptische
Übertragung ist keine Konstante, sondern kann bei Entzündung und Nervenläsionen zunehmen. Damit wird die Schmerzschwelle gesenkt und die Schmerzen werden unerträglicher.
Migräne. Das Gehirngewebe ist schmerzunempfindlich.
Allerdings können Schmerzen in den Gefäßen und der Dura entstehen. Vasokonstriktion (durch Serotonin) gefolgt von Vasodilatation sind wahrscheinlich für Migräneanfälle verantwortlich, heftige Kopfschmerzen mit neuronalen Ausfällen durch Mangeldurchblutung des Gehirns. Gesteigerte Schmerzwahrnehmung. Mehrere Mechanis-
men können Schmerzen auslösen oder verstärken. Möglicherweise durch Versagen der deszendierenden Hemmung können Läsionen im Thalamus massive Schmerzzustände nach sich ziehen (Thalamussyndrom).
16.6.2
16
Nervenläsionen
! Beim projizierten Schmerz entsteht das Aktionspotenzial am Nerven
Projizierter Schmerz. Beim projizierten Schmerz entsteht die Schmerzempfindung nicht am Nozizeptor, sondern der Nerv selbst wird gereizt, etwa durch Quetschung des Ner-
Sekundäre Hyperalgesien. Wiederholte noxische Reize oder Entzündungsmediatoren (7 Kap. 2.5.3) senken die Schmerzschwelle, sodass Allodynie und Hyperalgesie auftreten (7 Kap. 16.2.2). Ursachen sind neben der Sensibilisierung der Nozizeptoren (7 Kap. 16.2.2) und der Rekrutierung »schlafender« Nozizeptoren die verstärkte zentrale Weiterleitung von Schmerzafferenzen. Aufsteigende Bahnen. Afferenzen aus Nozizeptoren steigen über den Vorderseitenstrang nach oben (7 Kap. 16.1.3). Die neospinothalamische Bahn vermittelt die Weiterleitung des hellen Schmerzes. Der dumpfe Schmerz wird über die spinoretikuläre Bahn weitergeleitet (7 Kap. 16.1.3). Vom Thalamus aus wird Schmerz zur primären somatosensorischen Rinde und zur Insel weitergeleitet. Viszerale Nozizeption. Schmerzafferenzen aus Organen und von der Hautoberfläche werden z. T. im Rückenmark vermascht, das heißt die Afferenzen konvergieren auf gleiche Neurone im Rückenmark (viszerosomatische Konvergenz). Die Erregung von Nozizeptoren in einem Organ
383 16.6 · Nozizeption
16.6.5
Endogene Schmerzhemmung
! Die Weiterleitung von Schmerzafferenzen kann durch deszendierende Bahnen unterdrückt werden. Schmerz kann medizinisch bekämpft werden
Hirnstamm-Kerngebiete. Deszendierende Bahnen aus dem
. Abb. 16.7. Vermaschung viszeraler (blau) und vegetativer (grün) Afferenzen. Die Konversion der Afferenzen im Hinterhorn führt zu einer Projektion viszeraler Schmerzen auf die Haut und zur Beeinflussung vegetativer Efferenzen (rot) durch Afferenzen aus der Haut
steigert damit die Schmerzempfindlichkeit derjenigen Hautareale, deren Afferenzen im gleichen Rückenmarksegment umgeschaltet werden (übertragener Schmerz, . Abb. 16.7). Bei einem Herzinfarkt, z. B., strahlen die Schmerzen in die linke Schulter und den linken Arm aus (sog. Head-Zonen).
16.6.4
Kortex aktivieren Neurone im zentralen Höhlengrau und in den Nuclei raphé (. Abb. 16.8). Deszendierende Bahnen aus diesen Kernen aktivieren über Serotonin und Noradrenalin Interneurone im Rückenmark, die durch Ausschüttung u. a. von Endorphinen (Encephalinen) die Umschaltung von Schmerzafferenzen im Rückenmark unterbinden. Morphine wirken u. a. über eine Hyperpolarisation und damit Hemmung der Transmitterausschüttung. Aktivierung der endogenen Schmerzhemmung. Die endo-
gene Schmerzhemmung kann durch Reizung von anderen Mechanorezeptoren induziert werden. Die Neurone im zentralen Höhlengrau und in den Nuclei raphé werden auch bei psychischem Stress aktiviert. Damit wird verhindert, dass in einer lebensbedrohlichen Situation der »Kampf ums Überleben« durch Schmerzen eingeschränkt wird.
Supraspinale Organisation von Nozizeption und Schmerz
! Schmerzen besitzen eine sensorische und eine emotionale Komponente. Das Schmerzerlebnis wird durch Plastizität und Gedächtnis beeinflusst
Mehrdimensionalität. Schmerzafferenzen projezieren in verschiedene Hirnregionen, wobei die thalamokortikale Projektion über Lokalisierung und zeitliches Auftreten des Schmerzes informiert (sensorische Dimension), während Projektionen ins limbische System die affektive Dimension des Schmerzerlebnisses vermitteln. Zentrale Plastizität und Schmerzgedächtnis. Das Schmerzerlebnis kann durch plastische Veränderungen der Gehirnrinde (z. B. nach Amputationen, 7 Kap. 16.6.2), sowie als Folge einer Bahnung durch vorausgegangene Schmerzerlebnisse (Entstehen von Schmerzgedächtnis) beeinflusst werden.
. Abb. 16.8. Deszendierende Bahnen zur Schmerzhemmung
16
384
Kapitel 16 · Somatoviszerale Sensorik
Schmerzbekämpfung, Analgetikawirkungen. Schmerzen
lassen sich auf mehreren Ebenen bekämpfen: Entzündung und Aktivierung der Rezeptoren lassen sich u. a. durch Abkühlen der verletzten Stelle und Prostaglandinsynthesehemmer unterbinden, Schmerzweiterleitung durch Abkühlen und Na+-Kanalblocker (Lokalanästhetika). Prostaglandine wirken darüber hinaus offenbar auch im zentralen Nervensystem. Die deszendierenden Systeme zur Hemmung der Weiterleitung von nozizeptiven Afferenzen können wahrscheinlich durch Elektroakupunktur und transkutane Nervenstimulation aktiviert werden. Die Endorphinrezeptoren u. a. in Rückenmark und Hirnstamm werden durch Mor-
phin und verwandte Pharmaka aktiviert. Die Weiterleitung im Thalamus wird durch Narkose und Alkohol unterbunden. Durch psychologische Behandlungsmethoden können Mechanismen endogener Schmerzhemmung gefördert werden. Bisweilen wurde versucht, die Schmerzweiterleitung durch neurochirurgische Eingriffe zu unterbinden. Analgesie. Fehlende Weiterleitung von Schmerz durch pharmakologische Intervention oder sehr seltene angeborene Analgesie unterbindet die warnende Funktion von Schmerzen. Die unterlassene Beseitigung der Schmerzursache kann dabei lebensbedrohlich sein.
In Kürze
Nozizeption
16
Nozizeptorerregung 4 Hohe Reizintensitäten (Dehnung, Temperatur), Gewebsläsionen o A-Mechanorezeptoren, A-polymodale Rezeptoren, C-polymodale Rezeptoren in Haut, Bewegungsapparat, inneren Organen, Gefäßen o heller, erster Schmerz, dumpfer, zweiter Schmerz o markhaltige (A), nichtmarkhaltige (C) Fasern 4 Gewebsläsionen o Nekrotische Zellen o K+, intrazelluläre Proteine o K+ reizt Nozizeptoren, Proteine (+ Erreger) o Entzündung o Leukotriene, Histamin, Prostaglandin E2, Bradykinin o Sensibilisierung o Hyperalgesie (Empfindlichkeit für noxische Reize n), Allodynie (Schmerz durch nichtnoxische Reize); Histamin o Juckreiz; Histamin, Prostaglandin E2, Bradykinin o Vasodilatation, Gefäßpermeabilität n o Ödem o Gewebsdruck n o weitere Sensibilisierung; Blutgerinnung o Bradykinin n, Serotonin n, Gefäßverschluss (o Ischämie o K+ n, H+ n o Nozizeptoren n o Substanz P (SP), calcitonin gene related peptide (CGRP) o Entzündung n, Vasodilatation, Gefäßpermeabilität n (neurogene Entzündung) o Circulus vitiosus; Kollateralen der Schmerzafferenzen o Motorik, Sympathikus n, Psyche 4 Mastzellen o Histamin (o H1), Tryptase (o Proteaseaktivierter Rezeptor PAR-2) o benachbarte Nervenendigungen o Juckreiz 4 Serotonin o Vasokonstriktion o Mangeldurchblutung des Gehirns o Vasodilatation o Migräne 4 Läsionen im Thalamus o deszendierende Hemmung po Schmerzen (Thalamussyndrom) 6
Nervenläsionen 4 Projizierter Schmerz: Läsion Nerv o Projektion der Wahrnehmung in Innervationsgebiet 4 Phantomschmerz: Wegfall Afferenzen o plastische Reorganisation von rezeptivem Feld in somatosensorischem Kortex o Phantomschmerz Spinale Organisation der Nozizeption 4 Sekundäre Hyperalgesien: Wiederholte noxische Reize, Entzündungsmediatoren o Schmerzschwelle p, Rekrutierung »schlafender« Nozizeptoren 4 Bahnen: Vorderseitenstrang, neospinothalamische Bahn (heller Schmerz), spinoretikuläre Bahn (dumpfer Schmerz) o Thalamus o primäre somatosensorische Rinde, Insel 4 Viszerosomatische Konvergenz o übertragener Schmerz (Head-Zonen). Supraspinale Organisation von Nozizeption und Schmerz 4 Thalamokortikale Projektion o sensorische Dimension; Projektionen ins limbische System affektive Dimension des Schmerzerlebnisses 4 Schmerzerlebnisse o Bahnung, plastische Veränderungen Gehirnrinde o Schmerzgedächtnis Endogene Schmerzhemmung 4 Aktivierung Mechanorezeptoren, psychischer Stress o zentrales Höhlengrau, Nuclei raphé o deszendierende Bahnen o Serotonin, Noradrenalin o Interneurone Rückenmark o Endorphine o Hyperpolarisation o Schmerzweiterleitung p
385 16.7 · Störungen der somatoviszeralen Sensibilität
4 Schmerzbekämpfung: Abkühlen (o Entzündung p), Prostaglandinsynthesehemmer o Rezeptoren p; Abkühlen, Na+-Kanalblocker o Schmerzweiterleitung; Elektroakupunktur, transkutane Nervenstimulation o deszendierende Hemmung n; Morphin o Endor-
16.7
16.7.1
Störungen der somatoviszeralen Sensibilität Periphere Störungen
! Die Sinneswahrnehmung am Rezeptor und die Erregungsweiterleitung können gestört sein
Störungen der Rezeptoren. Rezeptoren, welche die verschiedenen Reize in der Peripherie wahrnehmen, können ausfallen oder inadäquat gereizt werden. Folgen sind völliger (Anästhesie) oder teilweiser (Hypästhesie) Ausfall der Sinneswahrnehmung, eine gesteigerte Empfindlichkeit für die Sinneswahrnehmung (Hyperästhesie), oder das Auftreten von Sinneswahrnehmungen ohne adäquaten Reiz (Parästhesien, Dysästhesien). Unterbrechung der Nervenleitung. Läsionen in peripheren Nerven oder Spinalnerven können gleichfalls An-, Hyp-, Hyper-, Para- und Dysästhesien hervorrufen. Ausfälle an peripheren Nerven unterscheiden sich von Ausfällen an Spinalnerven durch die Topographie der Störungen (. Abb. 16.9). Durch Überlappung von Innervationsgebieten kommt es bei Ausfall eines Spinalnerven lediglich zu Hypästhesie des betroffenen Dermatoms. Bei Unterbrechung der Nervenleitung durch eine Schädigung oder Durchschneidung des Nerven kann es auch zu Schmerzen kommen. Diese entstehen durch Erregungsbildung an der verletzten Stelle und/oder im Zellkörper der verletzten Hinterwurzelganglienzelle (neuropathischer Schmerz).
16.7.2
Zentrale Störungen
! Störungen im Zentralen Nervensystem können die Weiterleitung oder Verarbeitung (Interpretation) von Rezeptorsignalen beeinträchtigen
phinrezeptoren n; Narkose, Alkohol o Thalamus p; psychologische Behandlung o endogene Schmerzhemmung n 4 Pharmakologische (selten genetische) Analgesie o fehlende Warnung o lebensbedrohlich
Unterbrechung von Rückenmarksbahnen. Bei einer
Halbseitenläsion ist die Tiefensensibilität und die feine (epikritische) Oberflächensensibilität auf der Seite der Läsion (ipsilateral), Temperatur, grobe Mechanorezeption und Schmerz auf der anderen Seite (kontralateral) in Mitleidenschaft gezogen (dissoziierte Empfindungsstörung). Auf der ipsilateralen Seite sind im Übrigen die deszendierenden motorischen Bahnen unterbunden (Brown-Séquard-Syndrom). Eine Unterbrechung der Leitung in den Hinterstrangbahnen unterbindet die Vibrationsempfindung und mindert die Fähigkeit, mechanische Reize räumlich und zeitlich exakt zu definieren und ihre Intensität richtig einzuschätzen. Ferner ist die Tiefensensibilität aufgehoben. Dadurch ist vor allem die Information aus den Muskelspindeln in Mitleidenschaft gezogen und mit ihr die Kontrolle der Muskeltätigkeit und des Gleichgewichts. Folge ist u. a. Ataxie. Bei einer Läsion innerhalb der Hinterstrangbahnen spielt die topographische Ordnung der Bahnen eine Rolle. Im zervikalen Rückenmark sind die zervikalen Bahnen (c) am meisten lateral, während die sakralen Bahnen (s) medial liegen. Eine Läsion im Vorderseitenstrang führt zur Unterbrechung der Afferenzen von Druck, Schmerz und Temperatur. Es können An-, Hyp-, Hyper-, Para- und Dysästhesien auftreten. Bei Bewegungen der Wirbelsäule können durch Reizung der lädierten Afferenzen entsprechende Sinneswahrnehmungen auftreten (LhermitteZeichen). Agnosie. Funktionen des Erkennens können bei Läsionen
der assoziativen Rindenareale gestört sein. Bei Läsionen im somatosensorischen Kortex sind räumliches und zeitliches Auflösungsvermögen von Empfindungen, Stellungs- und Bewegungssinn aufgehoben, die Einschätzung der Intensität beeinträchtigt. Bei Läsionen in assoziativen Bahnen oder Rindenabschnitten kommt es zu gestörter Verarbeitung von Sinneswahrnehmungen. Folgen sind u. a. Astereognosie (Unfähigkeit, Gegenstände durch
16
386
Kapitel 16 · Somatoviszerale Sensorik
. Abb. 16.9. Dermatome (links) und Innervationsgebiete (rechts). 1. N. trigeminus, 2. N. auricularis magnus, 3. Nn. occipitales maior et minor, 4. N. cutaneus colli, 5. Nn. supraclaviculares, 6. Rr. dorsales N. spin., 7. Rr. ventrales N. intercost., 8. Rr. laterales N. intercost., 9. N. cutaneus brachii lateralis, 10. N. cutaneus brachii medialis, 11. N. cutaneus brachii posterior, 12. N. cutaneus antebrachii medialis, 13. N. cutaneus anterachii posterior, 14. N. cutaneus antebrachii lateralis, 15. R. superfi-
16
cialis Nn. radialis, 16. Nn. digitales Nn. mediani, 17. Rr. manus Nn. ulnaris, 18. N. iliohypogastricus, 19. Nn. clunium, 20. N. genitofemoralis, 21. N. ilioinguinalis, 22. N. cutaneus femoris lateralis, 23. N. cutaneus femoris posterior, 24. N. femoralis, 25. N. obturatorius, 26. N. cutaneus surae lateralis, 27. N. suralis, 28. N. saphenus, 29. N. peroneus superficialis, 30. N. tibialis, 31. N. plantaris lateralis, 32. N. plantaris medialis
387 16.7 · Störungen der somatoviszeralen Sensibilität
Betasten zu erkennen) Topagnosie (Verlust räumlicher Wahrnehmung), Körperschemastörungen, Lagesinnstörungen, Auslöschphänomen (Ignorieren eines von zwei
gleichzeitig angebotenen Reizen) und Hemineglekt (Ignorieren der kontralateralen Körperhälfte und des Umfeldes dieser Seite).
In Kürze
Störungen der somatoviszeralen Sensibilität Periphere Störungen 4 Anästhesie = völliger, Hypästhesie = teilweiser Ausfall Sinneswahrnehmung, Hyperästhesie = gesteigerte, Parästhesie, Dysästhesie = inadäquate Sinneswahrnehmung 4 Ausfall peripherer Nerven, Spinalnerven erkennbar an Topographie der Sensibilitätsausfälle; bei Spinalnerven durch Überlappung von Innervationsgebieten Hypästhesie (nicht Anästhesie); Läsion von Axonen oder Hinterwurzelganglienzelle o Schmerzen (neuropathischer Schmerz) Zentrale Störungen 4 Halbseitenläsion o ipsilateral Tiefensensibilität p und feine (epikritische) Oberflächensensibilität p, kontralateral Temperatur p, grobe Mechanorezeption p,
Schmerz p (dissoziierte Empfindungsstörung); zusätzlich ipsilateral deszendierende motorische Bahnen (Brown-Séquard-Syndrom) 4 Läsion Hinterstrangbahnen oVibrationsempfindung p, räumliche und zeitliche Definition von Mechanorezeption p, Tiefensensibilität p (o Ataxie); Läsion Vorderseitenstrang o Druck p, Schmerz p und Temperatur p. Bewegungen der Wirbelsäule o Reizung lädierter Afferenzen o Sinneswahrnehmungen (Lhermitte-Zeichen) 4 Läsionen im somatosensorischen Kortex o räumliches, zeitliches Auflösungsvermögen p, Einschätzung Intensität p, Bewegungs- Lagesinn p Läsionen assoziative Bahnen bzw. Areale o Agnosie, Astereognosie, Topagnosie, Körperschemastörungen, Lagesinnstörungen, Auslöschphänomen, Hemineglekt
16
17
17 Visuelles System 17.1
Dioptischer Apparat – 390
17.1.1 17.1.2 17.1.3 17.1.4 17.1.5 17.1.6 17.1.7 17.1.8
Physikalische Grundlagen – 390 Auge als optisches System – 391 Abbildungsfehler – 391 Akkomodation – 392 Pupille – 393 Augeninnendruck – 394 Tränen – 394 Augenmotorik – 394
17.2
Signalverarbeitung in der Retina – 397
17.2.1 17.2.2 17.2.3 17.2.4
Aufbau der Retina – 397 Transduktionsprozess – 398 Neuronale Verarbeitungsprozesse – 399 Retinale Mechanismen des Farbensehens – 401
17.3
Zentrale Repräsentation des visuellen Systems – 403
17.3.1 17.3.2
Gesichtsfeld – 403 Verlauf der Sehbahn
17.4
Informationsverarbeitung in der Sehbahn
17.4.1 17.4.2 17.4.3 17.4.4 17.4.5
Verschaltung der Sehbahn – 404 Retina – 405 Corpus geniculatum laterale – 405 Visuelle Cortices – 405 Tiefenwahrnehmung – 406
– 403
– 404
390
Kapitel 17 · Visuelles System
> > Einleitung Das Auge ist in der Lage, elektromagnetische Wellen mit einer Wellenlänge von 400–750 nm aufzunehmen und Bilder von Objekten zu entwerfen, von denen diese Strahlen ausgehen. Die unterschiedliche spektrale Empfindlichkeit verschiedener Rezeptoren des Auges erlaubt die Wahrnehmung von Farben, die präzise Abbildung von äußeren Objekten auf der Retina, die Wahrnehmung von Gestalt.
17.1
Dioptischer Apparat
17.1.1
Physikalische Grundlagen
sich hinter dem Brennpunkt und erzeugen damit ein Abbild des Punktes. Die Gerade zwischen Objekt und jeweiligem Abbild kreuzt die optische Achse im Knotenpunkt. Farben. Das Sonnenlicht enthält Wellen unterschiedlicher Wellenlänge in einer Zusammensetzung, die uns weiß er-
! Licht wird an Grenzflächen gebrochen. Sonnenlicht ist eine Mischung von Strahlen unterschiedlicher Wellenlänge, also unterschiedlicher Farbe
Sichtbare Lichtwellen. Sichtbares Licht besteht aus elektromagnetischen Wellen mit Wellenlängen von 400–750 nm. Die Intensität der Strahlung bestimmt die Helligkeit. Lichtbrechung durch Linsen. Wie alle elektromagnetischen Wellen wird sichtbares Licht an einer Fläche zwischen zwei Medien mit unterschiedlichen Brechzahlen (»Brechungsindices«) gebrochen. Die Brechung ist umso stärker, je schräger das Licht einfällt und je größer das Verhältnis der Brechzahlen ist. Treffen parallele Strahlen (von einem Punkt in weiter Entfernung) auf eine kugelige Trennfläche (Linse), dann bleibt der in der Mitte senkrecht auf die Linse treffende Strahl ungebrochen. Je peripherer die Strahlen auf die Linse auftreffen, desto schräger treffen sie auf die Trennfläche und desto stärker werden sie gebrochen. Auf diese Weise werden die parallel einfallenden Strahlen hinter der Linse in einem Punkt vereint (Brennpunkt). Je kleiner der Radius der Linse ist, desto stärker werden die seitlich einfallenden Strahlen gebrochen und desto dichter liegt der Brennpunkt hinter der Linse, desto kürzer ist also die Brennweite (f, gemessen in Metern). Je kürzer die Brennweite einer Linse, desto größer ihr Brechwert (ihre »Brechkraft«): Sie wird in Dioptrien (D) angegeben: D=1/f.
17
Strahlengang in Linsen. Die Kenntnis der Brennweite und damit des vorderen und hinteren Brennpunktes erlaubt die Konstruktion des Strahlengangs (. Abb. 17.1). Die Verbindungslinie zwischen den Brennpunkten ist die optische Achse. Strahlen, die von einem Punkt ausgehen, vereinigen
. Abb. 17.1. Lichtbrechung im Auge und an optischen Linsen. a Brechung an flacher (oben) und stark gekrümmter (unten) Linse. b Akkommodationsbreite in Abhängigkeit vom Alter. c Strahlengang im Auge (F1, F2 = vorderer und hinterer Brennpunkt, H, H’ = vordere und hintere Hauptebene, K, K’ = vorderer und hinterer Knotenpunkt). d Strahlengang in optischen Linsen
391 17.1 · Dioptrischer Apparat
scheint. Sie besteht jedoch aus einer Strahlenmischung mit unterschiedlichen Wellenlängen und damit Farbtönen. Kurzwellige Strahlen sind blau, langwellige rot. Je weniger weiß (bzw. Strahlen anderer Wellenlänge) eine Farbe enthält, desto stärker ist sie gesättigt (Farbsättigung). Kurzwellige Strahlen werden stärker gebrochen als langwellige Strahlen. Dadurch kann Licht bei starker Brechung in seine monochromatischen farbigen Bestandteile zerlegt werden (z. B. entsteht durch Brechung an Wassertröpfchen ein Regenbogen). Subtraktive Farbenmischung entsteht, wenn weißes Licht auf eine Mischung von zwei Farben fällt oder durch zwei Filter unterschiedlicher spektraler Absorption geleitet wird. Durch Mischen von Blau und Gelb entsteht dadurch die Farbe Grün, durch Mischen von Grün und Rot entsteht Braun. Additive Farbenmischung entsteht, wenn Lichtstrahlen unterschiedlicher Wellenlänge auf eine Fläche (eine Stelle der Netzhaut) einfallen. Ein grüner Lichtstrahl und ein roter Lichtstrahl ergeben auf diese Weise den Eindruck von gelbem Licht. Rote, grüne und blaue Strahlen können sich zusammen zu weiß vereinen.
Linse etwa 1,41. Strahlen, die in das Auge einfallen, werden vor allem an der Kornea gebrochen (ca. 43 dpt). Da die Kornea jedoch an der Rückseite in gleicher Richtung gewölbt ist (konvex/konkave Linse) und das Kammerwasser eine etwas geringere Brechzahl als die Kornea aufweist, geht ein kleiner Teil des Brechwertes (3 dpt) wieder verloren. Obwohl die Augenlinse als bikonvexe Linse eine stärkere Brechung erzielen sollte als die konvex/konkave Kornea (. Abb. 17.2), erreicht sie nicht deren Brechwert. Sie weist ja eine nur geringfügig größere Brechzahl als die angrenzenden Medien auf. Beim fernadaptierten Auge (Gegenstandsweite »unendlich«) erreicht die Linse ca. 19 dpt. Die besondere physiologische Bedeutung der Linse liegt jedoch in ihrer Fähigkeit, ihre Krümmung und damit ihren Brechwert zu steigern (Akkommodation, 7 Kap. 17.1.4).
17.1.3
Abbildungsfehler
! Bei den Refraktionsanomalien werden betrachtete Objekte nicht scharf auf der Netzhaut abgebildet
Kontraste. Nach Betrachten eines Objektes mit einer be-
stimmten Farbe erscheint eine weiße Fläche in der Komplementärfarbe (Sukzessivkontrast). Werden zwei aneinandergrenzende Flächen unterschiedlicher Farbe bzw. Helligkeit angeboten, dann erscheint eine Fläche konstanter Farbe und Helligkeit umso heller, je dunkler die andere Fläche ist (Simultankontrast).
17.1.2
Auge als optisches System
! Der optische Apparat des Auges dient der scharfen Abbildung von Objekten auf der Netzhaut. Die Brechung ist an der Hornhautvorderfläche am größten
Brechung von Lichtstrahlen durch den optischen Apparat des Auges. Um auf der Retina ein scharfes Abbild zu erhal-
ten, müssen Lichtstrahlen, die von einem Punkt eines Objektes ausgehen, an den Grenzflächen des abbildenden Apparates in der Weise gebrochen werden, dass sie sich wieder in einem Punkt auf der Netzhaut treffen (. Abb. 17.1). Der Gesamtbrechwert des fernakkommodierten Auges beträgt etwa 58 Dioptrien (dpt). Der Abstand des Knotenpunktes von der Retina beträgt beim normalen Auge 17 mm bei einer Gesamtbulbuslänge von 24,4 mm. Im Vergleich zu Luft (=1) ist die Brechzahl der Kornea etwa 1,38, der des Kammerwassers etwa 1,34 und der der
Myopie. Bei der Myopie (Kurzsichtigkeit) ist entweder der
Brechwert des Auges zu groß (Brechungsmyopie, selten) oder der Augenbulbus ist für den Brechwert zu lang (Achsenmyopie). Parallel einfallende Strahlen vereinigen sich vor der Netzhaut und weit entfernte Gegenstände können nicht scharf gesehen werden (. Abb. 17.3). Die Anomalie kann durch eine Zerstreuungslinse korrigiert werden. Hyperopie. Bei der Hyperopie (Weitsichtigkeit) ist entwe-
der der Augenbulbus zu kurz (Achsenhyperopie) oder der Brechwert des Auges zu gering (Brechungshyperopie). Folge ist, dass Strahlen, die von nahen Punkten ausgehen, nicht mehr auf der Netzhaut vereinigt werden können, also nahe Gegenstände unscharf gesehen werden (. Abb. 17.3). Die Anomalie kann durch eine Sammellinse korrigiert werden. Presbyopie. Mit dem Alter schwindet die Elastizität der
Linse und der Ziliarmuskel atrophiert. Dadurch nimmt die maximale Krümmung bei Nahakkommodation ab. Folge ist die Presbyopie (Altersweitsichtigkeit), die schwindende Fähigkeit, nahe Objekte scharf zu sehen: Die Akkommodationsbreite nimmt auf weniger als drei Dioptrien ab und der Nahpunkt entfernt sich vom Auge entsprechend (>33 cm). Die Betrachtung naher Objekte erfordert somit die Verwendung einer Sammellinse, die jedoch bei Betrachtung ferner Objekte wieder abgelegt werden muss.
17
392
Kapitel 17 · Visuelles System
. Abb. 17.2. Das Auge
Astigmatismus. Bei Astigmatismus weicht die Augenober-
fläche von der Kugelform ab. Beim regulären Astigmatismus unterscheiden sich die Krümmungsradien von horizontaler und vertikaler Achse, ein aufrechtes Quadrat wird als Rechteck abgebildet. Er kann durch Zylinderlinsen korrigiert werden. Ein geringfügiger (< 0,5 Dioptrien) regulärer Astigmatismus mit größerem Brechwert in vertikaler Richtung ist normal. Beim schiefen Astigmatismus stehen die unterschiedlichen Achsen schräg zueinander. Beim irregulären Astigmatismus ist die Hornhautoberfläche unregelmäßig, z. B. als Folge von Hornhautnarben. Er kann u. a. durch Kontaktlinsen behoben werden (. Abb. 17.3). Sphärische und chromatische Aberration. Die bei sphärischen Linsen beobachtete stärkere Brechung im Randbereich der Linse (sphärische Aberration) und stärkere Brechung der kurzwelligen Strahlen (chromatische Aberration) spielen beim menschlichen Auge keine relevante Rolle. Korrekturen. Die erforderliche Korrektur (in dpt) eines Re-
17
fraktionsfehlers errechnet sich aus dem Kehrwert des Fernpunktes FP [in m]: K=1/FP. Liegt der Fernpunkt eines Patienten mit Myopie bei 2 m, dann benötigt er eine Zerstreuungslinse von –0,5 Dioptrien. Der Fernpunkt ist bei Hyperopie
nur mit einer Sammellinse feststellbar. Bei einer Linse mit der Brennweite f gilt: K=1/f–1/FP. Ist bei einem Patienten mit Hyperopie der Fernpunkt mit einer Sammellinse von +2 dpt (f=0.5 m) 4 m, dann ist der Refraktionsfehler +1,75 dpt. Katarakt. Die Transparenz von Kornea und Linse wird normalerweise durch Regulation des Wassergehaltes aufrechterhalten. Das Korneaepithel ist auf Sauerstoffzufuhr von außen angewiesen. Bei Schluss der Augenlider sinkt der Sauerstoffpartialdruck ab, der Transport ist beeinträchtigt und die Transparenz der Kornea nimmt ab. Nach Öffnen der Augen am Morgen sieht man daher nicht sofort deutlich. Bei verschiedenen Erkrankungen (v. a. Diabetes mellitus) und im Alter kann der Wassergehalt der Linse verändert sein und die Transparenz der Linse abnehmen (Katarakt, grauer Star).
17.1.4
Akkomodation
! Die Linse kann ihren Brechwert den Erfordernissen anpassen. Diese Fähigkeit geht im Alter weitgehend verloren
Nahakkommodation. Die Linse wird durch Zug der am
Linsenäquator ansetzenden Zonulafasern abgeflacht. Bei
393 17.1 · Dioptrischer Apparat
Akkomodationsbreite. Bei einem Fernpunkt im Unendlichen und einem Nahpunkt von 7 cm ist die Akkommodationsbreite bei Kindern demnach 14 Dioptrien (1/Nahpunkt [m]-1/Fernpunkt [m] = 1/0,07-1/∞ = 14 - 0). Im Alter nimmt freilich die Akkommodationsbreite ab (. Abb. 17.3).
17.1.5
Pupille
! Die Pupillen können über ihre Weite den Lichteinfall in das Auge regulieren
Beleuchtung. Die Afferenzen aus der Retina dienen nicht
. Abb. 17.3. Refraktionsanomalien. Brechung von Lichtstrahlen bei Kurzsichtigkeit (Myopie), bei Weitsichtigkeit (Hyperopie) und Astigmatismus, jeweils vor und nach Korrektur mit entsprechender Linse
Kontraktion des Musculus ciliaris (über parasympathische Fasern) wird der Zug der Zonulafasern herabgesetzt, die Linse zieht sich aufgrund ihrer elastischen Eigenschaften zusammen und die Linsenkrümmung nimmt zu. Die Linse ist so in der Lage, ihre Krümmung und damit ihren Brechwert bei Betrachten naher Gegenstände um bis zu 14 dpt zu steigern. Damit können z. B. normalsichtige Kinder Objekte scharf auf der Retina abbilden, die nur (1/14) m ≈7 cm vom Auge entfernt sind. Fernakkommodation. Erschlaffung des Musculus ciliaris bei Fernakkommodation führt zur Abflachung der Linse. Das gesunde Auge kann bei Fernakkomodation parallel einfallende Strahlen auf der Netzhaut vereinigen (Fernpunkt im Unendlichen).
nur der Wahrnehmung in der Sehrinde, sondern regulieren auch die Pupillenweite. Die Afferenzen aus der Retina gelangen aus dem Tractus opticus zur Area praetectalis des Mittelhirns (7 Kap. 17.3.2) und von dort über parasympathische Innervation (Edinger-Westphal-Kern, Nervus oculomotorius und Ganglion ciliare) zum Sphincter pupillae (. Abb. 14.1). Belichtung führt zur Aktivierung, Dunkelheit zur Hemmung des Sphincter pupillae. Im Dunkeln sind die Pupillen demnach weit. Wird ein Auge beleuchtet, dann wird binnen 0,3–0,8 s nicht nur die Pupille dieses Auges (direkte Reaktion), sondern auch des anderen Auges (konsensuelle Reaktion) verengt. Ist ein Auge blind, dann bleiben bei Beleuchtung dieses Auges beide Pupillen erweitert. Bei Beleuchtung des gesunden Auges reagiert jedoch auch die Pupille des blinden Auges durch konsensuelle Reaktion. Nahakkommodation. Die Pupillenweite wird nicht nur bei zunehmender Leuchtstärke, sondern auch bei Nahakkommodation verengt. Bei Läsionen im Bereich der Area praetectalis bleiben die Pupillen bei Beleuchtung weit, werden jedoch noch durch Nahakkommodation verengt (LichtNah-Dissoziation). Aktivierung des Sympathikus. Der Sympathikus stimuliert
über Hypothalamus, ziliospinales Zentrum des Rückenmarks und Ganglion cervicale superius den M. dilatator pupillae. Bei massiver Sympathikusaktivierung bleibt die Pupille auch unter Lichteinfluss erweitert. Bei Läsion des Ganglion cervicale superius ist die Pupille verengt (Miosis). Gleichzeitig ist durch Wegfall der entsprechenden sympathischen Innervation die Lidspalte schmal (Ptose) und der Augapfel eingesunken (Enophthalmus), man spricht von einem Horner-Syndrom.
17
394
Kapitel 17 · Visuelles System
17.1.6
Augeninnendruck
! Sekretion und Abfluss von Kammerwasser bestimmen den Augeninnendruck
Regulation der Sekretion. Die Tränensekretion wird über parasympathische Fasern aus dem Ganglion pterygopalatinum stimuliert, die zentralen Neurone liegen im Hirnstamm (Pons) und stehen unter dem Einfluss von nozizeptiven Afferenzen aus dem Auge sowie u. a. vom limbischen System.
Bildung und Abfließen von Kammerwasser. Das Kammer-
wasser wird durch ein Epithel in den Ziliarfortsätzen gebildet, fließt in die vordere Augenkammer und gelangt über das Trabekelwerk des Kammerwinkels in den SchlemmKanal. Der Augeninnendruck (ca. 10– 20 mmHg) ist das Ergebnis des Gleichgewichtes von Kammerwasserproduktion (ca. 3 µl/min) in den Ziliarfortsätzen und Kammerwasserabfluss in den Schlemm-Kanal. Glaukom. Eine Steigerung des Augeninnendrucks kann Folge gesteigerter Kammerwasserproduktion (selten) oder beeinträchtigten Abflusses (häufig) sein. Ein gesteigerter Innendruck ist wiederum der wichtigste Risikofaktor für das Auftreten eines Glaukoms, einer Optikusneuropathie, die freilich auch bei normalem Augeninnendruck auftreten kann. Bei Erweiterung der Pupille (7 Kap. 17.8) wird der Schlemm-Kanal teilweise verlegt und der Abfluss beeinträchtigt. Pupillenerweiterung (z. B. durch Verabreichung von Atropin) kann daher einen Glaukomanfall auslösen. Der Augendruck ist an der Verformung der Kornea bei definierter Krafteinwirkung erkennbar (Tonometrie).
17.1.7
Tränen
! Tränen schützen die Hornhaut vor Austrocknen und Infektionen
Bildung, Abfluss. Tränen werden in den Tränendrüsen produziert (ca. 1 ml/Tag) und fließen über die Tränenpünktchen, Tränensack und Tränennasengang ab. Ferner wird Schleim durch Becherzellen gebildet. Zusammensetzung, Aufgabe. Die Tränen weisen eine hö-
17
here K+- und geringere Na+-Konzentration auf als Plasma. Da CO2 abdiffundiert und unter H+-Verbauch aus HCO–3 nachgebildet wird, ist die Tränenflüssigkeit etwas alkalisch. Die Tränen bilden einen Flüssigkeitsfilm an der Oberfläche, der geringfügige Unebenheiten der Kornea ausgleicht und daher ihre optischen Eigenschaften verbessert. Tränenflüssigkeit enthält Glukose, die von den oberflächlichen Korneaepithelzellen verstoffwechselt wird. Tränen enthalten ferner IgA Antikörper und eine Reihe antibakteriell wirksamer Proteine.
17.1.8
Augenmotorik
! Durch Bewegungen der Augen wird erreicht, dass die jeweils interessierenden äußeren Objekte foveal abgebildet werden.
Vergenzbewegungen. Die Vergenzbewegungen werden
eingesetzt, um die Augenachsen bei Fixierung von Objekten in der Nähe (Konvergenz) oder in der Ferne (Divergenz) beidseitig foveal abbilden zu können. Die Konvergenz ist normalerweise mit einer stärkeren Krümmung der Augenlinse und einer Verengung der Pupille verknüpft. Folgebewegungen. Die Folgebewegungen dienen der
vorübergehenden Fixierung eines bewegten Objektes in der Fovea. Die Folgebewegungen können eine Geschwindigkeit von bis zu 100°/s erreichen. Sakkaden. Die Sakkaden sind schnellere Augenbewegungen (bis zu 700°/s), die normalerweise ein neues Objekt in der Fovea abbilden sollen. Optokinetischer Nystagmus. Der Optokinetische Nystagmus wird eingesetzt, um stabile Bilder auf der Netzhaut zu halten, während sich die Umwelt relativ zum Betrachter bewegt. Betrachtet man beispielsweise eine Landschaft aus einem fahrenden Zug, dann wird ein Objekt (z. B. eine Kuh) in der Landschaft foveal abgebildet und durch eine Folgebewegung ihr Bild auf der Netzhaut stabilisiert. Vor maximaler Auslenkung der Augen wird durch eine Sakkade in Fahrtrichtung des Zuges ein neues Objekt (z. B. ein Baum) foveal abgebildet und erneut durch Folgebewegung stabilisiert. Die Richtung des Nystagmus wird nach der schnellen Komponente benannt, also nach der Richtung, in die sich die Person bewegt. Drehnystagmus. Bei Drehen des Kopfes wird durch Reizung des Gleichgewichtsorgans ein Nystagmus ausgelöst, der normalerweise erreicht, dass trotz Drehen des Kopfes die unbewegte Umgebung auf der Netzhaut stabil abgebildet wird. Dabei werden, wie beim optokinetischen Nystag-
395 17.1 · Dioptrischer Apparat
mus, durch Sakkaden jeweils neue Objekte foveal abgebildet. Bei Reizung des Gleichgewichtsorgans ohne Drehen des Kopfes wird ein inadäquater optokinetischer Nystagmus ausgelöst. Folglich wandert das Bild auf der Netzhaut und es entsteht der Eindruck, dass sich die Umgebung dreht (7 Kap. 15.7.2). Augenrotationen. Torsionale Augenbewegungen werden
zur Stabilisierung der Netzhautbilder bei Neigen des Kopfes benötigt. Äußere Augenmuskeln. Die Augenbewegungen werden durch die Augenmuskeln durchgeführt (. Abb. 17.4). Die Musculi recti medialis und lateralis bewegen die Augen in der Horizontalebene nach innen (Adduktion) bzw. nach außen (Abduktion). Die Musculi rectus superior und obliquus inferior heben die Augen, die Musculi rectus inferior und obliquus superior senken die Augen. Darüber hinaus haben die Musculi recti und obliqui superior und inferior noch rotierende, adduzierende und/oder abduzierende Wirkungen (. Abb. 17.4). Innervation der Augenmuskeln. Sie wird durch den Nervus oculomotorius (Musculi recti superior, inferior und medialis, Musculus obliquus inferior), Nervus trochlearis (Musculus obliquus superior) und Nervus abducens (Musculus rectus lateralis) vermittelt. Steuerung der Augenmotorik. Sie wird von mehreren Hirnarealen gewährleistet: Die Colliculi superiores vermitteln in erster Linie die Anpassung der Augenbewegungen an die Netzhautbilder. Darüber hinaus erhalten sie akustische und somatosensorische Afferenzen. Über die parapontine retikuläre Formation und den rostralen interstitiellen Kern des medialen longitudinalen Fazikels beeinflussen sie die Augenmuskelker-
. Abb. 17.4. Zugrichtung und Innervation (Hirnnerven III, IV, VI) der Augenmuskeln
ne. Sie ermöglichen über Sakkaden die Fixierung neuer Objekte. Sie vermitteln somit die foveale Abbildung von interessierenden Objekten, die optisch (zunächst in der Netzhautperipherie) akustisch oder somatosensorisch wahrgenommen werden. Über Vestibulariskerne und die parapontine retikuläre Formation beeinflussen das Gleichgewichtsorgan und das Kleinhirn die Augenmotorik. Über Prätektum und Colliculi superiores steuert das frontale Augenfeld (Area 8) die Augenbewegungen, um die foveale Abbildung interessierender Objekte zu erzielen. Parietotemporale Assoziationsareale wirken bei der Steuerung von Folgebewegungen und des optokinetischen Nystagmus mit. Störungen der Augenmotorik. Sie treten bei Fehlfunkti-
on der Augenmuskeln, der Nerven oder der steuernden Hirnstrukturen auf. Folgen sind je nach Läsion Schielen oder fehlerhafte Augenbewegungen (z. B. Nystagmus, 7 Kap. 15.7.2).
In Kürze
Dioptrischer Apparat Physikalische Grundlagen 4 Sichtbares Licht 400–750 nm; Brechung an Grenzflächen umso stärker, je schräger Licht einfällt und je größer Verhältnis der Brechzahlen der angrenzenden Medien. Parallele Strahlen werden hinter einer Linse im Brennpunkt vereinigt. Linsenradius p o Brechung n o Brennweite (f ) p o Brechwert n in Diopt6
rien (D): D=1/f. Verbindungslinie zwischen Brennpunkten = optische Achse. Strahlen werden an vorderer und hinterer Hauptebene gebrochen. Strahlen von einem Punkt vereinigen sich hinter dem hinteren Brennpunkt und erzeugen damit ein Abbild des Punktes. Die Gerade zwischen Objekt und jeweiligem Abbild kreuzt die optische Achse im Knotenpunkt
17
396
Kapitel 17 · Visuelles System
4 Farben: Kurzwellige Strahlen blau, langwellige rot. Kurzwellige werden stärker als langwellige Strahlen gebrochen. Je weniger weiß eine Farbe enthält, desto stärker ist sie gesättigt (Farbsättigung) 4 Licht durch zwei Filter unterschiedlicher spektraler Absorption = Subtraktive Farbenmischung 4 Lichtstrahlen unterschiedlicher Wellenlänge auf eine Fläche = Additive Farbenmischung 4 Weiß erscheint nach Betrachten einer Farbe in der Komplementärfarbe = Sukzessivkontrast 4 Fläche erscheint um so heller, je dunkler angrenzende Fläche ist = Simultankontrast Auge als optisches System 4 Gesamtbrechwert des fernakkommodierten Auges ≈58 Dioptrien (dpt), Gesamtbulbuslänge ≈24,4 mm, Abstand Knotenpunkt zu Retina ≈17 mm; Im Vergleich zu Luft (=1) beträgt die Brechzahl Kornea ≈1,38, Kammerwasser ≈1,34, Linse ≈1,41. Brechwert Kornea (≈43– 3 dpt), Linse 19 dpt fernadaptiert, 33 dpt nahadaptiert Abbildungsfehler 4 Myopie: Brechwert n (Brechungsmyopie, selten) oder Augenbulbus zu lang (Achsenmyopie) o Korrektur erfordert Zerstreuungslinse (K[dpt]) = -1/FP[m]) 4 Hyperopie: Augenbulbus zu kurz (Achsenhyperopie) oder Brechwert p (Brechungshyperopie) o Sammellinse 4 Presbyopie: maximale Linsenkrümmung bei Nahakkommodationp o Lese(sammel)linse 4 Regulärer Astigmatismus: Krümmungsradien in horizontaler und vertikaler Achse verschieden o Zylinderlinsen 4 Schiefer Astigmatismus: Achsen stehen schräg zueinander o Kontaktlinsen 4 Irregulärer Astigmatismus: Hornhautoberfläche unregelmäßig o Kontaktlinsen 4 Schluss Augenlider o O2 po Transport p o Wassergehalt n o Transparenz Kornea p o Sicht nach Aufstehen p; Diabetes mellitus, Alter o Transparenz p (Katarakt, grauer Star)
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Akkomodation 4 Nahakkommodation: Parasympathikus o Musculus ciliaris o Linsenkrümmung n o bis zu +14 dpt 6
4 Fernakkommodation: Abflachung durch Zug von am Linsenäquator ansetzenden Zonulafasern 4 Akkomodationsbreite: 1/Nahpunkt [m] - 1/Fernpunkt [m] ≈14-0 (normalsichtige Kinder) Pupille 4 Beleuchtung o Afferenzen aus Retina o Tractus opticus o Area praetectalis o Edinger-Westphal-Kern, Nervus oculomotorius, Ganglion ciliare o Sphincter pupillae no Pupillenverengung (direkt und konsensuell) 4 Nahakkommodation o Pupillenverengung (bei Läsionen der Area praetectalis nur noch Verengung durch Nahakkommodation, nicht aber Beleuchtung (LichtNah-Dissoziation) 4 Sympathikus o Hypothalamus o ziliospinales Zentrum Rückenmark o Ganglion cervicale superius o M. dilatator pupillae n o lichtstarre weite Pupillen; Läsion Ganglion cervicale superius o Pupille verengt (Miosis), Lidspalte schmal (Ptose), Augapfel eingesunken (Enophthalmus) (Horner-Syndrom) Augeninnendruck 4 Kammerwasser von Epithel in Ziliarfortsätzen gebildet (ca. 3 µl/min) o vordere Augenkammer o Trabekelwerk Kammerwinkel o Schlemm-Kanal; Augeninnendruck (≈10–20 mmHg); Glaukom = Optikusneuropathie wird durch Augeninnendruck n begünstigt; Erweiterung Pupille o Verlegung Schlemm-Kanal o Abfluss p. Messung von Augendruck durch Tonometrie Tränen 4 Limbisches System, nozizeptive Afferenzen o Pons o Ganglion pterygopalatinum (Parasympathikus) o Tränendrüsensekretion ≈1 ml/Tag, Abfluss über Tränenpünktchen, Tränensack, Tränennasengang; Tränen enthalten Glukose (Versorgung Korneaepithelzellen), IgA Antikörper, antibakteriell wirksame Proteine, (im Vergleich zu Blutplasma) K+ n, Na+ p, pH n; Tränen o optische Eigenschaften der Kornea n Augenmotorik 4 Vergenzbewegungen: Zur beidseitigen fovealen Abbildung in Nähe (Konvergenz) + Ferne (Divergenz)
397 17.2 · Signalverarbeitung in der Retina
4 Folgebewegungen: Zur Fixierung eines bewegten Objektes in Fovea (bis zu 100°/s) 4 Sakkaden: Zur Fixierung eines neuen Objektes (bis zu 700°/s) 4 Optokinetischer Nystagmus: Abwechselnd Folgebewegungen und Sakkaden, Richtung wird nach schneller Komponente benannt 4 Drehen des Kopfes o Reizung Gleichgewichtsorgan o Nystagmus 4 Torsionale Augenbewegungen o Stabilisierung Netzhautbilder bei Neigen des Kopfes 4 Äußere Augenmuskeln: Musculi recti medialis und lateralis o Augen in der Horizontalebene nach innen (Adduktion) bzw. außen (Abduktion); Musculi rectus superior und obliquus inferior heben Augen; Musculi rectus inferior und obliquus superior senken Augen; Musculi recti und obliqui superior und inferior rotie-
17.2
Signalverarbeitung in der Retina
17.2.1
Aufbau der Retina
4
4 4
4
rende, adduzierende und/oder abduzierende Wirkungen. Innervation: N. oculomotorius (Musculi recti superior, inferior und medialis, Musculus obliquus inferior), N. trochlearis (Musculus obliquus superior), N. abducens (Musculus rectus lateralis) Netzhautbilder, akustische und somatosensorische Afferenzen o Colliculi superiores o parapontine retikuläre Formation o rostraler interstitieller Kern mediales longitudinales Fazikel o Augenmuskelkerne o Sakkaden o Fixierung neuer Objekte Gleichgewichtsorgan, Kleinhirn o Vestibulariskerne, parapontine retikuläre Formation o Augenmotorik Frontales Augenfeld (Area 8), Parietotemporale Assoziationsareale o Prätektum, Colliculi superiores o Augenbewegungen Fehlfunktion Augenmuskeln, Nerven, steuernde Hirnstrukturen o Schielen, Nystagmus
! Photorezeptoren geben ihre Information über Bipolarzellen an die Ganglienzellen weiter. Amakrine- und Horizontalzellen dienen der Vernetzung
Aufbau der Retina. Die Retina ist von einem Pigmentepi-
thel ausgekleidet (. Abb. 17.5). In das Pigmentepithel ragen die lichtempfindlichen Außensegmente der Photorezeptoren. Die Innensegmente der Photorezeptoren stehen in synaptischer Verbindung mit den Bipolarzellen, die auf der anderen Seite mit den Ganglienzellen verknüpft sind. Horizontalzellen bilden Querverknüpfungen zwischen Photorezeptoren, Amakrine Zellen zwischen Bipolarzellen und Ganglienzellen. Durch die Verschaltung werden rezeptive Felder geschaffen (. Abb. 17.5). Ein rezeptives Feld ist derjenige Bereich, von dem aus die Aktivität einer Ganglienzelle beeinflusst werden kann (7 Kap. 17.2.3). Zwischen den neuronalen Zellen liegen noch die retinalen Gliazellen (Müller-Zellen). Die Axone der Ganglienzellen vereinigen sich in der Papille zum Nervus opticus. Da in der Papille keine Photorezeptoren sind, kann dort kein Licht wahrgenommen werden (blinder Fleck).
. Abb. 17.5. Aufbau der Retina (oben) und rezeptive Felder (unten). Gelb: Ganglienzellen, braun: Amakrine Zellen, blau: Horizontalzellen, rosa: Bipolarzellen, grau: Stäbchen, rot, grün, blau: Zapfen (nach Grüsser und Grüsser-Cornehls aus Schmidt et al.)
17
398
Kapitel 17 · Visuelles System
Photorezeptoren. Rezeptoren der Retina (Netzhaut) sind die Stäbchen (ca. 120 Mio.) und drei verschiedene Typen von Zapfen (ca. 6 Mio.). Die Stäbchen vermitteln Dämmerungssehen (skotopisches Sehen), die Zapfen das Tagessehen (Farbensehen, photopisches Sehen). Die Innensegmente der Photorezeptoren enthalten den Zellkern. Die Außensegmente der Photorezeptoren enthalten tausende kleine Membranscheibchen. Sie werden täglich erneuert und die Reste von den Pigmentepithelzellen phagozytiert. Bei eingeschränkter Phagozytosefähigkeit der Pigmentzellen kommt es zum Untergang der Photorezeptoren (Retinitis pigmentosa). Netzhautspiegelung. Mit direkter oder indirekter Ophthalmoskopie bzw. Fundusskopie (. Abb. 17.6) lässt sich die Retina betrachten. Erkennbar ist dabei vor allem die Papilla nervi optici mit dem Nervus opticus und den aus- bzw. eintretenden Gefäßen (. Abb. 17.6) sowie die Fovea centralis bzw. Macula lutea (gelber Fleck).
17.2.2
Transduktionsprozess
! Aktivierung von Rhodopsin führt zum Abbau von cGMP und damit zur Hemmung cGMP-abhängiger depolarisierender Kanäle
17
Aktivierung von Rhodopsin und cGMP-Bildung. In den Membranscheibchen des Außensegmentes der Stäbchen (Dämmerungs- bzw. skotopisches Sehen) sind Rhodopsinmoleküle eingebaut, Membranproteine, die den Chromophor 11-cis-Retinal enthalten. Bei Einfall von Licht wandelt sich 11-cis-Retinal in All-trans-Retinal um, das Rhodopsinmolekül aktiviert das G-Protein Transducin, das wiederum eine cGMP spaltende Phosphodiesterase stimuliert (. Abb. 17.7). Die Konzentration an cGMP sinkt und dadurch wird ein Na+- und Ca2+-permeabler Kationenkanal geschlossen, der in Dunkelheit durch cGMP offen gehalten wird (depolarisierender Dunkelstrom). Der Verschluss des Kationenkanals führt zur Hyperpolarisation, da nun der Einfluss der ständig offenen K+-Kanäle überwiegt. Die Hyperpolarisation hemmt wiederum die Ausschüttung von Glutamat. Ca2+ wird durch einen Na+/Ca2+-Austauscher (im Außensegment), Na+ durch eine Na+/K+-ATPase (im Innensegment) aus der Zelle transportiert. Bei Hemmung der Kationenkanäle sinkt die intrazelluläre Ca2+-Konzentration. Dadurch wird eine Ca2+-hemmbare Guanylatzyklase enthemmt und vermehrt cGMP gebildet. Damit wird
. Abb. 17.6. Ophthalmoskopie. A: Strahlengang bei direkter Ophthalmoskopie (G = Gegenstand, B´ = Bild im Auge des Arztes, B = virtuelles Bild) B. Strahlengang bei indirekter Ophthalmoskopie. Linse (+15 dpt) ca. 50 cm vor dem Auge des Arztes. (B = umgekehrtes, reelles Bild) C. Photographie des Augenhintergrundes (rechtes Auge): A = Äste der A. centralis retinae, V = Äste der Vv. centralis retinae, P 0 Papilla nervi optici, F = Fovea centralis (nach Eysel und GrüsserCornehls aus Schmidt et al.)
bei anhaltendem Lichteinfall die Lichtempfindlichkeit herabgesetzt. Bei Unterbrechung des Lichteinfalls kommt es wieder zu schneller Zunahme der cGMP-Konzentration und des Dunkelstroms. Ein Rhodopsinmolekül kann viele Transducinmoleküle aktivieren, und eine Phosphodiesterase viele cGMP spalten. Letztlich kann ein Photon den Einstrom von einer Million Kationen hemmen. Der Transduktionsmechanismus dient somit als mächtiger Signalverstärker. Der Transduktionsprozess in Zapfen (Tages- bzw. photopisches Sehen) ist mit dem Transduktionsprozess der Stäbchen vergleichbar, statt Rhodopsin setzen die Zapfen jedoch ein anderes Protein ein (Zapfenopsine).
399 17.2 · Signalverarbeitung in der Retina
. Abb. 17.7. Zelluläre Mechanismen der Photorezeption. Durch Licht wird Rhodopsin (R) umgelagert (M-R), und aktiviert über ein G-Protein (G) eine Phosphodiesterase, die cGMP zu GMP abbaut. Damit wird ein cGMPaktivierter Kationenkanal gehemmt, der im Dunkeln die Zellmembran depolarisiert und so die Transmitterausschüttung stimuliert
Nachtblindheit. 11-cis-Retinal entsteht aus Vitamin A. Bei
Vitamin-A-Mangel ist die Bildung des Sehfarbstoffs in Stäbchen und Zapfen eingeschränkt, die Lichtwahrnehmung ist vor allem bei geringer Lichtintensität eingeschränkt, man spricht daher von Nachtblindheit (Hemeralopie).
17.2.3
Neuronale Verarbeitungsprozesse
! In der Retina erfolgt nicht nur die Umwandlung von Licht in Änderungen des Membranpotenzials von Photorezeptoren, sondern bereits eine erste neuronale Verarbeitung der optischen Information
Neuronale Verschaltungen in der Retina. Das Membran-
potenzial der Photorezeptoren reguliert die Ausschüttung von Glutamat, das die folgenden Bipolarzellen beeinflusst. Ein Teil der Bipolarzellen wird bei Lichteinfall depolarisiert (on-Bipolarzellen), der andere Teil hyperpolarisiert (off-Bipolarzellen). Über Transmitter beeinflussen die Bipolarzellen wiederum das Membranpotenzial der Ganglienzellen. Eine Depolarisation der Ganglienzellen führt zur Ausbil-
dung von Aktionspotenzialen, die über die Axone der Ganglienzellen weitergeleitet werden. Die Photorezeptoren, Bipolarzellen und Ganglienzellen werden durch Horizontalzellen und amakrine Zellen verknüpft. Diese Verknüpfungen dienen der Bildung von rezeptiven Feldern. Ein rezeptives Feld ist das gesamte Areal, von dem aus eine Ganglienzelle erregt oder gehemmt werden kann. Bei den on-Zentrumfeldern wird die Ganglienzelle durch Beleuchtung des Feldzentrums erregt und durch Beleuchtung der Feldperipherie gehemmt. Bei off-Zentrumfeldern wirkt Beleuchtung des Zentrums hemmend, und Beleuchtung der Peripherie erregend. Durch die antagonistischen Wirkungen von Zentrum und Peripherie entsteht eine kollaterale Hemmung, die zur Kontrastierung beiträgt (7 Kap. 12.5.1). Visus. Die kleinsten rezeptiven Felder in der Fovea centra-
lis bestehen aus einem einzelnen Zapfen im Feldzentrum und aus den unmittelbar benachbarten Zapfen in der Feldperipherie. Die räumliche Auflösung, d. h. die Fähigkeit, zwei getrennte Punkte gerade noch als getrennt wahrnehmen zu können, hängt von der Größe der rezeptiven Felder
17
400
Kapitel 17 · Visuelles System
ab. Sie ist in der Fovea centralis normalerweise etwa 5 µm, das entspricht einer Winkelminute (=1/60°). Der Normalsichtige kann damit eine etwa 3 mm breite Lücke in einem Ring (sog. Landolt-Ring) noch im Abstand von 10 m erkennen (Visus = 1). Erkennt man die Lücke erst in einem Abstand von 5 m, dann ist der Visus nur noch 0,5. Die Fovea centralis enthält ausschließlich Zapfen, jedoch keine Stäbchen. Die Dichte der Stäbchen ist parafoveal am höchsten. Mit der Entfernung von der Fovea centralis nimmt die Rezeptordichte (vorwiegend Stäbchen) ab und die Größe der rezeptiven Felder zu. Die räumliche Auflösung nimmt demnach in der Netzhautperipherie ab (. Abb. 17.8). Helligkeitsempfindlichkeit von Zapfen und Stäbchen. Die Zapfen benötigen wegen ihrer hohen Schwelle Tageslicht (photopisches Sehen). Ihre Empfindlichkeit ist bei etwa 500 nm (grün/blau) am größten. Da die Rotzapfen die geringste Empfindlichkeit aufweisen, verschwinden bei Dämmerung zuerst die Rotfarben und bei Dunkelheit wirkt alles bläulich. Bei geringer Leuchtstärke (Mondlicht) wird das Sehen durch die wesentlich empfindlicheren Stäbchen vermittelt (skotopisches Sehen). Die Stäbchen können jedoch keine Farben erkennen (Schwarz/Weiß-Sehen). Bei Tag
17
. Abb. 17.8. Sehschärfe in Abhängigkeit vom Abstand von der Fovea bei photopischem Sehen (Zapfen, rot) und bei skotopischem Sehen (Stäbchen, blau). Darunter der Landolt-Ring zur Bestimmung der Sehschärfe
weist die Fovea die größte Sehschärfe auf, bei geringer Leuchtstärke ist sie jedoch wegen der relativ geringen Empfindlichkeit der Zapfen annähernd blind. Zapfen sind ferner wesentlich schneller als die Stäbchen, d. h. bei kurzdauernden Lichtblitzen werden sie schneller erregt. Dunkeladaptation. Durch Einsatz mehrerer Mechanismen
ist das Auge in der Lage, Bilder ganz unterschiedlicher Leuchtstärken zu verarbeiten. Der Lichteinfall auf die Retina wird durch die Pupillenweite reguliert. Bei großer Leuchtstärke wird binnen Bruchteilen einer Sekunde die Pupille verengt und bei geringer Leuchtstärke die Pupille gleichermaßen schnell vergrößert. Die Pupillenfläche und damit die Menge einfallenden Lichtes kann auf diese Weise um den Faktor von etwa 20 verändert werden. Die Muskeln, welche die Pupillenweite regulieren, stehen unter der Kontrolle der Netzhaut (7 Kap. 17.1.5). Bei Dunkelheit wird 11-cis-Retinal nicht verbraucht und steht damit einer Photoreaktion zur Verfügung. Durch die stärkere Verfügbarkeit von 11-cis-Retinal wird die Photoempfindlichkeit der Rezeptoren gesteigert (photochemische Adaptation). Die Zapfen adaptieren schnell und erreichen ca. 10 min nach Abschalten von Licht ihre maximale Empfindlichkeit. Die Stäbchen benötigen 15 – 20 min, erreichen jedoch letztlich eine wesentlich größere Empfindlichkeit. Der Übergang von Zapfensehen in das Stäbchensehen erzeugt einen Knick in der Adaptationskurve (Kohlrausch-Knick, . Abb. 17.9). Da die Stäbchen ihre größte spektrale Empfindlichkeit bei 500 nm aufweisen, werden sie durch grün/blaues Licht auch am meisten geblendet. Durch Verwendung von gelbem oder rotem Licht z. B. im Straßenverkehr kann somit die Blendung der Stäbchen herabgesetzt werden. Die Adaptation wird schließlich teilweise durch Anpassung neuronaler Verschaltung an die Leuchtstärke erzielt. Über dopaminerge amakrine Zellen hemmen Zapfen bei großer Leuchtstärke die Weiterleitung der Erregung aus den Stäbchen. Darüber hinaus wird die Verschaltung der rezeptiven Felder der Helligkeit angepasst. Bei geringer Leuchtstärke nimmt das Zentrum des rezeptiven Feldes auf Kosten der Peripherie zu. Folge ist neben einer Zunahme der Empfindlichkeit eine Abnahme der räumlichen Auflösung. Elektroretinogramm. Bei Belichtung der Retina können
zwischen der Kornea und einer indifferenten Elektrode an der Stirn Potenzialschwankungen abgegriffen werden (Elektroretinogramm). Kurze Belichtung löst zunächst eine
401 17.2 · Signalverarbeitung in der Retina
. Abb. 17.9. Dunkeladaptation. Adaptation von Zapfen (rot) und Stäbchen (blau). Aufgetragen ist (in logarithmischer Skala!) die Schwellenreizstärke in Abhängigkeit von der Zeit nach Wechsel von Licht zu Dunkelheit. Die Stäbchen erreichen niedrigere Schwellenwerte, adaptieren jedoch langsamer als die Zapfen. Bei weißem Licht (das Zapfen und Stäbchen erregt) entsteht dadurch bei Übergang von Zapfensehen in das Stäbchensehen der sog. Kohlrausch-Knick
a-Welle durch die Potenzialänderung an den Rezeptoren aus, gefolgt von einer b-Welle durch Erregung der nachgeschalteten Zellen und einer c-Welle durch Potenzialänderungen über das Pigmentepithel. Bei Löschen des Lichtes entsteht eine d-Welle durch Erregungsumkehr. Bei Erkrankungen der Retina können frühzeitig Veränderungen des Elektroretinogramms auftreten. Durch das in der Retina erzeugte Potenzial wirkt das Auge wie ein Dipol. Mit den Augen bewegt sich der Dipol und durch Abgreifen der Potenzialdifferenz zwischen den beiden Schläfen lassen sich daher Augenbewegungen verfolgen.
17.2.4
Retinale Mechanismen des Farbensehens
! Die Fähigkeit, Farben zu sehen, ist an die unterschiedliche spektrale Empfindlichkeit der Zapfen gebunden
Farbempfindlichkeit der Zapfen. Die Farbstoffe der Blau-,
Grün- und Rotzapfen weisen jeweils unterschiedliche spektrale Empfindlichkeit auf (Maximum bei 440, 535 und 567 nm, . Abb. 17.10). Daher wird Licht verschiedener Wellenlänge von den verschiedenen Zapfentypen unter-
. Abb. 17.10. Spektrale Empfindlichkeit unterschiedlicher Zapfen (blau, grün, rot) und der Stäbchen (schwarz). Angegeben ist die relative Schwellenlichtintensität. Beachte den logarithmischen Maßstab der Ordinate
schiedlich gut wahrgenommen und Unterschiede in der Erregung der verschiedenen Zapfentypen zeigen die jeweilige Farbe an. Die spektrale Eigenschaft des einfallenden Lichtes wird in der Retina durch Vergleich der Aktivierung unterschiedlicher Zapfentypen analysiert, wobei Farbtüchtige anhand von Farbton, Helligkeit und Sättigung ca. 10 Millionen unterschiedliche Farben unterscheiden können. Dabei kann der Eindruck einer bestimmten Farbe durch verschiedenste Kombinationen an Licht unterschiedlicher Wellenlänge erzeugt werden. Farbkonstanz. Bunte Gegenstände können bei Kunstlicht
(fast) so wie bei natürlichem Sonnenlicht wahrgenommen werden, obgleich die spektrale Eigenschaft der Farben durch die unterschiedliche spektrale Eigenschaft der Beleuchtung verfälscht sein sollte. Eine Ursache für diese Farbkonstanz ist die Adaptation der Zapfen. Farbenblindheit. Mutationen der Gene für die Farbstoffe der Blau-, Grün- und Rotzapfen beeinträchtigen das Farbensehen. Ein teilweiser bzw. völliger Ausfall der jeweiligen Farbstoffe führt zur Rotschwäche (Protanomalie) bzw. Rotblindheit (Protanopie), Grünschwäche (Deuteranomalie) bzw. Grünblindheit (Deuteranopie) oder Blauschwäche (Tritanomalie) bzw. Blaublindheit (Tritanopie). Da die Gene für den Rot- und Grünfarbstoff auf dem X-Chromosom liegen, sind sehr viel mehr Männer als Frauen von einer Rot-Grün-Blind-
17
402
Kapitel 17 · Visuelles System
heit betroffen. Bei Ausfall aller Zapfen fehlt nicht nur der Farbensinn, sondern auch die Sehschärfe ist massiv eingeschränkt, da der Patient nur noch mit den Stäbchen sehen
kann (Stäbchenmonochromasie). Die Farbentüchtigkeit kann mit Tafeln getestet werden, in denen die Zahlen nur mit Hilfe der entsprechenden Zapfen richtig erkannt werden.
In Kürze
Signalverarbeitung in der Retina
17
o rezeptive Felder (Bereich, von dem aus die Aktivität Aufbau der Retina einer Ganglienzelle beeinflusst werden kann) on-Zen4 Pigmentepithel: lichtempfindliche Außensegmente der trumfeld: Beleuchtung im Zentrum stimuliert, in PeriphePhotorezeptoren, deren Innensegmente synaptisch verrie hemmt Ganglienzelle; off-Zentrumfeld umgekehrt knüpft mit Bipolarzellen, diese verknüpft mit Gang4 Visus: Kleinste rezeptive Felder in Fovea centralis (1 Zaplienzellen. Querverknüpfungen zwischen Photorezepfen Feldzentrum und unmittelbar benachbarte Zapfen in toren durch Horizontalzellen, zwischen Bipolarzellen Feldperipherie). Räumliche Auflösung ≈5 µm ≈1/60° und Ganglienzellen durch Amakrine Zellen. Retinale Glia≈3 mm breite Lücke in Landolt-Ring im Abstand von zellen (Müller-Zellen). Axone der Ganglienzellen vereinigen sich in Papille zum Nervus opticus (blinder Fleck) 10 m, Visus = 1 [Abstand 5 m Visus = 0,5]. Fovea centralis 4 Photorezeptoren: Stäbchen (≈120 Mio, skotopisches ausschließlich Zapfen, Stäbchendichte parafoveal am Sehen), drei verschiedene Zapfentypen (≈6 Mio, photohöchsten, nimmt zur Netzhautperipherie ab 4 Zapfen o photopisches Sehen (Tageslicht), Empfindpisches Sehen). Innensegmente Zellkern, Außenseglichkeit bei ≈500 nm (grün/blau) am größten. Stäbchen mente Membranscheibchen (täglich erneuert, Reste von o skotopisches Sehen (Dämmerung, Schwarz/Weiß). Pigmentepithel phagozytiert; eingeschränkte PhagozyZapfen schneller als Stäbchen tosefähigkeit o Retinitis pigmentosa). 4 Netzhautspiegelung: Direkte oder indirekte Ophthal4 Dunkeladaptation o Pupillenweite n (≈20-fach), 11-cismoskopie bzw. Fundusskopie Retinal n (photochemische Adaptation, Zapfen ≈10 min, Stäbchen ≈15–20 min nach Blendung maximale EmpfindTransduktionsprozess lichkeit). Übergang Zapfensehen in Stäbchensehen o Kohlrausch-Knick. Stäbchen durch 500 nm (grün/ 4 Licht o Stäbchen o 11-cis-Retinal in All-trans-Retinal blau) am stärksten geblendet; Anpassung neuronale o Rhodopsin n o G-Protein Transducin n o PhosphoVerschaltung: Geringe Leuchtstärke o Zentrum n, Peridiesterase o cGMP p o Na+- und Ca2+-permeabler pherie p rezeptives Feld o Empfindlichkeit n, räumliche Kationenkanal p o Hyperpolarisation o Ausschüttung Auflösung p von Glutamat p 4 Kationenkanal p o Ca2+-Einstrom p (Na+ o Na+/K+-ATPa- 4 Elektroretinogramm: Belichtung o Potenzial zwischen se, Ca2+ o Na+/Ca2+-Austauscher) o Ca2+-KonzentraKornea und Stirn o a-Welle (Rezeptoren) o b-Welle tion p o Guanylatzyklase n o cGMP n o Lichtempfind(nachgeschaltete Zellen) o c-Welle (Pigmentepithel); lichkeit p Licht-Löscheno d-Welle; Auge = Dipol o Augenbewe4 Unterbrechung Lichteinfall o cGMP n o Kationengungen o Potenzialänderungen kanal n (Dunkelstrom) o Ca2+-Konzentration n o Guanylatzyklase po cGMP no Sensitivität n Retinale Mechanismen des Farbensehens 4 Zapfen statt Rhodopsin Zapfenopsine 4 Farbstoffe Blau-, Grün- und Rotzapfen Empfindlichkeits4 Vitamin-A-Mangel o Bildung 11-cis-Retinal p o Nachtmaximum bei 440, 535 und 567 nm; ≈10 Millionen unterblindheit (Hemeralopie) schiedliche Farben (Farbton, Helligkeit, Sättigung) Farbenblindheit: Mutationen der Gene für die Farbstoffe der Blau-, Grün- und Rotzapfen o Rotschwäche/blindheit Neuronale Verarbeitungsprozesse (Protanomalie/anopie), Grünschwäche/blindheit (Deu4 Photorezeptoren o Glutamat o Depolarisation onteranomalie/anopie), Blauschwäche/blindheit (TritanoBipolarzellen, Hyperpolarisation off-Bipolarzellen, malie/anopie). Rot- und Grünfarbstoff auf X-Chromosom o Ganglienzellen o Aktionspotenziale 4 Verknüpfung Photorezeptoren, Bipolarzellen und Gango M >> W rot-grün-blind; Ausfall aller Zapfen o Stäblienzellen durch Horizontalzellen und amakrine Zellen chenmonochromasie)
403 17.3 · Zentrale Repräsentation des visuellen Systems
17.3
Zentrale Repräsentation des visuellen Systems
17.3.1
Gesichtsfeld
! Die Gesamtheit des im Auge abgebildeten Raumes ist das Gesichtsfeld
Perimetrie. Zur Prüfung der Funktionsfähigkeit der verschiedenen Netzhautareale wird das Gesichtsfeld bestimmt (. Abb. 17.11). Dazu fixiert die untersuchte Person mit einem Auge das Zentrum des halbkugelförmigen Perimeters, und es werden an verschiedenen Punkten Lichtreize angeboten. Die Ergebnisse werden in eine Karte eingetragen. Farben und Bewegungen im Gesichtsfeld. In der Periphe-
rie wird Licht vorwiegend durch farbunempfindliche Stäbchen mit großen rezeptiven Feldern aufgenommen. Die Peripherie ist also verschwommen und wenig farbig. Dafür werden bewegte Objekte in der Peripherie relativ gut wahrgenommen. Damit werden Gefahren (ein heranrasendes Auto) früher erkannt. Gesichtsfeldausfälle. Bei Läsionen in einem Netzhautareal
wird der Lichtreiz in dem entsprechenden Bereich des Gesichtsfeldes nicht wahrgenommen (Skotom). Lichtreize, die auf die Macula nervi optici treffen, werden auch vom Normalsichtigen nicht erkannt (blinder Fleck, etwa 15° temporal vom Fixationspunkt . Abb. 17.11). Gesichtsfeldausfälle entstehen nicht nur bei Schädigung der Netzhaut, sondern auch bei Läsionen in der Sehbahn (. Abb. 17.12).
. Abb. 17.11. Gesichtsfeld. Links: Bestimmung des Gesichtsfeldes, Rechts: Gesichtsfeld des linken (rot) und des rechten (blau) Auges bei
. Abb. 17.12. Die Sehbahn (links) und Gesichtsfeldausfälle (rechts) bei Läsionen der Sehbahn. Beachte, daß die Afferenzen zur Area prätectalis vor dem Corpus geniculatum laterale abzweigen. Läsionen im Corpus geniculatum und nachgeschalteten Neuronen beeinträchtigen daher nicht die Pupillenreaktion
17.3.2
Verlauf der Sehbahn
! Afferenzen aus nasalen, nicht aber aus temporalen Netzhautabschnitten kreuzen, foveale Afferenzen werden zur Sehrinde beider Seiten weitergeleitet
Verlauf der Sehbahn. Die Informationen aus beiden Augen
werden über die Sehbahn zur Sehrinde weitergeleitet (. Abb. 17.11). Dabei kreuzen im Chiasma opticum die Axone aus den nasalen Hälften der Retina, während die
einem Gesunden. BF = blinder Fleck (nach Grüsser und Grüsser-Cornehls aus Schmidt et al.)
17
404
Kapitel 17 · Visuelles System
Axone aus den temporalen Anteilen ungekreuzt weiterlaufen. Nach dem Chiasma opticum laufen die Axone als Tractus opticus weiter. Ein Teil der Fasern (v. a. aus den magnozellulären Ganglienzellen, 7 Kap. 17.4.2) projiziert zu den Colliculi superiores und die prätectale Region. Die Kerne dienen der Steuerung von Augenbewegungen, vor allem zur Erreichung fovealer Abbildung interessierender Objekte. Der größte Teil der Fasern projeziert jedoch in das Corpus geniculatum laterale des Thalamus. Vom Corpus geniculatum laterale gelangen die Afferenzen über die Radiatio optica zur Sehrinde im Occipitallappen. Läsionen der Sehbahn (. Abb. 17.12). 4 Eine Läsion im temporalen Bereich der Retina des lin-
ken Auges führt zu einem Gesichtsfeldausfall dieses Auges auf der rechten Seite
4 Eine Unterbrechung des Sehnerven des linken Auges
hat den Ausfall des gesamten Gesichtsfeldes zur Folge 4 Eine Unterbrechung der Leitung im Chiasma opticum betrifft v. a. die kreuzenden Fasern, bei beiden Augen ist der laterale Anteil des Gesichtsfeldes ausgefallen (»Scheuklappenblindheit«, bitemporale Hemianopsie) 4 Eine Unterbrechung des Tractus opticus links hat in beiden Augen den Ausfall der rechten Gesichtsfeldhälfte zur Folge 4 Unterbrechungen in der Radiatio optica und in der primären Sehrinde führen zu weiteren charakteristischen, von der Lokalisation abhängigen Gesichtsfeldausfällen
In Kürze
Zentrale Repräsentation des visuellen Systems Gesichtsfeld 4 Bestimmung des Gesichtsfeldes o Perimetrie; Peripherie farbunempfindliche Stäbchen mit großen rezeptiven Feldern o verschwommen, unfarbig, aber empfindlich für bewegte Objekte; Gesichtsfeldausfälle = Skotome (Schädigung Netzhaut, Sehbahn); Macula nervi optici = blinder Fleck Verlauf der Sehbahn 4 Axone aus den nasalen Retinahälften kreuzen (temporale kreuzen nicht) im Chiasma opticum o Tractus
17.4
Informationsverarbeitung in der Sehbahn
17.4.1
Verschaltung der Sehbahn
opticus; kleiner Teil o Colliculi superiores, prätectale Region o Augenbewegungen; größter Teil o Corpus geniculatum laterale o Radiatio optica o Sehrinde (Occipitallappen) 4 Läsionen: Temporale Retina links o Gesichtsfeldausfall linkes Auge rechts; Sehnerv linkes Auge o Ausfall gesamtes Auge; Unterbrechung Chiasma opticum o »Scheuklappenblindheit« (bitemporale Hemianopsie), Unterbrechung Tractus opticus links o beide Augen Ausfall rechte Gesichtsfeldhälfte
auch stärker repräsentiert als die Netzhautperipherie. Etwa die Hälfte der Neurone im corpus geniculatum laterale repräsentiert foveale Ganglienzellen. Retinotope Organisation. Im Corpus geniculatum laterale
17
! Die Afferenzen bleiben bei der Weiterleitung durch die Sehbahn retinotop organisiert
und in der Radiatio optica sind die Afferenzen streng retinotop organisiert.
Zuordnung korrespondierender Netzhautstellen. Afferen-
Verarbeitungsprozesse in den übertragenden Schaltstellen. Die Übertragung im Corpus geniculatum laterale
zen aus dem linken Gesichtsfeld (nasale Retinahälfte linkes Auge und laterale Retinahälfte rechtes Auge) gelangen über die Radiatio optica in die Sehrinde der rechten Hemisphäre und das rechte Gesichtsfeld wird in der linken Sehrinde abgebildet. Foveal abgebildete Gegenstände werden in die Sehrinden beider Hemisphären projiziert. Die Fovea ist
wird durch mehrere Einflüsse modifiziert (7 Kap. 17.4.3). Insbesondere unterliegt die Weiterleitung von Afferenzen der Kontrolle von efferenten Bahnen aus dem visuellen Cortex.
405 17.4 · Informationsverarbeitung in der Sehbahn
17.4.2
Retina
! Die Retina enthält Ganglienzellen, die auf die Wahrnehmung von Farbe, Helligkeit und Bewegung spezialisiert sind
Form und Farbe. Besonders im Zentrum der Netzhaut liegen Ganglienzellen, die in erster Linie Form und Farben wahrnehmen können. Das rezeptive Feld eines solchen Ganglions enthält beispielsweise ein Zentrum, das durch rot und eine Peripherie, die durch grün aktiviert wird. Die überwiegende Zahl (80%) von Ganglienzellen haben mittlere Zellkörper und kleine, dichte Dendritenfelder (parvozelluläres System). Sie sind tonisch, farbempfindlich und hochauflösend. Eine kleine Gruppe von Ganglienzellen (10%) sind groß und haben ein weit verzweigtes dichtes Dendritenfeld (magnozelluläres System). Sie sind phasisch, kontrastempfindlich und achromatisch. Ein kleine Gruppe von Ganglienzellen (<10%) hat sehr kleine Zellkörper, aber große, wenig dichte Dendritenfelder (koniozelluläres System). Sie sind blauempfindlich. Sehr kleine Ganglienzellen dienen auch der Pupillenreflexbahn. Bewegung und stereoskopischer Eindruck. Für die Wahr-
nehmung von Bewegung und Kontrast sind Ganglienzellen spezialisiert, die ihre Afferenzen hauptsächlich von Bipolarzellen der Stäbchen beziehen und daher auf unterschiedliche Helligkeit unabhängig von den Farben ansprechen. Die magnozellulären Neurone in der Netzhautperipherie weisen dabei eine gute zeitliche Auflösung auf. Sie sind daher für die Wahrnehmung von Bewegungen besonders geeignet.
17.4.3
Corpus geniculatum laterale
! Das Corpus geniculatum laterale ist monosynaptische Umschaltstelle zwischen Retina und Sehrinde
Gekreuzte Projektion. Im rechten Corpus geniculatum laterale wird die linke Gesichtshälfte beider Augen und im linken Corpus geniculatum die rechte Gesichtshälfte beider Augen abgebildet. Retinotope Organisation. Im Corpus geniculatum latera-
le sind die Neurone retinotop organisiert, d. h. benach-
barte retinale Ganglienzellen projizieren zu benachbarten Neuronen im Corpus geniculatum laterale. Dabei wird das magnozelluläre System ventral, das parvozelluläre System dorsal, das koniozelluläre System dazwischen umgeschalten. Kontrolle der Weiterleitung. Die Weiterleitung im Corpus
geniculatum laterale wird durch laterale Hemmung, Afferenzen aus dem Hirnstamm und Projektionen aus der Sehrinde beeinflusst. Auf diese Weise wird weitere Kontrastierung und Selektion der Afferenzen erzielt.
17.4.4
Visuelle Cortices
! Primäre und sekundäre Sehrinden analysieren und interpretieren die Afferenzen aus der Netzhaut.
Aufgaben zentraler Informationsverarbeitung. Jeweils getrennte Neurone in der primären Sehrinde (Area 17) analysieren Gestalt, Farbe und Bewegung von abgebildeten Objekten. Für die Wahrnehmung von Gestalt und Farbe werden v. a. die Afferenzen aus den parvozellulären Ganglienzellen herangezogen, für die Aufdeckung von Bewegungen die Information aus den magnozellulären Ganglienzellen. Neurone, welche Bewegung wahrnehmen, reagieren z. B. nur auf Objekte, die sich in eine Richtung bewegen (z. B. von links nach rechts), während sie auf andere Bewegungen (z. B. von oben nach unten) nicht reagieren (Richtungsspezifität). Sie beziehen ihre Information vorwiegend durch das magnozelluläre System, Bei der Wahrnehmung von Farbe wird das Erregungsniveau eines rezeptiven Feldes mit dem anderer rezeptiver Felder verglichen. Damit ist eine Farbe auch bei unterschiedlicher Tönung der Beleuchtung noch erkennbar. Neben dem Farbton wird die Farbsättigung (bzw. der Anteil an Graustufen) und die Helligkeit analysiert. Einzelne Neurone, welche die Gestalt wahrnehmen, reagieren z. B. immer dann, wenn zwei übereinander liegende rezeptive Felder gleichzeitig aktiviert werden. Die gleichen Neurone werden durch gleichzeitige Aktivierung nebeneinander liegender Neurone nicht erregt (Orientierungsspezifität). Sie beziehen ihre Information vorwiegend durch das parvozelluläre System. Die Neurone, welche die jeweils gleichen Eigenschaften der wahrgenommenen Objekte analysieren, sind in Säulen übereinander angeordnet. Die Säulen für die verschiedenen
17
406
Kapitel 17 · Visuelles System
Eigenschaften (Orientierung, Richtung, Farbe) aus einem definierten Netzhautareal liegen wiederum nebeneinander und bilden eine Hyperkolumne, in der die Informationen über alle Eigenschaften der in diesem Netzhautareal abgebildeten Objekte verarbeitet werden. Assoziative Hirnareale. Die Interpretation der visuellen Information erfordert den Einsatz assoziativer Hirnrindenareale. Informationen über Gestalt und Farbe werden zunächst in die Area 18 des Occipitallappens (V1, V2, V3, V4) überspielt. Von dort wird die Information an die Areae 20 und 21 des unteren Temporallappens weitergegeben. Dort findet man Neurone, die nur bei visueller Wahrnehmung von Gesichtern aktiviert werden. Andere Neurone sprechen nur auf Hände an. Es werden auf diese Weise visuelle Informationen als bestimmte Objekte erkannt. Geschriebenes Wort wird von der Area 18 in die Area 39 des Parietallappens überspielt und dort erkannt. Bewegungsinformation wird von der Area 18 in die Area 19 (V5) auf der medialen Seite des Temporallappens übertragen und gelangt schließlich in das frontale Augenfeld (Area 8). Die Area 8 steuert u. a. die Augenbewegungen und damit die visuelle Aufmerksamkeit. Ausfall der primären Sehrinde. Ein Ausfall der primären Sehrinde führt zur Unfähigkeit, visuelle Reize wahrzuneh-
men, obgleich Retina und z. B. Pupillenreflexe intakt sind (Rindenblindheit). So werden z. B. optische Eindrücke, die über die primäre Sehrinde aufgenommen werden, zunächst in der sekundären Sehrinde analysiert. Läsionen in assoziativen Rindenfeldern. Ein Defekt in der
sekundären Sehrinde erzeugt Seelenblindheit, bei der Objekte zwar gesehen und wahrgenommen, aber nicht erkannt werden. Läsionen in occipitotemporalen Assoziationsfeldern führen zur Unfähigkeit, 4 Objekte (Objektagnosie), 4 Gesichter und mimische Ausdrucksformen (Prosopagnosie) und 4 Farben (Achromatopsie) zu erkennen.
17
Läsionen im hinteren Anteil des Temporallappens haben eher allgemeine Ausfälle, Läsionen in vorderen Anteilen des Temporallappens spezifischere Ausfälle zur Folge. Läsionen in den occipitoparietalen Assoziationsfeldern können zu Hemineglekt führen, dem Ignorieren von Wahrnehmungen aus einer Raumhälfte. Er ist bei Läsionen der rechten Hemisphäre (Ignorieren von Objekten
auf der linken Seite) stärker ausgeprägt als bei Läsionen auf der linken Hemisphäre, da die rechte Hemisphäre für die räumliche Orientierung dominierend ist. Bei Läsionen im occipitoparietalen Lappen sind die Patienten zudem unfähig, Bewegungen von Objekten wahrzunehmen (Akinetopsie). Läsionen in visuellen Assoziationsfeldern führen ferner zu fehlerhafter räumlicher und dreidimensionaler Wahrnehmung, Objekte werden verzerrt (Dysmorphopsie, Metamorphopsie) als zu klein (Mikropsie) oder zu groß (Makropsie) wahrgenommen. Andere Läsionen führen zur Asynthesie (Unfähigkeit, verschiedene Eigenschaften eines Objektes zu kombinieren). Bei Unterbrechung der Verbindung von der Sehrinde zur Area 39 kann der Patient nicht mehr lesen (Alexie).
17.4.5
Tiefenwahrnehmung
! Wegen des Augenabstandes ist das Bild auf beiden Netzhäuten verschieden (Querdisparation). In der primären Sehrinde werden die Bilder aus beiden Augen verrechnet, sodass ein dreidimensionales Bild entsteht
Horopterkreis. Normalerweise wird das jeweils interessierende Objekt in beiden Augen foveal abgebildet. In der primären Sehrinde decken sich Bilder dieses Objektes weitgehend. Diejenigen Punkte des Gesichtsfeldes, die auf korrespondierenden Netzhautarealen abgebildet werden, bilden einen Kreis, der durch den Fixationspunkt (das, in beiden Foveae abgebildete Objekt) und die Knotenpunkte der beiden Augen geht (Horopterkreis, . Abb. 17.13). Die Bilder aus den korrespondierenden Netzhautarealen beider Augen werden in die gleichen Areale der Sehrinde projiziert. Objekte, die außerhalb des Horopterkreises liegen, werden auf nicht korrespondierende (disparate) Netzhautareale abgebildet und daher in verschiedene Areale der Sehrinde projiziert. Folglich werden sie doppelt gesehen. Allerdings werden Punkte geringfügig oberhalb und unterhalb des Horopterkreises noch nicht doppelt gesehen, der Horopterkreis ist daher eigentlich ein Band (PanumFusionsareal). Tiefenschärfe. Die unscharfe binokulare Abbildung von
Objekten vor und hinter dem Horopterkreis vermittelt einen Eindruck von Tiefenschärfe. Mit ihrer Hilfe kann abgeschätzt werden, in welcher Entfernung sich ein abgebildetes Objekt befindet. Unabhängig von binokularem Sehen kön-
407 17.4 · Informationsverarbeitung in der Sehbahn
Auge« die entsprechende Entwicklung der Sehrinde und die Sehkraft des Auges bleibt eingeschränkt (Schielamblyopie). Deshalb muss eine Schielbehandlung möglichst frühzeitig begonnen werden und vor dem 6./7. Lebensjahr abgeschlossen sein. In Kürze
Informationsverarbeitung in der Sehbahn Verschaltung der Sehbahn 4 Linkes Gesichtsfeld (nasale Retinahälfte linkes Auge + laterale Retinahälfte rechtes Auge) o Radiatio optica o rechte Sehrinde (und umgekehrt). Fovea o beide Sehrinden. ≈Hälfte der Neurone im Corpus geniculatum laterale repräsentieren foveale Ganglienzellen; Corpus geniculatum laterale und Radiatio optica streng retinotop organisiert. Übertragung im Corpus geniculatum laterale wird u. a von efferenten Bahnen aus dem visuellen Cortex kontrolliert
. Abb. 17.13. Horopterkreis. Strahlen von den Objekten A, B, C erzeugen in den Augen die Abbilder a, b, c. Bei Fixierung eines Objektes (A) werden Objekte, die auf dem zu A gehörenden Horopterkreis (z. B. B) liegen, auf analogen Punkten der Retina abgebildet (d. h. b ist in beiden Augen im gleichen Abstand rechts von a). Objekte, die außerhalb des Horopterkreises liegen (z. B. C) werden in beiden Augen jedoch an unterschiedlichen Stellen abgebildet (im linken Auge fällt c mit b zusammen, im rechten Auge ist es links von a). Dadurch werden Doppelbilder erzeugt, wie im (gedachten) Mittelauge deutlich wird
nen Entfernungen durch Vergleich des Bildes mit der angenommenen Größe von Objekten, durch Schattenbildung, Bewegungen der Objektbilder bei Bewegung des Betrachters etc. abgeschätzt werden (monokulares Tiefensehen). Durch gezielte Manipulation dieser Informationen kann das Gehirn getäuscht werden (optische Täuschungen).
Retina 4 Ganglienzellen: Parvozelluläres System (≈80%, mittlere Zellkörper, kleine, dichte Dendritenfelder = tonisch, farbempfindlich, hochauflösend); MagnozelluläresSystem (≈10%, groß, weit verzweigtes dichtes Dendritenfeld = phasisch, kontrastempfindlich, achromatisch); Koniozelluläres System (<10% kleine Zellkörper, große, wenig dichte Dendritenfelder = blauempfindlich). Sehr kleine Ganglienzellen o Pupillenreflexbahn. 4 Stäbchen o Bipolarzellen o (magnozelluläre) Ganglienzellen o Wahrnehmung Bewegung, Kontrast Corpus geniculatum laterale 4 Rechtes Corpus geniculatum laterale = linke Gesichtshälfte beider Augen (und umgekehrt); Retinotope Organisation; magnozelluläres System ventral, parvozelluläres System dorsal, koniozelluläres System dazwischen; Laterale Hemmung, Afferenzen aus dem Hirnstamm, Projektionen aus der Sehrinde o Weiterleitung o Kontrastierung, Selektion
Schielen. Bei Fehlfunktion der Augenmuskeln werden äu-
ßere Objekte nicht auf korrespondierenden Netzhautarealen abgebildet und es entstehen Doppelbilder (Schielen, Strabismus). Zur Vermeidung von Doppelbildern kann die Afferenz aus einem Auge in der Sehrinde unterdrückt werden. Bei angeborenem Schielen unterbleibt wegen der anhaltenden Unterdrückung des Bildes aus dem »schwachen
Visuelle Cortices 4 primäre Sehrinde (Area 17) analysiert Gestalt, Farbe (parvozelluläre Ganglienzellen), Bewegung; (magnozelluläre Ganglienzellen). Bewegung 6
17
408
Kapitel 17 · Visuelles System
o Richtungsspezifität; Farbenvergleich mit anderen rezeptiven Feldern o Beleuchtungsunabhängigkeit; Gestalt o Orientierungsspezifität; Gleiche Eigenschaften wahrgenommener Objekte o Säulen, verschiedene Eigenschaften (Orientierung, Richtung, Farbe) aus definiertem Netzhautareal nebeneinander o Hyperkolumne (alle Eigenschaften der in diesem Netzhautareal abgebildeten Objekte) 4 Assoziative Hirnareale: Gestalt, Farbe o Area 18 Occipitallappen (V1, V2, V3, V4) o Areae 20 und 21 unterer Temporallappen (Erkennen z. B. von Gesichtern). Geschriebenes Wort o Area 18 o Area 39 Parietallappen. Bewegungsinformation o Area 18 o Area 19 (V5) mediale Seite Temporallappen o frontales Augenfeld (Area 8) o Augenbewegungen, visuelle Aufmerksamkeit 4 Ausfall primäre Sehrinde o keine Wahrnehmung visueller Reize (Rindenblindheit). 4 Läsionen in assoziativen Rindenfeldern o Seelenblindheit o Objektagnosie, Prosopagnosie Achromatopsie Dysmorphopsie, Metamorphopsie, Mikropsie, Makropsie, Asynthesie (hinterer Anteil Temporallappen o allgemeine Ausfälle, vordere Anteile Temporallappen o spezifischere Ausfälle); Läsionen
17
occipitoparietale Assoziationsfelder o Hemineglekt (rechte Hemisphäre > linke Hemisphäre); Läsionen occipitoparietaler Lappen o Akinetopsie; gestörte Verbindung zu Area 39 o Alexie Tiefenwahrnehmung 4 Horopterkreis (Gesichtsfeldanteile, die auf korrespondierenden Netzhautarealen abgebildet werden) durch foveal abgebildetes Objekt und Knotenpunkte beider Augen. Objekte außerhalb des Horopterkreises werden auf nichtkorrespondierende (disparate) Netzhautareale abgebildet und doppelt gesehen (Punkte geringfügig oberhalb und unterhalb des Horopterkreises werden nicht doppelt gesehen, Panum-Fusionsareal) 4 Entfernungsschätzung o Unscharfe binokulare Abbildung von Objekten vor und hinter dem Horopterkreis (o Tiefenschärfe), Schattenbildung, Bewegungen Objektbilder bei Bewegung des Betrachters (monokulares Tiefensehen) 4 Angeborene Fehlfunktion der Augenmuskeln o Doppelbilder o anhaltende Unterdrückung Afferenz aus einem Auge o Entwicklung der Sehrinde p o Sehkraft des Auges p (Schielamblyopie) o Schielbehandlung soll vor dem 6./7. Lebensjahr abgeschlossen sein
18
18 Auditorisches System 18.1
Physiologische Akustik
18.1.1 18.1.2
Grundbegriffe – 410 Testverfahren – 411
– 410
18.2
Gehörgang und Mittelohr – 413
18.2.1 18.2.2
Außenohr und Gehörgang Mittelohr – 413
18.3
Innenohr
18.3.1 18.3.2
Bau des Innenohrs – 414 Innenohrschwerhörigkeit – 415
18.4
Zentrale Hörbahn und kortikale Repräsentation – 417
18.4.1 18.4.2
Verschaltungen der Hörbahn Zentrale Tonanalyse – 418
18.5
Sprachbildung und Sprachverständnis – 419
18.5.1 18.5.2 18.5.3
Stimmbildung – 419 Sprachverständnis – 420 Aphasien – 420
18.6
Gleichgewichtssinn – 422
18.6.1 18.6.2 18.6.3 18.6.4 18.6.5
Bau der Gleichgewichtsorgane – 422 Reizaufnahme und Erregung im Gleichgewichtsorgan Verschaltungen des Gleichgewichtssinns – 423 Störungen des Gleichgewichtssinns – 424 Prüfung des Gleichgewichtssinns – 424
– 413
– 414
– 417
– 423
410
18
Kapitel 18 · Auditorisches System
> > Einleitung Das Gehör analysiert und interpretiert Schallwellen. Das Sinnesorgan und die folgende neuronale Verarbeitung sind so leistungsfähig, dass etwa die Töne einzelner Instrumente in einem Orchester erkannt werden. Diese Leistungsfähigkeit war Voraussetzung für die Entwicklung der Sprache als wichtigstes Instrument menschlicher Kommunikation. Dem auditorischen System benachbart und funktionell verwandt ist das Gleichgewichtsorgan, das über Lage und Bewegung des Kopfes informiert.
18.1
Physiologische Akustik
18.1.1
Grundbegriffe
! Schallwellen sind Druckwellen, die sich in Luft mit einer Geschwindigkeit von etwa 330 m/s ausbreiten. Schallintensität wird in Dezibel, Lautstärke in Phon und Lautheit in Sone ausgedrückt
Schalldruckpegel (Dezibel, dB). Bei der Quantifizierung
des Schalldruckes (p) verwendet man ein relatives logarithmisches Maß. Eingesetzt wird der Schalldruck im Verhältnis zu einem Bezugsschalldruck. Bei einem Bezugsschalldruck p0 von 2 · 10-5 N/m2 erhält man die Werte für den Schalldruckpegel L in Dezibel SPL (sound pressure level): L = 10 lg px2/p02 oder L = 20 lg px/p0 [dB SPL]
Bei einer Zunahme des Schalldruckes auf das Doppelte nimmt der Schalldruckpegel L um 6 dB zu (lg2=0,3). Bei zwei Schallquellen addiert sich die Schallenergie (E~p2), nicht der Schalldruck. Erzeugt ein Motorrad z. B. einen Lärm von 60 dB, dann erzeugen zehn solche Motorräder einen Lärm von 70 dB, zwei Motorräder einen Lärm von 63 dB. Phon. Die Empfindlichkeit des Hörorgans ist nicht für alle
Frequenzen gleich. Vielmehr ist die Empfindlichkeit normalerweise bei 4.000 Hertz am höchsten und nimmt zu tieferen und höheren Frequenzen ab (. Abb. 18.1). Töne von weniger als 20 Hertz und höher als 16.000 Hertz werden normalerweise nicht mehr gehört. Um (subjektive) Lautstärken von Tönen unterschiedlicher Frequenzen vergleichen zu können, wurde die Phon-Skala eingeführt. Töne mit gleicher Phonzahl (Isophone) werden gleich laut empfunden. Bei 1.000 Hertz sind die Werte für Phon und Dezibel identisch (. Abb. 18.1). Bei sehr hohen (z. B. 10.000 Hertz) oder niederen (z. B. 100 Hertz) Frequenzen müssen die Töne jedoch wesentlich größere Schalldrücke aufweisen, um gleich laut empfunden zu werden wie Töne von 1.000 Hertz. Sone. Schließlich können Töne noch in einer Lautheitskala
eingestuft werden: Deren Einheit Sone gibt an, um wieviel lauter ein Ton empfunden wird als ein anderer. Bezugspunkt (1 Sone) ist ein Ton von 40 Phon. Ein doppelt so laut empfundener Ton ist 2 Sone, ein dreimal so laut empfundener Ton 3 Sone, etc.
. Abb. 18.1. Hörkurven in dB (SPL) und Phon. Eingezeichnet sind u. a. der Hauptsprachbereich, die Hörschwelle, die Unbehaglichkeitsschwelle und die Schmerzschwelle (nach Zenner aus Schmidt et al.)
411 18.1 · Physiologische Akustik
Hörschwellen. 4 Phon entsprechen der normalen unteren Hörschwelle. Dazu sind je nach Frequenz unterschiedliche Schalldruckpegel erforderlich (. Abb. 18.1). Zwei Töne gleicher Frequenz werden im Bereich von 40 Phon normalerweise als unterschiedlich laut erkannt, wenn sie sich um etwa 1 dB unterscheiden (Unterschiedsschwelle). Töne gleicher Lautstärke werden im Bereich von 1.000 Hertz normalerweise als unterschiedlich hoch erkannt, wenn sie sich in ihrer Frequenz um 3 Hertz unterscheiden (Frequenzunterschiedsschwelle). Allerdings ist die Unterscheidungsfähigkeit bei anderen Lautstärken oder Frequenzen weniger hoch. Die Unbehaglichkeitsschwelle liegt normalerweise bei 110 Phon, die Schmerzschwelle bei 130 Phon.
Weber-Versuch. Wird bei einseitigem Hörverlust der Ton
einer auf die Mitte der Stirn aufgesetzten Stimmgabel auf dem erkrankten Ohr besser gehört als auf dem gesunden Ohr, dann kann es sich nur um eine Schallleitungsschwerhörigkeit handeln. Sprachaudiometrie. Bei Anbieten von normierten Wör-
tern über Tonband kann bei Innenohrschwerhörigkeit wegen der eingeschränkten Frequenzselektivität auch bei Steigerung der Lautstärke kein vollständig normales Wortverständnis erreicht werden.
Wahrnehmung eines allmählich leiser werdenden Tons einer Stimmgabel herangezogen werden. Dieser wird vom kranken Ohr bereits nicht mehr wahrgenommen, wenn der gesunde Untersucher ihn noch sicher hört.
Tonschwellenaudiometrie. Bei der Tonschwellenaudiometrie werden langsam lauter werdende Töne unterschiedlicher Frequenz über die linke oder rechte Muschel eines Kopfhörers (Schallleitung) bzw. über einen auf dem linken oder rechten Mastoid aufgesetzten Transducer (Knochenleitung) angeboten. Der Untersuchte muss angeben, wann er den Ton hört. Die Abweichungen von der jeweils normalen Hörschwelle werden auf eine Karte eingetragen (. Abb. 18.2). Bei Schallleitungsschwerhörigkeit ist die Luftleitung, bei Innenohrschwerhörigkeit (Schallempfindungsschwerhörigkeit) zusätzlich die Knochenleitung eingeschränkt.
Rinne-Versuch. Setzt man eine Stimmgabel solange auf den
Evozierte Potenziale. Durch Messung evozierter Potenziale
Warzenfortsatz, bis der Ton nicht mehr gehört wird, dann wird der Ton normalerweise, nicht jedoch bei Schallleitungsschwerhörigkeit, erneut gehört, wenn die Stimmgabel vor das Ohr gehalten wird. Normalerweise, nicht jedoch bei Schallleitungsschwerhörigkeit, wird über Luftleitung besser gehört als über Knochenleitung.
im EEG (7 Kap. 20.1.4) kann die Weiterleitung im Hirnstamm erfasst werden (brain stem evoked response audiometry BERA bzw. Hirnstammaudiometrie). Die Erfassung der evozierten Potenziale erfordern keine Mitwirkung des Patienten und erlaubt beispielsweise auch die Hörprüfung bei Säuglingen.
. Abb. 18.2. Audiometrie. Hörkurven eines gesunden Probanden, und jeweils eines Patienten mit Innenohrschwerhörigkeit und Schallleitungsschwerhörigkeit (Mittelohrschwerhörigkeit). Eingetragen ist
jeweils die Schwelle der Knochenleitung in dB (grün) und der Luftleitung (rot) des Probanden im Vergleich mit dem Normalwert (= Hörverlust in dB) bei unterschiedlichen Wellenlängen
18.1.2
Testverfahren
! Hörtests erlauben die Diagnose von Schalleitungs- oder Innenohrschwerhörigkeit
Schwabach-Test. Zur orientierenden Hörprüfung kann die
18
412
Kapitel 18 · Auditorisches System
In Kürze
18
Physiologische Akustik
. Abb. 18.3. Potenziale, die über eine Elektrode am Foramen rotundum (im Vergleich zu einer indifferenten Elektrode) abgegriffen werden können. Ein kurzes Schallereignis erzeugt zunächst ein kochleares Mikrophonpotenzial (CM), gefolgt von einem kochlearen Summenaktionspotenzial (CAP) des Hörnerven (nach Zenner aus Schmidt et al. 2000)
Mikrophonpotenzial, Hörnervenaktionspotenzial.
Durch eine Elektrode am Foramen rotundum lassen sich (im Vergleich zu einer indifferenten Elektrode) Summenpotenziale der Haarsinneszellen (kochleares Mikrophonpotenzial, CM) und der Hörnervenfasern (kochleäres Hörnerven-Summenaktionspotenzial, CAP) ableiten (. Abb. 18.3). Trommelfellimpedanz. Die mechanischen Eigenschaften
des Übertragungsapparates im Mittelohr können durch Trommelfellimpedanzmessungen erfasst werden.
Grundbegriffe 4 Schalldruckpegel L in Dezibel SPL (sound pressure level): L = 10 lg px2/p02 oder L = 20 lg px/p0 [dB SPL] 4 Phon: Empfindlichkeit des Hörorgans bei 4.000 Hertz am höchsten (Hörbereich 20–16.000 Hertz) Töne mit gleicher Phonzahl (Isophone) werden gleich laut empfunden. Bei 1.000 Hertz Phon = Dezibel 4 Sone: 1 Sone = 40 Phon. 2 Sone doppelt so laut, 3 Sone dreimal so laut 4 Untere Hörschwelle normalerweise ≈ 4 Phon; Unterschiedsschwelle bei gleicher Frequenz, 40 Phon ≈1 dB; Frequenzunterschiedsschwelle bei gleicher Lautstärke, 1.000 Hertz ≈3 Hertz, Unbehaglichkeitsschwelle ≈110 Phon, Schmerzschwelle ≈130 Phon Testverfahren 4 Schwabach-Test: Stimmgabel vor krankem Ohr o gesunder Untersucher 4 Rinne-Versuch: Stimmgabel auf Warzenfortsatz, bis Ton nicht mehr gehört o vor Ohr 4 Weber-Versuch. Auf Scheitel aufgesetzte Stimmgabel 4 Sprachaudiometrie: Normierte Wörter über Tonband 4 Tonschwellenaudiometrie: Langsam lauter werdende Töne unterschiedlicher Frequenz; Schallleitungsschwerhörigkeit o Luftleitung p; Innenohrschwerhörigkeit o Luftleitung p und Knochenleitung p 4 Evozierte Potenziale. Mit EEG gemessene evozierte Potenziale (brain stem evoked response audiometry BERA bzw. Hirnstammaudiometrie) 4 Elektrode am Foramen rotundum erfasst Summenpotenziale der Haarsinneszellen (kochleäres Mikrophonpotenzial, CM) und der Hörnervenfasern (kochleäres Hörnerven-Summenaktionspotenzial, CAP) 4 Trommelfellimpedanz = mechanische Eigenschaften des Übertragungsapparates
413 18.2 · Gehörgang und Mittelohr
18.2
Gehörgang und Mittelohr
18.2.1
Außenohr und Gehörgang
! Das Außenohr dient der Zuleitung von Schallwellen zum Trommelfell
Außenohr. Die Form der Ohrmuscheln ist geeignet, Schall-
wellen zu sammeln und durch den äußeren Gehörgang dem Trommelfell zuzuleiten. Ihr Einfluss auf das Hörvermögen ist jedoch bescheiden. Die Wirkung kann jedoch spürbar verstärkt werden, wenn man die Muscheln durch Hände vergrößert. Da von vorne eintreffende Schallwellen vom Außenohr anders weitergeleitet werden als Töne von hinten, unterstützt das Außenohr auch das Richtungshören (7 Kap. 18.4.2). Das Trommelfell grenzt das Mittelohr vom äußeren Gehörgang ab. Ein Verlegen des Gehörganges (z. B. durch Cerumen) mindert das Hörvermögen spürbar.
18.2.2
. Abb. 18.4. Bau von Mittelohr und Innenohr (nach Zenner aus Schmidt et al.)
Mittelohr
! Durch die Schallübertragung im Mittelohr werden 20 dB gewonnen
Bau des Mittelohrs. Das Mittelohr ist eine mit Schleimhaut
ausgekleidete, mit Luft gefüllte Höhle, die über die Tuba Eustachii mit dem Nasenraum verbunden ist (. Abb. 18.4). Im Mittelohr wird ständig Luft absorbiert, die durch die Tuba Eustachii nachströmt. Bei Verstopfung der Tuba Eustachii sinkt der Druck und das Trommelfell wird nach innen gezogen. Schallleitung im Mittelohr. Die Schallwellen werden vom
Trommelfell über die Gehörknöchelchen Hammer, Amboss und Steigbügel auf das Foramen ovale übertragen (. Abb. 18.4). Die Fläche des Trommelfells ist wesentlich größer als die Fläche des Foramen ovale, die Schallenergie wird somit auf eine kleinere Fläche konzentriert und damit die Druckschwankungen größer. Der Übertragungsapparat im Mittelohr wirkt als Impedanzwandler zwischen der umgebenden Luft und der Flüssigkeit des Innenohrs: Ohne ihn würden 98% der Schallenergie reflektiert, das entspricht annähernd 20 dB. Da die Flüssigkeit des Innenohrs nicht komprimiert werden kann und die knöcherne Hülle unnachgiebig ist, kann eine Einbuchtung des Foramen ovale nur bei gleich-
zeitiger Ausbuchtung des Foramen rotundum erfolgen. Das Trommelfell schirmt das Foramen rotundum normalerweise gegen äußere Schallwellen ab und leitet die Schallenergie spezifisch auf das Foramen ovale. Auf diese Weise entsteht eine Flüssigkeitsbewegung im Innenohr vom Foramen ovale zum Foramen rotundum. Die Schallwellenübertragung in Trommelfell und Gehörknöchelchen wird durch Muskeln beeinflusst: Der Musculus tensor tympani spannt das Trommelfell, der Musculus stapedius kippt den Steigbügel. Anspannung der Muskeln dämpft die Übertragung durch die Gehörknöchelchen und ist daher ein Schutzmechanismus für das Innenohr. Ausfall der Muskeln (z. B. des M. stapedius bei Unterbrechung der Innervation durch den Nervus facialis) kann zu gesteigerter Geräuschempfindlichkeit führen (Hyperakusis). Knochenleitung. Schallwellen können auch auf den Schädelknochen übertragen werden und auf diese Weise Flüssigkeitsbewegungen im Innenohr erzeugen (Knochenleitung). Dazu ist freilich eine größere Schallenergie erforderlich. Schallleitungsschwerhörigkeit. Zerreißen des Trommel-
fells, Läsion der Gehörknöchelchen oder Immobilisierung des Übertragungsapparates etwa durch eine eitrige Mittelohrentzündung dämpfen die Übertragung auf das Foramen ovale. Bei einem Loch im Trommelfell sollte zudem das Fo-
18
414
18
Kapitel 18 · Auditorisches System
ramen rotundum nicht mehr hinreichend abgeschirmt sein. Folge ist eine Schallleitungsschwerhörigkeit. Während die Luftleitung eingeschränkt ist, bleibt die Knochenleitung nor-
mal, oder ist sogar durch die Immobilisierung der Gehörknöchelchen, die verminderte Schallabstrahlung und die Sensibilisierung der Haarzellen etwas verbessert (. Abb. 18.2).
In Kürze
Gehörgang und Mittelohr Außenohr und Gehörgang 4 Ohrmuscheln steigern geringfügig Hörvermögen und unterstützen Richtungshören, Trommelfell grenzt Mittelohr von äußerem Gehörgang ab. Verlegung Gehörgang o Hörvermögen p 4 Mittelohr mit Schleimhaut ausgekleidete, Luft gefüllte Höhle, über Tuba Eustachii mit Nasenraum verbunden. Luftabsorption o bei Verstopfung der Tuba Eustachii Unterdruck 4 Schallwellen o Trommelfell o Gehörknöchelchen Hammer, Amboss und Steigbügel o Foramen ovale; Übertragungsapparat = Impedanzwandler (sonst Reflexion von 98% der Schallenergie) ≈20 dB. Trom-
18.3
Innenohr
18.3.1
Bau des Innenohrs
! Die Stereozilien der Haarzellen des Innenohrs tauchen in die K+-reiche, positiv geladene Endolymphe. Mechanische Deformierung führt zur Öffnung von Kationenkanälen, Ca2+-Einstrom und Ausschüttung von Glutamat, das in Nervenfasern Aktionspotenziale auslöst
Kompartimente des Innenohrs. Das Innenohr ist ein
schneckenförmig gewundener knöcherner Hohlraum, der mit einem Epithel ausgekleidet ist. Das Lumen ist durch zwei Membranen (Reissner-Membran und Basilarmembran) in drei Kompartimente unterteilt, die mit Perilymphe gefüllten Scalae vestibuli und tympani und die mit Endolymphe gefüllte Scala media (. Abb. 18.5). Die Scala vestibuli und die Scala tympani sind an der Spitze der Schnecke durch eine Öffnung (Helicotrema) miteinander verbunden. Die Scala vestibuli reicht vom Foramen ovale bis zum Helicotrema, die Scala tympani vom Helicotrema bis zum Foramen rotundum. Perilymphe-Endolymphe. Die Perilymphe weist eine typi-
sche extrazelluläre Zusammensetzung, die Endolymphe mit ca. 150 mmol/l K+-Konzentration eine eher intrazellu-
melfell schirmt Foramen rotundum ab und leitet Schallenergie spezifisch auf das Foramen ovale 4 Musculus tensor tympani spannt Trommelfell, Musculus stapedius kippt Steigbügel o Übertragungsdämpfung (Schutzmechanismus). Ausfall Muskeln o Hyperakusis 4 Knochenleitung erzeugt Flüssigkeitsbewegungen im Innenohr; erfordert größere Schallenergie 4 Zerreißen Trommelfell, Läsion Gehörknöchelchen, Immobilisierung Übertragungsapparat o Übertragung auf Foramen ovale p o Schallleitungsschwerhörigkeit (Knochenleitung normal oder gesteigert)
läre Zusammensetzung auf. Die Endolymphe wird v. a. von Epithelzellen der Stria vascularis gebildet. Die K+-Sekretion wird durch einen luminalen K+-Kanal (KCNE1/KCNQ1) und antiluminalen Na+-K+-2 Cl--Cotransport, Na+/K+-ATPase und Cl--Kanäle (ClC-Kb/Barttin+ClC-Ka/Barttin) bewerkstelligt. Die Endolymphseite ist etwa 80 mV positiver als die Perilymphe. Wanderwellen. Durch die Schwingung des Foramen ovale
werden im Innenohr Wanderwellen ausgelöst, die sich zunächst über die Scala vestibuli in Richtung Helicotrema ausbreiten (. Abb. 18.5). Die Wellen können nun entweder bis zum Helicotrema und von dort wieder bis zum Foramen rotundum wandern, oder durch Einbuchtung der Basilarmembran von der Scala vestibuli zur Scala tympani »kurzgeschlossen« werden. Im ersten Fall muss die gesamte Flüssigkeitssäule von Scala vestibuli und Scala tympani verschoben, im zweiten Fall die Basilarmembran ausgelenkt werden. Die Steifigkeit der Basilarmembran nimmt in Richtung Helicotrema um den Faktor 104 ab. Je höher die Frequenz der Wanderwellen ist, desto größer ist die Beschleunigungsarbeit, die bei Verschieben der Flüssigkeitssäule geleistet werden muss. Hochfrequente Wanderwellen buchten daher v. a. die steife Basilarmembran zu Beginn der Schnecke ein. Töne niederer Frequenzen wandern hingegen v. a. weiter in Richtung Helicotrema und buchten die dort
415 18.3 · Innenohr
. Abb. 18.5. Querschnitt durch die Cochlea mit Darstellung des Cortiorgans und der Transportprozesse in der Stria vascularis
frequenzabhängigen Stelle werden Stereozilien durch die Scherbewegungen der Tektorialmembran abgeschert. Dadurch werden »tip links« gedehnt und mechanosensitive Kationenkanäle geöffnet. Der elektrische Gradient für den Kationeneinstrom von der Endolypmphe in die Haarzelle ist 150 mV (80 mV positives Potenzial der Endolymphe und 70 mV Zellmembranpotenzial, jeweils im Vergleich zur Perilymphe) Der chemische Gradient ist wegen der hohen K+-Konzentration in der Endolymphe gering. Getrieben durch den elektrischen Gradienten strömt K+ bei Öffnung der Kanäle in die Haarzellen ein und führt somit zur Depolarisation. In den inneren Haarzellen führt die Depolarisation über Öffnung spannungsabhängiger Ca2+-Kanäle zur Ausschüttung von Glutamat, das die anliegenden Nervenendigungen depolarisiert und so Aktionspotenziale auslöst. Die Nervenendigungen gehören zu den bipolaren Neuronen im Ganglion spirale, die ihre Erregung über die Hörnervenfasern an die Nuclei cochlearis weiterleiten (7 Kap. 18.4.1). Die äußeren Haarzellen enthalten ein Protein (Prestin), das bei Potenzialänderungen seine Länge ändert und so die mechanischen Schwingungen verstärkt. Damit steigern die äußeren Haarzellen die Empfindlichkeit des Gehörs. Die Kontraktionen der äußeren Haarzellen können Schwingungen der Basilarmembran erzeugen, die über Foramen ovale, Gehörknöchelchen und Trommelfell nach außen abgegeben werden (evozierte otoakustische Emissionen) und kurz nach einem Schallereignis vor dem Trommelfell messbar sind. Ausfall der aktiven Schwingungen zieht einen Hörverlust von 30–50 dB nach sich. Das über die apikale Membran in die Haarzelle aufgenommene K+ verlässt die Zelle auf der basalen Seite, wo es in benachbarte Zellen gelangt. Die Zellen nehmen auch Glutamat auf. Beides wird über gap junctions von Zelle zu Zelle weitergereicht und so abtransportiert.
18.3.2
weichere Basilarmembran ein. Töne unterschiedlicher Frequenzen werden also räumlich getrennt und jede Frequenz hat einen bestimmten Ort der maximalen Auslenkung entlang der Schnecke (tonotope Abbildung, Ortsprinzip).
Innenohrschwerhörigkeit
! Innenohrschwerhörigkeit tritt bei Schädigung von Haarzellen und gestörtem Transport von Flüssigkeit auf
Ursachen von Innenohrschwerhörigkeit. Die Haarzellen Haarzellen. Auf der Basilarmembran sitzen neben Stützzel-
len äußere und innere Haarzellen, die mit ihren Stereozilien (»Härchen«) z. T. in eine gallertige Tektorialmembran eintauchen (. Abb. 18.5). Durch Ausbuchtung der kochleären Trennwand mit Basilarmembran und Corti-Organ an einer
können durch chronische oder kurzfristig massive Schallbelastung, sowie durch Ischämie geschädigt werden. Wegen ihres hohen Glykogengehaltes und ihrer Fähigkeit zur Glykolyse können die Haarzellen freilich kurzfristige Ischämiephasen überleben. Haarzellen werden ferner durch be-
18
416
18
Kapitel 18 · Auditorisches System
stimmte, über die Stria vascularis in der Endolymphe akkumulierte, Pharmaka geschädigt, z. B. durch die als Antibiotika verwendeten Aminoglykoside. Unter anderem in Abhängigkeit von der lebenslangen Schallbelastung nimmt im Alter die Empfindlichkeit vor allem für hohe Frequenzen ab (Altersschwerhörigkeit bzw. Presbyakusis). Bei der Altersschwerhörigkeit spielt neben Schädigung der Haarzellen auch eine Versteifung der Basilarmembran und damit eine gestörte Mikromechanik eine Rolle. Innenohrschwerhörigkeit kann auch Folge einer gestörten Endolymphsekretion sein. Schleifendiuretika hemmen bei Überdosierung nicht nur den renalen, sondern auch den auditorischen Na+-K+-2 Cl--Cotransport. Darüber hinaus sind (seltene) genetische Defekte u. a. des luminalen K+-Kanals, der basolateralen Cl--Kanäle, und der gap junctions bekannt, die zu familiärem Hörverlust führen. Eine gestörte Resorption von Endolymphe begünstigt neben Schwerhörigkeit das Auftreten von Schwindel (Morbus Menière). Eine Resorptionsstörung buchtet den Endolymphraum aus und verzerrt damit die Beziehung von Haarzellen und Tektorialmembran (Endolymphhydrops). Auswirkungen. Folge einer Schädigung von Haarzellen ist
eine Innenohrschwerhörigkeit, die das Hörvermögen einschränkt, unabhängig davon, ob der Schall über Luft- oder Knochenleitung zur Cochlea gelangt. Dabei ist nicht nur die Hörschwelle betroffen, sondern durch die Schädigung der äußeren Haarzellen auch die aktive Komponente der Basilarmembranauslenkung. Auf diese Weise ist die Diskriminierung verschieden hoher Töne erschwert (eingeschränkte Frequenzselektivität, . Abb. 18.6). Durch Schädigung der Haarzellen kann außerdem eine inadäquate Geräuschempfindung auftreten (Tinnitus).
. Abb. 18.6. Tuningkurven von Hörnervenfasern bei normalem (oben) und geschädigtem (unten) Innenohr. Erregung von zwei verschiedenen Hörnervenfasern durch unterschiedliche Frequenzen. Bei Innenohrschwerhörigkeit nimmt die Empfindlichkeit vor allem in dem spezifischen Frequenzbereich ab. Damit geht die Frequenzselektivität verloren. Ein angebotener Ton wird von beiden Fasern nur schwer unterschieden. Reine Tonverstärkung kann dabei das Defizit nicht aufheben
In Kürze
Innenohr Bau des Innenohrs 4 Schneckenförmig gewundener, knöcherner, mit Epithel ausgekleideter Hohlraum. Lumen durch ReissnerMembran und Basilarmembran in drei Kompartimente unterteilt in mit Perilymphe gefüllte Scalae vestibuli und tympani und mit Endolymphe gefüllte Scala media. Foramen ovale o Scala vestibuli o Helicotrema o Scala tympani o Foramen rotundum 4 Perilymphe extrazelluläre Zusammensetzung, Endolymphe ≈150 mmol/l K+. Endolymphe wird v. a. von 6
Epithelzellen der Stria vascularis gebildet (luminal K+Kanal (KCNE1/KCNQ1), antiluminal Na+-K+-2Cl--Cotransport, Na+/K+-ATPase, Cl--Kanäle (ClC-Kb/ Barttin+ClC-Ka/Barttin); Endolymphseite ≈80 mV positiv 4 Schwingung des Foramen ovale o Wanderwellen, die sich über die Scala vestibuli in Richtung Helicotrema ausbreiten. Steifigkeit Basilarmembran sinkt in Richtung Helicotrema um Faktor 104. Hochfrequente Wanderwellen buchten steife Basilarmembran zu Beginn
417 18.4 · Zentrale Hörbahn und kortikale Repräsentation
der Schnecke ein, Töne niederer Frequenzen wandern weiter in Richtung Helicotrema 4 Ausbuchtung kochleäre Trennwand mit Basilarmembran und Corti-Organ o Abscheren von Stereozilien durch Scherbewegungen der Tektorialmembran o Dehnung »tip links« o Öffnung mechanosensitiver Kationenkanäle (Elektrischer Gradient ≈150 mV) o K+-Einstrom in Haarzellen o Depolarisation o (innere Haarzellen o Ca2+-Kanäle o Ausschüttung Glutamat o Depolarisation anliegender Nervenendigungen o Aktionspotenziale o bipolare Neurone Ganglion spirale o Nuclei cochlearis) o Prestin äußere Haarzellen o Verstärkung mechanischer Schwingungen 4 Kontraktionen der äußeren Haarzellen o Schwingungen Basilarmembran o Foramen ovale o Gehörknöchelchen, Trommelfell o evozierte otoakustischen Emissionen; Ausfall aktiver Schwingungen o Hörverlust 30–50 dB
18.4
Zentrale Hörbahn und kortikale Repräsentation
18.4.1
Verschaltungen der Hörbahn
! Afferenzen des Hörnerven werden über Nuclei cochlearis und Olivenkerne zu lateralem Schleifenkern, unteren Vierhügeln, Corpora geniculata und primärer Hörrinde geleitet
4 In Haarzelle aufgenommenes K+ verlässt Zelle auf basaler Seite, über gap junctions von Zelle zu Zelle abtransportiert Innenohrschwerhörigkeit 4 Ursachen von Innenohrschwerhörigkeit: Schädigung Haarzellen durch Schallbelastung, Ischämie, Alter, Pharmaka (im Alter auch Versteifung der Basilarmembran und damit gestörte Mikromechanik) 4 Gestörte Endolymphsekretion: Schleifendiuretika, sehr seltene genetische Defekte (u. a. luminaler K+-Kanal, basolaterale Cl--Kanäle, gap junctions) 4 Gestörte Resorption von Endolymphe o Schwindel (Morbus Menière), Ausbuchtung Endolymphraum o Haarzellen (Endolymphhydrops) 4 Schädigung Haarzellen o Innenohrschwerhörigkeit, aktive Basilarmembranauslenkung p o Frequenzselektivität p, inadäquate Geräuschempfindung (Tinnitus)
dungen zu verschiedenen Assoziationsarealen. Von den unteren Vierhügeln bestehen u. a. Verbindungen zur Motorik, v. a. zur Augenmotorik (über die oberen Vierhügel, 7 Kap. 17.1.8). Der Nucleus cochlearis ventralis projiziert auf die Oliven beider Seiten. Die Afferenzen aus jedem Ohr werden somit auf die Hörbahn beider Seiten übertragen.
Hörnerv. Die Nervenendigungen an den inneren Haarzel-
len gehören zu den bipolaren Neuronen des Ganglion spirale, die ihre Erregungen an die Nuclei cochlearis der Medulla oblongata weiterleiten (Hörnerv). Cochleaimplantate. Die Nervenfasern können durch entsprechende implantierte Elektroden direkt gereizt und auf diese Weise können Hörempfindungen ausgelöst werden. Aus der zeitlichen Abfolge erzeugter Aktionspotenziale (Periodizitätsanalyse, 7 Kap. 18.4.2) kann der ertaubte Patient die Schallfrequenz ableiten. Damit kann er sogar wieder Sprache verstehen. Verschaltungen. Von den Nuclei cochlearis werden die Af-
ferenzen zu Oliven, lateralem Schleifenkern, unteren Vierhügeln, Corpora geniculata medialia und primärer Hörrinde weitergeleitet (. Abb. 18.7). Von dort bestehen Verbin-
. Abb. 18.7. Verschaltungen der Hörbahn
18
418
18
Kapitel 18 · Auditorisches System
Bei Ausfall einer Hörrinde kann man daher noch mit beiden Ohren hören.
18.4.2
Zentrale Tonanalyse
! Die zentrale Tonanalyse ermittelt u. a. Tonfrequenz und Lautstärke, über Richtungshören die Herkunft und über Mustererkennen die Bedeutung
Erkennen akustischer Information. Sie ist eine Leistung der assoziativen Rindenfelder, wie dem sensorischen Sprachzentrum (7 Kap. 18.5.2). Die Entwicklung dieser Hirnareale ist in hohem Maße von ihrer Beanspruchung abhängig. Die Sprachentwicklung, die ja Voraussetzung für eine normale geistige Entwicklung ist, wird bei angeborener Taubheit oder Schwerhörigkeit verzögert, wenn nicht rechtzeitig therapeutisch eingegriffen wird. Adaptation. Die Wahrnehmung von Amplitude und Fre-
Tonanalyse. Grundeigenschaften eines Tons sind Amplitu-
de und Fequenz. Die Amplitude wird durch die Aktionspotenzialfrequenz der Afferenzen kodiert. Die Frequenz bestimmt den Ort der maximalen Basilarmembranauslenkung im Corti-Organ, also diejenigen afferenten Nervenfasern, die am stärksten erregt werden. Durch laterale Hemmung (7 Kap. 12.5.1) wird eine Kontrastierung erzielt. Darüber hinaus ist das Gehirn bis 5 kHz in der Lage, aus dem zeitlichen Muster von Aktionspotenzialen die Schallfrequenzen zu ermitteln (Periodizitätsanalyse). Die Organisation im Nucleus cochlearis ist noch streng tonotop, d. h. Töne ähnlicher Frequenzen erregen jeweils benachbarte Neurone. Die tonotope Organisation weicht auf den folgenden Stationen zunehmend einer komplexeren Organisation. So werden einige Neurone im Corpus geniculatum mediale nur durch gleichzeitiges Angebot von Tönen bestimmter unterschiedlicher Frequenzen erregt. Andere Neurone sprechen nur auf bestimmte kurze Sequenzen unterschiedlicher Tonfrequenzen an. Diese Neurone sprechen somit auf bestimmte Geräusche an. Dennoch ist eine tonotope Organisation als Teil anderer Ordnungsprinzipien bis zur primären Hörrinde nachweisbar.
quenz kann nach Adaptation bzw. Ermüdung verändert sein. Laute Beschallung eines Ohrs mit 400 Hertz mindert die Empfindlichkeit der gereizten Haarzellen bzw. nachfolgenden Neurone in diesem Bereich. Ein folgender Ton von 400 Hertz wird leiser, ein Ton von 420 Hertz höher empfunden als der gleiche Ton vor der Beschallung. Richtungshören. Die Schallaufnahme durch beide Ohren
ermöglicht die Lokalisierung von Schallquellen im Raum, wobei auch die Form der äußeren Ohrmuschel eine Rolle spielt (7 Kap. 18.2.1). Liegt die Schallquelle genau in der Mitte zwischen beiden Ohren, dann erreichen die Schallwellen beide Ohren gleichzeitig. Liegt die Schallquelle auf einer Seite, so wird das gleichseitige Ohr schneller erregt. Im Gehirn erfolgt ein Zeitvergleich der Wahrnehmung von beiden Ohren und damit kann ermittelt werden, auf welcher Seite die Schallquelle liegt. Neben dem Vergleich der Laufzeiten werden auch Intensitätsunterschiede und Frequenzverzerrungen zum Richtungs- und Entfernungshören eingesetzt. Das Ohr kann Unterschiede im Schalldruckpegel von 1 dB und Laufzeitunterschiede von 30 µs erkennen. Unter optimalen Bedingungen wird ein Winkel von 3° erkannt.
In Kürze
Zentrale Hörbahn und kortikale Repräsentation Verschaltungen der Hörbahn 4 Verschaltungen: Nervenendigungen bipolarer Neurone des Ganglion spirale o Nuclei cochlearis o Oliven (bilateral) o lateraler Schleifenkern o untere Vierhügel (o obere Vierhügel o Augenmotorik) o Corpora geniculata medialia (o primäre Hörrinde) 4 Cochleaimplantate: Direkte Reizung der Nervenfasern o Periodizitätsanalyse Zentrale Tonanalyse 4 Amplitude o Aktionspotenzialfrequenz; Frequenz o Periodizitätsanalyse, Ort maximaler Basilarmemb-
ranauslenkung (laterale Hemmung o Kontrastierung); Nucleus cochlearis streng tonotop, danach zunehmend komplexer; Erkennen in assoziativen Rindenfeldern (sensorisches Sprachzentrum); Sprachentwicklung bei unbehandelter Schwerhörigkeit verzögert 4 Adaptation: Laute Beschallung o Empfindlichkeit p o Lautheit und Frequenzwahrnehmung folgender Töne 4 Vergleich von Zeit (>30 µs), Intensität (>1 dB), Frequenz der Afferenzen aus beiden Ohren o Richtungshören (Winkel >3°)
419 18.5 · Sprachbildung und Sprachverständnis
18.5
Sprachbildung und Sprachverständnis
18.5.1
Stimmbildung
! Im Kehlkopf wird während der Phonation (Stimmbildung) ausgeatmete Luft durch einen Schlitz zwischen den Stimmbändern gepresst und Schwingungen unterschiedlicher Frequenzen erzeugt. Durch Modifikation in MundNasen-Rachenraum (Ansatzrohr) entsteht die Artikulation
Phonation. Zur Phonation wird im Kehlkopf (. Abb. 18.8) zunächst bei geschlossener Stimmritze ein Druck von bis zu 2 kPa (20 cm H2O) aufgebaut. Der Druck drängt die Stimmbänder auseinander und Luft wird durchgeblasen. Durch die hohe Strömungsgeschwindigkeit entsteht ein Unterdruck zwischen den Stimmbändern, die dann – wie ein offener Fensterflügel im Wind – sich periodisch öffnen und schließen. Auf diese Weise entstehen Klanggemische, deren Grundfrequenz von der Spannung der Stimmbänder und der Druckdifferenz über die Stimmbänder abhängt. Die Grundfrequenz stimmt mit der Frequenz von Öffnen und Schließen der Stimmbänder überein. Beim Flüstern werden die Stimmbänder nicht vollkommen verschlossen, sondern belassen eine kleine, permanente Öffnung (Flüsterdreieck). Artikulation. Das durch die Stimmritze erzeugte Klanggemisch wird durch die Form und damit Eigenfrequenz der Lufträume und die Art der Strömungswiderstände in charakteristischer Weise modifiziert. Je nach Stellung der Zunge und des Mundes entstehen die Vokale a, e, i, o, u, die sich durch die jeweiligen Obertöne (Formanten) unterscheiden. Durch Erzeugung von unterschiedlichen Widerständen an Gaumen, Zähnen oder Lippen entstehen die Konsonanten, das sind Reibelaute (w, f, s, j, sch), Plosionslaute (b, p, d, t, g, k) oder nasale Laute (m, n, ng). Sie sind durch das zeitliche Muster und die Zusammensetzung der gleichzeitig erzeugten Frequenzen unterscheidbar. Sprachstörungen. Bei einer Lähmung des Nervus recur-
rens aus dem Nervus vagus fällt die Innervation der Kehlkopfmuskulatur aus. Die erschlafften Stimmbänder bilden eine kleine Öffnung. Dabei ist einerseits nur Flüstersprache möglich, andererseits ist die Atmung behindert. Nach Entfernung des Kehlkopfes (z. B. bei Entfernung eines Tumors) fällt die Phonation aus. Die Patienten können lernen, Luft in den Ösphagus zu verschlucken und während des Ablassens zu artikulieren. Damit können sie sich noch mit-
. Abb. 18.8. Kehlkopf (oben) und Stellung der Stimmbänder (rechts). Ruhestellung (1) beim Atmen (2), Flüstern (3) und völligem Verschluss (4)
teilen (Ösophagusersatzsprache). Statt Einsetzen des Ösophagus kann ein Grundgeräusch durch einen Tongenerator erzeugt werden. Bei Ausfall des Nervus hypoglossus (XII) sind die Zungenmuskeln und bei Ausfall des Nervus facialis die Lippenmuskeln gelähmt. Dabei kommt es zu entsprechender Beeinträchtigung der Artikulation. Sprache ist schließlich eine Leistung, die den Einsatz mehrerer assoziativer Hirnareale erfordert. Durch Läsionen dieser Hirnareale treten unterschiedliche Formen von Aphasien auf, wie später ausgeführt wird (7 Kap. 18.5.3).
18
420
18
Kapitel 18 · Auditorisches System
18.5.2
Sprachverständnis
! Sprache und Sprachverständnis sind Leistungen assoziativer Hirnareale, die über Basalganglien, Kleinhirn, Thalamus und Motorkortex die α-Motoneurone erreichen
Für die Sprache erforderliche Hirnstrukturen. Die verbale
Kommunikation erfordert Sprechen und Sprachverständnis, beides Leistungen assoziativer Großhirnareale. Gesprochenes wird zunächst in der primären Hörrinde wahrgenommen und seine Bedeutung in inferioren parietalen Arealen (Wernicke-Sprachzentrum) gedeutet (. Abb. 18.9). Geschriebenes Wort wird über primäre und sekundäre Sehrinde der Area 39 zugespielt, die akustische, optische und somatosensorische Wahrnehmungen integriert und interpretiert. Über den Fasciculus arcuatus wird der prämotorische Kortex (Broca-Sprachzentrum) aktiviert, der schließlich über Basalganglien bzw. Kleinhirn und Thalamus den Motorkortex aktiviert. Lateralisierung. Bei Rechtshändern sind vor allem die sprachmotorischen Areale links. Die rechte Hemisphäre ist u. a. für die Analyse der Sprachmelodie (Prosodie) verantwortlich, sowie für die emotionale Tönung der motorischen
Sprache. Bei Linkshändern sind die Sprachzentren bisweilen rechts oder auf beiden Seiten.
18.5.3
Aphasien
! Läsionen in assoziativen Hirnarealen oder ihren Verbindungen führen zu Ausfällen von Sprache und/oder Sprachverständnis
Läsionen der für die Sprache erforderliche Hirnstrukturen beeinträchtigen die Sprache in charakteristischer Weise (. Abb. 18.9): 4 Der Broca-Aphasie liegt eine Läsion des motorischen Sprachzentrums zugrunde. Die Spontansprache ist nicht flüssig, der Patient teilt sich typischerweise in einzelnen Worten mit. Der Patient ist auch nicht fähig, nachzusprechen. Das Sprachverständnis ist hingegen häufig wenig gestört 4 Die Wernicke-Aphasie ist Folge einer Läsion in den sensorischen Sprachregionen. Bei diesen Patienten ist das Sprachverständnis eingeschränkt. Dabei verlieren die Patienten auch die Fähigkeit, nachzusprechen. Die Spontansprache ist flüssig, mitunter sprechen die Patienten
. Abb. 18.9. Die an der Sprache beteiligten Strukturen der Großhirnrinde
421 18.5 · Sprachbildung und Sprachverständnis
4
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4
unentwegt (Logorrhö). Dabei können sich allerdings phonematische (Spille statt Spinne) oder semantische (Mutter statt Frau) Fehler einschleichen (Paraphasie) Bei der Leitungsaphasie ist die Verbindung von sensorischem und motorischem Sprachzentrum unterbrochen (Fasciculus arcuatus). Die Sprache ist flüssig (allerdings paraphasisch), das Sprachverständnis gut. Die Fähigkeit, Worte nachzusprechen, ist massiv eingeschränkt. Die Patienten sind auch nicht in der Lage, laut vorzulesen, obwohl sie gelesenen Text verstehen Bei der globalen Aphasie ist sowohl die Spontansprache, als auch das Sprachverständnis beeinträchtigt Die anomische Aphasie folgt einer Läsion im Temporallappen. Der Patient spricht weitgehend normal und auch das Sprachverständnis ist erhalten. Der Patient hat aber Schwierigkeiten, für bestimmte Objekte das richtige Wort zu finden Bei der achromatischen Aphasie (Läsion an der Unterseite des Temporallappens) kennt der Patient nicht
4
4
4
4
die Wörter für Farben (obgleich er durchaus Farben erkennt und z. B. Objekte nach Farben sortieren kann) Die motorische transkortikale Aphasie ist Folge einer Läsion im vorderen unteren Frontallappen. Dabei ist die Spontansprache stark eingeschränkt, während Nachsprechen und Sprachverständnis normal sind Die sensorische transkortikale Aphasie tritt nach einer Läsion im parietalen-temporalen Assoziationskortex auf. Die Patienten können flüssig sprechen und nachsprechen. Sie haben aber Schwierigkeiten, Worte zu verstehen, haben Wortfindungsschwierigkeiten und können weder lesen noch schreiben Eine subkortikale Aphasie entsteht bei Läsionen im Bereich der Basalganglien (v. a. Nucleus caudatus) und des Thalamus. Dabei treten vorübergehende Störungen von Sprachverständnis und Wortfindung auf Die Sprache ist schließlich bei Läsionen des Kleinhirns beeinträchtigt (7 Kap. 15.7.3)
In Kürze
Sprachbildung und Sprachverständnis Stimmbildung 4 Phonation: Geschlossene Stimmritze o Druck (≤2 kPa) o Stimmbänder auseinandergedrängt o hohe Strömungsgeschwindigkeit o Unterdruck zwischen Stimmbändern o Stimmbandflattern o Klanggemisch (Grundfrequenz Funktion von Stimmbandspannung und Druck). Flüstern (Flüsterdreieck) 4 Artikulation: Stellung Zunge, Mund o Vokale mit
verschiedenen Obertönen (a, e, i, o, u); Reibelaute (w, f, s, j, sch), Plosionslaute (b, p, d, t, g, k), nasale Laute (m, n, ng) 4 Lähmung Nervus recurrens o nur Flüstersprache; Entfernung Kehlkopf o keine Phonation (Ösophagusersatzsprache, Tongenerator); Nervus hypoglossus (XII) p (o Zungenmuskeln p), Nervus facialis p (o Lippenmuskeln p) o Artikulation p; Assoziative Hirnareale p o Aphasien Sprachverständnis 4 Gesprochenes o primäre Hörrinde o WernickeSprachzentrum (Geschriebenes o primäre, sekundäre Sehrinde o Area 39 [Integration akustischer, 6
optischer, somatosensorischer Wahrnehmungen]) o Fasciculus arcuatus o Broca-Sprachzentrum o Basalganglien, Kleinhirn o Thalamus o Motorkortex 4 Lateralisierung: Rechtshänder = links: sprachmotorische Areale, rechts: Sprachmelodie (Prosodie), emotionale Tönung; Linkshänder Sprachzentren rechts oder auf beiden Seiten Aphasien 4 Läsion motorisches Sprachzentrum o Broca-Aphasie (Spontansprache nicht flüssig, Nachsprechen p, Sprachverständnis normal) 4 Läsion sensorische Sprachregion o Wernicke-Aphasie (Sprachverständnis p, Nachsprechen p, Spontansprache flüssig, Logorrhö, Paraphasie) 4 Unterbrechung Fasciculus arcuatus o Leitungsaphasie (Sprache flüssig, paraphasisch, Sprachverständnis normal, Nachsprechen p, Vorlesen p) 4 Globale Aphasie (Spontansprache p, Sprachverständnis p) 4 Läsion Temporallappen o Anomische Aphasie (Wortfindung p) 4 Läsion Unterseite Temporallappen o Achromatische Aphasie (Farbenbenennung p)
18
422
18
Kapitel 18 · Auditorisches System
4 Läsion vorderer, unterer Frontallappeno motorische transkortikale Aphasie (Spontansprache p, Nachsprechen, Sprachverständnis normal) 4 Läsion parietaler-temporaler Assoziationskortex o sensorische transkortikale Aphasie (Wortfin-
18.6
Gleichgewichtssinn
18.6.1
Bau der Gleichgewichtsorgane
dung p, Lesen p, Schreiben p, Sprache flüssig, Nachsprechen normal) 4 Läsionen Basalganglien, Thalamus o subkortikale Aphasie (vorübergehend Sprachverständnis p, Wortfindung p) 4 Läsionen Kleinhirn o skandierende Sprache
! Sacculus, Utriculus und Bogengänge bilden das Gleichgewichtsorgan
Bau und Bedeutung. Das Gleichgewichtsorgan besteht aus
knöchernen Hohlräumen im Felsenbein, dem Sacculus, dem Utriculus und den jeweils senkrecht aufeinander stehenden Bogengängen (. Abb. 18.10). Sacculus und Utriculus sind auf die Wahrnehmung von Linearbeschleunigungen wie die Schwerkraft, die Bogengänge auf die Wahrnehmung von Drehbewegungen spezialisiert. In den Hohlräumen sind ein Perilymphraum und ein Endolymphraum enthalten, die mit den entsprechenden Räumen der Cochlea des Hörorgans in Verbindung stehen. Perilymphe. Die mit einem Epithel ausgekleideten knö-
chernen Hohlräume Sacculus, Utriculus und die Bogengänge sind mit Perilymphe gefüllt, einer in ihrer Zusammensetzung typischen extrazellulären Flüssigkeit. Der Perilymphraum steht über den Ductus perilymphaticus mit dem Subarachnoidalraum in Verbindung. Endolymphe. Im Perilymphschlauch ist ein zweiter, häutiger Schlauch aufgehängt, der Endolymphe enthält. Die Endolymphe weist im Gegensatz zur Perilymphe niedrige Na+- und hohe K+-Konzentrationen auf, wie sie sonst für intrazelluläre Flüssigkeiten typisch sind (7 Kap. 18.3.1). Die Endolymphe wird im endolymphatischen Sack am Ende des endolymphatischen Gangs passiv resorbiert. Cupulae und Otolithenmembranen. In den Endolymph-
schlauch der drei Bogengänge und des Utriculus und Sacculus ragt je eine gallertige Masse, die Cupulae und die Otholithenmembranen. Die Otholithenmembranen des Sacculus und des Utriculus sind mit Ca2+-Salzkristallen be-
. Abb. 18.10. Bau des Innenohrs und Gleichgewichtsorgans (oben) und der Haarzellen im Gleichgewichtsorgan (unten)
423 18.6 · Gleichgewichtssinn
schwert und werden daher durch die Schwerkraft nach unten gezogen. Die kristallfreien Cupulae der Bogengänge haben die gleiche Dichte wie die Endolymphe, sie werden durch Flüssigkeitsbewegungen im Endolymphschlauch, nicht jedoch durch Linearbeschleunigungen deformiert. In die gallertige Masse ragen feine Härchen (Zilien) der Sinneszellen (Haarzellen). Jede Haarzelle hat ein besonders langes Kinozilium und viele kürzere Stereozilien.
18.6.2
Reizaufnahme und Erregung im Gleichgewichtsorgan
! Drehbeschleunigungen der Flüssigkeit in den Bogengängen und Linearbeschleunigungen in Utriculus und Sacculus scheren Zilien der Haarzellen ab, mit nachfolgender Depolarisation und Glutamatausschüttung
Aktivierung von Haarzellen. Kräfte, die auf die gallertigen Massen einwirken, führen zu einem Abscheren der Zilien. Die mechanische Deformierung führt über mechanosensitive Ionenkanäle zu einer Änderung des Membranpotenzials der Haarzellen. Bei Abscheren in Richtung des Kinozilium kommt es zur Dehnung der tip links (7 Kap. 18.3.1) und Öffnung der Kanäle, K+ strömt aus der K+-reichen Endolymphe in die Haarzelle und depolarisiert die Zelle. Bei Abscheren in die andere Richtung werden die Kanäle geschlossen und die Zelle hyperpolarisiert. Die Haarzellen stehen in großflächiger (Rezeptortyp I) oder kleinflächiger (Rezeptortyp II) synaptischer Verbindung zu Nervenendigungen (. Abb. 18.10). In Abhängigkeit vom Membranpotenzial schütten die Haarzellen Glutamat aus, das die Nervenendigungen depolarisiert und damit postsynaptische Aktionspotenziale auslöst. Bei fehlenden Scherkräften ist die Zellmembran der Rezeptoren mäßig depolarisiert und die Aktionspotenzialfrequenz nimmt einen mittleren Wert an. Bei Depolarisation (Bewegung in Richtung Kinozilium) nimmt die Aktionspotenzialfrequenz bis auf das Doppelte zu, bei Hyperpolarisation (Bewegung in Richtung Stereozilien) bis gegen null ab. Die Aktionspotenzialfrequenz enthält also Informationen über Intensität und Richtung der Beschleunigung. Erregung der Rezeptoren in den Bogengängen. Bei Dreh-
bewegungen des Kopfes bleibt die Endolymphe zunächst aufgrund ihrer Trägheit zurück und es entsteht eine Relativbewegung zwischen Endolymphe und der knöchernen Hülle der Bogengänge. Durch diese Relativbewegung de-
formieren Kräfte auf die Cupulae der Bogengänge. Richtung und Intensität der Scherkräfte hängen davon ab, in welchem Ausmaß Richtung der Drehbewegung und Richtung des jeweiligen Bogengangs übereinstimmen. Bei anhaltender Drehbewegung mit konstanter Geschwindigkeit wird die Endolymphe allmählich beschleunigt und erreicht schließlich die gleiche Geschwindigkeit wie die knöcherne Hülle. Die Relativbewegung verschwindet und die Erregung der Haarzellen kehrt auf den Ruhewert zurück. Bei plötzlicher Unterbrechung der Drehbewegung dreht sich die Endolymphe zunächst weiter. Folge ist eine umgekehrte Relativbewegung und Beeinflussung der Haarzellen. Die Bogengänge registrieren somit nicht die Drehbewegung, sondern die Drehbeschleunigung. Erregung in Sacculus und Utriculus. Durch die Einlagerung
der Ca2+-Salze (7 Kap. 18.6.1) sind die Otolithen schwerer als umgebende Endolymphe. Die Otholithenmembran des Sacculus steht bei aufrechtem Kopf senkrecht und wird durch die Schwerkraft nach unten gezogen. Die dabei entstehende Scherkraft erregt die Rezeptoren. Die Otholithenmembran des Utriculus liegt bei aufrechtem Kopf waagerecht, unterliegt demnach bei dieser Kopfstellung keiner Scherkraft. Erst bei Neigen des Kopfes entsteht eine Scherkraft und erregt die Rezeptoren. Die Kombination der Afferenzen aus Sacculus und Utriculus erlaubt die Bestimmung jeder Stellung des Kopfes in Bezug zur Schwerkraft. Efferenzen. Durch efferente Nervenendigungen wird die
Empfindlichkeit der Rezeptoren bzw. die Übertragung auf die Nervenendigungen beeinflusst. Je nach Typ der Rezeptoren sind die Efferenzen mit der Nervenendigung (Typ I) oder dem Rezeptor selbst (Typ II) synaptisch verbunden.
18.6.3
Verschaltungen des Gleichgewichtssinns
! Afferenzen aus Gleichgewichtsorganen und Propriozeptoren und visuelle Informationen müssen zur Gleichgewichtserhaltung verrechnet werden
Neuronale Verbindungen der Gleichgewichtsorgane. Die afferenten Nervenfasern aus den Gleichgewichtsorganen erreichen über die Pars vestibularis des Nervus vestibulocochlearis (VIII) die vier Vestibulariskerne (Nucleus superior, inferior, medialis und lateralis). Diese Kerne erhalten nicht nur Informationen aus den Haarzellen des Gleichge-
18
424
18
Kapitel 18 · Auditorisches System
wichtsorgans, sondern auch Afferenzen aus den Muskelspindeln v. a. der Haltemuskulatur sowie der Gelenke etc. Damit erhalten sie Informationen u. a. über die Stellung des Kopfes zum Körper. Axone von Neuronen der Vestibulariskerne projizieren zu verschiedenen Strukturen, die der Wahrnehmung und Erhaltung des Gleichgewichtes dienen: 4 zu γ-Motoneuronen und α-Motoneuronen v. a. der Haltemuskulatur (Tractus vestibulospinalis) für die reflektorische Gleichgewichtserhaltung 4 zur Formatio reticularis zur Kontrolle der Stützmotorik 4 zum Kleinhirn (Vestibulocerebellum) zur vestibulären Informationsverarbeitung (7 Kap. 15.7.2) 4 zu den Augenmuskelkernen (oculomotorius, trochlearis, abducens) für die Kontrolle der Augenbewegungen (Nystagmus, 7 Kap. 17.1.8) 4 über basale Thalamuskerne zum insulären Kortex und auch zum Gyrus postcentralis zur bewussten Wahrnehmung des Gleichgewichts 4 zum Hypothalamus zur Beeinflussung vegetativer Funktionen durch das Gleichgewicht Bedeutung extravestibulärer Afferenzen. Für die Erhal-
tung des Gleichgewichts ist die Information aus den Gleichgewichtsorganen zwar bedeutsam, jedoch keineswegs hinreichend. Bei Nicken mit dem Kopf werden die Gleichgewichtsorgane gleichermaßen aktiviert, wie bei Fallen des Körpers nach vorne. Die richtige Einschätzung der Afferenzen aus den Gleichgewichtsorganen in Hinblick auf die Gleichgewichtserhaltung erfordert weitere Informationen, wie die Stellung und Spannung der Muskulatur (v. a. der Nacken-, Rumpf und Beinmuskulatur), sowie das Netzhautbild in Relation zur Augenmuskeltätigkeit. Nur die korrekte Einrechnung der verschiedenen Informationen vermittelt das Gleichgewichtsgefühl.
18.6.4
Störungen des Gleichgewichtssinns
! Gleichgewichtsstörungen treten bei Schädigungen des Gleichgewichtsorganes oder des Kleinhirns auf
Schädigung der Bogengänge und Maculaorgane. Die
Haarzellen der Bogengänge können durch vielfältige Ursachen geschädigt werden, wie etwa Ischämie oder Innenohrinfektionen. Bei einseitigem Ausfall der Gleichge-
wichtsorgane sind die Afferenzen aus den Gleichgewichtsorganen asymmetrisch und es treten Schwindelanfälle auf. In der Folge entsteht ein Nystagmus (mit schneller Komponente zur gesunden Seite, 7 Kap. 17.1.8) und damit wandern umgebende Objekte auf der Netzhaut (der Raum dreht sich). Verbindungen zum Hypothalamus lösen über Beeinflussung des vegetativen Nervensystems Übelkeit und Erbrechen aus. Die Störungen werden bei Ausfall eines Gleichgewichtsorgans jedoch in der Regel zentral kompensiert. Kalorische Reizung. Eine Täuschung der Bogengänge tritt bei plötzlicher einseitiger Abkühlung oder Erwärmung auf. Wird etwa durch Eindringen von kaltem Wasser in den Gehörgang die Endolymphe teilweise abgekühlt, dann ändern sich Volumen und Dichte der Flüssigkeit und es werden so Endolymphbewegungen ausgelöst. Taucher können bei Riss des Trommelfells auf diese Weise völlig ihre Orientierung verlieren und letztlich ertrinken. Schädigung des Kleinhirns. Wie an anderer Stelle ausgeführt wird (7 Kap. 15.7.3), zieht eine Schädigung des Kleinhirns auch die Gleichgewichtserhaltung in Mitleidenschaft. Folge ist die typische Standunsicherheit bei zerebellarer Ataxie. Kinetosen. Bei den Kinetosen (z. B. Seekrankheit) liegt eine
Diskrepanz zwischen der Erregung des Gleichgewichtsorgans und der scheinbar unbewegten Umgebung vor (das Innere eines schlingernden Schiffes). Diese Diskrepanz führt wie Fehlinformationen aus dem Gleichgewichtsorgan zu Schwindel, Übelkeit und Erbrechen.
18.6.5
Prüfung des Gleichgewichtssinns
! Das Gleichgewichtsorgan kann durch Drehen oder durch Abkühlen getestet werden
Nystagmus. Der Nystagmus ist eine Augenbewegung, die
der Erzeugung von stabilen Bildern auf der Netzhaut dient (7 Kap. 17.1.8). Beim Drehen des Kopfes löst die Aktivierung der Bogengänge entsprechende Augenbewegungen aus (vestibulärer Nystagmus). Die Informationen werden von Neuronen in Nucleus vestibularis und Kleinhirn verrechnet. Über die Nervi oculomotorius, trochlearis und abducens beeinflussen diese wiederum die Augenmuskeln (7 Kap. 17.1.8). Bei der Testung des Drehnystagmus setzt
425 18.6 · Gleichgewichtssinn
der Arzt dem Probanden eine stark vergrößernde konvexe Brille auf (Frenzelbrille), damit der Proband keine Objekte mehr fixieren, der Arzt aber die Augenbewegungen des Patienten beobachten kann. Der Patient wird auf einem Drehstuhl gedreht und die Drehung dann abrupt gestoppt. Durch die Trägheit der Endolymphe werden die Rezeptoren der Bogengänge erregt und es entsteht ein postrotatorischer Nystagmus entgegen der ursprünglichen Drehrichtung.
Kalorischer Nystagmus. Die Wirkung einer Temperaturänderung auf die Endolymphe (7 Kap. 18.6.4) kann diagnostisch genutzt werden. Beim liegenden Patienten wird der Kopf um 30° gehoben, um den horizontalen Bogengang in eine vertikale Lage zu bringen. Dann wird der äußere Gehörgang einseitig mit warmem (44 °C) oder kaltem (30 °C) Wasser gespült und damit die Bogengänge erwärmt bzw. abgekühlt. Durch die Reizung des Gleichgewichtsorgans tritt Nystagmus auf.
In Kürze
Gleichgewichtssinn Bau der Gleichgewichtsorgane 4 Perilymphe extrazelluläre Zusammensetzung; Ductus perilymphaticus o Subarachnoidalraum 4 Endolymphe niedrige Na+-, hohe K+-Konzentrationen, Resorption im endolymphatischen Sack am Ende des endolymphatischen Gangs 4 Otholithenmembranen Sacculus und Utriculus mit Ca2+-Salzen beschwert (oLinearbeschleunigungen. Schwerkraft) 4 Ca2+-salzfreie Cupulae der Bogengänge gleiche Dichte wie Endolymphe (o Deformation durch Flüssigkeitsbewegungen [Drehbeschleunigung] im Endolymphschlauch, nicht Schwerkraft); In gallertige Masse ragen Zilien der Haarzellen (1 langes Kinozilium, mehrere kürzere Stereozilien) Reizaufnahme und Erregung im Gleichgewichtsorgan 4 Scherkräfte auf gallertige Massen o Abknicken Zilien o Dehnung [Stauchung] tip links o mechanosensitive Kanäle n[p] o K+-Einstrom n[p] aus K+-reicher Endolymphe in Haarzelle o Depolarisation o Glutamatausschüttung n[p] o Nervenendigungen (großflächig Typ I, kleinflächig Typ II) o Aktionspotenziale 4 Efferenzen Synapsen mit Nervenendigung (Typ I), Haarzellen (Typ II) o Empfindlichkeit Verschaltungen des Gleichgewichtssinns 4 Afferenzen aus Gleichgewichtsorganen o Pars vestibularis Nervus vestibulocochlearis (VIII), Vestibulariskerne (Nucleus superior, inferior, medialis und lateralis) [Integration Afferenzen aus Gleichgewichtsorgan, Muskelspindeln Haltemuskulatur, Gelenke] o Tractus vestibulospinalis [γ-Motoneurone, α-Motoneurone], Formatio reticularis [Kontrolle der Stützmotorik], Ves-
tibulocerebellum [vestibuläre Informationsverarbeitung], Augenmuskelkerne oculomotorius, trochlearis, abducens [Augenbewegungen], basale Thalamuskerne (o insulärer Kortex, Gyrus postcentralis [bewusste Wahrnehmung]), Hypothalamus [vegetative Funktionen] 4 Gleichgewichtserhaltung erfordert Informationen aus Gleichgewichtsorganen, Stellung und Spannung der Muskulatur (v. a. der Nacken-, Rumpf und Beinmuskulatur), Netzhautbild in Relation zur Augenmuskeltätigkeit. Nur korrekte Verrechnung der Informationen vermittelt Gleichgewichtsgefühl Störungen des Gleichgewichtssinns 4 Ischämie, Innenohrinfektionen, plötzliche Abkühlung oder Erwärmung o vorübergehend Schwindelanfälle, Nystagmus (schnelle Komponente zu gesunder Seite), Übelkeit, Erbrechen 4 Schädigung Kleinhirn o Gleichgewichtserhaltung p o Standunsicherheit, zerebellare Ataxie 4 Kinetosen o Diskrepanz zwischen Erregung Gleichgewichtsorgan und scheinbar unbewegter Umgebung o Schwindel, Übelkeit, Erbrechen Prüfung des Gleichgewichtssinns 4 Aufsetzen stark vergrößernder konvexer Brille (Frenzelbrille) o Drehen auf Drehstuhl o abruptes Stoppen (Drehbeschleunigung in andere Richtung) o postrotatorischer Nystagmus (entgegen der ursprünglichen Drehrichtung) 4 Heben des Kopfes um 30° beim liegenden Patienten (horizontaler Bogengang in vertikaler Lage) o Spülung Gehörgang mit warmem (44°C) oder kaltem (30 °C) Wasser o kalorischer Nystagmus
18
19
19 Chemische Sinne 19.1
Grundlagen chemischer Sinne
19.1.1 19.1.2
Einteilung, morphologische Grundlagen und sensorische Funktionen Schutzreflexe, viszerale und sekretorische Reflexe – 429
– 428
19.2
Geschmack
19.2.1 19.2.2 19.2.3 19.2.4
Geschmacksqualitäten und Psychophysiologie des Geschmacks Sensoren – 430 Zentrale Projektionen – 430 Störungen der Geschmacksempfindung – 431
19.3
Geruch
19.3.1 19.3.2 19.3.3 19.3.4 19.3.5
Sinnesmodalitäten, Qualitäten und Psychophysiologie des Geruchs Transduktionsprozesse – 432 Bahnen und zentralnervöse Verarbeitung – 432 Assoziationsregionen für den Geruchssinn – 432 Störungen der Geruchswahrnehmung – 432
– 428
– 430 – 430
– 432 – 432
428
Kapitel 19 · Chemische Sinne
> > Einleitung
19
Der Geschmack dient in erster Linie der Prüfung zugeführter Nahrung. Der Geruch dient der Wahrnehmung von Nahrung, Feinden, Verwandten und möglichen Paarungspartnern.
19.1
Grundlagen chemischer Sinne
19.1.1
Einteilung, morphologische Grundlagen und sensorische Funktionen
den genannten Bereichen Rezeptoren für alle Geschmacksmodalitäten. Die Rezeptoren haben eine Lebensdauer von etwa 10–15 Tagen und werden ständig aus Basalzellen nachgebildet. Geruch. Duftstoffe werden von bipolaren Sinneszellen in der Riechschleimhaut am Dach der Nasenhöhle erkannt (. Abb. 19.2). Die Sinneszellen haben nur eine Lebensdauer von etwa einem Monat und werden ständig aus Stützund Basalzellen des Riechepithels nachgebildet. Trigeminaler Sinn. Geschmacks- und Geruchsempfin-
! Geschmacksrezeptoren der Zunge, Geruchsrezeptoren am Dach der Nasenhöhle und Nervenendigungen des Nervus trigeminus erkennen Substanzen in Atemluft und Nahrung
Geschmackrezeptoren. Etwa 10–50 Sinneszellen bilden
zusammen die Geschmacksknospen (. Abb. 19.1). Etwa 3–4 solcher Geschmacksknospen sitzen auf der Spitze von etwa 200–400 Pilzpapillen (überall), etwa 50 sitzen an der Seitenwand von etwa 15–20 Blätterpapillen (Seitenrand der Zunge) und über 100 in den randständigen Einfaltungen der 7–12 Wallpapillen (Zungengrund). Man ging früher davon aus, dass Rezeptoren für süß an der Zungenspitze, für sauer und salzig am Zungenrand und für bitter am Zungengrund lokalisiert sind. Allerdings findet man in
dungen können auch über Reizung von Nervenendigungen des Nervus trigeminus ausgelöst werden. Er vermittelt die Qualitäten scharf, stechend, beißend. Massive Reizung dieser Fasern stimuliert Speichel- und Tränensekretion und kann Schutzreflexe auslösen (Niesen, Husten, Würgen, Erbrechen). Empfindlichkeit. Bei einer Absolutschwelle für einige Duft-
stoffe von 107 Molekülen/ml Luft ist der Geruchssinn wesentlich empfindlicher als der Geschmackssinn (1016 Moleküle/ml). Beim Geschmack ist die Schwelle für einige Bitterstoffe besonders niedrig. Adaptation. Sowohl in Geschmacks- als auch in Geruchs-
rezeptoren sinkt die Aktivität bei gleich bleibender Stoff-
. Abb. 19.1. Geschmacksrezeptoren und Weiterleitung der gustatorischen Information (nach Hatt aus Schmidt et al.)
429 19.1 · Grundlagen chemischer Sinne
schmackstoff. So wird nach Süßadaptation normales Wasser kurzfristig als bitter empfunden. Kennsubstanzen. Geschmack kann diagnostisch durch bestimmte Geschmacksstoffe getestet werden (bitter: Chinin, Nikotin; sauer: Salzsäure, Zitronensäure; süß: Glukose, Saccharose, Saccharin; salzig: NaCl, CaCl2). Gleichermaßen werden zur Testung des Geruchssinns bestimmte Duftstoffe eingesetzt (blumig: d-1-ß-Phenyläthylmethylcarbinol; ätherisch: 1,2-Dichloräthan; moschusartig: 1,5-Hydroxypantadecansäurelacton; kampferartig: 1,8-Cineol; faulig: Dimethylsulfid; schweißig: Isovaleriansäure; stechend: Ameisensäure).
19.1.2
Schutzreflexe, viszerale und sekretorische Reflexe
! Geschmacks- und Geruchsempfindungen lösen Reflexe aus . Abb. 19.2. Geruchsrezeptoren und ihre Afferenzen zum Bulbus olfactorius (nach Hatt aus Schmidt et al.)
konzentration. Diese Adaptation setzt in wenigen Sekunden ein und hält bei Bitterstoffen bis zu Stunden an. Interaktionen. Die Adaptation für einen Geschmacksstoff
beeinflusst die Wahrnehmung für einen anderen Ge-
Gustofazialer Reflex. Geschmacksempfindungen (süß,
sauer, bitter) beeinflussen reflektorisch die Mimik. Dieser gustofaziale Reflex ist bereits bei Neugeborenen auslösbar. Stimulation der Sekretion. Geruchs- und Geschmacks-
empfindungen stimulieren die Sekretion im Rachenraum, die Speichelsekretion und die Sekretion von Magensaft (zephalische Phase, 7 Kap. 7.3.3).
In Kürze
Grundlagen chemischer Sinne Einteilung, morphologische Grundlagen und sensorische Funktionen 4 Geschmackrezeptoren: 10–50 Sinneszellen o Geschmacksknospen o 3–4 Geschmacksknospen auf ≈200–400 Pilzpapillen (überall), 50 an Seitenwand von ≈15–20 Blätterpapillen (Seitenrand der Zunge), über 100 in randständigen Einfaltungen ≈7–12 Wallpapillen (Zungengrund). Lebensdauer ≈10–15 Tage, aus Basalzellen nachgebildet 4 Geruch: Bipolare Sinneszellen in Riechschleimhaut Dach Nasenhöhle, Lebensdauer ≈1 Monat, aus Basalzellen nachgebildet 6
4 Trigeminaler Sinn: Nervenendigungen (scharf/stechend/beissend) o massive Reizung o Speichel- und Tränensekretion, Schutzreflexe (Niesen, Husten, Würgen, Erbrechen) 4 Empfindlichkeit: Geruch ≥107 Moleküle/ml Luft, Geschmack ≥1016 Moleküle/ml (Bitterstoffe) 4 Bleibende Stoffkonzentration o Adaptation (binnen Sekunden, z. T. Stunden anhaltend); beeinflusst Qualität der Wahrnehmung anderer Geschmackstoffe (Interaktionen) 4 Kennsubstanzen: Geschmack o bitter: Chinin, Nikotin; sauer: Salzsäure, Zitronensäure; süß: Glukose, Saccharose, Saccharin; salzig: NaCl, CaCl2; Geruch o blumig:
19
430
Kapitel 19 · Chemische Sinne
d-1-β-Phenyläthylmethylcarbinol; ätherisch: 1,2-Dichloräthan; moschusartig: 1,5-Hydroxypantadecansäurelacton; kampferartig: 1,8-Cineol; faulig: Dimethylsulfid; schweißig: Isovaleriansäure; stechend: Ameisensäure)
Schutzreflexe, viszerale und sekretorische Reflexe 4 Gustofazialer Reflex: Geschmacksempfindungen (süß, sauer, bitter) o Mimik 4 Geruch, Geschmack o Sekretion Rachenraum, Speichel, Magensaft (zephalische Phase)
19.2
Geschmack
19.2.1
Geschmacksqualitäten und Psychophysiologie des Geschmacks
K+-Kanälen zur Depolarisation. Ferner aktivieren Süßstoffe eine Phospholipase C mit folgender Bildung von 1,4,5-Inositoltrisphosphat (wie Bitterstoffe).
19
Bitter. Bittere Stoffe aktivieren wiederum über einen Re! Geschmacksrezeptoren vermitteln die Qualitäten süß, sauer, salzig und bitter, Nervenendigungen des Trigeminus die Qualität scharf
Geschmacksqualitäten. Geschmacksrezeptoren (. Abb. 19.1) v. a. am Zungengrund und -rand, aber auch am Gaumen und im Rachen vermitteln die Modalitäten süß, sauer, salzig und bitter. Darüber hinaus könnte es Rezeptoren für metallischen Geschmack und Glutamat (Umami-Geschmack) geben. Über Nervenendigungen des Nervus trigeminus wird die Qualität stechend/scharf/beißend wahrgenommen. Bei zunehmender Konzentration an Geschmacksstoffen entstehen zunächst eine unspezifische Geschmacksempfindung und erst dann die spezifische Wahrnehmung der Geschmacksmodalität. Bei hohen Konzentrationen kann sich die Geschmacksmodalität ändern.
19.2.2
Sensoren
! Die Qualitäten sauer, salzig, süß und bitter lösen unterschiedliche Transduktionsmechanismen aus
Sauer. Rezeptorzellen für sauer werden v. a. durch Öffnung
von Kationenkanälen (ASIC = acid sensing ion channels) depolarisiert. Salzig. Salziger Geschmack wird v. a. über amiloridhemm-
bare Na+-Kanäle vermittelt, durch die Kationen eines Salzes einströmen und damit die Zellmembran depolarisieren. Süß. Süß wahrgenommene Moleküle werden an Rezeptoren gebunden, die über ein G-Protein (Gustducin) die Adenylatzyklase aktivieren. cAMP führt über Hemmung von
zeptor und ein G-Protein eine Phospholipase C. Die Bildung von 1,4,5-Inositoltrisphosphat führt dann zur zellulären Freisetzung von Ca2+ und zur Aktivierung von Ca2+-permeablen Kationenkanälen. Bittergeschmack wird durch mindestens 30 unterschiedliche Rezeptoren vermittelt.
19.2.3
Zentrale Projektionen
! Afferenzen der Geschmacksrezeptoren gelangen über den Nucleus solitarius u. a. zur Geschmacksrinde
Weiterleitung des Geschmackssinnes. Die Rezeptoren
des Geschmackssinnes schütten bei Reizung Transmitter aus (sekundäre Sinnezellen, 7 Kap. 16.1.2), die afferente Nervenendigungen depolarisieren und auf diese Weise die Frequenz der Aktionspotenziale steigern. Die Afferenzen aus der Zunge werden über Aδ- und C-Fasern der Nerven facialis (VII, vorwiegend Pilzpapillen) und glossopharyngeus (IX, Wall- und Blätterpapillen), die Afferenzen aus Gaumen und Rachen über die Nerven trigeminus (V) und vagus (X) zum Nucleus solitarius weitergeleitet. Durch Konvergenz der Afferenzen ist die Zahl der 2. Neurone im Nucleus solitarius deutlich geringer als die Zahl der ersten Neurone. Zentrale Verschaltung. Nach Umschaltung gelangen Afferenzen einerseits zum Hypothalamus und limbischen System und andererseits über den Lemniscus medialis und den Nucleus ventralis posteriomedialis des Thalamus (3. Neuron) zur primären Geschmacksrinde im Bereich der Insel und zum Gyrus postcentralis.
431 19.2 · Geschmack
19.2.4
Störungen der Geschmacksempfindung
! Geschmacksempfindung ist bei Schädigung der Rezeptoren, Unterbrechung der Weiterleitung oder gestörter zentraler Verarbeitung beeinträchtigt
Ursachen von Geschmacksstörungen. Die Geschmacksrezeptoren können genetisch defekt sowie durch Bestrahlung und einige Pharmaka (z. B. Lokalanästhetika, Kokain, Penicillamin, Streptomycin) in ihrer Empfindlichkeit herabgesetzt oder ganz ausgeschaltet werden. Bei Diabetes mellitus ist die Süßempfindung, bei Aldosteronmangel die Salzigempfindung herabgesetzt.
Die Weiterleitung in den Nerven kann durch Traumen, Tumore oder Entzündungen unterbrochen werden. Die Chorda tympani des N. facialis ist z. B. bei Schädelfrakturen, Entzündungen, Verletzungen und Operationen am Ohr gefährdet, der N. glossopharyngeus bei Tonsillektomie. Die zentrale Weiterleitung und Verarbeitung kann durch Tumore, Ischämie oder Epilepsie gestört sein. Auswirkungen. Folgen von Geschmacksstörungen sind
verminderter (Hypoguesie) oder fehlender (Aguesie) Geschmackssinn. Darüber hinaus kann die Geschmacksempfindlichkeit gesteigert sein (Hyperguesie) und es können inadäquate (Paraguesie) oder unangenehme (Dysguesie) Geschmacksempfindungen auftreten.
In Kürze
Geschmack Geschmacksqualitäten und Psychophysiologie des Geschmacks 4 Geschmacksqualitäten: süß, sauer, salzig und bitter, metallischer Geschmack, Glutamat (Umami) 4 Zunehmende Konzentrationen o unspezifische Geschmacksempfindung o spezifische Wahrnehmung o Änderung Geschmacksmodalität Sensoren 4 Sauer: Depolarisation durch Öffnung von Kationenkanälen (ASIC = acid sensing ion channels) 4 Salzig: Depolarisation durch amiloridhemmbare Na+Kanäle (ENaC = epithelial Na+ channels) 4 Süß: G-Protein (Gustducin) n o Adenylatzyklase n o cAMP n o K+-Kanäle p o Depolarisation. 4 Bitter: (30 unterschiedliche Rezeptoren) o G-Protein n o Phospholipase C n o 1,4,5-Inositoltrisphosphat n o Ca2+-Freisetzung n, Ca2+-Kanäle n.
Zentrale Projektionen 4 Weiterleitung: Sekundäre Sinneszellen o Transmitter o Nervenendigungen o Aδ- und C-Fasern N. facialis (VII) [Pilzpapillen Zunge], glossopharyngeus (IX) [Wall- und Blätterpapillen Zunge], N. trigeminus (V), vagus (X) [Gaumen, Rachen] o Nucleus solitarius (2. Neuron) (o Hypothalamus, limbisches System) o Lemniscus medialis o Nucleus ventralis posteriomedialis Thalamus (3. Neuron) o primäre Geschmacksrinde (Insel), Gyrus postcentralis Störungen der Geschmacksempfindung 4 Genetische Defekte, Bestrahlung, Pharmaka (Lokalanästhetika, Kokain, Penicillamin, Streptomycin) o Geschmacksrezeptorempfindlichkeit p; Diabetes mellitus o Süßempfindung p, Aldosteronmangel o Salzigempfindung p 4 Trauma, Tumor, Entzündung, Verletzung, Operation o Weiterleitung p (Tumor, Ischämie, Epilepsie o zentrale Weiterleitung, Verarbeitung p) o Hypoguesie, Aguesie, Hyperguesie, Paraguesie, Dysguesie
19
432
Kapitel 19 · Chemische Sinne
19.3
Geruch
19.3.1
Sinnesmodalitäten, Qualitäten und Psychophysiologie des Geruchs
19
! Der Körper verfügt über Hunderte unterschiedlicher Rezeptoren mit höchster Affinität für Duftstoffe
Geruchsrezeptoren. Die mehr als 300 Geruchsrezeptoren
vermitteln etwa 10.000 unterscheidbare Düfte der Duftklassen blumig, ätherisch, moschusartig, kampferartig, schweißig, faulig, minzeartig und stechend. Sie sind primäre Sinneszellen (7 Kap. 16.1.2). Neben den eigentlichen Geruchsrezeptoren können auch freie Nervenendigungen des Nervus trigeminus durch Geruchsstoffe (u. a. stechend) erregt werden. Geruchsschwellen. Bei steigender Konzentration von Duftstoffen wird zunächst die Wahrnehmungsschwelle erreicht und dann die Erkennungsschwelle. Die Unterschiedsschwelle beschreibt die Konzentrationsunterschiede, die benötigt werden, um zwei Konzentrationen des gleichen Duftstoffes als unterschiedlich zu erkennen. Hedonik. Düfte werden als angenehm oder unangenehm
empfunden. Dabei spielen genetische Festlegung und Prägung durch Erfahrung bzw. Erziehung eine Rolle. Körpergeruch. Der Körpergeruch ist genetisch determiniert und mit dem Major Histocompatibility Complex (MHC, 7 Kap. 2.5.3) assoziiert. Über den Geruch können daher Verwandte identifiziert werden. Neugeborene erkennen beispielsweise die Brüste ihrer Mütter am Geruch.
19.3.2
Transduktionsprozesse
! Geruchsrezeptoren aktivieren über G-Proteine, Adenylatzyklase und cAMP Ca2+-permeable Kationenkanäle
G-Protein-gekoppelte Rezeptoren. Duftstoffe binden an jeweils spezifische Rezeptoren. Der Mensch exprimiert mehr als 300 unterschiedliche Geruchsrezeptoren. Sie lösen unter Vermittlung eines G-Proteins (Golf ) eine Signalkaskade aus. Die Rezeptoren aktivieren eine Adenylatzyklase, das gebildete cAMP aktiviert dann unspezifische Kationenkanäle (CNG-Kanäle). Dadurch wird die Membran depolarisiert und Ca2+ strömt ein.
19.3.3
Bahnen und zentralnervöse Verarbeitung
! Afferenzen aus Geruchsrezeptoren gelangen über den Bulbus olfactorius zu weiten Anteilen des Gehirns
Afferenzen zum Bulbus olfactorius. Die Axone der Riech-
zellen gelangen über Öffnungen der Lamina cribrosa zu Mitralzellen des Bulbus olfactorius. Dabei konvergieren viele Rezeptoren auf eine Mitralzelle. Interneurone hemmen benachbarte Mitralzellen und erzielen damit eine Kontrastverschärfung. Körnerzellen dienen der rekurrenten Hemmung. Vom Bulbus olfactorius gelangt die Empfindung über den Tractus olfactorius zum primären olfaktorischen Kortex, zum Cortex praepiriformis, zum Hypothalamus, zur Formatio reticularis, zu den Corpora amygdala, zum Hippokampus sowie über den Thalamus zur Großhirnrinde (Frontallappen und Insel).
19.3.4
Assoziationsregionen für den Geruchssinn
! Wegen enger Beziehungen des Geruchsinns zum limbischen System beeinflussen Duftstoffe besonders stark Sympathie und Antipathie
Verbindungen zum limbischen System. Der Bulbus olfac-
torius hat vielfältige Verbindungen zum Hypothalamus und Anteilen des limbischen Systems (v. a. Corpora amygdala, Hippokampus). Emotionale Bedeutung des Geruchsinnes. Die enge Beziehung des Geruchsinnes zum limbischen System ist Ursache für die starke emotionale Bedeutung von Duftstoffen. Sympathie und Antipathie entstehen nicht selten durch Gerüche (»man kann jemanden nicht riechen«), auch sexuelle Anziehung und Abstoßung werden nicht zuletzt durch Duftstoffe entschieden.
19.3.5
Störungen der Geruchswahrnehmung
! Geruchsempfindung ist bei Zirkulationsstörungen, Schädigung der Rezeptoren, Abriss der Fila olfactoria oder gestörter zentraler Verarbeitung beeinträchtigt
433 19.3 · Geruch
Ursachen von Geruchstörungen. Der Geruchssinn wird durch Zirkulationsstörungen außer Gefecht gesetzt, wie bei infektiösem oder allergischem Schnupfen, Nasenmissbildungen, Fremdkörpern, Tumoren, Hämatomen oder Abszessen (konduktive Hyposmie). Die Rezeptoren können genetisch defekt sein oder durch einige Pharmaka (z. B. Kokain, Morphin) und Toxine (z. B. Zementstaub, Blei, Cadmium, Zyanid, Chlorverbindungen) zerstört werden. Die Empfindlichkeit der Sinneszellen wird durch Östrogene (z. B. Schwangerschaft) gesteigert und nimmt im Alter ab.
Die Axone der Sinneszellen können bei Frakturen im Bereich der Lamina cribrosa abgerissen werden. Neurodegenerative Erkrankungen (Morbus Alzheimer, Morbus Parkinson), Entzündungen, Tumore, Alkohol, Epilepsie und Schizophrenie beeinträchtigen die zentrale Verarbeitung der Geruchsempfindungen. Auswirkungen. Folgen der Störungen sind verminderter (Hyposmie) oder fehlender (Anosmie) Geruchssinn, gesteigerte (Hyperosmie), inadäquate (Parosmie) oder unangenehme (Kakosmie) Geruchsempfindung.
In Kürze
Geruch Sinnesmodalitäten, Qualitäten und Psychophysiologie des Geruchs 4 >10.000 unterscheidbare Düfte der Duftklassen blumig, ätherisch, moschusartig, kampferartig, schweißig, faulig, minzeartig, stechend 4 Geruchsschwellen: Wahrnehmungsschwelle o Erkennungsschwelle o Unterschiedsschwelle 4 Hedonik: Düfte angenehm oder unangenehm (genetische Festlegung, Prägung, Erfahrung, Erziehung) 4 Körpergeruch: Genetisch determiniert, Major Histocompatibility Complex (MHC) assoziiert Transduktionsprozesse 4 >300 unterschiedliche Geruchsrezeptoren o G-Protein (Golf ) o Adenylatzyklase n o cAMP n o unspezifische Kationenkanäle (CNG-Kanäle) o Depolarisation o Ca2+-Einstrom n Bahnen und zentralnervöse Verarbeitung 4 Primäre Sinneszellen o Afferenzen o Mitralzellen Bulbus olfactorius (Konvergenz, rekurrente Hem-
mung) o Tractus olfactorius o primärer olfaktorischen Kortex, Cortex praepiriformis, Hypothalamus, Formatio reticularis, Corpora amygdala, Hippokampus, Thalamus (o Frontallappen, Insel) Assoziationsregionen für den Geruchssinn 4 Bulbus olfactorius o Hypothalamus, limbisches Systems (v. a. Corpora amygdala, Hippokampus) o Sympathie, Antipathie, sexuelle Anziehung, Abstoßung Störungen der Geruchswahrnehmung 4 Schnupfen, Nasenmissbildungen, Fremdkörper, Tumore, Hämatome, Abszesse o Zirkulation p o konduktive Hyposmie; Genetische Defekte, Pharmaka (Kokain, Morphin), Toxine, Alter o Rezeptoren p (Östrogene o Rezeptoren n); Frakturen Lamina cribrosa o Abriss der Axone; Neurodegenerative Erkrankungen (Morbus Alzheimer, Morbus Parkinson), Entzündungen, Tumore, Alkohol, Epilepsie, Schizophrenie o zentrale Verarbeitung o Hyposmie, Anosmie, Hyperosmie, Parosmie, Kakosmie
19
20
20 Integrative Leistungen des Zentralnervensystems 20.1
Allgemeine Physiologie und funktionelle Anatomie der Großhirnrinde – 436
20.1.1 20.1.2 20.1.3 20.1.4
Organisation der Großhirnrinde – 436 Kortikale Felder – 437 Kortikale Asymmetrie, Händigkeit und Sprachfunktion – 438 Elektrophysiologische Analyse der Hirnrindenaktivität – 438
20.2
Integrative Funktionen durch Interaktionen zwischen Hirnrinde und subkortikalen Hirnregionen – 442
20.2.1 20.2.2 20.2.3 20.2.4
Zirkadiane Periodik – 442 Bewusstsein – 445 Plastizität, Gedächtnis und Lernen – 446 Triebverhalten, Motivationen und Emotionen – 448
436
Kapitel 20 · Integrative Leistungen des Zentralnervensystems
> > Einleitung
20
Unter integrativen Leistungen des Nervensystems fasst man Bewusstsein, Wachen-Schlafen, Gedächtnis, Sprache, Erkennen, Denken, Motivation und Emotionen zusammen. Alle genannten integrativen Funktionen des Nervensystems erfordern die Kooperation mehrerer Areale der Großhirnrinde und verschiedener subkortikaler Strukturen, die direkt oder über den Thalamus miteinander kommunizieren.
20.1
Allgemeine Physiologie und funktionelle Anatomie der Großhirnrinde
20.1.1
Organisation der Großhirnrinde
!Die Großhirnrinde ist in Schichten angeordnet, die durch Anhäufung unterschiedlicher Neurone und Fasern charakterisiert sind. Der Thalamus ist das Tor zur Großhirnrinde
Zellen der Großhirnrinde. Die wichtigsten Zelltypen der
Großhirnrinde (. Abb. 20.1) sind die Pyramidenzellen, deren Axone das jeweilige Rindenareal verlassen, die Sternzellen, die als hemmende oder stimulierende Interneurone die Erregbarkeit der Pyramidenzellen modulieren, sowie die hemmend wirkenden Korbzellen. Die Pyramidenzellen verwenden wahrscheinlich den exzitatorischen Transmitter Glutamat, die Sternzellen Neuropeptide (z. B. VIP) und die Korbzellen den hemmenden Transmitter GABA. Projektionen. Die Axone der Pyramidenzellen ziehen 4 als Assoziationsfasern zu anderen Kortexarealen der
gleichen Hemisphäre 4 als Kommissurenfasern zur anderen Hemisphäre
oder 4 als Projektionsfasern zu Thalamus, Basalganglien,
Hirnstamm und Rückenmark Verschaltungen. Die kleinen bis mittleren Pyramidenzel-
len der äußeren Pyramidenzellschicht (III) geben Assoziations- und Kommissurenfasern ab, die kleinen Pyramidenzellen der Spindelzellschicht (VI) die kortikothalamischen Projektionsfasern, sowie die großen Pyramidenzellen (Betz-Riesenzellen) die Projektionsfasern zu subthalamischen Strukturen, wie Hirnstamm und Rückenmark (7 Kap. 15.3.2). Die Dendriten der Pyramidenzellen verlau-
. Abb. 20.1. Die Schichten der Großhirnrinde. Stark vereinfachtes Schema der Anordnung und Verschaltung der wichtigsten Neurone der Großhirnrinde (nach Birbaumer und Schmidt aus Schmidt et al.): I Molekularschicht (vorwiegend Fasern) II Äußere Körnerschicht (kleine Neurone, wie z. B. Korbzellen) III Äußere Pyramidenschicht (mittlere und kleine Pyramidenzellen) IV Innere Körnerschicht (Sternzellen und tangentiale Fasern) V Innere Pyramidenschicht (große Pyramidenzellen) VI Spindelzellschicht (kleine Pyramidenzellen und nicht gezeigte kleine, spindelförmige Interneurone)
fen senkrecht zur Rindenoberfläche bis zur Molekularschicht und empfangen auf ihrer gesamten Länge Afferenzen aus Assoziations- und Kommissurenfasern sowie aus spezifischen und unspezifischen thalamokortikalen Bahnen. Darüber hinaus beeinflussen über diese Dendriten kortikale Interneurone, wie Sternzellen, Korbzellen (. Abb. 20.1) oder Armleuchterzellen die Erregbarkeit der Pyramidenzellen. Durch diese vertikale Anordnung der Dendriten ist die Großhirnrinde in funktionelle Säulen (Kolumnen oder Module) eingeteilt, d. h. die verschiedenen Schichten eines Rindenareals bilden eine funktionelle Einheit. Morphologische und funktionelle Topographie der Großhirnrinde. Die Struktur der Großhirnrinde ist nicht überall
gleich.
437 20.1 · Allgemeine Physiologie und funktionelle Anatomie der Großhirnrinde
4 Wenn alle Schichten mehr oder weniger ausgeprägt
vorhanden sind, spricht man vom homotypen Kortex (Typ 2 bis 4) 4 Wenn einzelne Schichten sehr schwach ausgeprägt sind, spricht man vom heterotypen Kortex 4 Der agranuläre Kortex (Typ I, weitgehendes Fehlen der Schichten II und IV, Überwiegen der Schicht V) wird dort angetroffen, wo vorwiegend subthalamische Projektionsfasern abgegeben werden (primärer Motorkortex) 4 Der granuläre Kortex (vorwiegend Schicht II und IV, kaum Schicht III und V) hat hingegen kaum subthalamische Verbindungen Der Thalamus als Tor zur Großhirnrinde. Die Großhirnrin-
de erhält ihre Afferenzen aus subkortikalen Arealen fast ausschließlich über die Kerne des Thalamus (7 Kap. 16.1.3). Die Projektionskerne im Thalamus sind Umschaltstellen für alle Afferenzen, die von den jeweiligen Sinnesorganen zu den entsprechenden primären Rindenfeldern weitergeleitet werden (. Tab. 16.2). Diese Kerne im Thalamus weisen wie die entsprechenden Rindenfelder eine strenge somatotopische Gliederung auf. Darüber hinaus kommunizieren verschiedene Rindenareale miteinander über thalamische Kerne mit Assoziationsfunktionen. Die verschiedenen Thalamuskerne projizieren zu jeweils spezifischen Rindenfeldern (. Tab. 16.2, . Abb. 16.4). Schließlich projizieren unspezifische Kerne des Thalamus (u. a. Centrum medianum, intralaminare Thalamuskerne) in viele verschiedene Rindenfelder. Sie spielen für integrative Funktionen, wie z. B. Vigilanz, Bewusstsein, Gedächtnis und Emotionen eine wesentliche Rolle.
20.1.2
Kortikale Felder
! Die Hirnrinde lässt sich zytoarchitektonisch und funktionell in unterschiedliche Rindenareale aufteilen
Topographische Gliederung des Kortex. Die zytoarchi-
tektonisch unterschiedliche Struktur der Rindenareale erlaubt eine topographische Gliederung der Großhirnrinde (. Abb. 20.2). Diese Einteilung hat durchaus auch eine gewisse funktionelle Relevanz, da die unterschiedliche Ausprägung der verschiedenen Zelltypen eine Aussage über die Kommunikation des betroffenen Rindenareals mit anderen kortikalen oder subkortikalen Strukturen zulässt. Die funktionelle Einteilung der Großhirnrinde ist freilich keineswegs so scharf möglich, wie die topographische Einteilung vermuten ließe. Tatsächlich lassen sich einige spezialisierte Rindenareale einigermaßen genau definieren, wie die primären akustischen, optischen, sensorischen und motorischen Rindenareale (. Abb. 20.2). Sie dienen in erster Linie der spezifischen Sinnesverarbeitung (7 Kap. 16, 7 Kap. 17, 7 Kap. 18, 7 Kap. 19) bzw. der Durchführung von Zielmotorik (7 Kap. 15). Weit weniger abgegrenzt sind die assoziativen Rindenareale, die nicht primär motorischen oder sensorischen Leistungen dienen, sondern für integrative Leistungen, wie etwa Erkennen, Sprache und Gedächtnis verantwortlich sind. Eine streng räumliche Einteilung der Großhirnrinde wird der Realität genauso wenig gerecht wie die Auffassung, dass definierte integrative Leistungen nur durch die Gesamtheit der Großhirnrinde erbracht werden können (holistische Betrachtungsweise).
. Abb. 20.2. Zytoarchitektonische Felder der Großhirnrinde nach Brodmann (links) und Funktionen verschiedener Rindenareale (rechts) (nach Birbaumer und Schmidt aus Schmidt et al.)
20
438
Kapitel 20 · Integrative Leistungen des Zentralnervensystems
20.1.3
20
Kortikale Asymmetrie, Händigkeit und Sprachfunktion
! Die Durchführung komplexer Leistungen erfordert die Beteiligung verschiedener Hirnareale. Dabei erfüllen linke und rechte Hemisphäre teilweise unterschiedliche Aufgaben
wusst. Normalerweise sind die Informationen aus der Umwelt beiden Gehirnhälften zugänglich (Abbildung eines Objektes in beiden Gesichtsfeldern durch Bewegung der Augen) und die Patienten sind im täglichen Leben erstaunlich unauffällig. Zusammenwirken von Hirnrindenfeldern bei der Sprachbildung. Wie an anderer Stelle ausgeführt wird (7 Kap.
Kortikale Asymmetrie. Die beiden Hemisphären weisen in
18.5.2), werden bei der Durchführung komplexer Leistun-
der Regel unterschiedliche Begabungen auf. Bei Rechtshändern ist meist die linke Hemisphäre sprachdominant. Sie ist beim Verständnis von Sprachinhalten, beim Lesen und Schreiben, sowie bei der Wort- und Satzbildung der rechten Hemisphäre überlegen (7 Kap. 18.5.2). Sie ist ferner beim Rechnen und beim Durchführen komplexer Willkürbewegungen (z. B. Schuhbändel schnüren) besser als die rechte Hemisphäre. In der rechten (subdominanten) Hemisphäre sind das Erkennen komplexer geometrischer Muster (z. B. Gesichter), räumliches Vorstellungsvermögen und räumliche Orientierungsfähigkeit besser ausgeprägt. Die rechte Hemisphäre erkennt und bildet die Sprachmelodie und damit die emotionale Bedeutung von Gesprochenem (7 Kap. 18.5.2). Sie ist musikalischer als die dominante Hemisphäre. Die dominante Hemisphäre speichert vorwiegend verbales Gedächtnis, die subdominante Hemisphäre nichtverbale Information.
gen, wie Sprache, mehrere Hirnareale beteiligt, die miteinander kommunizieren. Die Sprache muss beispielsweise gleichzeitig den richtigen Text und die angemessene Sprachmelodie aufweisen, wozu unterschiedliche Hirnareale erforderlich sind. Die Beteiligung der Hirnareale ist an der gesteigerten Durchblutung und Stoffwechselaktivität erkennbar, die mit bildgebenden Verfahren, wie PositronenEmissions-Tomographie (PET) und funktioneller Kernspin-Resonanz (functional magnetic resonance imaging, fRMI) am lebenden, wachen Probanden verfolgt werden können.
Bedeutung des Corpus callosum. Die Bildung eines ein-
heitlichen Bewusstseins erfordert die Zusammenarbeit der beiden Großhirnhälften. Dies geschieht über die mächtigen Kommissurenfasern durch den Balken (Corpus callosum) und die Commissura anterior. Durchtrennung dieser Kommissurenfasern (ein neurochirurgischer Eingriff, der bei sonst unbeherrschbarer Epilepsie durchgeführt wurde) unterbindet diese Kommunikation und jede der beiden Großhirnhälften ist nun ihrem eigenen Bewusstsein überlassen. In aller Regel ist dabei nur die dominante linke Hirnhälfte zur Sprache befähigt. Objekte, welche in die rechte Hand gelegt werden, können vom Patienten benannt werden, da sie in die sprechende linke Hemisphäre projiziert werden. Ebenfalls werden Objekte, die in das rechte Gesichtsfeld projiziert werden, erkannt und benannt. Die rechte Hirnhälfte erkennt Objekte im linken Gesichtsfeld oder in der linken Hand, sie kann z. B. die entsprechenden dazugehörenden Objekte mit der linken Hand aussuchen (z. B. den Deckel zum Topf). Sie ist aber nicht in der Lage, diese zu benennen. Linke Hirnhälfte und rechte Hirnhälfte sind sich also jeweils der ihnen zugespielten Information anders be-
20.1.4
Elektrophysiologische Analyse der Hirnrindenaktivität
! Die Neurone der Großhirnrinde erzeugen bei Änderungen ihres Membranpotenzials wechselnde elektrische Felder an der Schädeloberfläche, die mit Elektroden abgegriffen werden können
Elektroenzephalogramm. Das Elektroenzephalogramm
(EEG) kann wertvolle Hinweise auf die Funktion der Neurone liefern und hat damit in der Klinik große Bedeutung gewonnen (. Abb. 20.3). Am eröffneten Schädel kann das Potenzial an der Rindenoberfläche direkt abgegriffen werden. Die Ausschläge in diesem Elektrokortikogramm (ECoG) sind wesentlich größer. Die Entstehung des EEG. Wie das Elektrokardiogramm (EKG, 7 Kap. 3.1.4) ist das EEG eine Funktion der summierten Aktivität von denjenigen Zellen, welche im Bereich der ableitenden Elektrode einen gleichgerichteten Dipol erzeugen. Im EEG erzeugen die senkrecht zur Rindenoberfläche stehenden Dipole den größten Ausschlag. Die Potenzialänderungen an der Rindenoberfläche entstehen im Wesentlichen durch postsynaptische Potenziale von Pyramidenzellen (. Abb. 20.4). Die postsynaptischen Potenziale weisen zwar eine geringere Amplitude auf als die Aktions-
439 20.1 · Allgemeine Physiologie und funktionelle Anatomie der Großhirnrinde
. Abb. 20.3. Positionierung der Ableitelektroden (links) und einige typische Kurvenverläufe des EEG (rechts). Die Potenzialdifferenz wird zwischen einer Elektrode an der Schädeloberfläche und einer indifferenten Elektrode (z. B. Ohrläppchen) oder einer anderen Elektrode
auf der Schädeloberfläche (z. B. die entsprechende Elektrode auf der anderen Schädelseite) gemessen (nach Birbaumer und Schmidt aus Schmidt et al.)
potenziale, dauern jedoch wesentlich länger als die Aktionspotenziale und damit wird das gleichzeitige Auftreten von postsynaptischen Potenzialen in benachbarten Zellen wesentlich wahrscheinlicher. Potenzialänderungen in den Pyramidenzellen wirken sich ferner wesentlich stärker auf das Oberflächenpotenzial der Hirnrinde aus als Potenzialänderungen in anderen Zellen, da die Pyramidenzellen senkrecht zur Rindenoberfläche orientiert sind und damit bei lokaler Reizung viel leichter einen zur Oberfläche gerichteten Dipol erzeugen, als andere Zellen der Hirnrinde (. Abb. 20.4). Da alle Pyramidenzellen parallel zueinander orientiert sind, summiert sich das Potenzial benachbarter Pyramidenzellen. Ausschläge im EEG sind nur dann zu erwarten, wenn im Bereich der Ableitelektrode viele Pyramidenzellen gleichzeitig ein postsynaptisches Potenzial bilden, wenn also eine Synchronisierung der Erregung auftritt. Tatsächlich werden die Pyramidenzellen von Neuronen des Thalamus rhythmisch erregt. Die Schwankungen des Oberflächenpotenzials überlagern das kortikale Gleichspannungspotenzial, das bei relativer Depolarisation der Dendriten gegenüber dem Zellkörper von Pyramidenzellen
an der Oberfläche negativ wird. Im Schlaf nimmt das Gleichspannungspotenzial ab, bei gesteigerter Rindenaktivität sowie bei manchen Schädigungen der Neurone z. B. durch Sauerstoffmangel nimmt das Gleichspannungspotenzial zu. Ereigniskorrelierte Potenziale. Die Erregung von Neuronen z. B. des somatosensorischen Kortex nach Reizung eines Hautrezeptors sollte zeitkorrelierte Potenzialänderungen im EEG bewirken. Nun geht ein solches Einzelereignis in der Summe der Aktivitäten der Großhirnrinde unter. Reizt man freilich mehrfach identisch und summiert die entsprechenden EEG-Ableitungen, dann addieren sich die jeweils durch den Reiz ausgelösten identischen Potenzialänderungen im EEG, während die anderen, mit dem Reiz nicht korrelierten Aktivitäten sich nicht addieren. Auf diese Weise kristallisiert sich allmählich das durch den Reiz ausgelöste Potenzial (z. B. somatosensorisches evoziertes Potenzial) heraus. In gleicher Weise lässt sich ein akustisches evoziertes Potenzial (durch einen Ton) oder ein optisches evoziertes Potenzial (durch einen Lichtblitz) auslösen. Ereigniskorre-
20
440
Kapitel 20 · Integrative Leistungen des Zentralnervensystems
nach psychologischen Aktivitäten, wie Denk- und Aufmerksamkeitsprozessen, auf.
20
. Abb. 20.4. Die Entstehung des EEG. Während eines exzitatorischen postsynaptischen Potenzials strömt Natrium in die Zelle ein und hinterlässt ein lokal negatives extrazelluläres Potenzial (A). Die Depolarisation fördert einen Kaliumausstrom entlang der übrigen Zellmembran, welcher zu einem lokal positiven extrazellulären Potenzial führt. Bei einem postsynaptischen Potenzial am Ende eines Dendriten ist der Extrazellulärraum im Bereich der Synapse relativ negativ, am anderen Ende des Dendriten relativ positiv (um die Übersicht zu wahren, ist der Kaliumausstrom nicht entlang der gesamten Länge des Dendriten eingezeichnet). Dadurch wird ein Dipol erzeugt, der an der Oberfläche eine Negativierung hervorruft. Kommissurenfasern aus der anderen Kortexhemisphäre bilden vor allem oberflächliche erregende Synapsen (. Abb. 20.1). Erregung über diese Fasern führt demnach zu einer Negativierung der Oberflächenelektrode (B). Umgekehrt führt die Aktivierung spezifischer thalamokortikaler Fasern eher zu einer Positivierung der Rindenoberfläche (C), da sie in der Nähe des Zellkörpers angreifen, also in der Tiefe der Großhirnrinde. Hemmung im Bereich der Zellkörper führt umgekehrt zu einer Negativierung der Oberfläche (D)
lierte Potenziale lassen sich auch bei Planung und Durchführung von Bewegungen nachweisen: Lässt man einen Probanten die gleiche einfache Bewegung mehrmals durchführen, dann ergibt die bewegungskorrelierte Summierung der EEG-Aufzeichnungen etwa 800 ms vor der Bewegung das Bereitschaftspotenzial, das durch die Planung der Bewegung in assoziativen Rindenfeldern hervorgerufen wird. Etwa 90 ms vor der Bewegung kommt es zur prämotorischen Positivierung und unmittelbar danach zum Motorpotenzial über dem Motorkortex. Ereigniskorrelierte Potenziale treten schließlich vor, während und
EEG-Diagnostik. Ein diagnostisch bedeutsames Kriterium bei der Analyse des EEG ist die Frequenz der aufgezeichneten Wellen (. Abb. 20.3). Beim Erwachsenen sind im Wachzustand bei offenen Augen vorwiegend β-Wellen (14–30 Hz) und bei Lern- und Aufmerksamkeitprozessen γ-Wellen (30–100 Hz) nachweisbar. Bei geschlossenen Augen und in Ruhe werden die langsameren α-Wellen gemessen (8–13 Hz). Beim Säugling und Kleinkind sind die Frequenzen geringer und es überwiegen θ-Wellen (4–7 Hz) und δ-Wellen (0,5–3,5 Hz). θ-Wellen können allerdings auch beim Erwachsenen bei gespannter Aufmerksamkeit auftreten. δ-Wellen kommen beim gesunden Erwachsenen im Wachzustand nicht vor. Charakteristische Veränderungen, v. a. Frequenzabnahmen erfährt das EEG im Schlaf (7 Kap. 20.3). Darüber hinaus können Schädigungen des Gehirns zu einer Verlangsamung der EEG-Wellen führen. Bei Tumoren kann es andererseits zur Asymmetrie der EEG-Kurvenverläufe kommen. Besondere Bedeutung erlangt das EEG bei der Diagnostik von Epilepsien, die durch massive synchronisierte Erregung von Kortexneuronen charakterisiert sind (7 Kap. 20.4). Dabei kommt es häufig zu hohen Ausschlägen in Form von Krampfzacken (spikes) oder von spikes and waves (. Abb. 20.3). Schließlich schwindet bei Untergang der Großhirnrinde (Hirntod) jede elektrische Aktivität und es kommt zum NullLinien-EEG. Magnetenzephalographie. Jede Änderung eines elektrischen Stromes erzeugt ein zur Stromrichtung senkrechtes Magnetfeld. In der Magnetenzephalographie werden die magnetischen Felder erfasst, die durch wechselnde Ströme im Gehirn erzeugt werden. Die Magnetfelder sind mit weniger als 10-12 Tesla ausgesprochen schwach (zum Vergleich: Kompassnadel ca. 10-2 Tesla, Erdmagnetfeld bis zu 7 · 10-5 Tesla), und ihre Messung erfordert den Einsatz hochempfindlicher Detektoren (superconducting quantum interference device, SQUID). Da die Magnetfelder senkrecht zur Stromrichtung stehen, werden im Gegensatz zum EEG vor allem Ströme erfasst, die horizontal zur Schädeloberfläche verlaufen. Somit ergänzen sich MEG und EEG in der Analyse von elektrischen Aktivitäten des Gehirns.
441 20.1 · Allgemeine Physiologie und funktionelle Anatomie der Großhirnrinde
In Kürze
Allgemeine Physiologie und funktionelle Anatomie der Großhirnrinde Organisation der Großhirnrinde 4 Zellen: Pyramidenzellen (bilden Assoziationsfasern zu anderen Kortexarealen gleicher Hemisphäre, Kommissurenfasern zu anderer Hemisphäre, Projektionsfasern zu Thalamus, Basalganglien, Hirnstamm, Rückenmark (Transmitter Glutamat), Sternzellen (hemmende, stimulierende Interneurone, Neuropeptide), Korbzellen (hemmende Interneurone, GABA) 4 Efferenzen: kleine/mittlere Pyramidenzellen [äußere Pyramidenzellschicht (II)] o Assoziations-, Kommissurenfasern; kleine Pyramidenzellen [Spindelzellschicht (VI)] o kortikothalamische Projektionsfasern; große Pyramidenzellen [Betz-Riesenzellen] o Projektionsfasern zu subthalamischen Strukturen 4 Afferenzen: Assoziations-, Kommissurenfasern, spezifische + unspezifische thalamokortikale Bahnen, Sternzellen, Korbzellen, Armleuchterzellen o Dendriten Pyramidenzellen [senkrecht zu Rindenoberfläche bis zu Molekularschicht]; Vertikale Anordnung der Dendriten o funktionelle Säulen (Kolumnen oder Module) 4 Homotyper Kortex (Typ 2 bis 4) = alle Schichten vorhanden; Heterotyper Kortex: einzelne Schichten schwach ausgeprägt; Agranulärer Kortex (Typ I) = weitgehendes Fehlen der Schichten II und IV, Überwiegen der Schicht V [vorwiegend subthalamische Projektionsfasern, z. B. primärer Motorkortex]; Granulärer Kortex = vorwiegend Schicht II und IV, kaum Schicht III und V [kaum subthalamische Verbindungen] 4 Afferenzen aus subkortikalen Arealen fast ausschließlich über Thalamus. Projektionskerne im Thalamus = Umschaltung zwischen Afferenzen aus Sinnesorganen und entsprechenden primären Rindenfeldern (streng somatotopisch gegliedert); Kerne mit Assoziationsfunktionen = Kommunikation verschiedener Rindenareale miteinander; unspezifische Kerne (u. a. Centrum medianum, intralaminare Thalamuskerne) projizieren in viele verschiedene Rindenfelder [Vigilanz, Bewusstsein, Gedächtnis, Emotionen] Kortikale Felder 4 Zytoarchitektonisch unterschiedliche Strukturen korrelieren mit unterschiedlichen Funktionen von 6
Rindenarealen; Primäre akustische, optische, sensorische [spezifische Sinnesverarbeitung], primär motorische Rindenareale [Durchführung Zielmotorik], assoziative Rindenareale [Erkennen, Sprache, Gedächtnis] Kortikale Asymmetrie, Händigkeit und Sprachfunktion 4 Kortikale Asymmetrie: Rechtshänder o meist Sprachdominanz linke Hemisphäre o Verständnis Sprachinhalte, Lesen, Schreiben, Wort-, Satzbildung, Rechnen, komplexe Willkürbewegungen, Speicherung verbales Gedächtnis. Rechte (subdominante) Hemisphäre: o Erkennen komplexer geometrischer Muster, räumliches Vorstellungsvermögen, räumliche Orientierungsfähigkeit, Sprachmelodie, emotionale Bedeutung von Gesprochenem, Musikalität. Speichern nichtverbaler Informationen. Geistige Leistungen erfordern Kooperation beider Hirnhälften (richtiger Text und richtige Melodie von Sprache). Beteiligung von Hirnarealen erkennbar mit bildgebenden Verfahren, wie Positronen-Emissions-Tomographie (PET) und funktionelle Kernspin-Resonanz (functional Magnetic Resonance Imaging, fRMI) am lebenden, wachen Probanden 4 Corpus callosum = mächtige Kommissurenfasern (gemeinsam mit Commissura anterior); Durchtrennung unterbindet Kommunikation der beiden Großhirnhälften, die getrenntes Bewusstsein entwickeln. Meist nur linke Hirnhälfte zur Sprache befähigt Elektrophysiologische Analyse der Hirnrindenaktivität 4 EEG = summierte Aktivität von Zellen, die in Nähe der Elektroden gleichgerichtete Dipole erzeugen. Senkrecht zur Rindenoberfläche stehende Dipole erzeugen größten Ausschlag: Postsynaptische Potenziale von Pyramidenzellen: Postsynaptischen Potenziale dauern länger als Aktionspotenziale o Summation wahrscheinlicher. Pyramidenzellen senkrecht zur Rindenoberfläche orientiert o zur Oberfläche gerichteter Dipol; Synchronisierung durch gleichzeitige thalamische Aktivierung. Kortikales Gleichspannungspotenzial = Depolarisation Dendriten (nimmt im Schlaf ab, bei Rindenaktivität zu) 4 Summierung von Potentialänderungen nach mehrfach wiederholtem Ereignis (Lichtblitz, Bewegung)
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442
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Kapitel 20 · Integrative Leistungen des Zentralnervensystems
o Ereigniskorreliertes Potenzial. ([somatosensorisch] evoziertes Potenzial, [motorisches] Bereitschaftspotenzial, Motorpotenzial) 4 EEG-Analyse. Geschlossene Augen, Ruhe o α-Wellen (8–13 Hz); Wachzustand offene Augen o β-Wellen (14–30 Hz); Lern-, Aufmerksamkeitprozesse o γ-Wellen (30–100 Hz); gespannter Aufmerksamkeit θ-Wellen (4–7 Hz); Säugling und Kleinkind θWellen (4–7 Hz) und δ-Wellen (0,5–3,5 Hz). Schlaf,
20.2
Integrative Funktionen durch Interaktionen zwischen Hirnrinde und subkortikalen Hirnregionen
20.2.1
Zirkadiane Periodik
Schädigung Gehirn o Frequenzabnahme; Tumore o Asymmetrie, Epilepsie o Synchronisierung o Krampfzacken (spikes), spikes and waves; Hirntod o Null-Linien-EEG 4 Magnetenzephalographie o zur Stromrichtung senkrechtes Magnetfeld (<10–12 Tesla), Messung erfordert hochempfindliche Detektoren (superconducting quantum interference device, SQUID). Vor allem Ströme horizontal zur Schädeloberfläche sichtbar
! Hell-dunkel-Rhythmen prägen die Aktivitäten vieler Lebewesen in den meisten Regionen der Erde. Offensichtlich hat es sich im Laufe der Evolution als vorteilhaft herausgestellt, dass die Körperfunktionen diesem externen Rhythmus nicht nur passiv folgen, sondern sich antizipatorisch auf den Wechsel der Umweltbedingungen einstellen
Zirkadian oszillierende Parameter. Eine Vielzahl von Körperfunktionen folgen einem Rhythmus mit einer Periodik von etwa einem Tag (zirkadian), wie beispielsweise Körpertemperatur (. Abb. 20.5), Daueraufmerksamkeit, Rechengeschwindigkeit, Schmerzschwelle und Diurese. In den frühen Morgenstunden (ca. 3 Uhr) sind Temperatur, Daueraufmerksamkeit, Rechengeschwindigkeit und Diurese am geringsten, die Schmerzempfindlichkeit jedoch am größten. Starke zirkadiane Rhythmik weisen auch verschiedene Hormone auf, wie v. a. die Glukokortikoide, die in den frühen Morgenstunden einen Gipfel aufweisen. Die Ausschüttung von Somatotropin, Prolaktin, Lutropin und Testosteron steigt während den ersten Schafphasen an, nicht jedoch, wenn man während der Nachtstunden nicht schläft (indirekte Koppelung an den Tag-Nacht-Rhythmus). Neben den monophasischen Tagesrhythmen gibt es biphasische Tagesrhythmen, wie die körperliche Leistungsfähigkeit und die glomeruläre Filtrationsrate (. Abb. 20.5). Rhythmusgeber. Die Oszillationen entstehen in erster Linie
(jedoch nicht ausschließlich) in Neuronen der Nuclei su-
. Abb. 20.5. Zirkadiane Rhythmik. Die Tagesschwankungen der glomerulären Filtrationsrate (GFR) und der Harnstromstärke (V˙), der Körperkerntemperatur (T) und der Hormone Thyrotropin (TSH), Kortisol, Prolaktin (PRL) und Somatotropin (STH)
prachiasmatici und des ventromedialen Kerns im Hypothalamus. Die Nuclei suprachiasmatici erhalten Afferenzen u. a. aus der Retina des Auges über Chiasma opticum und Corpora geniculata lateralia. Sie erhalten ferner serotoninerge Afferenzen aus den Nuclei raphé. Ihre Efferenzen reichen in andere Kerngebiete des Hypothalamus, zur Zirbeldrüse, Septum, Hirnstamm und Rückenmark. Unter ande-
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rem durch die Afferenzen aus dem Auge kann der endogene Rhythmus dem äußeren Tag-Nacht-Rhythmus (Licht/ dunkel) folgen (entrainment). Bei völliger Ausschaltung von externem Tag-Nacht-Rhythmus oszillieren jedoch die Kerne weiter, und mit ihnen viele Körperfunktionen. Manche endogenen Oszillationen neigen dabei in der Regel zu einer etwas längeren Phase (ca. 25 h) als der äußere TagNacht-Rhythmus. ! Die auffälligste physiologische Auswirkung zirkadianer Periodik ist der Wechsel zwischen Wachen und Schlafen
Schlafphasen. Der Schlaf ist kein Kontinuum, sondern
durchläuft verschiedene Phasen: Während einer Nacht treten normalerweise mehrmals Schlafphasen mit schnellen, ziellosen Augenbewegungen auf, der REMSchlaf (REM = rapid eye movements). Gleichzeitig steigen Herz- und Atemfrequenz, Blutdruck, Hirndurchblutung, Magen- und Darmaktivität, es kommt typischerweise zu Peniserektionen und Steigerungen der Vaginaldurchblutung, die völlig erschlaffte Muskulatur zeigt kurze Zuckungen. Vom REM-Schlaf wird der NonREM-Schlaf (NREM-Schlaf) abgegrenzt, bei dem diese Phänomene fehlen. Während des Schlafes kommt es zunächst zum NREM-Schlaf, der Voraussetzung ist für das Auftreten von REM-Schlaf. Auch der NREM-Schlaf ist nicht einheitlich, sondern durchläuft verschiedene Stadien, die an unterschiedlicher EEG-Aktivität erkennbar sind (. Abb. 20.6): Im Wachzustand mit geöffneten Augen dominieren hochfrequente β-Wellen (14–30 Hz), im Ruhezustand mit geschlossenen Augen α-Wellen (8–13 Hz). 4 Im Schlafstadium 1 (Fehlen von α-Wellen, niedrige schnelle β-Aktivität und niedrige θ-Aktivität, Auftreten von spitzen, hohen Zacken, Vertexzacken) kann der noch instabile Schlaf durch kurze Wachperioden unterbrochen werden. Häufig entstehen dabei traumartige Eindrücke und Muskelzuckungen (Einschlafstadium) 4 Das Schlafstadium 2 ist durch Auftreten von Schlafspindeln (10 – 15 Hz) und K-Komplexen charakterisiert, hohe Ausschläge im EEG, die Ausdruck synchronisierter Erregungen von Neuronen sind 4 Schließlich werden die Schlafstadien 3 (10 – 50 % δWellen) und 4 (> 50 % δ-Wellen) erreicht, in denen die Weckschwelle hoch ist, d. h. der Schläfer schwer geweckt werden kann. Schlafstadium 3 und 4 werden auch als slow wave sleep (SWS) bezeichnet
. Abb. 20.6. Die Schlafphasen. Oben: Während des Schlafens durchläuft das Gehirn Perioden mit unterschiedlichen Schlafphasen. Zuerst tritt zunehmend tiefer NREM-Schlaf auf, mit entsprechend abnehmender Frequenz der EEG-Wellen. Dann nimmt die EEG-Frequenz periodisch zu und es treten Phasen mit REM-Schlaf auf (rot). Dieser Zyklus wird mehrfach durchlaufen, wobei die NREM-Tiefschlafphasen flacher werden. Unten: Tägliche Dauer von Gesamt-, NREM- und REMSchlaf in Abhängigkeit vom Lebensalter
Während einer Nacht werden die Schlafstadien mehrfach (normalerweise 3- bis 5-mal) durchlaufen (. Abb. 20.6). Mit zunehmender Schlafdauer wird der maximal erreichte SWS-Schlaf geringer und der Anteil der REM-Schlafphasen nimmt zu. Die ersten beiden Schlafzyklen bezeichnet man auch als Kernschlaf, die folgenden Schlafzyklen als Füllschlaf. Schlafdauer. Die Gesamtschlafdauer und der jeweilige An-
teil von REM- und NREM-Schlaf sind eine Funktion des Lebensalters. Beim Neugeborenen sind die Gesamtschlafdauer (ca. 16 h/Tag) und der Anteil an REM-Schlaf (ca. 50 %) sehr hoch, nimmt jedoch in den ersten Lebensjahren schnell ab. Der Erwachsene schläft etwa 7 h/Tag bei ca. 25 % Anteil REM-Schlaf. Im Alter wird der Schlaf nicht nur kürzer, sondern auch zunehmend flacher (. Abb. 20.6). Physiologische Bedeutung der Schlafphasen. Einiges
spricht dafür, dass v. a. der REM-Schlaf für die Konsolidierung von Gedächtnisinhalten wichtig ist. Der REM-Schlaf
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scheint in den ersten beiden Lebensjahren eine wesentliche Rolle für die Entwicklung des Gehirns zu spielen (7 Kap. 20.2.3), da während des REM-Schlafs die (beim Ungeborenen und Neugeborenen noch spärlichen) Stimuli aus der Umwelt durch intrazerebrale Aktivität (Träume) ersetzt werden. Darüber hinaus werden jedoch Schwankungen der täglichen Schlafdauer toleriert, ohne dass zerebrale oder vegetative Störungen auftreten. Die mittlere Lebenserwartung ist von der mittleren Schlafdauer in weiten Grenzen (5 – 9 h/Tag) unabhängig, nimmt allerdings bei dauerhafter extremer Abnahme (< 5 h/ Tag) oder Zunahme (> 9 h/Tag) der Schlafdauer ab. Vorübergehender völliger Schlafentzug wird mehrere Tage ohne bedrohliche Störungen toleriert. Nach vorübergehendem Schlafentzug sind die betroffenen Schlafphasen länger und es wird damit das Defizit teilweise wieder kompensiert.
raphé senken ihre Entladungsrate kontinuierlich vom Wachen bis zum SWS-Schlaf und sind während des SWSSchlafes völlig inaktiv. Es wird vermutet, daß die serotoninergen Neurone in den Nuclei raphé den REM-Schlaf unterdrücken. Bei Mangel an Serotonin tritt vermehrt REMSchlaf auf und das Einschlafen (das NREM-Schlaf beinhaltet) ist erschwert. Die Nuclei raphé stehen in Verbindung zu dem Nucleus tractus solitarii und dem Nucleus suprachiasmaticus. Die Nuclei suprachiasmatici sind vor allem für die Anpassung des Wach-Schlaf-Rhythmus an den zirkadianen Rhythmus maßgebend. Auch Noradrenalin (Locus coeruleus) unterdrückt REM-Schlaf. Darüber wird Schlaf durch ein δ-sleep inducing peptide, ein schlafinduzierendes Muramylpeptid, Lipopolysaccharide, Prostaglandine, Interleukin-1, Interferon-α und tumor necrosis factor (TNF) induziert.
Träume treten sowohl im NREM-Schlaf als auch im REM-
! Schlaf kann quantitativ und qualitativ gestört sein
Schlaf auf, nach Wecken aus dem NREM-Schlaf werden freilich weniger häufig Träume berichtet als nach Wecken aus dem REM-Schlaf. Die Träume im NREM-Schlaf scheinen abstrakter und kognitiver zu sein, die Träume im REMSchlaf konkreter und emotionaler. Darüber hinaus werden die Träume mit zunehmender Schlafdauer surrealistischer und emotionaler. ! Schlaf wird durch Strukturen im Hirnstamm reguliert
Physiologische Mechanismen, welche den Schlaf regulieren. Die Strukturen und zellulären Mechanismen, die
NREM-Schlaf und den Übergang von NREM-Schlaf in REM-Schlaf bewirken, sind zum Teil noch umstritten. Cholinerge Strukturen der Formatio reticularis stimulieren jedenfalls über das aufsteigende retikuläre aktivierende System (ARAS) weite Anteile des Großhirns. Ein Nachlassen dieser Aktivierung bewirkt Schlaf und eine gesteigerte Aktivierung führt zum Aufwachen. Die aktivierende Formatio reticularis wird durch den Nucleus tractus solitarii gehemmt, der wiederum über Afferenzen aus dem Nervus vagus aktiviert wird. Über N. vagus, Nucleus tractus solitarius und Formatio reticularis senken Blutdrucksteigerungen, Dehnung des Magens und tiefe Atemzüge das kortikale Aktivierungsniveau. Die (cholinerge) tonische Aktivität der Formatio reticularis wird durch den posterioren Hypothalamus gesteigert, dessen Zerstörung (z. B. bei Encephalitis lethargica) zu SWS-Dauerschlaf führt. Für den Schlaf bedeutsam sind ferner Neurone in den dorsalen Nuclei raphé (Transmitter Serotonin). Neurone der dorsalen Nuclei
Schlafstörungen. Vermeintliche oder wirkliche »Schlaflo-
sigkeit« gehört zu den häufigsten Beschwerden. Oft wird die Schlaflosigkeit nur empfunden, und der Schlaf ist quantitativ und qualitativ im Normbereich (Pseudoinsomnia). 4 Schlaflosigkeit bzw. Schwierigkeiten beim Einschlafen können Folge von Hyperaktivität sein, wie sie bei Stress auftritt 4 Schwierigkeiten beim Einschlafen entstehen auch dann, wenn der gewählte Zeitpunkt des Schlafengehens nicht mit dem zirkadianen Rhythmus übereinstimmt, also z. B. der Versuch unternommen wird, im Aktivitätsgipfel beim Körpertemperaturmaximum einzuschlafen (z. B. bei Jet lag, Schichtarbeitern) 4 Das Absetzen von Schlafmitteln und ihr längerer Gebrauch führt häufig zu Schlaflosigkeit 4 Bei disponierten Personen (z. B. Fettleibigen und Rauchern) treten im Schlaf lange Atempausen auf, die zu jähem Erwachen führen und durchaus lebensbedrohlich sein können (Schlafapnoe) 4 Schließlich kann Schlaflosigkeit auch ohne nachweisbaren Grund auftreten (idiopathische Insomnia) Da mäßiger Schlafentzug (Füllschlafentzug) nur geringe Auswirkungen nach sich zieht, sind Schlafmittel bei Insomnia nur selten indiziert. Anhaltende Verhinderung von Kernschlaf und/oder REM-Schlaf löst freilich Halluzinationen aus und kann schließlich zum Tod führen. Nach vorübergehendem Schlafentzug wird in der Regel vorerst der SWS-Schlaf nachgeholt.
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Hypersomnie. Sie kann vielfältige Ursachen haben, wie z. B. Einnahme von Schlafmitteln und Psychopharmaka oder Läsionen im Hypothalamus. Bei der Narkolepsie treten plötzliche Anfälle von REM-Schlaf aus dem Wachzustand auf. Ursache ist eine vererbte Enthemmung derjenigen Hirnstrukturen, die REM-Schlaf verursachen. Schlafassoziierte Störungen. Eine häufige Störung ist
Schnarchen, eine harmlose Erscheinung, wenn sie nicht mit Schlafapnoe einhergeht. Motorische Überaktivität im Schlaf kann sich in nächtlichem Zähneknirschen (Bruxismus), nächtlichem Kopfschlagen (Jactatio capitis) und unruhigen Beinen (restless leg syndrome) äußern. Alpträume mit Schlafparalyse (Unfähigkeit sich zu bewegen) treten im REM-Schlaf auf, Sprechen im Schlaf, Bettnässen und Schlafwandeln in tiefem NREM-Schlaf (SWS, Schlafstadien 3 und 4). Letztere sind möglicherweise Folge einer Dissoziation von schlafender Hirnrinde und wachen subkortikalen Strukturen.
20.2.2
Bewusstsein
! Aus der Vielzahl an Informationen, die unser Gehirn gleichzeitig aufnimmt, wird uns nur ein verschwindend kleiner Anteil bewusst
bestimmtes Gesicht führt z. B. zur Aktivierung von einer Vielzahl von Neuronen, die für sensorische Merkmale, Form und Bedeutung eines Gesichtes zuständig sind (7 Kap. 17.4.4). Die kollektive Aktivität dieser Neurone repräsentiert das Gesehene und wird ab einer bestimmten Erregungsstärke bewusst. Bei der Selektion von Bewusstseinsinhalten spielt der Nucleus reticularis thalami, der Frontalkortex und der Gyrus cinguli eine wichtige Rolle. Die Großhirnrinde kann allein kein Bewusstsein erzeugen, sondern benötigt die Aktivierung durch subkortikale Strukturen. Hier spielt das aufsteigende retikuläre aktivierende System eine Rolle, über das weite Anteile des Großhirns aktiviert werden. Bewusstsein erfordert offensichtlich ein Minimum an Aktivierung über dieses System. Sensorische Information kann, ohne dass sie bewusst wird, in der Großhirnrinde weiterverarbeitet werden. Besonders spektakulär sind dabei Patienten mit dem Phänomen des Blindsehens (blindsight), das nach Zerstörung der Sehrinde auftreten kann. Sie sind unfähig, bewusst zu sehen. Trotzdem sind sie in der Lage, bestimmte Objekte mit den Augen oder einem Zeigefinger zu verfolgen und sich zu orientieren, ohne dass ihnen das gesehene Objekt bewusst wird. Die Afferenzen aus der Retina gelangen dabei vermutlich direkt aus dem Corpus geniculatum laterale in die sekundäre Sehrinde. Bewusstlosigkeit. Bewusstlosigkeit tritt bei ausgedehnter
Voraussetzungen für Bewusstsein. Die weitaus überwie-
gende Zahl an Afferenzen, viele Gedächtnisinhalte und die meisten neuronalen Prozesse bleiben unbewusst. Wie im folgenden Kapitel dargestellt wird (7 Kap. 20.2.3), kann prozedurales Gedächtnis ohne bewusste Verarbeitung ablaufen. Die Bewusstseinsinhalte werden in den, für die entsprechenden sensorischen Eingänge und motorischen Ausgänge jeweils spezialisierten, assoziativen Rindenfeldern der Großhirnrinde gespeichert. Die Information kann wenige Sekunden bis Minuten im Kurzzeitgedächtnis gehalten, oder in das Langzeitgedächtnis überführt werden. In der Regel werden nur jene Inhalte bewusst, die den Kurzzeitspeicher aktivieren oder vom Langzeitgedächtnis in das Kurzzeitgedächtnis transportiert werden. Bewusstsein ist nicht an die Intaktheit des Langzeitgedächtnisses gebunden und Zerstörung des Hippokampus (7 Kap. 20.2.3) verhindert zwar die Überführung von neuen Informationen in das Langzeitgedächtnis, nicht aber ihr Bewusstwerden. Bewusstseinsinhalte werden nicht durch einzelne Neurone produziert, sondern durch neuronale Netzwerke: Ein
Schädigung der Großhirnrinde oder bei Ausfall der Aktivierung durch das ARAS auf. Ursachen können Blutungen, Ischämien, Tumore, Infektionen, Elektrolyt- (z. B. Hypercalciämie) und Stoffwechselstörungen (z. B. Hypo- und Hyperglykämie) sein, welche die Funktion der Neurone in Mitleidenschaft ziehen. Auch eine massive Aktivierung von Neuronen, wie sie bei Epilepsie auftreten kann, führt zum Bewusstseinsverlust. Epilepsie. Hochsynchrone, unkontrollierte Erregungen von
größeren Neuronengruppen können zu lokalisierter oder generalisierter Aktivierung motorischer, sensorischer, vegetativer, kognitiver oder emotionaler Funktionen führen. Folgen sind u. a. lokale oder generalisierte Krämpfe, Halluzinationen, Speichelfluss, Wutanfälle oder der Eindruck, als habe man die augenblickliche Situation schon einmal erlebt (déja vu). Ursache ist in einigen Fällen ein genetischer Defekt (z. B. von bestimmten K+-Kanälen), der die Erregungsbereitschaft der Neurone steigert oder die Fähigkeit der Gliazellen einschränkt, die extrazelluläre K+-Konzentration zu kontrollieren. Auch Schädigungen der Neurone und/
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oder Gliazellen u. a. bei mechanischen Traumata, Durchblutungsstörungen, Tumoren, Vergiftungen und Stoffwechselentgleisungen (v. a. Hypoglykämie, Hypomagnesiämie, Hypocalciämie) können Epilepsie auslösen. Schließlich begünstigen u. a. Hyperthermie und Schlafentzug das Auftreten von Epilepsie. Sind durch den epileptischen Anfall beide Hirnhälften betroffen, kommt es zur Bewusstlosigkeit.
20.2.3
Plastizität, Gedächtnis und Lernen
! Gedächtnisinhalte bestehen aus Spuren (Engrammen) im Gehirn, welche das künftige Verhalten beeinflussen. Durch Lernen wird das Gehirn ständig den äußeren und inneren Erfordernissen angepasst. Die Fähigkeit, Inhalte zu speichern, ist eine unverzichtbare Voraussetzung für planvolles Handeln und Anpassung an die Umwelt
Habituation und Sensitivierung. Eine einfache Form von Lernen ist die Habituation. Wird ein gleicher Reiz (z. B. ein Ton) mehrfach angeboten, so nimmt die Reaktion auf diesen Reiz (bzw. Zuwendung von Aufmerksamkeit) mit der Zeit ab. Die Geschwindigkeit, mit der Habituation einsetzt, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Habituation ist z. B. bei hoher Reizstärke, bei besonderer Unregelmäßigkeit des Reizes sowie bei gesteigerter Erregung der Versuchsperson verzögert. Bei unangenehmen Reizen kann es statt zur Habituation zur Sensitivierung kommen, also zur zunehmenden Reaktion auf den Reiz. Habituation und Sensitivierung sind eine Form von nichtassoziativem Lernen, da sie keine Assoziation mit einem anderen Reiz erfordern. Klassische Konditionierung. Im Gegensatz dazu steht das
assoziative Lernen durch Konditionierung, bei der die Assoziation von zwei Reizen oder von Verhalten und Konsequenz zum Lernerfolg führen. Die klassische Konditionierung (nach Pawlow) nutzt einen unbedingten Reflex, um einen bedingten Reflex zu bilden: Wird beispielsweise einem Hund ein Stück Fleisch angeboten, dann kommt es zu reflektorischer Speichelsekretion (unbedingter Reflex). Wird nun jedes Mal kurz vor dem Angebot von Fleisch (<1 sec.) eine Glocke geläutet, so löst schließlich bereits das Glockensignal die Speichelsekretion aus (bedingter Reflex). Wenn in der Folge die Glocke mehrfach geläutet wird, ohne dass Fleisch angeboten wird, dann kommt es zu einem allmählichen Schwinden des bedingten Reflexes (Extinktion).
Operante bzw. instrumentelle Konditionierung. Dabei
lässt man einem bestimmten Verhalten eine positive oder negative Konsequenz folgen. Dadurch wird Annäherung bzw. Vermeiden dieses Verhaltens erzielt: Wenn z. B. das Drücken eines Knopfes in einem Rattenkäfig zum Erscheinen von Futter führt, dann lernt die Ratte, den Knopf wiederholt zu drücken. Führt der Knopfdruck zu einem elektrischen Schlag, dann lernt die Ratte den Knopf zu meiden. Man spricht von operanter bzw. instrumenteller Konditionierung, da das Verhalten (Knopfdrücken) auf die Konsequenz (Futter bzw. elektrischer Schlag) wirkt (operates on) bzw. das Verhalten ein Instrument ist, die Konsequenz herbeizuführen bzw. zu verhindern. Das Futter ist in unserem Beispiel ein positiver Verstärker, der elektrische Schlag ein negativer Verstärker des Verhaltens (Knopfdrücken). Auch nach operanter Konditionierung kann es zur Extinktion kommen, nämlich dann, wenn nach dem Knopfdruck mehrfach das Futter oder der elektrische Schlag ausbleibt. Plastizität. Manche Teile des Gehirns sind in der Lage, sich
veränderten Anforderungen ständig anzupassen. So konnte man zeigen, dass das Training von Bewegungen mit bestimmten Fingern zu einer Vergrößerung des für diese Finger zuständigen Areals im somatomotorischen Kortex führt. Diese Plastizität des Gehirns ermöglicht u. a. die teilweise Übernahme von Funktionen durch andere Hirnareale, wenn ein Hirnteil z. B. durch Verletzungen geschädigt wurde. Die Plastizität wird durch die Fähigkeit gewährleistet, neue Synapsen und Verschaltungen zu bilden oder bisher nicht benützte Synapsen und Verschaltungen zu aktivieren. Die Plastizität des Gehirns ist naturgemäß zu Beginn des Lebens am größten. In den ersten Lebensjahren ist die Entwicklung des Gehirns daher entscheidend von der neuronalen Aktivität abhängig, durch welche die Bildung von Synapsen gefördert wird. Werden einem Kleinkind also Umweltreize entzogen (Deprivation), droht eine Entwicklungsstörung des Gehirns, die in späteren Lebensjahren nicht mehr ausgeglichen werden kann. Prägung. In einigen Entwicklungsphasen ist eine besonde-
re Bereitschaft für bestimmte Reize vorhanden. Diese Reize können einen dauerhaft prägenden Einfluss auf das Gehirn ausüben. Bekanntestes Beispiel ist die Prägung von Vögeln nach dem Schlüpfen durch den Kontakt mit den Eltertieren. Die auf die Muttertiere geprägten Vögel bleiben dann ständig in der Nähe ihrer Muttertiere (oder bei dem, was sie dafür halten). Beim Menschen spielt Prägung eine weniger wichtige Rolle.
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Wissensgedächtnis (kognitives Lernen). Das Wissensgedächtnis speichert Fakten und Ereignisse (deklaratives, explizites Gedächtnis). Die Bildung von Wissensgedächtnis erfolgt in verschiedenen Stufen, welche unterschiedliche Hirnstrukturen einbeziehen. 4 Inhalte (z. B. ein gesprochenes Wort) werden zunächst durch das zuständige Sinnesorgan aufgenommen und im sensorischen Gedächtnis kurz gehalten. Das sensorische Gedächtnis kann sehr viel Information kurz (< 1 s) speichern und schafft damit die Voraussetzung für die Analyse des Sinneseindruckes 4 Nur ein kleiner Teil der in das sensorische Gedächtnis aufgenommenen Information kann in das primäre Gedächtnis oder Kurzzeitgedächtnis überführt werden. Die Kapazität des primären Gedächtnisses ist sehr klein, durch Bildung von Chunks (Gruppen von Informationen, z. B. Wörtern statt Buchstaben) wird die Information jedoch »verdichtet« und damit die Speicherkapazität besser genutzt. Ohne funktionierendes Kurzzeitgedächtnis ist z. B. Sprachverständnis nicht möglich. Auch im primären Gedächtnis kann die Information nur kurz (einige Sekunden bis Minuten) festgehalten werden (Kurzzeitgedächtnis) 4 Vom primären Gedächtnis kann die relevante Information in das sekundäre Gedächtnis (Langzeitgedächtnis) überführt werden. Dabei spielt das »elaborierte Memorieren« eine entscheidende Rolle, die Analyse der aufgenommenen Information bis zum Erkennen ihrer Bedeutung. Die Speicherkapazität des sekundären Gedächtnisses ist sehr groß Prozedurales Gedächtnis. Im Gegensatz zum deklarativen
Gedächtnis, bei dem Inhalte bewusst abgerufen werden können, speichert das prozedurale Gedächtnis Bewegungen (Fertigkeiten), Handlungen, Gewohnheiten und Strategien ab und ermöglicht die Entwicklung manueller und intellektueller Geschicklichkeit bei der Durchführung von wiederkehrenden Aufgaben (z. B. Labyrinth, Denksportaufgaben). Zum prozeduralen Gedächtnis zählt z. B. auch die klassische und instrumentelle Konditionierung. Vergessen. Gedächtnisinhalte können auch wieder vergessen werden: Informationen im sensorischen Gedächtnis verblassen binnen Bruchteilen von Sekunden. Im Kurzzeitgedächtnis werden Informationen durch nachfolgende Informationen überspielt. Auch im sekundären Gedächtnis kann die Abspeicherung von neuer Information zum Löschen alter Gedächtnisinhalte führen (retroaktive Hem-
mung). Andererseits kann vorher Gelerntes die Abspeicherung neuer Gedächtnisinhalte erschweren (proaktive Hemmung). An der Bildung von Gedächtnis beteiligte Strukturen. Information wird in das zuständige primäre Rindenareal aufgenommen und von dort an das entsprechende sekundäre Rindenareal weitergeleitet. Allerdings erfolgen viele dieser Mechanismen auch zeitlich parallel. Bei deklarativer Information wird auch der Hippokampus mit angrenzenden Strukturen des Temporallappens erregt. Dem Hippokampus kommt eine entscheidende Rolle bei der Überführung von Kurzzeitgedächtnis in Langzeitgedächtnis zu. Am prozeduralen Lernen sind motorischer und prämotorischer Kortex, lateral-präfrontaler Kortex, Kleinhirn, Basalganglien, substantia nigra und Teile des limbischen Systems beteiligt. Der Hippokampus ist für prozedurales Lernen hingegen nicht erforderlich. Zelluläre Mechanismen der Gedächtnisbildung. Die zel-
lulären Mechanismen, welche beim Menschen der Bildung von Gedächtnis zugrunde liegen, sind nur in Ansätzen bekannt. Eine besondere Rolle spielen dabei wahrscheinlich die Ausbildung neuer Synapsen und die Steigerung des Einflusses bestehender Synapsen auf das Folgeneuron. Damit wird ein bestimmtes Erregungsmuster leichter abrufbar. Eine Steigerung des Einflusses bestehender Synapsen wurde bei der Langzeitpotenzierung in Hippokampusneuronen nachgewiesen (. Abb. 20.7). An postsynaptischen Membranen der betroffenen Synapsen werden durch Glutamat calciumdurchlässige NMDA-Kanäle und calciumimpermeable Nicht-NMDA-Kanäle aktiviert. Glutamat kann die NMDA-Kanäle nicht öffnen, da diese durch Magnesium blockiert werden. Die Aktivierung der Nicht-NMDA-Kanäle führt jedoch durch Kationeneinstrom zur Depolarisation, welche die Blockierung der NMDA-Kanäle durch Magnesium aufhebt. Nun strömt Calcium durch die NMDA-Kanäle in die Zelle. Über Aktivierung von calmodulinabhängiger Kinase, Proteinkinase C und Tyrosinkinase aktiviert Calcium die NO-Synthase. NO diffundiert in die präsynaptische Endigung und bewirkt dort u. a. über Aktivierung der Guanylatzyklase eine gesteigerte Ausschüttung von Glutamat. Auf diese Weise gewinnt die Synapse einen langanhaltenden stärkeren Einfluss auf das postsynaptische Neuron. Ca2+ beeinflusst ferner die Genexpression im betroffenen Neuron und führt auf diese Weise zu anhaltenden Veränderungen seiner Eigenschaften.
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nicht mehr möglich. Die betroffenen Patienten sind nicht mehr in der Lage, neue Gedächtnisinhalte aufzunehmen (anterograde Amnesie). Das Altgedächtnis ist jedoch noch erhalten, d. h. die Patienten erinnern sich sehr wohl an Gedächtnisinhalte, die vor der Läsion gespeichert wurden. Ferner ist das prozedurale Gedächtnis erhalten. Die Patienten können z. B. ihnen vor der Läsion nicht bekannte Klavierstücke mit Erfolg einüben, ohne zu wissen, dass sie diese Stücke je gespielt haben. Bei Läsionen in den entsprechenden assoziativen Rindenfeldern kommt es zum Ausfall bereits gespeicherter Gedächtnisinhalte (retrograde Amnesie). Beim Korsakow-Syndrom, einer bei Alkoholikern häufig auftretenden Störung, liegen anterograde und retrograde Amnesie vor, durch Schädigung von Hippokampus und assoziativen Rindenarealen. Die Patienten versuchen typischerweise die Gedächtnislücken durch erfundene Geschichten zu verdecken (Konfabulationen). Eine häufige Erkrankung, die v. a. das explizite Gedächtnis in Mitleidenschaft zieht, ist Morbus Alzheimer. Ursache dieser Erkrankung ist ein z. T. genetisch bedingter allmählicher Untergang von Neuronen (Neurodegeneration). Dabei ist vor allem (aber nicht nur) der Hippokampus betroffen. Folge ist u. a. eine zunächst anterograde und später auch retrograde Amnesie. Schließlich treten weitere, zunehmend schwere neuronale Ausfälle dazu, die letztlich zum Tode des Patienten führen.
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20.2.4 . Abb. 20.7. NMDA und Nicht-NMDA-Rezeptoren bei der Gedächtnisbildung. Durch Aktivierung eines Nicht-NMDA-Rezeptors (AMPA-Rezeptor) wird die Zelle depolarisiert und so Mg2+ (grün) aus einem NMDA-Rezeptor verdrängt. Damit kann Ca2+ in die Zelle eindringen und die calmodulinabhängigen Kinasen (CaMK), Proteinkinase C (PKC) und bestimmte Tyrosinkinasen (TK) aktivieren. Diese Kinasen stimulieren eine NO-Synthase (NOS), NO diffundiert zur präsynaptischen Nervenendigung und stimuliert dort eine Guanylatzyklase (GC). cGMP aktiviert über eine G-Kinase (GK) den Na+/Ca2+-Austauscher und beeinflusst damit die Transmitterausschüttung. Darüber hinaus stimuliert Ca2+ im postsynaptischen Neuron die Expression von Genen, deren Proteine den neuronalen Transduktionsprozess beeinflussen. Auf diese Weise verändert ein Reiz längerfristig die Erregbarkeit des Neurons
Gedächtnisstörungen. Bei Läsion des Hippokampus ist eine Überführung deklarativer, also bewusst abrufbarer episodischer und semantischer Gedächtnisinhalte vom Kurzzeitgedächtnis in das deklarative Langzeitgedächtnis
Triebverhalten, Motivationen und Emotionen
! Emotionen wie Angst, Trauer und Glück sind Leistungen von spezialisierten Neuronenpopulationen im Nervensystem. Offenbar spielen Neurone des limbischen Systems eine entscheidende Rolle in der Erzeugung von Emotionen. Den gleichen Neuronen kommt eine Rolle bei Motivation und Bildung von Gedächtnis zu
Limbisches System. Kortikale Elemente des limbischen Systems (. Abb. 20.8) sind der Gyrus cinguli, der Hippokampus (mit den Anteilen Ammonshorn, Gyrus dentatus und subiculum), der Gyrus parahippocampalis (Area entorhinalis und praesubiculum) und Teile des Riechhirns (Bulbus olfactorius, Tuberculum olfactorium, Rindenanteile über dem Corpus amygdaloideum). Enge Verbindungen bestehen zu Teilen der temporalen, orbitofrontalen und insulären Großhirnrinde, die daher zum limbi-
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derlichen endokrinen, vegetativen und somatomotorischen Funktionen sicherstellen. Läsionen im Bereich des limbischen Systems. Läsionen des
Gyrus cinguli können die emotionale Komponente von Schmerz unterbinden. Die Schmerzen werden zwar wahrgenommen und lösen noch entsprechende vegetative und endokrine Reaktionen aus, sie werden von den Patienten jedoch nicht mehr als unangenehm empfunden. Läsionen im Bereich des limbischen Systems können zu inadäquatem emotionalem Verhalten führen (z. B. Jähzorn). Nach Entfernung der Corpora amygdaloidea mit Temporallappen (inklusive Uncus) und Teilen des Hippokampus (bei Affen) sind die Tiere zahm, wenden sich allem unkritisch zu, ohne adäquat auf potentiell gefährliche Objekte zu reagieren: Die Tiere nehmen alles in den Mund und versuchen, mit allen Objekten zu kopulieren (Klüver-Bucy-Syndrom). Stirnhirn (orbitofrontaler Kortex). Das limbische System . Abb. 20.8. Elemente des limbischen Systems. Schaltschema der Neurone im Hippocampus, die bei der Gedächtnisbildung beteiligt sind (nach Birbaumer und Schmidt aus Schmidt et al.)
schen System gezählt werden können. Subkortikale Elemente des limbischen Systems sind die Corpora amygdaloidea, die Septumkerne (Nucleus accumbens und BrocaDiagonalband), der Nucleus thalami anterior, die Regio praeoptica und die Corpora mammillaria. Enge Verbindungen bestehen schließlich zum Hypothalamus, der gleichfalls zum limbischen System im weiteren Sinne gezählt werden kann. Neben dem Nucleus thalami anterior haben auch der Nucleus dorsomedialis und der Nucleus dorsolateralis enge Beziehungen zum limbischen System. Auffällig sind im limbischen System die mächtigen reziproken Verbindungen, z. B. der Fornix und die Stria terminalis (. Abb. 20.8). Die Bedeutung einiger Elemente des limbischen Systems bei der Bildung des Gedächtnisses wurde bereits beschrieben (7 Kap. 20.2.3). Eine weitere Aufgabe des limbischen Systems ist die »emotionale Bewertung« von Wahrnehmungen und die entsprechende Anpassung des Verhaltens. Über limbisches System und Hypothalamus werden sexuelles, nutritives und aggressives Verhalten reguliert (7 Kap. 14.3.4). Neuronenpopulationen im Hypothalamus verfügen dabei über Programme, welche die für die jeweilige Verhaltensweise erfor-
steht unter der Kontrolle von Neuronen im Stirnhirn, das v. a. mit Gyrus cinguli, Hippokampus, Nuclei amygdaloidei und Hypothalamus verknüpft ist. Das Stirnhirn ist für die Anpassung der inneren Motivation an die Bedingungen der Außenwelt zuständig. Patienten mit Läsionen im Stirnhirn haben oft erhebliche Schwierigkeiten, sich sozial anzupassen, sie leiden unter Antriebslosigkeit, Jähzorn, Unzuverlässigkeit, Taktlosigkeit und Witzelsucht. Sie haben Schwierigkeiten, Regeln einzuhalten und halten an einmal eingeschlagenen Verhaltensweisen fest (Perseveration). Die monoaminergen Systeme. Über das mediale Vorder-
hirnbündel beeinflussen monoaminerge Neurone im Hirnstamm das limbische System. Diesen monoaminergen Systemen kommt eine wesentliche Rolle in der Regulation von Emotionen zu. Neurone in Kernen der Medulla oblongata und Pons, v. a. des Locus coeruleus beeinflussen über noradrenerge Fasern u. a. Corpora amygdaloidea, Hippokampus, Gyrus cinguli und Anteile der Großhirnrinde. Weitere Fasern innervieren Kleinhirn und Rückenmark (Seitenhorn). Einiges spricht dafür, dass ihre Aktivierung zu Lustgefühlen und positivem Antrieb führt, und dass Mangel an Noradrenalin Depressionen auslöst. Serotoninerge Neurone in den Nuclei raphé projizieren in Rückenmark, Kleinhirn, Thalamus, Hypothalamus, Basalganglien, limbisches System und Großhirnrinde. Auch Mangel an Serotonin soll Depressionen auslösen. Dopaminerge Neurone werden bei funktionell ganz unterschiedlichen Bahnen gefunden:
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Kapitel 20 · Integrative Leistungen des Zentralnervensystems
4 Im tubuloinfundibularen System kontrollieren dopa-
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minerge Neurone die Ausschüttung von Hypophysenhormonen (v. a. Hemmung der Prolaktinausschüttung, 7 Kap. 11.2.4) 4 Im nigrostriatalen System greifen dopaminerge Neurone in die Motorik ein (7 Kap. 11.2.5) 4 Dopaminerge Bahnen zum limbischen System (mesolimbisches System) bewirken positiven Antrieb 4 Dopaminerge Bahnen zum Kortex (mesokortikales System) spielen wahrscheinlich eine wesentliche Rolle bei der Regulation von Emotionen und Verhalten: Ein relativer Überschuss an Dopamin in dieser Region soll Schizophrenie begünstigen, eine Erkrankung mit tiefgreifender Störung der Persönlichkeit. Die Patienten erleiden u. a. Wahnvorstellungen (Verfolgungswahn, Größenwahn, etc.)
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steigernde Wirkung eine Senkung von Aminosäurekonzentrationen im Blut bewirkt. Einige Aminosäuren hemmen die Tryptophanaufnahme über die Blut-HirnSchranke kompetitiv. Der Wegfall dieser Hemmung soll die Tryptophanaufnahme in das Gehirn steigern und damit mehr Substrat für die Serotoninsynthese bereitstellen Durch Agonisten können die Serotoninrezeptoren direkt stimuliert werden Durch Hemmung der Wiederaufnahme in präsynaptische Speicher kann die Serotoninkonzentration im synaptischen Spalt gesteigert werden Durch Hemmung des Abbaus kann die Verfügbarkeit von Serotonin gesteigert werden (z. B. Iproniazid) Durch Licht kann der Umbau von Serotonin in Melatonin gehemmt und damit die Verfügbarkeit von Serotonin gesteigert werden (Phototherapie)
Wirkung von Psychopharmaka. Die Wirkung einer Reihe
von Substanzen, welche die Psyche beeinflussen (Psychopharmaka), wird über ihren Einfluss auf monoaminerge Systeme erklärt.Durch Steigerung der Noradrenalin- oder Serotoninausschüttung und -wirkung kann eine Depression gebessert werden: 4 Es kann die Freisetzung von Noradrenalin aus der präsynaptischen Endigung stimuliert werden (z. B. Amphetamin) 4 Die Rezeptoren können durch agonistische Substanzen stimuliert werden (z. B. Clonidin) 4 Durch Monoaminoxidase-(MAO-)Hemmer kann der Abbau von Noradrenalin in den präsynaptischen Endigungen verzögert und damit die Verfügbarkeit von Noradrenalin gesteigert werden (z. B. Pargylin) 4 Durch Hemmstoffe der Catechol-ortho-methyltransferase (COMT) kann der Abbau von Noradrenalin im synaptischen Spalt verzögert und damit die Wirkung von Noradrenalin verstärkt werden 4 Durch Glukosezufuhr wird die Insulinausschüttung gefördert, dessen antiproteolytische und proteinsynthese-
Umgekehrt können einige Substanzen möglicherweise über Hemmung monoaminerger Systeme Depressionen auslösen: 4 Die Synthese von Noradrenalin aus Tyrosin über DOPA kann durch entsprechende Enzymhemmer (z. B. Methyltyrosin) herabgesetzt werden 4 Die Aufnahme von Noradrenalin in präsynaptische Speicher kann gehemmt werden (z. B. Reserpin) 4 Noradrenalin kann aus den postsynaptischen Rezeptoren verdrängt und damit seine Wirkung unterbunden werden (z. B. Phenoxybenzamin, Phentolamin) 4 Durch Hemmung der Synthese aus Tryptophan (z. B. Chlorophenylalanin) kann die Verfügbarkeit von Serotonin eingeschränkt werden 4 Durch Hemmung der Aufnahme in präsynaptische Speicher (z. B. Reserpin) wird letztlich weniger Serotonin ausgeschüttet. 4 Durch gesteigerten Verbrauch von Serotonin durch Bildung von Melatonin (in der Zirbeldrüse bei Dunkelheit) wird die Serotoninverfügbarkeit herabgesetzt
451 20.2 · Integrative Funktionen durch Interaktionen zwischen Hirnrinde und subkortikalen Hirnregionen
In Kürze
Integrative Funktionen durch Interaktionen zwischen Hirnrinde und subkortikalen Hirnregionen Zirkadiane Periodik 4 Zirkadian oszillierende Parameter: ≈3 Uhr morgens Temperatur, Daueraufmerksamkeit, Rechengeschwindigkeit, Diurese am geringsten, Schmerzempfindlichkeit am größten; Glukokortikoide, in den frühen Morgenstunden am höchsten, Somatotropin, Prolaktin, Lutropin, Testosteron steigen während ersten Schlafphasen (indirekte Koppelung an den Tag-NachtRhythmus) 4 Biphasische Tagesrhythmen: körperliche Leistungsfähigkeit, glomeruläre Filtrationsrate 4 Rhythmusgeber: Retina o Chiasma opticum o Corpora geniculata lateralia o (Nuclei raphé o Serotonin) o Nuclei suprachiasmatici (ventromedialer Kern Hypothalamus) o Hypothalamus, Zirbeldrüse, Septum, Hirnstamm, Rückenmark. Oszillationen folgen Tag-Nacht-Rhythmus (Licht/dunkel) (entrainment), sonst o Frequenz ≈25 h 4 REM-Schlaf (REM = rapid eye movements) o Herz- und Atemfrequenz n, Blutdruck n, Hirndurchblutung n, Magen- und Darmaktivität n, Peniserektionen, Vaginaldurchblutung n, kurze Zuckungen sonst völlig erschlaffter Muskulatur; Einschlafen zunächst NREM-Schlaf, Voraussetzung für REM-Schlaf 4 Schlafstadium 1 (Fehlen von α-Wellen, niedrige schnelle β-Aktivität, niedrige θ-Aktivität, spitze, hohe Zacken, Vertexzacken) = Einschlafstadium (instabil, kurze Wachperioden, traumartige Eindrücke, Muskelzuckungen); Schlafstadium 2 (Schlafspindeln (10– 15 Hz), K-Komplexe, hohe Ausschläge im EEG, synchronisierte Erregungen); Schlafstadien 3 (10–50% δ-Wellen) und 4 (>50% δ-Wellen) = slow wave sleep (SWS), Weckschwelle hoch 4 Während einer Nacht Schlafstadien normalerweise 3bis 5-mal durchlaufen, zunehmende Schlafdauer o Anteil SWS-Schlaf p, Anteil REM-Schlaf n; Die ersten beiden Schlafzyklen = Kernschlaf, folgende Schlafzyklen = Füllschlaf 4 Neugeborene Gesamtschlafdauer ≈16 h/Tag, REMSchlaf-Anteil ≈50%; Erwachsene Gesamtschlafdauer ≈7 h/Tag, REM-Schlaf-Anteil ≈25%; mit Alter Schlaf kürzer und flacher 6
4 REM-Schlaf o Konsolidierung von Gedächtnisinhalten; in ersten beiden Lebensjahren o Gehirnentwicklung; Schlafdauer <5 h/Tag oder >9 h/Tag o Lebenserwartung p 4 Träume im REM-Schlaf (konkreter und emotionaler) häufiger als im NREM-Schlaf (abstrakter, kognitiver); Zunehmende Schlafdauer o Träume surrealistischer, emotionaler 4 Posteriorer Hypothalamus o cholinerge Strukturen Formatio reticularis o aufsteigendes retikuläres aktivierendes System (ARAS) o Großhirn 4 ARAS p o Schlaf; ARAS n o Aufwachen 4 Blutdrucksteigerungen, Magendehnung, tiefe Atemzüge o Nervus vagus oNucleus tractus solitarii o ARAS p 4 SWS-Schlaf o Serotoninerge Neurone in Nuclei raphé p o REM-Schlaf n; Noradrenalin (Locus coeruleus) o REM-Schlaf p; δ-sleep inducing peptide, schlafinduzierendes Muramylpeptid, Lipopolysaccharide, Prostaglandine, Interleukin-1, Interferon-α, Tumor necrosis factor (TNF) o Schlaf 4 Encephalitis lethargica o Zerstörung posteriorer Hypothalamus o SWS-Dauerschlaf 4 Vermeintliche »Schlaflosigkeit« = Pseudoinsomnia 4 Hyperaktivität, Stress, Absetzen von Schlafmitteln, »falscher« zirkadianer Rhythmus (Jet lag, Schichtarbeiter) o »wirkliche« Schlaflosigkeit = Insomnia 4 Fettleibigkeit, Rauchen o Schlafapnoe o Hypoxie o plötzliches Erwachen 4 Schlaflosigkeit ohne erkennbarer Grund = idiopathische Insomnia 4 Anhaltende Verhinderung von Kernschlaf und/oder REM-Schlaf o Halluzinationen, Tod 4 Läsionen im Hypothalamus, Schlafmittel, Psychopharmaka o Hypersomnie 4 Narkolepsie = plötzliche Anfälle von REM-Schlaf aus dem Wachzustand 4 Schlafassoziierte Störungen: Schnarchen (nur bei gleichzeitiger Schlafapnoe gefährlich); schlafassoziierte Motorik o nächtliches Zähneknirschen (Bruxismus), nächtliches Kopfschlagen (Jactatio capitis) unruhige Beine (restless leg syndrome). Albträume mit Schlafparalyse (REM-Schlaf ); Sprechen im Schlaf, Bettnässen, Schlafwandeln (SWS, Schlafstadien 3 und 4)
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Kapitel 20 · Integrative Leistungen des Zentralnervensystems
Bewusstsein 4 Bewusstsein = Inhalte, die Kurzzeitgedächtnisspeicher aktivieren oder von Langzeitgedächtnis in Kurzzeitgedächtnis transportiert werden; Leistung neuronaler Netzwerke, erfordert Aktivierung durch subkortikale Strukturen (ARAS) 4 Selektion Bewusstseinsinhalte durch Nucleus reticularis thalami, Frontalkortex, Gyrus cinguli 4 Afferenzen aus Retina o Corpus geniculatum laterale o sekundäre Sehrinde o Blindsehen, blindsight 4 Blutungen, Ischämien, Tumore, Infektionen, Epilepsie, Elektrolyt- (z. B. Hypercalciämie), Stoffwechselstörungen (z. B. Hyper-, Hypoglykämie) o Schädigung Großhirnrinde, Ausfall ARAS o Bewusstlosigkeit 4 Epilepsie: Genetische Defekte, Traumata, Durchblutungsstörungen, Tumoren, Vergiftungen, Stoffwechselentgleisungen (Hypoglykämie, Hypomagnesiämie, Hypocalciämie), Hyperthermie, Schlafentzug o hochsynchrone, unkontrollierte Erregungen größerer Neuronengruppen o Aktivierung motorischer, sensorischer, vegetativer, kognitiver oder emotionaler Funktionen o lokale oder generalisierte Krämpfe, Halluzinationen, Speichelfluss, Wutanfälle, déja vu Plastizität, Gedächtnis und Lernen 4 Nichtassoziatives Lernen: Habituation = Gewöhnung bei mehrfach angebotenem Reiz; Hohe Reizstärke, Unregelmäßigkeit, Erregung Versuchsperson n o Habituation p; Unangenehme Reize o Sensitivierung 4 Konditionierung = Lernerfolg durch Assoziation von zwei Reizen oder von Verhalten und Konsequenz. Klassische Konditionierung (Pawlow): Assoziation von unbedingtem Reflex mit bedingtem Reflex; Operante, instrumentelle Konditionierung. Verhalten o positive oder negative Konsequenz; mehrfach fehlende Assoziation bzw. Konsequenz o Extinktion 4 Plastizität: Anforderungen o Bildung neuer oder Aktivierung bisher nicht genutzter Synapsen o Anpassung Gehirn; Deprivation bei Kleinkind o irreversible Entwicklungsstörung 4 Bestimmte Entwicklungsphase o Bereitschaft für bestimmte Reize no dauerhafte Prägung 4 Wissensgedächtnis (kognitives Lernen) o Fakten, Ereignisse (deklaratives, explizites Gedächtnis): Inhalte o sensorisches Gedächtnis (große Speicher6
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kapazität, <1 s) o primäres Gedächtnis (Kurzzeitgedächtnis, geringe Speicherkapazität, [in Chunks verdichtbar], Sekunden bis Minuten) o sekundäres Gedächtnis (Langzeitgedächtnis, »elaboriertes Memorieren«, große Speicherkapazität) Prozedurales Gedächtnis o Bewegungen (Fertigkeiten), Handlungen, Gewohnheiten, Strategien (u. a. klassische und instrumentelle Konditionierung) Vergessen: Sensorisches Gedächtnis <1 s, Nachfolgende Informationen o Löschen Kurzzeitgedächtnis, Überspielen sekundäres Gedächtnis (retroaktive Hemmung). Vorher Gelerntes o Speicherfähigkeit p (proaktive Hemmung) Beteiligte Strukturen: Deklaratives Langzeitgedächtnis: Information o primäres Rindenareal o sekundäres Rindenareal l Hippokampus (mit angrenzenden Strukturen Temporallappen); prozedurales Lernen: motorischer und prämotorischer Kortex, lateralpräfrontaler Kortex, Kleinhirn, Basalganglien, Substantia nigra, Teile limbischen Systems (nicht Hippokampus) Zelluläre Mechanismen: Ausbildung neuer Synapsen, Einfluss bestehender Synapsen n; Kooperation Ca2+durchlässiger NMDA-Kanal mit Ca2+-impermeablem Nicht-NMDA-Kanal. Glutamat o Nicht-NMDA-Kanal n o Depolarisation o Aufhebung von Mg2+-Block des NMDA-Kanals o Ca2+-Einstrom durch NMDA-Kanal o Ca2+-calmodulinabhängige Kinase n, Proteinkinase C n, Tyrosinkinase n, Genexpression n, (NO-Synthase n (o NO n o Guanylatzyklase n o Glutamatausschüttung n) o Einfluss auf postsynaptisches Neuron n Gedächtnisstörungen: Läsion Hippokampus o Überführung neuer deklarativer Gedächtnisinhalte in deklaratives Langzeitgedächtnis p (anterograde Amnesie) [Altgedächtnis und prozedurales Gedächtnis erhalten]. Läsionen assoziativer Rindenfelder o Verlust gespeicherter Gedächtnisinhalte (retrograde Amnesie); Korsakow-Syndrom (Alkoholiker) o anterograde + retrograde Amnesie + Konfabulationen Morbus Alzheimer. Neurodegeneration u. a. Hippokampus o zunächst anterograde, dann auch retrograde Amnesie, schließlich weitere neuronale Ausfälle
Triebverhalten, Motivationen und Emotionen 4 Anteile Limbisches System: Gyrus cinguli, Hippokampus (Ammonshorn, Gyrus dentatus, subiculum), Gyrus
453 20.2 · Integrative Funktionen durch Interaktionen zwischen Hirnrinde und subkortikalen Hirnregionen
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parahippocampalis (Area entorhinalis, praesubiculum), Teile Riechhirn (Bulbus olfactorius, Tuberculum olfactorium, Rindenanteile über Corpus amygdaloideum), Corpora amygdaloidea, Septumkerne (Nucleus accumbens, Broca-Diagonalband), Nucleus thalami anterior, Regio praeoptica, Corpora mammillaria, [Verbindungen zu temporalen, orbitofrontalen, insulären Großhirnrindenanteilen, Hypothalamus, Nucleus dorsomedialis, Nucleus dorsolateralis thalami] Aufgaben: Emotionen, (über Hypothalamus) Regulation sexuellen, nutritiven, aggressiven Verhaltens Läsionen limbisches Systems o emotionale Komponente Schmerz p, inadäquates emotionales Verhalten Stirnhirn o Gyrus cinguli, Hippokampus, Nuclei amygdaloidei und Hypothalamus o Kontrolle limbisches System; Stirnhirnläsionen o asoziales Verhalten, Antriebslosigkeit, Jähzorn, Unzuverlässigkeit, Taktlosigkeit, Witzelsucht, Perseveration Monoaminerge Neurone Hirnstamm o mediales Vorderhirnbündel o limbisches System (Regulation
von Emotionen): Neurone in Medulla oblongata, Pons, (v. a. Locus coeruleus) o noradrenerge Fasern o Corpora amygdaloidea, Hippokampus, Gyrus cinguli, Anteile Großhirnrinde, Kleinhirn, Rückenmark (Lustgefühle, positiver Antrieb); Nuclei raphé o serotoninerge Fasern oRückenmark, Kleinhirn, Thalamus, Hypothalamus, Basalganglien, limbisches System und Großhirnrinde (Serotoninmangel o Depressionen); dopaminerge Neurone o Hypophyse (tubuloinfundibulares System o Hormonausschüttung), o Basalganglien (nigrostriatales System o Motorik), o limbisches System (mesolimbisches System o positiver Antrieb), o Kortex (mesokortikales System o Regulation Emotionen, Verhalten) 4 Relativer Überschuss an Dopamin o Schizophrenie 4 Antidepressive Psychopharmaka o NoradrenalinSerotoninproduktion n, -ausschüttung n oder -wirkung n 4 Hemmung monoaminerger Systeme (Bildung, Aufnahme, Wirkung) o Depressionen
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Sachverzeichnis A A., Aa. 7 Arteria AB0-System 39 Abbildungsfehler, Auge 391 Aberration, chromatische, sphärische 392 ABP (Androgen bindendes Protein) 276ff Absorption 8, 174ff Abwehrreaktion 338 Acceleratorglobulin 29 ACE 7 Angiotensin converting enzyme Acetylcholin 25,246, 299ff, 331 – Atemwege 101 – Basalganglien 356f – Darmmotorik 157 – Darmnervensystem 329 – EDHF 91 – Erektion 279 – Gefäße 66, 92 – Herz 68 – Hormone 238, 263, 265 – Magen 166f – Niere 211f – NO-Synthase 90 – Ösophagussphinkter 160 – Pankreassaftsekretion 168 – Skelettmuskel 299ff, 318 – Speichel 165 – vegetatives Nervensystem 330f Acetylcholinantagonisten 358 Acetylcholinesterase 299, 302 – Endplatte 301 Acetylcholinrezeptoren 302, 318, 331 Acetyl-CoA 300 Acetylsalicylsäure 30 achromatische Aphasie 421 Achromatopsie 406 Achselbehaarung 273 Achsenhyperopie 391 Achsenmyopie 391 Acrosin 280 ACTH (adrenocorticotropes Hormon) 237, 239f, 248, 258f, 261 – Aldosteron 251 – Insulin 263 – Notfallreaktion 145 – vegetatives Nervensystem 332
Activin 273 Adaptation 307, 370 – auditorisches System 418 – Geruchssinn 428 – Geschmackssinn 428 adäquate Reize 370 Addison, Morbus 262 Adenome, Hormondrüsen 238 Adenosin 90, 225 – Gefäßmuskeln 326 – Hirndurchblutung 93 – Koronardurchblutung 66 – Niere 211, 214 – Synthese 239 – Wirkungen 242 Adenosintriphosphat (ATP) 331 Adenylatzyklase 244f – Geruch 432 – Geschmack 430 – NaCl-Sekretion 170 – vegetatives Nervensystem 68 ADH (antidiuretisches Hormon) 198, 224, 240, 249f – ANF 252 – Blutdruckregulation 82f – Blutvolumen 78 – cAMP 244 – fight and flight reaction 338 – Glukokortikoide 260 – Halbwertszeit 237 – Harnkonzentrierung 223 – 1,4,5-IP3 246 – Kälte 338 – Kapazität des Niederdrucksystems 89 – Kochsalzhaushalt 200 – Magnesium 206 – Neurohypophyse 247 – Niere 211, 222 – NO-Synthase 90 – Notfallreaktion 145 – Orthostase 84 – Renin-Angiotensin-AldosteronMechanismus 215 Adhäsion 242 Adiadochokinese 361 Adipositas 255 Adiuretin 7 ADH ADP 92, 300 – Muskelkontraktion 314 – NO-Synthase 90 – Thrombozyten 27f
Adrenalin (7 Noradrenalin, A, B-Rezeptoren) 265, 299f, 331 – ANF 252 – Arbeit 143 – Blutdruck 83, 85 – cAMP 245 – Gastrointestinaltrakt 95 – Gefäßmuskulatur 92 – Granulozyten 32 – Halbwertszeit 237 – Herz 68 – Hormone 238, 255, 265 – K+-Haushalt 201 – Koronardurchblutung 65 – Nahrungsaufnahme 154, 156 – Nierenfunktion 211 – Training 147 – vegetatives Nervensystem 330 adrenogenitales Syndrom 262 adrenokortikotropes Hormon (ACTH) 7 ACTH A-Adrenozeptor 7 A-Rezeptor B-Adrenozeptor 7 B-Rezeptor aerob-anaerober Übergangsbereich 141 affektive Dimension, Schmerzerlebnis 383 afferente Strukturen 370 1a-Afferenzen 348 Afferenzen 370 – Kleinhirn 359 – Reflex 347 – somatosensorische 369 – Temperatursinn 377 – viszerale 329 Afibrinogenämie 29 afterload 61g, 67 Agglomerine 24 Agglutination 36 aggressives Verhalten 449 Agnosie 385 agranulärer Kortex 437 Agranulozytose 33, 38 Aguesie 431 AIDS (aquired immune deficiency syndrome) 37 A-Kinase 244 Akinesie 357 Akinetopsie 406 Akklimatisation 190 Akkomodation 392f Akkomodationsbreite 390, 393 Akren 187
Akromegalie 256 Aktin 11, 316 – Herz 56 Aktinfilamente 10, 314f, 325 A-Aktinin 314, 325 Aktionspotenzial 14f – glatter Muskel 325 – Herz 42ff, 48, 52 – Neuron 290, 292, 294ff, 302, 305, 307 – Skelettmuskel 319, 322 – Ganglienzellen, Retina 399 Aktionstremor 364 Aktivierungswärme 144, 320 *-Aktivität 7 *-Wellen Aktivitätskoeffizient 2 Akupunktur 384 Akustik 410 akustische Rindenareale 437 Akute-Phase-Proteine 26, 35 akutes Nierenversagen 225 Alanin 262 B-Alanin 226 Albumin 18, 23ff – Leber 171 – Schilddrüsenhormone 257 Aldosteron (Mineralokortikoide) 202, 241, 250ff, 259 – Absorption 176 – Alkalose 134 – Bindung 236 – Blutdruck 82f, 84f – Blutvolumen 77 – Durst 156 – Geschmack 431 – 11B-Hydroxylasedefekt 261 – K+-Haushalt 201 – Kochsalzhaushalt 199f – Magnesium 206 – Niere 211, 215 – Rezeptoren 221, 226, 243, 250 – Schwangerschaft 282 Aldosteronantagonisten 221 Alexie 406 alkalische Phosphatase 176 Alkalose 131, 136, 228 – Basenüberschuss 137 – Calciumphosphat 205 – Glukokortikoide 261 – Glutaminase 130, 132 – Herz 45, 48 – Höhe 127 – Hyperaldosteronismus 251f
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Sachverzeichnis
Alkalose – Hypokaliämie 202 – Insulin 263 – intestinale Absorption 169 – K+-Haushalt 201f – Knochen 134 – Magnesium 206 – Transportdefekte 220 Alkohol 167 – ADH 250 – Aktionstremor 364 – Geruchssinn 433 – Gewebshormone 159 – Magnesium 206 – Salzsäuresekretion 166 – Schmerzbekämpfung 384 Alkoholismus 205 Allergie 38, 110, 153 Alles-oder-nichts-Gesetz 294 Allodynie 381f All-trans-Retinal 398 Alpträume 445 Alter 287 – Akkomodation 391ff – Atemvolumina 105 – Blutdruck 84 – Flüssigkeitsräume 194 – Geruchssinn 433 – Schlafdauer 443 – Somatotropin 256 – Tiffeneau-Test 113 – Wärmebildung 186 – Windkesselfunktion Aorta 74 Altern, Klotho 227 – Überernährung 154 Altersschwerhörigkeit 416 Altersweitsichtigkeit 391 Alveolardruck 108, 111 alveolare Ventilation 115, 122 Alveolaroberfläche 103 Alveolarzellen 101, 105, 121 Alveolen 100f – Druck 109 Alzheimer, Morbus 433, 448 amakrine Zellen 397, 399f Amboss, Gehörknöchelchen 413 A-Mechanorezeptoren 381 Ameisensäure 429 Amenorrhö 274 Amilorid 202f Aminoazidämie 171 G-Aminobuttersäure 7 GABA E-Aminocapronsäure 31 Aminoglykoside 416 Aminopeptidasen 173f Aminosäuren, Absorption 169, 175 – Ausscheidung 215
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Blut-Hirn-Schranke 311 Energiestoffwechsel 183 essentielle 150f Glukagon 265 Herz 66 Insulin 262f Leber 170 Niere 215ff230 Plasma 18 Somatotropinausschüttung 254 – Transportprozesse 175 – Zellvolumen 197 Ammoniak 7 NH3/NH4+ Ammonshorn 448 Amnesie 448 AMPA 300f AMPA-Rezeptor 303, 306, 448 Amphetamin 450 Amplitude, Tonanalyse 418 Amputation 382f Amygdala 373 A-Amylase 164f, 173 Anabolikamissbrauch 278 anaerobe Glykolyse 66, 140, 320 anaerobe Schwelle 141, 146 Analgesie 384 Analgetika 384 Anämie 21f, 119 – Biotin 152 – Blutdruckmessung 87 – Eisen 153 – Folsäure 152 – hämolytische 38 – intestinale Absorption 169 – Kupfer 153 – Niereninsuffizienz 225 – O2-Transport 121 – Phosphatmangel 205 – Pyridoxalphosphat 152 – Riboflavin 152 – Selen 153 – Viskosität 73 anaphylaktischer Schock 86 Anaphylaxie 33, 38 Anästhesie 385 androgenbindendes Protein (ABP) 276ff Androgene 241, 261, 271ff, 276 – intrazelluläre Rezeptoren 243 Androstendion 259, 271, 273 Aneurin 152 – intestinale Absorption 169 ANF (atrialer natriuretischer Faktor) 7 Atriopeptin Angina pectoris 66 Angiotensin converting enzyme (ACE) 83, 91, 215, 251
Angiotensin 242, 250ff, 299 – Durst 156, 338 – 1,4,5-IP3 246 – Kreislauf 82ff, 90ff, 326 – Kochsalzhaushalt 200 – Niere 211 – Prolaktin 274 – Schwangerschaft 282 Angiotensinogen 83, 215 Angst 250, 448, 364 Anionenaustauscher 217 Anode 293 anomische Aphasie 421 Anorexie 154, 272, 338 Anosmie 433 Anoxie 66 Anschlagszuckung 57, 316f Anspannungsphase 59 Ansprechzeit, hormonelle Regelkreise 237 anterograde Amnesie 448 Antibiotika 167 A1-Antichymotrypsin 25 Antidiurese 198, 222f, 228 antidiuretisches Hormon 7 ADH antidrom, Nervenleitung 296 Antigene 35 Antigravitätsmuskel 346, 354f antihämophiles Globulin 29 Antikörper 34ff, 39, 241 Anti-Müller-Hormon 241, 271 Antinatriurese 199 Antioxidativa 358 A2-Antiplasmin 31 Antiporter 6 Antipyrin 196 Antithrombin III 25, 31 A1-Antitrypsin 25f, 31, 35, 110 Antriebslosigkeit 258, 449 Anurie 225 Aorta 56f, 74ff, 82f – Barorezeptoren 380 Aortenbogen 81 Aortenklappe 55 Aortenklappeninsuffizienz 58 Aortenklappenstenose 57 APAF-1, Apoptose 16 apallisches Syndrom 355 Aphasie 338, 363, 419ff – Hormondrüsen 238 Apnoe 124f ApoB48 175 A-polymodale Rezeptoren 381 Apoptose 16 – Corpus-luteum-Zellen 276 – Hormone 238 – Plasmaproteine 25 apoptotische Körperchen 16
Apotransferrin 176f Appetit 339 Apraxie 363 Aquädukt 310 Aquaporine 3, 217, 220, 222, 250 Äquator, Auge 392 Arachidonsäure 27, 91, 245f Arachnoidalvilli 310 Arantii, Ductus venosus 96 ARAS 373, 444f Arbeit 140ff – Atmung 108 – Blutdruck 85 – Durchblutung 94 – Energiebedarf 184 – Energieumsatz, Herz 66 – K+-Haushalt 201 – Kerntemperatur 140, 190 – O2-Verbrauch 120 – Wärmebildung 186, 190 Arbeitsbereich, Rezeptor 307 Arbeitsmuskulatur 43, 46 Arbeitsmyokard 42, 47 Area 1, 2, 3 371, 379 Area 4 344 Area 8 406 Area 17, 18, 19, 20, 21 405f Area 39 406, 420 Area entorhinalis 448 Area postrema 8, 80, 331 – Erbrechen 161 Area praesubiculum 448 Area praetectalis 393, 403 Areflexie 348, 365 A-Rezeptoren 82 Arginin, Insulinausschüttung 262 – Niere 226 – NO 90 – Somatotropinausschüttung 254 Arme, Rezeptordichte 376 Armleuchterzellen 436 Arrectores pilorum 332 Arteria carotis 81 Arteria cerebri media 346 Arteria femoralis 76 Arteria hepatica 94f Arteria pulmonalis 56, 114 Arteria tibialis 76 Arteria umbilicalis 96 Arterien, vegetatives Nervensystem 332 Arteriolen 74, 77 Arteriosklerose 141, 273 arteriovenöse Anastomose 77 arteriovenöse O2-Differenz 120, 141f
457 Sachverzeichnis
Artikulation 419 Ascorbinsäure 151f ASIC (acid sensing ion channels) 430 Aspartat 299f, 359 Asphyxie 125 Assoziationsareale 343, 385, 418, 437 Assoziationsfasern 436 Assoziationskortex, Basalganglien 356 Assoziationsregion, Geruch 432 assoziatives Lernen 446 Astereognosie 385 Asthma 38, 110 Astigmatismus 392f Astroglia 8f, 80, 309, 311 Astrup-Nomogramm 136 Asynergie 361 Asynthesie 406 aszendierende Vasodilatation 91 Aszites 94, 154 Ataxie 361, 385 Atelektase 121 Atemantrieb 106, 124 Atemapparat 100ff Atemäquivalent 143 Atemarbeit 110 Atembeschwerden 153 Atembewegungen 106f Atemfrequenz 123ff, 143, 188, 443 Atemgastransport 117ff Atemgrenzwert 113 Atemmaske 128 Atemmechanik 104f, 107ff, 111 Atemnot 126 Atemreize 123 Atemruhelage 107 Atemspende 128 Atemstillstand 121, 125 Atemtiefe 114 Atemvolumina 105 Atemwege 100f, 106, 380 Atemwegswiderstand 106, 110f Atemzeitvolumen 111 Atemzentren 123 Atemzugvolumen 104, 143 ätherisch 429, 432 Athetose 358, 364 Atmen 7 Atmung Atmung 104ff, 120f, 136 – Blutdruck 84 – Formen 125 – Höhe 127 – Hypothalamus 336 – Neugeborene 285
– Schlagvolumen 67 – Tauchen 128 – venöser Rückfluss 75 – Wärmeabgabe 186 Atmungskette 5, 10, 182 – Riboflavin 152 – Thrombozyten 27 Atmungsregulation 123ff ATP 21, 92, 182, 300f, 320 – Chemorezeptoren 124 – Darmnervensystem 329 – Herz 56 – Muskel 314f, 320 – NO-Synthase 90 – Thrombozyten 28 – Transport 5 ATPasen 6, 317 ATP-Gewinnung 320 Atresie 279 Atriopeptin (atrialer natriuretischer Faktor) 199f, 241, 252 – Blutdruckregulation 83 – Niere 211 Atrioventrikularknoten 46f Atrophie, Hormondrüsen 238 Atropin 331, 394 Audiometrie 411 auditorisches System 418 Auerbach 329 Auflösungsvermögen 370, 378 Aufschluss Nahrung 173f aufsteigendes retikuläres aktivierendes System 7 ARAS Auge 391ff – vegetative Innervation 328, 334 Augenbewegungen 353f, 394f, 406 Augeninnendruck 394 Augenkammern 195, 392 Augenlider 347 Augenlinse 391 Augenmuskelkerne 354, 424 Augenmuskeln 323, 353f, 359, 394f Augenwasser 195 Ausdauerleistung 141 Ausführungsgänge 164 Auskultation 58 Auslöschphänomen 387 Außenohr 413 Außensegmente, Photorezeptoren 398 Austauscher 6 Austreibungsperiode, Geburt 285 Austreibungsphase, Herzzyklus 59
Autoantikörper 7 Autoimmunerkrankungen autogene Hemmung 351 Autoimmunerkrankungen 37f – Anämie 22 – demyeliniserende Erkrankungen 296 – Hormondrüsen 239, 258 – Thrombozytopenie 28 Autoinhibition 300 Autokatalyse 173 autokrin 236 Automatie, Darmmotorik 157 – glatter Muskel 325 – Herz 44, 47, 53 Automatismen 354 autonom geschützter Bereich 145, 147 Autoregulation 90, 92, 211, 214 – Ca2+ 224 Autorezeptoren 299f auxotone Kontraktion 57, 59f AV-Block 52 AV-Knoten 47, 51f, 68 a-Welle, Elektroretinogramm 401 – Vorhofdruck 59 axoaxonale Synapsen 306 Axon 290 axonaler Transport 7f, 297, 299 Axondurchmesser 293 Axone, Auswachsen 309 Axon-Merkel-Zellkomplex 368 A-Zellen 159 Azetazetat, Diabetes mellitus 264 – Insulinausschüttung 262 – Kortisol 259 – Leber 170f – Niere 226 – Säure-Basen-Haushalt 133f Azetylcystein 226 Azidose 131, 135, 201 – Aldosteronmangel 252 – Arbeit 143 – Diabetes mellitus 264 – Glukoneogenese 226 – Glutaminase 130, 132 – Herz 45, 48 – K+ 202f – Knochen 134 – Lowe-Syndrom 220 – Milchsäure 121 – Niere 225f Azinuszellen 168
A–B
B Babinski-Zeichen 364 Bad 16, 246 Bahnneurone 305f, 347 Bakterien 7 Infektionen) 32, 34f, 170 Ballaststoffe 151 ballistische Bewegungen 343, 350 Bande-3-Proteine 20 Bandscheibenvorfall 382 Barorezeptoren 380 Bartter-Syndrom 202, 219f Bartwuchs 277 basaler elektrischer Rhythmus 157 Basalganglien 345f, 356ff – Großhirnrinde 436 – Kernikterus 80, 311 – Muskeltonus 363 – Neurotransmitter 301 – prozedurales Gedächtnis 447 – Sprache 420 – Thalamus 372 – Willkürbewegung 343 Basalzellen, Riechepithel 428 base excess 136f Basedow, Morbus 258 Basen, Transport 5, 216 Basendefizit 137 Basenüberschuss 136f Basilarmembran 414f basophile Granulozyten 36, 38 bathmotrop 334 Bauchdeckenreflex 350 Bauchhautreflex 352 Bauchmuskulatur 107 Bauchpresse 143, 161f Bax 16, 246 Bayliss-Effekt 90, 214 Bcl2 246 Becherzellen 170 Becker, Myotonia 322 bedingter Reflex 446 Befruchtung 279f Behaarung, männliche 277 Beine, Rezeptordichte 376 beißend, Geschmack 430 Belastbarkeit, hormonelle Regelkreise 237 Belastung 330 Belegzellen 165 Bereitschaftspotenzial 145, 343, 439 Beri-Beri 152
458
Sachverzeichnis
Berührung, Tastsinn 296, 368, 375f Beschleunigungsarbeit, Herz 62, 74 Betain 197 Bettnässen 445 Betz-Riesenzellen 345, 436 Beuger 351, 353f Beweglichkeit 9 Bewegungen 343ff – magnozelluläres System 405 – prozedurales Gedächtnis 447 – Tiefensensibilität 379 Bewegungsabsicht 343 Bewegungsformen 343f Bewegungsmangel 141 Bewusstlosigkeit 190, 445 – Diabetes mellitus 264 – Epilepsie 446 – Hirnödem 200 – Hypothermie 189 – generalisiertes thalamokortikales System 373 – Orthostase 84 Bewusstsein 310, 445 – Thalamus 372f, 437 B-Hydroxybuttersäure 133f, 171 Bid 16 Bier 166 Bikarbonat 7 HCO3– Bilanzminimum 150 Bilirubin 18, 24f, 170, 311 Bindegewebe 241 biologische Rhythmen, 7 zirkadiane Rhythmik biologische Wertigkeit 150 biologischer Brennwert 150, 183 Biot-Atmung 126 Biotin 151f, 171, 177 Biotransformation 169ff Biphosphoglyzerat (2, 3-BPG) 118f bipolare Neurone 415 Bipolarzellen 397, 399 bitemporale Hemianopsie 404 bitter, Geschmack 429f Blase 194, 328, 331ff, 380 Blätterpapillen 428 Blaublindheit, Tritanopie 401 Blauschwäche, Tritanomalie 401 Blei, Geruchsstörungen 433 blinder Fleck 397, 403 Blindsehen (blindsight) 445 blumig 432 Blut 18ff, 142 Blutdruck 81ff – Arbeit 144 – Energieverbrauch 62
– – – –
Ermüdung 147 Fetus 281 Gefäßwiderstand 74 hormonelle Regulation 242, 251f, 257, 260 – Hypoglykämie 264 – Hypothermie 188 – juxtakapillärer Reflex 124 – Kochsalzhaushalt 200, 224 – Nachlast 61f – Orthostase 84f – REM-Schlaf 443 Blutdruckabfall 262 – Atmung 125 – Azidose 135 – Erbrechen 161 – Fluor 153 – Kortisolausschüttung 259 – Muskelarbeit 143 – Rückenmarksdurchtrennung 335 – Schock 86 Blutdruckamplitude 76, 258 Blutdruckmessung 86f Blutdruckregulation 81ff, 85 Blutdruckschwankungen 84 Blutgerinnung 29 – hormonelle Regulation 241, 260 – Plasmaproteine 26 – Schmerz 382 Blutgruppen 38f Blut-Hirn-Schranke 8, 80, 311 – Chemorezeptoren 124 – CO2 90 Blut-Hoden-Schranke 8 Blut-Liquor-Schranke 80, 311 Blutplasma 23ff Blutplättchenaggregation 240 Blutsenkungsgeschwindigkeit 24, 26 Blutstillung 28 Blutströmung 72 Bluttplättchen 15 Blutungen, Ascorbinsäure 152 – Bewusstlosigkeit 445 – Hirndrucksteigerung 309 – Phyllochinone 152 Blutungsneigung, Leberinsuffizienz 171 Blutungsstillung 27ff Blutungszeit 28, 30 Blutverlust, Anämie 22 – Katecholamine 330 Blutverlustschock 86 Blutversorgung, 7 Durchblutung Blutviskosität 7 Viskosität
Blutvolumen 73, 77ff – Blutdruckregulation 82 – Hormone 251, 260 – Orthostasereaktion 85 – Schwangerschaft 282 – Training 146 B-Lymphozyten 32, 36 BNP, brain natriuretic peptide 199, 252 Bogengänge 423f Bohr-Effekt 118, 122 Bombesin 155 bone marrow 32 Botalli, Ductus arteriosus 58, 96, 242 Botulinustoxin 301 Bowman-Kapselraum 213 Bradykardie 69, 200, 310 Bradykinin 90ff, 94, 211f, 242 – Schmerz 381f Bradyphrenie 358 Bradypnoe 125 brain derived nerve growth factor (BDNF), axonaler Transport 297 brain natriuretic peptide 7 BNP brain stem evoked response audiometry BERA 411 braunes Fettgewebe 188, 286 Braunfärbung Haut 262 Brechung, Auge 390ff Brechzentrum 161 Brennpunkt Auge 390 Brennstoffe 151 Brennweite 390 Brennwert 183 B-Rezeptoren 82 Broca-Aphasie 420 Broca-Diagonalband 449 Broca-Sprachzentrum 420 Bronchialbaum 100 Bronchialdrüsen 333 Bronchialgefäße 100 Bronchialkarzinom 238, 250 Bronchialmuskulatur 332 Bronchien 100ff, 242, 331ff Bronchiolen 101 Bronchioli respiratorii 100 Bronchospasmus 334 Brown-Séquard-Syndrom 385 Brunner-Drüsen 170, 173 Brustdrüse 274 Brustwandableitungen 49, 51 Brutpflegeverhalten 338 Bruxismus 445 buffer base 136 Bulbus olfactorius 429, 432, 448f
Bulimie 154 burning foot Syndrom 152 Bürstensaumlaktase 174 b-Welle, Elektroretinogramm 401 B-Zell-Blasten 36 B-Zellen 33
C C-1 Inaktivator 25, 31 C-1-s-Komponente 25 C3-Aktivator 26 C3-Proaktivator 26 C-9-Komponente 25 Ca2+ 196, 199, 203ff, 245f, 352 – Chemorezeptoren 380 – Gastrointestinaltrakt 166, 169, 176, 199 – Gedächtnisbildung 447 – Geruch 432 – Geschmack 429f – Gleichgewichtspotenzial 292 – Gliazellen 309 – Niere 196, 199, 215, 218, 227 – Hormone 236, 252 – Kontraktionszyklus Muskel 315 – Langzeitpotenzierung 306 – Liquor 310 – Magnesium 206 – Muskelkontraktion 314f, 317ff – NMDA-Rezeptoren 303 – Plasmaproteinbindung 24 – Retina 398 – Skelettmuskel 314f, 317ff – Thrombozyten 27 – Urolithiasis 227 – Viszerozeption 368 Ca2+-Antagonisten 48 Ca2+-ATPase 5, 318, 320 – Absorption 176 – Herz 43, 47 – NO-Synthase 90 Ca2+-Calmodulinkomplex 325 Ca2+-Entzug 319 Ca2+-Freisetzung 318ff, 322 Ca2+-Kanäle 13, 203, 290, 306, 319f – Afferenzen 370 – Chemorezeptoren 124 – distale Tubuluszelle 218 – EDHF 91 – Endplatte 299, 301 – glatter Muskel 326
459 Sachverzeichnis
– Herz 42ff, 47, 52, 68 – Innenohr 415 – Insulinausschüttung 262 – myasthenisches Syndrom 302 – pH 131 – Skelettmuskel 318 – Transmitterfreisetzung 298 – Zellproliferation 15 Ca2+-Konzentration 320 – Herz 47f, 56 – NO-Synthase 90 Ca2+-Pumpen, Erschlaffung 318 Ca2+-Rezeptor 167, 203, 224, 228 – Harnkonzentrierung 223 – Henle-Schleife 218 – Hypercalciämie 205 – Hyperparathyreoidismus 253 Ca2+-Salzkristalle 422f Ca2+-Speicher 47 Ca2+-Spikes 290 Cabrera-Kreis 52 CaCl2, Azidose 134 Cadmium 433 Cajalzellen 157 Calbindin 176 Calcidiol 204, 252 Calciferol 152 Calcitonin 204f, 241, 252f – cAMP 244 – Magnesium 206 – Niere 211 – vegetatives Nervensystem 332 calcitonin gene related peptide 7 CGRP Calcitriol 204f, 241, 252f – Darm 176 – intrazelluläre Rezeptoren 243 – Magnesium 206 – Niere 226 – Synthese 239 Calcium 7 Ca2+ Calcium-Phosphat-Haushalt 252 Calciurie 220 Caldesmon 314, 325 Calmodulin 246, 325 calmodulinabhängige Kinase, 7 CaM-Kinasen Calponin 314, 325 CaM-Kinasen 246, 447f cAMP (zyklisches Guanosinmonophosphat) 244f, 320 – Geruch 432 – Geschmack 430 – glatter Muskel 326 – Harnkonzentrierung 222
– metabotrope Rezeptoren 303 – NaCl-Sekretion 170 – präsynaptische Hemmung 306 – vegetatives Nervensystem 68 Cannabinoide 371 Capsula interna 345f, 354 Carotissinus 334, 380 Caspasen 16, 246 Catechol-ortho-methyltransferase (COMT) 450 CCK-Zellen 168 CD4-T-Lymphozyten 36f CD8-T-Lymphozyten 35ff CD95-Ligand 16 Centrum medianum, Thalamus 372 Ceramid 245, 247 Cerebellum 7 Kleinhirn Cerebrocerebellum 360f C-Fasern 382 c-Fos 246 cGMP 91, 244, 320, 399 – Gedächtnisbildung 448 – glatter Muskel 326 – Langzeitpotenzierung 306 – NO-Synthase 90 – Retina 398 CGRP (Calcitonin gene related peptide) 90, 247, 370, 282 Cheilose 152 chemische Sinne 428 Chemorezeptoren 124, 307, 368f, 380 – Aorta 83 – Atmungsregulation 123 – Karotis 83 – viszerale Afferenzen 329 Chemotaxis 32f, 38, 242 Cheyne-Stokes-Atmung 126 Chiasma opticum 337, 403f, 442 Chinin 429 Chlorid 7 Cl– Chloridorrhö 169 Chlorophenylalanin 450 Cholecalciferol 151, 204f Cholecystokinin (CCK) 159, 168, 170, 178 – Salzsäuresekretion Magen 166 – Insulinausschüttung 263 – Sättigung 155 Choleratoxin 170 Cholesterin, Absorption 175 – Galle 169 – Gestagen 241, 257f, 274 – Kupfer 153 – Leber 171 – Plasma 18, 25
Cholesterinesterase 173f Cholin 151, 177, 299ff cholinerg 7 Acetylcholin Chondroitinsulfat 242 Chorda tympani 431 Chorea 357f Chorioidea 392 Choriongonadotropin (hCG) 237 Christmas-Faktor 29 Chromatin 16 Chronaxie 293f chronotrop 68, 334 Chunks 447 Chylomikronen 23, 175, 177 (Chymo)Trypsin 165, 173f 1, 8-Cineol 429 Cingulum 449 11-cis-Retinal 398ff c-Jun 246 Cl– 195ff, 199 – Darm 169, 176, 199 – Gleichgewichtspotenziale 292 – Niere 196, 215, 217 – Skelettmuskel 318 Cl–/HCO3–-Austauscher 20, 175, 197, 219f Claudine 8 Clearance 229 Cl–-Gleichgewichtspotenzial 291 Cl–-Kanäle 291 – Apoptose 16 – Atemwege 101 – Gastrointestinaltrakt 163 – Innenohr 414, 416 – NaCl-Sekretion 170 – Niere 218ff – Skelettmuskel 320, 322 – Zellvolumen 197 Clonidin 450 Clostridium botulinum 301 cluster of differentiation 36 CM-System 363 CNG-Kanäle 432 CNP, C-type-related natriuretic peptide 199 CO 119, 121, 300 CO2 121ff, 131ff – Chemorezeptoren 369, 380 – Diffusionsleitfähigkeit 103 – Blut 19, 23 – Blutdruck 83 – Feten 282 – Gefäß 66, 90, 93, 326 – Inspirationsluft 102 – Löslichkeitskoeffizient 3
B–C
– Nierenmark 211, 223 – O2-Affinität Hämoglobin 118 – Tauchen 128 – Viszerozeption 368 CO2-Abgabe 115 A-G-Coaktivierung 350 Cobalamin 151 Cochlea 413, 415f Cochleaimplantate 417 Coeruloplasmin 24ff, 176 Colipase 165 Colliculi inferiores 417 Colliculi superiores 395, 404 colon rush 162 Colon 7 Dickdarm Coma diabeticum 125, 264 Comissura anterior 337, 438 Compliance, Gefäße 73, 76 – Lunge 109f – Thorax 110 Conn, Morbus 251 Connexine 298 Cor pulmonale 116 Corona radiata 280 Corpora cavernosa 279 Corpora mammillaria 372 Corpus amygdaloideum 372, 432, 448f Corpus callosum 438 Corpus geniculatum laterale 359, 372, 403ff, 442 Corpus geniculatum mediale 372, 417f Corpus luteum 240, 272f, 275f Corpus mamillare 449 Corpus spongiosum urethrae 279 Corpus striatum 7 Basalganglien Cortex praepiriformis 432 Corticosteron 259 corticotropin releasing hormone (CRH) 237, 258f, 338 Corti-Organ 415 Cotransmitter 300 Cotransporter 6 CO-Vergiftung 119, 221 COX 7 Cyclooxygenase C-polymodale Rezeptoren 381 C-reaktives Protein 26, 35 CreaT 320 CRH 237, 240, 248, 258f, 337f Crush-Syndrom 203 C-type-related natriuretic peptide (CNP) 199, 252 Cupulae 422 Curare 301f Cushing, Morbus 261 Cushing-Syndrom 261
460
Sachverzeichnis
c-Welle, Elektroretinogramm 401 – Vorhofdruck 59 Cyclooxygenase 27, 30, 190, 245 Cyclooxygenasehemmer 30 Cyclosporin 37 cystic fibrosis transmembrane regulator (CFTR) 101, 111 Cystin 169, 227 Cystinurie 220, 227f Cytochrom C 16
D D1-Rezeptoren 356 d-1-B-Phenyläthylmethylcarbinol 429 D2-Rezeptoren 301, 356 DAG 246 Dämmerungssehen 398 Darm 158ff, 163ff, 174ff – Dehnungsrezeptoren 380 – Flüssigkeitsräume 195 – Gewebshormone 159 – Hormone 92, 240ff, 251, 257 – K+-Haushalt 201 – Kapillaren 80 – Passagezeiten 178 – REM-Schlaf 443 – Schock 86 – vegetatives Nervensystem 328, 331ff Darmatonie 152 Darmflora 170 Darmgase 171 Darmmotorik 157, 178, 331, 334 Darmnervensystem 329 Darmsekrete 164 Darmtumoren 151 Daueraufmerksamkeit 442 Dauerleistungsgrenzen 141 Daumen 347 Decidua 280 Defäkation 162, 335 defense reaction 338 Defensine 32, 101 Defibrillation 54 Dehnungsrezeptoren 380 Dehydration 169, 190, 198, 220 7, Dehydrocholesterin 204 Dehydroepiandrosteron (DHEA) 259, 281, 283 3B-Dehydrogenase 259 déja vu 445 deklaratives Gedächtnis 447
Dekompensation Herzinsuffizienz 69 delayed rectifyer K+-Kanäle 42ff Demenz 152, 220 Demyelinisierung 296f Dendriten 7, 290, 293, 309 Dendriten, Pyramidenzellen 436 dendritische Zellen 35 Denervierung 302, 318 dense bodies 325 Depolarisation, EPSP 302 – Innenohr 415 – Ischämie 97 – Muskelkontraktion 319 – Rezeptorpotenzial 369 Depressionen 153, 258, 449f Deprivation 446 Dermatitis 152 Dermatom 336 Dermatosen 152 Desensitisierung 300f 20, 22-Desmolase 259 11-Desoxykortikosteron 250, 259, 262 11-Desoxycortisol 259 Desoxyribonukleasen 32, 165 Desquamation 273 deszendierende Bahnen 373 Deuteranomalie 401 Deuteranopie 401 A-Dextrinase 173 Dezerebrierungsstarre 354 Dezibel SPL (sound pressure level) 410 D-Hormon 7 Calcitriol DHP-Rezeptoren 322 Diabetes insipidus 220, 224, 339 Diabetes mellitus 230, 264 – Anämie 22 – Geschmack 431 – Hypokaliämie 201 – Katarakt 392 – metabolisches Syndrom 154 – Niere 225 Dialyse 225 Diarrhö 7 Durchfall Diastole, Herzzyklus 59 – Koronardurchblutung 65 – Windkesselfunktion 74 diastolischer Blutdruck 76, 87 1, 2-Dichloräthan 429 Dichtezentrifugation 23 Dickdarm (7 Darm) 162, 170, 175f, 251, 328 Dielektrikum 295
Differentialfühler 307f, 370, 375 Diffusion 4f – Kapillarwand 78 – Lunge 103, 115f, 134 – Wärmetransport 187 Digitalisglykoside 48, 320 Dihydropyridin 47 Dihydropyridinrezeptoren (DHPR) 318 Dihydrotestosteron 278 Dikarboxylsäuren 217 Dilatator pupillae 332 Diltiazem 48 Dimethylsulfid 429 Dioptrien 390 Dipeptidasen 165, 173 Diphosphoglycerat 7 Biphosphoglycerat Disaccharidasen 173 dissoziierte Empfindungsstörungen 385 distaler Tubulus 209f, 215f, 218f – Harnkonzentrierung 222 – Hormone 211 – K+-Ausscheidung 201 distales Nephron 218f distaltubuläre Azidose 219f Diurese 198, 200, 442 Diuretika 202, 220f Divergenz 305, 330 diversity Gene 36 DI-Zellen 159 DNA, Fragmentation 16 – hormonresponsive Elemente (HRE) 243 DNA-Synthese 131 dominante Hemisphäre 438 Dopamin 299ff, 356f, 450 – cAMP 245 – Hormone 250, 252, 254, 257, 274 – Niere 199, 211, 252 – Retina 400 dopaminerge Neurone 450 Doping 147 Doppelbilder 407 Doppler Sonographie 95 Drehbeschleunigung 423 Drehnystagmus 394 dromotrop 68, 334 Druck, Kreislauf 74ff – Nervenfaser 296 – onkotischer 4 – osmotischer 3 – somatoviszerale Sensorik 329, 368f, 375f, 385 Druckbelastung 57f Druckdiurese 223
Druck-Volumen-Diagramm, Herz 60f – Lunge 109f Drüsen 92, 163ff, 332, 334 d-Tubocurarin 301 Ductus alveolares 100 Ductus arteriosus Botalli 52, 96f, 242 Ductus choledochus 170 Ductus cochlearis 422 Ductus cysticus 170 Ductus deferens 280 Ductus perilymphaticus 422 Ductus reuniens 422 Ductus venosus, Arantii 96 Dunkeladaptation 400f Dunkelstrom 398 Dünndarm (7 Darm) 174, 176, 328 Dünndarmmotorik 161 Dünndarmsekrete 170 Duodenum 159, 168f, 176 Durchblutung, Herz 65 – Niere 209, 211, 226 – Organe 89 Durchfall 152, 169, 178 – Azidose 134 – familiäre Proteinintoleranz 220 – K+-Ausscheidung 202 – Kobalt 153 – Schilddrüsenhormone 258 Durst 156, 197, 338 – Blutdruckregulation 83 – Blutvolumen 77 – Hypothalamus 339 Durstlöschung 156 d-Welle, Elektroretinogramm 401 Dyneine 8, 11, 297 Dysarthrie 361 Dysästhesie 385 Dysdiadochokinese 361 Dysfibrinogenämie 29 Dysguesie 431 Dysmetrie 361 Dysmorphosie 406 Dyssynergie 361 Dyspnoe 126 D-Zellen 159, 167
E Eaton-Lambert 302 Echinozyten 19 ECL-Zellen 166
461 Sachverzeichnis
ECoG (Elektrokortikogramm) 438 Ectonucleosidasen 91 EDHF, endothelial derived hyperpolarizing factor 66, 91, 326 Edinger-Westphal-Kern 393 EDTA, Gerinnungshemmung 30 EEG 438f, 443 Effektor, Reflex 347 efferente Projektion, motorische Kortizes 345 efferenter Schenkel, Reflex 347 Efferenzkopie 360 EG-Zellen 159 EGF 246 Eicosanoide 246 Eileiter 271, 273f Einthoven 49 Eisen 151, 153f, 176f – Häm 19f, 117, 119 – intestinale Absorption 169 – Plasma 18, 24, 26 – Plazenta 282 – Schwangerschaft 282 Eisenmangel 20f, 154f Eisenmenger Reaktion 58 Eisenspeicherung 170f eiserne Lunge 128 Eisprung 272, 274f, 279 Eistammzellen 279 Eiter 32, 38 Eiweiß 150f, 183 Eiweißmangel 165 Eiweißminimum, absolutes 150 eiweißreiche Diät 215 Eizelle 280 Ejakulat 277, 279 Ejakulation 274 Ejektionsfraktion, Herz 60 EKG 48ff ektopische Schrittmacher 53 elaboriertes Memorieren 447 Elastase 165, 173 elastische Widerstände, Atmung 106, 108 Elastizitätskoeffizient 73 Elastizitätsmodul 73 elektrische Eigenschaften, passive 292 Elektroenzephalogramm (EEG) 438f, 443 Elektrokardiogramm 7 EKG Elektrokortikogramm (ECoG) 438 Elektrolyte, Absorption 176 Elektrolytkonzentrationen 194ff Elektrolytretention 241, 274 Elektrolytsekretion 159 Elektrolytumsatz 199
elektromagnetische Wellen 390 elektromechanische Kopplung 47, 318 Elektromyographie 323f Elektrophorese 23f Elektrophysiologie, Herz 42 Elektroretinogramm 400f elektrotonische Ausbreitung 307 Embolie 30 Embryoblast 280 Emission 280 Emotionen 448f – Atmung 125 – Hypothalamus 339 – Thalamus 372f, 437 Empfindung, Reizstärke 370 Emphysem 26, 110 Encephaline 383 Encephalitis lethargica 443 enddiastolisches Volumen 69 endogene Schmerzhemmung 383 endokrin 236 endolymphatischer Gang 422 endolymphatischer Sack 422 Endolymphe 414, 422f Endolymphydrops 416 Endometrium 280 Endopeptidasen 165 endoplasmatisches Retikulum 10f Endorphine 242, 299, 301 – ADH 250 – Kortisolausschüttung 259 – Lipotropin 258 – Prolaktin 274 – Schmerzhemmung 383 – Somatotropinausschüttung 254 Endothel 91 – Hyperoxie 121 – Koronardurchblutung 66 endothelial derived hyperpolarizing factor (EDHF) 66, 91, 326 endothelial derived relaxant factor (EDRF) 7 NO Endothelin, Gefäße 90ff, 326 – Niere 211, 227 Endothelzellen 78, 90, 311 Endozytose 7, 298 Endplatte 299, 301f, 322 Energetik, biologische 182 energetisches Äquivalent 150 Energiebedarf 184 – Herz 66 Energiehaushalt 182, 254 Energiemangel 12
Energiequellen 182 Energiespeicher 320 Energiestoffwechsel 183 Energiesubstrate 184, 255 Energieumsatz 66, 183, 188, 320 Energieverbrauch, glatter Muskel 325 – Herz 62 Engramme 446 Enkephalin 299, 356 Enophthalmus 393 eNOS 91 enterales Nervenplexussystem 157 enterochromaffin-like cells (ECL) 166f (Entero-)Glukagon 159, 168 enterohepatischer Kreislauf 168, 175 Enterokinasen 165, 173 Enteropeptidasen 165 entrainment 443 Entropie 182 Entspannungsphase 59 Entwicklung, vegetatives Nervensystem 328 Entzündung 37f – Blutsenkungsgeschwindigkeit 26 – Geruch 433 – Geschmack 431 – Nekrose 16 – NO-Synthase 91 – Plasmaproteine 25 – Schmerz 381f – Selen 153 Entzündungsmediatoren 33, 102 Enzephalopathie 152 Eosinopenie 260 Eotaxin 33 EPH-Gestose 282 epidermal growth factor (EGF) 246 Epididymis 279f Epiglottis 161f Epilepsie 9, 445f – Bewusstlosigkeit 445 – EEG 439 – Geruchssinn 433 – Geschmack 431 – K+ 309 – Pyridoxalphosphat 154 Epiphysenfugen 274, 277f Epithelien 8, 11 – intestinale 174 – renale 215
– VIP 331 Epitop 35 Epodoping 22 EPSP, exzitatorisches postsynaptisches Potenzial 302, 305 Erbrechen 161, 310 – ADH 250 – Alkalose 133f, 137 – familiäre Proteinintoleranz 220 – Gleichgewichtssinn 424 – Hirnödem 200 – Ileus 162 – Irritationsrezeptoren 380 – Kleinhirnläsionen 361 – Kobalt 153 – Ösophagusachalasie 160 – trigeminaler Sinn 428 ereigniskorrelierte Potenziale 439 Erektion 279f Ergorezeptoren 143 Ergreifen 363 Erhaltungswärme 320 Erholung 142, 147 Erholungswärme 144, 320 Erkennen, kortikale Asymmetrie 438 Erkennungsschwelle 432 Ermüdung 147 Ernährung 150, 153 Eröffnungsperiode, Geburt 285 erregbare Zellen 13 Erreger, Menopause 287 – Nierenversagen 225 – Schmerz 381 Erregungsausbreitung 50f Erregungsbildung 46f Erregungsfortleitung 46, 135 – saltatorische 295 Erregungsleitungssystem 46 Erregungsrückbildung 50f Erregungsweiterleitung 385 Ersatzschrittmacher 47 Erschlaffung 318 – Herz 56 Erschlaffungswärme 144, 320 Erstickungsgefühl 124 Erstickungs-T 53 Erwartungsreaktion 85 Eryptose 22 Erythroblasten 20 Erythropoiese 21 – Höhe 127 – hormonelle Regulation 240f, 256, 277 – Leber 170 – Schwangerschaft 282
C–E
462
Sachverzeichnis
Erythropoietin 21f, 241 – Höhe 127 – Niere 225f Erythrozyten 18ff – Energiesubstrate 184 – Fahraeus-Lindqvist-Effekt 72 – fetale 283, 285 – hormonelle Regulation 241 – Karboanhydrase 121 – Liquor 310 – O2-Transport 117 – Schock 86 – Viskosität 73 essentielle Hypertonie 85 Essigsäure 299, 301 ETB-Rezeptoren, NO-Synthase 90 Euler-Liljestrand-Mechanismus 93, 114 Euphorisierung 242 Eupnoe 125 Evansblau 78, 196 evozierte otoakustische Emissionen 415 evozierte Potenziale 411, 439 exokrine Drüsen 80, 92, 163ff, 332, 334 Exopeptidasen 165 Exophthalamus 258 Exozytose 7, 298 Expirationsmuskulatur 106ff, 161f explizites Gedächtnis 447 Exspiration 106-110 Exspirationsgeschwindigkeit 106 Exspirationsstromstärke, maximale 106 exspiratorische Neurone 123f exspiratorisches Reservevolumen 104 Extensoren, Fremdreflexe 351 – Liftreaktion 363 – Muskeltonus 354 Extinktion 446 extrafusale Muskulatur 347, 350 Extrallulärvolumen 200 Extrapyramidale motorische Systeme 346 extrasynaptische Rezeptoren 331 Extrasystolie 53f Extrazellulärraum 195f, 198, 200 Extremitätenableitungen 49, 51 extrinsisches System 28, 30 exzitatorisches postsynaptisches Potenzial 7 EPSP
F FA (fast adapting), Rezeptoren 375 Fab-Segment 35 Fahraeus-Lindqvist-Effekt 72 F-Aktin 314 Faktor V 28, 30 Faktor X 28 Faktor XII 31 Faktor XIII 26, 28 Falx cerebri 310 familiäre Proteinintoleranz 169, 220 Faraday-Konstante 4 Farbe, parvozelluläres System 405 Farbenblindheit 401 Farbenmischung 391 Farbensehen 398, 4011 Farbkonstanz 401 Farbsättigung 391 Fasciculus arcuatus 420f 1a-Fasern 349 1b-Fasern 351 Fassthorax 110f Fasten 134, 205 faulig 429, 432 Fäulnisstuhl 178 Fazilitation 348 Fc Rezeptoren 33 Fc-Segment 35 Fe2+ 7 Eisen Feinmotorik 363 Ferguson-Reflex 285 Fernakkomodation 393 Ferrireduktase 176 Ferritin 176 Fertigkeiten 447 Fertilität 154, 274, 278, 287 fetaler Kreislauf 96, 281 fetales Hämoglobin 117f Feten 282ff fetoplazentare Einheit 281 A1-Fetoprotein 25 Fette 150 – biologischer Brennwert 150 – energetisches Äquivalent 150 – Energiequellen 182 – kalorisches Äquivalent 183 – respiratorischer Quotient 150 – spezifische dynamische Wirkung 150 – vegetatives Nervensystem 332 – Verdauung 173
Fettgewebe, braunes 188f – Hormone 241f, 255, 273 Fettleibigkeit, Diabetes mellitus 264 – Schlafapnoe 444 Fettsäuren 10, 151, 320 – Diabetes mellitus 264 – Energiestoffwechsel 66, 183 – Ermüdung 147 – essentielle 150 – Hormone 255, 263, 265 – Muskelarbeit 140f – Niere 226 – Plasma 18, 24f – Säure-Basen-Haushalt 133f Fettstoffwechsel, Leber 171 Fettstühle 165 Fettverteilung 273, 277 Fetus 283f Fibrinogen 24, 26, 28f Fibrinolyse 25, 27, 29ff Fibrin-stabilisierender Faktor 29 fibroblast growth factor (FGF) 28, 246 Fibronektin 28 Fibroblasten 33 Fibrosierung 251 Fick-Diffusionsgesetz 4 Fick-Prinzip 78 Fieber 38, 125, 190, 242 fight and flight reaction 338 Filtration, glomeruläre 79, 212f – periphere 78f Filtrationsdruck 78f, 213 Filtrationsgleichgewicht 213 Fingerfertigkeit, CM-System 363 Fingernägel 153 Fingerspitzen 376f fixe Säuren 132 Flexoren, Fremdreflexe 351 – Körperstellung 363 Flimmerhaare, Atemwege 101 Fluor 151, 153 Flüssigkeitsräume 194f Flüsterdreieck 419 Flüstern 419 fokale Erregung 53 Folgebewegungen 344, 394 Follikel stimulierendes Hormon (FSH) 237, 240, 248, 277f Follikelreifung 240 Follikelzellen 275f, 279 Follitropin 7 FSH Folsäure 22, 151f, 169, 177 Foramen magnum 309f Foramen ovale 96f, 413f Foramen rotundum 412ff Foramina interventricularia 310
Foramina Luschkae 310 Formatio reticularis 371 – Atmungsregulation 123 – Geruch 432 – Gleichgewicht 424 – Motorkortex 345 – Schlaf 444 – Thalamus 372 Formiat 217 Formiminoausscheidung 152 Fornix 449 Fovea centralis 392, 398ff, 404 Fraktion, Gas 2f fraktionelle Ausscheidung 229 Frank-Starling-Mechanismus 67 freie Nervenendigung 368f, 381 freie Wasser-Clearance 229 Freizeitumsatz 184 Fremdreflexe 351 Frenzelbrille 425 Frequenz, Tonanalyse 418 Frequenzinotropie 48, 68 Frequenzkodierung 307 Frequenzmodulation 295 Frequenzoptimum, Vibrationsensoren 376 Frequenzselektivität 416 Frequenzunterschiedsschwelle 411 Fresssucht 338 frontales Augenfeld 395, 406 Frontalhirn 421, 432, 445, 449 Frühgeburten 105 Fruktose 169ff, 175 B-Fruktosidase 165 Fruktosurie 171 FSH 237, 240, 248, 277f Fühler, Reflex 347 Füllschlaf 443f Füllungsphase 59 functional magnetic resonance imaging 438 Fundusskopie 398 funikuläre Myelose 152 funktionelle Kernspin-Resonanz 438 funktionelle Organisation, Tastsinn 376 – Warm-/Kaltsinn 378 funktionelle Residualkapazität 104f
G GABA (G-Aminobuttersäure) 291, 299ff, 357
463 Sachverzeichnis
– Basalganglien 356 – Großhirnrinde 436 – Hormonausschüttung 250, 255, 265 – präsynaptische Hemmung 371 – Pyridoxalphosphat 152 GABAA 301 GABAB 301 G-Aktin 314 Galaktopoese 240 Galaktosämie 171 Galaktose 169ff, 175, 216 B-Galaktosidase 165 Galanin 245, 263 Galle 161, 168ff Gallenblase 159, 170, 380 Gallenfarbstoffe 169 Gallenkanalikuli 169 Gallensäuren 25, 159, 168ff, 174f – Schilddrüsenhormone 257 Gallensekretion, Neugeborene 168ff, 286 Gallensteine 179 Gameten 279 Gangataxie 361 Ganglien, vegetative 329f Ganglienblocker 331 Ganglienzellen 399 – Retina 397, 405 Ganglion cervicale superius 328, 393 Ganglion ciliare 393 Ganglion coeliacum 328 Ganglion mesentericum inferius (superius) 328 Ganglion pterygopalatinum 394 Ganglion spirale 415, 417 Ganglion stellatum 328 Ganzkörperplethysmograph 111, 112 gap junctions 42, 298, 300 – Azidose 131, 135 – Gehör 415f – glatter Muskel 325 – Herz 45, 47 – Uteruskontraktionen 285 Gärungsstuhl 178 Gasaustausch, Lunge 115 Gasdiffusion, alveolare 103 Gase, Eigenschaften 3f, 102 gastric inhibitory polypeptide (GIP) 159, 166, 178, 244, 263 Gastrin 159, 166f, 178 – cAMP 244 – Insulinausschüttung 263
– Ösophagussphinkter 160 – vegetatives Nervensystem 332 gastrin releasing peptide (GRP) 166f gastrische Phase 178 Gastroenterokolitis 152 Gastroferrinmangel 169 gastrointestinale Hormone 178 Gastrointestinaltrakt, 89, 158ff – Durchblutung 89, 94f – Fetus 284f – Hypothalamus 336 – Mangan 153 – Muskulatur 157ff, 325 – Nozizeptoren 380 – Säure-Basen-Haushalt 134 – Sekretion 163 – viszerale Afferenzen 329 Gaumensegel 160 GDP 28, 244 Gebärmutter 273 Geburt 96f, 274, 285ff Gedächtnis 339, 437f, 446ff Gedächtniszellen 37 Gefäßabschnitte 74 Gefäßaneurismen 97 Gefäße 72ff – hormonelle Regulation 242, 260, 265, 331 – vegetatives Nervensystem 334 – viszerale Afferenzen 329 Gefäßmuskulatur 92, 325 Gefäßpermeabilität 381 Gefäßsinus 84 Gegenstromsystem 187, 221 Gehbewegungen 362 Gehirn 89, 98, 290ff – Durchblutung 84, 89f, 92f, 310 – Endothel 8 – Energiesubstrate 184 – Entwicklung 9, 271, 284, 444 – Hyperoxie 121 – Nozizeptoren 380 – Schock 86 – vegetatives Nervensystem 332 Gehör 372, 410ff Gehörgang 413 Gehörknöchelchen 413 gekreuzter Streckreflex 351 gelber Fleck 398 Gelbkörper 7 Corpus luteum Gelenkrezeptoren 369, 373, 379 Gelenkschwellungen 152 generalisiertes thalamokortikales System 373 Generatorpotenzial 369
genetische Defekte, Ionenkanäle 322 – Transmitterstoffwechsel 301 Genexpression 242, 244, 246f Genitalgefäße 92, 334 Genitalorgane 271ff, 328f Gerätetauchen 121 Gerinnung, humorale 28ff, 154, 274 Gerinnungsfaktoren 24f, 28ff, 170f Geruch 428f, 432f Gesamtbrechwert, Auge 391 Gesamtkörperwasser 196 Geschicklichkeit 447 Geschlecht 271ff – Flüssigkeitsräume 194 – Nozizeptoren 380 Geschlechtsorgane 271ff, 332, 380 Geschmack 428ff Gesichtsfeld 403f Gesichtsinn 372, 390ff Gestagene (Progesteron) 239, 241, 259, 271ff, 281 – Antagonisten 276 – Atmung 125 – Geburt 285 – intrazelluläre Rezeptoren 243 – Kerntemperatur 188 – Menstruationszyklus 275f – Milchdrüsen 273, 286 – Nahrungsaufnahme 156 – Niere 211 – Pseudohyperaldosteronismus 251 – Somatotropin 255 Gestalt, parvozelluläres System 405 Gewebethromboplastin 30 Gewebshormone 159 Gewebsläsionen 381 Gewebsmakrophagen 32 Gewebsmastzellen 32, 36, 38, 101, 242, 382 Gewebsthromboplastin 28 Gewicht 282f Gewichtsverlust 153, 262 GFR 7 glomeruläre Filtrationsrate Ghrelin 155 GHRH 254 GHRIH 240 Gibbs-Donnan-Potenzial 23, 212 Gicht 220, 225 GIP 7 gastric inhibitory polypeptide Gitelman-Syndrom 220 G-Kinase 7 Proteinkinase G
E–G
glandotrope Hormone 247, 337 Glandulae parotides 165 Glandulae sublinguales 163, 165 Glandulae submandibulares 163, 165 Glans penis 280 Glanzstreifen 47 glatter Muskel 325f Glaukom 195, 394 Gleichgewicht 362, 379, 395, 422ff Gleichgewichtspotenzial 4f, 12f, 292, 322 Gleichgewichtssinn 422ff Gliazellen 8f, 300, 308f globale Aphasie 421 G-Globuline 24, 26 Globuline 18, 23ff Globus pallidus 356, 372 Glomera aortica 124f, 380 Glomera carotica 124f, 380 Glomerula, Niere 209 glomeruläre Filtrationsrate 213ff – Blutdruckregulation 82 – Hormone 211, 241f, 252, 257, 265 – Hypothermie 188 – Messung 228 – Schwangerschaft 282 – tubuloglomeruläre Balance 224 – zirkadiane Periodik 442 Glomerulonephritis 212, 214, 225 glomerulotubuläre Balance 224 Glomerulum 212 Glomerulumfiltrat 196 Glomerulumkapillaren 210, 213 Glossitis 152 Glottis 160 glucagon like peptides (GLP) 244, 263, 265 Glück 448 Glukagon 237, 241, 262ff – cAMP 244 – Energiesubstrate 255 – Fetus 283 – Gewebshormone 159 – Herzkraft 69 – Inaktivierung 226 – Magnesium 206 – Niere 211, 226 – Sättigung 155 – Somatotropinausschüttung 254 – Unterernährung 154 – vegetatives Nervensystem 332, 334
464
Sachverzeichnis
Glukokinase, Insulinausschüttung 262 Glukokortikoide 241, 258ff – Aktionstremor 364 – ANF 252 – Blutdruckregulation 83, 85 – Diabetes mellitus 264 – Herzkraft 68 – Immunsuppression 37, 239 – intrazelluläre Rezeptoren 243 – Milchdrüse 286 – Nahrungsaufnahme 156 – Niere 211 – NO-Synthase 91 – Schilddrüsenhormone 257 – Surfactants 105 – zirkadiane Periodik 442 Glukoneogenese 150, 260 – Alkalose 136 – Hormone 237, 240f, 255, 263, 265 – Leber 170 – Muskelarbeit 140f – Niere 226 – pH 131 Glukorezeptoren 155, 338 Glukose, ATP-Gewinnung 320 – Blut-Hirn-Schranke 311 – Chemorezeptoren 369, 380 – Depressionen 450 – Energiestoffwechsel 183 – Ermüdung 147 – Erythrozyten 20 – Geschmack 429 – Herz 66 – Hormone 237, 262ff – intestinale Absorption 169 – Liquor 310 – Muskelarbeit 140f – Niere 215f, 221, 223, 226, 230 – Plasma 18 – Tränen 394 – Transport 175, 215f, 217, 282 – Viszerozeption 368 Glukose-Galaktosemalabsorption 169, 220 A-Glukosidase 165 Glukosurie 221, 264 Glukuronsäure 169 GLUT1, 2, 5 175, 282 Glutamat 299ff, 350, 423 – Afferenzen 370 – Basalganglien 356f – Gedächtnisbildung 447 – Großhirnrinde 436 – Innenohr 415 – Kleinhirn 359 – NMDA-Rezeptoren 303
– Retina 398f – Schlaganfall 98 Glutamatantagonisten 358 Glutamin 183 – Niere 216, 226 – Säure-Basen-Haushalt 130, 132f Glutaminase 130, 132, 226 Glutaminsynthese 170 Glutathion 20 Glutathionreduktasemangel 20 Glycerin 183 Glycerophosphorylcholin 279 Glykogen 150, 320 – Energiestoffwechsel 183 – Erholung 147 – Gewebshormone 159 – Hormone 237, 241, 255, 257, 263, 265 – Leber 170f – Muskelarbeit 141 – Muskelfasertypen 323 – Unterernährung 154 – vegetatives Nervensystem 265, 332 Glykolyse, Alkalose 131, 134, 136 – anaerobe 121 – Azidose 131, 135 – Erythrozyten 20 – hormonelle Regulation 240f, 255, 257, 261, 263 – Muskelfasertypen 323 – Thrombozyten 27 Glykoproteine 25ff Glykosaminoglykane 165, 257 Glyzerophosphorylcholin 197 Glyzin, Absorption 169 – Niere 215, 230 – Transmitter(synthese) 299ff, 322, 347 GM-CSF (granulocyte-makrophage colony stimulating factor) 33 GnRH (gonadotropin releasing hormon) 240, 248, 272f, 276f Goldberger, Ableitungen 49 Goldmann-Gleichung 4 Golgi-Apparat 10f Golgi-Sehnenorgane 251, 369, 379 Golgi-Zelle 359 Gonaden 271ff, 380 Gonadoliberin (gonadotropin releasing hormone, GnRH) 240, 248, 272f, 276f Gonadotropine (7 FSH, LH) 248, 272f
G-Proteine 244f, 399 – Geruch 432 – Geschmack 430 – vegetatives Nervensystem 68 – Zellproliferation 15 Graaf-Follikel 279 Gradient 5 Granula, Thrombozyten 28 granulocyte-macrophage colony stimulating factor (GM-CSF) 33 Granulosazellen 273, 279 Granulozyten 18, 31ff, 38, 262 – Fetus 284 – hormonelle Regulation 241, 262 grauer Star 392 Grenzdextrine 173 Grenzstrang 328 Grenzstrangganglien 329 Großhirnrinde 436ff – Afferenzen 371 – Blutdruck 85 – Geruch 432 Miktion 335 – Thalamus 372 – Temperatursinn 378 growth hormone 7 Somatotropin Grünblindheit, Deuteranopie 401 Grundumsatz 183f – Hormone 241, 257f, 274 – Hypothermie 188 Grünschwäche, Deuteranomalie 401 Gruppe-II-Fasern 348ff Gruppe-III-Fasern 351 GTP 28, 244 Guanylatzyklase 91, 245 – Gedächtnisbildung 447f – Langzeitpotenzierung 306 – NO-Synthase 90 – Retina 398 Gustducin 430 gustofazialer Reflex 429 Gyrus cinguli 310, 448f – Bewusstsein 445 – Thalamus 372 – viszerale Sensibilität 380 Gyrus dentatus 448 Gyrus parahippocampalis 448f Gyrus postcentralis 373 – Bewegung 345 – Geschmack 430 – Gleichgewicht 424 – Vestibulariskerne 354
Gyrus praecentralis (7 Motorkortex) 344 Gyrus subiculum 448 G-Zellen 159, 166f
H H+ 90, 121f, 129ff – Chemorezeptoren 369, 380 – Gefäßmuskeln 326 – Gliazellen 309 – Magen 159, 166 – Niere 130, 216, 251 – Schmerz 382 – Viszerozeption 368 H+/K+-ATPase (7 K+/H+-ATPase) 5, 166, 219 H+-ATPase 5, 219f, 224, 251 H+-Ausscheidung, Niere 130 H+-Fe2+-Cotransporter 176 H2, Tauchen 128 H2CO3 121, 129ff H2O, Absorption 176 H2O2 10 H2-Rezeptoren 68, 166f Haarausfall 153, 277 Haarfollikel-Rezeptoren 368f, 376 Haarscheibe 368 Haarzellen 415, 422f Habituation 378, 446 Hageman-Faktor 29 Hagen-Poiseuille-Gesetz 72 hairless woman 278 Halbseitenläsion 385 Halbwertszeit 237 Haldane-Effekt 122 Halluzinationen 444f Halothan 190, 323 Halsvenen 76, 84 Haltearbeit 94, 140, 143 Haltemuskulatur 323 Haltereflexe 354 Haltetremor 364 Häm 19, 25, 117 Hämatin 25 Hämatokrit 18 – Arbeit 143 – Schwangerschaft 282 – Viskosität 72f – Wasser- und Elektrolythaushalt 198 Hämatopoese 18ff, 33 Hamburger Shift 122 Hammer 413 Hämochromatose 153
465 Sachverzeichnis
Hämodialyse 225 Hämodynamik 72 Hämoglobin 19, 23, 117, 122 – Anämie 21 – Fetus 282, 284 – Hypothermie 188 – O2-Bindungskurve 118 – Plasma 18, 24f Hämoglobinopathien 20 Hämolyse 20 – Hyperkaliämie 203 – Kupfer 153 – Tocopherole 152 hämolytische Anämie 22 Hämopexin 25 Hämophilie A 29 Hämorrhoiden 94 Hämosiderose 153 Hämostase 27-31 Hand 376f Handlungen 447 Hapten 24ff, 35 Haptoglobin 35 Harn 196f, 199, 215 Harnblase 227, 329, 380 Harnkonzentrierung 221ff, 253 Harnröhre 335 Harnsäure, Niere 215, 217, 228, 230 – Plasma 18 – Puffer 130f – Urolithiasis 227 Harnsteine 169, 179, 200, 205, 220, 225ff, 253 Harnstoff 183 – Niere 215, 222f – Plasma 18 Harnstoffsynthese, Leber 132, 170f Harnwege, ableitende 227, 380 Hartnup-Krankheit 169, 220 Hauptsprachbereich 410 Hauptzellen 165, 218f Haustren 162, 175 Haut 89 – Durchblutung 86, 89, 94, 143 – Hormone 257, 277 – Mangan 153 – vegetatives Nervensystem 332 – Wärmeabgabe 186 – Zink 153 HbA 117 HbF 117 HCN (hyperpolarisations-aktivierter Kanal), Herz 43, 68 HCO3– 121f, 131ff, 176, 195f – Gastrointestinaltrakt 167ff
– Niere 133, 196, 215f, 221 – Parathormon 204 – Speichel 165 HDL (high density lipoproteins) 23 – Bewegungsmangel 141 – Hormone 273f, 277, 287 Head-Reflex 124 Head-Zonen 383 Hedonik 432 Heißhunger 155 Helferzellen 36 Helicobacter pylori 167 Helicotrema 414 Helium 111, 128 heller, erster Schmerz 381 Hemeralopie 399 Hemiballismus 357f Hemineglekt 373, 387, 406 Hemisphären 360, 438 Hemmung, präsynaptische 306 Henderson-HasselbachGleichung 129, 131 Henle-Schleife 209ff, 215ff, 221ff Heparin 30ff Hering-Breuer-Reflex 124 Herniation 310 Hernien, Ileus 162 Herpes-Viren 8, 297 Herz 42ff, 89, 319f – Aktionspotenzial 14f – Dehnungsrezeptoren 380 – Ernährung 65f – Hormone 241, 260, 265, 331 – Nozizeptoren 380 – O2-Ausschöpfung 89, 120 – Schock 86 – vegetatives Nervensystem 67ff, 265, 328, 331f – viszerale Afferenzen 329 Herzachse, EKG 52 Herzarbeit 60, 62 Herzfrequenz 46, 68 – Arbeit 143f – Blutdruck 81, 84ff – Herzkraft 48 – Hormone 242, 252, 257f – juxtakapillärer Reflex 124 – Körpertemperatur 188 – REM-Schlaf 443 – vegetatives Nervensystem 68, 333 Herzgeräusche 59 Herzgröße 146 Herzinfarkt 52f, 66, 264 – metabolisches Syndrom 154 – Schmerz 336, 383
Herzinsuffizienz 69, 152, 205, 251 Herzkammern 59, 380 Herzklappen 57 Herzkraft 48, 55ff, 61f, 68f, 320 – Azidose 131, 135 – Blutdruck 81f – Hormone 241f, 252, 257, 264f – vegetatives Nervensystem 68f, 333 Herzminutenvolumen 7 Herzzeitvolumen Herzmuskel 57, 66, 319, 324 – Ischämie 98 – Substratbedarf 185 Herznerven 68 Herzrhythmusstörungen 52ff, 136 Herzstillstand 52, 203, 319, 319 Herztöne 58f Herzzeitvolumen 60, 76f – Arbeit 141, 143f – Atemspende 128 – Bestimmung 78 – Blutdruck 81f, 84f, 87 – Hyperoxie 121 – Hyperthermie 188 – Muskelarbeit 143 – O2-Aufnahme 115f – Schwangerschaft 282 – Sportlerherz 69 – zentraler Venendruck 78, 88 Herzzyklus 59 heterotyper Kortex 437 Heuschnupfen 38 Hill-Gesetz 57, 317 Hinterhorn 371 Hinterstrangbahnen 371, 379, 385 Hippocampus 373, 432, 447ff Hirndruck 188, 309f Hirndurchblutung 93, 310, 443 Hirnentwicklung 257, 291, 309 Hirngefäße 127 Hirnhäute 380 Hirnhautentzündung 8 Hirnödem 195, 197, 200 Hirnrinde 438, 442 Hirnsinus 310 Hirnstamm 355 – Afferenzen 371 – Glukorezeptoren 155 – Großhirnrinde 436 – Hunger 338 – Kleinhirn 361 – motorische Funktionen 345, 353f – Tränensekretion 394
G–H
– vegetatives Nervensystem 336f – viszerale Afferenzen 329 – zirkadiane Periodik 442 Hirnstammaudiometrie 411 Hirntod 439 Hirntumore 8, 80, 311 His-Bündel 47, 51 Histamin 32, 36, 242 – Allergie 38 – Blut 25 – Bronchien 102, 111 – Gefäße 92, 124 – Glukokortikoide 260 – Herz 68 – Niere 211 – NO-Synthase 90 – Ösophagussphinkter 160 – Salzsäuresekretion 166f – Schmerz 381 – Signaltransduktion 245f – Transmitter(synthese) 239, 299 – vegetatives Nervensystem 332 Histidin 215 Histokompatibilitätsantigene 35 Histone 35 Hitze 86, 189 Hitzewallungen 287 Hitzschlag 190 HLA: human leukocyte antigens 35 Hochdrucksystem 73f, 81-85 Höchstleistungsgrenzen 142 Hochwuchs 274, 278 Hoden 8, 271, 278 Hoffmann-Reflex (H-Reflex) 348 Höhe 102f, 125, 127, 134 Homoiothermie 186 Homöostase 336 homotyper Kortex 437 Homunculus, Motorkortex 344 Homunculus, somatosensorischer Kortex (SI) 373 Hörbahn 417 Hören 410ff Horizontaltyp, EKG 52 Horizontalzellen 397, 399 Hörkurven 410 Hormone 236ff, 240ff, 255 – Halbwertszeit 237 – Niere 226 – Plasmaproteinbindung 24f – Synthese 239 – vegetatives Nervensystem 334, 337
466
Sachverzeichnis
hormonregulierte Gene 243 hormonresponsive Elemente (HRE) 243 Hormonrezeptoren 243 Hormonsubstitution 239, 287 Horner-Syndrom 393 Hörnervenaktionspotenzial 412 Hörnervenfasern 415f Hornhaut 392 Horopterkreis 406f Hören 409ff Hörrinde 372, 418, 420 Hörschwelle 410f Hörtests 411 HPO42– 7 Phosphat HPO42–/H2PO4–, Puffer 130 H-Reflex 348 HSP 30 243 5HT1 301 humanes Choriongonadotropin 281 humanes Chorionsomatomammotropin (HCS) 281 Hunger 155, 183, 338 Husten, Hyperoxie 121 – Irritationsrezeptoren 380 – trigeminaler Sinn 428 Hustenreflex 101, 124 hydraulische Leitfähigkeit 3f, 79f, 213 hydrostatischer Druck 4, 78ff B-Hydroxybutyrat, Leber 170, 226, 259, 264 18-Hydroxykortikosteron 250 1A-Hydroxylase 226f 17A-Hydroxylase 259 11B-Hydroxylase 251, 259, 261 18-Hydroxylase 259 21B-Hydroxylase 259, 261 Hydroxylasen 226 17-Hydroxypregnolon 259 17-Hydroxyprogesteron 259 18-Hydroxyprogesteron 259 Hydroxy-Prolin 169 1, 5-Hydroxypantadecansäurelacton 429 11B-Hydroxysteroid-Dehydrogenase 226, 250, 261 17-Hydroxysteroide 25 5-Hydroxytryptophan 300 Hydrozephalus 310 Hypästhesie 385 Hyperakusis 152, 413 Hyperaldosteronismus 202, 251f Hyperalgesie 381f Hyperämie, reaktive 94 Hyperammoniämie 80, 171, 311
Hyperästhesie 336, 385 Hyperbilirubinämie 171 Hypercalciämie 205 – Bewusstlosigkeit 445 – Ca2+-Rezeptor 224 – Calcitonin 253 – Harnkonzentrierung 223 – Herz 45, 52 Hypercalciurie, Ca2+-Rezeptor 224 Hypercholesterinämie 258 hyperdiastolische Regulationsstörung 84 Hyperglykämie, Bewegungsmangel 141 – Bewusstlosigkeit 445 – Diabetes mellitus 264 – Glukokortikoide 261 – Leberinsuffizienz 171 – Somatotropin 255 Hyperguesie 431 Hyperhydration 198, 225 Hyperkaliämie 203 – Arbeit 143 – Herz 45, 48, 52 – Hormone 252, 262 – Niere 220, 225 – Säure-Basen-Haushalt 133ff, 201 Hyperkapnie 122, 125 Hyperkeratose 152 Hyperkinesie 8, 311, 358 Hyperkolumne 406 Hyperlipidämie 264 Hyperlipidazidämie 171 Hyperlipoproteinämie 255, 264 Hyperopie 391ff Hyperosmie 433 Hyperosmolarität 8, 80 Hyperoxie 121 Hyperparathyreoidismus 205, 253 Hyperphagie 339 Hyperphosphatämie 225 Hyperplasie, Hormondrüsen 238 Hyperpnoe 125 Hyperpolarisation, glatter Muskel 326 – IPSP 302 – Retina 398 – Rezeptorpotenzial 369 Hyperproteinämie 26 Hyperreflexie 346, 348 – Rückenmarksdurchtrennung 335, 365 – Schilddrüsenhormone 258 Hypersomnie 445
Hyperthermie 187-190 – Epilepsie 446 – Herz 46 – maligne 190 Hyperthyreose 87, 258, 365 hyperton-hypokinetisches Syndrom 357 Hypertonie 85, 310, 364 – Glukokortikoide 261 – Insulin 154 – Liddle-Syndrom 220 – Nierenversagen 225 – Schlaganfall 97 – Schwangerschaft 282 Hypertrophie, Hormondrüsen 238 Hyperurikämie 220, 225 Hyperventilation 125 – Arbeit 144 – CO2-Partialdruck 122 – Gehirndurchblutung 90 – Gestagene 274 – Höhe 127 – respiratorische Alkalose 134 Hyperventilationstetanie 93, 136 Hypoaldosteronismus 203, 252 Hypocalciämie 204f – Epilepsie 446 – Herz 45, 52 – Phosphatüberschuss 205 – Tetanie 290, 322 hypocalciurische Hypercalciämie 220 hypodiastolische Regulationsstörung 84 Hypofibrinogenämie 29 Hypoglykämie 262, 264 – Alkalose 136 – Bewusstlosigkeit 445 – Epilepsie 446 – Ermüdung 147 – Hormone 237, 254, 258f, 265, 300 – Leberinsuffizienz 171 Hypoguesie 431 Hypokaliämie 202 – Alkalose 136, 201 – Herz 45, 50, 52 – Hyperaldosteronismus 251f – Ileus 162 – Insulinausschüttung 262 – Na+-H+-Austauscher 134 – Transportdefekte 220 Hypokapnie 122, 127, 322 Hypokinesie 357 Hypolipidämie 171 Hypomagnesiämie, Epilepsie 446
Hypoparathyreoidismus 205, 253 Hypophyse 238, 240, 247f, 337 Hypophysenhinterlappen 8, 80, 311 Hypophysenvorderlappen 247 hypophysiotrope Hormone 247 hypophysiotrope Zone 337 Hypoproteinämie 26 Hyporeflexie 202, 258, 348 Hyposmie 433 Hypothalamus 338f, 393 – Blutdruck 82, 85 – Durst 156 – Fieber 190 – Geruch 432 – Geschmack 430 – Gleichgewicht 424 – Glukorezeptoren 155 – Hormonbildung 240, 247, 250 – Hypersomnie 445 – Läsionen 339 – limbisches System 449 – Miktion 335 – Nahrungsaufnahme 153f, 156, 338 – Temperaturregulation 188, 378 – Thalamus 372 – vegetatives Nervensystem 336f – Vestibulariskerne 354 – viszerale Sensibilität 380 – zirkadiane Periodik 442 Hypothermie 46, 187ff Hypothyreose 153, 258 hypoton-hyperkinetisches Syndrom 358 Hypotonie 85, 364 Hypourikosurie 220 Hypoventilation 122, 125, 134 Hypovolämie 82, 86, 251 hypovolämischer Durst 156, 338 hypovolämischer Schock 86 Hypoxämie 116 Hypoxie 120 – Asphyxie 125 – Höhe 102, 127 – Katecholamine 330 – Tauchen 128
I ICSH (interstitial cell stimulating hormone) 276 IgA 36, 101, 164, 287, 394
467 Sachverzeichnis
IgD 36 IgE 36, 111 IGF (insulin-like growth factor) 242, 255 IgG 36 IgM 36 Ikterus 170 Ileum (7 Darm) 168f, 176 Ileus 162, 202 Iminoglyzinurie 220 Immobilisierung 205 Immunabwehr 32ff, 260 – Glukokortikoide 260 – Plasmaproteine 25f – Prolaktin 274 – Somatotropin 256 Immunadhärenz 34 Immunglobuline (7 IgA-M) 26, 35, 282 Immunisierung 37 Immunkomplex 38 Immunologie 32f, 35ff Immunschwäche 37 Immunsuppression 37 Immunsystem 32ff Immuntoleranz 37f Impedanzwandler 413 Implantation 280 impotenz 153 Inaktivierung Hormone 236 indian childhood cirrhosis 153 Indifferenzebene 84 Indifferenztemperatur 189, 377f Indifferenztyp 52 induced proteins 243 induzierbare NO-Synthase (iNOS) 246 Infarkt, Herz 7 Herzinfarkt Infektanfälligkeit 152ff Infektionen, Bewusstlosigkeit 445 – Feten 282 – Fieber 190 – Hormondrüsen 239 – Immunschwäche 37 – Kortisolausschüttung 259 – Liquor 310 – NO-Synthase 91 – Placenta 282 – Plasmaproteine 26 – Tränen 394 Infertilität 154, 274, 278, 287 Informationsfluss 356, 359 Informationsübertragung 330 Informationsverarbeitung 404f Infusion 86 Inhibin 241, 273, 276f
inhibitorisches postsynaptisches Potenzial (IPSP) 302 innate immunity 34 Innenohr 414f Innenohrschwerhörigkeit 411, 416f Innensegmente, Photorezeptoren 398 iNOS 91 Inositol, Zellvolumen 175, 197 Inositoltetrakisphosphat (InsP4) 15, 245f Inositoltrisphosphat (IP3) 91, 245, 320 – Geschmack 430 – Thrombozyten 27 – glatter Muskel 326 – Zellproliferation 15 inotrop 47f, 68, 334 Insel 382, 430, 432 Inselrinde 354, 373, 378, 380, 424, 448 Insomnia 444 InsP3, metabotrope Rezeptoren 303 1,4,5-InsP3 7 Inositoltrisphosphat 1,3,4,5-InsP4 7 Inositoltetrakisphosphat Inspiration 106ff – Schlagvolumen 67 Inspirationsluft 102 inspiratorische Neurone 123f inspiratorische Reservekapazität 104 inspiratorisches Reservevolumen 104 instrumentelle Konditionierung 446f insulärer Kortex 7 Inselrinde Insulin 15, 241, 362ff – ACTH 259 – Arbeit 143 – Energiesubstrate 255 – Fetus 283 – Gewebshormone MagenDarm-Trakt 159 – Hypokaliämie 202 – K+-Haushalt 201, 203 – Kinasekaskaden 246 – Klotho 227 – Magnesium 206 – Milchdrüse 286 – Nahrungsaufnahme 156 – Niere 211, 226 – Somatotropin 255 – Überernährung 154 – Unterernährung 153
– vegetatives Nervensystem 332, 334 insulin dependent diabetes mellitus (IDDM) 264 insulin-like growth factors (IGF) 242, 255 Insulinmangel, Azidose 134 integrative Leistungen, ZNS 436ff, 442 Integrine 32 intellektuelle Entwicklung 257 Intentionstremor 361, 364 interdigestive Phase 157 Interferon 32ff, 444 Interleukine 33, 35, 190, 444 intermediäre Zone, Rückenmark 328 Intermediärfilamente 10 Interneurone 305, 347f, 436 Internodium 295 intersitieller Raum 194 interstitielle Flüssigkeit 195 Inter-A-Trypsin-Inhibitor 25 intestinale Absorption (7 Darm) 169 intestinale Phase 166, 178 intrafusale Muskulatur 347, 349f intralaminarer Kern, Thalamus 372 intrazelluläre Flüssigkeit 195 intrazelluläre Rezeptoren 239, 243 Intrazellulärraum 194ff, 198 Intrazellulärvolumen 200, 206 intrinsic Factor 166f, 169, 177 intrinsisches System 28, 30 Inulin 196, 228 Inzisur 59, 75 Ionen, Diffusion 5 Ionengradienten 291 Ionenkanäle (7 Na+-, K+-, Cl–- und Ca2+-Kanäle) 6, 13, 290 – genetische Defekte 322 – Insulinausschüttung 262 – ligandengesteuerte 303 – mechanosensitive 423 – Rezeptorpotenzial 369 Ionenprodukt, CaHPO4 203 Ionenstärke 2 Ionenströme, Aktionspotenzial 15 IP3 7 Inositoltrisphosphat Iproniazid 450 IPSP 302f, 305 Iris 392 iron-regulating protein (IRP) 176
H–K
Irritationsrezeptoren 124, 380 Ischämie 97f, 121 – Niere 225 – Bewusstlosigkeit 445 – Blutdruck 83 – Geschmack 431 – Herz 66 – Innenohr 415 isobares Maximum 60 Isoleucin 151, 170 isolierte Glukosurie 220 Isomaltase 165 Isomaltoseintoleranz 165 isometrische Kontraktion 57, 316 Isophone 410 Isoproterenol 331 isotone Kontraktion 57, 61, 316 Isovaleriansäure 429 isovolumetrische Erschlaffung 59f isovolumetrische Kontraktion 59ff Istwert 188, 348 I-Zellen 159
J Jactatio capitis 445 Jähzorn 449 Jejunum (7 Darm) 168f, 176 Jendrassik Handgriff 348 Jet lag 444 Jod 151, 153, 256ff Juckreiz 242, 368, 381f Jugularispuls 56, 59 Junction Adhäsion Moleküle (JAM) 8 junction Gene 36 juxtaglomerulärer Apparat 209, 224 juxtakapillärer Reflex 124 juxtamedulläre Glomerula 209, 211
K K+ 195f, 199ff – Absorption 176 – Aldosteron 251 – Chemorezeptoren 380 – Gefäßmuskeln 326 – Gleichgewichtspotenziale 292
468
Sachverzeichnis
K+ – Gliazellen 309 – Herz 45 – Hirndurchblutung 93 – Hormone 241f, 261, 263f – Konzentration 12f, 97, 195f, 320 – Niere 215, 223, 242 – Schmerz 381f – Skelettmuskel 318 – vegetatives Nervensystem 332 – Viszerozeption 368 K+/H+-ATPase 167, 176, 201 K+-Kanäle 176, 290 – Aktionspotenzial 14 – Bahnung, präsynaptische 306 – Bewusstlosigkeit 445 – Chemorezeptoren 124 – EDHF 91 – Erythrozyten 20 – Geschmack 430 – glatter Muskel 326 – Herz 42ff, 52ff, 68 – Innenohr 414, 416 – IPSP 302 – Membranpotenzial 13 – Niere 216, 218, 220, 224 – NO-Synthase 90 – pH 131 – Retina 398 – Säure-Basen-Haushalt 133 – vegetatives Nervensystem 68 – Verdauungsdrüsen 164 – Zellproliferation 15 – Zellvolumen 197 Kaffee 166 Kakosmie 433 Kalium 7 K+ Kallikrein 25, 28f, 165 Kalorimetrie 184 kalorische Reizung, Bogengänge 424 kalorischer Nystagmus 425 kalorisches Äquivalent 183f Kälte, ADH 250 – Atemstillstand 125 – Blutdruck 86 – Somatotropin 255 – Thermorezeption 368f Kälteakklimatisation 190 Kältezittern 189 Kaltrezeptoren (7 Thermorezeption) 368f, 377f Kälte, Atemstillstand 125 Kalzium 7 Ca2+ Kammerflattern 54
Kammerflimmern 44, 54 – Hyperkaliämie 203 – Hypothermie 188f Kammermuskulatur 7 Herz Kammerwasser 194, 391, 394 kampferartig 429, 432 Kanäle 7 Ionenkanäle Kapazität, Niederdrucksystem 89 – Zellmembran 292, 295f Kapazitation, Spermien 280 Kapazitätsgefäße 74, 77, 250 Kapillardichte 146 Kapillaren 74, 79 – fenestrierte 80 – Stoffaustausch 78 – Widerstand 77 Kapillarnetz 77 Kapillarpermeabilität 78ff, 242 Kapillarsphinkter 77 Karbaminoverbindung 122 Karboanhydrase 23, 121, 131, 134 – Niere 216, 220f Karboanhydrasehemmer 202 Karboxypeptidasen 165, 173f kardiogener Schock 86 Kardioplegie 45 kardiovaskulärer Schock 86 Karies 153 Karotis 82f Karotissinus 81 Karzinome 7 Tumore Katalase 10 Katarakt 220, 392 Katecholamine (7 Adrenalin, Noradrenalin) 330 – Diabetes mellitus 264 – Energiesubstrate 255 – Glukokortikoide 260 – K+-Ausscheidung 202 – vegetatives Nervensystem 330 Kathode 293 Kationenkanäle (7 Na+-, K+-, Ca2+-, Ionenkanäle) 290, 399 – AMPA-Rezeptoren 303 – Autoregulation 214 – Bayliss-Effekt 90 – Geschmack 430 – Innenohr 415 – ligandengesteuerte 290 – Retina 398 – Rezeptorpotenzial 369 KATP-Kanäle 262, 326 Katzenbuckel 338 Kauen 160, 354f KCa-Kanäle 326
KCl-Cotransport 218 Kehlkopf 277, 419 kephalische Phase 166, 168, 178 Kernikterus 8, 80, 311 Kernkettenfasern 349 Kernsackfasern 349 Kernschlaf 443f Kerntemperatur 185, 188, 190 Keshan-Disease 153 Ketogenese 7 Ketonkörper A-Ketoglutarat 216 Ketonkörper, ATP-Gewinnung 320 – Energiestoffwechsel 183 – Herz 66 – Hormone 241, 255, 259, 265 – Leber 170 – Muskelarbeit 140 – Unterernährung 154 Kinasen 7 Proteinkinasen Kinder, Flüssigkeitsräume 194 Kinesine 7, 297 Kinetosen 424 Kinine 227, 242 Kininogen 28 Kinozilium 423 K-Komplex 443 Klappenfehler 57ff klassische Konditionierung 446f Kleinhirn 359ff, 424 – Aphasie 421 – Augenmotorik 395 – ballistische Bewegungen 343 – Blutdruck 85 – Gleichgewicht 424 – Intentionstremor 364 – motorisches Lernen 145 – Sprache 420 – Thalamus 372 – Tiefensensibilität 379 – Willkürbewegung 343 Kleinkinder, Wärmeabgabe 187 Kletterfasern 359 klimakterische Beschwerden 287 Klitoris 280, 332f Klotho 225, 227, 241 Klüver-Bucy-Syndrom 449 Knochen 196, 256, 260 – Calcium-Phosphat 130, 205, 252 – Fluor 153 – hormonelle Regulation 241, 253, 255, 257, 274, 277 – Hypocalciämie 205 – Mangan 153 – Mineralisierung 203f – Säure-Basen-Haushalt 134
Knochenabbau (7 Osteoporose) 287 Knochenleitung 411, 413f, 416 Knochenmark 32 – Erythrozyten 20, 22 – Kapillaren 80 – Thrombozytopenie 28 Knochentumore 205, 223 Knochenwachstum 152, 255, 274, 277f Knotenpnkt 390f Kobalamin 152 Kobalt 151, 153 kochleares Hörnerven-Summenaktionspotenzial (CAP) 412 kochleares Mikrophonpotenzial (CM) 412 Kochsalzhaushalt (7 Na+, Cl–) 199f Kochsalzhaushalt, Niere 216, 221 kognitives Lernen 447 Kohabitation 279 Kohlenhydrate, Aufschluss Nahrung 173 – biologischer Brennwert 150 – energetisches Äquivalent 150 – Energiequellen 182 – kalorisches Äquivalent 183 – respiratorischer Quotient 150 – spezifische dynamische Wirkung 150 – Verdauung 164, 173 Kohlenhydratstoffwechsel 171, 182f Kohlenmonoxid (CO) 19, 119 Kohlensäure 121f Kohlrausch-Knick 400f Kokain 431, 433 Kollagen 153, 242, 255 Kolloid, Schilddrüse 256 kolloidosmotischer Druck 24, 213f Kolumnen, Großhirnrinde 436 Koma 7 Bewusstlossigkeit kommissurale Neurone 347 Kommissurenfasern 436 Kompartimentierung 10 kompensatorische Pause 53 Komplementärfarbe 391 Komplementsystem 25f, 33f, 35f, 38 komplexe Neurone 378 Kompression Nerven 296 konditionierte Nahrungsaufnahme 156 Konditionierung 446 konduktive Hyposmie 433
469 Sachverzeichnis
Konfabulationen 448 koniozelluläres System 405 Konjunktiva 392 konsensuelle Reaktion 393 Kontaktdermatitis 38 Kontaktlinsen 392 Kontinenz 335 Kontraktilität, Herz 60 Kontraktionsformen (auxoton, isometrisch, isoton) 35ff, Kontraktionsgeschwindigkeit 57, 60, 317 Kontraktionskraft, Muskelfaser 56, 319, 322 Kontraktionszyklus Muskel 315 – Herz 56 Kontraste 308, 371, 373, 391 Kontrastierung, laterale Hemmung 305, 330, 336 – rezeptive Felder 399 Kontrazeptiva 274 Konvektion 187 Konvergenz, Neurone 305 Konzentration 2 Konzentrierungsfähigkeit Niere 203, 205, 221ff Kopfschmerzen 310, 382 Korbzellen, Großhirnrinde 436 Kleinhirn 359 – Motorkortex 344 Kornea 152, 391f, 394 Körnerschicht, Großhirnrinde 436 Körner-Zelle, Kleinhirn 359 Körnerzellen, Bulbus olfactorius 432 Körnerzellschicht, Kleinhirn 359 Koronardurchblutung 65f, 94 Koronarreserve 66 Korotkow, Geräusch 86 Körpergeruch 432 Körpergewicht 153, 186 Körpergleichgewicht 362, 379, 395, 422ff Körperkompartimente 195 Körperschemastörungen 387 Körpertemperatur 185, 189 – Gestage 274 – Hypothalamus 338 – Messung 186 – zirkadiane Periodik 442 Körperwasser 194 Korsakow-Syndrom 448 Kortex 7 Großhirnrinde kortikale Asymmetrie 438 kortikale Felder 437 kortikales Gleichspannungspotenzial 439
kortikobulbäre Bahnen 345 Kortikoliberin (corticotropin releasing hormone CRH) 237, 240, 248, 258f, 337f kortikomotoneuronales [CM] System, CM-System 345, 363 kortikospinale Bahnen 345, 354 Kortikosteron, Mineralokortikoidrezeptor 250 Kortikotropin 7 ACTH Kortisol (7 Glukokortikoide) 241, 250, 261f, 281 – Arbeit 143 – Bindung 25, 236 – Blutdruck 83 – Erythropoiese 21 – Fetus 283 – fight and flight reaction 338 – Granulozyten 32 – Halbwertszeit 237 – hormonelle Regelkreise 237 – Magen 167 – Niere 211, 226 – Notfallreaktion 145 – Somatotropin 255 – Stoffwechsel 255, 259 – Struktur 259 – Unterernährung 154 Kortison 226 Kot 197, 199 Kraft, Muskel 315 Krämpfe, Bewusstlosigkeit 445 – Hyperoxie 121 – Hyperthermie 188 – Hyperventilation 90 – Pantothensäure 152 – Pyridoxalphosphat 152 – Tetanustoxin 322 Krampfspitzen 439 Krampfzacken 439 kraniosakrales System 328 Krankheitserreger 7 Infektionen Kreatin 320 Kreatinin 18, 215, 228f Kreatinkinase 320 Kreatinphosphat, Muskelarbeit 140f, 147, 320 Kreislauf 72ff – Fetus 283 – kleiner 76 – Neugeborene 285 – vegetatives Nervensystem 334 Kreislaufkollaps 75 Kreislaufstillstand 121 Kretinismus 258 Kreuzprobe 39 Krogh-Diffusionskoeffizient 103
Kropf 258 Krypten 170, 174f Kumarine 30 Kupfer 24f, 151, 153 Kurzsichtigkeit 391, 393 Kurzzeitbelastung 141 Kurzzeitgedächtnis 445, 447 Kurzzeittests 146 Kußmaul-Atmung 125f, 264 Kwashiorkor 154 K-Zellen 159
L Labia majora 280 Lagesinn 353, 387 Lähmungen 152, 203 Laktase 165, 173 Laktat 121 – Energieumsatz 66, 183, 320 – Ermüdung 147 – Leber 171 – metabolische Azidose 132, 134 – Milch 273 – Muskelarbeit 140 – Niere 216f, 223 – O2-Schuld 141 – Training 147 Laktation 240, 274, 286f Laktatumkehr 66, 185 Laktazidämie 171 Laktogenese 240 Laktose, Muttermilch 287 Laktoseintoleranz 165 Lakritzeabusus 251 Lamina cribrosa 392, 432f Landolt-ring 400 Längenwachstum 255, 274, 277f Langerhans-Inseln 262f Langlebigkeit 227 Längskonstante 296 Längsmuskulatur, Darm 159 Langzeitdepression 306 Langzeitgedächtnis 445, 447 Langzeitpotenzierung 306, 447 LaPlace 62f, 69 Last, Kontraktionsgeschwindigkeit 317 LAT, familiäre Proteinintoleranz 220 Latenz, Reflex 348f laterale Hemmung 305 Lateralisierung, Sprache 420 lateral-präfrontaler Kortex 447
K–L
Laufen 362 Lautheit 410 LCAT (Lecithin-CholesterinAcytransferase) 171 LDL (low density lipoproteins) 23, 141, 273f, 287 L-Dopa 300, 358 Lebensspanne 154 Leber 89, 168, 170f, 185 – Entzündungsmediatoren 33 – Erythrozyten 20f – Fetus 284 – Gerinnungsfaktoren 29f – Gewebshormone 159 – Glukorezeptoren 155 – Glykogen 140, 332 – Hormone 21, 204, 236f, 242, 255 – Hunger 338 – Ischämie 98 – Kapillaren 8, 80 – Nozizeptoren 380 – O2-Versorgung 94 – Säure-Basen-Haushalt 132f – Sekretion 163 – Thrombozyten 27 – viszerale Afferenzen 329 – vegetatives Nervensystem 331f Lebergalle 164 Lebergefäße 331 Leberinsuffizienz 133, 170f, 251, 256 Lebersinus 94 Leberzirrhose 94 Leerkontraktionen Magen 155, 161, 338 Leiden-Mutation 30 Leistung 317 Leistungsbereitschaft 145, 147 Leistungsbeurteilung 146 Leistungsfähigkeit, zirkadiane Periodik 442 Leistungstests 146 Leitfähigkeit 4, 13, 292 – hydraulische 3 Leitungsaphasie 421 Leitungsgeschwindigkeit, Aktionspotenzial 293, 295 Lemniscus medialis 371f, 379 Leptin 154f, 272, 338 Lernen (7 Gedächtnis) 446ff Lesen 438 Leucin 150f, 170 Leucinaminopeptidasen 165 Leukämie 33 Leukodiapedese 32 Leukopenie 33, 152f
470
Sachverzeichnis
Leukotriene 92, 239, 242, 245, 247 – Bronchien 102, 111 – Niere 211 – Schmerz 381 Leukozyten 18, 32, 332 – Arbeit 143 – Hormone 242, 260, 332 – Liquor 310 Leukozytopenie 152 Leukozytose 33 Lewis-Reaktion 188 Leydig-Zwischenzellen 271, 277 L-Glutamat 7 Glutamat LH 240, 248, 272, 276ff, 442 Lhermitte-Zeichen 385 Liberine (releasing hormones) 237, 244, 247, 337 Libido 241, 277f Lichtbrechung 390 Licht-Nah-Dissoziation 393 Liddle-Syndrom 219f Lidschlussreflex 352 Liftreaktion 363 ligandengesteuerte Übertragung 302 limbischer Assoziations-Kortex 437 limbisches Mittelhirnareal 449 limbisches System 156, 372, 448f – Gedächtnis 447 – Geruch 432 – Geschmack 430 – Motivationsareale 343 – Temperatursinn 378 – Tränensekretion 394 – vegetatives Nervensystem 336f linke Hemisphäre 420 Linkshänder 420 Linksschenkelblock 53 Linkstyp, EKG 52 Linolensäure 151 Linolsäure 151 Linse 334, 390f, 393 Lipasen 32, 165, 173f Lipide, Absorption 168f, 175 – Aufschluss Nahrung 174 – Plasmaproteinbindung 25 Lipocortin 260 Lipolyse 240f, 255, 262 – ACTH 259 – Adrenalin 265 – Glukagon 265 – Insulin 263 – Kortisol 259 – Muskelarbeit 140
– – – –
Schilddrüsenhormone 257 Somatotropin 256 Unterernährung 154 vegetatives Nervensystem 265, 332 Lipopolysaccharide (LPS) 34, 444 Lipoproteine 25, 170f, 239f, 287 Lipoproteinlipase 32 lipotropes Hormon, (Lipotropin, LPH) 240, 258 Lipoxygenase 245 Lippen 347, 376 Liquor 194f, 200, 307, 309f Liquorzirkulation 310 Lissauer Trakt 371, 377 Lobus flocculonodularis 359 Locus coeruleus 359, 444, 449 Logorrhö 421 Lokalanästhetika 294, 384, 431 Lokomotion 354 longitudinales tubuläres System 317, 322 Long-QT-Syndrom 52 Löslichkeitskoeffizient 3 Löslichkeitsprodukt, CaHPO4 203 Lowe-Syndrom 220 LPH 240, 258 L-Typ Ca2+-Kanäle 318, 322 Luftembolie 76 Luftfeuchtigkeit 189 Luftleitung 411, 414 Lunge 100, 107, 109f, 116 – Arbeit 143 – Blutversorgung 93, 100 – Fetus 283 – Gasaustausch 115 – Hormone 242, 260 – Säure-Basen-Haushalt 131f – Thrombozyten 27 – vegetatives Nervensystem 328 – viszerale Afferenzen 329 Lungenembolie 274 Lungenfibrose 110, 116 Lungengefäße, Druck 89f, 93, 114 Lungenödem, Hyperoxie 121 – juxtakapillärer Reflex 124 – Klappenfehler 58 – Kochsalzhaushalt 200 – Orthopnoe 126 Lungenperfusion 114 Lungenvolumina 104, 108f, 111 luteinisierendes Hormon (LH, Lutropin) 240, 248, 272, 276ff, 442
17, 20-Lyase 259 Lymphe 177 Lymphgefäße 79 Lymphknoten 33, 79 Lymphopenie 152, 260 Lymphozyten 18, 32, 36, 262 – Atemwege 101 – Entzündung 38 – Fetus 284 – hormonelle Regulation 241, 260 Lysin 150f Lysophospholipide 25, 174f Lysosomen 7, 10f, 32 Lysozym 32, 164
M Macula densa 209f, 214, 224 Macula lutea 398 Macula nervi optici 403 Magen 165, 167, 260, 262 – Dehnungsrezeptoren 380 – Gewebshormone 159 – Hormone 240, 242 – Motorik 160f – Passagezeit 178 – REM-Schlaf 443 – Säure-Basen-Haushalt 134 – Sekretion 159, 163, 166f, 241, 260 Magen-Darm-Kanal 7 Gastrointestinaltrakt Magendii 310 Magenentleerung 159 Magensaft 164 Magensaftsekretion 242 Magenulkus 167, 261 Magersucht (Anorexie) 154, 272, 338 Magnesium 199, 206 – hormonelle Regulation 241 – Niere 215 Magnetenzephalographie 439 magnozelluläres System 404f Maiglöckchenduft 280 Major Histocompatibility Complex (MHC) 35, 432 Major-Test 39 A2-Makroglobulin 31 Makroglossie 256 Makrophagen 32ff, 242 A2-Makroprotein 25 Makropsie 406 Malabsorption 169, 205 Malaria, Anämie 22
maligne Hyperthermie 190, 323 Maltase 165, 173 Maltose 173 Maltotriose 173 Mammae 7 Milchdrüsen Mangan 151, 153 Mangelernährung 201, 274 Mangelinsuffizienz 69 Mannitol 221, 311 MAP-Kinase (mitogen activated kinase) 245f Massa intermedia 373 Massenkonzentration 2 Mastzellen 7 Gewebsmastzellen maternofetale O2-Diffusion 118 maximale exspiratorische Atemstromstärke 113 MCP-1 (makrophage chemoattractant protein) 33 Mechanorezeptoren 307, 368f – Atmungsregulation 123 – Halbseitenläsion 385 – Hinterstrangbahnen 371 – Nervenfasern 296, 370 – somatosensorischer Kortex (SI) 373 – Tiefensensibilität 379 – Vagina 285 – viszerale Sensibilität 369 – Vorderseitenstrang 371 mediales longitudinales Fazikel 395 mediales Vorderhirnbündel 449 Mediastinalflattern 109 Mediastinum 109 Medulla oblongata, Atmungsregulation 123 – Blutdruckregulation 81f – Kleinhirn 360f – Motorkortex 345 – vegetatives Nervensystem 336 Megakaryoblast 27 Mehrventilation 125 Meiose 279 Meissner Komplex 329 Meissner-Körperchen 368f, 376 Mekonium 284 Melanotropin 239f, 258, 262, 450 Melatonin 332 Membran, postsynaptische 298f, 301 – präsynaptische 298ff – subsynaptische 298, 301 Membrankapazität 296 Membranlängskonstante 293
471 Sachverzeichnis
Membranpotenzial 12f, 292 – Erythrozyten 20 – glatter Muskel 326 Membranzeitkonstante 293 Menachinon 151 Menière, Morbus 416 Meningitis 8, 80, 310f Menopause 272, 287 Menstruationszyklus 272f, 275f Merkaptursäure 226 Merkel Mechanorezeptoren 369, 375f Mesangialzellen 209 mesokortikales System 450 mesolimbisches System 450 messenger ribonucleic acid (mRNA) 243 metabolische Alkalose 134ff metabolische Azidose 134ff metabolisches Syndrom 154 metabotrope Rezeptoren 303 Metamorphopsie 406 Metarteriolen 77 metastabiler Bereich 228 Methämoglobin 20f, 119, 121 Methämoglobinreduktase 119 Methionin 150f, 169 Methioninmalabsorption 169 Methylmalonatausscheidung 152 18-Methyloxidase 259 Methylsulfide 171 Methylthyrosin 450 Metopiron 259 Mg2+ 195f, 206ff – Henle-Schleife 218 – Herz 56 – Muskelkontraktion 314 – NMDA-Rezeptoren 303 – Resorption 251 Mg2+-ATPase 206 MHC (major histocompability complex) 35ff MIF (migration inhibitory factor) 33 Migräne 92, 382 migrating motor complex 157 Migration 7 Mikrofilamente 10 Mikroglia 8f, 309 B2-Mikroglobulin 26 Mikrophonpotenzial 412 Mikropsie 406 Mikrotubuli 10f Mikrovilli 174f Miktion 334f Miktionszentrum 335 Milch 30, 286f
Milchdrüsen 273, 286 Milchdrüsen, hormonelle Regulation 240f, 251, 274, 286 Milchejektion 286 Milchsäure 7 Laktat Milz 33 – Durchblutung 94f – Erythrozyten 20 – Kapillaren 80 – Nozizeptoren 380 – Thrombozyten 27 mimische Starre 357 Mineralisierung 134, 203f Mineralokortikoide, 7 Aldosteron Miniaturenendplattenpotenzial 301 minimal change nephropathy 212 Minor-Test 39 minzeartig 432 Miosis 393 Missbildungen 152 Mitinnervation 85, 125 Mitochondrien 10f – Apoptose 16 – H+-ATPase 5 – Muskelfasertypen 323 – O2-Utilisation 121 – Signaltransduktion 245f – Thrombozyten 27 mitogen-activated-proteinKinase (MAP-Kinase) 245f Mitogene 15 Mitralklappe 55, 57 Mitralklappeninsuffizienz 58 Mitralklappenstenose 58 Mitralzellen 432 Mittelohr 413 Mittelzeittests 146 Mizellen 168, 174 MLCK (myosin light chain kinase) 90, 326 MLCP (myosin light chain phosphatase) 325 Mm. 7 musculi Modalitäten, Sensorik 368 Module, Großhirnrinde 436 Molarität 2 Molekularmasse 2 Molekularschicht, Großhirnrinde 436 Molekularschicht, Kleinhirn 359 Monoamine 300 monoaminerge Systeme 449 Monoaminoxidase- (MAO-) Hemmer 450
Monoaminoxidase 358 Monosaccharide 175 monosynaptischer Reflexbogen 350 Monozyten 18, 32ff, 38 Moosfasern 359 Morbus 7 Eigenname Morphine 383f, 433 Morulastadium 280 moschusartig 429, 432 Motilin 159f Motivation 343, 373, 448 Motivationsareale 343 A-Motoneurone 322, 343, 347, 349, 424 B-Motoneurone 347, 350 G-Motoneurone 347, 350, 424 Motorik 341ff, 362 – Hirnstamm 353 – Magen-Darm-Trakt 157 – Nervenfaser 296 – Schmerz 382 – Störungen 357, 431, 364 – Thalamus 372 motorische Einheit 322, 324, 343, 347 motorisches Lernen 145, 361, 364 Motorkortex 344f, 437, 447 – Sprache 420 – Thalamus 372 Motorpotenzial 439 Mo-Zellen 159 mTOR (mammalian target of rapamycin) 246 Müdigkeit, Aktionstremor 364 – Ascorbinsäure 152 – Biotin 152 – Pantothensäure 152 Müller-Gänge 271, 273 Müller inhibiting factor (MIF), 7 Antimüllerhormon Müller-Versuch 110 Müller-Zellen 397 multiple Sklerose 296 multi-unit-Fasern 318, 325f Mund 164, 419 Mundtrockenheit 156 Mundwinkelrhagaden 152 Mund-zu-Nase-Beatmung 128 Muramylpeptid 444 Muscarin 331 Musculi arrectores pilorum 332 Musculi arytaenoidei 419 Musculi bulbocavernosi 280 Musculi cricoarytaenoidei 419 Musculi cricothyreoidei 419 Musculi intercostales 107
L–M
Musculi ischiocavernosi 280 Musculi pectorales 107 Musculi scaleni 107 Musculi sternocleidomastoidei 107 Musculus biceps femoris 349 Musculus ciliaris 332, 393 Musculus detrusor vesicae 334 Musculus dilatator pupillae 393 Musculus levator ani 162 Musculus obliquus superior 395 Musculus obliquus inferior 395 Musculus orbitalis 332 Musculus quadriceps femoris 349 Musculus puborectalis 162 Musculus rectus inferior 395 Musculus rectus lateralis 392, 395 Musculus rectus medialis 392, 395 Musculus rectus superior 395 Musculus stapedius 413 Musculus tarsialis 332 Musculus tensor tympani 413 musikalische Asymmetrie 438 muskarinisch 301 Muskel 57, 314ff, 319f, 331 Muskel, Hormone 241f, 255 Muskel, somatosensorischer Kortex (SI) 373 Muskelarbeit 140f, 143f – Atmung 125 – Blutdruck 85 – Lungenperfusion 114 Muskelatrophie 152 Muskeldehnungsreflex 348ff Muskeldurchblutung 143f, 330 Muskeldystrophie 323 Muskelfasern 144, 146, 322f, 347 Muskelgefäße 143f, 330 Muskelglykogen 140, 147, 185, 332 Muskelkater 147 Muskelkontraktion 314ff – Neurotransmitter 301 – auxotone, isometrische, isotone 316 Muskelkraft 316, 320, 322 Muskelkrämpfe 347 Muskelmasse 144 Muskelpumpe 75 Muskelrelaxation 302 Muskelschwäche 154, 205 Muskelschwund 262 Muskelspannung 369
472
Sachverzeichnis
Muskelspindeln 347ff – Atemmuskulatur 124 – Nervenfaser 296 – Spastik 364 – Tiefensensibilität 369, 379 – Vestibulariskerne 354 – Vestibulocerebellum 359 Muskeltonus 344, 354, 362ff – Basalganglien 357 – Kleinhirnläsionen 361 – Tiefensensibilität 379 Muskeltraining 146 Muskelwachstum 277 Muskelzittern (7 Tremor) 188, 190 Muskulatur 314ff – quergestreifte 322f – REM-Schlaf 443 Mutter, Umstellung nach Geburt 286 mütterlicher Organismus 282 Muttermilch 174, 206, 287 Muttermund 273 M-Welle 348 Myasthenia gravis 302, 323 myasthenisches Syndrom 302, 323 Myelinisierung 296 Myelinscheiden 8, 290, 295f, 308 Myelose 169 myoelektrischer Motorkomplex 157 myoepitheliale Zellen 215 Myofilamente 314 myogene Vasokonstriktion 91, 214 Myoglobin 120, 320, 323 Myokard 42, 44 Myopie 391ff Myosin 11, 316 – axonaler Transport 297 – Herz 56 – Kontraktionsgeschwindigkeit 317 – Kontraktionszyklus 315 Myosin-ATPase 206 Myosinfilamente 314 Myosinhälse 314 Myosinköpfchen 314f myosin-light-chain-kinase (MLCK) 90, 325f myosin light chain phosphatase 91 Myotonie 322 Myxödem 258
N N. 7 Nervus N2 102 Na+ 195f, 198ff – Absorption 169, 176 – Gleichgewichtspotenziale 292 – Niere 215ff, 223, 227 Na+/Ca2+-Austauscher 217, 320 – Absorption 176 – Gedächtnis 448 – Herz 43, 46ff – Niere 218 – Muskel 318 – Retina 398 Na+/H+-Austauscher 6, 131, 134 – Aldosteron 251 – Apoptose 16 – Darm 176 – Insulin 263 – K+-Haushalt 201 – Niere 216, 218, 220f, 224 – Signaltransduktion 245f – Zellproliferation 15 – Zellvolumen 197 Na+/K+-ATPase 5f, 12, 202 – Aktionspotenzial 14, 294 – Aldosteron 251 – Darm 176 – Erythrozyten 20 – Gastrointestinaltrakt 163f – Herz 46, 48, 52, 320 – Innenohr 414 – Ischämie 97 – Magnesium 206 – Membranpotenzial 13 – Nekrose 16 – Niere 216ff – Ouabain 199, 252 – Retina 398 – Schilddrüsenhormone 257 – Schlaganfall 98 – Zellvolumen 196, 197 Na+-3HCO3–-Cotransporter 216f Na+-Cl–-Cotransporter 218, 220f Na+-Dikarboxylattransporter 217 Na+-Glukose-Cotransporter 220 Na+-J–-Symporter 256 Na+-K+-2Cl–-Cotransporter 416 – Bartter-Syndrom 220 – Gastrointestinaltrakt 163 – Innenohr 414 – Insulin 263 – NH4+ 130 – Niere 218, 220f
– Signaltransduktion 245 – Zellvolumen 197 Na+-Kanäle 290, 305, 307 – Aktionspotenzial 14, 294 – Aldosteron 251 – Atemwege 101 – Darm 176 – Endplatte 299, 302 – Geschmack 430 – Herz 42f, 45f, 52 – K+-Ausscheidung 202 – Liddle-Syndrom 220 – Membranpotenzial 13 – Niere 218, 220f – Paramyotonie 322 – präsynaptische 306 – Sensorik 368 – Skelettmuskel 317f – Zellvolumen 197 Na+-Konzentration, Arbeit 143 – Ischämie 97 – Körperkompartimente 195f – Zelle 12 Na+-Phosphat-Cotransport 220 Na+-Resorption 224, 264 Nachgeburt 285 Nachhyperpolarisation 294 Nachlast 61f, 67 Nachpotenzial 14 Nachtblindheit 152, 399, 401 NaCl 7 Na+ NaCl-Cotransport 218, 220f NADH 20f NADPH 20f, 246 NADPH-Oxidase 246 Nahakkomodation 391ff Nahrungsaufnahme 153, 155f, 259, 338 Nahrungsbestandteile 150ff, 176 Nahrungsmittel 150ff NANC (nichtadrenerge nichtcholinerge Transmitter) 161, 331 NaPi 220 Narben, Hydrozephalus 310 Narkolepsie 445 Narkose 189, 323, 384 nasale Laute 419 Nasenhöhle 428 Natrium 7 Na+ Natriurese, hormonelle Regulation 199, 241f, 252, 274 – Kochsalzhaushalt 198ff – Vanadium 153 natriuretische Peptide 77, 199 – Blutdruck 83 natürliche Killer (NK) Zellen 33, 36f
Nebenhoden 271, 277, 279 Nebenniere 241, 380 Nebenniereninsuffizienz 261 Nebennierenmark 265, 330 Nebennierenrinde 188, 241, 250, 258, 261 Nebenschilddrüse 203 negative Rückkopplung 236 negativer Verstärker 446 Nehb, Ableitungen 49 Nekrose 12, 16 neospinothalamische Bahn 371, 382 Neostigmin 302 Nephrolithiasis 169, 179, 200, 205, 220, 225ff, 253 Nephropathie, diabetische 264 Nernst-Gleichung 4 Nerv, Aktionspotenzial 15 nerve growth factor (NGF) 8, 246, 297 Nervenfasern 295f, 369f Nervenläsionen 382, 385 Nervenleitung(sgeschwindigkeit) 296 Nervenplexus 157 Nervensystem 153, 289ff Nervi clunii 386 Nervi intercostales 386 Nervi occipitales 386 Nervi splanchnici 329 Nervi supraclaviculares 386 Nervus abducens 310, 395, 424 Nervus auricularis magnus 386 Nervus cutaneus antebrachii 386 Nervus cutaneus brachii 386 Nervus cutaneus colli 386 Nervus cutaneus femoris lateralis 386 Nervus cutaneus femoris posterior 386 Nervus cutaneus surae lateralis 386 Nervus dorsalis penis 280 Nervus facialis 160, 352, 413, 419, 430f Nervus femoralis 386 Nervus genitofemoralis 386 Nervus glossopharyngeus 81, 380, 430f Nervus hypoglossus 160, 419 Nervus iliohypogastricus 386 Nervus ilioinguinalis 386 Nervus laryngeus superior 160 Nervus medianus 386 Nervus obturatorius 386
473 Sachverzeichnis
Nervus oculomotorius 310, 393, 395, 424 Nervus opticus 372, 397f Nervus peroneus superficialis 386 Nervus plantaris lateralis 386 Nervus plantaris medialis 386 Nervus pudendus 162, 280, 335 Nervus radialis 386 Nervus recurrens 419 Nervus saphenus 386 Nervus suralis 386 Nervus tibialis 386 Nervus trigeminus 352, 386, 428, 430, 432 Nervus trochlearis 395, 424 Nervus ulnaris 382, 386 Nervus vagus 124, 329, 336, 430, 443 – Aortenbogen 81 – Chemorezeptoren 124 – Blutdruck 82 – Gewebshormone 159 – Herz 68 – Magen 166 – Schluckreflex 160 – viszerale Sensibilität 380 Nervus vestibulochochlearis 423 Netzhaut 7 Retina Netzhautperipherie 400 Netzhautspiegelung 398 Neugeborene 285f, 311 – Blut-Hirn-Schranke 8, 80, 311 – Hyperoxie 121 – Schlaf 443f – Temperaturregulation 188f Neuritiden 152 Neurodegeneration 448 neuroendokrine Signalübertragung 247 neurogene Entzündung 382 neurogener Schock 86 Neurohypophyse 247 neuromuskuläre Erregbarkeit, Alkalose 136 – Calcium 203ff – Hyperkaliämie 203 – Hypokaliämie 202 – Magnesium 206 – Schilddrüsenhormone 257f neuromuskuläre Übertragung 302 Neurone 290ff – postsynaptische 298, 306 – präsynaptische 298, 306 neuronale Netzwerke 445 Neuronenpopulationen 305 neuropathischer Schmerz 385
Neuropeptid Y (NPY) 331 Neuropeptide 299, 331, 436 Neurosekretion 247 Neurotensin 166, 178 Neurotransmitter 9, 300f, 309 Neutralisation 36 NH3/NH4+-System 18, 130, 132 – Aldosteron 251 – Leber 170 – Niere 216, 218 Niacinamid 151f Nicht-AMPA-Rezeptoren 303 nichtassoziatives Lernen 446 nichtkompensierende Pause 54 Nicht-NMDA-Kanäle 447f nichtrespiratorische Alkalose 134ff nichtrespiratorische Azidose 134ff nichtsteroidale antientzündliche Pharmaka 167 nichttitrierbare Säure 130 nichtverbale Information 438 Nickelallergie 35 Niederdrucksystem 73, 86, 88f Niere 89, 209ff – Blutdruck 82ff – Durchblutung 85, 89, 92f, 212, 214 – Energiesubstrate 184 – Fetus 284 – Glukokortikoide 260 – Hormonbildung 21, 204, 241f – Hyperoxie 121 – Inaktivierung Hormone 236 – Ischämie 98 – K+-Haushalt 201 – Nozizeptoren 380 – O2-Ausschöpfung 120 – Regulation 211, 224, 252 – Säure-Basen-Haushalt 130ff – Schock 86 Niere, vegetatives Nervensystem 332 Nierenarterienstenose 251 Nierenbecken 209 Nierenentzündungen 223 Nierenfunktion, Messgrößen 228 Nierengefäße 210 Niereninsuffizienz 225 – Anämie 22 – Hyperkaliämie 203 – Hyperparathyreoidismus 253 – Phosphat 205 – Säure-Basen-Haushalt 133 Nierenmark 130, 209ff, 214, 222f Nierenrinde 209, 211
Nierenschwelle 224, 230 Nierensteine 169, 200, 205, 220, 227f, 253 Nierentubuli 195, 209, 215ff Nierenversagen, ischämisches 211 Niesen 101, 124, 380, 428 nigrostriatales System 450 Nikotin 331, 429 nikotinisch 301, 330 Nikotinsäure 177 Nitrosylierung 246, 300 Nitroxid (NO) 300 NK activating receptors 33 NK-Zellen 33, 36f NMDA-Kanäle 301, 303, 306, 447f Nn. 7 Nervi NO 90ff, 245f, 279, 300, 326 – Entzündungsmediatoren 33 – metabotrope Rezeptoren 303 – Niere 211 – vegetatives Nervensystem 329, 331 non insulin dependent diabetes mellitus (NIDDM) 264 nonionic diffusion 5 Non-REM-Schlaf 254, 443ff Noradrenalin (A-Rezeptoren) 299ff, 330f – Depressionen 450 – Emotionen 449 – Gastrointestinaltrakt 157, 160 – Gefäße 65f, 90ff – Herz 68 – Hormone 238, 254, 257, 263 – Kontraktion 317 – präsynaptische Hemmung 371 – Schlaf 444 – Schmerz 383 – Speichel 165 Normoventilation 125 Normozyten 20 NO-Synthase (NOS) 90f, 245f – Gedächtnisbildung 448 – Langzeitpotenzierung 306 Notfallreaktion 145, 332 Nozizeptoren 307, 368, 380ff Nozizeptoren, Nervenfasern 370f NREM-Schlaf 254, 443ff Nuclei raphé 336, 359, 383, 442, 444, 449 Nucleus accumbens 449 Nucleus ambiguus 82, 160 Nucleus anterior 337, 372, 449 Nucleus anterodorsalis 373
M–N
Nucleus anteroventralis 373 Nucleus caudatus 356, 421 Nucleus centro-medianus 373 Nucleus cochlearis 415, 417f Nucleus corporis trapezoidei 417 Nucleus cuneatus 346, 371 Nucleus dentatus 360f Nucleus dorsalis vagi 82 Nucleus dorsolateralis 372, 449 Nucleus dorsomedialis 337, 372, 449 Nucleus emboliformis 359f Nucleus fastigii 359f Nucleus globosus 360 Nucleus gracilis 346, 371 Nucleus infundibularis 337 Nucleus lateralis posterior 372 Nucleus lateralis, Oliva superior 417 Nucleus lemnisci lateralis 417 Nucleus medialis, Oliva superior 417 Nucleus medianus 373 Nucleus nodosus 359 Nucleus parabrachialis 380 Nucleus parafascicularis 373 Nucleus paraventricularis 247, 337 Nucleus posterior 337 Nucleus reticularis thalami 445 Nucleus ruber 345f, 354f, 360, 364 Nucleus solitarius 430 Nucleus subthalamicus 346, 356ff Nucleus suprachiasmaticus 442, 444 Nucleus supraopticus 247, 337 Nucleus thalami anterior 337, 372, 449 Nucleus tractus solitarii 336f – Blutdruck 82 – Erbrechen 161 – Schlaf 443 – Schluckreflex 160 – viszerale Sensibilität 380 Nucleus ventralis anterior 372 Nucleus ventralis lateralis 372 Nucleus ventralis posteriomedialis 430 Nucleus ventromedialis 337 Nucleus ventroposterior lateralis 372 Nucleus ventroposterior medialis 372 Nucleus vestibularis 354, 359f, 424
474
Sachverzeichnis
Null-Linien-EEG 439 nutritives Verhalten 338, 449 Nykturie 223, 250 Nystagmus 361, 394f, 424f
O O2 90 – Chemorezeptoren 369, 380 – Diffusionsleitfähigkeit 103 – Erythrozyten 19 – Hämoglobin 117ff, 121f, 131 – Herz 46, 66 – Inspirationsluft 102 – Löslichkeitskoeffizient 3 – Nierenmark 211, 223 – Transport 23 – Viszerozeption 368 O2-Affinität, CO 119 O2-Aufnahme 89, 115f, 118, 122 – Arbeit 140f, 143, 146 – fetale 282 – Hyperthermie 188 O2-Ausschöpfung 65, 120, 226 O2-Beatmung 121 O2-Bindungskapazität 117 O2-Bindungskurve 117, 118 O2-Defizit 141 O2-Druck 102 O2-Mangel 46, 119 O2-Nutzung 120 O2-Partiadruck 115 – Alveolen 115 – Arbeit 142 – Blutdruck 83 – Chemorezeptoren 124 – Endorphine 125 – Fetus 284 – Gewebe 119 – Kapillaren 118 – Tauchen 128 O2-Radikale 32f, 121, 246 O2-Sättigung 118 O2-Schuld 141, 147 O2-Transport 117, 119ff O2-Utilisation 121 O2-Verbrauch 120, 183f – Arbeit 142, 144 – Niere 226 O2-Versorgung, Feten 96 Oberflächensensibilität 368, 385 Oberflächenspannung Alveolen 105f Objektagnosie 406 Obstipation 151, 258
obstruktive Lungenerkrankungen 110f, 113, 116 Occipitallappen 406 occipitoparietale Assoziationsfelder 406 Occludin 8 Oddi-Sphinkter 168, 170 Ödeme 38, 79 – Hypoproteinämie 26, 151 – Kochsalzhaushalt 200 – Leberinsuffizienz 171 – Schmerz 381 – Schwangerschaft 282 – Tocopherole 152 – Unterernährung 154 off-Bipolarzellen 399 off-Zentrum, rezeptives Feld 397,399 1, 25(OH)D2 7 Calcidiol 1, 25(OH)D3 7 Calcidiol Ohm-Gesetz 72 Ohr 307, 413ff Ohrmuscheln 413 Okklusion 348 olfaktorischer Kortex 432 Oligo-1, 6-Glukosidase 165 Oligodendroglia 8, 295, 308f Oligopeptidasen 173f Oligopeptide 166, 175 Oligurie 225 Olive 345, 359f, 417 on-Bipolarzellen 399 Onkogene 15 onkotischer Druck 4, 25f, 78f on-Zentrum, bipolares Feld 397, 399 Oogonien 279 Oozyten 279 operante Konditionierung 446 Ophthalmoskopie 398 Opioide 155, 250, 371 Opisthotonus 354 Opsonisierung 35f Optikusneuropathie 394 optische Achse 390, 392 optische Rindenareale 437 optisches System 391 optokinetischer Nystagmus 394 Ora serrata 392 orale Antidiabetika 262 orbifrontaler Kortex 449 Organbeteiligung, Arbeit 142fr Organdurchblutung 89, 90-93 Organellen 10 Organentwicklung 283 organische Basen 216f organische Säuren 216f Organverfettung 171
Orgasmus 274, 280 orgastische Manschette 280 Orientierungsfähigkeit 438 Orientierungsspezifität 405 orthodrom 296 Orthopnoe 126 Orthostase 67, 84f Ortsprinzip 415 Osmolalität 2 Osmolarität 198 – ADH 249f – Blutplasma 18, 23 – Chemorezeptoren 369 – Hämolyse 20 – Harnkonzentrierung 221ff – Kochsalzhaushalt 200 Osmolyte 197 osmorezeptive Neurone 338 Osmorezeptoren 156 Osmose 3 osmotische Diurese 221 osmotische Resistenz 20 osmotischer Druckgradient 4 osmotischer Durst 156, 338 Ösophagus 157, 164 – Gewebshormone 159 – Nozizeptoren 380 Ösophagusachalasie 160 Ösophagusersatzsprache 419 Ösophagussphinkter 160 Ösophagusvarizen 94 Osteoblasten 260 Osteoklasten 260 Osteolyse 241f Osteomalazie 152, 169, 253 Osteoporose 153, 261, 287 Östradiol 7 Östrogene Östriol 7 Östrogene Östrogene 239, 241, 259, 271ff, 279 – Brustdrüse 286 – Calcidiol 204 – Geburt 285 – Geruchssinn 433 – intrazelluläre Rezeptoren 243 – Knochen 277 – Menstruationszyklus 275f – Nahrungsaufnahme 156 – Schilddrüsenhormone 257 – Somatotropin 254 Östron 7 Östrogene Oszillation, Zellmembranpotenzial 326 Otholithenmembran 422f Ouabain 199ff, 211, 241, 252 Ovar 241, 271, 273, 275 overshoot, Aktionspotenzial 42 Ovulation 272
Oxalat 30, 215, 217 Oxalatsteine 179 Oxalose 152 B-Oxidation 152 Oxidationswasser 197 Oxidoreduktasen 226 Oxysomen 10 Oxytozin 273f, 337 – Geburt 285 – Halbwertszeit 237 – Milchdrüse 286 – Neurohypophyse 247 – NO-Synthase 90
P Pacchionische Granulationen 310 Pacini-Körperchen 368f, 376f PAF (Plättchen-aktivierender Faktor) 33, 91, 326 PAH 217, 230f paläospinolthalamische Bahn 371 Pallidum 346, 356ff pancreatic polypeptide (PP) 159 Pankreas 167f, 174 – Gewebshormone 159 – Hormonbildung 240f – Nozizeptoren 380 – Sekretion 163, 168 – vegetatives Nervensystem 328 Pankreasfisteln 134 Pankreassaft 164, 168, 173 pankreatisches Polypeptid 168 Pankreatitis 168, 205 Pankreatopeptidasen 165 Pankreozymin 159, 246, 263 Pantothensäure 151f, 177 Panum-Fusionsareal 406 Papilla nervi optici 397f Papillenödem 310 Paraaminohippursäure (PAH) 217, 230f parafoveal 400 Paraguesie 431 Parahämophilie 29 parakrin 236 Parallelfasern 359 Paramyotonie 322 Paraphasie 421 parapontine retikuläre Formation 395 Paraproteinämie 29
475 Sachverzeichnis
Parästhesie 385 Parasympathikus 328-335 – Atemwege 101 – Blutdruck 82 – Darm 157 – Erektion 279 – Herz 68 – Kochsalzhaushalt 200 – Neurotransmitter 301 – Orthostase 84 – Pupille 393 – Salzsäuresekretion 166 – Speichel 165 – Tränensekretion 394 Parathormon 203ff, 241, 252 – Calcitriol 227, 252 – cAMP 244 – Magnesium 206 – Niere 199, 211, 226, 252 – vegetatives Nervensystem 332 Parathyreoidea 241 Parathyrin 7 Parathormon parazellulär 8, 217 parentale Ernährung 151 Parietallappen 373, 406 parietotemporale Assoziationsareale 395, 421 parieto-temporo-okzipitaler Assoziations-Kortex 420, 437 Parkinson, Morbus 153, 357f, 364, 433 Parosmie 433 Parotis 163, 165 Pars compacta, Substantia nigra 356f Pars externa, Pallidum 356f Pars interna, Pallidum 356f Pars recta, Niere 215 Pars reticularis, Substantia nigra 356f Pars vestibularis 423 Partialdruck 3, 102f partielle Thromboplastinzeit (PTT) 30 parvozelluläres System 405 Pargylin 450 Passagezeiten, gastrointestinale 177 Patellarsehnenreflex 349 pattern recognition Rezeptoren 34 Pawlow 446 PCO2 135 PD-Fühler 349, 370, 377f 5A-Reduktase 271, 278 Pellagra 152 Penicillamin 431
Penis 277, 332f, 443 Pentosephophatzyklus 20, 27, 131 Penumbra 98 Pepsin 159, 165f, 173f Peptid YY 166, 178 Peptidasen 165, 174 peptische Ulzera 167, 261 Perchlorate 257 Perforine 37 Perfusion, Lunge 116 Pericardraum 194f Perilymphe 414, 422 Perimetrie 403 periodische hyperkaliämische Lähmung 322 Periodizitätsanalyse 417f periportale Zellen 132 Peritonealflüssigkeit 194 Peritonealraum 195 perivenöse Zellen 132 Permeabilität 4, 291 Permselektivität 212 perniziöse Anämie 152 Peroxidase 256f Perseveration 449 Perspiratio insensibilis 187 Pertechnat 257 Petechien 28 Pfortaderdruck 94 Pfortaderkreislauf 94 Pfortadersystem, Hypophyse 337 PGF2A 7 Prostaglandine pH 3, 131f, 135, 195f – Chemorezeptoren 124, 380 – Koronardurchblutung 66 – O2-Affinität Hämoglobin 118f Phagozytose 7 – Gliazellen 9, 308f – Immunabwehr 32, 35 – Pigmentzellen 398 Phantomschmerz 382 Pharmaka, Blut-Hirn-Schranke 80, 311 – Plasmaproteinbindung 24 phasische Fühler 307 Phenoxybenzamin 450 Phentolamin 450 Phenylalanin 150f, 300 Phon 410 Phonation 419 phonematische Fehler 421 Phonokardiographie 56, 59 Phosphat 195ff, 203ff, 252 – Absorption 169, 176 – Hormone 204, 241, 252, 263f – Niere 215ff, 220, 224f, 230
Phosphatasen 206 Phosphatidylinositol-3-Kinase (PI3K) 227, 246 Phosphatidylinositolbisphosphat 245 Phosphatidylserin 16 Phosphatmangel 205f Phosphatpuffer 130 Phosphodiesterase 91, 244, 398f – Retina 398 Phosphofructokinase 131 Phospholamban 68 Phospholipase A 27, 245f Phospholipase C 27, 91, 245, 430 Phospholipasen 165, 168, 173, 260 Phospholipide 25, 169, 175 phosphonositide dependent kinase (PDK) 246 Phosphorylierung 205 photochemische Adaptation 400 photopisches Sehen 398, 400 Photorezeptoren 397ff Phyllochinone 29f, 151ff, 171 physikalischer Brennwert 183 Physikochemie Gase 102 Physostigmin 302 Pia, Vasodilatation 92 Pigmentdispersion 240 Pigmentepithel 397, 401 Pilocarpin 331 Pilze 32 Pilzpapillen 428 Pinozytose 7, 226 PKA (Proteinkinase A) 244, 326 Plantarflexion 351 Plasma 18, 195 Plasmacholinesterase 171 Plasmaglukosekonzentration 18, 142 Plasmamembran 7 Zellmembran Plasmaproteinbindung 24, 236 Plasmaproteine 18, 23–26 – Ca2+ 131, 136 – GFR 214 – Hormonbindung 236, 257 Plasmaproteinkonzentration, Hydration 198 Plasmaproteinsynthese 170 Plasmathromboplastin antezedant (PTA) 29 Plasmavolumen 206 – ADH 249 – Bestimmung 78, 196 – Glukokortikosteroide 260 – Kochsalzbilanz 199f
N–P
Plasmawasser 194 Plasmazellen 36f, 241 Plasmin 29ff, 34 Plasmininhibitor 25 Plasminogen 25, 29f – Inhibitor 25 plastische Dehnung 57, 326 Plastizität Gehirn 383, 446 Plateau, Aktionspotenzial 14, 42, 44f platelet activating factor 33, 91, 326 platelet derived growth factor (PDGF) 15, 28, 246 Plättchenfaktor 3 28, 30 Plättchenfaktor 4 28 Plazenta 96, 241, 281f Pleuradruck 106ff Pleuralraum 107, 194f Plexus chorioidei 8, 80, 310f Plexus ciliare 80 Plexus entericus 329 Plexus submucosus 329 Plosionslaute 419 Pneumotachographie 111 Pneumothorax 107, 109, 124 PO4 7 Phosphat Podozyten 209 Poikilothermie 339 Polakisurie 335 Polarisierung 7 Polio-Viren 8, 297 Polyglobulie 21f polymodale freie Nervenendigung 382 Polysaccharide 151f polysynaptisch 351f polyurische Phase 225 POMC-(Proopiomelanocortin-) Zellen 258, 261 Pons 345, 361 pontine Kerne 359f pontine Neurone 335 Pontocerebellum 360 Porphyrinring 19 portokavale Anastomosen 94 positiver Verstärker 446 Positronen-Emissions-Tomographie (PET) 438 postganglionäre Neurone 328f, 330 Postmenopause 272, 287 postrotatorischer Nystagmus 425 postsynaptische Potenziale 438 Potenzial 196, 217 Potenzialdifferenz 5
476
Sachverzeichnis
PQ-Strecke 51f Präalbumin 25 präfrontale Rinde 372 präganglionäre Neurone 328f, 330, 336f Prägung 446 Präkallikrein 31 Präkapillarsphinkter 77 prämotorische Positivierung 439 prämotorischer Kortex 343ff, 420, 437 – Apraxie 363 – prozedurales Gedächtnis 447 – Sprache 420 präoptische Region Hypothalamus 338 Präpotenzial, Herz 44f, 68 Präproadiuretin 249 Präproglukagon 265 Präprohormone 239 präsynaptische Hemmung 371 präsynaptische Rezeptoren 331 Prätektum 395, 404 Präzipitation 35f Pregnandiol 272 Pregnenolon 259 preload 61f, 67 Presbyakusis 416 Presbyopie 391 Pressorezeptoren 81ff Pressversuch, Valsalva 75 Presswehen 285 Prestin 415 primär motorischer Kortex 344, 420, 437 primär somatosensorischer Kortex 420, 437 primäre Hörrinde 417, 420, 437 primäre Rezeptoren 377 primäre Sehrinde 405, 420, 437 primärer Homonüberschuss 238 primäres Gedächtnis 447 Primordialfollikel 279 Proaccelerin 29 proaktive Hemmung 447 Proerythroblasten 20 Progesteron 241, 259, 272ff, 281 Progesteronantagonisten 276 Programmierung Willkürbewegung 343 Prohormone 239 Projektionsfasern 436 Projektionskerne, Thalamus 437 projizierter Schmerz 382
Prokarboxypeptidasen 173 Prokonvertin 29 Proktitis, Niacinamid 152 Prolaktin 240, 248, 273f – Dopamin 450 – Halbwertszeit 237 – Milchdrüse 286f – vegetatives Nervensystem 332 – zirkadiane Periodik 442 Prolaktoliberin (PRF) 240 Prolaktostatin (PIH) 274 Proliferationsphase 273f Proopiomelanokortikotropin 239 Properdin 26, 34 Proportional-Differentialfühler (PD-Fühler) 308, 349, 369f Proportionalfühler 307f, 370, 375 propriospinale Neurone 347 Propriozeption 368, 370f, 379 Propulsionsbewegungen 157, 159, 161f Prosodie 420, 438 Prosopagnosie 406 Prostaglandin E2 (7 Prostaglandine) 92, 159, 211, 242, 381 Prostaglandin F2A (7 Prostaglandine) 92 Prostaglandine 239, 241f, 245f, 260, 279 – Bronchien 102 – cAMP 245 – Fieber 190 – Geburt 285 – Gefäßmuskeln 92, 326 – Gewebshormone 159 – Koronardurchblutung 66 – Magenschleimhaut 167 – Niere 199, 211ff, 214, 227, 252 – Prostata 277 – Schlaf 444 – Schmerz 381, 384 – Schwangerschaft 282 Prostata 277, 279f Prostazyklin 91, 242 Prostigmin 302 Protamin 35 Protanomalie 401 Protanopie 401 Protease-aktivierter Rezeptor PAR-2 382 Proteasen 32, 173, 279 Protein 14-3-3 246 Protein C 31 Protein S 31
Proteinabbau 223, 241, 255, 262 Proteinaufbau 240f, 273 Proteinbindung 212 Proteine 150, 182f, 195 Proteine, Liquor 310 Proteine, Verdauung 173 Proteinkinasen 15, 206, 245f, 303 Proteinkinasen A 244, 326 Proteinkinasen B 246 Proteinkinasen C 245f, 326, 447f Proteinkinasen G 90f, 244, 300, 326, 448 – Erektion 280 Proteinkinasen, Gedächtnis 447f – Langzeitpotenzierung 306 – metabotrope Rezeptoren 303 Proteinsynthese 10, 255, 257, 277 Proteinurie 38, 212, 282 Proteolyse, hormonelle Regulation 154, 241, 263 Prothrombin 25, 28f proximaler Tubulus 209ff, 215ff, 219f prozedurales Gedächtnis 360, 447 Pseudocholinesterase 25 Pseudohermaphroditismus 271 Pseudohyperaldosteronismus 251 Pseudohypoaldosteronismus 220, 252 Pseudohypoparathyreoidismus 205, 253 Pseudoinsomnia 444 Psyche 358, 448ff Psychopharmaka 445, 450 Psychophysik 370 Psychophysiologie 430, 432, 448ff Psychosen 153, 448ff PTA-Mangel 29 PTH 7 Parathormon Ptose 393 Pubertas präcox 339 Pubertät 271f Puffer 24, 129f Pufferbasen 131, 136f Pufferkapazität 130 Pufferung 131 Pulmonalarterie, Druck 76, 116 Pulmonalgefäßwiderstand 76 Pulmonalklappe 55 Pulmonalkreislauf 76, 90, 93, 100 – Geburt 97
Pulmonalvenen 74 Pulswelle 73 Pulswellengeschwindigkeit 73 Pulvinar, Thalamus 372 Pumpen 6 Pupillen 310, 332ff, 393f, 400, 403 Pupillenreflexbahn 405 purinerg 301 Purkinje-Fasern 44, 47, 51 Purkinje-Zelle 359 Putamen 346, 356 P-Welle 52f Pyelonephritis 225 Pylorus 161 Pyramidenbahn 345f, 363f Pyramidenzellen 344, 436, 438f Pyridoxalphosphat 152, 154, 177 Pyridoxin 151 Pyruvat 66
Q Q10-Wert 185 QRS-Komplex 52f, 59 QT-Strecke 52 Qualitäten, Sensorik 368, 375 Quanten 298f quarternäre Ammoniumverbindungen 331 Querdisparation 406 Querschnittsläsionen 362, 365 Quick-Test 30 Q-Zacke 53
R Rac, G-Proteine 244 Rachen 164 Rachitis 152, 220, 253 Radatio optica 404 Ramus circumflexus 65 Ramus interventricularis 65 RANTES 33 Ranvier-Schnürringe 290, 295, 297 Raphékerne 336, 359, 383, 442, 444, 449 rapid eye movements 443 Ras 244 Rauchen 167, 444 raues endoplasmatisches Retikulum 243
477 Sachverzeichnis
räumliche Summation 305 räumliches Vorstellungsvermögen 438 rBAT 220 Reagine 36 Reboundphänomen 361 Rechengeschwindigkeit 442 Rechnen, kortikale Asymmetrie 438 rechte Hemisphäre 420 Rechtshänder 420, 438 Rechtsherzhypertrophie 116 Rechtsschenkelblock 53 Rechtstyp 52 Rechtsverschiebung 118 17-Reduktase 239, 259 Reflexblase 335 Reflexe, Sehnenrezeptoren 346ff, 351f – vegetative 334ff Reflexionskoeffizient 3f, 78 Refraktärzeit 14f, 44f, 294 Refraktionsanomalien 392f Regelblutung 273 Regelkreise, Hormone 236f Regio praeoptica 339, 449 Regler, Reflex 347 Reibelaute 419 Reissner-Membran 414 Reize, adäquate 307 Reize, unterschwellige 294 Reizleitungssystem 44, 46f Reizschwelle 307, 370 Reizstärke 370 Reizstrom 293 Reizung, Nerven 293 Rekombination, somatische 36 Rektum (7 Darm) 328 rekurrente Hemmung 305 Relaiskerne 371 Relaxin 273 release inhibiting hormones 237, 244, 247, 337 releasing hormones 237, 244, 247, 337 REM-Schlaf 443ff renale Kompensation 134f renaler Blutfluss (RBF) 211, 231, 257 renaler Diabetes insidipus 223, 250 renaler Plasmafluss (RPF) 214, 230f Renin 82ff, 200, 251 – Schwangerschaft 282 – vegetatives Nervensystem 332
Renin-Angiotensin-AldosteronMechanismus 214f, 251 Renshaw-Hemmung 305, 347 Reparation 260 Reserpin 450 Residualvolumen 104f, 111 resistance 106, 110 Resorption, tubuläre 215f respiratorische Alkalose 134ff respiratorische Arrhythmie 67 respiratorische Azidose 134ff respiratorische Kompensation 135 respiratorischer Quotient 115, 150, 183 restless leg syndrome 445 restriktive Lungenerkrankungen 110, 113, 116 retikuloendotheliales System 20 Retikulozyten 20 Retina 392, 397ff – zirkadiane Periodik 442 Retinitis pigmentosa 398 Retinol 25, 151f retinolbindendes Protein 25 Retinopathie, diabetische 264 retinotope Organisation 404f Retraktionskraft 105ff, 109f retroaktive Hemmung 447 retrograde Amnesie 448 retrolentale Fibroplasie 121 Reynold-Zahl 73 rezeptive Dilatation 160 rezeptive Felder 308, 373, 375, 377 – Retina 397, 399f rezeptive Strukturen 368 Rezeptorblocker 301 Rezeptordichte 224, 245f, 331, 376 A-Rezeptoren 331 – Herz 66 – K+-Haushalt 201 – Kreislauf 95 – Nahrungsaufnahme 156 A1-Rezeptoren 246 A2-Rezeptoren 245, 331 B-Rezeptoren 245, 331 – Aktionstremor 364 – Atemwege 101 – Herz 66, 68 – K+-Haushalt 201 – Kreislauf 66, 83, 92, 94f – Muskelarbeit 143 – Nahrungsaufnahme 156 – Schilddrüsenhormone 257 B1-Rezeptoren, Renin 224
B2-Rezeptoren 66, 92, 95, 101, 143 Rezeptoren, Endplatte 301, 318 – Sensorik 347, 370, 375 Rezeptorzellen, sekundäre 368 Rezeptorpotenzial 294, 307f, 369 Rezeptorzellen, primäre 368 RH (releasing hormones) 237, 244, 247, 337 Rheobase 293 Rheobasenstrom 294 Rhesusfaktor 38f Rhesus-Inkompatibilität 39 Rhodanidionen 164 Rhodopsin 152, 398f Rho-Kinase 326 Rhythmus, zirkadianer 84, 240, 338f, 442f Riboflavin 151f, 177 Ribonukleasen 165 Ribosomen 10, 243 Richtungshören 413, 418 Richtungsspezifität 405 Riechepithel 428 Riechhirn 448 Riechschleimhaut 428 Riesenwuchs 256 Rigor 357 RIH (release inhibiting hormones) 237, 244, 247, 337 Rindenareale 437 Rindenblindheit 406 Ringmuskulatur, Darm 159 Rinne-Versuch 411 Rippen, Atembewegungen 106f Riva-Rocci 86f rostraler intestinaler Kern 395 Rotblindheit 401 Röteln 282 Rot-Grün-Blindheit 401 Rotschwäche 401 Rotzapfen 400 rubospinale Bahn 346, 353f Rückenmark 365 – Großhirnrinde 345, 436 – Kleinhirn 360f – Motorik 347 – vegetatives Nervensystem 328 – viszerale Afferenzen 329 – zirkadiane Periodik 442 Rückenmarksautomatismen 362 Rückenmarksdurchtrennung 335, 365 Rückstellkräfte 105ff, 109f Rückwärtshemmung 305
P–S
Ruffini-Körperchen 368f, 375ff Ruhedehnungskurve, Herz 60f – Lunge 108f – Skelettmuskel 316, 322 Ruhemembranpotenzial 291 Ruhetremor 357 Ruheumsatz 184 Rumpf, Rezeptordichte 376 R-Verlust 53 Ryanodinrezeptoren (RYR-1) 47, 318, 322f R-Zacke 51
S SA (slowly adapting), Rezeptoren 375 Saccharase 165, 173 Saccharin 429 Saccharose 165, 429 Sacculus 422f Sakkaden 394 Sakralmark 328 Salbengesicht 358 Saluretika 220 Salzappetit 77, 199, 251 salzig 429f Salzsäure, Geschmack 429 Salzsäuresekretion 159, 166f, 241, 260 Samenblase 277, 279 Samenkanälchen 274, 276 Samenleiter 271, 277 Sammellinse 391 Sammelrohr 201, 209ff, 215f, 218, 222 sarcoplasmic endoplasmic reticulum Ca2+ transporting ATPase (SERCA) 318, 320 Sarkolemm 317 Sarkomer 315 Sarkoplasma 320 sarkoplasmatisches Retikulum 317f, 322 Sättigung 155, 338, 348 sauer 429f Sauerstoff 7 O2 Säuglinge (7 Neugeborene) 187, 194, 197 Säulen, Großhirnrinde 405, 436 Säure, nonionic diffusion 5 Säure-Basen-Haushalt 129, 131ff – K+ 201 – Leber 170 – Störungen 134f Säuren 216
478
Sachverzeichnis
Saures A1-Glykoprotein 25, 35 Säuresekretion, Magen 159, 166f, 241, 260 Scala media 414 Scala tympani 414, 422 Scala vestibuli 414, 422 Schalldruckpegel 410 Schallempfindungsschwerhörigkeit 411 Schallleitungsschwerhörigkeit 411, 413f Schallwellen 410 Schaltneurone 347 Schaltzellen 167, 219 Schambehaarung 273 Schamlippen 332f scharf 430 Scheide 273 Schenkelblock 52 Scherkräfte 90, 369 Scheuklappenblindheit 404 Schichtarbeiter 444 Schielamblyopie 407 Schielen 310, 395, 407 Schilddrüse 256 – Calcitonin 204, 253 Schilddrüsenhormone (T3, T4) 84, 241, 255ff – ANF 252 – Diabetes mellitus 264 – Erythropoiese 21 – Fetus 283 – genomische Wirkung 244 – Herzfrequenz 68 – Hormonspeicherung 236 – Hypertonie 85 – K+-Haushalt 201 – Kerntemperatur 188 – Niere 211 – Plasmaproteinbindung 25, 236, 257 – Somatotropinausschüttung 254 – Synthese 239 – Überernährung 154 – vegetatives Nervensystem 332 Schildknorpel 419 Schizophrenie 433, 450 Schlaf 444 – Atmung 125 – EEG 439 – Neurotransmitter 301 – Wärmebildung 186 Schlafdauer 443f Schlafen, zirkadiane Periodik 373, 443 Schlafentzug 444, 446
schlaffe Lunge 110 Schlaflosigkeit 258, 339, 444f Schlafmittel 189, 444f Schlafparalyse 445 Schlafphasen 443 Schlafapnoe 444f Schlafspindeln 443 Schlafstörungen 258, 339, 444f Schlafsucht 339 Schlaf-Wach-Rhythmus 373 Schlafwandeln 445 Schlaganfall 97f, 154, 287 Schlagvolumen 62, 67 – Blutdruck 76, 81f, 84f – Herz 61, 69 – Muskelarbeit 143f – Pressen 75 – Sportlerherz 69 – zentraler Venendruck 88 Schleifendiuretika 202, 206, 220, 223 Schleimproduktion 166, 241, 260, 279 Schlemm-Kanal 392, 394 Schluckreflex 160 Schlussleisten 8, 311 Schmatzen 355 Schmerz 371, 373, 381ff – Atmung 125 – Bekämpfung 384 – Blutdruck 84 – dumpfer 381f – Entzündung 38 – Erbrechen 161 – Erlebnis 382f, 449 – Gedächtnis 383 – Halbseitenläsion 385 – heller 382 – Hemmung, endogene 383 – Herz 66, 68 – Hormone 242, 259 – Ileus 162 – Nerven 296, 385 – Neurotransmitter 301 – Rezeptoren 351, 368f – Schwelle 410f, 442 – viszeraler 329 Schnapp-Atmung 126 Schnarchen 445 Schnorcheln 128 Schnupfen 433 Schock 86 Schreiben 438 Schrittmacher, Herz 46, 53f Schrittmacher, Wehentätigkeit 285 Schubspannung 91 Schüttelfrost 190
Schutzreflexe 428f Schwabach-Test 411 Schwäche 152 Schwangere 118, 194 Schwangerschaft 280, 282 – Blutdruckmessung 87 – Blutgruppeninkompatibilität 39 – Calcitonin 204 – Eisen 177 – Erbrechen 161 – Geruchssinn 433 – Körpervolumina 194 – O2-Transport 118 Schwangerschaftstest 281 Schwann-Zellen 8, 295, 308, 376 Schwarz-/Weiß-Sehen 400 Schweiß 196 – Elektrolytumsatz 199 – hormonelle Regulation 241 – Hypoglykämie 264 – Magnesium 206 – Wärmeabgabe 187 – Wasserhaushalt 197 Schweißausbruch 7 Schweißsekretion 161 Schweißdrüsen, Acetylcholin 330 – Aldosteron 251 – Bradykinin 92 – Hautdurchblutung 94 – Serotonin 92 – Testosteron 277 – vegetatives Nervensystem 332 schweißig 429, 432 Schweißsekretion 189 – Erbrechen 161 – vegetatives Nervensystem 336 – Wärmeakklimatisation 190 Schwelle, Reflex 348 Schwellenreizstärke 401 Schwerhörigkeit 411, 413f, 418 Schwindel 310, 424 – Hyperoxie 121 – Hyperventilation 90 – Kleinhirnläsionen 361 Schwindelanfälle 424 Seborrhö 152 second messenge(r) 244f, 320 Seelenblindheit 406 Segelklappen 55, 57 Segmentationsbewegungen 157, 159, 161f Sehachse 392 Sehbahn 403f Sehnenorgane 296, 364
Sehnenrezeptoren 351 Sehnerv 392, 404 Sehrinde 359, 372, 403f, 406f, 420 Sehschärfe 400 Seitenventrikel 310 Sekretin 159, 166ff, 178, 244, 263 Sekretion 8 – Gastrointestinaltrakt 163f, 168, 178 – Hormone 236 – Niere 215f – VIP 331 Sekretionsphase 273 sekretorische Reflexe 429 sekundäre Botenstoffe 244f, 320 sekundäre Hörrinde 420, 437 sekundäre Sehrinde 420, 437 sekundäre sensorische Hirnareale 373 sekundäres Gedächtnis 447 Sekundärfollikel 279 Sekundenkapazität 112 Selektine 32 Selen 151, 153 semantische Fehler 421 Seminogelin 279 Sensibilisierung 39, 301, 381, 446 Sensibilitätsausfälle 152, 385 Sensitivierung 446 Sensoren 307, 368ff, 380f, 430 sensorische Dimension, Schmerz 383 sensorische Rindenareale 437 sensorisches Gedächtnis 447 Sensorpotenzial 369 Sepsis 22, 86, 91, 251 septischer Schock 86, 91 Septum 442, 449 Septumkerne 449 SERCA (Sarcoplasmatic endoplasmatic reticulum Ca2+ transporting ATPase) 318, 320 Serin 226 Serotonin 239, 242, 299ff – Darmnervensystem 329 – Emotionen 449f – Endothel 91 – Gefäßmuskulatur 92 – Migräne 382 – NO-Synthase 90 – präsynaptische Hemmung 371 – Pyridoxalphosphat 152 – Schlaf 444
479 Sachverzeichnis
– Schmerz 382f – Signaltransduktion 245f – Somatotropin 254 – Thrombozyten 27f – zirkadiane Periodik 442 Sertoli-Zellen 271, 276ff Serum und Glukokortikoid-induzierbare Kinase (SGK) 246 Serumamyloid A 25, 35 Servomechanismus 348 Seufzer-Atmung 126 sex determining region of Y 271 Sexualfunktionen 334 Sexualhormone, weibliche ( 7 Östrogene, Gestagene) 239, 259, 272ff Sexualverhalten 338 sexuelle Erregung 274, 250, 280 sexuelles Verhalten 280, 449 SGK 246 SGLT1 175, 220 Shuntumkehr 58 Shuntvitien 58 Shy-Drager-Syndrom 85 Sichelzellenanämie 19 Signalketten 243ff Signaltransduktion 243ff, 330 Signalübertragung 292, 298 Signalverarbeitung 305, 397 Simultankontrast 391 Single unit, glatter Muskel 325f Sinnesmodalitäten 307, 368, 370 Sinnesreize 307 Sinneswahrnehmung 385 Sinneszellen, primäre 307 – sekundäre 307 Sinus coronarius 65 Sinusbradykardie 52 Sinusknoten 43f, 46f, 51, 68 Sinustachykardie 52 Sitzen 344 skandierende Sprache 361 Skelettmuskel 89, 315, 318f, 322 – Arbeit 144 – Durchblutung 89, 94 – Energiesubstrate 184 – O2-Ausschöpfung 120 – vegetatives Nervensystem 332 Sklera 392 Skorbut 152 Skotom 403 skotopisches Sehen 398, 400 Skrotum 277 SLC6A19 220 D-sleep inducing peptide 444 sliding filaments 314 slow waves sleep (SWS) 443
Sludge-Bildung 86 SO42– 132, 176, 195, 216f Sohle, Rezeptordichte 376 Sollwert 188, 347ff solvent drag 4, 176, 217 Somatoliberin 155, 240, 248 Somatomedine (insulin like growth factors IGF’s) 242, 255 Somatosensorik 368ff somatosensorischer Kortex 345, 371ff, 372, 379, 382, 385 Somatostatin (STH) 159, 167, 248, 299 – Halbwertszeit 237 – cAMP 245 – Darmnervensystem 329 – Glukorezeptoren 155 – Langerhans-Inseln 262f, 265 – Pankreassaftsekretion 168 – Schilddrüsenhormone 257 – Somatotropin 254 – vegetatives Nervensystem 332 Somatotopie 373, 437 – Hinterstrangbahnen 371 – Kleinhirnkerne 359 – Motorkortex 344 – Thalamus 372 somatotropes Hormon (STH), 7 Somatotropin Somatotropin 240, 254ff – Blutdruck 85 – Diabetes mellitus 264 – Energiesubstrate 255 – Erythropoiese 21 – Insulinausschüttung 263 – Magnesium 206 – Milchdrüse 286 – Muskelarbeit 141 – Muskelmasse 144 – Niere 211 – Unterernährung 154 – vegetatives Nervensystem 332 – zirkadiane Periodik 442 somatoviszerale Sensorik 368, 370, 376, 380, 385 – Formatio reticularis 372 – Hypothalamus 372 – limbisches System 372 Sone 410 Sorbitol 197 sorting 7 Spalt, synaptischer 298, 301 Spannung 376 Spannungs-Längen-Diagramm 316 Spannungspneumothorax 109 Spastik 346, 364
spatial buffering 9, 309 Speichel 163f, 173 Speicheldrüsen 165 – Adrenalin 265 – Aldosteron 251 – Bradykinin 92 – Hormone 92, 241, 251, 265 – vegetatives Nervensystem 265, 328, 332f Speichel-Sekretion 161, 358, 428, 445 Speicherkrankheiten 10 spektrale Empfindlichkeit 401 Spektrin 20 Spermatiden 279 Spermatogonien 279 Spermatozoen 279f Spermatozyten 277ff Spermidin 35 Spermien 277, 279f Spermin 35 Sperminogenese 240f, 277 spezifische Abwehr 35 spezifische dynamische Wirkung 150, 184 Sphärozyten 19f Sphincter ani 157, 162 Sphincter Oddi 168 Sphincter pupillae 322, 393 Sphingomyelinase 245, 247 Sphinktere 157, 331ff spikes and waves 439 spinale Organisation, Nozizeption 382 spinale synaptische Übertragung 373 spinaler Schock 335, 346, 365 spinales Stehen 362 Spinalganglien 329 Spindelzellschicht 436 Spinocerebellum 360f spinoretikuläre Bahn 371 spinozerebellare Bahnen 379 spinozervikaler Trakt 371 Spiralarterien 281 Spiroergometrie 146 Spironolakton 202 Splanchikusgebiet 94, 143 Splenomegalie 33 Spontansprache 421 Sportlerherz 69, 144, 146 Sprachaudiometrie 411 Sprachbildung 419 sprachdominante Hemisphäre 438 Sprache 361, 363, 420 Sprachentwicklung 418 Sprachmelodie 420, 438
Sprachstörungen 363, 419 Sprachverständnis 419ff Sprechen im Schlaf 445 Spurenelemente 151, 155 Stäbchen 397f, 400ff, 405 Stäbchenmonochromasie 402 Stammfettsucht 261 Stammhirn 336 Stammzellen 20, 27, 32 Standardbikarbonat 136 Startreaktion 85 Statine (release inhibiting hormones, RIH’s) 247, 337 Stauungspapille 310 Stavermann 3 steady state 141, 143 Steatorrhö 178 Stechapfelform 19 stechend 429f, 432 Stehen 344, 362 Steigbügel 413 steile Wellen 439 Steiltyp 52 Stellglied 188, 347 Stellknorpel 419 Stellreflexe 354 Sterinesterhydrolase 165 Sternzellen 344, 359, 436 steroidbindendes Globulin 25 Steroiddiabetes 261, 264 Steroide, Galle 169 Steroidhormone 236, 243 Sterozilien 415 Stevens-Potenzfunktion 370 STH 7 Somatotropin ST-Hebung 52f Stickstoffmonoxid (NO) 7 NO Stiernacken 261 Stillen 274, 287 Stimmbänder 277, 419 Stimmbildung 419 Stimmbruch 277 Stimmritze 419 Stirn, Rezeptordichte 376 Stirnhirn 421, 432, 445, 449 Stoffaustausch 78 Stoffmenge 2 Stofftransport 4f, 8 Stoffwechsel 181ff, 226 Stomatitis 152 Strabismus 407 Strahlen, Brechung 391 Strahlengang, Linsen 390 Strahlung 187 Strategien 447 Strecker 351, 353 Streckreflex, gekreuzter 351 Streptokinase 31
S
480
Sachverzeichnis
Streptomycin 431 Stress 240, 274, 338 – Aktionstremor 364 – Blutdruck 84 – Hormone 237f, 250, 254, 258f, 274 – Schlafstörungen 444 – Schmerzhemmung 383 stretch inhibited channels 250 Stria terminalis 449 Stria vascularis 415 Striae distensae 261 Striatum (7 Basalganglien) 345f, 356, 358 Stromstärke 76, 78 Strömung 72f, 76 Strömungsgeräusche 59, 282 Strömungsgeschwindigkeit 74ff, 95 Strömungsverläufe 76 Strömungswiderstand 77, 106, 112 strukturelle Organisation, vegetatives Nervensystem 328 Struma 258 Strychnin 347 ST-Strecke 51 Stuart-Prower-Faktor 29 Stuhl 164, 170f Stützmotorik 344, 353 Subarachnoidalraum 310, 422 subdominante Hemisphäre 438 subjektive Wahrnehmung 307 subkortikale Aphasie 421 Sublingualis 163, 165 Submandibularis 163, 165 Submodalitäten 368 Substantia nigra 346, 356f, 362, 447 Substanz P 299, 301 – 1, 4, 5-IP3 246 – Afferenzen 370 – Basalganglien 356 – Darmnervensystem 329 – NO-Synthase 90 – Schmerz 382 Succinylcholin 171, 302 Sucrose 196 Sukzessivkontrast 391 Sulcus ulnaris 382 Sulfat 132, 176, 195, 216f Sulfonylharnstoffe 262 Summenvektor 49ff superconducting quantum interference device (SQUID) 439 Superkompensation 147 Superoxid (O2) 246 Superposition 322
supplementär motorischer Kortex 344f supraspinale Kontrolle 336 supraspinale Neurone 347 supraspinale Organisation 383 Surfactant 105, 260, 283 süß 429f SWS-Schlaf 443 Sympathikus 296, 301, 328ff – Aldosteron 251 – Atemwege 101 – Blutdruck 82, 84 – CRH 259 – Emission 280 – Ganglien 330 – Gastrointestinaltrakt 95, 157, 165 – Gefäße 89, 92, 94f, 326 – Herz 68 – Hypoglykämie 264 – Insulin 263 – Kochsalzhaushalt 200 – Muskelarbeit 141, 143 – Niere 224f – Notfallreaktion 145 – Pupille 393 – Schmerz 382 – Schock 86 Synapsen 290, 298, 302 – Gedächtnisbildung 447 – Gliazellen 309 – Plastizität 446 – präsynaptische 306 – Reflex 348 Synkope 84 Systole, Herzzyklus 59, 65, 74, 76 systolischer Blutdruck 87 S-Zellen 159, 166
T T3, T4 7 Schilddrüsenhormone Tachykardie 52 – Erbrechen 161 – Hypoglykämie 264 – Koronardurchblutung 65 – Menopause 287 Tachypnoe 125 Tagesrhythmen 7 zirkadiane Rhythmik Tagessehen 398 Talgdrüsen 277, 358 Taschenklappe 57 Taschenmesserphänomen 364 Tastsinn 368, 375f
Tatlosigkeit 449 Taubheit 221, 258, 415, 418 Tauchen 128 Taurin 197, 299f Tawaraschenkel 47, 51f TDF, testisdeterminierender Faktor 271 Tektorialmembran 415 Temperatur, Hämoglobin 118f – Herz 46, 48 Temperaturfühler, Temperaturregulation 188, 371 Temperaturprofil 189 Temperaturregulation 188, 286, 338f Temperaturrezeption 7 Thermorezeption Temperaturrezeptoren 307, 338, 368f, 377f Temperatursinn 296, 368, 377f, 385 Temporallappen 406, 421, 447 Tentorium cerebelli 310 terminale Strombahn 77 tertiär aktiver Transport 217 Tertiärfollikel 279 Testis 241, 271 Testosteron 241, 272f, 276ff – Arbeit 144 – Erythropoiese 21 – Hormonbindung 236 – Nahrungsaufnahme 156 – Störungen 278 – Struktur 259 – Synthese 239 – zirkadiane Periodik 442 Testverfahren, Hörprüfung 411 Tetanie 322 tetanische Muskelkontraktion 322 tetanische Reizung 319 Tetanisierung 319 Tetanus 322 Tetanustoxin 8, 297, 322 testisdeterminierender Faktor (TDF) 271 TGFB (tumor growth factor) 28, 33 Thalamus 371f, 437 – Afferenzen 371 – Aphasie 421 – EEG 439 – Geruch 432 – Geschmack 430 – Gleichgewicht 424 – Großhirnrinde 345, 436 – Kleinhirn 360f – Sprache 420
– Tiefensensibilität 379 – Willkürbewegung 343 Thalamussyndrom 382 Thekazellen 273 T-Helferzellen 33, 36 Thermodilutionsmethode 78 Thermodynamik 182 Thermoregulation 188, 286, 338f Thermorezeption 307, 338, 368f, 377f Thiamin 151f, 177 Thiazide 221 Thioamide 257 Thiozyanat 196, 257 Thomson, Myotonia 322 thorakolumbales System 328 Thorax 106, 109f Threonin 150f Thromben 30, 241, 287, 310 Thrombin 28, 31, 90, 92 Thrombinzeit 30, 241, 287, 310 Thromboembolien 287 Thrombokinase 29 Thromboplastinzeit 30 Thrombopoetin 27, 226 Thrombose 30, 241, 287, 310 Thrombospondin 28 Thrombosthenin 28f Thromboxan 239, 242, 247 – Gefäßmuskulatur 92 – Niere 211 – Thrombozyten 27, 30 Thrombozyten 18, 27ff – Arbeit 143 – Fetus 284 – Hormone 241f, 265 – Tocopherole 152 – vegetatives Nervensystem 265, 332 Thrombozytopathie 28 Thrombozytopenie 28, 152 Thrombus 28f Thymus 32 Thyreoglobulin 256f Thyreoidea stimulierendes Hormon (TSH) 240, 257 Thyreoidea 241 Thyreostatika 257 Thyreozyten 257 Thyroliberin (thyrotropin releasing hormone TRH) 240, 246, 248, 255, 274, 338 Thyrosinkinasen 246 Thyrotropin (Thyreoidea stimulierendes Hormon TSH) 237, 240, 248, 332, 442
481 Sachverzeichnis
Thyroxin 7 Schilddrüsenhormone T3, T4 thyroxinbindendes Globulin (TGB) 25, 257 thyroxinbindendes Präalbumin (TBPA) 257 Thyrozyten 256 Tiefenschärfe 406 Tiefensehen 407 Tiefensensibilität 369, 379, 385 Tiefenwahrnehmung 406 Tiffeneau-Test 112f tight junctions 8, 11 – Calcium 203 – Kapillarwand 78, 80, 311 – Niere 217 – Verdauungstrakt 164, 176 Tinnitus 416 tip links 415, 423 tissue-type plasminogen activator t-PA, Fibrinolyse 30 Titin 56, 314, 322 titrierbare Säure 130 T-Lymphozyten 32f, 35f TNF 16, 33, 246f, 444 Tocopherol 151f Tollkirsche 331 Toll-like Rezeptoren 34 Tonanalyse 418 tonische Fühler (Proportionalfühler) 307f, 370, 375 Tonizität 3 Tonometrie 394 tonotope Abbildung 415, 418 Tonschwellenaudiometrie 411 Topagnosie 387 torsionale Augenbewegungen 395 Totalkapazität 104f Totenstarre 314, 320 Totraum 104, 111 Toxine 8, 80, 311 t-PA 31 TP-Strecke 51 Tractus corticospinalis lateralis 345, 360f Tractus corticospinalis ventralis 345, 360 Tractus olfactorius 432 Tractus opticus 393, 404 Tractus reticulospinalis lateralis 346, 353 Tractus reticulospinalis medialis 346, 353, 360 Tractus rubrospinalis 346, 353f, 360 Tractus spinohypothalamicus 372
Tractus spinoreticularis 371, 378 Tractus spinothalamicus 371f, 378 Tractus vestibulospinalis 346, 353f, 360, 424 Training 146f, 446 Tränen(drüsen) 30, 328, 332f, 394, 428 Tränennasengang 394 Tränenpünktchen 394 Tränensack 394 Transducin 398 Transduktion, Geruch 432 – Retina 398 – Rezeptor 369 – Rezeptorpotenzial 307 Transferrin 26, 170f Transformation, Rezeptorpotenzial 294, 307, 369 transforming growth factor B (TGFB) 28, 33 Transfusion 86 Transkobalamin 25 transkortikale Aphasie 421 Transkortin 25 Transkription 10, 243 Transkriptionsfaktoren 246 transkutane Nervenstimulation 384 Translation 10, 243 Transmitter 298ff, 307 Transport 4ff – aktiver 5 – axonaler 7f – intrazellulärer 7, 297 – Niere 215ff Transportdefekte, Durchfall 175, 178 – Niere 219f Transportmaximum 6224, 230 Transportprozesse, elektrogene 13 transversales tubuläres System 318 transzellulär 8 transzelluläres Wasser 194 Trauer 448 Träume 444 T-Reflexe 348, 350 Tremor 364f – Basalganglien 357 – Hypoglykämie 264 – Kälte 189f – Kleinhirn 361 – Schilddrüsenhormone 258 TRH 240, 246, 248, 255, 274, 338 Triacylglycerine 18, 175
Triacylglycerinlipase 165 Triebverhalten 448 trigeminaler Sinn 428 Trigeminuskerne 372 Trijodthyronin 7 Schilddrüsenhormone Trikuspidalklappe 55, 57 Trinken, sekundäres 156 Trinkmenge 197 Tripeptidasen 165 Tritanomalie 401 Tritanopie 401 Trommelfell 412f Trophoblast 280 Tropine 337 Tropomyosin 56, 314f Troponin C 56, 314f TRPV5, Calciurie 220 Truncus pulmonalis 57 Trypsin 28, 34, 165, 173f Tryptase 382 Tryptophan 150f, 169, 450 Tryptophanmalabsorption 169 TSH 237, 240, 248, 332, 442 Tuba Eustachii 413 Tuberculum olfactorium 448 tubuläres System 317 Tubuli seminiferi 277, tubuloglomerular feedback 214, 224 tubuloinfundibulares System 450 Tubulussystem, Niere 209, 216 tumor necrosis factor (TNF A) 16, 33, 246f, 444 Tumore 15 – Bewusstlosigkeit 445 – EEG 439 – Geschmack 431 – Hirndrucksteigerung 309 – Hormone 238, 287 – Hydrozephalus 310 – Ileus 162 – Immunschwäche 37 Tumor-Nekrose-Faktoren (TNF) 16, 33, 246f, 444 Tumortherapie 203 Tumorzellen, natürliche Killerzellen 16, Tuningkurven 416 T-Welle 59 Tyrosin 300 Tyrosinkinasen 15, 245, 447f T-Zellen 33ff
S–U
U Übelkeit 310 – Gleichgewicht 424 – Hirnödem 200 – Kleinhirnläsionen 361 Überempfindlichkeit 38 Überernährung 153f übertragener Schmerz 336, 373 Übertragung, synaptische 298 Ulkuskrankheit 167, 261 Ultrafiltrationskoeffizienz 213 Ultraschall 95 Umami-Geschmack 430 Umbilikalgefäße 96f unbedingter Reflex 446 Unbehaglichkeitsschwelle 410f Uniporter 6, 217 unspezifische Abwehr 34 Unterernährung 153 Unterhautfettgewebe 187 Unterkühlung 46, 187ff, 330 Unterschiedsschwelle 370, 411, 432 Unterstützungskurve, Herz 60f Unterstützungsmaxima 68 Unterstützungszuckung 316f – Herz 57, 60 Unzuverlässigkeit 449 Ureter 227 – glatter Muskel 325 Ureterdruck 212 Urin 196f, 199, 215 urinary plasminogen activator u-PA, Fibrinolyse 30 Urinströmstärke 83, 221ff Urodilatin 199 – Blutdruckregulation 83 – Natriurese, ANF 252 – Niere 169, 179, 200, 205, 220, 225ff, 253 Urokinase 29, 31 Urolithiasis 169, 200, 205, 220, 227f, 253 Urtikaria, Allergie 38 Uterus (Schleimhaut) 273ff, 280, 282, 285f – Durchblutung 96 – Entwicklung 271 – Hormone 240ff – Muskel 325 – vegetatives Nervensystem 332 Utilisationsinsuffizienz 69 Utriculus 422f U-Welle 50
482
Sachverzeichnis
V V. 7 Vena Vagina 241, 271, 273f, 280, 443 Vagus 7 Nervus vagus Valin 150f, 170 Valsalva-Versuch 75, 110, 336 van’t Hoff’ 3 Vanadium 151, 153 van-Willebrand-Faktor 27f Varikositäten 329 Vas afferens 209f, 213ff Vas efferens 209f, 213f Vasa cerebri anteriora 310 Vasa recta 209f, 223 vasoactive intestinal peptide 7 VIP Vasocortin 260 Vasodilatation 92, 189 – Acetylcholin 330 – Aneurin 152 – Azidose 131, 135 – Blutdruckregulation 82 – Gewebshormone 159 – Hormone 241 – Migräne 382 – Muskelarbeit 143 – Niere 214 – NO-Synthase 90 – Schmerz 381f – vegetatives Nervensystem 333 – viszerokutaner Reflex 336 Vasokonstriktion 92 – Alkalose 131 – Fieber 190 – Hormone 241 – Migräne 382 – Niere 214 – Temperaturregulation 188 – vegetatives Nervensystem 331, 333 Vasopressin 7 ADH vasovagale Synkope 84, 334 Veganer 154 vegetative Nervenfasern 296 vegetative Reflexe 334 vegetative Steuerung 334 vegetatives Nervensystem 327ff – Atemwege 101 – Gastrointestinaltrakt 157, 165 – Gefäße 65, 92 – Herz 65, 68 – Hormone 238, 265 – Neurotransmitter 301 Vektorschleife 51 Vena arcuata 209
Vena centralis retinae 398 Vena interlobaris 209 Vena interlobularis 209 Vena jungularis interna 79 Vena renalis 209 Vena subclavia 79 Vena umbilicalis 96 Venae perforantes 75 Venen 74ff Venen, vegetatives Nervensystem 332 Venendruck, zentraler 77 Venenklappen 74f Venenplethysmographie 95 Venenthrombosen 274 Venentonus 85 Venenwinkel 79 Venolen 74, 77 venöser Rückfluss 75 venöses Pooling 86 Ventilation 115f, 125 – Arbeit 143 – Höhe 102 – Hyperthermie 188 – Messung 111 – Schwangerschaft 282 Ventilebene 55, 59 Ventilmechanismus 109 Ventrikel, Gehirn 310 – Herz 56, 62 Ventrikelseptumdefekt 58 Verapamil 48 Verarbeitungsprinzipien, Basalganglien 356 – Kleinhirn 359 Verarbeitungsprozesse, Retina 398 verbales Gedächtnis, 7 Gedächtnis Verbindungsstück 210, 218 Verbrauchskoagulopathie 29f Verbrennung 182 Verbrennungen 330 Verdauung 173ff – vegetatives Nervensystem 332 Verdauungsdrüsen 164 Verdauungsenzyme 165 Verdunstung 187 Vergenzbewegungen 394 Vergessen 447 Verhalten 336ff Verhütungsmittel 276 Verletzungspotenzial 52 Vermaschung Regelkreise 238 Vermis 359f Verschaltung, Basalganglien 356
– Kleinhirn 359 – Plastizität 446 Verschlusskapazität 104 Verschlussvolumen 104 Verstopfung 151, 258 Verteilungsstörungen 116 Vertexzacken 443 Verwirrtheit 200 Vesicula seminalis 280 Vesikel, Transmitter 298f, 301 Vestibulariskerne 354, 395, 423 Vestibulocerebellum 354, 359ff, 424 Vibrationsempfindung 368f, 375f, 385 Vierhügel 372, 417 Vigilanz 372f, 437 VIP 299 – Atemwege 101 – Erektion 279 – Großhirnrinde 436 – Magen-Darm-Trakt 159f, 170, 329 – NO-Synthase 90 – Prolaktin 274 – Signaltransdutkion 244 – vegetatives Nervensystem 331 Viren 16, 32, 34f Virilisierung 278 visköser Widerstand 106, 108, 110 Viskosität, Blut 22, 26, 59, 72f visuelle Aufmerksamkeit 406 visuelle Cortices 405 visuelles System 390, 403 visuell-räumliches Denken 361 Visus 399 viszerale Reflexe 381, 429 viszerale Sensorik 329, 336, 368ff, 380f viszerokutaner Reflex 336, 380 viszeromotorische Reflexe 380 viszerosomatische Konvergenz 382 Vitalkapazität 104f, 111 Vitamin A 25, 155, 257, 399 Vitamin B2 151f, 177 Vitamin B6 152, 154, 177 Vitamin B12 22, 25, 28, 154, 166f Vitamin C 155, 216 Vitamin D 204f, 253, 274, 282 Vitamin E 151f Vitamin K 29f, 151ff, 171 Vitaminbedarf, Schwangere 154 Vitamin-D-resistente Rachitis 220
Vitamine 151f, 154, 169, 177 Vitamin-K-Antagonisten 30 Vitamin-K-Mangel 29f VLDL (very low density lipoproteins) 23 – Glukokortikoide 261 – Menopause 287 – Östrogene 273 – Schilddrüsenhormone 257 Vokale 419 Vollmondgesicht 261 Volumen, Extrazellulärraum 196 – Glomerulumfiltrat 196 – interstitielle Flüssigkeit 195 – Intrazellulärraum 195f – Knochen 196 – Plasma 195 – Schweiß 196 – Urin 196 Volumenbelastung 57f Volumendepletionsalkalose 133f Volumenpuffer, Liquor 309 Volumenrezeptoren 329, 338 Vordehnung, Muskel 315f Vorderseitenstrangbahnen 371, 377, 385 Vorhof 51 – Druckverläufe 56 – Durst 156 – Geburt 97 – Orthostase 84 Vorhofdruck 59, 200, 250 Vorhofflattern 54 Vorhofflimmern 44, 54, 68, 258 Vorhoffüllung 86 Vorhofmuskulatur 47 Vorhofseptumdefekt 58 Vorlast, Herz 61f, 67 Vorstartzustand 145 Vorwärtshemmung 305 Vorwehen 285 vulnerable Phase 45 Vv. 7 Venae und Vasa v-Welle, Vorhof 59
W Wachen, Hormone 443 Wachstum 254, 278 – Fetus 283 – hormonelle Regulation 240, 242 – Insulin 264 – Leberinsuffizienz 256 – Schilddrüsenhormone 257
483 Sachverzeichnis
– Somatotropin 256 – Zink 153 Wachstumsfaktoren 15, 131, 328 Wadenwickel 190 Wahnvorstellung 450 Wahrnehmungsschwelle 432 Wallpapillen 428 Wanddicke, Herz 63 wandernde Zellen 7 Wanderwellen 414 Wandspannung 63 Wangen 376 Wärmeabgabe 186f, 332 Wärmeakklimatisation 190 Wärmeaufnahme 186 Wärmebildung 186, 320 Wärmefühler (7 Thermorezeption) 368f, 377f Wärmehaushalt 185ff Wärmeproduktion, Muskelarbeit 144 Wärmestrahlung 187 Wärmetransport 23, 187 Warmrezeptoren (7 Thermorezeption) 368f, 377f Wasser 197 – Absorption 169, 176 – Ausscheidung 215 – Flüssigkeitsräume 194 – Inspirationsluft 102 – Transport, Niere 215f Wasser- und Elektrolytbilanz 195 Wasser- und Elektrolythaushalt 194f, 197ff, 249 Wasserdiurese 223 Wasserhaushalt 197 Wasserkanäle 3, 217, 220, 222, 250 Wasserkopf 310 Wassertransport 4, 215f Weber-Fechner-Gesetz 370 Weber-Versuch 411 Wechseljahre 287 Wechselstrom 293f Wehentätigkeit 285 Wein 166 Weitsichtigkeit 391, 393 A-Wellen 439, 443
B-Wellen 439, 443 D-Wellen 439, 443 G-Wellen 439 *-Wellen 439, 443 Wernicke-Aphasie 420 Wernicke-Sprachzentrum 420 Whipple, Morbus 169 white coat hypertension 85 Widerstand, Gefäße 72, 76f, 81f, 85f – Pulmonalkreislauf 76 Wiederbelebungszeit 98 Willkürbewegungen 343, 438 Wilson, Ableitungen 49 Windkessel, Aorta 74 Wirkungsgrad 62, 140, 182f, 320 Wissensgedächtnis 447 Witzelsucht 449 Wolff-Gänge 271 Wortfindungsschwierigkeiten 421 Wundheilung 153, 261 Wundstarrkrampf 322 Würgen 428 Wurmlarven 32 Wutanfälle 445
X Xanthin 227 X-Chromosom 401 Xenobiotica 169f, 226 Xerophtalmie 152 x-Senkung 59
Y Y-Chromosom 271 y-Senkung 59
Z Zahnausfall 152 Zähne, Kauen 160
– Mineralisierung 203 – Speichel 164 Zapfen 397f, 400f Zapfenopsine 398 Zehen 376 zeitliche Summation 305 Zelle 10ff, 243 Zellerregung 12ff Zellkern 10f Zellmembran 9f Zellmembranpotenzial 5, 12ff, 200, 319 Zellmigration 7 Zellorganisation 9 Zellphysiologie 12ff Zellproliferation 15 – Hormone 238, 241f, 264 – pH 131 – Somatotropin 256 Zellschrumpfung 197, 200 Zellschwellung 197, 263 Zellschwund 97f Zellteilung 7 Zellproliferation Zelltod 15f, 97f, 246 Zellverbände, Stofftransport 8 Zellvolumen 196, 198, 200 – Liquor 309 – second message 245 – Zellproliferation 15 zentrale Projektionen, Geruch 432 – Geschmack 430 – Temperatursinn 377 – visuelles System 403 zentrale Strukturen 370 zentraler Diabetes insidipus 223 zentraler Venendruck 77f, 88f – Aldosteron 251 – Blutdruck 81 – Messung 87 – Orthostase 85 – Schock 86 zentrales Höhlengrau 383 Zentralisierung Kreislauf 86 zerebrale Vasokonstriktion 136 Zerstreuungslinse 391 Zervixschleim 241, 273, 276 Zielmotorik 323, 343, 360 Ziliarfortsätze 394 Ziliarkörper 392
V–Z
Ziliarmuskel 391f Zilien 11, 423 ziliospinales Zentrum 393 Zink 151, 153 Zirbeldrüse 240, 442, 450 zirkadiane Rhythmik 84, 240, 338f, 442f – Kerntemperatur 188 – Kortisol 259 – Leistungsbereitschaft 145, 147 Zitrat 30, 131, 227f, 429 Zitratzyklus 10, 27 Zitronensäure 7 Zitrat Zittern 7 Tremor Zitterschwelle 190 ZNS 145, 343ff, 383ff, 435ff Zona fasciculata 258f Zona glomerulosa 250, 258f Zona pellucida 280 Zona reticularis 258f Zonulafasern 392f Zotten, Darm 174f Z-Streifen 314 Zunge 160, 419, 428 Zungenpapillenatrophie 152 Zweipunkt-Schwelle 376 Zwerchfell 75, 106f, 109, 161 Zwergwuchs 256 Zyanid 433 Zyanose 58, 119 zyklisches Guanosinmonophosphat 7 cGMP Zyklooxigenase 27, 30, 190, 245 Zyklus, weiblicher 272ff Zylinderlinsen 392 zystische Fibrose 101, 111 zytoachitektonische Felder 437 Zytochrom 91, 246 zytolytischer Komplex 34 Zytoplasmawiderstand 293 Zytoskelett 10 Zytosol 9 zytosolischer Rezeptor 243 zytotoxische T-Zellen 37f