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John D. Barrow, Autor von Der Ursprung des Universums und Theorien für Alles, ist Physiker an der Universität Cambridge (Großbritannien) und Autor zahlreicher Sachbücher. Seine Bücher wurden in 26 Sprachen übersetzt, er ist in Deutschland durch Lesereisen und Artikel bekannt.
John D. Barrow
Das 1x1 des Universums Neue Erkenntnisse über die Naturkonstanten Aus dem Englischen von Carl Freytag
Campus Verlag Frankfurt/New York
Die englische Originalausgabe The Constants of Nature erschien 2002 bei Jonathan Cape Copyright © John D. Barrow Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 3-593-37330-0 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Copyright © 2004. Alle deutschsprachigen Rechte bei Campus Verlag GmbH, Frankfurt/Main Umschlaggestaltung: mancini-design, Frankfurt/Main Satz: Publikations Atelier, Dreieich Druck und Bindung: Friedrich Pustet, Regensburg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier. Printed in Germany
Für Carol
Notwendige Bedingung für unsere Existenz ist nicht die Fähigkeit, uns erinnern zu können, sondern ganz im Gegenteil die Fähigkeit, vergessen zu können. Sholem Ash
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Naturkonstanten – einige Vorbemerkungen . . . . . . . .
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Eine Reise an den Rand der Welt Bruchlandung auf dem Mars . . . Maß für Maß . . . . . . . . . . . . . Warum universelle Maßeinheiten? Stoneys brillante Idee . . . . . . . . Plancks natürliche Einheiten . . . Planck landet in der Realität . . . Anmerkungen über das Altern . .
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18 18 19 26 28 34 39 41
3
Mensch und Übermensch . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einstein und die Naturkonstanten . . . . . . . . . . . . Stoney- und Planck-Einheiten: die neue Mappa mundi Andere Welten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neue Varianten des Kopernikanischen Prinzips . . . .
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43 43 50 55 56
4
Einfach, praktisch, gut: die ›Theorie für Alles‹ Zahllose Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kosmischer Kubismus . . . . . . . . . . . . . . . Neue Konstanten – neue Probleme . . . . . . . Zahlenzauber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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60 60 63 67 73
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Das 1 × 1 des Universums
82 82 88 93
5
Eddingtons Unvollendete . . . . . . . . . . . Können Sie bis 136 x 2256 zählen? . . . . . . Fundamentalismus . . . . . . . . . . . . . . . Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung
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Das Geheimnis der Superzahlen Geisterzahlen . . . . . . . . . . . Eine kühne Hypothese . . . . . . Von den kommenden Dingen . Groß und alt, dunkel und kalt . Die größte aller Zahlen . . . . . .
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. 98 . 98 . 99 . 105 . 111 . 114
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Leben im All . . . . . . . . . . . . . . . . Ist das Universum alt? . . . . . . . . . . Die Früchte des Lebens . . . . . . . . . Lebende Wolken . . . . . . . . . . . . . . Wachet auf! Das Ende ist nahe! . . . . Vom Zufall zum Schicksal . . . . . . . . Das Universum zu Zeiten Eduards VII.
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116 116 117 123 125 127 128
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Das Anthropische Prinzip . . . . . Anthropische Argumente . . . . . Ein empfindliches Gleichgewicht Brandon Carters Prinzipien . . . . Die Natur als Drahtseilakt . . . . Andere anthropische Prinzipien .
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133 133 144 151 156 159
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»Es war einmal …«: Variable Konstanten und die Neufassung der Geschichte . . . . . . . . . Starre Welten contra flexible Welten . . . . . . Inflationäre Universen . . . . . . . . . . . . . . . Virtuelle Geschichte – ein kleiner Exkurs . . . .
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167 167 171 181
Neue Dimensionen . . . . . . . . . . . Ein Leben mit hundert Dimensionen Ein Spaziergang mit Planisauriern . Polygone und Polygamie . . . . . . . .
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189 189 192 197
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Inhalt
Warum ist das Leben für Physiker ein Kinderspiel? . Paul Ehrenfest: ein trauriger Fall . . . . . . . . . . . . . Gerald Whitrow: ein ganz besonderer Fall . . . . . . . Theodor Kaluza und Oskar Klein: ein seltsamer Fall Variable Konstanten für den Tanz auf dem Brane . .
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200 203 206 211 214
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Variationen über ein Thema . . . . Ein prähistorischer Kernreaktor . . Alexander Shlyakhters geniale Idee Die Uhr der Ewigkeit . . . . . . . . . Untergrund-Spekulationen . . . . .
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218 218 225 230 231
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Der Griff nach den Sternen . . Rückblicke . . . . . . . . . . . . Schwankende Konstanten . . . Botschaften aus grauer Vorzeit Unser Platz in der Geschichte .
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234 234 242 245 250
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Neue Welten – neue Rätsel Multiversen . . . . . . . . . . Das Buch der Bücher . . . . Grenzenlose Welten . . . . . Das Ende der Reise . . . . .
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256 256 262 266 271
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Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319
Vorwort
Es gíbt Dinge, die ändern sich nie. Von ihnen handelt dieses Buch. In früheren Zeiten waren es vor allem die besonderen Ereignisse, die Geschichte machten: Überraschendes, Unerwartetes, Beunruhigendes, Katastrophen. Erst nach und nach begann die Wissenschaft, auch die Geheimnisse zu entschlüsseln, die im Gesetzmäßigen und Vorhersagbaren verborgen liegen. Obwohl die Atom- und Molekülbewegungen so chaotisch verknüpft sind, dass sie niemand im Einzelnen vorhersagen kann, offenbart sich uns die Welt als zusammenhängend und von großer Zuverlässigkeit. Wollen wir wissen, warum das so ist, suchen wir zunächst nach den ›Gesetzen‹, die angeben, wie sich die Dinge in der Natur verändern. Bei dieser Suche sind wir auf eine Anzahl geheimnisvoller Zahlen gestoßen, die Ausdruck dieser Verlässlichkeit sind: die Naturkonstanten. Sie bestimmen die charakteristischen Eigenschaften unseres Universums und unterscheiden es von anderen vorstellbaren Welten. Die Naturkonstanten stehen für zweierlei: unser tiefstes Wissen über die Welt und unsere größte Ratlosigkeit. Einerseits messen wir die Größe dieser Konstanten mit zunehmender Genauigkeit und ziehen sie wegen ihrer Unveränderlichkeit heran, um mit ihnen unsere Maßeinheiten zu definieren. Andererseits können wir ihre Größe nicht theoretisch erklären – das ist bis jetzt für keine einzige Naturkonstante gelungen! Wir haben neue Naturkonstanten entdeckt, alte miteinander in Beziehung setzen können und begreifen, welch entscheidende Rolle sie dabei spielen, dass die Dinge so sind wie sie sind – aber ihre Größe bleibt weiterhin ein tief verborgenes Geheimnis. Um ihm auf die Spur zu kommen, müssen wir die grundlegendsten Theorien in
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Das 1 × 1 des Universums
Frage stellen und untersuchen, ob die Konstanten, die in ihnen vorkommen, wirklich auf immer und ewig konstant sind und eine übergreifende logische Gesetzmäßigkeit ausdrücken, oder ob auch bei ihnen der Zufall seine Hand im Spiel hat. Neben einigen Konstanten, die allem Anschein nach wirklich fest liegen, scheint es welche zu geben, die auch noch eine andere, bis jetzt unbekannte Bedeutung haben, während wieder andere völlig unabhängig von allem Übrigen sind. Ist ihre Größe ein Produkt des Zufalls? Könnten sie auch ganz anders ausfallen? Wie weit dürfen sie abweichen, um trotzdem Leben im Universum zu ermöglichen? In meinem Buch The Anthropic Cosmological Principle habe ich zusammen mit Frank Tipler alle damals bekannten Möglichkeiten untersucht, wie das Leben im Universum von der Größe der Naturkonstanten abhängen könnte. Es stellte sich heraus, dass jedes Universum mit (auch nur geringfügig) veränderten Naturkonstanten eine Totgeburt wäre. Es gäbe jenen komplexen organischen Zusammenhang nicht, den wir Leben nennen, geschweige denn, dass er dauerhaft Bestand haben könnte. Die Forschung befasst sich inzwischen ernsthaft mit der Existenz anderer Universen, in denen die Naturkonstanten größer oder kleiner sind, und hat immer mehr Möglichkeiten für solche Varianten ausfindig gemacht – und damit immer mehr Möglichkeiten für Fehlschläge bei der Entwicklung von Leben. Unbestreitbar leben wir in einer Welt, in der sich die Dinge gut entwickelt haben. Aber wie groß war die Wahrscheinlichkeit für dieses Wunder? Wir werden uns in dem vorliegenden Buch mit vielen dieser anderen Möglichkeiten befassen und uns dabei mit den aufregenden Versuchen vertraut machen, die Naturkonstanten und ihre Größe zu verstehen. Die grundlegende Frage, ob die Konstanten wirklich konstant sind, hat in letzter Zeit nicht nur in der Forschung, sondern auch in den Medien großes Interesse gefunden. Ein Forscherteam hat eine neue Methode vorgeschlagen, die Größe der Naturkonstanten im Verlauf der letzten 11 Milliarden Jahre zu untersuchen. Das Licht, das uns von weit entfernten Quasaren erreicht, weist Muster auf, die uns von den Eigenschaften der Atome bei Antritt seiner Reise vor Milliarden von Jahren berichten. Die ersten Antworten auf die Frage, ob die Naturkonstanten schon immer so groß waren wie heute, sind
Vor wor t
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überraschend und schockierend. Sie eröffnen völlig neue Möglichkeiten für das Schicksal des Universums und die Gesetze, die es bestimmen. Damit befasst sich das vorliegende Buch. Ich möchte Bernard Carr, Rob Crittenden, Paul Davies, Michael Drinkwater, Chris Churchill, Freeman Dyson, Vladimir Dzuba, Victor Flambaum, Yasunori Fujii, Gary Gibbons, J. Richard Gott, Jörg Hensgen, Janna Levin, João Magueijo, Carlos Martins, David Mota, Michael Murphy, Jason Prochaska, Martin Rees, Håvard Sandvik, Wallace Sargent, Ilya Shlyakhter, Will Sulkin, Max Tegmark, Virginia Trimble, Neil Turok, John Webb und Art Wolfe für viele Diskussionen danken, für ihre Ideen, für Forschungsergebnisse und für die Abbildungsvorlagen, die sie mir zur Verfügung gestellt haben. Mein Dank gilt auch Elizabeth für die Geduld während der Entstehung des Buchs, als es so aussah, dass A River Runs Through It einen besseren Titel abgeben würde. Und ich danke unseren drei Kindern David, Roger und Louise, die immer Angst hatten, das Taschengeld könnte eine Naturkonstante sein. John D. Barrow Cambridge, im April 2002
Kapitel 1
Naturkonstanten – einige Vorbemerkungen Was sich zuerst ereignet ist nicht unbedingt der Anfang. Henning Mankell
Jede Veränderung ist eine Herausforderung. Wir leben in einer Phase der menschlichen Geschichte, in der uns alles als besonders schnell erscheint. Die Welt um uns herum wird von Kräften angetrieben, die auch unser Leben für kleinste Änderungen und plötzliche Reaktionen anfällig machen. Das Anwachsen des Internet und die Fangarme des World Wide Web haben uns fest mit Computern und ihren Besitzern rund um den Globus vernetzt. Das unkontrollierte industrielle Wachstum hat zu ökologischen Veränderungen und Zerstörungen unserer Umwelt geführt, die offenbar schneller und bedrohlicher vonstatten gehen, als es selbst die pessimistischsten Untergangspropheten vorhergesagt haben. Selbst unsere Kinder scheinen schneller groß zu werden. Politische Systeme ordnen sich schneller und häufiger als je zuvor in überraschender Weise neu. Die Menschen und die in ihnen gespeicherten Informationen sehen sich Eingriffen einer immer ehrgeizigeren Ersatzteil-Chirurgie oder der Neuprogrammierung des Genetischen Codes ausgesetzt. Fast überall beschleunigt sich der Fortschritt, und immer weitere Bereiche der Erfahrung sind in einen Sog geraten, der uns zwingt, alles zu erforschen, was möglich erscheint. Die Erkenntnis, dass sich unsere Welt ändert, ist natürlich nicht neu. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts hatte die Forschung herausgefunden, dass es in grauer Vorzeit weder die Erde noch unser Sonnensystem gab, und dass sich das Aussehen und die geistigen Fähigkeiten der Menschen über riesige Zeiträume hinweg verändert haben mussten. Das Universum befindet sich auf dem besten Weg, immer chaotischer und ungastlicher zu werden und wird irgendwann an
Natur konstanten – einige Vorbemer kungen
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sein Ende kommen. Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurde die Vorstellung eines sich wandelnden Universums immer weiter ausgemalt. Das Klima und die Oberfläche unseres Planeten ändern sich ständig und mit ihnen auch die Tier- und Pflanzenarten, die auf ihm leben. Die dramatischste Erkenntnis aber war, dass sich auch das gesamte Universum mit seinen Sternen und Galaxien im Stadium eines ständigen dynamischen Wandels befindet: Riesige Cluster von Galaxien rasen auseinander und eilen auf eine Zukunft zu, die sich von der Gegenwart fundamental unterscheidet. Wir beginnen zu begreifen, dass unsere Zeit nur geborgt ist und die Kollision ganzer Welten zum kosmischen Alltag gehört. Unsere Erde wurde schon in der Vergangenheit des öfteren von Kometen und Asteroiden getroffen. Irgendwann wird sie das Glück verlassen, und der Schutzschild, den, wie es der Zufall will, der Riesenplanet Jupiter gegen die Weiten des Alls darstellt, wird zusammenbrechen und uns nicht mehr retten können. Schließlich wird sogar unsere Sonne erlöschen und unsere Galaxie, die Milchstraße, wird von einem ungeheuren Schwarzen Loch aufgesaugt, das schon jetzt in ihrem Zentrum lauert. Jegliches Leben, wie wir es uns vorstellen können, wird damit verschwinden. Überleben könnten nur Wesen, die ihre Formen, ihre Behausungen und ihre Körper so sehr verändert haben, dass wir sie nach unseren heutigen Maßstäben kaum als Vertreter von ›Leben‹ bezeichnen würden. Wir haben grundlegende Geheimnisse des Chaos und der unvorhersagbaren Prozesse aufgedeckt, die in so vielen Bereichen unsere Welt bestimmen. In groben Zügen verstehen wir das Wettergeschehen, können es aber nur für wenige Tage vorhersagen. Wir haben einen Blick für die Ähnlichkeit entwickelt, die zwischen solchen komplexen Systemen, der Vielfalt menschlicher Interaktion – Gesellschaftsformen, Wirtschaftssysteme, Warenangebote, Ökosysteme – und dem menschlichen Denken selbst besteht. All diese verwirrend komplizierten Entwicklungen kommen mit ungeheurer Geschwindigkeit daher und bestärken uns in der Überzeugung, dass die Welt einer durchgedrehten Achterbahn gleicht, in deren Auf und Ab wir durcheinander geschüttelt werden: Alles, was wir einmal für wahr gehalten haben, könnte eines Tages über den Haufen geworfen werden. Für manche sind diese Aussichten ein
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Das 1 × 1 des Universums
Grund, der Wissenschaft zu misstrauen, weil sie uns den Boden unter den Füßen wegzieht und uns jegliche Sicherheit raubt – als ob man beim Entwurf des Universums und seiner Gesetze unsere psychische Zerbrechlichkeit hätte berücksichtigen müssen.1 Man könnte sich aber auch auf den Standpunkt stellen, dass all diese Veränderungen und Unwägbarkeiten nur eine Illusion sind, da sie nicht die ganze Geschichte der Natur des Universums ausmachen. Die Grundstruktur unserer Realität zeigt zwei Seiten: eine konservative und eine progressive. Bei allem fortwährenden Wandel und bei aller Dynamik der Welt, wie sie mit unseren Sinnen begreifbar ist, gibt es auch Aspekte im Gerüst des Universums, deren Geheimnis in ihrer unerschütterlichen Konstanz liegt. Es sind diese unveränderlichen Dinge, die unser Universum zu dem machen, was es ist und was es von anderen denkbaren Welten unterscheidet. Es gibt einen goldenen Faden, aus dem ein Netz von Kontinuität gewebt ist, das die Natur durchzieht. Aufgrund dieses Netzes erwarten wir, dass sich bestimmte Dinge auch fernab im Weltall genauso wie auf der Erde verhalten, dass sie sich auch früher nicht anders verhalten haben als heute, dass dies auch in Zukunft so bleiben wird und dass für sie weder Zeit noch Ort zählen. Die Naturkonstanten garantieren, dass überall im Universum Gleichheit herrscht, und dass ein Elektron wie das andere ist (oder zumindest zu sein scheint). In der Tat gäbe es vielleicht ohne diesen soliden Untergrund einer unveränderlichen Realität weder den Fluss der Veränderungen an der Oberfläche noch irgendwelche komplizierte Gedanken noch überhaupt Materie. Die Existenz dieser Konstanten zählt zu den letzten Geheimnissen der Wissenschaft, mit deren Enträtselung sich eine ganze Reihe der bedeutendsten Physiker befasst. Nachdem man lange Zeit nur vermuten konnte, dass es sich um Naturkonstanten handelt, will man heute herausfinden, was sie ihrem Wesen nach sind. Was ist der letzte Stand des Wissens auf diesem Gebiet? Sind die Naturkonstanten wirklich konstant? Sind sie überall gleich? Sind sie alle miteinander verknüpft? Hätte sich auch Leben entwickeln können, wenn sie etwas größer oder kleiner ausgefallen wären? – Das sind einige der Fragen, mit denen sich dieses Buch befassen wird. Wir wollen einen Blick zurück auf die Entdeckung der ersten Natur-
Natur konstanten – einige Vorbemer kungen
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konstanten werfen und uns mit dem Einfluss befassen, den sie auf die Naturwissenschaftler und Theologen hatten, die sich mit Sinn, Zweck und Wesen des Seins befassten. Wir werden sehen, was man an der vordersten Front der Forschung heutzutage über die Naturkonstanten annimmt und ob eine ›Theorie für Alles‹, wenn es sie eines Tages geben wird, das wahre Geheimnis dieser Größen lüften kann. Vor allem anderen will das Buch aber die Frage behandeln, ob die Naturkonstanten wirklich konstant sind.
Kapitel 2
Eine Reise an den Rand der Welt F r a n k l i n : Herr Direktor, haben Sie jemals daran gedacht, dass Ihre Grundsätze vielleicht ein bisschen altmodisch sind? Di r e k t o r : Natürlich sind sie altmodisch. Grundsätze sind immer altmodisch, das macht sie erst zu Grundsätzen. Alan Bennett1
Bruchlandung auf dem Mars Es war in den letzten Wochen des September 1999, als die NASA den Medien eine große Story liefern wollte. Der Mars Climate Orbiter stand kurz davor, wichtige Wetterdaten aus der oberen Atmosphäre des Mars zu übermitteln. Es kam anders. Die Sonde zerschellte auf der Oberfläche des roten Planeten: Der MCO, der Wetter und Klima des Mars untersuchen sollte, wurde am 11. Dezember 1998 von Cape Canaveral in Florida mit einer Delta-Rakete ins All geschossen. Nach einer Reise von ungefähr 9 ½ Monaten erreichte er den Mars. Seine Hauptantriebsdüse wurde gezündet, um ihn am 23. September 1999 gegen 2 Uhr PDT (Pacific Daylight Time) in eine Umlaufbahn um den Mars einschwenken zu lassen. Nach 5 Minuten der für 16 Minuten vorgesehenen Brenndauer des Antriebs verschwand der MCO von der Erde aus gesehen hinter dem Planeten. Ein Signal der Sonde, das gegen 02.26 Uhr PDT wieder erwartet wurde, blieb aus. … Bis 24. September 1999 gegen 15 Uhr PDT wurden Anstrengungen unternommen, die Sonde wieder ausfindig zu machen und Kontakt mit ihr aufzunehmen, dann wurden die Versuche eingestellt.2
Das Problem war, dass sich die Sonde 96,6 km näher an der Marsoberfläche befand, als die Kontrollstation auf der Erde annahm: 125 Millionen Dollar wurden im roten Sand des Mars versenkt. Der Verlust war schon schlimm genug, aber die Ursache des Desasters gab erst recht Anlass, sehr kleinlaut zu werden. Lockheed-Martin, die Firma, die für die laufende Kontrolle der Raumsonde zuständig war, sandte die Daten für die Antriebsraketen in den ›alten‹ Einheiten wie Meilen, Fuß und Pfund zur Bodenkontrollstation, während das
Eine Reise an den Rand der Welt
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NASA-Team wie die gesamte übrige wissenschaftliche Welt annahm, dass metrische Einheiten verwendet würden. Der Unterschied zwischen den Einheiten reichte aus, um die Sonde fast 100 Höhenkilometer vom Kurs abkommen zu lassen und sie auf eine selbstmörderische Umlaufbahn zu schicken.3 Die Lektion, die mit diesem Debakel erteilt wurde, ist klar: Es kommt auf die Einheiten an. Unsere Vorfahren haben uns eine Unzahl von Einheiten für die Messungen im Alltag hinterlassen, die wir bei den verschiedensten Gelegenheiten auch heute noch verwenden, weil sie bequem und praktisch sind. Wir zählen unser Alter nach Jahren, kaufen Zucker pfundweise, Eier im Dutzend und Diamanten nach Karat. Für bestimmte Zigaretten gehen wir meilenweit und bestellen beim Oktoberfest die eine oder andere ›Maß‹ Bier. Von Land zu Land Das Gremium zur Untersuchung des wurde auf unterschiedliche Weise ge- Verlusts des Mars Climate Orbiter hat messen, und man benötigte Umrech- festgestellt, dass die tiefere Ursache in dem Fehler bestand, metrische Einheinungstabellen wie heute beim Geld- ten benutzt zu haben. wechseln in exotischen Ländern. Das 4 war unproblematisch, solange der NASA-Bericht Handel nur in geringem Umfang und lokal betrieben wurde. Als man aber in alten Zeiten anfing, international zu handeln, mussten neue Ansätze zum Zählen und Messen entwickelt werden. Mit dem Beginn der internationalen Zusammenarbeit an technischen Projekten wurde das noch wichtiger: Präzisionstechnik verlangt nach präzisen Umrechnungen der verschiedenen Maßeinheiten.5 Es ist schön und gut, wenn Sie einer Zulieferfirma auf der anderen Seite des Globus mitteilen, dass ein Bauteil für ein Flugzeug exakt 1 m lang sein muss – aber woher wollen Sie wissen, ob deren ›Meter‹ exakt Ihrem entspricht?
Maß für Maß Ursprünglich waren die Maßeinheiten ganz auf den engen Horizont des Alltagslebens und die Dimensionen des menschlichen Körpers zugeschnitten. Die Längeneinheit leitete man von der Länge des
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Das 1 × 1 des Universums
Arms des Königs oder der Spannweite seiner Hand ab. In den Entfernungsmaßen spiegelte sich wider, wie weit eine Tagesreise führte. Keines dieser alten Maße beanspruchte ewige Gültigkeit, denn sie waren alle nur für den bequemen GeSie versteht das Prinzip der Römischen brauch in bestimmten Situationen Zahlen nicht. Sie hat gedacht, dass entstanden, dabei aber zum Teil so wir gerade den Elften Weltkrieg hinter klug gewählt, dass man sie auch heute uns haben. noch benützt, obwohl sich das offiziJoan Rivers6 elle Dezimalsystem allgemein durchgesetzt hat. Das Längenmaß ›Fuß‹7, das im englischen Sprachraum als ›Foot‹ immer noch gebräuchlich ist, und das ›Barrel‹ Erdöl sind bekannte Beispiele. Das nicht mehr so übliche Längenmaß ›Yard‹ war als Länge eines Bandes von der Nasenspitze zur äußersten Fingerspitze des waagrecht ausgestreckten Arms definiert, während ein ›Cubit‹ von dort bis zur Armbeuge reichte und zwischen 44 cm und 64 cm betrug.8 Die Längeneinheit der Seeleute, der ›Faden‹ oder ›Fathom‹, war die größte Einheit, die sich auf den menschlichen Körper bezog: Es war der Abstand zwischen den Fingerspitzen der nach links und rechts ausgestreckten Arme. Die Zeitmaße verdankten sich den astronomischen Änderungen von Erde und Mond, Gewichtsmaße den Mengen, die man in der Hand oder auf dem Rücken tragen konnte. Ein offensichtliches Problem vieler dieser Maßeinheiten bestand auch darin, dass die Menschen verschieden groß sind. Wen sollte man als ›Muster‹ wählen? Die ersten Kandidaten waren natürlich König oder Königin. Aber auch bei diesem Verfahren musste man die Maße immer neu festlegen, wenn der Thron neu besetzt wurde – etwa, wenn auf einen ›kleinen‹ Pippin ein ›großer‹ Karl folgte. Eine bemerkenswerte Lösung dieses Problems fand um 1150 der schottische König David I., als es um die Festlegung des ›Scottish Inch‹ ging: Er befahl, dass es »gleich der durchschnittlichen Daumendicke dreier Männer sein solle, ›eines großen Mannes, eines Mannes von mittlerer Statur und eines kleinen Mannes‹, und dass die Daumen an der Nagelwurzel zu messen seien«.9 Die weiten Reisen der Händler und Kaufleute im Mittelmeergebiet lenkten schon in der Antike den Blick auf die Problematik solcher anatomisch definierter Maßeinheiten. Ein einheitliches Maß-
Eine Reise an den Rand der Welt
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system zu erreichen, war allerdings nicht leicht. Die nationalen Traditionen und Gewohnheiten erwiesen sich als starkes Hindernis, wenn es darum ging, Maßeinheiten eines anderen Landes zu übernehmen. Das moderne metrische System mit Meter, Gramm und Liter und das im Britischen Weltreich übliche System mit Inch, Pound und Pint sind vom Prinzip her beide gleich gut zur Messung von Längen, Gewichten (bzw. Massen) und Volumen geeignet. Das heißt allerdings nicht, dass beide Systeme gleich praktisch sind. Im metrischen System spiegelt sich unser dezimales Zahlensystem wider: Aus einer Grundeinheit (beispielsweise dem Meter) werden für den praktischen Gebrauch Einheiten abgeleitet, die um Zehnerpotenzen größer oder kleiner sind und entsprechende Vorsilben erhalten (beispielsweise 1 km = 103 m oder 1 mm = 10–3 m). Stellen Sie sich vor, diese Sprünge wären verschieden! Lange Zeit hatte man in England für ›nicht-technische‹ Gewichte (wie dem Gewicht des menschlichen Körpers oder den Zusatzgewichten beim Pferderennen) ein solches System, das nicht mit Einern, Zehnern und Hundertern rechnete, sondern uns 14 Pounds je Stone, 16 Ounces je Pound und 16 Drams je Ounce zumutete. Eine Bereinigung der Maßeinheiten wurde in der Zeit der Französischen Revolution gegen Endes des 18. Jahrhunderts entschlossen angegangen. Die Einführung neuer Maße führt in jeder Gesellschaft zu einer gewissen Unruhe und wird von der Bevölkerung selten mit ungetrübter Begeisterung aufgenommen.10 Die Französische Revolution bot daher eine gute Gelegenheit für solche Neuerungen, weil sie in den ohnehin stattfindenden revolutionierenden Umwälzungen ein wenig untergingen.11 Die damals herrschenden politischen Vorstellungen gingen mit der Einsicht Hand in Hand, dass Gewichte und Maße weltweit gleich und nicht das ›Eigentum‹ einer einzigen Nation sein sollten und keiner Nation beim Handel mit einer anderen Vorteile bieten dürften. Um diesem Anspruch zu genügen, machte man sich daran, die Messungen auf einen allgemein akzeptierten Standard zu beziehen, an dem alle Messlatten, Gewichte und weitere abgeleitete Maße geeicht werden konnten. Im März 1791 wurde von der Französischen Nationalversammlung mit der Unterstützung Ludwigs XVI. und mit einer deutlichen Absichtserklärung
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Das 1 × 1 des Universums
durch Charles Maurice de Talleyrand ein entsprechendes Gesetz erlassen. Darin hieß es über die neue Längeneinheit: In Anbetracht dessen, dass, um die Einheitlichkeit der Gewichte und Maße einführen zu können, es notwendig ist, eine natürliche und unveränderliche Maßeinheit festzulegen, und dass das einzige Mittel, diese Einheitlichkeit auf andere Nationen auszudehnen und sie zu veranlassen, sich auf ein Maßsystem zu einigen, ist, eine Einheit zu wählen, die nichts Willkürliches noch etwas der Lage irgendeines Volkes auf der Weltkugel Spezifisches enthält, … adoptiert die Nationalversammlung die Größe des Viertels des Erdmeridians als Basis des neuen Maßsystems.12
Zwei Jahre später wurde der ›Meter‹13 als Längeneinheit definiert: ›1 Meter‹ entspricht danach dem zehnmillionsten Teil eines Viertels des Erdmeridians.14 Das mochte ein plausibler Vorschlag zur Definition einer Standardlänge sein, für den täglichen Gebrauch war er offensichtlich untauglich. So war es nur konsequent, als 1795 die Einheiten direkt mit besonders zu diesem Zweck hergestellten ›Urmaßen‹ verknüpft wurden. ›1 Gramm‹ wurde als die Masse von 1 cm³ Wasser bei 0° C definiert, später wurde dies durch die Definition des Kilogramms ersetzt: ›1 Kilogramm‹ ist die Masse von 1 000 cm³ Wasser bei 4° C. Der Meter wurde mit einem ›Urmeter‹ definiert, dem Mètre des Archives. Unglücklicherweise waren die neuen metrischen Einheiten zunächst kein Erfolg, und Napoleon I. führte in den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts die alten Einheiten wieder ein. Die politische Situation Europas ließ zu dieser Zeit eine Vereinheitlichung der Maßeinheiten noch nicht zu.15 Erst am Neujahrstag des Jahres 1840 erließ Louis Philippe eine Verordnung, die die metrischen Einheiten in Frankreich zum Standard erklärte.16 Ein großer Fortschritt war die Gründung einer internationalen Kommission für die metrischen Maße in Paris, die am 8. August 1870 zum ersten Mal zusammentrat. Ihre Aufgabe bestand darin, die Maßeinheiten zu vereinheitlichen und die Anfertigung neuer Standardmaße, wie ›Urkilogramm‹ und ›Urmeter‹, zu überwachen. 1875 wurde die ›Meterkonvention‹ von den ersten 18 Staaten unterzeichnet. Das Urmeter besteht aus Platin und hat einen X-förmigen Querschnitt. 1879 wurde es zusammen mit zwei Kopien von Johnson, Matthey & Co. in London angefertigt. Das Urkilogramm17 ist ein Zy-
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linder von 39 mm Höhe und 39 mm Durchmesser, der aus einer besonderen Legierung von Platin und Iridium besteht. Es wird unter einem Satz von Glasglocken im Tresorraum des Bureau Internationale des Poids et Mesures in Sèvres bei Paris aufbewahrt, wo sich auch das Urmeter befindet.18 In ähnlicher Weise definierte man die britischen Einheiten wie Yard und Pound. Ihre Prototypen werden in London im National Physical Laboratory und in Washington DC im National Bureau of Standards aufbewahrt. Im Zuge dieser Vereinheitlichung versuchte man auch, die Maßsysteme wissenschaftlich zu definieren. Das Ergebnis war das MKS-System (bzw. CGS-System), in dem Länge, Masse und Zeit in Vielfachen der Grundeinheiten Meter, Kilogramm und Sekunde (bzw. Zentimeter, Gramm und Sekunde) angegeben werden.19 Diese ›praktischen‹ Grundeinheiten stellen jeweils eine Menge dar, die wir uns leicht vorstellen können – in ›1 m Tuch‹, ›1 kg Kartoffeln‹ und ›1 s bis Mitternacht‹ spiegelt sich ein weiteres Mal ihr anthropozentrischer Ursprung wider. Dass sie auch ›unpraktisch‹ sein können, wird schnell deutlich, wenn wir mit ihnen Dinge beschreiben wollen, die weit kleiner oder weit größer sind als wir selbst. Die kleinsten Atome sind mit einem Radius von 10-10 m zehn Milliarden Mal kleiner als ein Meter, die Masse der Sonne beträgt mehr als 1030 kg. Abbildung 2.1 vermittelt uns eine Vorstellung der ungeheuren Spanne von Masse und Ausmaß wichtiger ›Bewohner‹ des Universums – den Menschen eingeschlossen. Wir stehen in der Mitte zwischen den gewaltigen astronomischen Dimensionen auf der einen Seite und der winzigen subatomaren Skala der Elementarteilchen, aus denen die Materie zusammengesetzt ist, auf der anderen Seite. Trotz der Einführung universeller metrischer Einheiten durch Ministerien oder internationale Kommissionen nahmen die meisten Leute nur wenig Notiz von den neuen Verordnungen und Gesetzen. Das galt besonders für Großbritannien, wo in allen möglichen Sparten von Industrie und Handel die unterschiedlichsten Maßeinheiten in Gebrauch waren (und noch sind). Im Verlauf der industriellen Revolution entstand eine Reihe von Branchen wie Ingenieure, Brauer, Buchhalter, Metallarbeiter, Zeitnehmer und Schiffsbauer, die alle nach eigenen Wegen suchten, um die Dinge zu messen, mit
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A b b ild u n g 2 .1 Masse und Größe wichtiger ›Bewohner‹ unseres Universums. Mit der Wahl von ›g‹ und ›cm‹ als Einheit liegen wir Menschen nahezu im Zentrum des Geschehens.
denen sie zu tun hatten und die sie bearbeiteten. Die Brauer wollten ihr spezielles Volumenmaß, die Wasserbauingenieure ein anderes. Ein Juwelier gab das Gewicht anders an als Seeleute oder Architekten. Das Ergebnis war eine Unzahl von Maßeinheiten. Für jedes Material erfand man eigene Grundmaße zur Bestimmung von Festigkeit und Toleranz, Menge und Gewicht. Diese Einheiten waren nicht nur anthropozentrisch, sondern darüber hinaus noch ganz speziell auf die jeweiligen Berufe zugeschnitten. Als ich noch zur Schule ging, hatten wir kleine linierte Notizbücher mit einem roten oder blauen Umschlag, auf dessen Rücken man eine Liste all dieser seltsa
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A b b ild u n g 2 .2 Typische Zusammenstellung verschiedener Maßeinheiten aus einem englischen Ratgeber aus den 1950er Jahren.20
men Längen-, Flächen-, Volumen- und Gewichtsmaße abgedruckt hatte, die im Empire üblich waren (siehe Abbildung 2.2). Für den Ingenieur oder den Händler war das alles ganz praktisch und nützlich und erhöhte zweifellos auch den Profit. Für jemand, der auf der Suche nach einer umfassenden ›Naturphilosophie‹ war, erschien das menschliche Wissen aber höchst zersplittert und glich einem merkwürdigen Konglomerat verschiedenster kleiner Parzellen. Ein Besucher von einem fernen Planeten wäre sehr verwirrt darüber gewesen, dass er zum Kauf von Gold, Äpfeln oder Siegellack unterschiedliche Gewichtsmaße benötigt hätte.
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Warum universelle Maßeinheiten? Im Verlauf des 19. Jahrhunderts wurden die Ingenieure, Industriellen und Naturwissenschaftler von all den Einheiten und Maßen, die jeweils nur für ganz besondere Zwecke geschaffen worden waren, förmlich überflutet. Für die industrielle Revolution waren Produktion, Mechanisierung, Messen, Entwerfen und Bauen zu magischen Begriffen geworden, und aus jedem dieser Bereiche kamen neue Maßeinheiten. Auch die Puristen in den heiligen Hallen der Naturwissenschaft waren mit den Prototypen für Länge und Masse nicht zufrieden, denn immer wenn das Urkilogramm mit einer Spezialzange bewegt wurde, änderte es sich ein wenig. Außerdem konnten einzelne Atome von seiner Oberfläche entkommen oder sich umgekehrt Staub aus der Luft auf ihm absetzen: Es war also nicht wirklich konstant!21 So wenig die Längen- und Massennormale konstant waren, so wenig waren sie universell. Stellen wir uns vor, ein Ingenieur hätte von einem fernen Planeten eine Anfrage erhalten, wie groß wir Menschen seien. Es hätte wenig Sinn gemacht, die nötigen Angaben in Meter und Kilogramm ins All zu senden, denn garantiert wäre die Rückfrage gekommen: »Von was reden Sie eigentlich?« Mit unserer Antwort an den extraterrestrischen Brieffreund, Meter und Kilogramm seien Objekte, die in Paris in Glasbehältern lagern, und die wir ihm leider nicht als Warensendung zukommen lassen können, hätten wir ihm kaum gedient. Unglücklicherweise hatte der Bedarf an universellen Standards Exemplare hervorgebracht, die weder Standards noch universell waren. Auch in den verschiedenen Bereichen der Naturwissenschaft waren unterschiedliche Maßsysteme gebräuchlich, die im entsprechenden Verhältnis zu den metrischen Einheiten von Länge, Masse, Zeit und Temperatur standen. Der mächtigste Impuls zur Formulierung rationaler Gesetze kam in den Naturwissenschaften aus der Erforschung von Elektrizität und Magnetismus. Auf die daraus resultierende Notwendigkeit, das Maßsystem zu vereinheitlichen, reagierten als Erste Lord Rayleigh und James Clerk Maxwell. In seiner Ansprache als Präsident der British Association for the Advancement of Science riet Maxwell im Jahr 1870 zur Einführung von Standards, die nicht an Gegenstände wie ein Urmeter und ein
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Urkilogramm gebunden waren. Maxwell begründete dies damit, dass Standards wie die genannten nie wirklich konstant sein können. Das gilt auch für unsere Zeitmaße, die auf der Erdumdrehung und auf dem Umlauf der Erde um die Sonne beruhen. Die Erdumdrehung wird langsam abgebremst und die Umlaufzeit um die Sonne unterliegt Schwankungen, womit sich auch die darauf begründeten Zeitmaße – Tag und Jahr – ändern. Sie sind zwar nicht mit dem Makel behaftet, den Menschen zum Maß zu haben, sind aber trotzdem keine Kandidaten für ultimative Standards. Maxwell hatte sich schon lange mit der Untersuchung von Gasatomen befasst und war sehr von der Tatsache beeindruckt, dass sich alle Wasserstoffatome völlig gleichen – im deutlichen Gegensatz zu all den großen Objekten, mit denen wir in unserem Alltag zu tun haben. Kein Stuhl gleicht dem anderen, vom Menschen ganz zu schweigen. Maxwell erkannte, dass die Ununterscheidbarkeit der Atome herangezogen werden kann, um absolute Standards zu definieren: Letztlich sind die Dimensionen unserer Erde und ihre Umdrehungszeit zwar relativ zu unseren derzeitigen Vergleichsmaßstäben sehr konstant, das ist aber physikalisch nicht notwendigerweise so. Die Erde könnte bei ihrer Abkühlung schrumpfen oder sie könnte sich vergrößern, weil sich auf ihr einfallende Meteoriten ablagern. Auch ihre Drehung um sich selbst könnte langsamer werden, und trotzdem würde sie ein Planet bleiben wie zuvor. Ein Atom jedoch, nehmen wir etwa Wasserstoff, würde nicht Wasserstoff bleiben, wenn sich entweder seine Masse oder seine Vibrationszeit auch nur ein wenig ändern würde. Wenn wir also Längen-, Zeit- und Massenstandards haben wollen, die absolut konstant sind, dürfen wir sie nicht in den Ausmaßen, der Bewegung oder der Masse unseres Planeten suchen, sondern in der Wellenlänge, der Vibrationsperiode und der absoluten Masse jener unvergänglichen, unveränderlichen und auf perfekte Weise gleichen Atome.22
Maxwell war an den Atomen besonders aus philosophischen Erwägungen interessiert, weil er die Bedeutung der Tatsache erkannt hatte, dass die Materie aus Bausteinen besteht, die man nicht unterscheiden kann. Jedes Stück reinen Eisens ist aus völlig identischen Eisenatomen aufgebaut – eine äußerst bemerkenswerte Eigenschaft unserer Welt! Maxwell stellte dieser ›Ununterscheidbarkeit‹ die Veränderlichkeit und Entwicklungsfähigkeit der lebendigen Na-
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tur gegenüber, wie sie der Gegenstand von Charles Darwins Evolutionstheorie mit ihrer natürlichen Auslese war. Maxwell betonte, dass die Atome als Bausteine der Natur weder der Auslese noch Anpassungs- oder Mutationsprozessen unterliegen. Auf der Grundlage dieser Unveränderlichkeit und Universalität wollte er Maßeinheiten definieren, mit denen man einerseits die durch menschliches Zutun entstehenden Fehler vermeiden konnte und andererseits zu den grundlegenden Invarianten der realen Welt vorzustoßen vermochte. 1927 wurde die rote Emissionslinie des Cadmiums als erster atomarer Längenstandard23 gewählt. Man definierte mit ihr die Längeneinheit ›Ångström‹ (1 Å = 10-10 m), indem man die Wellenlänge der Cadmiumlinie mit 6438,4696 Å festsetzte.24 Da die Wellenlänge des Lichts, das von Cadmium ausgestrahlt wird, einzig und allein von Naturkonstanten bestimmt wird, war diese Definition ein entscheidender Schritt, denn mit ihr wurde zum ersten Mal ein universelles Standardmaß festgelegt. Wenn wir also unserem Alien etwas über die Größe der Menschen mitteilen wollen, können wir ihm jetzt sagen, dass die meisten von uns 2-3 Millionen Mal größer sind als die Wellenlänge der roten Cadmiumlinie – und er wird uns verstehen.
Stoneys brillante Idee Im August 1874 brachte George Johnstone Stoney (siehe Abbildung 2.3), ein ziemlich ungewöhnlicher irischer Physiker, Ordnung in das babylonische Durcheinander der damals üblichen Maßeinheiten. Er war »Und wo kam die Materie her?« – »Das ist doch ganz gleich. … Das Geheimnis eingeladen worden, vor der British Asdes Universums ist Apathie, Gleichgültigsociation for the Advancement of Scikeit. Die Sonne, die Erde, die Felsen, sie ence in Belfast einen Vortrag über diealle sind gleichgültig, und das ist eine Art ses Thema zu halten.26 Diese jährliche passive Kraft. Vielleicht sind Gleichgültigkeit und Schwerkraft das gleiche.« Versammlung gibt es noch immer, sie 25 dient aber heute dazu, der breiteren Isaac B. Singer Öffentlichkeit, den Medien und insbesondere jungen Menschen die neuesten Ergebnisse der Naturwissenschaft verständlich zu machen. Zu Stoneys Zeiten war sie eines der
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weltweit bedeutendsten Treffen von Naturwissenschaftlern, auf dem die wichtigsten Entdeckungen in Fachvorträgen vorgestellt wurden. Die Presse berichtete seinerzeit ausführlich über die heißen Diskussionen auf diesen Veranstaltungen. Heute gibt es eine so große Anzahl von Konferenzen, Workshops, Meetings, Diskussionen und Podiumsgesprächen über jeweils ganz spezielle Themen, dass für eine Veranstaltung, auf der alle Zweige der Naturwissenschaften auf hohem fachlichem Niveau abgehandelt werden, kein Platz mehr ist: Sie wäre allzu groß, würde ewig dauern und wäre für die meisten Teilnehmer nahezu unverständlich. Stoney war ein exzentrischer und origineller Denker. Er hat als Erster gezeigt, wie man bei anderen Planeten unseres Sonnensystems herausfinden kann, ob sie eine Atmosphäre haben: Man berechnet, ob die Schwerkraft ausreicht, sie am Entweichen zu hindern. Aber Stoneys wahre Leidenschaft galt seinem Lieblingsthema: dem ›electron‹. Er hatte nachgewiesen, dass es einen Baustein der elektrischen Ladung geben müsse. Bei der Auswertung der Elektrolyseexperimente, die von Michael Faraday durchgeführt worden waren, gelang es ihm sogar, den Wert dieser Einheitsladung zu bestimmen – ein Ergebnis, das später von Joseph John Thomson bestätigt wurde, der 1897 in Cambridge das Elektron entdeckte27 und dies der Royal Institution am 30. April anzeigte. Stoney gab seiner Elementarladung schließlich 189128 den Namen ›electron‹ (nachdem er sie 1874 zunächst ›electrine‹29 genannt hatte). Er ließ später keine Gelegenheit aus, um über diese Größe und die möglichen Vorteile seines Konzepts für die Wissenschaft zu sprechen. Stoney war ein entfernter älterer Cousin des berühmten Mathematikers und Computerwissenschaftlers Alan Turing, der auch als Experte für das Knacken von Geheimcodes galt. Dessen Mutter hielt in einem Buch über ihren Sohn viele Erinnerungen an den seltsamen Onkel fest, den die Kinder ›electron-Stoney‹ nannten. Ein anderer Onkel Stoneys war George FitzGerald, der Berühmtheit erlangte, weil er die ›Lorentz-FitzGerald-Kontraktion‹ beschrieb, ein Phänomen, das man schließlich später im Rahmen von Einsteins Spezieller Relativitätstheorie interpretieren konnte. Stoney war auch praktisch veranlagt und baute zwei Jahre lang für den Earl of Rosse und dessen
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A b b ild u n g 2 .3 Der irische Physiker George Johnstone Stoney (1826–1911).30
Privatobservatorium in Birr Castle empfindliche optische Instrumente. Danach, 1850, wurde er Professor für ›Naturphilosophie‹ am Queen’s College von Galway. Nach seiner Emeritierung ging er nach Hornsey nördlich von London und veröffentlichte weiterhin eine Flut von Arbeiten in den wissenschaftlichen Zeitschriften der Royal Dublin Society. Es gibt kaum ein Thema, zu dem er nicht etwas beigetragen hat – das Spektrum reicht von Zeitreisen bis zu der Frage, warum Fahrräder nicht umfallen. Stoney fiel auf, dass im Programm der oben erwähnten Tagung der British Association in Belfast eine Fülle der unterschiedlichsten Einheiten und Standards auftauchten. Er wollte herausfinden, wie man sie bestimmen konnte, wie man sie am besten definiert und wie man sie ineinander umrechnet. Für Insider war das alles recht nützlich, für den Rest der Welt stellte es ein eher langwieriges Projekt dar. Stoney sah eine Chance, das höchst komplizierte Netz der Maßeinheiten, die auf menschlichen Dimensionen beruhten, zu vereinfachen und dabei gleichzeitig seiner Hypothese von der elektrischen Einheitsladung31 mehr Gewicht zu verleihen. Als Mitglied eines Komitees32 der British Association, das schon in den Jahren vor der Tagung Vereinbarungen über elektrische Einheiten getroffen hatte,
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war er bereits mit dem Problem der Standards und Einheiten konfrontiert gewesen. Ihm wurde klar, dass sein Konzept einer Elementarladung das fehlende Stück eines Puzzles war. Nehmen wir an, jemand will Einheiten für Masse, Länge und Zeit definieren, die nicht nur wie Pfund, Meile oder Tag für den menschlichen Alltagsgebrauch geeignet sind. Sie müssten dann aus Grundeigenschaften des Universums abgeleitet werden und dürften weder davon abhängen, wann man eine Messung durchführt, noch davon, wo man sich dabei befindet. Damit wäre die übliche Hilfslösung überflüssig, ein Urkilogramm und ein Urmeter, das irgendwo unter besonderen kontrollierten Bedingungen aufbewahrt wurde, zum Vergleich für andere Referenzmassen und -längen heranzuziehen. Um den anthropozentrischen Fesseln zu entkommen, richtete Stoney sein Interesse auf physikalische Konstanten. Newton hatte schon mehr als zwei Jahrhunderte zuvor erkannt, dass die Schwerkraft einem einfachen Gesetz gehorcht: Die Kraft F zwischen zwei Massen m1 und m2 im Abstand r ist proportional zur Größe beider Massen und umgekehrt proportional zum Quadrat des Abstands der beiden Massenmittelpunkte: F = G (m1 m2) / r2
Man nahm an, dass das Gravitationsgesetz universell gilt und die Proportionalitätskonstante G überall im Universum gleich ist.33 Sie ist ein Maß für die Stärke der Schwerkraft. Wichtig an ihr ist, dass sie wirklich konstant ist: Wo auch immer sie in korrekter Weise gemessen wird, hat sie den gleichen Wert.34 Drückt man G in unseren gebräuchlichen anthropozentrischen Einheiten aus, die ja nicht für diesen Zweck geschaffen wurden, erhält man eine ›krumme‹ und recht sperrige Zahl: G = 6,67259 x 10-11 m3kg-1s-2. Die zweite Naturkonstante, auf die Stoney für seine nicht-anthropozentrischen Maßeinheiten zurückgriff, war die Lichtgeschwindigkeit c. Auch diese Konstante sprengt alle menschlichen Vorstellungen. Sie ist von grundlegender Bedeutung, ja von einer grundlegenderen Bedeutung, als es Stoney ahnen konnte. Einstein zeigte später, dass die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum die höchste im Universum überhaupt
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denkbare Geschwindigkeit darstellt und es keine Möglichkeit gibt, Informationen schneller zu verbreiten. Man hat außerdem entdeckt, dass das Produkt aus Permeabilität und Permittivität, mit denen die magnetische und die elektrische Grundeinheit definiert werden, gleich dem inversen Quadrat der Lichtgeschwindigkeit ist, was die Bedeutung der Lichtgeschwindigkeit auch für den elektromagnetischen Bereich unter Beweis stellt.35 Zu den zwei Konstanten G und c fügte Stoney seinen Kandidaten für eine dritte Naturkonstante hinzu: die Elementarladung, die inzwischen meist mit dem Symbol e bezeichnet wird. Damit war das Puzzle komplett, denn e passte in gleicher Weise wie G und c in die Rechnung. Die Elementarladung galt als universell, sie war mit der Grundstruktur des Universums verknüpft, und sie wurde nicht von menschlichen Zwecken und Bedürfnissen bestimmt. Stoney präsentierte das Dreigestirn seiner Konstanten wie folgt: Die Natur liefert uns drei derartige Einheiten, und wenn wir diese als Grundeinheiten wählen anstatt eine willkürliche Wahl zu treffen, werden wir unsere Rechnungen in eine bequemere Form bringen, die zudem zweifellos einen engeren Bezug zur Natur hat, wie sie wirklich ist. … Zu diesem Zweck müssen wir Phänomene auswählen, die überall in der Natur vorkommen und nicht nur mit ganz bestimmten Gegebenheiten verbunden sind. Die erste der absoluten Naturgrößen, auf die ich Ihre Aufmerksamkeit lenken will, ist jene bemerkenswerte Geschwindigkeit von absoluter Größe, die von den Einheiten, in denen sie gemessen wird, unabhängig ist und unsere elektrostatischen Einheiten mit den zugehörigen elektromagnetischen Einheiten verknüpft. Ich werde diese Geschwindigkeit c nennen.36 Wählen wir sie als unsere Geschwindigkeitseinheit, vereinfachen wir auf einen Schlag die Behandlung aller elektrischen Phänomene und vermutlich auch unsere Untersuchungen von Licht und Wärme. Darüber hinaus liefert uns die Natur einen Gravitationskoeffizienten, der eine absolute Größe darstellt und von den verwendeten Einheiten, in denen er angegeben wird, unabhängig ist. Mit ihm kann man die schwere Materie unseres gesamten materiellen Universums beschreiben. Diesen Koeffizienten werde ich G nennen. Wählen wir ihn als Koeffizienten für die Anziehung, können wir damit vermutlich einen ersten Schritt zur Beantwortung der Frage machen, worin die bisher nur vermutete tiefere Verbindung zwischen dem Phänomen der Schwerkraft, jener wunderbarsten Eigenschaft, die alle schwere Materie hat, zu den anderen Naturphänomenen liegt. Schließlich zeigt uns die Natur im Phänomen der Elektrolyse, dass es einen Grundbaustein der Elektrizität gibt, der unabhängig vom jeweiligen Stoff ist.
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Um dies zu verdeutlichen, will ich ›Faradays Gesetz‹ mit den folgenden Begriffen ausdrücken, die, wie ich zeigen werde, das Gesetz präziser fassen: Für jede chemische Bindung, die in einem Elektrolyt gelöst wird, durchquert eine Menge an Elektrizität den Elektrolyt, die in allen Fällen gleich ist. Dieses bestimmte Elektrizitätsquantum nenne ich e. Wenn wir es zur Grundeinheit der Elektrizität wählen, haben wir vermutlich einen äußerst wichtigen Schritt auf dem Weg zur Erkenntnis der molekularen Phänomene gemacht. Wir haben also guten Grund zu der Annahme, dass wir mit c, G und e drei aus einer Reihe systematischer Einheiten haben, die in einem besonderen Sinn Natureinheiten sind und in enger Beziehung zu den Vorgängen stehen, die im gewaltigen Laboratorium ablaufen, welches die Natur darstellt. … Wir haben so … die drei großen fundamentalen Einheiten erhalten, die uns die Natur anbietet. Auf ihnen können wir ganze Reihen physikalischer Einheiten aufbauen, die mit Recht ›natürliche Reihen‹ genannt werden können.37
Stoney zeigte, dass das magische Trio aus c, G und e auf eine (und nur eine) Art miteinander kombiniert werden kann, um aus ihm Einheiten für Masse, Länge und Zeit abzuleiten. Für die Lichtgeschwindigkeit wählte er einen Durchschnittswert der damals bekannten Messungen mit c = 3 x 108 m/s. Für die Newtonsche Gravitationskonstante nahm er den von John Herschel bestimmten Wert G = 0,67 x 10-11 m3kg-1s-2 und für die Ladung des ›electrine‹ e = 10–20 Ampère.38 Stoney fand durch die Kombination von c, G und e die folgenden reichlich ungewöhnlichen Definitionen für natürliche Grundeinheiten von Masse, Länge und Zeit: mSt= (e2/G)1/2 ≈ 10-7 g lSt = (Ge2/c4)1/2 ≈ 10-37 m tSt = (Ge2/c6)1/2 ≈ 3 x 10–46 s
Während eine Masse von 10–7 g nicht völlig aus dem Rahmen fällt – sie entspricht etwa der eines Staubteilchens –, passen Stoneys Längen- und Zeiteinheiten zu nichts, mit dem man sich je in den Naturwissenschaften befasst hat. Sie sind in ihrer Winzigkeit einfach fantastisch und unbegreiflich. Es gab damals natürlich auch keine Möglichkeit, derart kleine Längen und Zeiten direkt zu messen – auch heute ist das noch nicht möglich. Irgendwie war das Ergebnis aber auch nicht überraschend, denn die neuen Einheiten waren ja ganz bewusst weder aus menschlichen Maßen gewonnen noch für
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menschliche Zwecke passend geschneidert worden. Die Grundgrößen des Universums, die zu ihrer Definition benutzt wurden, kümmern sich nicht um unsere ›menschlichen‹ Belange. Stoney hatte mit seinem Versuch, ein die Menschenwelt transzendierendes Einheitensystem zu finden, einen glänzenden wissenschaftlichen Erfolg errungen. Aber leider war das Interesse an den neuen ›natürlichen‹ Einheiten gering, denn es gab für sie keine praktische Verwendung, und ihre tiefere Bedeutung blieb für alle, auch für Stoney selbst, noch verborgen. Stoney war zudem mehr daran interessiert, sein ›electrine‹ zu propagieren. So kam es, dass die ›natürlichen‹ Einheiten später neu entdeckt werden mussten.
Plancks natürliche Einheiten Stoneys Einheitensystem wurde 1899 in einer etwas abgewandelten Version von Max Planck zu neuem Leben erweckt. Planck wurde für sein Gesetz zur Beschreibung der WärDie Naturwissenschaft kann das tiefste mestrahlung und die damit verbunMysterium der Natur nicht entschlüsseln. dene Entdeckung der Quantenstruktur Der Grund ist, dass wir letztlich selbst berühmt. Eine der fundamentalen NaTeil dieses Mysteriums sind, das wir zu turkonstanten, das ›Plancksche Wirentschlüsseln versuchen. kungsquantum‹, ist nach ihm benannt. Max Planck39 Als einer der führenden Physiker seiner Zeit erhielt er 1918 den Nobelpreis für Physik. Zurückhaltend, bescheiden und tief religiös40 wie er war, wurde er von seinen jüngeren Kollegen wie Einstein und Bohr verehrt. Für Planck war die Natur von einer ihr innewohnenden Rationalität bestimmt, die vom menschlichen Denken unabhängig ist. Er glaubte an eine höhere Intelligenz hinter den Erscheinungen der Wirklichkeit und versuchte, dieser tieferen Struktur gewahr zu werden, die jenseits aller menschlichen Zwecke und Notwendigkeiten liegt.41 In seinem letzten Lebensjahr erhielt Planck einen Brief von Ilse Rosenthal-Schneider (siehe Abbildung 2.4), einer seiner früheren Studentinnen. Sie interessierte sich sehr für die philosophischen As-
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pekte der Naturwissenschaften und war in ihren jungen Jahren sowohl mit Einstein als auch Planck befreundet gewesen. 1938 emigrierte sie zusammen mit ihrem Mann aus Nazi-Deutschland nach Sydney. In einem Brief vom 22. Februar 1947 fragte sie Planck, ob er
A b b ild u n g 2 .4 Ilse Rosenthal-Schneider (1891-1990).42
glaube, dass die Anstrengung zur Vereinigung der Naturkonstanten in einer umfassenden Theorie Sinn machen würde und was von den Überlegungen Arthur Eddingtons43 zu halten sei. Planck zeigte sich von Rosenthal-Schneiders Vorstellung begeistert, war aber gleichwohl skeptisch, was den Erfolg eines solchen Versuchs betraf: Was Ihre Frage nach dem Zusammenhang der universellen Konstanten betrifft, so ist es ohne Zweifel ein schöner Gedanke, ihn so eng als möglich zu gestalten, indem man diese verschiedenen Konstanten auf eine einzige zurückführt. Ich für meinen Teil zweifle allerdings daran, dass dies gelingen wird. Aber ich kann mich ja auch irren.44
Anders als Einstein glaubte Planck nicht wirklich, dass irgendeine umfassende Theorie zur Erklärung aller Naturkonstanten gefunden
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werden könnte, denn mit ihr würde die Physik aufhören, eine induktive Wissenschaft zu sein. Planck misstraute der Vorstellung, Größen, die ihre Existenz den ›Zufällen‹ unserer irdischen Situation verdanken, eine grundlegende Bedeutung beizumessen: Alle bisher in Gebrauch genommenen physikalischen Maßsysteme, auch das so genannte absolute C.G.S.-System, verdanken ihren Ursprung insofern dem Zusammentreffen zufälliger Umstände, als die Wahl der jedem System zugrunde liegenden Einheiten nicht nach allgemeinen, notwendig für alle Orte und Zeiten bedeutungsvollen Gesichtspunkten, sondern wesentlich mit Rücksicht auf die speziellen Bedürfnisse unserer irdischen Kultur getroffen ist. So sind die Einheiten der Länge und der Zeit aus den gegenwärtigen Dimensionen und der gegenwärtigen Bewegung unseres Planeten hergeleitet worden, ferner die Einheit der Masse und der Temperatur aus der Dichte und den Fundamentalpunkten des Wassers, als derjenigen Flüssigkeit, die an der Erdoberfläche die wichtigste Rolle spielt, genommen bei einem Druck, welcher der mittleren Beschaffenheit der uns umgebenden Atmosphäre entspricht. An dieser Willkür würde prinzipiell auch nichts Wesentliches geändert werden, wenn etwa zur Längeneinheit die unveränderliche Wellenlänge des Na-Lichtes genommen würde. Denn die Auswahl gerade des Na unter den vielen chemischen Elementen könnte wiederum nur etwa durch sein häufiges Vorkommen auf der Erde oder etwa durch seine für unser Auge glänzende Doppellinie, die keineswegs einzig in ihrer Art dasteht, gerechtfertigt werden. Es wäre daher sehr wohl denkbar, dass zu einer anderen Zeit, unter veränderten äußeren Bedingungen, jedes der bisher in Gebrauch genommenen Maßsysteme seine ursprüngliche natürliche Bedeutung teilweise oder gänzlich verlieren würde. Dem gegenüber dürfte es nicht ohne Interesse sein, … dass mit Zuhilfenahme der beiden … Konstanten h und k die Möglichkeit gegeben ist, Einheiten für Länge, Masse, Zeit und Temperatur aufzustellen, welche, unabhängig von speziellen Körpern oder Substanzen, ihre Bedeutung für alle Zeiten und für alle, auch außerirdische und außermenschliche Kulturen notwendig behalten und welche daher als ›natürliche Maßeinheiten‹ bezeichnet werden können. 45
Stoney wollte den gordischen Knoten der Subjektivität durchschlagen, der durch die Wahl ›praktischer‹ Einheiten entstanden war. Planck hingegen war daran gelegen, mit seinen neuen Einheiten eine Grundlage der Physik zu schaffen, die nicht auf menschliche Belange bezogen war. Solche Einheiten könnten dann mit Recht ›natürliche‹ Einheiten genannt werden und als Fortschritt auf dem Weg
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gelten, die Phänomene der äußeren Welt von denen des menschlichen Bewusstseins so deutlich wie möglich zu trennen. Planck wählte dazu neben den uns schon von Stoney bekannten Größen c (Lichtgeschwindigkeit) und G (Gravitationskonstante) das Wirkungsquantum h (oder ħ = h/2π), das heute Plancks Namen trägt und mit den kleinsten Energiequanten verknüpft ist, die ausgetauscht werden können.46 Planck nahm zusätzlich noch die Boltzmann-Konstante k auf, den Faktor zur Umrechnung von Energieeinheiten in Temperatureinheiten, der die Definition einer ›natürlichen‹ Temperatur ermöglicht. Plancks Einheiten stellen nun – ähnlich wie bei Stoney – die einzig möglichen Kombinationen seines Quartetts aus c, G, h und k dar, die zu Massen-, Längen-, Zeit- und Temperatureinheiten führen. Die Zahlenwerte unterscheiden sich von denen Stoneys nur wenig: Planck-Masse:
mPl = (hc/G)1/2 = 5,37 x 10-5 g
Planck-Länge:
lPl = (Gh/c3)1/2 = 3,99 x 10-33 cm
Planck-Zeit:
tPl = (Gh/c5)1/2 = 1,33 x 10-43 s
Planck-Temperatur: TPl = k-1(hc5/G)1/2 = 3,60 x 1032 K
Wieder treffen wir auf den Gegensatz zwischen einer zwar kleinen, aber nicht außergewöhnlich kleinen natürlichen Masseneinheit und den geradezu fantastisch winzigen natürlichen Einheiten von Länge, Zeit und Temperatur (wobei hier 1/T betrachtet werden muss).47 Für Planck lag die besondere Bedeutung seiner ›natürlichen‹ Einheiten darin, dass sie weit über unsere menschlichen Bereiche hinausgehen und für die Grundlagen der physikalischen Realität entscheidend sind: Diese Größen behalten ihre natürliche Bedeutung solange bei, als die Gesetze der Gravitation, der Lichtfortpflanzung im Vacuum und die beiden Hauptsätze der Wärmetheorie in Gültigkeit bleiben, sie müssen also, von den verschiedensten Intelligenzen nach den verschiedensten Methoden gemessen, sich immer wieder als die nämlichen ergeben.48
Planck spielte auf Beobachter an, die irgendwo im Universum leben: Sie würden diese Einheiten in genau der gleichen Weise definieren und anerkennen wie wir. Er ging noch weiter und definierte »›natürlichen Einheiten‹ so, dass in dem neuen Maßsystem jede der vorste-
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henden Constanten den Wert 1 annimmt«49. Man kann nun alle Massen, Längen, Zeiten und Temperaturen als Vielfache der Planckschen Elementargrößen angeben. Die Größen hatten für die damalige Zeit etwas Bemerkenswertes – wie Jahre zuvor die Stoneys. Sie verflochten die Schwerkraft mit der Elektrizität und dem Magnetismus. Die Schwerkraft war schon immer ein Forschungsbereich der Physik, in dem sich nur wenig abspielte. Newton hatte das Gesetz der Schwerkraft entdeckt, und niemand stellte später dazu noch viele Fragen. Allerdings gab es beunruhigende kleine Abweichungen zwischen den Berechnungen und den Beobachtungen von Bahnabweichungen des Planeten Merkur auf seinem Weg um die Sonne. Man hatte schon vorgeschlagen, Änderungen am Newtonschen Gesetz vorzunehmen, um die Abweichungen zu erklären. Doch die meisten Astronomen nahmen an, dass der Einfluss der nicht vollkommen sphärischen Gestalt der Sonne oder Messfehler zur Erklärung ausreichen würden. Offenbar schien damit das Kapitel ›Schwerkraft‹ abgeschlossen zu sein. Ganz anders sah es im Bereich der Elektrizität und des Magnetismus aus. Die dort herrschenden Gesetze waren Gegenstand der aktuellen Diskussion. Zunächst nahm man an, es gäbe für die statische Elektrizität (die dafür sorgt, dass uns die Haare zu Berge stehen), die dynamische Elektrizität (die den Strom zum Fließen bringt) und den Magnetismus verschiedene Gesetze. Nach und nach stellte sich dann aber heraus, dass die beiden Elektrizitätsarten nur verschiedene Erscheinungsformen einer einzigen elektrischen Kraft darstellen. Und dann kam Maxwell. Er konnte zeigen, dass auch Elektrizität und Magnetismus nur zwei Seiten einer einzigen Medaille sind. Bewegt man einen Magneten, so bringt man Strom zum Fließen, und fließender Strom erweckt umgekehrt magnetische Kräfte. Bei all dem schien aber nie die Schwerkraft ins Spiel zu kommen. Weder die Elektrizität noch der Magnetismus noch das Verhalten von Atomen und Molekülen schien von ihr beeinflusst zu werden. Auch auf dieser Grundlage konstruierte man natürliche Einheiten, die sich allerdings deutlich von denen Stoneys und Plancks unterschieden. Der Physiker Paul Drude, der wichtige Beiträge zur Erforschung der elektromagnetischen Wellen, der Optik und von
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Festkörpern geleistet hat, war 1894 auf den angesehenen Lehrstuhl für Physik in Leipzig berufen worden. Er hoffte auf ein System absoluter Massen-, Längen- und Zeiteinheiten, das »an universelle Eigenschaften, an die des Äthers, anknüpft«, von dem man damals noch glaubte, er durchdringe den gesamten Raum. Als Grundgröße wählte Drude die Lichtgeschwindigkeit. »Die mittlere freie Weglänge der Ätheratome könnte z.B. das Längenmaß sein, das Zeitmaß würde sich dann sofort aus der Lichtgeschwindigkeit ergeben«.50 Nach Drude gab es keine Möglichkeit einer Kopplung der Schwerkraft an Elektrizität und Magnetismus. Daher folgte er Stoney und Planck nicht, in deren natürlichen Einheiten die Gravitationskonstante G enthalten war.51 Selbst für Planck war es ein ungelöstes Rätsel, wie G in seine natürlichen Einheiten gelangte. Er konnte es so wenig erklären, wie die winzigen Grundgrößen von Länge und Zeit. Welche Bedeutung hatten sie? Was würde man in einer Welt beobachten, die diese Ausmaße hätte? Die Zeit für solche Fragen war damals noch nicht gekommen52 – und schon gar nicht die Zeit, in der man sie hätte beantworten können.
Planck landet in der Realität Planck hat uns gezeigt, dass man aus der Existenz von Naturkonstanten auf eine physikalische Realität schließen kann, die von unserer menschlichen Denkwelt losgelöst ist. Er wollte aber noch einen Schritt weiter gehen und die unveränderlichen Naturkonstanten als Argument gegen die Positivisten ins Feld führen, die der Auffassung sind, das Gebäude der Naturwissenschaft sei allein von Menschen errichtet und bestünde nur aus Messergebnissen, die in geeigneter Weise von einer Theorie angeordnet werden – einer Theorie, die irgendwann von einer besseren abgelöst wird. Obgleich Planck das Aufstellen von Gleichungen und die Formulierung physikalischer Theorien als eine menschliche Erfindung betrachtete, war es für ihn noch weit mehr. Die Naturkonstanten waren ohne sein Zutun aufgetaucht und, wie seine natürlichen Einheiten deutlich zeigten, offensichtlich nicht nur für menschliche Zwecke festgelegt worden. Er schrieb:
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Diese kleinen Zahlen, die sogenannten universellen Konstanten, sind gewissermaßen die unveränderlich gegebenen Bausteine, aus denen sich das Lehrgebäude der theoretischen Physik zusammensetzt. Welches ist denn nun, so müssen wir weiter fragen, die eigentliche Bedeutung dieser Konstanten? Sind sie in letzter Linie Erfindungen des menschlichen Forschergeistes oder besitzen sie einen Zuerst entfernt sich … die Wissenschaft realen, von der menschlichen Intelligenz bei der Arbeit an dem von ihr geschaffeunabhängigen Sinn? nen Weltbild auf der Suche nach dem Das erste behaupten die Anhänger des metaphysisch Realen in fortschreitendem Positivismus, wenigstens in seiner extremen Maße von den Gegebenheiten und InterFärbung. Nach ihnen hat die Physik keine essen des Lebens, insofern sie immer unandere Grundlage als die Messungen, auf anschaulichere, immer einsamere Wege denen sie sich ja aufbaut, und ein physikalieinschlägt. Aber gerade auf diesen Wescher Satz hat nur insofern Sinn, als er gen … werden neue … Zusammenhänge durch Messungen belegt werden kann. … sichtbar, die nun wieder in das Leben zuDaher haben auch die Positivisten aller rückübersetzt und dadurch für menschliSchattierungen der Einführung atomistiche Bedürfnisse nutzbar gemacht werden scher Hypothesen und damit auch der Anerkönnen. kennung der obengenannten universellen Max Planck53 Konstanten bis zuletzt den schärfsten Widerstand entgegengesetzt. Das ist wohl verständlich; denn die Existenz dieser Konstanten ist ein greifbarer Beweis für das Vorhandensein einer Realität in der Natur, die unabhängig ist von jeder menschlichen Messung. Freilich könnte ein konsequenter Positivist auch heute noch die universellen Konstanten als eine Erfindung bezeichnen, die sich deshalb als ungemein nützlich erwiesen hat, weil sie eine genaue und vollständige Beschreibung der verschiedenartigsten Messungsergebnisse ermöglicht. Aber es wird kaum einen richtigen Physiker geben, der eine solche Behauptung ernst nehmen würde. Die universellen Konstanten sind nicht aus Zweckmäßigkeitsgründen erfunden worden, sondern haben sich mit unwiderstehlichem Zwang aufgedrängt durch die übereinstimmenden Resultate sämtlicher einschlägiger Messungen, und, was das Wesentliche ist, wir wissen im Voraus genau, dass alle künftigen Messungen auf die nämlichen Konstanten führen werden.54
Die Gegner der Planckschen Annahmen meldeten noch eine Reihe weiterer Einwände an. Es könnte beispielsweise sein, dass sich die von Planck gewählten Konstanten als nicht wirklich konstant erweisen, wenn man sie mit größerer Genauigkeit misst. Es könnte auch sein, dass sie sich äußerst langsam ändern, vielleicht nur um wenige Millionstel im Verlauf der Geschichte des Universums. Es könnte
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weiter sein, dass sie nur im statistischen Sinn, etwa als Mittelwert, konstant sind. Weil man all diese Möglichkeiten nicht durch bloße Gegenbehauptungen oder ein Glaubensbekenntnis ausschließen kann, sind präzise experimentelle Untersuchungen dieser Größen nötig. Die Physiker widmeten sich dieser Aufgabe mit großem Eifer, einigen schien sie sogar das letzte gewaltige Ziel der Physik darzustellen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war amüsanterweise der Glaube weit verbreitet, alle wesentlichen Entdeckungen in der Physik seien bereits gemacht, und was noch als Aufgabe verbliebe, seien Messungen mit immer größerer Genauigkeit: ein Unternehmen, dem es eher auf die Verschönerung des Vorhandenen ankam, als auf Neuentdeckungen oder Revolutionen. Albert Michelson machte sich 1894 über diese Hybris lustig, die sich in der weit verbreiteten Ansicht ausdrückte, dass die wichtigsten Grundgesetze und Fakten der Physik entdeckt worden sind. Sie sind heute so etabliert, dass die Möglichkeit, sie könnten jemals durch neue Entdeckungen ersetzt werden, vernachlässigt werden kann. … Unsere zukünftigen Entdeckungen werden sich in der sechsten Stelle nach dem Komma niederschlagen.55
Auch Planck sah sich mit dieser Ansicht konfrontiert. Man riet ihm 1875, als er noch studierte, lieber auf dem Gebiet der Biologie zu arbeiten, da alle wichtigen physikalischen Probleme schon gelöst seien und dieses Gebiet sich dem Abschluss nähere. Ironischerweise war es dann gerade Planck, der mit seiner Quantentheorie einen völlig neuen Blick auf die Realität eröffnete – eine Revolution, die dann durch Einsteins Angriff auf die gängigen Vorstellungen von Raum, Zeit und Schwerkraft weitergeführt wurde. Die Physik war weit davon entfernt, an ihr Ende zu kommen: Sie hatte gerade erst angefangen.
Anmerkungen über das Altern Eines der Paradoxa bei der Erforschung unseres Universums ist, dass wir seine Struktur und die in ihm stattfindenden Prozesse immer exakter beschreiben können, uns dabei aber immer weiter von allem
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entfernen, was wir aus unserem Alltag kennen. Die genauesten Vorhersagen, die wir heute machen können, betreffen Elementarteilchen und Systeme rotierender Galaxien – und nicht die Börsenkurse und das launische Verhalten von Konsumenten und Wählern. Dies spricht für eine Welt, die nicht das Produkt menschlichen Denkens ist, sondern von uns nur entdeckt und enthüllt wird. Das ist nicht selbstverständlich. In unseren Versuchen, die Kompliziertheit des menschlichen Verhaltens zu begreifen, ist ein starkes subjektives Element nicht zu übersehen. Es führt dazu, dass auf diesem Gebiet unsere Schlüsse in der Regel umso weniger verlässlich werden, je weiter wir uns von unseren eigenen Erfahrungen entfernen und je mehr wir uns mit Menschen befassen, die völlig anders sind als wir selbst. Im Gegensatz zu unseren Bemühungen in den Humanwissenschaften hat uns die Entdeckung der Naturkonstanten, die hinter den Gesetzen von Sein und Werden stehen, absolute Maßstäbe geliefert, mit denen wir beispielsweise angeben können, ob Dinge groß oder klein, jung oder alt, schwer oder leicht und heiß oder kalt sind. Stufen wir das Universum als alt ein, wenn wir feststellen, dass es sich seit über 13 Milliarden Jahren ausdehnt? Eine Zeitspanne von 13 Milliarden Jahren bedeutet uralt, wenn wir sie mit unserer eigenen Lebensdauer vergleichen oder in Tag, Monat und Jahr messen. Es könnte aber sein, dass das Universum sich noch weitere Trillionen von Jahren ausdehnt, vielleicht auch für ewige Zeiten. Daran gemessen wäre es noch sehr jung. Die natürlichen Einheiten sagen uns, dass das Universum in einem wohldefinierten Sinn tatsächlich schon sehr alt ist: Es existiert schon mehr als 1060 Planck-Zeiten! Das Leben auf der Erde tauchte erst auf, als die Welt schon 1059 PlanckZeiten alt war. Wir sind Spätgeborene.
Kapitel 3
Mensch und Übermensch Mein Bruder Mycroft kommt zu Besuch. Arthur Conan Doyle1
Einstein und die Naturkonstanten Mehr als jeder andere Naturwissenschaftler hat Albert Einstein das Bild bestimmt, das wir von der Natur haben. Unsere heutige Auffassung von der atomaren Struktur und dem Quantencharakter der materiellen Mikrowelt sind entscheidend von seinem Einfluss geprägt. Die konstante Lichtgeschwindigkeit bildete den Ausgangspunkt für sein Konzept der Relativität von Raum und Zeit. Ganz auf sich allein gestellt entwickelte er eine neue Theorie der Schwerkraft, die die klassische Vorstellung Newtons ablöste. Dass es in unserer Welt Dinge gibt, die sich unter keinen Umständen ändern, faszinierte ihn ganz besonders. Wie schnell sich eine Lichtquelle relativ zu uns auch bewegen mag, die Geschwindigkeit des ausgesandten Lichts bleibt dabei stets gleich. Das steht im krassen Gegensatz zu allen Erfahrungen im Bereich kleiner Geschwindigkeiten, wie sie in unserem Alltagsleben vorkommen. Wirft man aus einem Auto, das mit einer Geschwindigkeit von 100 km/h fährt, einen Ball mit 10 km/h in Fahrtrichtung, so würde er einen Zuschauer am Straßenrand mit 110 km/h treffen. Schickt man dagegen von einem Raumschiff, das mit nahezu Lichtgeschwindigkeit fliegt, ein Funksignal ab, so breitet es sich – vom Boden aus gemessen – im luftleeren Raum immer mit 300 000 km/s aus. Die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum ist eine ganz besondere Naturkonstante. Sie stellt einen Grenzwert dar, den wir zum Maßstab dafür nehmen können, ob eine Bewegung im absoluten Sinn langsam oder schnell ist. Wir gehen davon aus, dass die Lichtgeschwindigkeit überall im Universum die-
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selbe grundlegende Rolle spielt. Sie ist eine kosmische Schranke: Keine Information kann schneller übermittelt werden.2 Einstein hat in den verschiedensten Phasen seines Lebens interessante Aussagen über die Naturkonstanten gemacht. Für die Entwicklung seiner Speziellen RelativitätsObwohl ich nun ein alter Knochen bin, theorie ist die absolute Geschwindigkeit bin ich noch fest bei der Arbeit und des Lichts von zentraler Bedeutung. glaube immer noch nicht, dass Gott Was Stoney und Planck nur vermuten würfelt. konnten, wurde hier zur Gewissheit: Albert Einstein3 Die Lichtgeschwindigkeit ist eine der grundlegenden, von allem Treiben der Menschen unabhängige Naturkonstante. Die zweite Hälfte von Einsteins Leben bestimmte mehr und mehr die Suche nach einer endgültigen, einheitlichen Theorie der Physik, die er ›einheitliche Feldtheorie‹ nannte. Heute wird sie meist als ›Theorie für Alles‹ bezeichnet.4 Einsteins Versuch, die Allgemeine Relativitätstheorie zu erweitern und neben der Schwerkraft auch die anderen Naturkräfte mit einzubeziehen, war kein Erfolg beschieden.5 Er war aber fest von der Existenz einer solchen Theorie, die in ihrer Einzigartigkeit und Vollständigkeit keinen mathematisch unaufgelösten Rest haben würde, überzeugt. Folglich sollte sie mit der kleinstmöglichen Zahl von Naturkonstanten6 auskommen, die nicht theoretisch, sondern nur experimentell bestimmt werden können. Bei der Suche nach der ›letzten‹ aller Theorien entwickelte man immer bessere Versionen, die jeweils die vorausgegangenen ersetzten, jedoch weiterhin eine Anzahl ›freier‹ Naturkonstanten enthielten, die man nur durch Messungen bestimmen konnte. Einstein war über die Tatsache, dass überhaupt irgendwelche Konstanten übrig bleiben würden, nicht gerade glücklich. Er nahm an, dass es letzten Endes darauf hinauslaufen würde, aus einer einheitlichen Feldtheorie die Werte von Konstanten wie e, G und c als dimensionslose Zahlen mit aller gewünschten Genauigkeit berechnen zu können. In Einsteins Veröffentlichungen findet sich darüber fast nichts. Aber in seinem Briefwechsel mit Ilse Rosenthal-Schneider zwischen 1945 und 1950 drehte sich fast alles um die Frage der Naturkonstanten. Einstein erläuterte seine Erklärungsversuche und gab seinen Vermutungen und Hoffnungen über die Zukunft der Physik Ausdruck.
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Rosenthal-Schneider thematisierte die Naturkonstanten oder ›universellen Konstanten‹ zum ersten Mal 1945.7 Was sind Naturkonstanten? Was sagen sie uns über die Gesetzmäßigkeiten in der Natur? Sind sie alle miteinander verknüpft? Sie war von der schnellen Atwort Einsteins überrascht, der äußerst aufgeschlossen für das Thema ›Naturkonstanten‹ schien, auf Fragen nach seiner Gesundheit, seiner allgemeinen Situation oder zu persönlichen Angelegenheiten jedoch meist nicht reagierte. Am 11. Mai 1945 schrieb Einstein aus Princeton: Sie haben in der Frage der universellen Konstanten eine der interessantesten Fragen aufgeworfen, die man wohl stellen kann. Es gibt deren zweierlei: scheinbare und wirkliche. Die scheinbaren kommen einfach von der Einführung willkürlicher Einheiten, sind aber eliminierbar. Die wahren sind echte Zahlen, die Gott gewissermaßen willkürlich zu wählen hatte, als er diese Welt zu erschaffen geruhte. Meine Meinung ist nun, kurz gesagt, dass es solche Konstanten der zweiten Art gar nicht gibt, und dass ihre scheinbare Existenz darauf beruht, dass wir nicht tief genug eingedrungen sind. Ich glaube also, dass derartige Zahlen nur von rationaler Art sein können, wie zum Beispiel π oder e.8
Nach Einstein gibt es also einige Konstanten, die nur dadurch zustande kamen, weil wir für unsere Messungen ganz bestimmte Einheiten verwenden. Ein Beispiel dafür ist die Boltzmann-Konstante, die nur einen Umrechnungsfaktor zwischen Energie- und Temperatureinheiten darstellt und damit dem zwischen Fahrenheit- und Celsiusgraden gleicht. Die wahren ›Konstanten‹ können nur reine, dimensionslose Zahlen sein, keine dimensionsbehafteten Größen wie eine Geschwindigkeit, eine Masse oder die Länge, bei denen sich der Zahlenwert ändert, wenn man das System der Maßeinheiten wechselt. Danach wäre selbst die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum keine der ›wahren‹ Naturkonstanten, nach denen Einstein suchte. Geschwindigkeiten haben die Dimension ›Länge dividiert durch Zeit‹ und können daher nicht als eine Kombination reiner Basiszahlen (wie beispielsweise π) dargestellt werden. Die Lichtgeschwindigkeit beträgt 669 600 000 Knoten oder 300 000 km/s: Keine dieser Zahlen kann von einer ultimativen physikalischen Theorie erklärt werden. Man müsste stattdessen eine weitere Naturkonstante finden, die ebenfalls die Dimension einer Geschwindigkeit hat. Das
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Verhältnis zwischen dieser neuen Konstante und der Lichtgeschwindigkeit wäre dann eine dimensionslose Zahl, die möglicherweise als Kombination von π und anderen derartigen Größen angegeben werden kann. Rosenthal-Schneider erinnerte in ihrer Antwort an Gedanken Plancks zu den besonderen Konstanten, die er herangezogen hatte, um seine ›natürlichen‹ Einheiten zu definieren: Ich denke jedoch immer noch – und dies ist der Grund, warum ich Sie mit meinen Fragen wiederum belästige – darüber nach, was die universellen Konstanten bedeuten, wie sie Planck aufzuzählen pflegte: die Gravitationskonstante, die Lichtgeschwindigkeit, das Wirkungsquantum etc., alle diese harmlosen kleinen Dinge, … die nicht von äußeren Bedingungen wie Druck, Temperatur etc., abhängen und die sich daher wohltuend von den Konstanten der irreversiblen Prozesse unterscheiden? Wenn diese alle nicht existierten, wären die Konsequenzen katastrophal. Wenn ich Planck richtig verstanden habe, betrachtete er solche universelle Konstante als ›absolute Größen‹. Sollten Sie nun sagen, dass sie alle nicht existieren, was bliebe überhaupt in den Naturwissenschaften für uns übrig? Dies beunruhigt einen gewöhnlichen Sterblichen viel mehr, als Sie sich vorstellen können.9
Einsteins Brieffreundin war über die Konsequenzen beunruhigt, die sich ergeben würden, wenn es keine wahren Naturkonstanten gäbe. Was ist die Grundlage unseres Seins, wenn sie nur Einbildung sind? Warum scheint das Universum vom einen Tag zum nächsten das gleiche zu sein? Einsteins Erklärung, es gäbe keine freien Naturkonstanten, hatte ein Missverständnis ausgelöst: Sie unterstellte Einstein, er hielte die Naturkonstanten für nicht wirklich konstant – er hatte aber nur behauptet, sie seien nicht frei, könnten aber schließlich von einer tiefer gehenden Theorie bestimmt werden. Aus dem Gefühl heraus, seiner Briefpartnerin ein falsches Bild vermittelt zu haben, analysierte er in einem weiteren Brief die Lage ausführlicher.10 Zunächst wies er darauf hin, dass in physikalischen Formeln dimensionslose Größen wie 2, π oder e, die Basis des natürlichen Logarithmus, die 2,718…. beträgt, auftauchen. Einstein fand es bemerkenswert, dass sie zwar in physikalischen Formeln vorkommen, aber weder besonders groß noch besonders klein sind: Sie unterscheiden sich nie allzu sehr von der Zahl 1.11 Vielleicht sind sie zehnmal grö-
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ßer oder kleiner, aber nie Millionen Male. Das war für Einstein etwas Unerklärliches. Für die Physiker stellte dies einen Glücksfall dar, weil sie unter diesen Voraussetzungen ein physikalisches Problem mit einer Dimensionsanalyse untersuchen können, um die Form des Gesetzes herauszufinden. Einstein schrieb: Ich sehe aus Ihrem Briefe, dass Sie meine Andeutungen bezüglich der universellen Konstanten der Physik nicht begriffen haben. Ich will die Sache also deutlicher zu machen suchen. 1. Rationelle Zahlen. Diese sind solche, welche bei der logischen Entwicklung der Mathematik als einzigartige individuelle Bildungen gewissermaßen notwendig auftreten.
z.B.: e = 1 + 1 + 1/2! + 1/3! + … Ebenso ist es mit π, das ja mit e nahe verknüpft ist. Im Gegensatz zu solchen rationellen Zahlen steht der Rest der Zahlen, welche nicht durch eine durchsichtige Konstruktion aus 1 hervorgehen. Es dürfte in der Natur der Sache liegen, dass solche rationelle Zahlen sich der Größenordnung nach nicht von 1 unterscheiden, wenigstens solange man sich auf ›einfache‹, bzw. natürliche Bildungen beschränkt. Dies ist aber nicht fundamental und nicht scharf fassbar.12
Aber Einstein wusste sehr wohl, dass die ›rationellen Zahlen‹ nicht die interessantesten Naturkonstanten sind. Er erklärte, dass die gebräuchlichen Konstanten wie die Lichtgeschwindigkeit, das Plancksche Wirkungsquantum oder die Gravitationskonstante Größen sind, deren Einheiten sich aus verschiedenen Potenzen von Längen-, Masse- und Zeiteinheit zusammensetzen. Aus ihnen können wir wiederum Kombinationen bilden, die reine Zahlen darstellen, müssen dazu aber möglicherweise weitere Größen einführen. 2. Es liege nun eine vollständige Theorie der Physik vor, in deren Grundgleichungen die ›universellen‹ Konstanten c1, …, cn auftreten. Diese Größen seien irgendwie auf gr, cm, sek. reduziert. Die Wahl dieser drei Einheiten ist offenbar ganz konventionell. Jedes der c1, …, cn hat eine Dimension in diesen Einheiten. Wir wollen es nun so wählen, dass c1, c2, c3 solche Dimensionen haben, dass man daraus kein dimensionsloses Produkt cα1 cβ2 cγ3 bilden kann. Dann kann man c4, c5, etc. in solcher Weise mit aus Potenzen von c1, c2, c3 gebildeten Faktoren multiplizieren, dass diese neuen c*4, c*5, c*6 reine Zahlen sind. Dies sind die eigentlichen universellen Konstanten des theoretischen Systems, welche nichts mit konventionellen Einheiten zu schaffen haben.13
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Nehmen wir an, Einsteins c1, c2 und c3 entsprechen Plancks Konstanten c, h und G. Es gibt dann keine Möglichkeit, sie in verschiedener Weise zu kombinieren und eine reine, dimensionslose Zahl zu erhalten.14 Um das zu erreichen, muss man eine weitere dimensionsbehaftete Naturkonstante mit einbeziehen. Multipliziert man beispielsweise G/hc mit dem Quadrat irgendeiner Masse, etwa der Masse des Protons mpr, erhält man die dimensionslose Größe Gmpr2/hc, die wir c*4 nennen wollen und die ungefähr 10–39 entspricht.15 Die mit einem Stern markierte Größe, die wir soeben erschaffen haben, ist entstanden, indem wir eine Naturkonstante – die Masse des Protons – durch die Planck-Masse dividiert haben. Wir können ähnliche Größen erzeugen, indem wir eine Zeit durch die Planck-Zeit oder eine Länge durch die Planck-Länge dividieren. Einstein hielt die so entstandenen Größen mit Stern für die grundlegendsten. Sie sind unabhängig vom jeweils verwendeten System von Maßeinheiten und haben immer den gleichen Wert. Woher kommen sie? Wer oder was legt sie fest? Warum ist Gmpr2/hc ≈ 10–39 und nicht ≈ 103 oder ≈ 10–68? Einstein wusste es nicht, aber er war der festen Überzeugung, dass es sich um absolute Größen16 ohne Spielraum für Änderungen handelt: 3. Meine Erwartung geht nun dahin, dass diese Konstanten c*4 etc. rationelle Zahlen sein müssen, deren Wert durch die logische Grundlage der ganzen Theorie festgelegt ist. Man kann es auch so sagen: Es gibt in einer vernünftigen Theorie keine (dimensionslosen) Zahlen, deren Wert nur empirisch bestimmbar ist. Beweisen kann ich dies natürlich nicht. Aber ich kann mir keine einheitliche und vernünftige Theorie vorstellen, die explizite eine Zahl enthält, welche die Laune des Schöpfers17 ebenso gut anders hätte wählen können, wobei die Welt qualitativ anders in ihren Gesetzmäßigkeiten ausgefallen wäre. Man kann es auch so sagen: Eine Theorie, die in ihren Grundgleichungen explizite eine nicht rationelle Konstante enthält, müsste irgendwie aus logisch voneinander unabhängigen Brocken zusammengefügt sein; ich vertraue aber darauf, dass diese Welt nicht so ist, dass man zu ihrer theoretischen Erfassung einer so hässlichen Konstruktion bedarf.18
Einstein wird oft mit seiner berühmten Frage zitiert, ob Gott bei der Erschaffung der Welt auch eine andere Wahl gehabt hätte. Was er damit meinte, wird aus dem zitierten Brief deutlich: Können – bei
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gleichen physikalischen Gesetzen – die dimensionslosen Naturkonstanten auch andere Werte annehmen oder gibt es nur genau diese eine Möglichkeit? Und wie würden die Naturkonstanten bei anderen Naturgesetzen aussehen? Auch heute gibt es auf diese Fragen noch keine Antworten. Zu Einsteins Zeiten befasste sich nur Arthur Eddington mit dem Problem, warum die Naturkonstanten gerade die Größe haben, die man heutzutage misst. Von anderen Physikern wurden seine Arbeiten jedoch nicht gerade mit Begeisterung aufgenommen. Einstein kommentierte in einem Brief an Rosenthal-Schneider Eddingtons Zahlenzauber. Sie hatte zuvor Einstein darum gebeten, für einen Artikel in der Einstein-Ausgabe von Philosophen des 20. Jahrhunderts19 aus seinen Briefen zitieren zu dürfen. Er antwortete ihr: Sie können in Ihrer Abhandlung von meinen Bemerkungen Gebrauch machen, es sollte aber gesagt werden, dass es sich hier keineswegs um kategorische Behauptungen handelt, sondern um lediglich auf Intuition beruhende Vermutungen. Eddington hat viele geistreiche Vorschläge gemacht, die ich jedoch nicht alle verfolgt habe. Ich finde, dass er im Allgemeinen seinen eigenen Ideen gegenüber merkwürdig unkritisch gewesen ist. Er hat wenig Gefühl dafür gehabt, dass eine theoretische Konstruktion kaum Aussicht auf Wahrheit hat, wenn sie nicht logisch sehr einfach ist.20
Der erhellende Briefwechsel über die Naturkonstanten endete mit einem Brief Einsteins vom 24. März 1950, in dem er seine ›religiöse‹ Sichtweise wiederholte, dass Gott bei der Schaffung der Naturkonstanten und ihrer Größe keine andere Wahl hatte: Dimensionslose Konstante in den Naturgesetzen, die vom rein logischen Standpunkt aus ebenso gut andere Werte haben können, dürfte es nicht geben. Mir erscheint dies einleuchtend in meinem ›Gottvertrauen‹, aber es dürfte Wenige geben, die dieselbe Meinung haben.21
Nachdem wir nun Einsteins Gedanken über die Zwangsläufigkeit der Naturkonstanten kennen, wollen wir herausfinden, was andere große Physiker über die Bedeutung dieser Größen dachten und welche Spekulationen sie anstellten, um sie zu erklären. Da ist zunächst George Gamow zu nennen, ein exzentrischer sowjetischer Physiker, der sein Leben riskierte, um der UdSSR zu entkommen und in den Vereinigten Staaten zu arbeiten. Dort wurde er zu einem der Begrün-
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der der modernen Kosmologie und lieferte darüber hinaus frühe Beiträge zum Verständnis der DNS und des Genetischen Codes. Gamow nahm wie all seine Zeitgenossen vier unterschiedliche Naturkräfte oder Wechselwirkungen an: die Schwerkraft, den Elektromagnetismus, die schwache und die starke Kraft. Die Stärke jeder dieser Kräfte sollte der Theorie nach durch eine der Einsteinschen dimensionslosen Zahlen bestimmt werden. Gamow interessierte sich nicht so sehr für die Frage, ob es nur ein einziges mögliches Quartett dieser Größen gibt.Wenn man sie jedoch verstehen und im Rahmen einer Theorie exakt berechnen könnte, wäre dies wie der Zieleinlauf beim Formel-I-Rennen: Mit den Naturkonstanten hätte man auch die Naturkräfte vollständig verstanden. Diese Aussicht hatte allerdings in seinen Augen auch etwas Deprimierendes und erweckte in ihm ein Gefühl wie kurz vor dem Ende eines großen Romans oder auf dem Gipfel eines Berges, den man mit Mühen erstiegen hat: In dem Augenblick, in dem alle Gesetze der physikalischen Phänomene schließlich entdeckt sein werden und alle empirischen Konstanten, die in ihnen vorkommen, durch die vier unabhängigen Grundkonstanten ausgedrückt sind, können wir sagen, dass die Physik an ihr Ende gekommen ist. Es würde dann keinen Anreiz mehr geben, weitere Forschungen anzustellen, und alles was für einen Physiker bliebe, wäre einmal die langwierige Arbeit an kleinen Details und zum anderen die Bewunderung für die Großartigkeit des nun vollständigen Systems. In diesem Moment geht die Physik von der Epoche eines Columbus und Magellan in die Epoche des National Geographic Magazine über.22
Stoney- und Planck-Einheiten: die neue Mappa mundi Eines der merkwürdigen Probleme der modernen Physik besteht darin, dass sie über zwei wunderbare und wirkungsvolle Theorien verfügt – die Quantenmechanik und die Allgemeine Relativitätstheorie. Leider gelten diese in ganz unterschiedlichen Bereichen der Natur. Die Quantenmechanik beherrscht die Mikrowelt der Atome und Elementarteilchen und lehrt uns, dass jegliche Materie, so körper-
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haft und auf einen Punkt konzentriert sie erscheinen mag, auch Wellencharakter besitzt. Diese Wellen haben nichts mit Wasserwellen gemein, sondern ähneln eher Wellen von Kriminalität oder Hysterie. Es sind Signale oder Informationswellen, die angeben, mit welcher Wahrscheinlichkeit man auf ein Teilchen stößt. Durchläuft die Welle eines Elektrons den Detektor, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass man ein Elektron registriert – so wie es wahrscheinlicher ist, ausgeraubt zu werden, wenn eine Welle von der Kriminalität unser Wohnviertel heimsucht. Die Quantenwellenlänge eines Teilchens ist umso kleiner, je massereicher es ist. Übersteigt sie die physikalische Größe des Teilchens, wird die Situation vorwiegend von seinem Wellencharakter bestimmt. Die Objekte, die uns in unserem Alltag begegnen, wie ein Auto oder ein schnell fliegender Ball, haben derart große Massen, dass ihre Quantenwellenlängen weitaus kleiner sind als ihre Abmessungen. Daher können wir im Auto oder bei einem Fußballspiel die Quanteneffekte völlig vergessen. Im Gegensatz zur Quantenmechanik kommt die Allgemeine Relativitätstheorie immer ins Spiel, wenn sich Objekte mit Lichtgeschwindigkeit oder nur wenig langsamer bewegen, oder wenn die Schwerkraft äußerst stark ist. Mit der Allgemeinen Relativitätstheorie beschreibt man die Expansion des Universums oder so extreme Vorgänge wie die Bildung eines Schwarzen Lochs. Die Schwerkraft ist jedoch verglichen mit den Kräften, die Atome und Moleküle zusammenhalten, sehr schwach. Sie ist bei weitem zu schwach, um irgendwelchen Einfluss auf die Struktur der Atome oder der Elementarteilchen zu haben. Aus diesen Eigenschaften folgt, dass Quanteneffekte und Schwerkraft in verschiedenen Reichen herrschen, für die es wenig Grund gibt, miteinander in Beziehung zu treten. Niemand weiß, wie man die beiden Theorien nahtlos zu einer neuen, größeren und besseren Supertheorie zusammenbauen könnte, die sowohl Quanteneffekte als auch die Schwerkraft beschreibt. Keiner der Versuchskandidaten hat bisher den Test bestanden. Aber wie können wir herausfinden, wann welche Theorie zuständig ist? Wo liegen die Grenzen der Quantentheorie einerseits und der Allgemeinen Relativitätstheorie andererseits? Es gibt glücklicherweise die Planckschen Einheiten. Sie können uns eine einfache Antwort auf diese Fragen liefern.
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Wenn wir die Masse des sichtbaren Universums kennen, können wir die zugehörige Quantenwellenlänge bestimmen und fragen, wann sie seinen Radius übersteigt.23 Die Antwort ist: wenn das Universum kleiner als die Planck-Länge (10–33 cm), jünger als die PlanckZeit (10–43 s) und heißer als die Planck-Temperatur (1032 K) ist. Die Planckschen Einheiten markieren die Anwendungsgrenzen unserer beiden Theorien. Um etwas über die Welt zu erfahren, die kleiner als die Planck-Länge ist, müssen wir wissen, wie die Quanteneffekte – etwa die von Heisenberg ins Spiel gebrachte Unschärfe – mit der Schwerkraft verknüpft sind. Um zu verstehen, was unmittelbar nach jenem Moment stattfand, den wir den Beginn unseres Universums (oder den Beginn der Zeit) nennen, müssen wir die Barriere der Planck-Zeit durchstoßen. Dabei erreichen wir allerdings auch die Grenzen unseres heutigen Wissens und gelangen in Gebiete, wo unsere Theorien überfordert sind. Plancks natürliche Einheiten haben wieder an Bedeutung erlangt, als man eine neue Theorie zur Beschreibung der Quantennatur der Gravitation suchte. Dabei wurde deutlich, dass ›Informationen‹ in unserem Universum eine grundlegende Bedeutung haben. Wir leben in einer Epoche der Geschichte, die manchmal ›Informationszeitalter‹ genannt wird. Informationen können elektronisch verschlüsselt werden, und man kann sie schneller verschicken und empfangen als je zuvor. Diesen Fortschritt können wir an einem Gesetz ablesen, das Gordon Moore, der Gründer von Intel aufgestellt hat (siehe Abbildung 3.1). Er hat 1965 ausgerechnet, dass sich die Fläche von Transistoren etwa alle 12 Monate halbiert. 1975 ermittelte er mit 24 Monaten einen neuen Wert für diese ›Halbwertszeit‹: Wenn man davon ausgeht, dass der Preis eines Computerschaltelements ungefähr gleich bleibt, erhält man nach Moores Gesetz alle zwei Jahre die doppelte Anzahl von Bauteilen fürs gleiche Geld – Bauteile, die zudem doppelt so schnell arbeiten. Die äußerste Grenze dessen, was man an Information in einem Speicher unterbringen kann, wird ebenso durch die Naturkonstanten festgelegt, wie das Tempo der Informationsverarbeitung. 1981 stellte der israelische Physiker Jacob Bekenstein eine ungewöhnliche Rechnung vor, die von seinem Wissen über die Schwarzen Löcher geprägt war. Danach gibt es ein Maximum an Information, das in
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Rechenoperationen je Sekunde für 1000 US-Dollar
einem bestimmten Volumen gespeichert werden kann. Diese Erkenntnis ist nicht gerade überraschend. Erstaunlich ist vielmehr, dass dieser Wert nicht durch das Volumen selbst bestimmt wird, sondern durch die Größe seiner Oberfläche. Die maximal mögliche Zahl gespeicherter Informations-Bits entspricht der Fläche der Umhüllung, gemessen in Planck-Einheiten. Die Planck-Fläche ist proportional zum Quadrat der Planck-Länge, beträgt also etwa 10–66 cm2. Damit ist die maximale Zahl der Bits in einer Kugel vom Radius r gleich 1066 r2. Das ist bei weitem mehr als bei jedem Informationsspeicher, der bisher entwickelt wurde. In ähnlicher Weise gibt es auch eine äußerste, von den Naturkonstanten bestimmte Grenze für die Rate der Informationsverarbeitung.24
1010 108 106 104 102 10 10-2 10-4 10-6 1900 1910 1920 1930 1940 1950 1960 1970 1980 1990 2000
A b b ild u n g 3 .1 Moores Gesetz.
Mit den Stoney- und Planck-Einheiten können wir den gesamten Bereich von Strukturen und Objekten, die uns im Universum begegnen, sinnvoll ordnen. Wie in Abbildung 3.2 dargestellt, reicht das Spektrum von der Welt der Elementarteilchen bis zu den größten astronomischen Gebilden. Die Objekte, die in der Abbildung dargestellt sind, existieren aufgrund eines stabilen Balanceakts zwischen den konkurrierenden Kräften von Anziehung und Abstoßung. Bei einem Planeten wie der Erde steht beispielsweise die anziehende
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Kraft der Gravitation, die alles zusammenstürzen lassen will, mit der abstoßenden Kraft im Gleichgewicht, die wirksam wird, wenn man Atome zu dicht zusammenpresst. Diese Gleichgewichtszustände können durch zwei dimensionslose Zahlen ausgedrückt werden, die Kombinationen verschiedener Potenzen der Konstanten e, h, c, G und mpr darstellen: der ›Feinstrukturkonstante‹ α = 2πe2/hc ≈ 1/137
für die elektromagnetische Kraft und in Analogie dazu der Kopplungskonstante für die Gravitation αG = Gmpr2/hc ≈ 10–39.
In Abbildung 3.2 fallen drei interessante Dinge auf. Erstens: Die meisten Objekte liegen längs einer Geraden, die diagonal von links unten nach rechts oben verläuft, und auf der die Dichte konstant ist. Alles, was aus Atomen besteht, hat eine Dichte, die in etwa dem Wert entspricht, den man erhält, wenn man die Masse eines Atoms durch sein Volumen dividiert.25 Zweitens: Es gibt weite leere Flächen in dem Diagramm. Zeichnet man die Grenze des Bereichs der Schwarzen Löcher ein, schneidet man ein großes Dreieck links oben ab, aus dem keine Informationen nach außen dringen. Die Schwerkraft ist dort zu groß, um Signale entkommen zu lassen. Drittens: Auch aus dem Dreieck links unten erreichen uns keine Informationen. Die Objekte in diesem ›Quantenbereich‹, der von der ›Heisenbergschen Unschärferelation‹ beherrscht wird, sind so klein, dass sie schon beim Versuch der Messung oder Beobachtung gestört und an einen anderen Ort im Quantenbereich katapultiert werden. Nichts aus diesem Bereich kann von außen beobachtet werden. Der Quantenbereich hat aber noch eine weitere interessante Eigenschaft: Wie man sieht, trifft seine Grenzlinie die des Bereichs der Schwarzen Löcher an einer Stelle, wo die Effekte der Schwerkraft und die Quanteneigenschaften kollidieren. Es ist genau der Punkt mit der Planck-Masse und der Planck-Länge! Die Planckschen Einheiten sind die Achsen, um die sich unsere Welt dreht.
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A b b ild u n g 3 .2 Durch Masse und Größe abgegrenzte Gebiete des Universums: Gebiet konstanter atomarer Dichte (vgl. Abbildung 2.1), Gebiet der Schwarzen Löcher (links oben), Gebiet, in dem die Unschärferelation der Quantenmechanik vorherrscht (links unten).26
Andere Welten Die Bestimmung dimensionsloser Naturkonstanten wie α und αG zusammen mit Konstanten, die für die schwache und die starke Kraft die gleiche Rolle spielen, legt den Gedanken nah, uns für einen Augenblick Welten vorzustellen, die anders als unsere sind. Bei gleichen Naturgesetzen mögen dort die Naturkonstanten größer oder kleiner sein. Dieser Wechsel der Zahlenwerte würde die Struktur solcher Fantasiewelten völlig verändern. Das Gleichgewicht zwischen
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den verschiedenen Kräften wäre ein anderes, die Atome würden über andere Eigenschaften verfügen. Die Schwerkraft würde möglicherweise auch in der Mikrowelt eine Rolle spielen, und die Quantennatur der Natur würde an unerwarteten Stellen spürbar werden. Die Berechtigung zu solchen Gedankenexperimenten ist sehr eng mit Einsteins Fragen verbunden. Erlaubt die Natur eine und nur eine Kombination von Konstanten, so handeln wir aus reiner Borniertheit und haben nur vermeintlich die Freiheit, uns andere Welten vorzustellen. Wir glauben nur deshalb, die Konstanten frei wählen zu können, weil wir uns nicht darüber im Klaren sind, wie stark sie in die Naturgesetze verflochten sind. Wenn die Naturkonstanten durch die Naturgesetze festgelegt werden, kann es keine anderen Welten geben. Als letzte wichtige Lektion sagen uns dimensionslose Zahlen wie α und αG, was es wirklich heißt, wenn eine Welt anders ist. Wie wir schon wissen, stellt die Feinstrukturkonstante α eine Kombination der Elementarladung e, der Lichtgeschwindigkeit c und des Planckschen Wirkungsquantums h dar. Wir könnten uns also zunächst vorstellen, dass eine Welt, in der sich das Licht langsamer ausbreitet, anders ist. Das muss aber nicht zwangsläufig so sein, denn wenn man die Größen e, c und h alle so verändert, dass der Wert von α konstant bleibt, gliche die schöne ›neue‹ Welt für jeden Beobachter der alten. Einzig die dimensionslosen Naturkonstanten bestimmen die Welt. Auch wenn man alle Massen verdoppeln würde, hätte das keine Folgen, sofern die dimensionslosen Zahlen durch Massenverhältnisse bestimmt werden.
Neue Varianten des Kopernikanischen Prinzips Der Name des berühmten Astronomen Nikolaus Kopernikus ist für immer mit dem Aufgeben des Standpunkts verbunden, die Erde sei der Mittelpunkt aller Dinge. Kopernikus entwickelte gegen diesen Jahrtausende alten Glauben die Vorstellung von Planeten, die sich um die Sonne bewegen, und von einer Erde, die ihre zentrale Stellung verloren hat. Das neue heliozentrische Modell erwies sich als geeigneter, die Beobachtungen der Astronomen zu erklären. Damit
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hatte das alte Ptolemäische Modell mit der Erde im Mittelpunkt ausgedient und seine Macht zur Deutung der Fakten verloren. Der Einfluss, den Kopernikus’ Abkehr von einem anthropozentrischen Weltbild in den folgenden Jahrhunderten hatte, war in allen Bereichen menschlicher Forschung spürbar. Die Menschen wurden sich der Tatsache bewusst, dass sie im Universum keineswegs einen zentralen Platz einnehmen, sondern in mancher Hinsicht eher eine Randexistenz führen. Der Weg zu Naturkonstanten, die ausdrücklich nicht auf den Menschen zugeschnitten sind, sondern auf universellen Eigenschaften der Natur beruhen, kann als eine zweite ›Kopernikanische Wende‹ bezeichnet werden. Man erkannte, dass der Aufbau unseres Universums und die Grundstruktur der universellen Naturgesetze von Standards und Invarian- Ein Physiker ist ein Mathematiker ten bestimmt werden, die weit über mit einem Sinn für die Realität. menschliche Dimensionen hinausgehen Norman Packard27 und im wahrsten Sinn des Wortes extraterrestrisch sind. Die fundamentale Zeiteinheit der Natur hängt mit der Lebensdauer eines Menschen so wenig zusammen wie mit den Erdentagen, -monaten und -jahren, die unseren Kalender prägen. Sie ist bei weitem zu klein, um irgendwie direkt gemessen werden zu können. Es gab nun noch einen weiteren Schritt, der die Kopernikanische Perspektive erweiterte: Man wollte zeigen, dass auch die Gesetze der Natur kopernikanisch sind. Das war eine weit schwierigere Angelegenheit und erforderte die tiefen Einsichten eines Einstein. Zunächst: Wie kann man diese Aufgabe umschreiben? Nach Einstein sind die Naturgesetze für jeden Beobachter im Universum gleich – unabhängig davon, wie er sich bewegt und wo er sich befindet. Wäre dem nicht so, gäbe es bevorzugte Beobachter, für die einfachere Naturgesetze gelten als für die anderen. Ein solches Weltbild wäre antikopernikanisch, denn es würde irgendjemandem (nicht unbedingt einem Erdenbewohner) im Universum eine besondere Stellung einräumen. Zunächst könnte man annehmen, es genügten schon Naturkonstanten auf einer universellen physikalischen Grundlage, damit die Dinge überall für jeden gleich aussehen. Das reicht jedoch bei weitem nicht aus! Die Newtonschen Bewegungsgesetze liefern uns ein klassisches Beispiel. Nehmen wir etwa das erste dieser Gesetze,
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nach dem Körper, auf die keine Kraft einwirkt, nicht beschleunigt werden, sondern in Ruhe bleiben oder sich weiterhin mit konstanter Geschwindigkeit fortbewegen. Schon Newton war sich jedoch darüber im Klaren, dass dieses ›universelle‹ Gesetz nicht wirklich universell ist. Nur eine besondere Auswahl von Beobachtern des Universums wird es für wahr halten: Beobachter in einem Trägheitssystem, also Beobachter, die im Verhältnis zu einem imaginären kosmischen Hintergrund aus weit entfernten Fixsternen weder beschleunigt werden noch rotieren.28 Diese Beobachter verletzen also die Kopernikanische Forderung, da sie ein Universum wahrnehmen, dessen Gesetze für sie besonders einfach sind. Um herauszufinden, warum das so ist, wollen wir uns vorstellen, im Inneren eines Raumschiffs zu sitzen, aus dessen Fenstern wir die fernen Sterne beobachten, die ihren festen Platz am Himmel zu haben scheinen. Nehmen wir weiter an, dass eine Steuerdüse unser Raumschiff in Rotation versetzt. Wenn wir nun aus dem Fenster schauen, haben wir den Eindruck, dass die fernen Sterne rotieren – in Gegenrichtung zur Rotation unseres Raumschiffs. Für uns sieht es nun so aus, als wenn diese Sterne beschleunigt29 werden, obwohl auf sie keinerlei Kräfte wirken. Für den rotierenden Beobachter, der ja keiner Trägheitsbewegung folgt, gilt offensichtlich das Newtonsche Gesetz nicht mehr. Mit ein wenig Anstrengung kann der rotierende Beobachter die Gesetze herausfinden, um die Bewegungen zu beschreiben, die er von seinem rotierenden Raumschiff aus beobachtet, aber die Gesetze sind komplizierter als die für einen Beobachter auf einer Trägheitsbahn. Diese höchst undemokratische Situation, die einigen Auserwählten einfachere Naturgesetze beschert, war für Einstein ein klarer Hinweis, dass mit den Newtonschen Gesetzen etwas nicht stimmen konnte. Wenn sie nur für ausgewählte Beobachter galten, konnten sie nicht wirklich universell sein. Einstein stellte daraufhin sein Kovarianzprinzip auf, nach dem Naturgesetze so formuliert werden müssen, dass sie für jeden Beobachter in gleicher Weise gelten – unabhängig von seinem Ort und von seiner Bewegung. Als Einstein dieses Prinzip einführen wollte, war er in einer glücklichen Situation. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war es deutschen und italienischen Mathematikern gelungen, das Wissen über verschiedene auf gekrümmten Oberflächen geltende Geometrien wesentlich zu vertiefen. Dabei hatten sie die Ten-
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sorrechnung entwickelt, eine mathematische Schreibweise, in der man jeder Gleichung eine Form geben kann, die gegenüber Transformationen des zugrunde liegenden Koordinatensystems ›kovariant‹ ist. Derartige Koordinatentransformationen treten beispielsweise auf, wenn man von einem Trägheitssystem zu einem anderen übergehen will. Zu Einsteins ältesten Freunden zählte der Mathematiker Marcel Grossmann, der sich mit diesen neuesten Entwicklungen in der Mathematik bestens auskannte. Er führte Einstein in die Tensormathematik ein, und Einstein begriff, dass sie genau das darstellte, was er zur exakten Formulierung seiner Theorie brauchte. In der Tensorschreibweise würden seine Naturgesetze automatisch für jeden Beobachter die gleiche Form annehmen. Einsteins Schritt war der Schlusspunkt eines dramatischen Wandels in der Naturauffassung der Physiker des 20. Jahrhunderts. Dieser Wandel ist dadurch gekennzeichnet, dass man sich immer weiter von dem Standpunkt entfernte, es gäbe einen bevorzugten Blickwinkel auf die Welt – sei es der Blickwinkel des irdischen Menschen oder einer, der sich an Maßstäbe anlehnt, die auf menschlichen Dimensionen beruhen. Dieser Loslösungsprozess verlief in mehreren Stufen. Die erste Stufe war die Kopernikanische Wende in der Astronomie, mit der uns klar wurde, dass unsere Stellung im Universum so wenig privilegiert ist wie der ›Aussichtspunkt‹, den sie uns in Ort und Zeit bietet. Als Nächstes wurden wir mit Maßeinheiten und Naturkonstanten konfrontiert, die nicht auf menschlichen Dimensionen oder den Größenverhältnissen der Bewegung von Erde und Sonne beruhen, sondern universell sind und alles ›Menschliche‹ transzendieren. Zuletzt hat uns noch Einstein gezeigt, dass auch die Naturgesetze in einer Weise formuliert werden müssen, dass sie für jeden Beobachter im Universum gelten, wo immer er ist und wie immer er sich bewegt. Auf jeder dieser Stufen wurden Physik und Astronomie erneut von subjektiven Einflüssen befreit, indem man alles Geschehen im Universum auf Prinzipien zurückführte, die für jeden denkbaren Beobachter gelten. Wenn es uns einmal gelingt, diese Konstanten und Gesetze exakt zu bestimmen, werden sie uns die einzig mögliche Grundlage liefern, auf der wir mit extraterrestrischen intelligenten Wesen in einen Dialog eintreten können. Sie sind das tiefste Wissen, das alle Bewohner des Universums teilen.
Kapitel 4
Einfach, praktisch, gut: die ›Theorie für Alles‹ Bevor Physiker zu einer Entscheidung kommen, untersuchen sie ihr Problem. Anwälte, Leute aus der Werbebranche und dergleichen machen genau das Gegenteil: Sie suchen nach Fakten, um eine Entscheidung zu rechtfertigen, die sie längst getroffen haben. Robert Crease1
Zahllose Zahlen Schon in grauer Vorzeit erkannten unsere Vorfahren, dass die Natur mit zwei Arten von Ereignissen aufwartet: vorhersagbaren und nicht vorhersagbaren. Die unvorhersagbaren Seiten der Welt waren gefährlich und lösten Furcht aus. Vielleicht waren es Strafen, die von den Göttern gesandt wurden, weil ihnen das Verhalten der Menschen missfiel? Diese Ereignisse waren spektakulär, deshalb sind auch die alten Chroniken voll von Berichten über Erdbeben, Sintfluten und die Pest. Weniger beeindruckend, aber letztlich weit wichtiger waren Naturereignisse, die man mit ziemlicher Sicherheit vorhersagen konnte. Man konnte die periodisch wiederkehrenden Änderungen in der Umwelt dazu nutzen, die richtigen Saaten anzubauen, rechtzeitig Wintervorräte anzulegen und sich gegen widriges Wetter und Wasserfluten zu schützen. In ihrer Regelmäßigkeit spiegelten sie eine Ordnung wider, wie sie stabile Gesellschaften auszeichnet. Sie förderten den Glauben, dass Gesetz und Ordnung auch auf kosmischer Skala gelten. Besonders in den vom Monotheismus bestimmten Gesellschaften des Abendlands entwickelte sich schließlich aus diesen Vorstellungen die Annahme, dass es ›Naturgesetze‹ gibt, die überall und zu allen Zeiten gelten.2 Im Gegensatz zu den Gesetzen, die für Menschen gelten und bestimmen, wie sie sich verhalten sollen, beschreiben die Naturgesetze, wie die Natur ist.
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Wir wissen inzwischen, dass wir Gesetze des Naturgeschehens auch in Form von Erhaltungssätzen formulieren können, die besagen, dass sich ein bestimmter Aspekt der Natur nicht ändert. Mit anderen Worten: Es gibt ›konservative‹ Größen. Das beste Beispiel ist die Energie. Selbst wenn man sich den ganzen Tag damit abmüht, einzelne Energieformen ineinander zu verwandeln, hat sich am Abend, wenn man Bilanz zieht, die Gesamtsumme nicht verändert. Bis in die 1970er Jahre waren die Physiker von dieser Korrespondenz der Naturgesetze mit den Erhaltungsgrößen so fasziniert, dass sie für Eine Gleichung hat für mich nur eine die Vielzahl unveränderlicher Größen Bedeutung, wenn sie einen Gedanken nach den passenden Gesetzen suchten, Gottes ausdrückt. die ihnen zuzuordnen sind. Ihre Suche Srinivasa Ramanujan3 war äußerst erfolgreich. Alle vier Grundkräfte in der Natur – Gravitation, Elektromagnetismus, schwache und starke Kraft – korrespondieren mit einer besonderen Größe, die bei allen Prozessen – etwa dem Zerfall eines radioaktiven Kerns oder der Bewegung eines Magneten, die im Fahrraddynamo Strom erzeugt – erhalten bleibt. Diese Kräfte können erfolgreich mit Theorien beschrieben werden, die auf Erhaltungsgrößen basieren. Das alles war für die Physiker eine erfreuliche Entwicklung und führte zu jeweils gesonderten Theorien für die Gravitation, den Elektromagnetismus, die schwache Kraft (der sich die Radioaktivität verdankt) und die starke Kraft (die in den Atomkernen wirkt). Die Erhaltung bestimmter Größen entsprach in allen Fällen der Existenz einer entsprechenden Kraft und bestimmte im Einzelnen, auf welche Objekte diese Kraft in welcher Weise wirkte. Das Glück der Physiker hielt sich jedoch in Schranken, denn es blieb noch eine entscheidende Frage offen: Warum sollte die Welt gerade von vier Erhaltungsgrößen bestimmt werden? Selbst wenn in den religiösen Vorstellungen das Quadrivium4 noch seinen Platz hat, wird man instinktiv eher zu der Vorstellung neigen, dass es nur eine Erhaltungsgröße und nur ein einziges Naturgesetz gibt, das für alles gilt. Eine solche Vorstellung erfüllt unsere ästhetischen, logischen und physikalischen Erwartungen am besten. Ein Universum, das sich als Resultat eines Gemischs verschiedener Gesetze erweist, die nicht miteinander verknüpft sind, riecht nach Pfusch. Diese Beden-
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ken sind natürlich kein Beweis dafür, dass das Universum wirklich ein harmonisch gefügtes, von einem einzigen Supergesetz bestimmtes Ganzes ist und nicht etwa nur eine Ansammlung konkurrierender Prinzipien.5 Was die Vereinigten Staaten nach der Präsidentschaftswahl von 2000 an ihrer Verfassung entdeckten, könnte sich auch als das Geheimnis des Universums erweisen: dass nämlich die letztere Vermutung die richtige ist. Solange das Gegenteil jedoch noch nicht bewiesen ist, gehen die Wissenschaftler vernünftigerweise davon aus, dass was (oder wer) auch immer für die Naturgesetze verantwortlich ist, ein gehöriges Stück ›klüger‹ ist als wir und auch nichts von all dem Wunderschönen und Wohlgeordneten vergessen hat, das uns so klar und einleuchtend erscheint. Dieser demütige Glaube ist nicht nur ein Akt frommer Selbstverleugnung, er ist vielmehr auf unsere Erfahrungen in der Vergangenheit gegründet. Wir haben immer wieder gesehen, dass die Naturgesetze schlauer, universeller und weniger willkürlich sind, als wir es uns zunächst vorgestellt hatten. Dieser Glaube an eine letzte Einfachheit und Einheitlichkeit der Regeln, die das Universum bestimmen, deckt sich mit der Annahme, dass es hinter der Vielfalt der Erscheinungen ein einziges, unveränderliches Prinzip gibt. Je nach den Umständen realisiert sich dieses Prinzip in äußerlich unterschiedlicher Weise und tritt uns dann in der Form der vier verschiedenen Kräfte entgegen, die unsere Welt beherrschen. Es ist inzwischen immer klarer geworden, wie diese Realisierung der unterschiedlichen Aspekte funktionieren könnte. Dabei stellte sich heraus, dass die Kräfte nicht so deutlich voneinander isoliert sind, wie es zunächst aussehen mag. Sie scheinen mit äußerst unterschiedlicher Stärke auf unterschiedliche Bausteine der Natur zu wirken. Doch das ist nur eine Illusion, die sich uns aufdrängt, weil wir in einem Winkel des Universums zu Hause sind, in dem die Temperatur ziemlich niedrig ist – niedrig genug, um Atomen und Molekülen die Existenz zu ermöglichen. Steigt die Temperatur an, prallen die Bausteine der Materie mit immer größerer Energie aufeinander, und die Unterschiede zwischen den vier Kräften, die unsere friedliche Tief-Temperaturwelt beherrschen, schmelzen dahin: Die starke Kraft wird schwächer, die schwache stärker. Bei noch höherer Temperatur entstehen neue Teilchen, die für Wechselwir-
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kungen zwischen den Familien des Elementarteilchenzoos sorgen, die sich bei niederen Temperaturen nicht ins Gehege kommen. Nähern wir uns den unvorstellbaren Bedingungen bei jener Ur-Temperatur, die Planck durch die vier Naturkonstanten G, k, c und h definiert hat, so sind alle Unterschiede ausgelöscht, und die Naturkräfte wirken schließlich in einheitlicher Form.
Kosmischer Kubismus Der sowjetische Physiker George Gamow hat mit seinem Mr. C. G. H. Tompkins (siehe Abbildung 4.1) die Figur eines Bankangestellten geschaffen, der eine unbezwingbare Neigung zur modernen Naturwissenschaft hat. Seine Heldentaten füllen eine lange Reihe von Erzählungen, die in den Sammelbänden Mr. Tompkins in Paperback und The New World of Mr. Tompkins erschienen sind. Um Quantenphysik und Relativitätstheorie erklären zu können, wählte Gamow einen Kunstgriff: In seiner fiktionalen Welt treten die neuartigen Effekte über alles Maß verstärkt auf. Er veränderte einfach die Werte der Naturkonstanten. Wenn beispielsweise die Lichtgeschwindigkeit6 anstelle von 300 000 km/s nur noch 300 km/s beträgt, werden die seltsamen Auswirkungen der Bewegung auf den Zeitablauf und die Abmessungen von Gegenständen zum Bestandteil des Alltags. Man kann beispielsweise nicht Auto fahren, ohne sie zu beachten. In ähnlicher Weise treten die Quanteneffekte ständig zutage, wenn das Plancksche Wirkungsquantum viel größer wird. Als Mr. Tompkins mit seinem Queue einen Stoß ausführt, muss er feststellen, dass die Billardkugel gleichzeitig verschiedene Wege nimmt, während sie in ›unserer‹ Welt, in der die Quanteneffekte äußerst klein sind, einer einzigen wohldefinierten Bahn folgt.7 Mr. Tompkins’ Initialen C. G. H. verweisen auf die zentrale Rolle der Lichtgeschwindigkeit (c), der Gravitation (G) und der Quantenstruktur (h) in Gamows Fantasiewelt. Wir können mit diesem Trio ein einfaches Bild der Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Naturgesetzen entwerfen und müssen dazu nur einige Grundprinzipien berücksichtigen: Setzen wir G Null, schalten wir die Gravitation
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A b b ild u n g 4 .1 C. G. H. Tompkins, der Held von Gorge Gamows wissenschaftlicher Fantasie Mr. Tompkins’ seltsame Reise durch Kosmos und Mikrokosmos. Die Abbildung trägt in der deutschen Ausgabe die Bildunterschrift »Schon wieder ein Hollywood-Schinken«.8
ab. Wird h Null gesetzt, ignorieren wir die Quantenstruktur des Universums, derzufolge die Energieniveaus wie die Sprossen einer Leiter angeordnet sind und nur bestimmte Werte annehmen können. Der Abstand der Sprossen wird durch die Größe von h festgelegt: Mit h = 0 gibt es überhaupt keine Sprossen und die Energie eines Atoms kann sich in beliebig winzigen Schritten ändern.9 Eine dritte Möglichkeit ist, c unendlich groß anzunehmen (was gleichbedeutend mit 1/c = 0 ist). Eine solche Vorstellung von der Welt hatte man noch zu Newtons Zeiten, als man davon ausging, dass die Gravitation zwischen Erde und Sonne augenblicklich wirken würde.10 Wir können die Möglichkeiten sehr anschaulich in Form eines Quaders11 anordnen, der von einem Koordinatensystem mit den Achsen h, G und 1/c aufgespannt wird (siehe Abbildung 4.2). Jede der acht Ecken unseres Quaders repräsentiert eine bestimmte physikalische Theorie. Die einfachste hat ihren Platz im Ursprung des Koordinatensystems, wo es weder Gravitation (G = 0) noch eine Quantelung der Energieniveaus (h = 0) gibt und die Relativität ignoriert wird (1/c = 0). Es ist die Newtonsche Mechanik, die in der Abbil-
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dung mit NM bezeichnet ist. Geht man die 1/c-Achse nach vorn zu größeren Werten, lässt aber h = G = 0, gelangt man zur Speziellen Relativitätstheorie (SRT). Geht man bei 1/c = G = 0 auf der h-Achse nach rechts, verallgemeinert man die Newtonsche Mechanik zur Quantenmechanik (QM). Lässt man 1/c = h = 0 und ergänzt die Newtonsche Mechanik um die Gravitation, indem man nach oben geht, kommt man zur Newtonschen Gravitationstheorie (NGT). Mit h = 0 erreicht man dort auf dem Weg nach vorn Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie (ART), zu der man auch gelangen kann, indem man die Spezielle Relativitätstheorie um die Gravitation ergänzt. Der Weg von der Quantenmechanik nach vorn führt mit einem endlichen Wert von 1/c zur Quantenfeldtheorie (QFT), der Weg von der Quantenmechanik nach oben ergänzt sie um G und führt zur – bedeutungslosen – nichtrelativistischen Quantenversion der Newtonschen Gravitationstheorie (NQGT), wobei weiterhin 1/c = 0 gilt. Nun fehlt nur noch das Eck, in dem sowohl 1/c als auch h und G endliche Werte haben: Dort ist der Platz einer relativistischen Quantengravitationstheorie (RQGT), die eine Verallgemeinerung aller anderen Theorien darstellt und leider bis heute noch nicht gefunden wurde. Es ist inzwischen immerhin gelungen, eine Anzahl so genannter ›String-Theorien‹ aufzustellen, die als Grenzfälle einer umfassenderen, tiefer gehenden Theorie und als deren ›Schattenrisse‹ in verschiedene Richtungen gedeutet werden können. Diese ›M-Theorie‹ ist bis heute noch ein Rätsel: Das ›M‹ steht für mistery. Das Bild, das wir gerade entworfen haben, zeigt auch eine tiefe Wahrheit über die Art und Weise, wie sich der wissenschaftliche Fortschritt durchsetzt. Er besteht nicht aus einer Abfolge von Revolutionen, die jeweils die alten Theorien für null und nichtig erklären, um damit Platz für neue zu schaffen. Wäre es so, könnten wir von den derzeit gültigen Theorien mit Sicherheit nur sagen, dass sie Fehler haben und sich irgendwann alle als falsch herausstellen werden. Aber das kann nicht die ganze Wahrheit sein, schließlich erweisen sich die heute gängigen Theorien als brauchbar und haben sich bei Millionen von Prognosen bewährt. Wie können wir diese Tatsache mitberücksichtigen? Newtons 300 Jahre alte Theorien von Schwerkraft und Bewegung liefern uns wunderbar exakte Regeln für Objekte in einem äußerst
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schwachen Gravitationsfeld, die sich mit Geschwindigkeiten bewegen, die deutlich niedriger liegen als die Lichtgeschwindigkeit. In den ersten fünfzehn Jahren des 20. Jahrhunderts entwickelte Einstein eine weiter reichende Theorie, die auch für große Geschwindigkeiten und starke Gravitation gilt, also in den Fällen, in denen die G
NGT
ART
NQGT
RQGT QM
NM
SRT
h
QFT
1 C
A b b ild u n g 4 .2 Struktur physikalischer Theorien in einem Raum, der von den Koordinaten h, G und 1/c aufgespannt wird. (Einzelheiten siehe Text)
Newtonsche Theorie versagt. Es darf aber keinesfalls übersehen werden, dass Einsteins umfassendere Theorie nicht isoliert neben der Newtonschen steht, sondern in diese übergeht, wenn die Geschwindigkeit kleiner und die Gravitation schwächer wird. Ähnlich verhält es sich mit der revolutionären Quantentheorie, die im ersten Viertel des letzten Jahrhunderts entwickelt wurde. Sie liefert eine Beschreibung unseres Universums, die über Newton hinausgeht und auch im Reich der kleinsten Dinge gilt. Ihre Prognosen für diese Mikrowelt, die nicht den Newtonschen Gesetzen gehorcht, sind erstaunlich exakt. Hier gilt, dass sich die Ergebnisse der Quantenmechanik umso mehr denen der Newtonschen Mechanik angleichen, je größer die Objekte sind. Auf diese Weise kann das Herzstück einer ›alten‹ Theorie weiterhin als Grenzfall einer neuen, besseren Theorie seine Gültigkeit behalten. Wissenschaftliche Revolutionen, bei denen alles umgestürzt wird, scheinen überhaupt nicht mehr vorzukommen.
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Wir können die Beziehungen zwischen alten und neuen Theorien sehr schön sehen, wenn wir zu unserem Quader zurückkehren. Nehmen wir als Beispiel die Quantenmechanik, die in die Newtonsche Mechanik übergeht, wenn h kleiner wird. Je mehr man sich der Grenze h = 0 nähert, umso eher können die Quanteneffekte vernachlässigt werden. Wir können uns daher voll und ganz darauf verlassen, dass die 300 Jahre alten Theorien Newtons nicht nur heute, sondern auch noch in 1 000 Jahren unterrichtet und angewandt werden. Wie immer auch die letzte aller Theorien, die ›Theorie für Alles‹ aussehen mag: Mit ihr werden als Grenzfall auch Bewegungen mit Geschwindigkeiten beschrieben, die weit kleiner als die Lichtgeschwindigkeit sind, in schwachen Gravitationsfeldern stattfinden oder von Quanteneffekten der Materie nicht merklich beeinflusst werden. Dieser Grenzfall ist dann wieder die Newtonsche Mechanik.
Neue Konstanten – neue Probleme Wir haben an einigen Beispielen gesehen, wie die Entdeckung neuer Naturkonstanten dazu beitragen konnte, Ordnung in unser Verständnis des Universums zu bringen. Naturkonstanten sind wie Leuchtfeuer, mit denen wir unsere Position überprüfen können. Auf sie bezogen beruht jeder wirkliche Fortschritt im Verständnis der materiellen Welt auf einer der folgenden Voraussetzungen: (1) der Entdeckung einer neuen grundlegenden Naturkonstante, (2) der Aufwertung einer schon bekannten Naturkonstante durch die Entdeckung neuer Aspekte, die ihre Bedeutung vergrößern, (3) der Reduktion einer Naturkonstante auf andere, die ihre Größe bestimmen, (4) der Aufklärung, dass ein Phänomen durch eine neue Kombination von Konstanten bestimmt wird, (5) der Variabilität einer Naturkonstante, also der Entdeckung, dass sie nicht wirklich konstant, sondern variabel ist, oder
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(6) der theoretischen Erklärung einer Naturkonstante und damit der Möglichkeit ihrer Berechnung.
Als Beispiel für die Entdeckung einer neuen Naturkonstante kann die Einführung der Quantenmechanik durch Planck, Einstein, Bohr, Heisenberg und andere dienen, die mit der neuen fundamentalen Konstante h verbunden war, die heute den Namen Plancks trägt. Mit ihr hat ›etwas‹, dem man zuvor die Größe Null zugeschrieben hatte, einen endlichen Wert zugewiesen bekommen, und man konnte nun angeben, wie groß die kleinstmöglichen Energieportionen sind, die in der Natur ausgetauscht werden können. Auf ein neueres Beispiel treffen wir bei der Suche nach einem Kandidaten für eine ›Theorie für Alles‹. Nach der ›Superstring-Theorie‹ sind die Grundbestandteile unserer Welt keine punktförmigen Masseteilchen, sondern Energieschleifen oder ›Strings‹, die über eine Spannung verfügen, wie sie elastische Bänder haben. Die Größe dieser Spannung ist die Grundkonstante der String-Theorie. Aus ihr folgen fast alle anderen Eigenschaften der Welt, wobei man sie allerdings nur in den wenigsten Fällen bereits im Einzelnen ableiten kann. Vielleicht wird sich herausstellen, dass die String-Spannung eine so grundlegende Konstante wie die Planck-Masse und das Plancksche Wirkungsquantum ist. Ein Beispiel für die Aufwertung einer Naturkonstante liefert uns Einsteins Spezielle Relativitätstheorie mit der Lichtgeschwindigkeit im Vakuum. Einstein konnte zeigen, dass sie mit der Masse m und der Energie E über die berühmte Gleichung E = mc2 verbunden ist. Dass sich das Licht mit endlicher Geschwindigkeit ausbreitet, war schon lange zuvor bekannt. Auch deren Größe konnte schon im 19. Jahrhundert höchst präzise gemessen werden. Neu an Einsteins Theorie war der Stellenwert, den die Lichtgeschwindigkeit nun erhielt: Sie wurde zur unüberschreitbaren ultimativen Grenze. Kein Signal kann sich schneller ausbreiten. Noch grundlegender war die Erkenntnis, dass diese Geschwindigkeit für alle Beobachter – unabhängig von deren Bewegung – gleich ist. Damit war die Lichtgeschwindigkeit unter allen Geschwindigkeiten ausgezeichnet. Die Reduktion einer Naturkonstante folgt in der Regel erst später. Man muss bereits einige Größen kennen, die als Kandidaten für Na-
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turkonstanten taugen. Darüber hinaus muss man wissen, wie ihre Herrschaftsgebiete untereinander verbunden sind. Es zeigt sich, dass Naturkonstanten oft miteinander zusammenhängen, wenn sich ihre Geltungsgebiete überschneiden. Etwas Derartiges tritt typischerweise auf, wenn Physiker versuchen, eine Supertheorie zu finden, die zwei zuvor E i n s t e i n : Henri, Du weißt ja, ich habe deutlich unterschiedene Kräfte zu einer einmal Mathematik studiert, aber dann einzigen vereinigt. 1967 stellten Shel- habe ich sie zu Gunsten der Physik aufgegeben. don Glashow, Steven Weinberg und Po in c a r é : Ach wirklich, Albert, warum Abdus Salam eine Theorie vor, die den das denn? Elektromagnetismus mit der schwa- E i n s t e i n : Weil ich zwar wahre von chen Kraft der Radioaktivität vereinigt. falschen Aussagen unterscheiden konnte, Damit werden auch die Naturkonstan- aber nicht sagen konnte, was wichtig war. ten der beiden Kräfte miteinander ver- Po in c a r é : Das ist sehr interessant, bunden, und die Zahl der unabhängi- Albert, ich habe nämlich zuerst Physik gen Konstanten wird reduziert. Diese studiert und bin dann zur Mathematik neue Theorie wurde zum ersten Mal übergewechselt. E i n s t e i n : Wirklich? Warum? 1983 durch Beobachtungen bestätigt. Po in c a r é : Weil ich nicht sagen Die Aufklärung der Zusammenhänge konnte, welche der wichtigen Aussagen zwischen Naturkonstanten kommt ins wahr waren. Spiel, wenn die Theorie voraussagt, Gespräch zwischen Einstein und Poincaré12 dass eine bestimmte Größe – beispielsweise eine Temperatur oder eine Masse – durch eine neue Kombination von Konstanten definiert wird. Die Kombination sagt etwas über die innere Verbundenheit der verschiedenen Bereiche der Natur aus. Ein gutes Beispiel dafür ist eine Prognose, die Hawking 1974 gemacht hat: Schwarze Löcher sind nicht völlig schwarz. Thermodynamisch gesehen sind sie so genannte Schwarzkörper und damit perfekte Emittenten thermischer Strahlung. Man hatte damals geglaubt, dass Schwarze Löcher kosmische Monster seien, die alles verschlingen, was in den Bereich ihrer Gravitations-Fänge gerät. Für keinen, der einmal die Oberfläche eines Schwarzen Lochs – den ›Ereignishorizont‹ – durchbrochen hat, gibt es eine Rückkehr in die Welt draußen. Hawking konnte zeigen, was passiert, wenn man Quanteneffekte mit einbezieht. Es stellte sich heraus, dass Schwarze Löcher dann
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nicht völlig schwarz sind. Der starke Sprung der Gravitation in der Nähe des Ereignishorizonts kann bewirken, dass sich Gravitationsenergie in der Form von Teilchen manifestiert, die vom Schwarzen Loch abgestrahlt werden können. Damit entziehen sie nach und nach dem Schwarzen Loch Materie, bis es sich schließlich in einer gigantischen Explosion auflöst.13 Hawking zufolge wird dieser Verdampfungsprozess überraschenderweise von einem thermodynamischen Gesetz bestimmt, das schon lange zum physikalischen Alltag gehört und für alle Körper im Strahlungsgleichgewicht gilt. Damit wären Schwarze Löcher Objekte, die sowohl relativistisch als auch quantenmechanisch und thermodynamisch sind, und darüber hinaus noch von der Gravitation bestimmt werden. Das Gesetz für die Temperatur der Strahlung, die von einem Schwarzen Loch bei dem von Hawking beschriebenen Prozess in den Raum abgestrahlt wird, enthält die Konstanten G, h und c. Es enthält aber auch die schon erwähnte Boltzmann-Konstante k, die Temperatur und Energie miteinander verknüpft. Damit haben wir ein spektakuläres Beispiel vor Augen, das die engen Verbindungen der auf den ersten Blick säuberlich getrennten Bereiche der Natur aufdeckt. Die Entdeckung der Variabilität von Naturkonstanten unterscheidet sich deutlich von den vier bisher genannten Entwicklungen. Variabilität bedeutet, dass sich Größen, die wir für konstant gehalten haben, als Hochstapler entpuppen, die sich nur als ›echte‹ Konstanten getarnt haben, in Wirklichkeit aber in Raum und/oder Zeit variieren. Zunächst ist klar, dass die Variationen sehr klein sein müssen, sonst wäre man nie auf die Idee gekommen, von Konstanten zu reden. Für keine der fundamentalen Naturkonstanten gab es bisher zweifelsfreie Beweise, die zur Herabstufung ihres kosmischen Status geführt hätten. Wie wir sehen werden, stehen aber einige unter Verdacht und müssen ihre Konstanz in immer präziseren Messungen nachweisen. Der erste Kandidat für winzige Abweichungen war schon immer die Gravitationskonstante G. Die Gravitation ist die bei weitem schwächste aller Kräfte in der Natur und damit auch am wenigsten in Experimenten erforscht. Wenn man in einem Physikbuch die Größen der wichtigsten Konstanten nachschlägt, sieht man, dass bei der Gravitationskonstante weit weniger Dezimalstellen angegeben wer-
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den als bei c, h, α, mpr oder e.14 Wie schon erwähnt, nahm man in der Mitte der 1960er Jahre eine Zeit lang an, dass Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie die Bewegung des Planeten Merkur um die Sonne nicht richtig beschreibt. Zunächst versuchte man, Theorie und Experiment in Übereinstimmung zu bringen, indem man die Einsteinsche Theorie erweiterte: Man ließ zu, dass sich G im Laufe der Zeit ändern kann. Zwar fand man schließlich heraus, dass das Problem durch zu ungenaue Messungen entstanden war, aber die neue Theorie mit dem variablen G war wie ein entkommener Flaschengeist nicht mehr einzufangen. Während die Gravitationskonstante G als Erste Zweifel an ihrer Konstanz abwehren musste (und konnte), waren die jüngsten und fundiertesten Angriffe auf die Konstanz der Feinstrukturkonstante α gerichtet. Diese Attacken sind noch immer aktuell, weshalb wir uns mit ihnen in Kapitel 12 ausführlich beschäftigen wollen. Die Feinstrukturkonstante verknüpft, wie wir schon wissen, die Lichtgeschwindigkeit mit dem Planckschen Wirkungsquantum und der Elementarladung. Wir können also wählen, welche dieser drei Größen sich ändert, wenn α variiert. Die ersten fünf der genannten Bedingungen für den wissenschaftlichen Fortschritt beziehen sich allein auf die Naturkonstanten und unterstreichen damit deren zentrale Rolle. Unsere Liste enthält aber noch einen sechsten Punkt, der dem Heiligen Gral der fundamentalen Physik gewidmet ist und die Erklärung der Naturkonstanten aus der Theorie zum Inhalt hat. Dieses Projekt ist bis jetzt noch ohne Erfolg geblieben, was dazu führt, dass wir immer noch die Größe der Naturkonstanten nur über Messungen bestimmen können.15 Dieser Zustand ist höchst unbefriedigend, da die Konstanten durchaus unterschiedliche Werte annehmen könnten, ohne damit gleich die Theorie zu Fall zu bringen. Das steht im deutlichen Widerspruch zu den Vorstellungen Einsteins, von denen wir im letzten Kapitel gehört haben: Eine Theorie kann nur dann beanspruchen, wahr zu sein, wenn sie nur durch einen einzigen Satz von Konstanten definiert werden kann, deren Größe den experimentell bestimmten entspricht. Einige Forscher teilen heute diesen Standpunkt, aber es wird immer deutlicher, dass nicht alle Konstanten, die unsere Welt defi-
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nieren, notwendigerweise in dieser Zwangsjacke stecken müssen. Es erscheint eher wahrscheinlich, dass einige in höherem Maße von Zufällen bestimmt werden, die sich Quanteneffekten verdanken. Viele hoffen, dass eine alles umfassende Theorie einmal erlauben wird, Konstanten wie c, h und G beliebig genau zu bestimmen. Das würde umgekehrt auch eine hervorragende Gelegenheit bieten, die ›vollständige‹ Theorie zu testen. Bis heute ist das ein Traum geblieben. Keine der Konstanten, die wir für wirklich grundlegend halten, konnte mithilfe einer der Theorien berechnet werden. Die Physiker scheinen sich manchmal in einer Sackgasse wiederzufinden, obgleich sie vielleicht nicht allzu weit vom Ziel entfernt sind. Es ist noch nicht lange her, dass gleich mehrere denkbare StringTheorien zur Disposition standen, die alle beanspruchten, eine ›Theorie für Alles‹ zu sein. Eine merkwürdige Situation: Warum ›bedient‹ sich unser Universum nur einer dieser Theorien? Dann machte der Physiker Ed Witten von der Princeton University eine wichtige Entdeckung: Er konnte zeigen, dass die auf den ersten Blick verschiedenen Theorien gar nicht verschieden waren, sondern Grenzfälle einer einzigen größeren, tiefer gehenden Theorie, die wir ›nur‹ noch finden müssen. Es ist als würde man ein unbekanntes Objekt von verschiedenen Seiten anstrahlen, das dann eine Anzahl Schattenbilder auf die Wände wirft. Hat man ausreichend viele solcher Abbilder, kann man daraus das beleuchtete Objekt selbst rekonstruieren: Die schon genannte M-Theorie wäre gefunden. In ihrem mathematischen Gerüst sind die Erklärungen der Naturkonstanten verborgen – und damit auch ihre Größen. Leider ist es noch niemand gelungen, in diese Festung vorzudringen und die Informationen ans Licht zu holen. Wir wissen ein wenig über die Struktur der M-Theorie, aber die Mathematik, die zu ihrer Formulierung nötig ist, stellt sich als ungeheuer kompliziert heraus. Normalerweise können Physiker auf schon zuvor von Mathematikern entwickelte Rechenverfahren zurückgreifen und sie als Werkzeug benutzen, um ihre Theorien zu formulieren. Jetzt wurden zum ersten Mal seit Newton in der Natur Strukturen entdeckt, zu deren Verständnis eine neue Mathematik nötig war. Witten glaubt, dass wir das ›Glück‹ hatten, fünfzig Jahre zu früh über die M-Theorie zu stolpern: eine riskante Situation für die Wissenschaft.
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Während eine fundamentale Theorie fehlt, mit der man die Naturkonstanten berechnen kann, herrscht kein Mangel an ›numerologischen‹ Anstrengungen, sie zu erklären. Die Numerologie oder Wissenschaft von den Zahlen hat ihre eigene Geschichte mit spannenden anthropologischen und soziologischen Aspekten. Ihre Ergebnisse sind, wie wir nun sehen werden, ziemlich ungewöhnlich und gelegentlich auch bizarr.
Zahlenzauber Glückszahlen, Unglückszahlen, magische Zahlen: Viele Menschen glauben, sich auf sie verlassen zu können. Dieser Glaube hat sich aus den Urzeiten der Menschheitsgeschichte herübergerettet. Wenn wir beispielsweise in die Zeit um das Jahr 510 vor der Zeitenwende zurückblicken, treffen wir auf Pythagoras und seine Schüler, die sich mit der Mathematik um ihrer selbst willen befassten. Sie waren an allem im Universum interessiert, was man mit Zahlen in Zusammenhang bringen konnte. Wenn sie die Planetenbewegungen auf Tonleitern bezogen und Zahlenwerten geometrische Gebilde zuordneten, war das ein Versuch, die einzelnen Teile der Welt zu einem Ganzen zusammenzufügen. Anders als für uns waren für die Pythagoräer Zahlen nicht nur abstrakte Gebilde, sie nahmen vielmehr an, dass alles Sein Zahl ist. Zahlen waren nicht bloße Maßangaben, sondern hatten eine innere Bedeutung. Aus diesem religiösen Glauben heraus erforschten die Anhänger des Pythagoras das Zahlenreich auf jede erdenkliche Weise und untersuchten Koinzidenzen zwischen Zahlen in den verschiedensten Bereichen des Lebens. Es gab Zahlen mit guten Eigenschaften, während andere als böse galten. Es gab sogar Zahlen, die man geheim halten musste, während die anderen für alle da waren. Um nachvollziehen zu können, wie Pythagoras zu diesem starken Glauben an die Zahlen kam, wollen wir uns einige der Spielereien ansehen, die er gern mit ihnen anstellte. Seine besondere Liebe galt den Dreieckszahlen. An ihrem Beispiel können wir sehen, wie sich auf ganz natürliche Weise Zahlenmuster ergeben, wenn man Punkte
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auf einem Blatt Papier verteilt. Wenn wir Reihen mit 1, 2, 3 … Punkten untereinander auslegen, erhalten wir eine Folge von Zahlen, die Dreiecksform haben (siehe Abbildung 4.3). Addiert man die Punkte Reihe für Reihe auf, erhält man die Folge der Dreieckszahlen, deren n-te die Größe n (n + 1)/2 hat: 1 1+2=3 1+2+3=6 1 + 2 + 3 + 4 = 10 …
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A b b ild u n g 4 .3 Dreieckszahlen, dargestellt als Anordnungen von Punkten.16
Dieses Spiel war für die Pythagoräer in besonderem Maß erhellend, da die Griechen als Zahlzeichen Buchstaben ihres Alphabets verwendeten und dadurch irgendwelche Ordnungen in Zahlenfolgen, die für uns offen vor Augen liegen, eher verdeckt blieben. Die bildliche Darstellung der Zahlendreiecke durch Pythagoras hatte etwas Faszinierendes. Noch heute wird man im Englischen daran erinnert, wenn figure nicht nur ein Bild bezeichnet, sondern auch eine Ziffer oder Zahl. Das Bild der Eins ist ein Punkt, die Zwei ist eine Gerade, die zwei Punkte verbindet, die Drei ein Dreieck, das erste Gebilde, das eine Fläche umschließt. Die Vier symbolisiert den ersten Körper: eine Pyramide aus vier Dreiecken und vier Eckpunkten – heute als Tetrapack im Handel. Ähnlich wie von Dreieckzahlen kann man von Quadratzahlen sprechen: Wenn man die Punkte in quadratischen Feldern anordnet,
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erhält man 4, 9, 16, 25, 36 …. Die Pythagoräer stellten außerdem fest, dass man zu denselben Ergebnissen kommt, wenn man die aufeinander folgenden ungeraden Zahlen addiert. Ganz allgemein entspricht n2 der Summe der ersten n ungeraden Zahlen, beginnend mit 1: 4=1+3 9=1+3+5 16 = 1 + 3 + 5 + 7 25 = 1 + 3 + 5 + 7 + 9 36 = 1 + 3 + 5 + 7 + 9 + 11 …
Diese Beispiele zeigen, weshalb Pythagoras auf die Idee kam, sich die Zahlen als ›Dinge‹ oder geometrische Objekte vorzustellen. Darauf aufbauend machte er eine noch beeindruckendere Entdeckung: Er stellte fest, dass die Stimmung der griechischen Musikinstrumente auf einfachen Zahlenverhältnissen wie 2:1, 3:2 und 4:3 beruhte.17 Die Griechen hielten nur diese Tonintervalle für harmonisch und wohlklingend, alle anderen empfanden sie als dissonant. Diese Erkenntnis hatte weitreichende Folgen für Pythagoras’ Denken. Er nahm an, dass die menschliche Wahrnehmung von mathematischen Verhältnissen bestimmt wird. Da sich nun aus den Planetenbewegungen ähnliche Zahlenverhältnisse ergaben wie bei der Musik, was man deshalb als ›Sphärenharmonie‹ bezeichnete, war Pythagoras davon überzeugt, dass diese beiden auf den ersten Blick getrennten Bereiche aufs Engste verbunden sind.18 Der Numerologie liegt der Glaube zugrunde, dass im Wesen der Zahlen ein tieferer Sinn verborgen ist. ›Siebenheit‹ ist demnach eine Eigenschaft, die alle Dinge gemeinsam haben, die von der Zahl Sieben bestimmt werden, seien es Schneewittchens sieben Zwerge im Land hinter den sieben Bergen, die sieben Siegel oder die sieben Tage der Woche. Es ergibt sich dann fast von selbst, dass bestimmte Zahlen wie die Dreizehn mit Unglück verbunden werden, andere, wie die Sieben, meist mit Glück. Schon die Pythagoräer schrieben den Zahlen Eigenschaften zu und verliehen ihnen dadurch in vieler Hinsicht
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den Charakter von Symbolen. In einem späteren Kommentar zu den Pythagoräern heißt es: Da sie annahmen, dass Gerechtigkeit durch Ausgleich oder Gleichgewicht definiert wird und diese Eigenschaften in Zahlen verkörpert fanden, sagten sie, dass Gerechtigkeit der ersten Quadratzahl entspricht, da jeweils das einfachste Ding, das den gleichen Aufbau hat, ihrer Meinung nach das Anrecht hat, den Begriff zu repräsentieren. Einige nahmen an, diese Zahl sei die Vier, da sie die erste Quadratzahl ist, die in zwei gleiche Teile geteilt werden kann und in jeder Hinsicht gleich ist, da sie 2 x 2 ist. Andere sagten, es sei die Neun, die erste Quadratzahl aus einer ungeraden Zahl, nämlich der Drei, multipliziert mit sich selbst. Gunst und Wohlgelingen war andererseits der Sieben zugeordnet, da in der Natur die Zeiten der Erfüllung bei Mutterschaft und Geburt durch diese Zahl bestimmt sind. Nehmen wir beispielsweise den Mann. Er kann nach sieben Monaten zur Welt kommen, bekommt sieben Jahre danach seine ›richtigen‹ Zähne, erreicht die Pubertät gegen Ende des zweiten Siebenjahreszeitraums und bekommt im dritten einen Bart.19
Einige Zahlen wurden wegen ihrer außergewöhnlichen Eigenschaften besonders verehrt. Als ›perfekt‹ oder ›vollkommen‹ bezeichnete man Zahlen, die gleich der Summe aller Teiler (ohne die Zahl selbst) sind. Die erste perfekte Zahl ist 6 = 1 + 2 + 3, die zweite 28 = 1 + 2 + 4 + 7 + 14, dann folgen 496 und 8128, die auch schon im antiken Griechenland bekannt waren. Während man beweisen kann, dass unendlich viele Primzahlen20 existieren, kennt man bisher nur 33 perfekte Zahlen21 und weiß nicht, ob es endlich oder unendlich viele von ihnen gibt. Von Pythagoras wird auch überliefert, dass er von ›befreundeten‹ Zahlen fasziniert war, die Paare bilden. Für sie gilt, dass die Summe der Teiler der ersten Zahl gleich der zweiten Zahl ist – und umgekehrt. Die beiden Zahlen haben gewissermaßen die gleichen Eltern, und das Glück ruht auf Dingen, die durch derartige Zahlenpaare bestimmt werden. Ein Beispiel stellt das Paar 220 und 284 dar.22 220 ist durch 1, 2, 4, 5, 10, 11, 20, 22, 44, 55 und 110 teilbar. Die Summe dieser Zahlen ist 284. Umgekehrt ist 284 durch 1, 2, 4, 71 und 142 teilbar, deren Summe 220 ist.23 Frühe jüdische Gelehrte bemühten gern die Numerologie, um die Beweiskraft der heiligen Schriften zu untermauern oder um aus den
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Zahlen, die sie in ihnen fanden, eine verborgene Bedeutung herauszulesen. So erscheint in der Genesis die ›Glückszahl‹ 220, als Jakob seinem Bruder Esau 220 Ziegen schenkt. Demzufolge wäre dann die geheime Botschaft, dass die Beziehung besiegelt wird, wenn Jakob 284 Tiere oder was auch immer als Gegengabe erhält.24 Aus dieser Zahlenmystik entstanden die extremen Formen des Kabbalismus, die sich unter anderem auf die Sieben stützen. Ein Beispiel dafür stellt das folgende Rezept für eine alternative Medizin zur Heilung von Malaria dar: Nimm sieben Samen von sieben Palmen, sieben Splitter von sieben Balken, sieben Nägel von sieben Brücken, sieben Aschen von sieben Öfen, sieben Schaufeln Erde von sieben Türsockeln, sieben Stücke Pech von sieben Schiffen, sieben Hand voll Kumin und sieben Haare vom Bart eines alten Hundes, und befestige alles mit einer weißen gedrehten Schnur am Halsausschnitt des Hemdes.25
A b b ild u n g 4 .4 Die heilige Tetraktys, eine Darstellung der Zahl 10 als 1+2+3+4.
Die allerheiligsten der Pythagoräischen Zahlen waren die ersten vier – 1, 2, 3 und 4 –, die zusammen die Dreieckszahl 10 bilden (siehe Abbildung 4.4). Die Darstellung der Zehn als Dreieck ist die heilige Tetraktys, die beim Initiationsritus der Pythagoräer verwendet wurde. Auf sie mussten die Schüler den Loyalitätseid ablegen. Teil des Ritus war auch, sich für drei Jahre zur Verschwiegenheit zu verpflichten. Später in der Renaissance wurde daraus der Brauch, die Zahl der Tage von drei Jahren – 3 x 365 = 1 095 – zum Symbol für das Schweigen zu wählen. Die Tetraktys war nichts weniger als der Zauberschlüssel zum Verständnis des Wesens des Lebens und aller Erfahrung. Ein Kommentator aus dem 1. Jahrhundert stellte die zehn Reihen von jeweils vier Dingen, die durch die Tetraktys symbolisiert wurden, so dar:
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Zahlen: Formen: Elemente: Verkörperung der Elemente: Lebendige Dinge: Gesellschaften: Fähigkeiten: Jahreszeiten: Alter: Körperteile des Menschen:
1, 2, 3, 4 Punkt, Linie, Fläche, Körper Feuer, Luft, Wasser, Erde Pyramide, Oktaeder, Ikosaeder, Würfel Samen, Längenwachstum, Breitenwachstum, Dickenwachstum Mensch, Dorf, Stadt, Nation Vernunft, Wissen, Meinung, Gefühl Frühling, Sommer, Herbst, Winter Kindheit, Jugend, Mannesalter, Greisenalter Leib, die drei Teile der Seele26
Diese merkwürdigen Vorstellungen haben sich als außerordentlich beständig erwiesen. Es gab zu allen Zeiten und in allen Kulturen Künstler und Philosophen, die von der vermeintlichen Bedeutung der Zahlen fasziniert waren. Sie behandelten Gleichungen und Formeln wie die Geheimschlüssel zum wahren Wesen des Universums. Auch heute noch stößt man auf solche Anschauungen: Jenseits der üblichen Mathematik suchen unzählige Hobbyforscher nach der ganz besonderen Zauberformel, die uns das tiefste Wesen der Welt enthüllt. Und was könnte uns eine solche Formel Wichtigeres liefern, als die Größe der Naturkonstanten, die das Herz der materiellen Realität darstellen! Die Numerologie hat sich deshalb mit besonderer Liebe diesen Naturkonstanten zugewandt und versucht, ihre Größen durch Kombinationen aus der Zahl π, Quadratwurzeln und gewöhnlichen Zahlen zu erklären. Diese Anstrengungen bekamen durch merkwürdige Zufälle und Koinzidenzen Nahrung, die zwar oft sehr beeindruckend sind, aber deshalb noch lange keine Beweiskraft haben. So hat man beispielsweise herausgefunden, dass exp [π (√67)/3] auf 1 : 300 000 000 genau der Anzahl der Britischen Fuß je Meile entspricht!27 Oder denken wir an die Behauptung, die Charles Hermite 1859 aufgestellt hat, dass exp [π (√163)] eine ganze Zahl ist. Immerhin erfüllt der wahre Wert mit 262 537 412 640 768 743,999 999 999 999….. diese Prognose ziemlich genau. Martin Gardner hat die Wunderzahl einmal in einen Aprilscherz eingebaut. Er zitierte den indischen Mathematiker Srinivasa Ramanujan, der die Zahl ›von Hand‹ berechnet hatte und verkündete, der Mathematiker John Brillo habe einen Weg zur Berech-
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nung der ganzen Zahl gefunden und würde sein Resultat in »einigen Jahren« veröffentlichen.28 Nun gibt es aber eine ungeheure Menge von Zahlen und noch mehr Kombinationen aus ihnen. Koinzidenzen fallen uns natürlich auf, während wir die weitaus häufiger auftretenden Nicht-Koinzidenzen übersehen. Analysiert man das Zahlenreich mit statistischen Methoden, so zeigt sich, dass Koinzidenzen wie die oben geschilderte gar nicht so selten sind. Ein schönes Beispiel für den verblüffenden Effekt von Koinzidenzen stellen die Fernsehauftritte von Uri Geller dar, bei denen er ankündigte, Uhren bei den Zuschauern zuhause anzuhalten. Es gab Millionen Zuschauer, und es ist daher wenig überraschend, dass einige ihrer Uhren gerade während des Auftritts von Geller aus ganz natürlichen Gründen stehen blieben: Man hatte einfach vergessen, sie rechtzeitig aufzuziehen. Die Zuschauer, bei denen das eintraf, waren natürlich zutiefst beeindruckt und riefen sofort beim Sender an. Die anderen haben vielleicht gedacht, ihre Seele hätte sich nicht genug auf Geller eingelassen, denn immerhin hatte er ja ein paar Uhren zum Stehen gebracht. Mein Lieblingsbeispiel für eine Koinzidenz von Zahlen habe ich von meinem literarischen Freund Stephen Medcalf. Er meinte, die Geschichte würde jeden Verdacht widerlegen, es sei nur bloßer Zufall im Spiel. Soweit ich weiß, wurde die Koinzidenz von einem Schüler in Eton vor etwa siebzig Jahren entdeckt. Zunächst etwas zum Hintergrund, für dessen Wahrheitsgehalt ich mich allerdings nicht verbürgen kann. Es wird kolportiert, William Shakespeare sei an der Übersetzung einiger Psalmen für die King-James-Bibel beteiligt gewesen.29 Man behauptete, dass Shakespeare im Alter von 46 Jahren in Psalm 46 Spuren hinterlassen hat.30 Dem Schüler war aufgefallen, dass das 46. Wort des Psalms ›shake‹ lautet, das 46. Wort vor dem Ende aber ›spear‹.31 Zufall oder Shakespeares versteckte Signatur? Selbst in wissenschaftlichen Veröffentlichungen kann man alle möglichen numerischen Koinzidenzen und Zahlenwunder entdecken, in die auch einige der Naturkonstanten verwickelt sind. Noch weit mehr findet man in gut gemeinten Zuschriften, die sich im Posteingang von Physikern sammeln. Als Beispiele folgen einige Vorschläge für die Feinstrukturkonstante, die allerdings samt und sonders nicht ernst gemeint sind.32 Der Wert von 1/α wird dabei mit Ausdrücken ›bewiesen‹, die eine spekulative Erweiterung der bekannten Physik darstellen:
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Lewis und Adams33: 1/α = 8π (8π5/15)1/3 = 137,348 Eddington34:
1/α = (162-16) /2+16+1 = 137
Wyler35:
1/α = (8 π4/9) (245!/ π5)1/4 = 137,036082
Aspden und Eagles36: 1/α = 108 π (8/1843)1/6 = 137,035915
Selbst der große Werner Heisenberg konnte nicht widerstehen, eine – allerdings nicht ganz ernst gemeinte – Abschätzung zu geben: Als Zahlwert vermute ich ħc/e2 = 2433/π, aber das ist natürlich Spielerei.37
Es kann natürlich sein, dass eines Tages die M-Theorie eine Definition von 1/α liefert, die den genannten Formeln sehr ähnelt. Dann wird sie aber eine in sich schlüssige theoretische Begründung dafür angeben und bisher noch unbekannte weitere Stellen nach dem Komma vorhersagen müssen, die man mit zukünftigen Experimenten überprüfen kann. All die erwähnten numerischen Kunststücke liegen recht nahe beim experimentell bestimmten Wert von 1/α (als sie veröffentlicht wurden, lagen sie sogar noch näher daran). Der Preis für den überwältigendsten Einfallsreichtum gebührt allerdings Gary Adamson, dessen Steckbrief der 137-ologie in Abbildung 4.5 wiedergegeben ist. All diese Beispiele haben immerhin den Vorzug, sich wenigstens ansatzweise auf eine Theorie des Elektromagnetismus und der Elementarteilchen zu beziehen. Es gibt aber auch ›reine‹ Numerologen, die nichts von Physik wissen wollen und nur nach allen möglichen Kombinationen von Potenzen kleiner Zahlen und mathematischer Größen wie π Ausschau halten, um damit recht nah an den derzeit ›besten‹ Wert von 1/α zu kommen. Auch dafür seien Beispiele genannt: Robertson38: 1/α = 2-19/4310/3517/4 π-2 = 137,03594 Burger39:
1/α = (1372+ π2)1/2 = 137,0360157
Damit haben wir uns nun mehr als genug mit numerologischem Zauberwerk befasst. Es ist leicht zu verstehen, warum die Naturkonstanten noch immer eine derartige Faszination ausüben. Dass wir einige der Formeln vorgestellt haben, geschah nicht ohne ernsthafte Absichten. Eine ist von Arthur Eddington, einem der bedeutendsten Astrophysiker des 20. Jahrhunderts. Im folgenden Kapitel wollen wir
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uns etwas näher mit Eddington befassen. In seiner Person vereinigen sich auf bemerkenswerte Weise solide Wissenschaft und Fantasie. Mehr als jede andere Forschergestalt ist er dafür verantwortlich, nicht enden wollende Anstrengungen ausgelöst zu haben, die Naturkonstanten durch numerologische Meisterleistungen zu erklären. Darüber hinaus gelang ihm auch noch die Entdeckung einer neuen, dramatischen Eigenschaft der Naturkonstanten!
A b b ild u n g 4 .5 Einige numerologische Fantasieflüge in das Reich der Zahl 137, zusammengestellt von Gary Adamson. φ = 1,61803 … ist der ›Goldene Schnitt‹.40
Kapitel 5
Eddingtons Unvollendete Ich habe ein äußerst rares Gesicht gehabt. Ich hatte ’nen Traum – ’s geht über Menschenwitz, zu sagen, was es für ein Traum war. Der Mensch ist nur ein Esel, wenn er sich einfallen lässt, diesen Traum auszulegen. … Ich will den Peter Squenz dazukriegen, mir von diesem Traum eine Ballade zu schreiben; sie soll Zettels Traum heißen, weil sie so seltsam angezettelt ist. William Shakespeare1
Können Sie bis 136 x 2 256 zählen? Von Miss Marple wissen wir, dass es jeder Zufall und jedes merkwürdige Zusammentreffen wert ist, untersucht zu werden. Man kann schließlich später alles wieder vergessen, wenn sich herausgestellt hat, dass es nur Zufall war. Wenn wir uns mit der Erforschung des Universums im 20. Jahrhundert befassen, fällt besonders auf, welch wichtige Rolle für die Astronomen Zufälle und Koinzidenzen spielten: Wie konnte man sie herausfinden? Gab es sie denn überhaupt oder war alles Zufall? Als die Physiker begannen, die Bedeutung der Konstanten im Quantenreich richtig einzuschätzen und Einsteins neue Gravitationstheorie zu benutzen, um das Universum als Ganzes zu beschreiben, war die Zeit reif, die beiden Bereiche zu vereinen. Es war die Stunde von Arthur Stanley Eddington2, einem herausragenden Wissenschaftler, der als Erster herausfand, auf welche Weise die Sterne ihre Energie aus Kernreaktionen gewinnen. Von ihm stammen auch wichtige Beiträge zum Verständnis unserer Galaxie, der Milchstraße, er schrieb die erste umfassende Darstellung der Allgemeinen Relativitätstheorie und war für eines der entscheidenden Experimente verantwortlich, bei dem man Einsteins Theorie testen wollte: Im Jahr 1919 leitete er eine von zwei Expeditionen in den Golf von Guinea, um eine totale Sonnenfinsternis zu beobachten. Man beabsichtigte, die winzige Ablenkung des Lichts durch die Gravitation der Sonne zu messen, was nur während eines solchen Ereignisses möglich ist. Einstein sagte voraus, dass das Gravitationsfeld der Sonne
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das Licht eines Sterns, das auf seinem Weg zur Erde die Sonne streift, um ganze 1,75 Bogensekunden ablenkt. Um das zu messen, muss man ein Foto des Sternhintergrunds im Moment der absoluten Finsternis machen und ein weiteres in der Nacht, wenn die Sonne auf der anderen Seite des Himmels steht. Die Verzerrungen des ersten Bilds im Vergleich zum zweiten sind ein Maß für die Ablenkung des Sternenlichts durch die Sonne. Eddington und seinem Team gelangen nahe der Insel Principe trotz schlechter Wetterbedingungen Aufnahmen, die Einstein bestätigten. Einstein wurde nach diesem Erfolg zum Star und galt fortan als bedeutendster Naturwissenschaftler seiner Zeit. Abbildung 5.1 zeigt ihn bei einem Besuch in Cambridge im Gespräch mit Eddington im Garten des Universitäts-Observatoriums.
A b b ild u n g 5 .1 Albert Einstein und Arthur Eddington um 1930 in Eddingtons Garten.3
1924 besuchte Eddington das CalTech in Pasadena und sah, dass seine Erklärung der Relativitätstheorie zusammen mit der experimentellen Bestätigung der Lichtablenkung im Gravitationsfeld sei-
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nen Namen mit dem Einsteins eng verbunden hatte. Eddington war bei aller Bescheidenheit und Zurückhaltung höchst erfreut, dass die Astronomen nicht nur ein Dinner zu seinen Ehren organisiert hatten, sondern auch einer der Physiker, mit denen er Golf gespielt hatte, als Autor einer wunderschönen Parodie auf »The Walrus and the Carpenter«4 auftrat. Mit ihr setzte er der Liebe der beiden Kollegen zur Relativitätstheorie, zum Golfspiel und zu Alice ein bleibendes Denkmal, wie es Lewis Carroll selbst nicht besser hätte gelingen können. Einstein und Eddington stehen auf dem Golfplatz: … Der Einstein und der Eddington, holen die Rechnung her. Fast hundert Schläge Einstein hat, und Eddington noch mehr: Es sieht für beide böse aus, sie klagen deshalb sehr. Ich hasse sie, schreit Einstein auf, die Berge ganz aus Sand, warum der Bunker hier grad liegt, will nicht in den Verstand. Die Hügel einfach wegrasiert wär’ es ein Wunderland. Für Eddington die Frage drängt, ob wohl das Spiel gelingt mit Würfel, Uhr und Metermaß, warum das Pendel schwingt, und ob der Raum ist aus dem Lot, wenn Zeit um Dauer ringt. Es gibt der Dimensionen vier, anstatt wie bisher drei, Pythagoras gilt auch nicht mehr und wird uns einerlei, Die plattgewalzte Ge´metrie. macht mir das Hirn zu Brei. Du meinst, die Zeit sei bös verformt, der Lichtstrahl gar geknickt, Ich glaub, ich hab es jetzt kapiert, es macht mich ganz verrückt: Der Brief, den heut der Postler bringt, wird morgen abgeschickt.
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Drauf Einstein: Was dir kurz erscheint ist’s nur in deinem Wahn, es kringelt sich der Weg im Kreis fast wie die Achterbahn, und wenn du zu rasant ihn gehst, kommst du als letzter an. Und Ostern ist zur Weihnachtszeit, und weit entfernt ist nah, und zwei und zwei ist mehr als vier, was drüben war ist da. Das mag schon sein, sagt Eddington, doch brüll ich nicht »Hurrah!«.5
Eddington war zwar ein komplizierter Mensch, er hatte aber ganz einfache Vorlieben. Als ernsthafter Quäker und Pazifist nahm er während des Ersten Weltkriegs eine neutrale Haltung ein, weshalb er 1919 zum Leiter der Expedition zur Sonnenfinsternis bestimmt wurde. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde er durch eine Reihe beeindruckend verständlich geschriebener Sachbücher bekannt, in denen er seine Leser mit der neuen naturwissenschaftlichen Sehweise der Welt vertraut machte und seine eigene Philosophie der Naturwissenschaften6 darstellte. Seine Schriften über den Anfang und das Ende der Welt inspirierten zahlreiche Schriftsteller, ihre Romane mit wissenschaftlichen Themen zu bereichern. Theologen und Philosophen informierten sich bei ihm, wie unausweichlich die ständige Zunahme der Unordnung und der daraus folgende Kältetod7 des Universums sind. Eddingtons Erkenntnisse stellten für sie eine Herausforderung für ihre eigenen wissenschaftlichen Arbeiten dar. Die Rolle des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik, der diese Katastrophe prophezeit, gehört zu den wichtigsten Themen in Eddingtons populären Veröffentlichungen. Dorothy Sayers’ Peter Wimsey-Krimi Have His Carcase macht auf amüsante Weise von diesem physikalischen Gesetz Gebrauch. Wimsey beruhigt eine etwas verwirrte Zeugin damit, dass die Unordnung nur Teil des thermodynamischen Schicksals der Welt sei: »Wir glauben an Sie, Miss Kohn«, sagte Wimsey feierlich. »so fest wie an das zweite Gesetz der Thermodynamik.« »Was wollen Sie denn damit sagen?«, fragte Mr. Simons misstrauisch.
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»Das zweite Gesetz der Thermodynamik«, erklärte Wimsey hilfsbereit, »hält das Universum in seiner Bahn, und ohne es würde die Zeit rückwärts laufen wie ein verkehrt eingelegter Kinofilm.« »Was, wirklich?« rief Miss Kohn belustigt. »Altäre mögen wanken«, sagte Wimsey, »Mr. Thomas mag seinen Frack ablegen und Mr. Snowden dem Freihandel abschwören, aber das zweite Gesetz der Thermodynamik wird bestehen, solang Gedächtnis haust in dem zerstörten Ball hier, womit Hamlet seinen Kopf meinte, während ich mit meinem größeren intellektuellen Horizont es auf diesen Planeten beziehe, den zu bewohnen wir das ungeheuere Vergnügen haben. Inspektor Umpelty ist allem Anschein nach schockiert, aber ich versichere Ihnen, dass ich meinen felsenfesten Glauben an Ihre uneingeschränkte Integrität nicht eindrucksvoller wiederzugeben vermag.« Er grinste. »Was mir an Ihrer Aussage so gefällt, Miss Kohn, ist einfach die Tatsache, dass sie dem Rätsel, das der Inspektor und ich zu lösen angetreten sind, den letzten Schliff der völligen Undurchdringlichkeit gibt. Sie reduziert es auf die absolute Quintessenz völlig unverständlichen Unsinns. Das gibt uns nach dem zweiten Gesetz der Thermodynamik, welches besagt, dass wir uns stündlich und sekündlich auf einen Zustand immer größerer Unordnung zubewegen, die ruhige Gewissheit, dass wir auf dem richtigen Wege sind.«8
Während Eddington sehr scheu war und wenig Talent für öffentliche Auftritte hatte, konnte er wunderbar schreiben. Seine Beispiele und Vergleiche werden immer noch von Astronomen herangezogen, um komplizierte Theorien anschaulich zu erklären. Eddington blieb unverheiratet und lebte im Observatorium von Cambridge, wo seine Schwester ihm und ihrer alt gewordenen Mutter den Haushalt führte. Seine Interessen waren zwar konservativ, aber doch manchmal überraschend. Er las gerne Kriminalromane und konnte sich für Fußball begeistern. Er ging gern nach Highbury zu den Spielen von Arsenal, der damaligen Spitzenmannschaft, und mischte sich im Stadion unter die Londoner Arbeitermassen.9 Eddington war ein mäßiger Golf- und Tennisspieler, aber ein begeisterter Fahrradfahrer. Seine Leistungen in diesem Sport wurden nach der ›EddingtonZahl‹ E klassifiziert: E war die Zahl der Tage, an denen er mehr als E Meilen mit dem Rad gefahren war. Ist E schon groß, bedarf es einer gewaltigen Anstrengung, um die Zahl auch nur um 1 zu erhöhen. Als Eddington 1944 starb, betrug seine Eddington-Zahl 87. In Cambridge war Eddington auf den Plume-Lehrstuhl für ›Experimentelle Philosophie‹ berufen worden, der nach alter Tradition immer dem führenden Astronomen der Universität zustand. Eine
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Zeit lang zählte Paul Dirac zu seinen Kollegen, der auf dem LucasLehrstuhl für Mathematik10 saß und 1933 mit nur 31 Jahren den Nobelpreis für Physik erhalten hatte. Dirac sagte die Existenz von Antimaterie voraus, fand die einleuchtendste Interpretation der Quantenmechanik, deckte das Verhalten der Elektronen auf und noch vieles mehr. Seine Arbeiten waren zutiefst mathematisch geprägt und von ihm ohne die Mitarbeit von Kollegen oder einer Forschungsgruppe durchgeführt worden, bestenfalls konnte er auf Doktoranden zurückgreifen. Eddington begann in dieser Umgebung, in der man nach neuen Naturgesetzen und dem Verhalten der Elementarteilchen suchte, mit einem Arbeitsprojekt, das eine Vielfalt von Reaktionen auslöste, die von ehrfürchtiger Bewunderung bis zu offenem Spott der Kollegen reichten. Sein Vorhaben war die Suche nach der ›Fundamentalen Theorie‹11, die nichts Geringeres als die grundlegendste Theorie der Physik sein sollte, die man sich vorstellen kann: eine Theorie zur Erklärung der Naturkonstanten und ihrer Größe. Eddington war fest davon überzeugt, dass man die vollständige Beschreibung der materiellen Welt mit all ihren Naturgesetzen und -konstanten allein durch die Anstrengung des Gedankens erreichen konnte. Ein ziemlich ambitioniertes Vorhaben, damals noch mehr als heute: Meine Schlussfolgerung ist, dass nicht nur die Naturgesetze, sondern auch die Naturkonstanten von erkenntnistheoretischen Überlegungen abgeleitet werden können, sodass wir a priori von ihnen Kenntnis haben können.12
Am liebsten sah sich Eddington als Astronom, der auf einem wolkenumhüllten Planeten sitzt und durch bloßes Nachdenken die Existenz von Sternen im All voraussagt, die man noch nie zuvor gesehen hatte. Natürlich wurde die Aufgabe durch Experimente und Beobachtungen erheblich vereinfacht, das war aber für Eddington schon alles. Ohne Experimente wäre es für ihn zwar schwerer gewesen, sein Ziel zu erreichen, aber nicht unmöglich. Eddington konnte sein Programm nicht zu Ende führen. Er starb 1944 im Alter von nur 62 Jahren, und sein entscheidendes Buch blieb unvollendet. In den Jahren vor seinem Tod hatte er in einer Reihe von Artikeln und in ausgewählten Kapiteln seiner populärwissenschaftlichen Bücher die größeren Fortschritte beschrieben, die er
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bei der Erklärung der Naturkonstanten gemacht hatte. Sein Interesse richtete sich zunächst auf einzelne von ihnen, bevor er sich in einem weiteren Schritt mit den komplexen Zusammenhängen einer Gesamtdarstellung befasste, die letztlich die Größen aller Naturkonstanten exakt erklären sollte.
Fundamentalismus Eddington versuchte zum ersten Mal 1923 in seiner berühmten Mathematical Theory of Relativity, die dimensionslosen Zahlen zu erklären, die unser Universum bestimmen. Er nahm an, dass sich die Eigenschaften von Elementarteilchen wie dem Elektron aus den lokalen Eigenschaften des Raums und der Zeit ableiten, in denen sie sich beEs war in uralten Zeiten, als sich Daidalos und Ikaros Flügel bastelten, um dem finden. »Ein Elektron könnte also nie Labyrinth zu entkommen, in dem sie geentscheiden, wie groß es sein müsste, fangen waren. Daidalos flog in mittlerer wenn es keine von ihm unabhängige Höhe über den Ozean und landete sicher Länge geben würde, die es mit sich auf Ikaria. Der junge Ikaros hingegen stieg in den Himmel hinauf der Sonne selbst vergleichen könnte.«14 Es muss entgegen – bis das Wachs schmolz, demnach eine noch unbekannte Gleimit dem die Flügel zusammengehalten chung existieren, die den Zusammenwurden. Sein Flug endete in einem hang in folgender Form ausdrückt: Desaster. Wenn man die Anstrengungen »Der Radius eines Elektrons … ist der beiden würdigen will, sollte man vielleicht etwas zu Gunsten von Ikaros vorgleich einer numerischen Konstanten, bringen. Die klassischen Berichte sagen multipliziert mit dem Krümmungsrauns, er habe nur ein halsbrecherisches dius des raumzeitlichen KontinuKunststück vollbracht, ich meine aber, ums.«15 dass ihm mehr gelungen war: Er hatte Zu den Zahlen, denen Eddington einen Konstruktionsfehler der damaligen Flugapparate aufgedeckt. die größte Wichtigkeit beimaß, gehörte die später ›Eddington-Zahl‹ genannte Arthur S. Eddington13 Anzahl der Protonen im sichtbaren Teil des Universums.16 Eddington berechnete diese Zahl während eines Flugs über den Atlantik mit größter Präzision ›von Hand‹ und schloss seine Untersuchungen mit der bemerkenswerten Behauptung, es gäbe 136 x 2256 = 15 747 724 136 275
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002 577 605653 961 181 555 468 044 717 914 527 116 709 366 231 425 076 185 631 031 296, also mehr als 1079 Protonen und die gleiche Anzahl
Elektronen im Universum.17 An dieser Riesenzahl faszinierte ihn ganz besonders, dass es sich zweifellos um eine ganze Zahl handeln musste und dass es daher im Prinzip möglich sein sollte, sie exakt zu bestimmen. In den 1920er Jahren, als Eddington seine ersten Versuche zur Erklärung der Naturkonstanten anstellte, kannte man weder die schwache noch die starke Kraft besonders gut. Die einzigen physikalischen Konstanten, die man einigermaßen verlässlich interpretieren konnte, waren die zur Beschreibung der Gravitation und der elektromagnetischen Kraft. Eddington verkettete die bekannten Konstanten so, dass er drei dimensionslose Zahlen erhielt: das Verhältnis der Masse von Proton und Elektron (1) 1/β = mpr/mel ≈ 1840,
die Feinstrukturkonstante (2) 1/α = ħc/e2 ≈ 137
und das Verhältnis der Gravitationskraft zur elektromagnetischen Kraft zwischen einem Proton und einem Elektron (3) e2/G mpr mel ≈ 1040
Zu diesen drei Größen fügte er noch seine kosmische Konstante hinzu: (4) NEdd ≈ 1080.
Diese vier Konstanten nannte er ›ultimate constants‹ oder Urkonstanten.18 Die Erklärung ihrer Größe sollte für die theoretische Naturwissenschaft eine ihrer gewaltigsten Herausforderungen werden. Sind diese vier Konstanten auf nichts anderes zurückführbar, oder werden sich bei einer weiteren Vereinheitlichung der Physik einige von ihnen oder alle als entbehrlich erweisen? Wäre es denkbar, dass sie einen anderen Wert hätten, als sie wirklich haben? Ich will hier nicht an die metaphysische Frage rühren, ob ein Weltall von der Art des unseren die einzige denkbare Art eines
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Weltalls ist. Wenn wir die vorhandenen Hilfsmittel als gegeben ansehen, und wenn wir ferner – um uns den Beweis zu ersparen – als gegeben ansehen, dass die Zahl der Dimensionen in der Raum-Zeit-Welt auf vier festgelegt ist, so erhebt sich die Frage, ob die obigen Zahlenverhältnisse ebenso gut auch andere Werte haben könnten, oder ob sie zwangsläufig sind. Im ersten Falle können wir ihre Werte nur aus Messungen erfahren; im zweiten Falle muss es möglich sein, sie aufgrund einer Theorie zu ermitteln. … Heute herrscht wohl im allgemeinen die Meinung, dass die Konstanten … nicht beliebig sind, sondern dass sich schließlich einmal eine theoretische Erklärung für sie finden wird, obgleich gelegentlich auch die gegenteilige Meinung energisch vertreten wird.19
Eddington ging noch weiter und nahm an, dass die Zahl unerklärter Konstanten ein hilfreiches Kriterium für die Größe der Lücke darstellte, die noch geschlossen werden musste, bevor eine wirklich vereinheitlichte Theorie aller Naturkräfte gefunden war. Die Frage, ob diese allgemeine, alles umfassende Theorie eine Konstante enthalten würde oder keine, blieb noch offen: Unser heutiger Wissensstand mit seinen vier Zahlenkonstanten anstelle einer einzigen zeigt lediglich an, welches Maß an Vereinheitlichung der Theorie noch zu bewältigen bleibt. Es ist möglich, dass die eine verbleibende Konstante nicht beliebig ist, aber darüber weiß ich nichts.20
Eddington hoffte, eine Theorie zu finden, mit der die Makrowelt der Astronomie und Kosmologie mit der subatomaren Mikrowelt der Protonen und Elektronen verknüpft werden konnte. Seine ›Urkonstanten‹ sind in vieler Hinsicht ungewöhnlich. Zunächst hatte natürlich niemand eine Vorstellung, warum sie gerade diese Werte haben. Zweitens überdecken diese Werte eine ungeheuere Spanne. Das Massenverhältnis von Proton und Elektron und die inverse Feinstrukturkonstante sind nicht weit von 1 entfernt und könnten sich möglicherweise als das Produkt kleiner ganzer Zahlen und Größen wie π entpuppen. Etwas Derartiges erhoffte sich Eddington zumindest. Die beiden anderen Zahlen seines Quartetts fallen nun allerdings völlig aus dem Rahmen: Sie sind ungeheuer groß. Das Auftauchen einer Größe wie 1040 in einer physikalischen Formel bedarf einer besonderen Erklärung. Noch mehr aber irritiert, dass die Zahl NEdd mit 1080 zwar noch weit grotesker ist, aber auch Hoffnungen erweckt, weil sie das Quadrat der ersten Superzahl sein könnte. Das kann doch kein Zufall sein?! Eddington hatte das Gefühl, dass
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schließlich, wenn nur noch eine Konstante übrig bliebe, die das Universum definiert, das letzte Geheimnis in diesen großen Zahlen liegen müsste.21 Über die ›kosmische Zahl‹ NEdd, die größte und geheimnisvollste der Zahlen, schrieb er: Die kosmische Zahl liefert ein gutes Beispiel für solch einen Wechsel des Standpunktes. Da man sie als die Anzahl der Teilchen im Universum betrachtete, wurde sie allgemein als spezielle Tatsache angesehen. Es wurde behauptet, ein Universum könnte aus jeder beliebigen Anzahl von Teilchen angefertigt werden; und soweit es die Physik angeht, müssten wir eben die Anzahl, die unserem Universum zugemessen wurde, als einen Zufall gelten lassen oder als Laune des Schöpfers. Die erkenntnistheoretische Untersuchung ändert jedoch unsere Vorstellung von ihrer Natur. Ein Universum kann nicht mit einer anderen Anzahl von Elementarteilchen gemacht werden, – im Einklang mit dem Definitionsschema, durch welches die ›Anzahl der Teilchen‹ einem System in der Wellenmechanik zugeteilt ist. Wir dürfen sie daher nicht mehr als eine spezielle Tatsache ansehen, die das Universum betrifft, sondern als eine Hilfsgröße, die in den Naturgesetzen vorkommt und als solche ein Teil der Naturgesetze ist.22
Es gäbe noch weit mehr über die ›großen‹ Zahlen zu sagen, denn sie hatten auf die Entwicklung einer ganzen Anzahl kosmologischer Theorien einen maßgeblichen Einfluss. Eddington verfügte über keine Theorie, die sie alle hätte erklären können, arbeitete aber hart an Theorien für die beiden kleineren Zahlen, die in der Gegend um 137 und 1 840 liegen und fast alle ›gröberen‹ Eigenschaften der Atome und atomarer Strukturen bestimmen. Wie ging Eddington nun vor? Ein Ansatz war, Lösungen für seine Spezialgleichung 10 m2 – 136 mm0 + m02 = 0
zu finden, in der »m die Masse eines geladenen Teilchens und m0 die Masseneinheit ist, die das Weltall als Vergleichsding liefert«23. Quadratische Gleichungen dieser Art kennen wir aus der Schule. Sie haben immer zwei Lösungen, die in diesem Fall (136 ±√18 456)/20 = (136 ±135,85286)/20 sind, also 13,5926 und 0,007357. Das Verhältnis dieser beiden Lösungen ist 1 847,57 – eine Zahl, die erstaunlich nahe am Massenverhältnis von Proton und Elektron lag, das zu Eddingtons Zeit noch mit etwa 1 836 angegeben wurde. Das regte Eddington
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dazu an, jede nur irgendwie denkbare Begründung für seine Gleichung zu suchen und kleine Veränderungen anzubringen, um die verbliebenen ›Diskrepanzen‹ aufzulösen. Er nahm an, dass die Form der Gleichung von der Zahl möglicher Kombinationen und Permutationen von Zahlen bestimmt wurde, die unsere vier Dimensionen des Raums und der Zeit charakterisieren. Die Zahlen 1, 10 und 136, die in der Gleichung vorkommen, sind aus der Tatsache ›abgeleitet‹, dass es zur Beschreibung von Raum und Zeit 32+12 = 10 einfache Größen gibt und auf der nächst komplizierteren Ebene 102+62 = 136. Zunächst war Eddington davon ausgegangen, dass man mit der 136 die reziproke Feinstrukturkonstante 1/α erklären könnte, tendierte dann aber mehr und mehr zu der Ansicht, dass man diese Zahl mit 137/136 multiplizieren müsse, um auf 137 zu kommen. Seine Begründung war reichlich mysteriös: Man müsse berücksichtigen, dass die effektiven elektrischen Ladungen zweier Teilchen jeweils einen ›nichtunterscheidbaren‹ Aspekt haben: »Wir haben gesehen, dass es mit der Nichtunterscheidbarkeit nichts Geheimnisvolles auf sich hat«.24 Diese Ansicht teilte allerdings fast niemand, und Eddingtons Beweisführung löste in wissenschaftlichen Kreisen neben Interesse auch harsche Kritik aus: einmal wegen des verdächtigen Tricks mit dem Faktor 137/136, der aus der 136 die plausiblere 137 machte, zum anderen wegen der lästigen Tatsache, dass sich 1/α im Experiment nicht als ganze Zahl erweisen wollte. Eddington schrieb sogar für eine Londoner Zeitung einen Artikel, um seine reichlich esoterische Ableitung zu erklären. Es gab aber auch Forscher, die davon ganz hingerissen waren und, wie Vladimir Fock, sogar holprige Lobgedichte verfassten: Auch wenn, erschöpft und toll, Wir’s wägen noch so fleißig, Es bleibt für uns geheimnisvoll Die Zahl einhundertsiebenunddreißig. Doch Eddington, er sieht es klar, Rügt heftig drum der Spötter Schar. Es ist die Zahl, so wirft er ein, Der Dimensionen unsrer Welt. Kann es denn sein?!25
Eddingtons Annäherung an die Riesenzahlen war nicht völlig obskur. Sie war sicher spekulativ, aber immerhin konnten ihn wenigs-
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tens einige seiner Kollegen verstehen. Er hoffte, dass sich Größen wie die Masse des Elektrons in irgendeiner Weise aus den statistischen Fluktuationen aller Massen des Universums ergeben würden. Das Ausmaß statistischer Fluktuationen in einer Menge von N Teilchen ist typischerweise durch die Quadratwurzel von N gegeben. Man könnte daraus schließen, dass das Verhältnis der Schwerkraft zur elektromagnetischen Kraft zwischen einem Proton und einem Elektron eine statistische Fluktuation darstellt, deren Ausmaß durch die Quadratwurzel von NEdd bestimmt wird, also etwa 1040 beträgt.
Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung Von skeptischeren Physikern seiner Zeit wurde Eddingtons Vorgehen gnadenlos verspottet. Ein besonders raffiniertes Beispiel stellt ein Beitrag der Physiker Guido Beck, Hans Bethe und Wolfgang Riezler dar, denen es gelang, Arnold Berliner, den gestrengen Herausgeber der Naturwissenschaften zum Narren zu halten. Sie brachten ihn dazu, 1931 den folgenden Text abzudrucken: Wir betrachten ein hexagonales Kristallgitter. Der absolute Nullpunkt desselben ist dadurch charakterisiert, dass alle Freiheitsgrade des Systems einfrieren, d. h. dass alle inneren Bewegungen des Gitters aufhören. Ausgenommen ist dabei natürlich die Bewegung eines Elektrons auf seiner Bohrschen Bahn. Jedes Elektron besitzt aber nach Eddington 1/α Freiheitsgrade, wo α die Sommerfeldsche Feinstrukturkonstante ist. Außer den Elektronen enthält unser Kristall nur noch Protonen, für welche offenbar die Anzahl der Freiheitsgrade dieselbe ist, da nach Dirac ein Proton als Loch im Elektronengas angesehen werden kann. Um also zum absoluten Nullpunkt zu gelangen, müssen wir einer Substanz pro Neutron (= 1 Elektron + 1 Proton; unser Kristall soll ja im ganzen elektrisch neutral sein) 2/α – 1 Freiheitsgrade entziehen, da ja ein Freiheitsgrad wegen der Umlaufbewegung bestehen bleibt. Wir erhalten daher für die Nullpunktstemperatur T0 = – (2/α – 1) Grade. Setzen wir T0 = –273°, so gewinnen wir für 1/α den Wert 137, welcher mit dem auf einem gänzlich unabhängigen Wege gewonnenen Werte innerhalb der Fehlergrenzen vollkommen übereinstimmt. Man überzeugt sich leicht, dass unser Resultat unabhängig von der speziellen Wahl der Kristallstruktur ist. Cambridge, den 10. Dezember 1930.26
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Diese kleine Notiz erschien einigen Lesern so überzeugend, dass Riezler gebeten wurde, die Ergebnisse der Forschungsarbeiten im wöchentlichen Seminar Sommerfelds27 in München vorzutragen. Eddington hingegen fand das Ganze gar nicht lustig – so wenig wie der Herausgeber der angesehenen Zeitschrift, als er erkannte, dass er sich blamiert hatte. Er gestand den ›Irrtum‹ ein und veröffentlichte am 6. März eine Gegendarstellung: Die Zuschrift der Herren G. Beck, H. Bethe und W. Riezler im zweiten Heft dieses Jahrgangs war nicht ernst gemeint. Sie sollte eine gewisse Klasse von theoretisch-physikalischen Arbeiten der letzten Zeit treffen, die lediglich spekulativen Charakter und nur zufällige Zahlenübereinstimmungen zur Grundlage haben. In einem an den Unterzeichneten gerichteten Schreiben bedauern die Herren, dass die Formulierung, die sie diesem Gedanken gegeben haben, geeignet war, Missverständnisse aufkommen zu lassen. Der Herausgeber.28
Gamow, der immer für einen gelungenen Scherz zu haben war, wollte es damit nicht genug sein lassen. Er, Léon Rosenfeld und Wolfgang Pauli schrieben von verschiedenen europäischen Adressen aus getrennte Briefe an Arnold Berliner, in denen sie dagegen protestierten, dass sein Journal schon wieder einen jener ›skandalösen‹ Witzbeiträge abgedruckt hatte. Sie prangerten einen semi-numerologischen Artikel über kosmische Strahlung an, der von einem armen, nichts ahnenden Autor29 verfasst worden war, und forderten den Herausgeber auf, sich sofort von diesem Machwerk zu distanzieren, um das Niveau der Zeitschrift aufrechtzuerhalten. Hier eine weitere Spottschrift, diesmal aus Max Borns Vorlesungen aus dem Jahr 1944: Eddington setzt die dimensionslosen physikalischen Konstanten zur Zahl n der Dimensionen seiner E-Räume in Beziehung; seine Theorie führt auf die Funktion f(n) = 1/2 n² (n² + 1), die für die aufeinanderfolgenden geraden Zahlen n = 2, 4, 6, … die Werte 10, 136, 666, … annimmt. Das sind in der Tat apokalyptische Zahlen. Man hat vorgeschlagen, dass einige wohlbekannte Zeilen aus der Offenbarung des Johannes auf diese Weise neugefasst werden sollten: »Und ich sah ein Untier aus dem Meer steigen, das hatte f(2) Hörner … und seine Zahl ist f(6) …«. Aber man kann darüber streiten, ob das Symbol x in » … und es ward ihm Macht gegeben, dass es mit ihm währte x Monate lang …« als 1 x f(3) – 3 x f(1) oder als 1/3 [f(4) – f(2)] gedeutet werden muss.30
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Einen Hinweis auf die Schwierigkeiten, die viele damit hatten, Eddingtons Arbeiten über die Naturkonstanten mit seinen gewichtigen Beiträgen zur Allgemeinen Relativitätstheorie und zur Astrophysik in Einklang zu bringen, finden wir in einer Anekdote über die Physiker Sam Goudsmit und Hendrik Kramers: Der große Arthur Eddington hielt einen Vortrag über seine angebliche Ableitung der Feinstrukturkonstante aus einer fundamentalen Theorie. Goudsmit und Kramers waren unter den Zuhörern. Goudsmit verstand zwar nur wenig, nahm aber an, dass es an den Haaren herbeigezogener Unsinn war. Kramers verstand ziemlich viel und bezeichnete es als totalen Unsinn. Nach der Diskussion ging Goudsmit zu seinem Freund und Mentor Kramers und fragte ihn: »Verfallen alle Physiker auf so verrückte Ideen, wenn sie alt werden? Das macht mir Angst!« Kramers antwortete: »Nein Sam, Du brauchst keine Angst zu haben. Ein Genie wie Eddington mag vielleicht verrückt werden, aber ein Kerl wie Du wird nur immer dümmer.«31
Das Interessanteste an Eddingtons Versuchen, die Naturkonstanten durch algebraische und numerische Kunststücke zu erklären, ist der weitreichende Einfluss, den sie auf die Leser seiner populärwissenschaftlichen Bücher hatten. Gern beschrieb er seine neuen ›Berechnungen‹ der Naturkonstanten und vermittelte damit den überwältigenden Eindruck, dass es allein durch geistreiche Ratespiele und ein wenig Zahlenzauber möglich sein könnte, eines der am tiefsten verborgenen Geheimnisse des Universums aufzudecken. Mit Lösungen einiger Gleichungen, die nahe 137 oder 1 840 lagen, war man als Rivale Einsteins gut im Geschäft. Man musste sich nicht um Experimente und Beobachtungen scheren und keine Vorhersagen von Größen wagen, die bisher unbekannt waren. Das ganze Spiel bestand darin, Zahlen miteinander zu verknüpfen. Eddingtons Bestseller finden auch heute noch, nach mehr als 70 Jahren, Leser. Ich glaube, dass Eddingtons Forschungen und ihre breite Popularisierung in seinen Büchern eine ganze Generation von Amateurforschern angeregt hat, die numerischen Erklärungen der Naturkonstanten zu finden. Jede Woche bekomme ich Briefe mit Rechnungen ganz im Stil Eddingtons und seines Ansatzes, die Natur zu erklären. Sie sind durch äußerst detaillierte numerische Akrobatik gekennzeichnet, die Beschränkung auf eine nur kleine Zahl von Naturkonstanten und den Unwillen, irgend etwas Neues vorauszusagen, das man überprüfen könnte.
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Um die Bedeutung von Zahlenkombinationen wie den oben genannten zur Berechnung der Feinstrukturkonstante zu beurteilen, müssen wir eine einfache Frage stellen: Wie wahrscheinlich ist es, dass diese eindrucksvoll erscheinenden Formeln bloßer Zufall sind? Wenn wir ein paar auffällige Zahlen wie 2, 3 oder π nehmen und sie einige Male untereinander multiplizieren und potenzieren, wie wahrscheinlich ist es dann, eine Zahl zu erhalten, die mit einer Naturkonstanten gut übereinstimmt? Leider muss man den Numerologen entgegenhalten, dass ihre ›erfolgreichen‹ Formeln überhaupt keine Überraschung darstellen.32 Man ist von diesen Zahlenformeln so beeindruckt, weil man nur schwer nachvollziehen kann, wie viel mühseliges Herumprobieren in ihnen steckt und wie groß die Zahl der Möglichkeiten ist, auf andere Weise zu gleich guten Übereinstimmungen zu kommen. Man kann beispielsweise mit ein wenig Mühe eine Formel finden, auf die jeder Pythagoräer stolz gewesen wäre, der man aber besser keine apokalyptische Dimension zumessen sollte:33 666 + 6 + 6 + 6 = (6 – 6/6)(6+6+6)/6 + 6(6+6+6)/6 + (6 + 6/6)(6+6+6)/6
Eddingtons ausgefeilte Versuche, die Größe der Naturkonstanten zu erklären, haben keinen erfolgversprechenden Weg eröffnet, aber neue Möglichkeiten und Blickwinkel aufgezeigt. Sie haben dazu geführt, dass die Physiker ihr Ziel höher steckten und eine neue Front der Forschung eröffnet wurde. Eddingtons ständiger Rivale James Jeans erfasste auf perfekte Weise die Bedeutung der offenen Probleme, als er 1947 in seinem Buch The Growth of Physical Science über Eddingtons erfolglose Suche nach einer fundamentalen Theorie schrieb: Wenige, wenn überhaupt welche, von Eddingtons Kollegen bekannten sich zu der Gesamtheit seiner Ansichten, und nur ganz wenige, wenn überhaupt welche, behaupteten, sie zu verstehen. Seine allgemeinen Gedankengänge aber erscheinen an sich nicht unvernünftig, und sehr wahrscheinlich wird eine derart große Zusammenfassung eines Tages das Wesen der Welt erklären, in der wir leben, auch wenn die Zeit dazu jetzt noch nicht gekommen sein mag.34
Eddingtons Versuche, eine vereinheitlichte Erklärung der Naturkonstanten zu finden, fand nur wenige Anhänger. Die großen Physiker
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seiner Zeit – Dirac, Einstein, Bohr und Born – hielten sie für nutzlos und räumten höflich ein, dass sie sie nicht verstehen könnten. Eddington war über die Reaktionen enttäuscht und konnte nicht begreifen, warum die anderen die Dinge nicht so sahen wie er. 1944 beklagte er sich gegenüber seinem Freund Herbert Dingle: Ich versuche ständig herauszufinden, warum die Leute mein Vorgehen schwer verständlich finden. Aber ich möchte darauf hinweisen, dass sogar Einstein für schwer verständlich gehalten wurde, und dass es Hunderte von Leuten für notwendig hielten, ihm das zu erklären.35 Ich kann nicht ernsthaft glauben, dass ich jemals die Unverständlichkeit eines Dirac erreichen werde. Aber im Fall von Einstein und Dirac haben es die Leute für Wert gehalten, alles Dunkle aufzudecken. Ich glaube, dass sie auch mich richtig verstehen, wenn ihnen klar wird, dass sie es versuchen müssen – und wenn es einmal Mode wird, Eddington ›zu erklären‹.36
Der Tag sollte nie kommen!
Kapitel 6
Das Geheimnis der Superzahlen … ist doch Geschichte die Wissenschaft von dem, was sich nicht wiederholt. Paul Valéry1
Geisterzahlen Das größte Geheimnis, das die Naturkonstanten umgibt, besteht ohne Zweifel darin, dass in allen möglichen Bereichen Superzahlen auftauchen, deren Größe (oder Winzigkeit) jede Vorstellung überschreitet. Die Eddington-Zahl, die wir schon kennengelernt haben, ist dafür ein herausragendes Beispiel. Sie gibt die Gesamtzahl der Protonen im sichtbaren Teil des Universums mit nahezu 1080 an. Wenn wir nun nach dem Stärkeverhältnis der elektromagnetischen Kraft und der Schwerkraft zwischen einem Proton und einem Elektron fragen, so finden wir mit 1040 wieder eine Riesenzahl (die im Übrigen ganz unabhängig vom Abstand der Teilchen ist, da beide Kräfte umgekehrt proportional zum Quadrat des Abstands abfallen). Das erweckt in uns ein unbehagliches Gefühl, ist es doch schon seltsam genug, wenn die Größe einer dimensionslosen Naturkonstante 100 überschreitet: 1040 oder 1080, das Quadrat dieser Zahl, sind einfach bizarre Größen.2 Dabei ist das noch nicht einmal alles: Wenn wir nach Planck die gesamte ›Wirkung‹3 des sichtbaren Universums in Einheiten des Planckschen Wirkungsquantums h angeben, erhalten wir gar 10120! Eddington wollte die Zahl der Protonen im Universum mit einer Größe in Bezug setzen, die als kosmologische Konstante4 bekannt ist. Diese Konstante hat lange Zeit ein eher stilles Dasein gefristet und wurde nur manchmal aus der Versenkung geholt, wenn die Kosmologen nach einer theoretischen Erklärung für Beobachtungen suchten, die nicht ins vertraute Bild passten. In letzter Zeit gewann
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die kosmologische Konstante erneut an Aktualität: Bei Beobachtungen von nie gesehener Reichweite und Genauigkeit, wie sie durch das Hubble-Weltraumteleskop in Kombination mit empfindlichen Teleskopen auf der Erde möglich wurden, hatte man in weit entfernten Galaxien Supernovae entdeckt. Ihr Aufleuchten und Verblassen verläuft Wir reden zwar viel über merkwürdige nach einem charakteristischen Muster, Zufälle, glauben aber nicht wirklich an das erlaubt, aus der beobachteten Hel- sie. In unserem tiefsten Herzen haben wir eine bessere Meinung vom Universum ligkeit auf ihre Entfernung zu schlie- und sind insgeheim davon überzeugt, ßen. Das Ergebnis ließ aufhorchen: Die dass es kein schludriges, wahlloses ZuLichtquellen entfernen sich von uns sammenspiel ist, wenn alles in ihm mit einer weit höheren Geschwindig- einen Sinn ergibt. keit, als man je angenommen hatte. John Boynton Priestley Die Expansion des Universums scheint sich also zu beschleunigen, während man bisher davon ausgegangen war, dass sie abgebremst wird. Aus dieser Beobachtung folgt, dass die kosmologische Konstante positiv sein muss. Ihre Größe beträgt allerdings nur 10-121, wenn wir sie mit dem Quadrat der Planck-Länge normieren. Nie zuvor war in physikalischen Zusammenhängen eine derart kleine Zahl vorgekommen! Was können wir mit diesen riesig großen oder winzig kleinen Zahlen anfangen? Gibt es im Umkreis von 1040 oder ähnlicher Zahlenmonster etwas kosmologisch Signifikantes?
Eine kühne Hypothese Die Superzahlen lösten seit ihrer Entdeckung durch Hermann Weyl im Jahr 1919 Verwunderung aus. Eddington hatte versucht, eine Theorie zu konstruieren, die ihre Existenz erklären sollte. Es war ihm jedoch nicht gelungen, die Mehrzahl der Kosmologen davon zu überzeugen, dass er auf der richtigen Spur war. Immerhin konnte er plausibel machen, dass es da etwas gab, was nach einer Erklärung verlangte. Überraschenderweise war es gerade sein berühmter Nachbar in Cambridge, der mit einem Brief an den Herausgeber von Nature5 das Interesse an dem Problem anfachte und einen Lösungsweg
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vorschlug, der auch heute noch diskutiert wird. Über Diracs einfaches und ganz von der Logik bestimmtes Leben gibt es unzählige Anekdoten, zu denen recht schön die Geschichte passt, er habe den überraschenden Ausflug ins Reich der großen Zahlen just in seinen Flitterwochen unternommen. Dirac war von Eddingtons numerologischer Argumentation bezüglich der Naturkonstanten wenig überzeugt und hielt sie für »nicht immer exakt«. Er vermutete, dass insbesondere die riesigen dimensionslosen Zahlen (wie 1039 oder 1078) »so enorm sind, dass man für sie eine völlig andere Erklärung benötigt«6 und sie aller Wahrscheinlichkeit nach keine unabhängigen Größen sind. Demnach muss es also eine noch nicht entdeckte mathematische Formel geben, die diese Größen mit anderen verbindet. Ihr Auftreten wäre demnach keine Koinzidenz, sondern vielmehr die Konsequenz noch unbekannter Zusammenhänge. Diracs Hypothese sah so aus: Paare der ungeheuer großen, dimensionslosen Zahlen, die in der Natur vorkommen, sind jeweils über einen einfachen mathematischen Zusammenhang miteinander verbunden, dessen Koeffizient von der Größenordnung 1 ist.7 Die drei großen Zahlen, die Dirac zu dieser kühnen Hypothese veranlassten, knüpfen an Eddingtons Arbeiten an: N1 = Größe des sichtbaren Universums / Elektronenradius = ct / (e2/ melc2) ≈ 1040 N2 = Verhältnis der elektromagnetischen Kraft zur Schwerkraft zwischen Elektron und Proton = e2 / (Gmelmpr) ≈ 1040 N = Zahl der Protonen im sichtbaren Universum = c3t / (Gmpr) ≈ 1080
In diesen Definitionen ist t das gegenwärtige Alter des Universums, me die Masse eines Elektrons, mpr die Masse eines Protons, G die Gravitationskonstante, c die Lichtgeschwindigkeit und e die Elementarladung. Nach Diracs Hypothese sind die Zahlen N1, N2 und √N bis auf einen kleinen numerischen Faktor der Größenordnung 1 wirklich gleich. Daraus schloss er, es müsse Naturgesetze geben, die sich in Gleichungen der Art N1 = N2 oder vielleicht N1 = 2N2 ausdrücken. Ein Faktor wie 2 oder 3, der sich nicht allzu sehr von 1 unterscheidet,
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ist zulässig, da er weitaus kleiner ist als die Zahlen in der Gleichung selbst. Die Hypothese sagt uns allerdings nur, warum N1, N2 und √N von gleicher Größenordnung sind, aber nicht, warum diese heute gerade 1040 beträgt. Dirac war nicht der Erste, der eine solche Hypothese von der Gleichheit der großen Zahlen aufgestellt hat. Eddington und andere hatten bereits solche Beziehungen notiert, aber Eddington hatte zwischen der Zahl der Teilchen im sichtbaren Universum und der im gesamten Universum, die unendlich sein könnte, keinen Unterschied gemacht. Radikal neu an Diracs Hypothese war, dass sie von uns verlangt zu glauben, die Naturkonstanten eines ›traditionellen‹ Ensembles würden sich mit dem Altern des Universums ändern: N1 ≈ N2 ≈ √N ~ t
Aus dieser Beziehung folgt, dass die gewaltige Größe der Superzahlen eine Alterserscheinung des Universums darstellt: Alle drei wachsen mit den Jahren an.8 Aus Diracs Definitionen der großen Zahlen kann man ableiten, dass auch eine bestimmte Kombination von drei der altbekannten Naturkonstanten e, G und mpr zeitabhängig ist. Es gilt: e2/Gmpr ~ t
Um diese Forderung zu erfüllen, war Diracs Wahl auf die Gravitationskonstante gefallen: Sie sollte nicht mehr konstant sein, sondern proportional zum Alter des Universums abnehmen, sodass: G ~ 1/t
ist. Das bedeutet, dass in der Vergangenheit G größer war und dass es in der Zukunft kleiner sein wird als heute. Diracs Vorschlag verursachte unter einigen Kollegen ziemliche Aufregung, lautstarken Protest und heiße Debatten, die mit allem Für und Wider in Leserbriefen an Nature ausgetragen wurden.9 Dirac reagierte wie gewohnt zurückhaltend. Mit seiner Begründung, warum die Superzahlen für das Verständnis des Universums notwendig seien, lehnte er sich sehr an Eddington an. Seine Überlegungen spiegelten die Grundgedanken von dessen unvollendeter ›fundamentalen‹ Theorie wider:
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Könnte es nicht sein, dass alle gegenwärtigen Ereignisse mit den Eigenschaften dieser großen Zahl 1040 korrespondieren und, noch allgemeiner, dass die gesamte Geschichte des Universums mit den Eigenschaften des ganzen Ensembles der Naturkonstanten korrespondiert? … Es ist daher möglich, dass sich der alte Traum der Philosophen, die gesamte Natur mit den Eigenschaften der ganzen Zahlen zu verbinden, eines Tages erfüllen wird.10
Diracs Ansatz besitzt zwei hervorstechende Merkmale. Erstens versucht er zu zeigen, dass alles, was man zuvor als Koinzidenzen oder Zufälle eingeordnet hatte, die Folge tieferer Zusammenhänge ist, die man nur noch nicht erkannt hat. Zweitens opfert er die Konstanz der ältesten bekannten Naturkonstante. Diracs Hypothese überdauerte nur kurze Zeit. Vor allem die angenommene Änderung von G erwies sich als allzu dramatisch. Wenn in der Vergangenheit die Schwerkraft so viel stärker gewesen war, müsste man auch von einer anderen Energieausstrahlung der Sonne ausgehen, und auf der Erde hätten weit höhere Temperaturen geherrscht, als man bisher angenommen hatte. Die Helligkeit der Sonne ist proportional zu G7, der Radius der Umlaufbahn der Erde um die Sonne ist proportional zu G-1, damit ist die mittlere Temperatur an der Erdoberfläche proportional zu G9/4 und t-9/4.11 Wie der amerikanische Physiker Edward Teller 1948 zeigen konnte, hätten in der Zeit vor 200–300 Millionen Jahren die Ozeane gekocht und es hätte keine Form von Leben, wie wir es heute kennen, entstehen können.12 Die bisherigen geologischen Forschungsergebnisse zeigen jedoch, dass auf der Erde schon mindestens 500 Millionen Jahre lang Leben existiert. Teller, ein ungarischer Emigrant, war ein höchst engagierter Physiker, der bei der Entwicklung der Wasserstoffbombe eine wichtige Rolle spielte. Zusammen mit Stan Ulam hatte er in Los Alamos die zündende Idee (ähnlich Andrej Sacharow in der Sowjetunion), wie man eine Wasserstoffbombe zur Detonation bringen konnte. Teller spielte später beim Prozess gegen Robert Oppenheimer eine höchst umstrittene Rolle und gehörte während des Kalten Krieges zu den schärfsten Falken. Er war das Vorbild für jenen Dr. Seltsam, der in dem Film Dr. Seltsam, oder wie ich lernte, die Bombe zu lieben so unvergleichlich eindrucksvoll von Peter Sellers verkörpert wird. Teller (1908-2003) war auch in den letzten Jahren vor seinem Tod in den USA noch ein einflussreicher Berater, wenn es um Militärtechnik, den Krieg der Sterne und Fragen der Energieversorgung ging.
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Gamow war ein guter Freund Tellers und reagierte auf das Problem des kochenden Ozeans mit dem Vorschlag, diesen Effekt abzumildern, indem in Diracs Beziehung e2/Gmpr ~ t
nicht G, sondern die Elementarladung e variieren sollte. Eine Änderung von e hat auf die Umlaufbahn der Erde um die Sonne keinen Einfluss: Die Helligkeit der Sonne ist proportional zu e-6, damit ist die Durchschnittstemperatur der Erdoberfläche proportional zu t-3/4 und die Zeit der kochenden Ozeane ist so weit in die Vergangenheit verschoben, dass sie für die biologische Geschichte unseres Planeten kein Problem darstellt.13 Aber auch dieser neue Ansatz Gamows hielt sich nur kurze Zeit. Nach ihm hätten zwar die Ozeane nicht zur Unzeit gekocht, es hätten sich aber andere völlig unannehmbare Konsequenzen für das Leben auf der Erde ergeben: Die Sonne hätte schon längst ihren Kernbrennstoff verbraucht und würde heute nicht mehr scheinen, ja, bei einem allzu kleinen Wert von e in der Vergangenheit hätte sich ein Stern wie die Sonne überhaupt nicht bilden können. Gamow führte mit Dirac über die Abwandlung seiner Hypothese eines variablen G etliche Diskussionen. Es gibt eine interessante Erwiderung Diracs auf Gamows Idee, die Ladung des Elektrons zu verändern und damit eine variable Feinstrukturkonstante zuzulassen. Dirac bezog sich zweifellos auf Eddingtons frühe Vermutung, dass die Feinstrukturkonstante eine rationale Zahl sei, und schrieb 1961 Gamow über die kosmologischen Konsequenzen, die ihre Variation proportional zum Logarithmus des Alters der Welt hätte: Es ist schwer, für die frühesten Stadien unseres Universums irgendwelche gesicherte Theorien aufzustellen, da wir nicht wissen ob hc/e2 eine Konstante ist oder sich proportional zu log t ändert. Ist hc/e2 eine ganze Zahl, muss es eine Konstante sein. Die Experimentatoren sagen uns aber, dass es keine ganze Zahl ist, daher könnte es auch gut variieren. Wenn es aber variiert, wäre die Chemie in den Frühstadien des Universums völlig verschieden von der heutigen gewesen, und auch die Radioaktivität wäre davon beeinflusst worden. Als ich anfing, mich mit der Gravitation zu befassen, hoffte ich, eine Verbindung zwischen ihr und den Neutrinos zu finden, hatte aber keinen Erfolg damit.14
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So ohne weiteres war Dirac nicht bereit, ein variables e als Lösung des Rätsels der großen Zahlen zu akzeptieren. Seine wichtigsten wissenschaftlichen Arbeiten waren dem Verständnis der Atomstruktur und dem Verhalten des Elektrons gewidmet und stützten sich auch auf die von allen anderen geteilte Annahme, dass e wirklich überall und zu allen Zeiten eine Konstante war und ist. Auch Gamow gab seine Theorie eines veränderlichen e bald auf und kam zu dem Schluss: »Der Wert von e stand in den letzten 6 Milliarden Jahren15 so fest wie der Felsen von Gibraltar!«16 Diracs Hypothese erregte weltweite Aufmerksamkeit – auch bei Wissenschaftlern in Bereichen, wo man es nicht erwartet hätte. Alan Turing, ein Pionier der Kryptographie und der Theorie von Rechenmaschinen, war von der Idee einer variablen Schwerkraft fasziniert und spielte mit dem Gedanken, die Theorie an Fossilien zu überprüfen. Ein Paläontologe könnte vielleicht aus den Fußabdrücken eines ausgestorbenen Tieres abschätzen, ob es so schwer war, wie angenommen.17 Auch der große Biologe John Haldane interessierte sich für die möglichen biologischen Konsequenzen kosmologischer Theorien, nach denen sich die altbewährten ›Konstanten‹ im Laufe der Zeit veränderten oder sich Gravitationsprozesse nach einer anderen kosmischen Uhr abspielten als atomare Prozesse.18 Solche Universen mit zwei Uhren hattte Edward Milne vorgeschlagen. Sie waren die ersten, in denen G nicht konstant war. Prozesse wie der radioaktive Zerfall oder der Zeitablauf molekularer Reaktionen könnten demnach bezüglich der einen Zeitskala konstant sein, gegenüber der anderen aber deutlich variieren. Das Ergebnis wäre ein Szenario, in dem eine Biochemie, die Leben ermöglicht, erst in einem bestimmten kosmischen Alter möglich wäre. Auch einige Merkwürdigkeiten der Geologie des Präkambrium könnten in ähnlicher Weise durch Änderungen der Materieeigenschaften erklärt werden. Milnes imaginäres Szenario unterscheidet sich wenig vom »Modell intermittierender Gleichgewichtszustände«19, demzufolge die Evolution sprunghaft verläuft: Perioden mit rasanter Entwicklung unterbrechen endlose Zeiten mit nur langsamen Veränderungen. All diese Reaktionen auf die Ideen Eddingtons und Diracs gehen davon aus, dass die Naturkonstanten eine bedeutende kosmologische Rolle spielen und dass es zwischen der Struktur des Universums
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als Ganzem und den lokalen Verhältnissen in ihm, die zur Entstehung und Aufrechterhaltung von Leben nötig sind, eine Verbindung gibt. Sind die Konstanten variabel, haben die astronomischen Theorien auch gewaltige Konsequenzen für die Geologie, die Biologie und alles, was Leben ausmacht.
Von den kommenden Dingen Das vorläufige Erbe jener Frühzeit der Beschäftigung mit den Superzahlen und Naturkonstanten war die Erkenntnis, dass sich möglicherweise einige der altbekannten Konstanten im Verlauf der Milliarden Jahre kosmischer Geschichte langsam verändert haben könnten. Wie wir gesehen haben, gab es Bestrebungen, mit einem variablen G Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie zu erweitern. Aus Newtons Gravitationskonstante wird dann eine Art Temperatur, die von Ort zu Ort verschieden sein kann und sich im Verlauf der Zeit ändert. Zum Glück gibt es dafür mehr Einschränkungen, als man zunächst vermuten würde. Setzt man voraus, dass durch die Änderungen von G weder das Prinzip von Ursache und Wirkung noch der Energieerhaltungssatz verletzt wird und keine Signale mit einer Geschwindigkeit größer als c verbreitet werden, dann gibt es nur eine Form der Theorie, mit der die Rechnung aufgeht. Teile dieser Theorie wurden von verschiedenen Wissenschaftlern gefunden, aber die einfachste und zugleich vollständigste Fassung hat der amerikanische Physiker Robert Dicke mit seinem Assistenten Carl Brans im Jahr 1961 formuliert. Dicke war ein außergewöhnlicher Physiker, der gleichermaßen in der Mathematik wie in der Experimentalphysik zu Hause war. Er vermochte die kompliziertesten astronomischen Daten aus dem Wust der Messungen herauszufiltern und entwarf ausgeklügelte Messinstrumente. Kurz: Seine wissenschaftlichen Interessen gingen so weit, wie man es sich nur vorstellen kann. Er erkannte, dass man die Idee einer variablen ›Konstante‹ der Gravitation auf vielfältige Weise testen kann, wobei Daten aus der Geologie, der Paläontologie, der Astronomie und aus Laborexperimenten einbezogen werden sollten. Dicke war aber nicht nur von dem Gedanken besessen, die Su-
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perzahlen zu erklären. In der Mitte der 1960er Jahre gab es noch ein weiteres Motiv für eine Erweiterung von Einsteins Gravitationstheorie durch ein variables G. Wie schon erwähnt sah es eine Zeit lang so aus, als würden die von Einstein vorhergesagten Schwankungen der Bahnparameter des Planeten Merkur nicht mit den Beobachtungen übereinstimmen, wenn man die kleinen Abweichungen der Sonne von einer sphärischen Gestalt in die Rechnungen mit einbezog. Doch Dicke zeigte, dass man die Diskrepanz zwischen Theorie und Beobachtungen beseitigen kann, wenn man eine bestimmte Änderungsrate von G vorgibt. Leider stellte sich Jahre später heraus, dass man einem Phantom nachgejagt war, denn die Ursache lag in Messungenauigkeiten bei der Untersuchung der Sonnenform. Diese ist sehr schwer mit der nötigen Genauigkeit zu bestimmen, weil auf der Sonnenoberfläche turbulente Prozesse ablaufen und die exakten Ausmaße des Feuerballs verdecken. Nachdem man dieses Problem 1977 gelöst hatte, erwies sich ein variables G als überflüssig, um Theorie und Beobachtung in Einklang zu bringen.20 Als Dicke 1957 damit begann, Theorien mit variablem G zu entwickeln, veröffentlichte er einen größeren Artikel, in dem er die geophysikalischen, paläologischen und astronomischen Anzeichen für Variationen der ›klassischen‹ physikalischen Konstanten beschrieb. Interessanterweise hat die Aufgabe, Eddingtons und Diracs große Zahlen zu erklären, auch einen biologischen Aspekt: Das Problem der gewaltigen Größe dieser Zahlen steht nun vor der Lösung. … Es gibt eine einzige dimensionslose große Zahl, die statistischen Ursprungs ist: die Anzahl der Teilchen im Universum. Das ›heutige‹ Alter des Universums ist kein Zufall, es ist vielmehr durch biologische Faktoren bestimmt, … [weil Änderungen im Wert der großen Zahlen] die Existenz von Menschen, die sich mit dem Problem befassen könnten, ausschließen würden.21
Vier Jahre später arbeitete Dicke diesen Ansatz im Einzelnen aus, wobei er sich insbesondere auf Diracs Koinzidenzen von großen Zahlen bezog.22 Dicke führte an, dass biochemische Lebensformen wie der Mensch ihre chemische Grundlage Elementen wie Kohlenstoff, Stickstoff, Sauerstoff und Phosphor verdanken, die erst nach Milliarden von Jahren der Entwicklung eines Sterns der Hauptreihe entstehen.23 Wenn diese Sterne sterben, werden die besagten ›schwe-
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ren‹ biologisch relevanten Elemente von Supernovae in den Raum geschleudert, wo sie sich zu Brocken, Planetesimalen und Planeten zusammenfügen, Teil von ›klugen‹ Molekülen wie der DNS werden, die sich selbst vervielfältigen können, und schließlich Bestandteile von uns Menschen (und Physikern, wie Dicke ironisch ergänzte). Beobachter dieser Entwicklung können nicht entstehen, bevor nicht ungefähr die Zeit vergangen ist, in der ein Hauptreihenstern seinen Wasserstoff verbrannt hat. Andererseits ist es schwer für sie, zu überleben, wenn die Sterne ausgebrannt sind. Diese Zeit tStern wird durch fundamentale Naturkonstanten bestimmt und hat die Größenordnung von Jahrmilliarden: tStern ≈ (Gmpr2/hc)-1 (h/mprc2) ≈ 1039 x 10-23 s ≈ 0,2 Milliarden Jahre
Wir können schwerlich das Universum zu Zeiten beobachten, die tStern weit überschreiten, denn alle stabilen Sterne sind dann expandiert, abgekühlt und erloschen. Wir sind auch nicht in der Lage, das Universum in Zeiten zu beobachten, die wesentlich kleiner als tStern sind, denn unsere Existenz wäre ausgeschlossen – schließlich gibt es dann noch keine Sterne und damit auch keine schweren Elemente wie Kohlenstoff. Die Merkmale des biologischen Lebens scheinen uns darauf zu beschränken, das Universum in einer Zeit tStern nach dem Big-Bang (oder Urknall) zu beobachten und kosmologische Theorien darüber aufzustellen. Daher ist die Größe der Diracschen Zahl N(t) keineswegs zufällig, sondern muss nahe N(tStern) sein. Der Wert von N zur Zeit tStern entspricht recht gut der von Dirac genannten Zahl. Diese Koinzidenz sagt nichts anderes, als dass wir in einer Zeit der kosmischen Entwicklung leben, in der sich die Sterne schon herausgebildet haben, aber noch nicht erloschen sind – eine wenig überraschende Erkenntnis. Dicke machte klar, dass wir auf Diracs Koinzidenz stoßen müssen: Sie ist die Grundvoraussetzung für die Existenz unserer Art von Leben. Es ist nicht nötig, die Einsteinsche Gravitationstheorie aufzugeben und, wie es aus dem Ansatz von Dirac folgt, ein variables G zu fordern. Wir müssen auch keine Zahlenmystik bemühen, um wie Eddington zwischen der Stärke der Gravitation und der Zahl der Teilchen im Universum einen Zusammenhang herzustellen. Die Koinzidenz der großen Zah-
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len ist in gleicher Weise überraschend (oder nicht überraschend) wie die Existenz von Leben selbst. Diracs Erwiderung auf diese ungewöhnliche kosmologische Perspektive war ziemlich verbindlich: Nach Dickes Annahme können bewohnbare Planeten nur für einen begrenzten Zeitraum existieren. Nach meinen Annahmen können sie ewig existieren und das Leben muss nie enden. Es gibt kein eindeutiges Argument, das zwischen diesen beiden Annahmen entscheiden kann. Ich ziehe die vor, die ewiges Leben erlaubt.24
Dirac war zwar bereit zuzugeben, dass die Existenz von Leben höchst unwahrscheinlich ist, bevor es Sterne gibt, er wollte aber nicht eingestehen, dass es nicht weiter bestehen kann, wenn die Sterne ausgebrannt sind. Nach Dickes Hypothese kann man die Koinzidenzen nur im zeitlichen Umkreis unserer Epoche finden, mit Diracs variablem G zu allen Zeiten: Die Existenz bewohnbarer Planeten in ferner Zukunft würde kein Problem darstellen. Wenn jedoch die Schwerkraft schwächer wird, ist nicht klar, ob in ferner Zukunft überhaupt Sterne und Planeten existieren können. Zumindest müssten dann auch noch andere Konstanten variieren, um das Gleichgewicht zwischen der Schwerkraft und den anderen Kräften der Natur aufrecht zu erhalten. Es ist bemerkenswert, dass zuvor andere bedeutende Kosmologen wie Milne Argumente vorgebracht haben, die denen von Dicke genau entgegengesetzt sind. Milne machte das Auftauchen der Koinzidenzen der großen Zahlen in Eddingtons Weltbild eher misstrauisch. Weil sich die großen Zahlen ausschließlich auf das gegenwärtige Stadium unseres Universums beziehen, glaubte er nicht, dass jemals eine ›fundamentale‹ Naturtheorie eine Erklärung dafür liefern würde. Da die Zeit, in der wir leben, durch nichts ausgezeichnet sei, könne auch keine fundamentale Theorie sie besonders herausheben – und daher auch die Koinzidenzen nicht erklären: In den Ausdrücken muss notwendigerweise eine empirisch bestimmte Größe t [das gegenwärtige Alter des Universums] auftreten, da sie einfach den Augenblick angibt, in dem wir zufällig das Universum betrachten. Sie kann natürlich nicht vorausgesagt werden. … Der Umstand, dass Eddingtons Theorie der Naturkonstanten sie vorauszusagen scheint, ist für mich aus grundsätzlichen Erwägungen ein Einwand gegen diese Theorie. … Er scheint mir der Meisterleistung zu gleichen, das Alter des Universums in dem Moment, in dem wir es betrachten, vorauszusagen – was aber absurd wäre.25
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Dicke zeigte ganz im Gegensatz dazu, dass man durchaus detaillierte Aussagen über das Alter des Universums machen kann, vorausgesetzt, man gehört zu den Wesen, deren Existenz auf Kohlenstoff beruht. Diesen Standpunkt kann man auch noch auf eine viel überzeugendere Weise verdeutlichen. Ein Universum, dessen Anfang ein Big-Bang ist, muss für die Herausbildung der Grundsubstanzen, die für die Entwicklung komplexer biochemischer Stoffe26 eine Voraussetzung darstellen, mindest so alt sein, dass diese Grundsubstanzen durch Kernreaktionen in den Sternen entstehen konnten. Daraus folgt, dass das sichtbare Universum mindestens 10 Milliarden Jahre alt sein muss und, da es expandiert, mindestens einen Radius von 10 Milliarden Lichtjahren hat. Wir Menschen könnten also in einem Universum, das deutlich kleiner wäre, überhaupt nicht existieren. Obwohl Dirac von Dickes Ansatz wenig begeistert war, können wir doch bei ihm eine ganz ähnliche Idee finden, auf die er kam, als er sein abnehmendes G retten wollte. Teller und andere hatten die Probleme aufgezeigt, die eine so einschneidende Änderung von G für die Geschichte der Sterne und des Lebens auf der Erde aufwerfen würde. Nun stellte Dirac die Hypothese auf, dass Sterne wie die Sonne in periodischen Abständen durch dichte Materiewolken fliegen, aus denen sie schnell genug Materie aufnehmen, um die Auswirkungen des abnehmenden G auszugleichen. Gamow hielt eine solche Annahme für äußerst unelegant, auch wenn man mit ihr die elegante Annahme G ~ 1/t retten könnte. Man wäre wieder auf die Hypothese zurückgeworfen, dass 1040 nichts ist als die größte Zahl, bis zu der Gott der Allmächtige am ersten Schöpfungstag zählen konnte. Dass sich Gamow gerade auf die ›Uneleganz‹ des Diracschen Versuchs zur Rettung seiner Theorie stürzte, war eine nette Pointe. Sonst war es immer Dirac, der die anderen dazu aufrief, auf die ›Schönheit‹ (was nicht unbedingt dasselbe ist wie ›Einfachheit‹, wie er gern betonte) der Gleichungen zu achten, die man zur Beschreibung einer physikalischen Theorie benötigte. So schrieb er einmal an Heisenberg über eine Theorie, die dieser vorgeschlagen hatte: Mein Haupteinwand gegen ihre Arbeit ist, dass ich nicht glaube, dass ihre Grundgleichung … über genügend mathematische Schönheit verfügt, um als fundamentale Gleichung der Physik gelten zu können. Die richtige Gleichung wird, wenn sie gefunden sein wird, eine neue Art von Mathematik beinhalten und unter den reinen Mathematikern großes Interesse erregen.27
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Dirac verteidigte weiterhin seine Idee der Materieanlagerung, so unwahrscheinlich sie erscheinen mochte, weil sie ihm für die Existenz von Leben notwendig erschien: Ich kann dem Einwand gegen die Hypothese der Materieanlagerung nicht folgen. Wir können annehmen, dass die Sonne Wolken dichter Materie durchlaufen hat, dicht genug, um genügend Materie einzufangen, um die Erde über 10 Milliarden Jahre auf einer Temperatur zu halten, die sie bewohnbar machte. Man könnte einwenden, dass es für die Sonne unwahrscheinlich ist, eine Dichte vorzufinden, die für diesen Zweck genau richtig war. Dem stimme ich zu. Es ist unwahrscheinlich. Aber eine Unwahrscheinlichkeit dieser Art hat nichts zu sagen. Wenn wir an alle Sterne denken, die Planeten haben, so wird nur ein sehr kleiner Teil von ihnen Wolken mit der richtigen Dichte durchquert haben, die ihren Planeten lang genug eine ausgeglichene Temperatur brachten, damit sich Leben höherer Ordnung entwickeln konnte. Es wird wohl weniger Planeten mit Menschen geben, als wir einmal angenommen haben. Wenn es aber einen gibt, so reicht das: Alle Fakten passen zusammen. Gegen die Annahme, dass unsere Sonne ein sehr ungewöhnliches und unwahrscheinliches Schicksal hatte, ist daher nichts einzuwenden.28
Sechs Jahre nach der anfänglichen Zurückweisung der Hypothese Dickes, das menschliche Leben als Faktor mit einzubeziehen, wenn es um die Wahrscheinlichkeit einer ungewöhnlichen Situation geht, ist das eine bemerkenswerte Kehrtwendung. Ein wunderschönes, einfaches Argument für die riesigen Ausmaße, die unser Universum notwendigerweise haben muss, wurde zum ersten Mal von dem Oxforder Theologen Eric Mascall in seiner Bampton-Lecture29 von 1956 vorgebracht. Mascall schrieb seine Grundidee Gerald Whitrow zu und merkte, ihm folgend, an: Wenn wir dazu neigen, von der schieren Größe des Universums eingeschüchtert zu werden, ist es gut, dass es in bestimmten kosmologischen Theorien einen direkten Zusammenhang zwischen der Gesamtmasse des Universums und den Verhältnissen in einem beliebigen, abgeschlossenen Teil von ihm gibt. Es mag daher tatsächlich notwendig sein, dass das Universum so unermesslich groß und komplex ist, wie es die moderne Astronomie herausgefunden hat, damit die Erde eine mögliche Wohnstätte für lebende Wesen sein kann.30
Diese einfache Beobachtung kann uns zu einem besseren Verständnis der raffinierten Verbindungen zwischen ganz unterschiedlichen
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Aspekten des Universums und den Eigenschaften verhelfen, die es haben muss, damit in ihm irgendwelches Leben möglich ist.
Groß und alt, dunkel und kalt Wie wir gesehen haben, braucht der Prozess der stellaren Alchemie Zeit – etliche Milliarden Jahre. Und weil unser Universum expandiert, muss es sich etliche Milliarden Lichtjahre ausgedehnt haben, wenn es genug Zeit gehabt haben soll, die Bausteine komplexen Lebens zu produzieren. Ein Universum, das nur die Größe unserer Milchstraße mit ihren 100 Milliarden Sternen hätte, wäre kaum älter als einen Monat! Aus der Tatsache, dass unser Universum sehr alt ist und sich ausdehnt, folgt – von seiner Größe abgesehen – auch noch, dass es in ihm kalt, dunkel und einsam ist. Wenn ein Ball aus Gas oder Strahlung expandiert, fällt die Temperatur proportional zu seiner Ausdehnung ab. Ein Universum, das groß und alt genug ist, damit sich komplexe Bausteine ausbilden konnten, ist auch äußerst kalt, und das Maß an Strahlung ist im Mittel so gering, dass der Himmel überall dunkel erscheint. Es ist ernüchternd, über all die metaphysischen und religiösen Überlegungen nachzudenken, die jahrhundertlang über die Dunkelheit des nächtlichen Himmels angestellt wurden, über die Sternbilder, mit denen er geschmückt ist, die Leere des Raums und unseren zufälligen Platz in ihm – einem bloßen Pünktchen in der gigantischen Anordnung aller Dinge. Die moderne Kosmologie zeigt, dass all dies kein Zufall ist, sondern Folge der eng verschlungenen Verhältnisse im Universum. Diese Eigenschaften sind in der Tat für jedes Universums notwendig, in dem lebende Beobachter hausen. Der metaphysische Effekt, den ein Universum dieser Art auf seine Bewohner ausübt, ist auch für irgendwelche empfindungsfähige Wesen sonst wo in den Weiten des Alls ein unvermeidliches Nebenprodukt der kosmischen Geschichte. Das Universum hat die merkwürdige Eigenschaft, lebende Wesen auf den Gedanken zu bringen, seine ungewöhnlichen Eigenschaften seien der Existenz von Leben nicht förderlich – während sie in Wirklichkeit gerade wesentlich dafür sind.
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Wenn wir die gesamte Materie des Universums gleichmäßig verteilen könnten, würden wir sehen, um wie wenig es sich handelt: Ein Kubikmeter des Raums würde kaum mehr als ein Atom enthalten. Es gibt kein Labor auf Erden, das ein auch nur annähernd so gutes künstliches Vakuum erzeugen könnte. Selbst das beste Vakuum, das man heutzutage herstellen kann, enthält immer noch über eine Million Atome in jedem Kubikmeter.31 Viele der Eigenschaften des Universums – seine gewaltige Größe, sein hohes Alter, die Leere und Dunkelheit des Raums – sind notwendige Bedingungen für die Existenz intelligenter Beobachter wie wir selbst. Wir sollten also nicht überrascht sein, dass extraterrestrisches Leben, wenn es überhaupt existiert, sehr selten und sehr weit entfernt ist. Die geringe mittlere Dichte des Universums bedeutet, dass im Durchschnitt zwischen den Sternen und Galaxien, in denen die Materie zusammengeballt ist, gewaltige Distanzen liegen. Das zeigt Abbildung 6.1, in der die Dichte der Materie im Universum für verschiedene Größenskalen angegeben ist. Aus der Aufstellung wird deutlich, wie selten Planeten, Sternen und Galaxien sind und welch riesige Distanzen zwischen ihnen liegen.
Das sichtbare Universum enthält nur:
• 1 Atom/m3 • 1 ›Erde‹/(10 Lichtjahre)3 • 1 Stern/(103 Lichtjahre)3 • 1 Galaxie/(107 Lichtjahre)3 • 1 ›Universum‹ /(1010 Lichtjahre)3
A b b ild u n g 6 .1 Dichte des Universums, ausgedrückt für Objekte verschiedener Größenordnung.
In Abbildung 6.2 ist dargestellt, wie unser Universum expandierte, sich dabei immer mehr abkühlte und Atome, Moleküle, Galaxien,
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Sterne und Planeten entstanden. Wir selbst befinden uns in einer besonderen Nische der kosmischen Geschichte – irgendwo zwischen der Geburt und dem Erlöschen der Sterne.
Größe in Lichtjahren
15 x 109 Alle Sterne kühlen ab und erlöschen
Gegenwart Kalt genug, um die 109 Bildung von Atomen zu erlauben
0,001
Komplexe Formen von Leben Bildung von Sonnensystemen
Bildung der ersten Bildung Sterne von Galaxien
1
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Erste mikroskopische Formen von Leben
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(›Kältetod‹) Ausdehnung der Sonne zum Roten Riesen, der die Erde verschluckt
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Alter in Milliarden Jahren A b b ild u n g 6 .2 Vorgänge bei der Expansion des Universums.
Auch der Existenzphilosoph Karl Jaspers sah sich durch Eddingtons Schriften herausgefordert, über die Bedeutung der Tatsache nachzudenken, dass wir in einem bestimmten Teil des Raums und in einer bestimmten Zeitspanne der kosmischen Geschichte leben. In seinem einflussreichen Buch Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, das er 1949 fünf Jahre nach dem Tod Eddingtons verfasste, fragte er: Warum leben wir und vollziehen unsere Geschichte im unendlichen Raum gerade an dieser Stelle, auf einem verschwindenden Stäubchen des Weltalls, wie in einem abgelegenen Winkel, warum in der unendlichen Zeit gerade jetzt? Was ist geschehen, dass die Geschichte begonnen hat? Es sind Fragen, die durch ihre Unbeantwortbarkeit ein Rätsel bewusst machen. Es ist dieses Grundfaktum unseres Daseins, dass wir isoliert scheinen im Kosmos. Nur wir sind redende Vernunftwesen in dem Schweigen des Weltalls. In der Geschichte des Sonnensystems ergibt sich die bisher verschwindend
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kurze Weile eines Zustandes, in dem auf der Erde Menschen das Wissen um sich und das Sein entfalten und vollziehen. Nur hier ist diese Innerlichkeit des Sichverstehens. Wir kennen wenigstens keine andere Realität des Innerlichen. Innerhalb des grenzenlosen Kosmos auf einem winzigen Planeten in einer winzigen Zeit von ein paar Jahrtausenden findet etwas statt, als ob dieses das Allumgreifende, das Eigentliche wäre. Dieses ist die Stätte, die im Kosmos wie nichts ist, an der mit dem Menschen das Sein erwacht.32
Die Vorstellung von der Einzigartigkeit des menschlichen Lebens im Universum stößt uns auf die Frage, warum wir gerade hier und heute existieren. Wie wir gesehen haben, kann die moderne Kosmologie einige erhellende Antworten geben.
Die größte aller Zahlen Astronomen sind riesige Zahlen gewöhnt. Sie versuchen gern, blutigen Laien mit irgendwelchen Alltagsbeispielen zu verdeutlichen, was es wirklich bedeutet, dass es Milliarden und Abermilliarden von Sternen gibt. Wenn gerade einmal die Staatsverschuldung ›astronomische‹ Summen annimmt, tauchen plötzlich im Wirtschaftsteil der Zeitungen sogar Zahlen auf, die noch größer sind als die Zahl der Sterne der Milchstraße oder der Galaxien im Universum.33 Merkwürdigerweise findet man aber wirklich große Zahlen, Zahlen die selbst Eddingtons und Diracs 1080 klein aussehen lassen, nicht in der Astronomie, sondern in ganz anderen Bereichen der Natur. Die großen Zahlen der Astronomie entstehen durch bloßes Aufsummieren: Wir zählen Sterne, Planeten, Atome oder Photonen in einem großen Volumen. Will man wirklich große Zahlen, muss man einen hochkomplexen Bereich aufsuchen, wo Zahlen nicht aufsummiert, sondern aufmultipliziert oder gar potenziert werden: die Biologie. Im 17. Jahrhundert hat der englische Physiker Robert Hooke die »Zahl der Gedanken, die der Mensch fassen und speichern kann« berechnet. Er kam bei einer Rate von einem Gedanken je Sekunde auf 3 155 760 000.34 So überschaubar diese Zahl auch scheinen mag: Ein Leben würde nicht ausreichen, bis zu ihr zu zählen. Heute weiß man, dass sie die Möglichkeiten bei weitem unterschätzt. Unser Gehirn ent-
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hält etwa 10 Milliarden Neuronen. Von jedem gehen so genannte Axonen aus, die es mit etwa 1 000 anderen Neuronen vernetzen.35 Diese Netzverbindungen spielen bei der Entstehung von Gedanken und für das Gedächtnis eine Rolle, wobei die genauen Abläufe noch immer eines der bestgehüteten Geheimnisse der Natur sind. Nach Mike Holderness A l - G o r e - R h y t h m u s : mathematische kann man die Anzahl der möglichen Operation, die man solange wiederholt, Gedanken abschätzen, indem man die bis das gewünschte Ergebnis erzielt ist; insbesondere in Florida gebräuchlich. Zahl aller neuralen Verbindungsmöglichkeiten zählt.36 Das Gehirn kann be- Volksmund, USA, Ende 2000 kanntlich mehrere Aufgaben gleichzeitig bearbeiten, deshalb können wir es uns als Ansammlung von vielleicht 1 000 ›Modulen‹ mit je 107 Neuronen vorstellen. Wenn von jedem Neuron 1 000 verschiedene Verbindungen zu den 107 Neuronen im gleichen Modul ausgehen, ist die Zahl der möglichen Verbindungswege in einem Modul 107 x 107 x 107 x …. (und das tausendmal), also 107 000. Bei einer Gesamtzahl von 107 Neuronen kommen wir auf 107 000, 107-mal mit sich selbst multipliziert, also 1070 000 000 000. Wenn jedes der 1 000 Module unabhängig von den anderen arbeiten kann, trägt es 1070 000 000 000 mögliche Verdrahtungen zu einer Gesamtzahl bei, die 1070 000 000 000 000 beträgt und ›Holderness-Zahl‹ genannt wird. Diese moderne Schätzung aller unterschiedlichen elektrischen Verknüpfungsmuster, die es in einem menschlichen Gehirn geben kann (die Betonung liegt auf kann), ist ein Maß für die Anzahl der möglichen Gedanken oder Ideen. Diese Zahl ist so gigantisch, dass dagegen die Anzahl der Protonen im sichtbaren Universum mit ihren 1080 winzig erscheint. Das liegt daran, dass die Protonenzahl durch das bloße Anfüllen eines riesigen Volumens mit winzigen Dingen erreicht wird, während die gewaltige Zahl der möglichen Gedanken durch die Komplexität des Gehirns und die Vernetzung seiner Bausteine entsteht. Die Eigenschaften dieser Bausteine und ihre Anzahl – etwa 1027 Atome – sind dabei nicht ausschlaggebend. Wenn wir von Komplexität sprechen, denken wir an diese Vernetzung. Da sich unsere Hyperzahl aus den Kombinationen und Permutationen in einem komplexen Netzwerk von Schaltstellen ergibt, können wir sie auch nicht mithilfe von Naturkonstanten erklären, wie es die Astronomen mit ihren großen Zahlen versuchen: Sie ist nicht nur größer, sie ist auch anders.
Kapitel 7
Leben im All Heutzutage sind die Dinge mehr als je zuvor so, wie sie sind. Dwight D. Eisenhower, Präsident, USA
Ist das Universum alt? Wenn wir uns Gedanken über das Alter und die Ausmaße des Universums machen, geben wir diese Größen gewöhnlich in Jahren oder Kilometern an. Wie wir wissen, sind diese Maßeinheiten an den menschlichen Dimensionen ausgerichtet, selbst das Lichtjahr klingt daran noch an. Warum verwenden wir eine ›Uhr‹, die jedes Mal schlägt, wenn unser Planet wieder eine Runde um seinen Heimatstern vollendet hat? Warum messen wir die Materiedichte, indem wir die Atome je Kubikmeter zählen? Auf all diese Fragen gibt es nur eine Antwort: Weil es bequem ist, und weil wir es schon immer so gemacht haben. Aber jetzt sind wir mit einer Situation konfrontiert, in der es weit angemessener wäre, ›natürliche‹ Einheiten von Masse, Länge und Zeit zu verwenden, wie sie Stoney und Planck eingeführt haben, um die Zwangsjacke des engen menschlichen Horizonts leichter verlassen zu können. Wenn wir die Planckschen Einheiten wählen, können wir das gegenwärtig sichtbare Universum so beschreiben: Alter ≈ 1060 Planck-Zeiten, Größe ≈ 1060 Planck-Längen, Masse ≈ 1060 Planck-Massen.
Die äußerst geringe Materiedichte des Universums wird mit den Planckschen Einheiten besonders deutlich: Dichte ≈ 10-120 der Planck-Dichte.
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Für die Temperatur des Raums, die in ›klassischen‹ Einheiten etwa 3 K beträgt, also 3° über dem absoluten Nullpunkt liegt, gilt im Planckschen Einheitensystem Temperatur ≈ 10-30 der Planck-Temperatur.
Diese äußerst großen Zahlen und winzigen Bruchteile zeigen uns sofort, dass dem Universum, wenn man es an seinen ureigensten Größen misst, eine schwindelerregende Skala zugrunde liegt, die weit von menschlichen Dimensionen entfernt ist. An seiner eigenen Grundgröße gemessen ist das Universum uralt. Die natürliche Lebensdauer einer Welt, die von Schwerkraft, Relativität und Quantenmechanik regiert wird, ist die äußerst kurze Planck-Zeit. Irgendwie ist es aber unserem Universum gelungen, sich über einen Zeitraum auszudehnen, der ein gewaltiges Vielfaches der Planck-Zeit umfasst. Es scheint also älter zu sein, als es eigentlich sein dürfte. Später werden wir erfahren, wie sich die Kosmologen dies zu erklären versuchen. Wir haben schon gesehen, dass fast die gesamte – mit den Schlägen der Planck-Uhr gemessen – ungeheure Zeit nötig war, um Sterne und die Elemente zu erzeugen, aus denen sich Leben entwickeln konnte.
Die Früchte des Lebens Warum ist unser Universum nicht noch viel älter? Es ist leicht zu verstehen, warum es nicht viel jünger ist. Sterne brauchen eine lange Zeit, um die schwereren Elemente zu bilden, die für eine komplexe Biologie nötig sind. Aber auch alte Universen warten mit Problemen auf. Im Laufe der Zeit verlangsamt sich der Sternbildungsprozess. Alles Gas und aller Staub, die das Rohmaterial für Sterne darstellen, haben ihre Verarbeitungsprozesse durchlaufen und sind wieder in den intergalaktischen Raum geschleudert worden, wo sie sich nicht abkühlen und zu neuen Sternen zusammenballen können. Weniger Sterne heißt auch weniger Sonnensysteme und weniger Planeten. Die Produktion radioaktiver Elemente in einem Stern nimmt mit zunehmendem Alter ab, und diejenigen, die sich bilden, haben län-
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gere Halbwertszeiten. Die später geborenen Planeten sind geologisch weniger aktiv und weisen geringere unterirdische Bewegungen auf, durch die der Vulkanismus, die Kontinentaldrift und die Gebirgsfaltung angeheizt werden. Wenn damit auch die Existenz eines Magnetfelds in Frage gestellt wird, können sich auf einem solchen Planeten kaum komplexe Lebensformen entwickeln. Sterne wie unsere Sonne schießen nämlich elektrisch geAm Ende des Universums muss man oft ladene Teilchen ins All, den so genanndie Vergangenheitsform benutzen … weil ten Sonnenwind, der die Atmosphäre alles vorbei ist, verstehst du? von Planeten wegreißen kann – es sei Douglas Adams1 denn, er wird von einem Magnetfeld abgelenkt. In unserem Sonnensystem hat ein Magnetfeld die Erdatmosphäre gegen den Sonnenwind abgeschirmt, während der Mars, der kein Magnetfeld hat, seine Atmosphäre schon vor langen Zeiten verloren hat. Vermutlich ist es nicht leicht, auf einem Planeten längere Zeit Leben aufrecht zu erhalten. Wir haben inzwischen deutlich gesehen, wie labil das dafür nötige Gleichgewicht ist. Auf der einen Seite ist es natürlich der Mensch selbst, der versucht, sich auszulöschen, seine Ressourcen zu vernichten und tödliche Krankheiten und Gifte zu verbreiten. Es gibt aber auch ernste Bedrohungen, die aus dem All kommen. Die dort umherirrenden Kometen und Asteroiden sind für die Anfänge intelligenten Lebens eine große Gefahr. Einschläge solcher Himmelskörper sind gar nicht so selten und haben in der Frühgeschichte der Erde viele Katastrophen ausgelöst, gegen die wir glücklicherweise doppelt geschützt sind: durch unseren kleinen Nachbarn, den Mond, und durch unseren riesigen, etwas weiter entfernten Nachbarn, den Jupiter. Der Jupiter ist 318-mal schwerer als die Erde und fischt sich auf seiner Bahn weiter außen im Sonnensystem mit der Kraft seiner gewaltigen Gravitation Objekte heraus, die auf dem Weg ins innere Sonnensystem sind. Im Juli 1994 wurden wir Zeuge, wie der Komet Shoemaker-Levy 9 vom Jupiter eingefangen und in Stücke gerissen wurde.2 Auch im 20. Jahrhundert gab es trotz der beiden Wächter gewaltige Einschläge auf der Erde. Der bedeutendste ereignete sich 1908 im Bereich der Steinigen Tunguska im Norden Sibiriens. Bisher ist die Menschheit den Zwängen der Statistik entkommen, aber irgendwann wird uns das Glück verlassen. Da
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die Chance, getroffen zu werden (siehe Abbildung 7.1), im Laufe der Zeit nicht kleiner wird, unternehmen einige Staaten bereits Anstrengungen, um die Flugbahnen der Asteroiden zu erfassen und Maßnahmen gegen Objekte zu ergreifen, die Kurs auf die Erde nehmen.
A b b ild u n g 7.1 Durchschnittliche Häufigkeit des Einschlags von Körpern aus dem All in Abhängigkeit von deren Größe.3
Die Eingriffe in die Entwicklung der Erde, die von außen kommen, haben auch eine seltsame Kehrseite. Sie können zwar zur weltweiten Vernichtung von Lebewesen führen und die Evolution um Jahrmillionen zurückwerfen, haben aber in Maßen auch einen positiven Effekt, indem sie die Entwicklung intelligenter Formen von Leben beschleunigen. Die Ausrottung der Dinosaurier durch den Einschlag eines Riesenmeteoriten oder Kometen auf der Yukatan-Halbinsel vor 65 Millionen Jahren am Ende des Mesozoikums hat die Erde auch aus einer wenig versprechenden Sackgasse der Evolution gerettet.
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Vielfalt
Der Entwicklungsweg der Dinosaurier war in Richtung ›großer Körper – kleines Hirn‹ verlaufen. Das Verschwinden der Dinosaurier und vieler anderer Lebensformen auf der Erde hat damals den Säugetieren freien Raum gegeben und Nischen für Konkurrenten um die natürlichen Ressourcen freigemacht, was in der Folge zu einer größeren Artenvielfalt führte. Ohne solche Einschläge hätte sich vielleicht ein stabiler, aber wenig aufregender Nebenpfad aufgetan, auf dem die Artenvielfalt kontinuierlich abnimmt (siehe Abbildung 7.2). Raue Bedingungen und rasche Änderungen der Lebensumstände erfordern schnelle Anpassung und beschleunigen den Evolutionsprozess. Sie erhöhen zudem die Artenvielfalt und bieten damit die beste Lebensversicherung, die ein Planet gegenüber der Auslöschung allen Lebens durch einen Einschlag aus dem All abschließen kann. Aus der Sicht eines Dinosauriers sieht das allerdings anders aus.
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A b b ild u n g 7.2 Reaktion der Natur auf eine Umweltkatastrophe, die zu einer Massenauslöschung führt.4
Nach dem Entstehen einer gastfreundlichen Umgebung auf der Erde entwickelte sich das erste Leben erstaunlich schnell. Wir wollen die typische Zeit, die nötig ist, damit sich Leben entwickeln kann, tBio nennen. Unser Sonnensystem ist etwa 4,6 Milliarden Jahre alt. Wir wissen, dass sich die Zeit tStern, die nötig ist, damit sich ein Stern bilden kann und zu einer stabilen Licht- und Wärmequelle wird, nicht
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allzu sehr von tBio unterscheidet, denn wir haben Spuren einfachen bakteriellen Lebens auf der Erde gefunden, die einige Milliarden Jahre alt sind. Die Ähnlichkeit von tBio und tStern erscheint uns als merkwürdige Koinzidenz. Auf den ersten Blick würden wir eher annehmen, dass die mikroskopischen biologischen Prozesse und die lokalen Umweltbedingungen, die zusammengenommen tBio festlegen, unabhängig von den nuklearen Prozessen und dem Wirken der Schwerkraft sind, die den typischen Lebensweg eines Sterns und damit tStern bestimmen. Demzufolge wäre extraterrestrisches Leben äußerst selten. Diese These, die in ihrer einfachsten Form von Brandon Carter5 aufgestellt, dann später von mir und Frank Tipler in unserem Buch The Anthropic Cosmological Principle weiter ausgebaut wurde und auch heute noch Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen6 ist, sieht so aus: Wenn tBio und tStern voneinander unabhängig sind, ist die Zeit tBio, die zur Entwicklung von Leben nötig ist gegenüber tStern zufällig. Es ist daher am wahrscheinlichsten, dass tBio entweder viel größer oder viel kleiner als tStern ist.7 Nun wollen wir Bilanz ziehen. Wenn wir es als wahrscheinlich annehmen, dass tBio weit kleiner als tStern ist, müssen wir uns fragen, warum im ersten beobachteten Sonnensystem mit Bewohnern (nämlich unserem) tBio fast gleich tStern ist. Nach unserer Logik wäre das außerordentlich unwahrscheinlich. Im zweiten wahrscheinlichen Fall, wenn tBio weit größer als tStern ist, kann man das erste beobachtete bewohnte Sonnensystem (nämlich unseres) mit tBio ≈ tStern nur als statistischen Glücksfall ansehen, da sich Systeme mit einem tBio weit größer als tSeigentlich erst noch entwickeln müssen. Daraus können wir tern schließen, dass unsere Erde eine Rarität im Kosmos darstellt und eines der ersten Systeme mit Leben ist, das auf der Bühne erschien. Wenn wir mit dieser Schlussfolgerung nicht zufrieden sind, müssen wir eine der Voraussetzungen ändern, die ihr zugrunde liegen. Nehmen wir beispielsweise an, dass tBio von tStern abhängig ist, schauen die Dinge schon anders aus. Bei einer entsprechenden Änderung des Verhältnisses tBio / tStern mit wachsendem tStern wächst auch die Wahrscheinlichkeit, dass tBio ≈ tStern ist. Mario Livio8 hat ein Modell vorgestellt, nach dem es zur Ausbildung einer lebensfördernden Planetenatmosphäre einer Anfangsphase bedarf, in der aus der
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Photodissoziation von Wasserdampf Sauerstoff entsteht. Aus dem Modell kann man einen Zusammenhang zwischen tBio und tStern ableiten. Auf der Erde waren 2,4 Milliarden Jahre nötig, um eine Atmosphäre mit einem Sauerstoffgehalt zu bilden, der etwa ein Tausendstel des heutigen betrug. Die benötigte Zeit dürfte umgekehrt proportional zur Intensität der Sonneneinstrahlung im Wellenlängenbereich 1 000–2 000 Å gewesen sein, wo die Hauptabsorptionslinien des Wasserdampfes liegen. Weitere Untersuchungen der Sternentwicklung werden uns erlauben, die Länge dieses Zeitabschnitts genauer abzuschätzen. Auf diese Weise können wir dann die Verbindung zwischen der biologischen Entwicklungszeit und dem Lebenslauf von Sternen der Hauptreihe genauer angeben. Livios Modell zeigt einen möglichen Weg auf, um zwischen biologischer und astronomischer Zeitskala eine Verbindung herzustellen. Die Argumentation hat allerdings ihre Schwachstellen. Sie liefert nur die notwendigen Bedingungen für die Entwicklung von Leben, nicht die hinreichenden. Die Wahrscheinlichkeit, mit der sich in der Umgebung eines Sterns Planeten bilden, ist von einer Reihe weiterer Faktoren abhängig. Dazu gehört auch die verfügbare Materiemenge zur Bildung fester Planeten mit einer Atmosphäre, die Wasser und stabile Oberflächenbedingungen garantiert. Darüber hinaus wissen wir noch, dass es bei der Herausbildung der Planeten in unserem Sonnensystem viele ›Zufälle‹ gab, die für lang andauernde stabile Verhältnisse auf der Erde von entscheidender Bedeutung waren. Jacques Laskar und seine Mitarbeiter9 konnten beispielsweise zeigen, dass es zwischen der Präzessionsrate eines rotierenden Planeten und den Schwerefeldstörungen, die er durch die anderen Objekte seines Sonnensystems erfährt, Resonanzen gibt, die zu heftigen Änderungen der Neigung der Planetenachse relativ zur Bahnebene führen können. Die typischen Zeiten für solche Änderungen sind weit kürzer als das Alter des Sonnensystems. Die Neigung der Planetenachse bewirkt die klimatischen Unterschiede zwischen den Jahreszeiten und beeinflusst die Oberflächentemperatur und die Höhe des Meeresspiegels. Auch im Fall der Erde wäre es zu dramatischen Änderungen der Achsneigung gekommen, wenn es den Mond nicht gegeben hätte. Die Wirkung seiner Schwerkraft auf die Erde überdeckt die genannten Resonanzen und verursacht den überwiegenden Teil der
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relativ kleinen Schwankungen der Erdachsenneigung um den derzeitigen Wert von 23,5°.10 Dies alles zeigt, dass der kausale Zusammenhang zwischen dem Lebenslauf der Sterne und der Zeitskala der Evolution möglicherweise nur einen kleinen Beitrag zu einer Kette zufälliger Umstände bildet, die zusammentreffen müssen, damit sich bewohnbare Planeten bilden und über einen längeren Zeitraum auf ihnen Bedingungen herrschen, unter denen Leben existieren kann.
Lebende Wolken Die Theorien, nach denen das Universum notwendigerweise riesig groß und eiskalt ist, setzen alle stillschweigend voraus, dass jede Form von Leben weitgehend unserem irdischen ähnelt. Die Biologen gestehen zwar gern ein, dass auch andere Lebensformen denkbar sind, haben aber keine sichere Vorstellung, ob sich diese spontan ohne die Unterstützung von Lebensformen auf Kohlenstoffbasis entwickeln können. Die meisten Schätzungen, wie wahrscheinlich außerirdische Intelligenz ist, beziehen sich auf Leben, das dem irdischen gleicht: Es existiert auf Planeten, braucht Wasser, eine Atmosphäre und dergleichen. Es ist sicher wert, unserer Fantasie ein wenig mehr freien Raum zu lassen und uns Leben vorzustellen, das nicht auf Planeten, sondern im freien Weltraum zu Hause ist. Der Astronom Fred Hoyle hat sich ein interessantes Lebewesen ausgedacht, von dem er annahm, dass seine Existenz wahrscheinlicher wäre, als die der üblichen, auf Planeten wohnenden Vertreter extraterrestrischer Intelligenz. Hoyle, der sich mit seiner so erfolgreichen Karriere als Astronom und Autor populärwissenschaftlicher Bücher nicht zufrieden geben wollte, wandte sich mit großem Erfolg der ScienceFiction zu. Sein berühmtestes Buch, The Black Cloud, war ein Bestseller. Der Thriller spielt in der Gegenwart und trotz Hoyles Versicherung, alle Charaktere seien frei erfunden, fällt es schwer, den Helden des Romans nicht mit dem Autor zu identifizieren. Als das Buch 1957 auf den Markt kam, waren gerade ein paar Jahre seit der Entdeckung der Koinzidenzen zwischen den Naturkonstanten vergangen,
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die so schwerwiegende Folgen für die Existenz von Kohlenstoff und Sauerstoff und damit für das Leben im Universum haben. Es folgte eine rege Diskussion über die Wahrscheinlichkeit extraterrestrischen Lebens, und im selben Jahr 1957 wurden die ersten zwei Sputniks von der UdSSR ins All geschickt. Damit war die Bühne für fantastische Geschichten bereitet, etwa die von einer Gaswolke im All, die sich der Erde nähert. Sollte sie auf ihrer Bahn die Sonne verdecken, wäre die Erde für eine gewisse Zeit von Licht und Wärme abgeschnitten, während die Wolke zuvor die Strahlung reflektiert und damit noch verstärkt hätte. Beides würde möglicherweise verhängnisvolle Folgen für die Erde haben. Aber die Ereignisse nehmen eine überraschende Wendung. Es stellt sich heraus, dass die Wolke über Intelligenz verfügt und eine ungestalte Form von Leben darstellt: ein gewaltiges Netzwerk komplexer Molekülverbindungen, das durch den Weltraum treibt. Nach vielen Machenschaften und Aufregungen überlebt die Erde ihre kurze Begegnung mit der vorbeifliegenden Wolke, nicht ohne zuvor mit ihr einen Dialog geführt und die Signale entschlüsselt zu haben, die von ihr ausgingen. Hoyles wichtigste Botschaft war wohl, dass es ein Fehler ist, Leben nur auf Planeten zu vermuten. Möglicherweise können komplexe chemische Netzwerke, die man mit gutem Recht als ›Leben‹ bezeichnen kann, auch als gewaltige Molekülwolken existieren, die von ihrer eigenen Schwerkraft zusammengehalten werden.11 Es kann sogar sein, dass in diesen nebulösen Wiegen des Lebens nicht einmal Kohlenstoff nötig ist. Dreißig Jahre später nahm Hoyle diesen Gedanken wieder auf und untersuchte bei seiner wissenschaftlichen Arbeit und in seinen Science-Fiction-Romanen – wie beispielsweise Comet Halley – ein Szenario, nach dem sich im Inneren von Kometen Moleküle entwickeln, die sich selbst vermehren können und dann über die Galaxien verbreitet werden. Andere Science-Fiction-Autoren haben sich ebenfalls mit Alternativen zu einer Kohlenstoffwelt befasst. Wie man weiß, bildet auch Silizium in ähnlicher Weise wie Kohlenstoff Molekülketten, die aber leider alle Quarz und Sand ähneln, also festen Stoffen, die für die Ausbildung von Leben uninteressant sind. Man kann es als Ironie der Geschichte bezeichnen, dass inzwischen die Computerrevolution gezeigt hat, wie eine andere Form von Leben aus der Silizium-
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Physik statt aus der Silizium-Chemie entstehen könnte. Aber diese Formen von künstlichem Leben und künstlicher Intelligenz haben sich nicht spontan gebildet, sondern waren auf die Hilfe von Lebewesen auf Kohlenstoffbasis angewiesen, die jene hoch organisierten und von daher höchst unwahrscheinlichen lebensfähigen Konfigurationen zusammenbastelten. Diese recht abstrakten Alternativen zu einem Leben aus Fleisch und Blut sind uns inzwischen sehr vertraut geworden, und Science-Fiction-Autoren müssen sich heute schon raffiniertere Dinge einfallen lassen als grüne Männchen mit einer seltsamen Chemie oder exotischen Körperformen. Aber zurück ins Jahr 1957, als Hoyles Idee noch neu war. Sie spielte eine wichtige Rolle, indem sie die Grenzen aufhob, die Astronomen daran hinderten, sich extraterrestrisches Leben vorzustellen. Dessen Wahrscheinlichkeit war nun nicht mehr von der Statistik allein bestimmt, mit der man die Zahl der bewohnbaren Planeten mit Wasser, einer Atmosphäre und einer freundlichen Zentralsonne abschätzte.
Wachet auf! Das Ende ist nahe! Die Koinzidenz zwischen der biologischen Evolutionszeit und der astronomischen Entwicklung ist noch in anderer Hinsicht bemerkenswert. Da es wenig überraschend ist, dass das Alter typischer Sterne ungefähr dem Alter des Universums gleicht, besteht die Koinzidenz auch zwischen diesem und der Zeit, die nötig war, um Lebewesen wie uns selbst herauszubilden. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt uns aber, dass unser intelligenter Vorfahre – der Homo sapiens – erst vor 200 000 Jahren auftrat, was weit weniger ist als die über 13 Milliarden Jahre, die das Universum alt ist: Die Geschichte der Menschheit umfasst bisher kaum zwei Hunderttausendstel der Geschichte des Universums. Wenn wir aber bis in alle Ewigkeit Nachfahren haben werden, sieht dieses Verhältnis in fernen Zeiten wesentlich anders aus. Stellen wir uns vor, dass auch 1 000 Milliarden Jahre nach dem Big-Bang noch irgendwer (oder irgendetwas) über solche Fragen nachdenkt. Die Vorfahren bewohnen dann die Erde seit 1 000 Milliarden – 13 Milliarden + 200 000 Jahren, also 987,2 Mil-
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liarden Jahren: eine Zahl, die sehr nahe an 1 000 Milliarden liegt. Die Wesen in dieser fernen Zukunft kämen dann natürlich nicht auf den Gedanken, die Geschichte ihrer Zivilisation hätte nur einen kleinen Anteil an der Geschichte des Universums. Brandon Carter und Richard Gott waren deshalb der Ansicht, dass wir – anders als die Nachfahren in ferner Zukunft – etwas ganz Besonderes darstellen. Nimmt man andererseits an, dass unWenn du einmal tot bist, hast ser Platz in der Geschichte des Univerdu einen sehr wichtigen Teil deines sums nichts Besonderes darstellt, hat Lebens verloren. das dramatische Folgen. Damit sicher Brooke Shields12 ist, dass weder unser Blick auf die kosmische Geschichte noch der unserer nächsten Nachfahren etwas Besonderes an sich hat, darf es keine Nachfahren in ferner Zukunft geben: Nur wenn das Leben auf der Erde in ein paar tausend Jahren verschwindet, werden all unsere Nachfahren ungefähr das gleiche Geschichtsbild haben wie wir, dass nämlich der zeitliche Anteil der Menschheitsgeschichte an der Geschichte des Universums sehr klein ist. Gott (Richard Gott) schätzte ab, dass nach dieser Logik alles Leben auf der Erde mit 95 Prozent Wahrscheinlichkeit in 5 000 bis 7,8 Millionen Jahren enden wird. Es gibt keinen Grund, diese Zukunftsprognosen auf eine Katastrophe wie die Auslöschung des menschlichen Lebens zu beschränken. Wie Gott in seinem Buch Zeitreisen in Einsteins Universum gezeigt hat, beruhen sie auf der simplen statistischen Tatsache, dass es eine Wahrscheinlichkeit von 95 Prozent gibt, ›Ereignisse‹ mit Anfang und Ende in den mittleren 95 Prozent ihrer Lebensspanne zu beobachten, wenn der Beobachtungszeitpunkt vom Zufall bestimmt wird. Um zu zeigen, in wie vielen Bereichen man dieses statistische Zahlenspiel anwenden kann, wurde Gott gebeten, für die Neujahrsausgabe 2000 des Wall Street Journal eine Reihe von Voraussagen zu wagen. Sie sind in Abbildung 7.3 wiedergegeben. Derartige Statistiken kann man für alle möglichen Dinge aufstellen, die vom Ende bedroht sind. Bei einer gewünschten Wahrscheinlichkeit von 95 Prozent liegt die Untergrenze bei 1/39, die Obergrenze beim 39-fachen der bisherigen Lebenszeit. Begnügt man sich mit 50 Prozent Wahrscheinlichkeit, sind die Grenzen 1/3 und das Dreifache.13
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Phänomen und sein Anfangsdatum Stonehenge (2 000 v. Chr.) Pantheon (126 n. Chr.) Menschen (Homo sapiens, 200 000 Jahre alt) Große Mauer (in China, 210 v. Chr.) Internet (1969) Microsoft (1975) General Motors (1908) Christenheit (ca. 33 n. Chr.) Vereinigte Staaten (1776) New Yorker Börse (1792) Manhattan (1626 gekauft) Wall Street Journal (1889) New York Times (1851) Universität Oxford (1249)
Verbleibende Lebensdauer mehr als aber weniger als 102,5 Jahre 48 Jahre 5 100 Jahre 56 Jahre 9 Monate 7 Monate 2,3 Jahre 50 Jahre 5,7 Jahre 5,2 Jahre 9,5 Jahre 2,8 Jahre 3,8 Jahre 19 Jahre
156 000 Jahre 73 086 Jahre 7,8 Mio. Jahre 86 150 Jahre 1 209 Jahre 975 Jahre 3 588 Jahre 76 713 Jahre 8 736 Jahre 8 112 Jahre 14 586 Jahre 4 329 Jahre 5 811 Jahre 29 289 Jahre
A b b ild u n g 7.3 Mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit zu erwartende weitere Lebensdauer ausgewählter Phänomene.14
Vom Zufall zum Schicksal Die Herausforderung der großen Zahlen spielte eine wichtige Rolle bei unseren Anstrengungen, die Struktur des Universums zu erforschen und die Spannweiten der Naturkonstanten abzuschätzen, die das Skelett der Natur ausmachen, das vom Fleisch der Gesetze umgeben ist. In der Folge wandelte sich auch die Haltung der Kosmologen gegenüber den anderen Wissenschaften. Während zuvor Biologie und Geologie wenig mit Astronomie und Kosmologie zu tun hatten, erkannte man nun ihre kosmische Bedeutung. Das kosmologische Denken gewann an Gewicht. Es wurden kosmologische Theorien aufgestellt, die man geophysikalisch oder paläontologisch zu beweisen hoffte. Wieder andere führten zu einem Geschichtsablauf, in dem für eine Evolution mit natürlicher Auswahl kein Platz war. Die Astronomen begannen, nach der Feinabstimmung eines Univer-
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sums zu fragen, in dem Leben unserer (oder anderer) Art existieren kann. Die gemessenen Größen vieler der grundlegenden Naturkonstanten und anderer Parameter, die unser Universum beschreiben – seine Gestalt, seine Expansionsgeschwindigkeit, seine Homogenität, seine Isotropie – erscheinen aufs Sorgfältigste austariert. Schon kleine Verschiebungen des Status quo würden jegliche für uns vorstellbare Komplexität unmöglich machen. Bewohnbare Universen erweisen sich mehr und mehr als ausgefeilte Balanceakte.
Das Universum zu Zeiten Eduards VII. Nach unserem Blick auf Dickes Umgang mit den Koinzidenzen der großen Zahlen wollen wir ein wenig in die Vergangenheit schauen: auf Alfred Wallace, der schon 1903 ganz ähnliche Argumente vorgebracht hatte. Wallace war ein großer Naturwissenschaftler, der heute weniger Ruhm erntet, als ihm gebührt. Er und nicht Charles Darwin hatte als Erster die Idee, dass sich die Lebewesen in einem Evolutionsprozess durch natürliche Auslese entwickeln. Es war ein Glück für Darwin, der sich tiefschürfende Gedanken zu diesem Thema machte und lange Zeit unabhängig von Wallace Beweisstücke zur Unterstützung seiner Theorie sammelte, dass ihm Wallace schrieb und von seinen Ideen berichtete, statt sie in einer wissenschaftlichen Zeitschrift zu veröffentlichen. Heute wird die Evolutionsbiologie fast ganz Darwin zugeschrieben. Die Interessen von Wallace waren viel breiter gestreut als die Darwins. Er beschäftigte sich mit fast allen Gebieten der Physik, der Astronomie und der Geowissenschaften. 1903 veröffentlichte er eine umfassende Studie über die Faktoren, die unsere Erde zu einem bewohnbaren Planeten machen. Er begann die philosophischen Schlüsse zu untersuchen, die man aus dem Zustand des Universums ziehen konnte. Sein Buch erschien unter dem volltönenden Titel Man’s Place in Universe in London zur Zeit von König Eduard VII. – vor der Entdeckung der Relativitätstheorie, der Kernenergie und der Expansion des Universums. Fast alle Astronomen des 19. Jahrhunderts stellten sich das Universum als eine einzelne Materieinsel im All vor
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und setzten es mit der Milchstraße gleich. Man wusste weder, dass es noch andere Galaxien gab, noch wie groß das Universum ist. Man wusste nur, dass es groß ist. Erstaunlicherweise gab es fast keinen Versuch, das Universum mit den Newtonschen Gesetzen zu beschreiben. Eine bemerkenswerte Ausnahme sind die Arbeiten von Lord Kelvin aus den Jahren 1901 und 1902.15 Kelvin zeigte, dass die Wirkung der Schwerkraft einen riesigen Materieball dazu bringen würde, in sein Zentrum zusammenzustürzen – es sei denn, er würde um dieses Zentrum kreisen. In Kelvins Die Proposition ist ein Begriff, den man Universum gab es etwa eine Milliarde sich von der Wirklichkeit macht, eine Versonnenähnlicher Sterne, deren Schwer- mutung, eine Theorie, eine Annahme über die Beschaffenheit der Dinge. … kraft gerade die Kreisbewegungen aus- Dass eine Proposition interessant ist, ist balancierte, die man beobachtete.16 wichtiger als dass sie wahr ist. … NatürWallace war von dem einfachen kos- lich sind wahre Propositionen eher intermologischen Modell Kelvins sehr beein- essant als falsche. druckt. An Wallace’s Auseinandersetzung Alfred North Whitehead17 mit diesem Modell ist bemerkenswert, dass er keinen Kopernikanischen Standpunkt einnimmt, sondern im Universum Gegenden für möglich hält, die günstiger für Leben sind als andere. Demnach leben wir zwar nicht im Zentrum aller Dinge, aber immerhin in dessen Nähe. Wallace kommt zu einem ähnlichen Schluss wie Dicke bei der Bestimmung des Alters, das ein Universum mit menschlichen Beobachtern haben muss. Man wusste natürlich zu Wallace’s Zeiten noch nichts von den Kernkräften und daher auch nicht, aus welcher Energie sich unsere Sonne speist. Kelvin hatte auf die Schwerkraft gesetzt. In seiner Kosmologie wird von der Schwerkraft Materie ins Zentrum des Universums Richtung Milchstraße gezogen und von den Sternen aufgesogen, die dort schon existieren. Dabei entsteht Wärme, die über lange Zeiträume für die Leuchtkraft dieser Sterne sorgt. Dieser Prozess stellt für Wallace einen einfachen Grund für die immense Größe des Universums dar: Durch diesen Vorgang haben wir nach meiner Ansicht eine zureichende Erklärung für die lang andauernden Leucht- und Wärmeprozesse unserer Sonnen gefunden, eine Erklärung, die wohl auch für viele andere Sonnen, die sich in der gleichen Stellung im Sonnenhaufen befinden, gültig sein mag. Diese
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Sonnen haben sich zunächst allmählich aus den beträchtlichen Massenteilen angesammelt, die sich zerstreut und in langsamer Bewegung in den Innenteilen des ursprünglichen Universums befanden; in den späteren Epochen aber haben sie durch beständigen und regelmäßigen Zustrom von Materie aus den Außenregionen an Kraft gewonnen, denn diese Materie besaß so hohe Eigengeschwindigkeit, dass sie zur Erzeugung und Aufrechterhaltung der nötigen Temperatur einer Sonne, wie der unseren, dienen konnte, selbst während so langer Epochen, wie sie für die Entwicklung des Lebens als notwendig erkannt worden sind. Wir sehen auf diese Weise, dass die ungeheuere Ausdehnung und Masse des ursprünglichen Universums und seiner ringsum zerstreuten Masse (nach der Theorie des Lord Kelvin) im Hinblick auf das eigentliche Resultat der Evolution von größter Bedeutung ist, weil nur durch sie die in langsamer Bewegung befindlichen kalten zentralen Regionen in den Stand gesetzt worden sind, die erforderliche Energie in Form von Hitze hervorzubringen und aufrecht zu erhalten. Andererseits war auch die Anhäufung der bei weitem größten Masse der Materie in dem gewaltigen und in Umdrehung befindlichen Ring der Milchstraße von ebenso großer Wichtigkeit, weil durch ihn ein zu großer und zu schneller Zustrom der Materie nach den bevorzugten inneren Regionen aufgehalten wurde. … In jenen Gegenden schnellerer und weniger kontrollierter Bewegungen und größerer Massenanhäufungen von Materie wird wahrscheinlicherweise kein Stern eine genügend gleichmäßige Temperatur während genügend langer Zeiten aufrecht erhalten haben können, um irgend einem Planeten, der zu ihm gehören dürfte, das vollkommene System einer Lebensentwicklung zu gestatten.18
Wallace erkannte sehr klar die Verbindung zwischen diesen ungewöhnlichen generellen Eigenschaften des Universums und den Bedingungen, die herrschen müssen, damit sich blühendes Leben entwickeln kann: Nehmen wir also derartige Entwicklungsvorgänge, wie ich sie hier angedeutet habe, in ihren Grundzügen als wahrscheinlich an, so geht uns eine Ahnung davon auf, wie all diese gewaltigen Formbildungen des gestirnten Universums zur Hervorbringung einer Lebensentwicklung zusammengewirkt haben. Die wichtigsten Erscheinungen in dieser Hinsicht sind: die gewaltige Ausdehnung des Universums, die Gestalt, die der mächtige Ring der Milchstraße angenommen hat, und unsere Stellung nahe, jedoch nicht genau in dem Zentrum.19
Wallace nahm an, dass dieser Sturz von Materie ins Zentrum und die Erzeugung der Sonnenenergie aus der Gravitation nicht gleichmäßig vonstatten geht: Lange Zeiträume, in denen einfallende Materie die Erwärmung der Sterne vorantreibt, lösen Perioden der Ruhe und Abkühlung ab. In einer solchen Ruheperiode leben wir vermutlich:
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Ich habe hier einen Entwicklungsvorgang nahegelegt, der zu einem sehr langsamen, aber beständigen Wachstum der zentraler gelegenen Sonnen führen muss, ferner zu einer außerordentlich lang ausgedehnten Epoche von nahezu gleichmäßiger Hitzeentwicklung, und schließlich zu einer ebenso lang ausgedehnten Epoche nahezu gleichmäßiger Abkühlung – einer Epoche, in deren Beginn unsere Sonne vielleicht gerade eingetreten ist.20
Wallace beendete seine Betrachtung der kosmischen Bedingungen, die für die Entwicklung von Leben nötig sind, mit einem Blick auf Geologie und Erdgeschichte. Dort trifft man auf weit kompliziertere Verhältnisse als in der Astronomie. Aufgrund der Vielzahl historischer Zufälle, deren Spuren sich bis in unsere Zeit erhalten haben, hielt er es für im höchsten Maße unwahrscheinlich, dass das ganze Konglomerat von Bedingungen, das der Entwicklung von Leben förderlich ist, auch anderswo im Universum zu finden sei. Deshalb müsse das Universum so riesengroß sein, damit es wenigstens auf einem Planeten wie dem unseren eine hinreichende Chance zur Entwicklung von Leben böte. Ferner ist aber auch die Vorstellung weder unfassbar, noch auch nur unwahrscheinlich, dass zur Hervorbringung einer Welt, die in allen ihren Einzelheiten zur regelmäßigen Entwicklung organischen Lebens, wie es in der Erscheinung des Menschen gipfelt, geeignet ist, solch ein ungeheures und kompliziertes Universum absolut notwendig war, wie das, welches wir als um uns herum bestehend erkannt haben.21
Heute können wir solchen Erwägungen nur zustimmen. Aus der gewaltigen Größe des sichtbaren Universums mit seinen 1080 Protonen ergibt sich eine große Anzahl von Bereichen, wo die statistischen Variationen chemischer Verbindungen durchlaufen werden können. Wallace interessierte sich sehr für die gewaltige Größe des Universums als Voraussetzung für unsere Entwicklung, war aber wenig von der Vorstellung angetan, es könnte noch viele andere Lebensformen im All geben. Er glaubte an die Einheitlichkeit der physikalischen und chemischen Gesetze, und er war besonders davon beeindruckt, dass die Messung der Lichtgeschwindigkeit aus der Verdunklung der Jupitermonde zum gleichen Ergebnis führt wie Messungen auf der Erde. Aus diesen verschiedenen Entdeckungen schöpfen wir die Überzeugung, dass das gesamte materielle Universum in seinen Grundlagen sowohl hinsichtlich
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der gleichen physikalischen und chemischen Gesetze, wie der gleichen mechanischen Beziehungen von Form und Aufbau eine Einheit bildet.22
Diese einheitlichen Gesetze würden sicherstellen, dass organisch lebende Geschöpfe gleichviel, wo sie im Universum vorkommen, in ihren Grundlagen und den bestimmenden Eigenschaften ihrer Materie die gleichen sind. Die äußeren Formen des Lebens, falls sie überhaupt anderswo vorkommen, mögen nahezu unendlich mannigfaltig sein, wie sie ja auch auf der Erde mannigfaltig sind. … Es liegt uns fern, behaupten zu wollen, organisches Leben könne nicht unter durchaus anderen Bedingungen vorkommen, als diejenigen sind, welche wir kennen oder begreifen können. Solche anderen Bedingungen mögen ja in anderen Universen existieren, die ganz anders, als das unsere aufgebaut sind, in denen andere Substanzen an die Stelle des Äthers und der Materie unseres Universums getreten sind, und wo andere Gesetze herrschen. Aber innerhalb des Universums, das wir kennen, gibt es nicht den leichtesten Grund zu der Vermutung, dass organisches Leben unter anderen allgemeinen Bedingungen und Gesetzen, als denen, die hier herrschen, möglich wären [sic!].23
Wallace’s Einsichten bilden eine faszinierende Brücke zwischen der Gedankenwelt vor dem Aufkommen der Evolutionstheorie und dem modernen Blickwinkel nach der Entdeckung, dass das Universum eine Geschichte hat. Sein kosmologischer Ansatz macht deutlich, dass die Theorien der Entwicklung von Leben nicht an eine bestimmte Theorie der Sternbildung geknüpft sind, sondern in jedem Zusammenhang gelten. Kelvins Bild des Universums war für Wallace neu. Die modernen Astronomen können sich auf die gut gesicherte Theorie eines expandierenden Universums stützen, dessen Energieerzeugung in den Sternen man fast vollständig versteht. Beide Theorien sind dynamisch: Bei Kelvin stürzte Materie aus großer Entfernung unter dem Einfluss der Schwerkraft in das Zentrum des Sternsystems, während sich nach der Big-Bang-Theorie das Universum im Lauf der Zeit immer weiter aufbläht. In beiden Szenarien sind die Ausmaße des Universums und die Zeit miteinander verknüpft, und die gewaltige Größe des Universums hat ungewöhnliche indirekte Konsequenzen für alles, was in ihm geschieht – beispielsweise dafür, ob sich im Laufe der Zeit Leben und Geist entwickeln.
Kapitel 8
Das Anthropische Prinzip Einige wenige unter uns lassen die meisten unter uns spüren, dass Leben etwas ist, aus dem einige wenige unter uns das meiste machen. Willard Quine1
Anthropische Argumente Nach der ersten Erkenntnis, dass das Universum bestimmte Eigenschaften haben muss, damit in ihm Leben möglich ist, wuchs das Interesse an Dickes ›Anthropischem Prinzip‹. Dies entfachte unter Astronomen, Physikern und Philosophen eine weitreichende Debatte über seine Nützlichkeit und tiefere Bedeutung. Einer der Gründe für dieses große Interesse war die Entdeckung, dass die Naturkonstanten derzeit eine Größe haben, die auf vielfältige Weise dazu beiträgt, Leben im Universum zu ermöglichen. Manchmal scheint dies allerdings nur um Haaresbreite zu gelingen. Wir können uns ohne weiteres Welten mit Naturkonstanten ausmalen, die nur wenig von ›unseren‹ abweichen, in denen aber trotzdem kein Leben wie das irdische möglich ist. Wenn die Feinstrukturkonstante zu groß ist, können keine Atome existieren, erhöht man die Schwerkraft, verpulvern die Sterne ihren Brennstoff schneller, verringert man die Kernkräfte, gibt es keine Biochemie. Wir müssen bei unseren Überlegungen drei verschiedene Klassen von Änderungen in Betracht ziehen. Zunächst sind winzig kleine Änderungen möglich. Verkleinert man beispielsweise die Feinstrukturkonstante in der zwanzigsten Stelle, so hat das für ein Leben, wie wir es kennen, keine schlimmen Folgen. Ändert man jedoch diese Größe um einen kleinen Betrag, beispielsweise in der zweiten oder dritten Stelle, werden die Folgen schon gravierender. Die Eigenschaften der Atome ändern sich und komplizierte Prozesse wie die Faltung von Proteinketten oder die Verdopplung der DNS werden nachteilig beeinflusst. Anderer-
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seits können sich aber auch neue Möglichkeiten für eine komplexe Chemie eröffnen. Es ist schwer, solche Folgen abzuschätzen, da die Zusammenhänge nicht offen zutage liegen. Die dritte Möglichkeit ist eine große Änderung. Sie hätte zur Folge, dass weder Atome noch Moleküle existieren können, und stellt deshalb eine klar umrissene Schranke für die Entwicklung komplexer Strukturen dar. Für einen weiten Bereich denkbarer Änderungen ist Leben jeglicher Art unvorstellbar. Zunächst müssen wir Klarheit darüber gewinnen, auf welche Weise Dicke sein Anthropisches Prinzip eingeführt hat, da darüber in der Diskussion ziemliche Konfusion herrscht.2 Die Existenz von Sternen und damit bestimmter chemischer Elemente stellt für komplexe chemische Strukturen, für die ›Leben‹ das eindrucksvollste uns bekannte Beispiel ist, eine notwendige Bedingung dar. Das heißt nicht, dass Leben existieren muss, wenn diese Voraussetzungen gegeben sind. Es heißt auch nicht, dass einmal existierendes Leben überlebt oder dass das Universum mit dem Hintergedanken an Leben entworfen wurde. Das sind alles voneinander deutlich getrennte Dinge. Wenn unsere anthropische Bedingung wirklich für die Existenz lebender Beobachter in einem Universum notwendig ist, muss sie logischerweise auch in unserem Universum erfüllt sein – gleichgültig, wie unwahrscheinlich uns das vorkommen mag. Dickes Thesen über die großen Zahlen haben viele wichtige Konsequenzen. Es wurde klar, dass die Ansätze von Eddington und Dirac zu sehr aus dem (physikalischen) Rahmen fallen und nicht ohne schwerwiegende Eingriffe in die physikalischen Theorien bewiesen werden können. Eddington wollte eine ehrgeizige neue grundlegende ›Theorie für Alles‹ aufstellen. Von dieser erhoffte er sich Gleichungen, mit denen die Naturkonstanten auf unerwartete Weise miteinander verknüpft werden könnten und die zeigen würden, dass die Koinzidenzen der großen Zahlen Ausdruck eines tief verborgenen Grundschemas der Natur sind. Dirac hatte die Konstanz der altvertrauten Gravitationskonstante G geopfert, um die Koinzidenzen der großen Zahlen als Resultat einer noch unbekannten Theorie der Schwerkraft und der atomaren Phänomene zu erklären. Im Gegensatz dazu rührte Dicke mit seinem Ansatz die alten Theorien kaum an. Für ihn war wichtig, dass nicht alle Zeitpunkte der kosmi-
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schen Skala gleichwertig sind: Wir können das Universum nur beobachten, weil es schon so alt ist, dass in ihm Leben zu existieren vermag. Das bedeutet, dass für unsere astronomischen Beobachtungen eine unüberwindbare Schranke besteht, die wir nicht außer Acht lassen dürfen. Diese Schranke ist dafür verantwortlich, dass die Diracschen Koinzidenzen der großen Zahlen von Lebewesen beobachtet werden, wie wir es sind. Die Lektion, die Dicke den Wissenschaftlern erteilt, ist einfach und folgenreich. Wenn man sie – wie Eddington und Dirac – nicht beherzigt und altbewährte Theorien zu Gunsten wilder Spekulationen aufgibt, könnte man das Schicksal der beiden Forscher erleiden und einem Phantom nachjagen. Kritiker, die Dickes Ansatz nicht verstanden, beanstandeten, dass es sich dabei um keine ›naturwissenschaftliche Theorie‹ handle, da sie keine übeprüfbaren Vorhersagen enthält. Das ist aber ein tiefes Missverständnis. Wenn man feststellt, dass Beobachtungen mit systematischen Fehlern behaftet sind, stellt man keine neue Theorie auf, die anderen Theorien Konkurrenz machen will und in Experimenten auf ihren Wahrheitsgehalt getestet werden muss. Es ist vielmehr ein Beitrag zur wissenschaftlichen Methodik, den wir übersehen oder zu unserem eigenen Schaden bewusst ignorieren können. Es geht um nicht mehr als um genaue Regeln für den Umgang mit einem Phänomen, das den experimentell arbeitenden Wissenschaftlern wohl vertraut ist: den systematischen Beobachtungs- und Messfehlern. Wenn man ein Experiment durchführt oder aus Beobachtungsdaten Schlüsse ziehen will, ist es besonders wichtig, dass man alles über mögliche Fehler bei der Beobachtung und Datenerfassung weiß. Ein solcher Fehler könnte so aussehen, dass man bestimmte Daten leichter erfasst und so ein falsches Bild erhält. Ein interessantes Beispiel, über das man in den Zeitungen lesen konnte, ist das unterschiedliche Niveau der Mathematikkenntnisse von Schülern aus verschiedenen Ländern. Man hatte dies anhand von Tests ›festgestellt‹ und lange Jahre geglaubt, dass die Schüler in einigen südostasiatischen Ländern deutlich besser wären als in Großbritannien. Dann stellte sich aber heraus, dass in diesen Ländern die schwächsten Schüler nicht mit einbezogen worden waren, was natürlich Folgen für die Statistik hatte: Der Durchschnittswert wurde besser als mit den un-
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frisierten Daten. Ein anderes Beispiel aus jüngerer Zeit ist eine Untersuchung in den USA, bei der man herausfinden wollte, ob Kirchenbesucher gesünder sind als Nichtgläubige. Diese Untersuchung war ebenfalls mit einem gravierenden Fehler behaftet: auch gläubige Menschen können nicht zur Kirche gehen, wenn sie schwer krank sind. Mein Lieblingsbeispiel für einen systematischen Fehler hat damit zu tun, wie wir den Verkehrsfluss wahrnehmen. Nach einer kürzlich in Kanada angestellten Untersuchung glaubt die Mehrzahl der dortigen Autofahrer, dass der Verkehr auf der Nachbarspur schneller fließt als auf der eigenen. Die findigen Autoren der Studie versuchten dieses Ergebnis mit zahllosen komplexen psychologischen Gründen zu erklären. So könnte es beispielsweise sein, dass ein Fahrer eher Vergleiche anstellt, wenn er von schnelleren Autos (=Konkurrenten) überholt wird, als wenn er selbst überholt.3 Vielleicht prägt sich auch das Erlebnis, überholt zu werden, tiefer ein als das Überholen. Diese Schlussfolgerungen sind natürlich keineswegs bedeutungslos, denn die Studie kam auch zu dem Ergebnis, dass man auf die Autofahrer pädagogisch einwirken könnte, um sie davon abzubringen, ständig auf die angeblich schnellere Nachbarspur zu wechseln (mit der fatalen Folge, dass der Verkehrsfluss insgesamt langsamer wird und die Sicherheit abnimmt). Aber jenseits aller psychologischen Gründe gibt es eine viel einfachere Erklärung für das Ergebnis der Untersuchung: Der Verkehr auf der anderen Spur fließt für die Mehrzahl der Befragten wirklich schneller! Das Dilemma der Studie liegt in der Auswahl der Interviewpartner. Typischerweise wird auf einer Spur der Verkehr langsamer, wenn die Fahrzeugdichte zunimmt.4 Es gibt daher im Schnitt auf der langsameren Spur mehr Autos als auf der schnelleren Spur. Wenn man einen Fahrer per Zufall herauspickt und ihn fragt, ob er auf der anderen Spur schneller vorankäme, ist die Wahrscheinlichkeit größer, einen Fahrer von der volleren (und langsameren) Spur zu erwischen, einfach, weil dort mehr fahren (Abbildung 8.1). Wegen des systematischen Fehlers der Untersuchung kann man aus ihr leider nicht schließen, ob es gut oder schlecht ist, die Spur zu wechseln. Vielleicht sind die Kirschen in Nachbars Garten wirklich immer die besseren?
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A b b ild u n g 8 .1 Verkehr auf einer Autobahn bei Hollywood: Warum scheinen die Autos auf der Nachbarspur immer schneller zu sein? Weil sie es im Durchschnitt sind!5
Diese einfachen Beispiele zeigen, dass sich jeder Wissenschaftler bemühen muss, alle nur denkbaren Fehlerquellen zu berücksichtigen, um nicht zu Resultaten zu kommen, die mit der Wirklichkeit nichts zu tun haben. Dicke stellte nun bei den Astronomen ein ähnlich leichtfertiges Verhalten fest, wenn sie ihren Blick auf das Universum richten. Wer nicht bedenkt, dass ein Beobachter allein schon deshalb eine ganz besondere Stellung hat, weil er beobachten kann, wird leicht falsche Schlüsse ziehen. Hat man einmal eine Eigenschaft des Universums ausfindig gemacht, die für die Existenz komplexer Chemie notwendig ist, stößt man oft auf andere Eigenschaften, die zunächst nichts mit Leben zu tun zu haben scheinen. Tatsächlich treten sie aber als notwendige Nebenprodukte der ›notwendigen‹ Eigenschaft auf. So muss nach Dicke ein Universum Milliarden von Jahren alt werden, damit die Zeit zur Herausbildung der Bausteine des Lebens reicht. Andererseits sagt uns das Gravitationsgesetz, dass das Alter des Universums unmittelbar mit anderen Eigenschaften verbunden ist, zu denen die Helligkeit des Himmels, die Dichte und die Temperatur gehören.
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Hat das Universum vor Milliarden Jahren begonnen, sich auszudehnen, muss sein sichtbarer Teil heute einen Radius von Milliarden von Lichtjahren haben. Da bei der Expansion Temperatur und Dichte geringer wurden, muss es notwendigerweise kalt und leer sein. Wie wir gesehen haben, beträgt die mittlere Dichte des Universums heute kaum mehr als 1 Atom/m3. Es überrascht daher kaum, dass der Abstand zu anderen Sternsystemen so groß ist und dass es daher schwierig ist, Kontakt zu Aliens zu bekommen. Sollte irgendwo im All hoch entwickeltes Leben existieren, hat es vermutlich wie das irdische sein technisches Niveau ohne Störungen durch Wesen aus anderen Welten erreicht. Die niedrige Temperatur des Universums sagt uns nicht nur, dass es im All kalt ist. Sie ist auch die Ursache dafür, dass der Nachthimmel dunkel erscheint. Viele Jahrhunderte lang haben sich die Wissenschaftler mit der Frage gequält, warum das so ist. Wenn es eine derart gewaltige Zahl von Sternen gibt, müsste es uns beim Blick in den Nachthimmel eigentlich ähnlich ergehen, wie wenn wir in einen dichten Wald schauen (Abbildung 8.2): Überall müsste das Auge auf Sterne treffen, deren helle Oberflächen jeden Fleck des Himmels ausfüllen und ihn wie die Sonnenoberfläche hell erstrahlen lassen. Was uns vor diesem strahlenden Himmel bewahrt, ist die Expansion des Universums. In den mehr als 10 Milliarden Jahren, in denen sich das Universum ausgedehnt und abgekühlt hat, ist die Materiedichte so gering geworden, dass selbst bei einer vollkommenen Verwandlung aller Materie in Strahlung der Nachthimmel nicht wahrnehmbar heller würde. Es ist einfach zu wenig Strahlung vorhanden, um den riesigen Weltraum so weit anzufüllen, dass er uns hell erscheint. Einst, als das Universum mit kaum 100 000 Jahren noch jung war, strahlte der gesamte Himmel so stark, dass weder Sterne noch Atome noch Moleküle existieren konnten. Natürlich gibt es auch keine Zeugen, die uns davon berichten könnten. Diese Überlegungen haben auch Konsequenzen eher philosophischer Art. Die immense Größe und düstere Finsternis des Universums erscheinen auf den ersten Blick gesehen für Leben höchst feindlich zu sein. Der Anblick des Nachthimmels hat viele religiöse und ästhetische Sehnsüchte genährt, die sich unserer offensichtlichen Kleinheit und Bedeutungslosigkeit angesichts der unendlichen
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A b b ild u n g 8 .2 Wenn man in einen dichten Wald schaut, trifft das Auge immer auf einen Baum.6
Weiten des Alls und der Unveränderlichkeit des gestirnten Himmels über uns verdanken. In vielen Kulturen wurden die Sterne angebetet, oder man glaubte (und glaubt noch heute), dass sie die Zukunft bestimmen. Kulturen wie die unsere sind von der Sehnsucht besessen, die Sterne zu besuchen. George Santayana schrieb in seinem 1896 erschienenen Buch The Sense of Beauty über die Gefühle, die aus der Erfahrung der Bedeutungslosigkeit der Erde und der Leere des Universums erwachsen: Die Vorstellung, dass unsere Erde unbedeutend ist und dass es eine unbegreifliche Vielzahl von Welten gibt, ist in der Tat äußerst beeindruckend, ja sie kann unsere heftige Ablehnung erzeugen … Unsere mathematische Vorstellungskraft wird durch dieses übernommene Konzept Qualen ausgesetzt, die einem Albtraum gleichen und vielleicht, wenn wir aus ihm erwachen könnten, von lachhafter Absurdität wären. … Die Verwandtschaft der Gefühle, die in uns die Sterne hervorrufen, mit den Gefühlen, die mit bestimmten religiösen Momenten verbunden sind, scheinen die Sterne zu einem religiösen Objekt zu machen. Sie regen wie beeindruckende Musik zur Anbetung an. Nichts ist objektiv beeindruckend. Dinge beeindrucken nur, wenn sie mit Erfolg die Gefühle des Beobachters rühren, indem sie einen Zugang zu seinem Herzen und seinem Denken finden. Die Vorstellung, dass das Universum ein Konglomerat unbedeutender Kugeln ist, die wie Staubkörnchen in einem
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dunklen und unendlich leeren Raum kreisen, mag uns kalt und indifferent lassen, wenn nicht gar langweilen oder deprimieren, sofern wir dieses hypothetische Gebilde nicht mit dem sichtbaren Glanz, der ergreifenden Tiefe und der verwirrenden Zahl der Sterne identifizieren. Der sinnliche Gegensatz des dunklen Himmels – umso schwärzer, je klarer die Nacht ist und je mehr Sterne wir sehen können – zu dem zitternden Licht der Sterne kann durch nichts überboten werden.7
Andere sahen es etwas prosaischer. Der schwergewichtige britische Mathematiker und Philosoph Frank Ramsey, Bruder von Michael Ramsey, dem früheren Erzbischof von Canterbury, reagierte auf Blaise Pascals »Grauen« angesichts der Menschen als »Verirrte« in »diesem Winkel des [stummen] Weltalls«8 mit heiterer Gelassenheit: Worin ich mich von einigen meiner Freunde unterscheide ist, dass ich der physikalischen Größe wenig Bedeutung beimesse. Angesichts der Leere des Himmels fühle ich mich nicht im mindesten demütig. Mag sein, dass die Sterne riesig sind, aber sie können weder denken noch lieben – und das sind Eigenschaften, die mich weit mehr als die schiere Größe beeindrucken. Niemand mag mich, weil ich über 100 kg wiege. Ich habe ein perspektivisches Bild von der Welt, kein maßstabgetreues. Deshalb stehen bei mir im Vordergrund Menschen in voller Größe, während die Sterne weit hinten so winzig sind wie Stecknadelköpfe.9
Wenn nun schon die Ausmaße nicht alles sind, so haben sie doch sicher eine gewisse Bedeutung, wenn man den gesamten Kosmos in Betracht zieht. Die Verbindung zwischen der Expansionszeit des Universums, die wir üblicherweise sein ›Alter‹ nennen, und allem was mit dem Leben zu tun hat, gehört zu den Fragen, denen sich die Kosmologen weit früher und intensiver hätten widmen sollen. Vielleicht wären sie dann nicht über zwanzig Jahre einer anderen Möglichkeit nachgejagt, die sich dann als Irrweg erwies. 1948 brachten Hermann Bondi, Thomas Gold und Fred Hoyle mit ihrer Steady-State-Theorie ein Konkurrenzmodell zum expandierenden Big-Bang-Universum auf den Markt.10 Das BigBang-Modell11 setzt voraus, dass die Expansion in einem bestimmten Augenblick der Vergangenheit begonnen hat. Im weiteren Verlauf nahmen dann Dichte und Temperatur der Materie ständig ab. Die Expansion könnte nun für ewig weitergehen, sie könnte aber auch eines Tages in eine Kontraktion umschlagen.
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of fe
Größe
Dichte und Temperatur würden dann wieder zunehmen, und das Ende der Geschichte wäre in einem bestimmten Moment der Zukunft in einem ›Big-Crunch‹ (oder Endkollaps, Endknall) erreicht (siehe Abbildung 8.3).
n
ch tis kri
n sse hlo sc ge Zeit
A b b ild u n g 8 .3 Expansionsmöglichkeiten eines Universums.
Dieses Szenario zeichnet vor allem aus, dass es andere physikalische Bedingungen des Universums in der Vergangenheit voraussetzt als heute oder in ferner Zukunft. Es gab Zeiten, in denen kein Leben existieren konnte, weil es zu heiß war, um die Bildung von Atomen zu erlauben. Es gab Zeiten, in denen noch keine Sterne existierten, und es werden Zeiten kommen, in denen alle Sterne erloschen sein werden. Im Verlauf dieser Geschichte gibt es einen besonderen Zeitabschnitt, in dem die Wahrscheinlichkeit am größten ist, dass sich Beobachter des Universums entwickeln. Wenn man einen Anfang des Universums annimmt, heißt das, dass es auch ›etwas‹ vor diesem Anfang gab, ›wo‹ das Universum und vielleicht auch die Zeit nicht existierten. Zum Warum und Wozu dieses Anfangs kann die Theorie allerdings nichts aussagen – geschweige denn zu dem, was ›vorher‹ war.
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Größe
Zeit
A b b ild u n g 8 .4 ›Expansion‹ eines Steady-State-Universums.
Das Alternativmodell von Bondi, Gold und Hoyle war zum Teil von dem Wunsch bestimmt, die Notwendigkeit eines solchen Anfangs (oder eines möglichen Endes) des Universums zu vermeiden. Sie wollten ein kosmologisches Szenario ohne bevorzugte Zeiträume entwerfen, wonach das Universum im Mittel immer gleich aussah und aussehen wird (siehe Abbildung 8.4). Auf den ersten Blick erscheint eine solche Konstruktion unmöglich, schließlich expandiert das Universum ja wirklich und ändert sich damit zweifellos – wie kann man es dann als ›unveränderlich‹ bezeichnen? Hoyle hatte das Bild eines ständig fließenden Stroms vor Augen, dessen kleine Wellen zwar fortwährend in Bewegung sind, der aber insgesamt doch immer fast gleich aussieht. Wenn man annimmt, dass im Universum zu allen Zeiten die gleiche mittlere Materiedichte und Expansionsrate herrscht, gibt es keinen einmaligen Geburtsakt von Materie, sie wird vielmehr ständig mit einer Rate neu geschaffen, die exakt die Dichteabnahme durch die Expansion ausgleicht. Dieser Mechanismus einer ›Schöpfung in Permanenz‹ kann auf kleinster Flamme arbeiten, denn um eine konstante Dichte zu garantieren, muss nur alle 10 Milliarden Jahre 1 Atom/m3 entstehen! Kein Experiment und keine astronomische Beobachtung wäre in der Lage, solch einen winzigen Effekt nachzuweisen (siehe Abbildung 8.5). Die ›Steady-StateTheorie‹ des Universums macht äußerst klare Vorhersagen: Das Universum sah im Mittel zu allen Zeiten gleich aus und wird dies auch in Zukunft tun. Es gab keine ›besonderen‹ Zeitabschnitte in
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Das Anthropische Prinzip
der kosmischen Geschichte, insbesondere keinen Anfang und keine Zeit, in der sich die ersten Sterne bildeten oder Leben möglich wurde. Auch ein Ende wird es nicht geben.
b) Materiedichte
Materiedichte
a)
Zeit
Zeit
A b b ild u n g 8 .5 Änderung der durchschnittlichen Materiedichte a) in einem expandierenden Big-Bang-Universum b) in einem Steady-State-Universum.
Schließlich wurde das Steady-State-Modell durch eine Reihe von Beobachtungen widerlegt. Man stellte zunächst fest, dass die Zahl der Galaxien, die starke Sender von Radiowellen sind, im Verlauf der Geschichte des Universums stark geschwankt hat. Dann entdeckte man 1965 die so genannte ›Hintergrundstrahlung‹, den Überrest der Wärmestrahlung aus der heißen Anfangsphase des Universums, die aus den Big-Bang-Modellen folgt. Diese Strahlung im Mikrowellenbereich hat in einem Steady-State-Universum keinen Platz. Zwanzig Jahre lang suchten Astronomen nach Beweisen dafür, ob sich das Universum vielleicht doch in einem Gleichgewichtszustand befindet, wie ihn Bondi, Gold und Hoyle vermuteten. Ein ganz einfaches anthropisches Argument kann zeigen, wie unwahrscheinlich ein solcher Zustand ist. Kennt man die derzeitige Ausdehnung des Universums und geht man davon aus, dass sich die Expansionsrate im Laufe der Geschichte nicht geändert hat, kann man den Zeitpunkt angeben, an dem die Expansion begann – und damit in etwa
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Das 1 × 1 des Universums
das Alter des Universums nach dem Big-Bang-Modell. Auch im Steady-State-Universum liefert die Expansionsrate diesen Zeitpunkt. Er entspricht aber nicht dem Alter des Universums, denn dieses ist unendlich: Im Steady-State-Universum gibt es keine Geburtsstunde, und die Expansionsrate ist nichts als die Expansionsrate, wie es die Abbildung 8.4 verdeutlicht. In einem Big-Bang-Universum ist es ganz natürlich, dass das Alter, das man aus der Expansionsrate bestimmen kann, nur wenig größer als das Alter der Sterne ist. Die Sterne wurden – von unserer Warte aus gesehen – in der Vergangenheit gebildet, daher können wir davon ausgehen, dass unser Auftritt auf der kosmischen Bühne nach ihrer Entstehung lag. Dagegen wäre es im Steady-State-Universum mit seinem unendlichen ›Alter‹ (oder seiner Alterslosigkeit) bloßer Zufall, dass gerade die aus der Expansionsrate bestimmte Zeit nötig war, damit in den Sternen Elemente wie Kohlenstoff entstehen konnten. Wir haben schon gesehen, dass diese Koinzidenz der Zeiten die von Dirac angenommene variable Gravitationskonstante G ausschließt. Fast so sicher spricht sie nun auch gegen ein Steady-StateUniversum.
Ein empfindliches Gleichgewicht Es muss ziemlich viel Zeit verstreichen, bevor in einem Stern aus bindungsscheuen Gasen wie Wasserstoff und Helium Elemente wie Kohlenstoff entstehen. Aber es ist nicht nur die Zeit. Die Wahrscheinlichkeit für die Kettenreaktion, die stattfinden muss, damit sich Kohlenstoff bildet, ist höchst gering: Drei Heliumkerne (auch Alphateilchen genannt) müssen sich zusammenfinden, damit sie zu einem Kohlenstoffkern verschmelzen können. Die Bedeutung dieses Schlüsselprozesses zur Bildung von Kohlenstoff, der auch ›TripleAlpha‹- oder ›Salpeter-Prozess‹ genannt wird, hat als Erster der amerikanische Physiker Ed Salpeter 1952 erkannt. Einige Monate später fand dann Fred Hoyle während eines Aufenthalts am CalTech in Pasadena heraus, dass die Bildung von Kohlenstoff in diesem Prozess doppelt schwierig ist: Zu dem Problem des Dreiertreffens
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kommt, dass das Produkt aus dieser Liaison möglicherweise nur sehr kurzlebig ist. Wenn man sich die Kette der Kernreaktionen etwas genauer anschaut, wird klar, dass sich der entstehende Kohlenstoffkern ganz schnell mit einem weiteren Alphateilchen verbinden kann – es entsteht Sauerstoff. Hoyle erkannte, dass die Erzeugung von Kohlenstoff weit schneller und effektiver vonstatten gehen muss, als man sich vorgestellt hatte, damit der entstandene Kohlenstoff nicht in Sauerstoff verwandelt wird. Es gibt nur einen Weg, die Erzeugung von Kohlenstoff hochzutreiben: Unter bestimmten Umständen wachsen die Raten von Kernreaktionen dramatisch an. Man spricht dann von ›Resonanz‹. Sie tritt auf, wenn die Summe der Energie der anfliegenden Reaktionspartner sehr nahe bei einem natürlichen Energieniveau des neu entstehenden schwereren Kerns liegt. Hoyle berechnete, dass der hohe Anteil an Kohlenstoff im Universum nur erklärt werden kann, wenn der Kohlenstoffkern ein natürliches Energieniveau bei 7,65 MeV hat. Leider wusste man von einem solchen Niveau nichts.12 Pasadena war der richtige Ort, um über Energieniveaus von Kernen nachzudenken. Willy Fowler, der ein Team hervorragender Kernphysiker leitete, war ein äußerst freundlicher und begeisterungsfähiger Mann. Hoyle zögerte nicht, ihn zu besuchen. Fowler hatte sich schnell davon überzeugt, dass tatsächlich alle früheren Experimente dieses bestimmte, von Hoyle angegebene Energieniveau verfehlt haben konnten. Innerhalb weniger Tage gelang es Fowler, andere Kernphysiker vom Kellogg Radiation Lab hinzuzuziehen und ein Experiment durchzuführen. Das Ergebnis war überwältigend: Man fand tatsächlich ein neues Energieniveau – fast genau dort, wo es von Hoyle vorhergesagt worden war.13 Der ganze Ablauf der Ereignisse, die zur Entstehung des Kohlenstoffs führen, schien nun so sorgfältig ausbalanciert, als wäre er für ein Science-Fiction-Universum ersonnen worden. Als Erstes müssen drei Alphateilchen an einem Platz zusammenstoßen – ein Vorgang, der in zwei Phasen abläuft: Zunächst tun sich zwei Alphateilchen zusammen und bilden einen Berylliumkern: Helium + Helium = Beryllium
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Glücklicherweise hat das entstehende Be8-Isotop eine Halbwertszeit, die mit 10-16 s zehntausend Mal länger als die Zeit ist, die zwei Heliumkerne benötigen, um sich zusammenzutun.14 Kurz: Der Berylliumkern lungert lange genug herum, um gute Chancen zum Einfang eines weiteren Heliumkerns zu haben und damit zu Kohlenstoff zu werden: Beryllium + Helium = Kohlenstoff
Das besagte Energieniveau des Kohlenstoffs liegt mit seinen 7,656 MeV ein klein wenig über der Energie des Paars ›Beryllium + Helium‹ mit 7,3667 MeV. Deshalb tritt Resonanz auf, wenn in einem Stern die entsprechende Menge an thermischer Energie zugeführt wird: Es entsteht eine große Menge an Kohlenstoff. Aber das ist noch nicht das Ende der Geschichte. Es lauern ja, wie schon erwähnt, weitere Heliumkerne, die darauf aus sind, den Kohlenstoff wieder zu vernichten: Kohlenstoff + Helium = Sauerstoff
Was wäre, wenn sich auch diese Reaktion als ›resonant‹ herausstellen würde? Dann würde der eben entstandene Kohlenstoff schnell wieder verschwinden und das dankbar begrüßte Resonanzniveau des Kohlenstoffs bliebe ohne Nutzen. Bemerkenswerterweise verläuft aber die Vernichtung des Kohlenstoffs nicht resonant. Der Sauerstoffkern hat ein Energieniveau bei 7,1187 MeV, was knapp unter der Gesamtenergie des Paars ›Kohlenstoff + Helium‹ mit 7,1616 MeV liegt. Wenn daher die thermische Energie im Stern noch dazukommt, kann diese Reaktion niemals resonant sein – und der Kohlenstoff überlebt. Hoyle erkannte, dass diese ausbalancierte Folge günstiger Umstände ein auf Kohlenstoff gegründetes Leben im Universum möglich macht.15 Die Lage der Energieniveaus in Atomkernen wie beispielsweise beim Kohlenstoff und Sauerstoff ist das Ergebnis komplizierter Wechselwirkungen zwischen der Kernkraft und der elektromagnetischen Kraft, die man seinerzeit, als man das Resonanzniveau beim Kohlenstoff entdeckt hatte, noch nicht so einfach berechnen konnte. Heute kann man die Beiträge der jeweiligen Kräfte recht gut abschät-
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zen und weiß, dass die Lage der Niveaus aus der Größe der Feinstrukturkonstante und der entsprechenden Konstante für die starke Kernkraft folgt. Erhöht man die Feinstrukturkonstante um mehr als 4 Prozent oder verringert man die Konstante für die starke Kernkraft um mehr als 0,4 Prozent, reduziert sich die Produktion von Kohlenstoff um einen Faktor zwischen 30 und 1 000. Noch detailliertere Rechnungen über das Schicksal von Sternen bei einer Änderung dieser Naturkonstanten wurden in letzter Zeit von Heinz Oberhummer, Attila Csótó und Helmut Schlattl durchgeführt.16 Die Ergebnisse des Forscherteams sind in Abbildung 8.6 dargestellt.
Vorkommen von Kohlenstoff bzw. Sauerstoff im Vergleich zu den aktuellen Werten
Veränderung der starken Kernkraft in Prozent 0,2 0 –0,2
10
Sauerstoff 1 0,1
Ko
h le
n sto
ff
–2 0 2 Veränderung der elektromagnetischen Kraft in Prozent
A b b ild u n g 8 .6 Produktion von Kohlenstoff und Sauerstoff in Sternen bei Veränderung der Kopplungskonstanten, die die elektromagnetische und die starke Kraft bestimmen.
Wie man sieht, ändert sich die Produktion von Kohlenstoff und Sauerstoff systematisch, wenn man an der Feineinstellung der Naturkonstanten dreht, die für die Resonanzniveaus verantwortlich sind. Je nach
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Änderung ihrer Werte erhält man einmal große Mengen von Kohlenstoff, das andere Mal große Mengen von Sauerstoff – aber nie beides. Hoyle war von der ›passenden‹ Lage des Resonanzniveaus beim Kohlenstoff und dem Zusammenhang mit den Kopplungskonstanten sehr beeindruckt. Er schrieb über die astrophysikalischen Ursprünge der Elemente zusammenfassend: Ich denke aber, dass man ein Minimum an Neugier bezüglich dieser seltsamen dimensionslosen Zahlen aufbringen sollte, die in der Physik auftauchen und von denen letztlich die genaue Lage der Energieniveaus in Kernen wie C12 und O16 abhängen muss. Sind diese Zahlen so unveränderlich wie die Atome für den Physiker des 19. Jahrhunderts? Ist eine in sich konsistente Physik mit anderen Werten dieser Zahlen vorstellbar?17
Hoyle sah zwei Möglichkeiten: Entweder muss man zeigen, dass die Naturkonstanten ihre derzeitigen Werte notwendigerweise haben, damit die Physik ihre innere Logik behält – oder man muss den Standpunkt einnehmen, dass einige (wenn nicht alle) der in Frage stehenden Zahlen Fluktuationen unterliegen. Anderswo im Universum können sie dann größer oder kleiner sein. Zunächst favorisierte Hoyle das Fluktuationsmodell, nach dem die Naturkonstanten (möglicherweise zufällig) örtlich variieren. Nur in bestimmten Gegenden des Universums wäre das Gleichgewicht zwischen der Feinstrukturkonstante und der Konstante der starken Kraft so fein austariert, dass die ›richtige‹ Menge an Sauerstoff und Kohlenstoff entstehen konnte. Wenn man dieser Vorstellung folgt, muss also die seltsame Lage der Energieniveaus von C12 und O16 nicht mehr als das Ergebnis erstaunlicher Zufälle erscheinen. Da Lebewesen wie wir von einem Gleichgewicht zwischen Kohlenstoff und Sauerstoff abhängen, könnte es einfach sein, dass wir nur in den Teilen des Universums leben können, wo sich diese Niveaus gerade an der richtigen Stelle befinden. Anderswo mag das Niveau beim O16 ein wenig höher liegen, sodass beim Hinzutreten eines weiteren α-Teilchens zum C12 Resonanz eintritt. An einem solchen Ort … könnten Lebewesen wie wir nicht existieren.18
In einem anderen Zusammenhang vertrat Hoyle aber durchaus auch eine deterministischere Deutung des Auftretens passender Resonanzniveaus. Er nahm sie als Anzeichen für die Existenz einer Blaupause des Universums, in der Leben vorgesehen war:
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Ich glaube, dass jeder Naturwissenschaftler, der das Beweismaterial untersucht, zu dem Schluss kommt, dass die Gesetze der Kernphysik ganz bewusst im Hinblick auf die Konsequenzen entworfen wurden, die sie im Inneren der Sterne haben. Wenn dies so ist, erweisen sich die von mir genannten und auf den ersten Blick zufälligen Launen der Natur als Teil eines tieferen Plans. Wenn nicht, sind wir wieder bei einer monströsen Aneinanderreihung von Zufällen gelandet.19
Hoyles Erfolg bei der Voraussage des Resonanzniveaus von Kohlenstoff ließ das Interesse an der alten Vorstellung vom Universum als einem Uhrwerk, wie sie die Naturtheologen des 18. und 19. Jahrhunderts vertraten, wieder aufleben – jetzt mit einer neuen Wendung. Seit uralten Zeiten wurden Gottesbeweise (oder Beweise für Götter) aufgrund der Tatsache gewonnen, dass die Lebewesen wie maßgeschneidert erscheinen. Die Tiere haben die richtige Tarnung, unsere Körperteile sind so genial entworfen, dass sie uns (zumindest die meisten von uns) beweglich machen und uns einen scharfen Blick und ein gutes Gehör verschaffen.20 Die Bewegungen in unserem Planetensystem scheinen auf wunderbare Weise ineinander zu greifen und dafür zu sorgen, dass das irdische Klima für dauerhaftes Leben günstig bleibt. Es gibt eine große Anzahl offenkundiger Koinzidenzen in der Natur, und in vergangenen Zeiten waren viele Philosophen, Theologen und Naturwissenschaftler überzeugt, dass sich keine von ihnen bloßen Zufällen verdankt. Man glaubte, dass das Universum auf ein Ziel hin entworfen wurde, ein Ziel, zu dem auch die Existenz von Leben und vielleicht auch unsere Existenz gehört. Weil so offenkundig erschien, dass es einen Entwurf des Universums gab, musste es auch einen Schöpfer geben, der für dessen Ausführung verantwortlich war.21 Wie die Dinge lagen, war es sehr schwer, diese alten ›Beweise‹ durch wissenschaftliche Fakten zu widerlegen. Vor allem Nicht-Wissenschaftler ließen sich weiterhin von ihnen überzeugen: Es gibt schließlich in der Tat überall in der Natur bemerkenswerte Anpassungen von Lebewesen an ihre Umwelt. Es war daher leichter, den alten Glauben – auch den Glauben an einen Schöpfer – durch logische oder philosophische Argumente als durch handfeste ›Sachbeweise‹ zu erschüttern. Naturwissenschaftler waren dagegen zu überzeugen, wenn jemand eine ›bessere‹ Erklärung der Komplexität der Natur
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und der ihr innewohnenden Ordnung vorweisen konnte. Eine solche ›bessere‹ Erklärung stellte die Evolutionstheorie mit ihrer natürlichen Auslese dar, die zeigte, wie sich Lebewesen im Lauf der Zeit an ihre Umwelt mit ihrer Vielfalt von Bedingungen anpassen können – solange sich die Bedingungen nicht zu schnell ändern. Nach dieser Vorstellung konnten sich aus einfachen Zusammenhängen komplexe entwickeln, ohne dass es eines göttlichen Eingriffs bedurft hätte. Das Schöpfungs-Argument zielt auf die Beziehungen ab, die zwischen verschiedenen Realisierungen22 der Naturgesetze bestehen. Diese Beziehungen werden nicht nur von der Form dieser Gesetze bestimmt, sondern auch von der Größe der Naturkonstanten, den Anfangsbedingungen und allen möglichen anderen statistischen Zufällen.23 Im späten 17. Jahrhundert hat Isaac Newton die Gesetze der Bewegung, Schwerkraft und Optik entdeckt. Sie erlauben uns zu verstehen, wie die unbelebte Welt um uns herum funktioniert und beschreiben – bemerkenswert genau – die Bewegungen der Himmelskörper. Newtons Erkenntnisse wurden von Naturtheologen und religiösen Eiferern aufgegriffen. Sie sahen in ihnen den Ansatzpunkt für einen neuen Gottesbeweis, der nun nicht auf den Realisierungen der Naturgesetze gegründet war, sondern auf deren Form und die offenkundige Weisheit, die sich in ihrer mathematischen Eleganz und Effektivität ausdrückt. Typisch für eine solche Argumentation war es, zu betonen, wie optimal das berühmte Gesetz, nach dem die Schwerkraft umgekehrt proportional zum Quadrat der Entfernung abnimmt, für die Existenz eines Sonnensystems sei. Stünde in dem Gesetz statt des Quadrats die dritte oder eine andere Potenz, gäbe es für die Planeten keine stabilen Umlaufbahnen. Wie wir im nächsten Kapitel im Zusammenhang mit den Arbeiten Paul Ehrenfests sehen werden, würden alle Planeten in einer Spiralbahn in die Sonne stürzen oder in die unendlichen Weiten des Alls entkommen. Der neue Gottesbeweis unterschied sich völlig von dem zuvor genannten, der sich auf die zufälligen Realisierungen und Anpassungserfolge stützte. Dass das Universum so weitgehend und präzise durch einfache mathematische Gesetze beschrieben werden kann, sollte ein Zeichen für seine tiefe Ordnungsgrundlage sein. Natürlich musste dann hinter der Ordnung auch ein ›Ordner‹ stehen.
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Die Bedeutung des neuen Gottesbeweises aufgrund der Form der Gesetze (statt aufgrund deren Realisierungen) wird an der Entdeckung deutlich, dass sich Lebewesen durch natürliche Selektion entwickeln. Natürliche Auslese verändert weder das Bewegungsgesetz noch die Kräfte, die in der Natur wirken, und – wie Maxwell gern betonte – auch nicht die Eigenschaften der Atome und Moleküle. Mit unseren heutigen Kenntnissen könnten wir einen Gottesbeweis auch auf die jeweilige Größe der Naturkonstanten stützen. Es ist ein bestimmtes Ensemble von Größen, das unser Universum von anderen unterscheidet und die Resonanzniveaus der Sauerstoff- und Kohlenstoffatome festlegt. Die Naturgesetze könnten ihre Form auch bei geänderten Naturkonstanten beibehalten: Die Ergebnisse wären aber völlig anders. Dass wir in Naturgesetzen mit den Werten der Konstanten spielen, mag auch nur Folge unserer Unwissenheit sein. Viele Physiker glauben wie Eddington, es werde sich letztlich zeigen, dass die Naturkonstanten zwangsläufig bestimmte Werte haben müssen. Schließlich würden wir eine Theorie finden, mit der wir sie als Kombinationen dimensionsloser Zahlen berechnen können. Wie wir noch sehen werden, wird es jedoch immer klarer, dass nicht alle Naturkonstanten auf diese Weise bestimmt werden können. Genauer: Ihre Größe wird einen merklichen statistischen Aspekt haben. Man könnte dann also nicht die Größe einer Naturkonstante bestimmen, sondern nur eine Wahrscheinlichkeitsverteilung möglicher Größen angeben. Zweifellos wird es eine wahrscheinlichste Größe geben, aber es könnte sein, dass wir im Hier und Jetzt eine andere beobachten – und sei es nur, weil die wahrscheinlichste Größe ein Universum kennzeichnen würde, in dem es keine Beobachter geben könnte.
Brandon Carters Prinzipien Die allgemeine Bedeutung des Ansatzes von Dicke, der sich auf die großen Zahlen in der Kosmologie bezog, erkannte als Erster der Astrophysiker Brandon Carter, der damals in Cambridge arbeitete und heute in Meudon bei Paris forscht. Carter hatte in Bondis Cosmo-
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logy24 viel über die Koinzidenzen der großen Zahlen erfahren, war aber nicht dem Zauber der Steady-State-Theorie erlegen, die den Mittelpunkt der Darstellung Bondis ausmacht. Bondi schloss aus der Tatsache immer gleicher Naturgesetze, dass auch alle anderen EigenIch fühle mich nicht als Fremdling in diesem Universum. Je länger ich das Unischaften des Universums ›im Großen versum beobachte und die Einzelheiten und Ganzen‹ in Raum und Zeit gleich seines Aufbaus studiere, desto mehr Ansein müssen.25 Auf genau dieser Grundzeichen finde ich, dass das Universum lage basiert die Steady-State-Theorie. um unser Kommen gewusst haben muss. Bondi gestand ein, dass er den RechFreeman J. Dyson26 nungen in Eddingtons ›fundamentaler‹ Theorie nicht hatte folgen können, mit der er die großen Zahlen erklären wollte. Diracs Ansatz mit einer zeitlich variablen Gravitationskonstante kritisierte er unverblümt, erkannte er doch in ihm eine weitere Absage an das Steady-StatePrinzip. Diracs Argumentation stellt gegenüber den Grundannahmen der Steady-State-Theorie eine Gegenposition dar, indem sie davon ausgeht, dass sich nicht nur das Universum ändert, sondern mit ihm auch die Konstanten der Atomphysik. Wenn man an die Unbegrenztheit der Variationen denkt, die in einem veränderlichen Universum vorstellbar sind, scheint dies allerdings in gewisser Weise fast die Argumente für die Steady-State-Theorie zu stützen.27
Carter bezog Dickes Ansatz, nach dem die Koinzidenzen der großen Zahlen unvermeidlich sind, mit ein und erkannte, wie wichtig es war, Grenzen der philosophischen Erwägungen über die Uniformität des Universums aufzuzeigen. Seit Kopernikus verkündet hatte, dass die Erde nicht im Zentrum der bekannten astronomischen Welt steht, haben Astronomen mit dem Begriff ›Kopernikanisches Prinzip‹ unterstrichen, dass wir keine besondere Stellung im Universum einnehmen. Einstein hat das vorausgesetzt, als er zur mathematischen Beschreibung des Universums nach Lösungen seiner Gleichungen suchte, die sicherstellten, dass überall im Universum gleiche Bedingungen – Dichte, Expansionsrate und Temperatur – herrschen. Die Vertreter eines Steady-State-Universums gingen noch einen Schritt weiter, als sie nach Universen Ausschau hielten, die auch zu jeder Zeit der kosmischen Geschichte homogen waren. Natürlich ist das reale
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Universum nicht überall exakt homogen, aber es scheint es zumindest in guter Näherung zu sein – mit Abweichungen, die kleiner als 1 : 100 000 sind, wenn man nur über genügend große Bereiche des Raums mittelt. Carter verwarf den allzu inflationären Gebrauch des Kopernikanischen Prinzips, indem er klare Einschränkungen machte, wo und wann es im Universum Beobachter geben kann – und damit besondere Bereiche: Kopernikus hat uns die heilsame Lektion erteilt, dass wir nicht ohne weiteres annehmen dürfen, in einer privilegierten zentralen Position im Universum zu leben. Unglücklicherweise gab es eine starke (nicht immer unabsichtliche) Tendenz, diese Aussage zu dem fragwürdigen Dogma zu erheben, dass unsere Situation in keiner Weise privilegiert ist.28
Carters Kritik des Kopernikanischen Prinzips erhielt besonderes Gewicht durch die Tatsache, dass er sie auf einem internationalen astronomischen Symposium in Krakau zum 500. Geburtstag von Kopernikus vortrug. Dicke hatte gezeigt, dass es einen guten Grund dafür gibt, die Entstehung von Leben einige Milliarden Jahre nach dem Expansionsbeginn eines Big-Bang-Universums anzusetzen. Daraus folgt, dass es für die dabei entstehenden Beobachter unvermeidlich ist, Koinzidenzen großer Zahlen wahrzunehmen. Dies nennt man nach Carter ›schwaches‹ oder ›weiches‹ Anthropisches Prinzip: Was wir an Beobachtungen erwarten können, ist durch die Bedingungen eingeschränkt, die für unsere Existenz als Beobachter notwendig sind.29
Carter hat später bedauert, den Begriff ›Anthropisches Prinzip‹ eingeführt zu haben: Das Adjektiv ›anthropisch‹ gab Anlass zu reichlich Konfusion, da in ihm etwas steckt, was auf den Homo sapiens verweist. Das war aber nicht so gewollt, denn das Prinzip gilt für alle Arten von Beobachtern, gleichgültig welche Gestalt oder Biochemie sie haben. Wenn allerdings ihre Biochemie nicht auf den Elementen aufbaut, die in den Sternen erzeugt wurden, wären die besonderen »Bedingungen« des Universums, die für ihre »Existenz als Beobachter notwendig sind«, andere als die für uns Menschen geltenden. Das Prinzip ändert sich aber nicht grundsätzlich, wenn Leben beispiels-
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weise auf einer Siliziumphysik oder -chemie beruhte. Alle Elemente, die schwerer sind als die Edelgase Wasserstoff, Deuterium und Helium entstehen wie der Kohlenstoff in Sternen, und es sind Milliarden von Jahren nötig, um sie zu erzeugen und zu verteilen. Carter sprach später lieber von einem ›selektiven‹ oder ›auto-selektiven‹ Prinzip, um zu betonen, wie durch die notwendigen Bedingungen für die Existenz von Beobachtern aus allen denkbaren Universen diejenigen ausgewählt werden, in denen diese Existenz möglich ist. Man sollte sich stets der Tatsache bewusst sein, dass allein schon die Eigenschaft, ein Beobachter in einem Universum zu sein, die Arten der überhaupt beobachtbaren Universen einschränkt. Andernfalls könnte man darauf verfallen, unnötig großes Geschütz aufzufahren und beispielsweise Änderungen an den physikalischen Gesetzen vorzunehmen, um die ungewöhnlichen Eigenschaften des real existierenden Universums erklären zu können. Typische Beispiele dafür sind Gerald Whitrows Diskussion von Alter und Dichte des Universums30 und Robert Dickes Erklärung der großen Zahlen. Wie wir schon wissen wurde Carter zu seinen Überlegungen durch Bondis Buch angeregt. Dickes Arbeiten von 1957 und 1961, in denen er die Bedeutung der Tatsache heraushob, dass wir notwendigerweise das Universum in einem Zeitraum beobachten, in dem der zuständige Stern Wasserstoff verbrennt, kannte Carter nicht. Diracs Einführung einer variablen Konstante zur Erklärung der Koinzidenzen hielt Carter für unnötig: Es war für ihn ein völliger Irrweg, diese Koinzidenzen zum Anlass zu nehmen, sich radikal von der Standardtheorie abzuwenden. Als ich zum ersten Mal Diracs Fehler erkannte, nahm ich einfach an, dass er sich einem Versehen verdankt, das leicht mit dem noch rudimentären Verständnis der Sternentwicklung in jenen Pionierjahren nach 1930 erklärt werden konnte. Ich dachte auch, dass Dirac das Versehen längst bemerkt und behoben hätte. Mein Motiv, mich mit etwas, was – wie ich dachte – so offenkundig ist wie das Anthropische Prinzip, zu beschäftigen und es explizit zu formulieren, verdankt sich zum Teil meiner späteren Erkenntnis, dass derart triviale Fehler wie der Diracs nicht nur auf zufällige Versehen oder den Mangel an Information zurückgehen, sondern auch in einer tief sitzenden emotionalen Fehlanlage verwurzelt sind. Sie ist mit der zu vergleichen, die für den frühen Widerstand gegen die Ideen Darwins verantwortlich war, als man sie im 19. Jahrhundert unter der Parole ›Affen oder Engel‹ diskutierte. Mir wurde das
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im Fall von Dirac31 klar, als ich merkte, wie er nach 1961 auf die ›anthropische‹ Argumentationslinie reagierte. … Seine Reaktion lief darauf hinaus, die Beweisführung völlig abzulehnen, die zu Dickes Schlüssen führt und die meiner Ansicht nach unwiderlegbar ist, dass es nämlich keine statistischen Belege zur Unterstützung der Diracschen Kosmologie gibt. Die Begründung, die Dirac angibt, ist im Rahmen einer modernen wissenschaftlichen Diskussion ziemlich erstaunlich: Nach einem unbegründeten (und auf den ersten Blick unplausiblen) Anspruch auf die Richtigkeit seiner eigenen Theorie, dass das Leben nie enden würde, fasst er seine Argumente in der verblüffenden Behauptung zusammen, wenn man zwischen seiner eigenen und der üblichen Theorie wählen müsse, solle man diejenige vorziehen, die ewiges Leben verspricht. Was mich hier erstaunt hat, war natürlich, dass man ein solches Argument in einer Beweiskette überhaupt für relevant halten kann. … Diracs Irrtum ist uns eine Warnung und sollte uns motivieren, anthropische und andere mit ihm verwandte Prinzipien mit Sorgfalt zu formulieren.32
Das Schwache Anthropische Prinzip hilft uns zu verstehen, warum variable Größen gerade die Werte annehmen, die wir heute und in unserer unmittelbaren Umgebung messen. Es gibt aber auch Koinzidenzen zwischen einer Reihe von Größen, die man für echte Naturkonstanten hält. Diese Koinzidenzen können wir nicht aus der Tatsache erklären, dass wir gerade in einem einige Milliarden Jahre alten Universum leben, in dem Dichte und Temperatur relativ niedrig sind. Carters Erklärungsversuch war recht spekulativ: Wenn sich diese Naturkonstanten nicht ändern können und auf eindeutige Weise in die Gesamtstruktur des Universums einprogrammiert sind, gibt es vielleicht einen bisher unbekannten Grund, dass in einer bestimmten Entwicklungsphase des Universums Beobachter auftauchen. Carter nannte dies das ›Starke Anthropische Prinzip‹. Es besagt: Das Universum (und damit die fundamentalen Parameter, auf denen es beruht) muss so beschaffen sein, dass es in irgendeinem Stadium seiner Entwicklung die Existenz von Beobachtern erlaubt.
Eine solche Vermutung bedarf zu ihrer Untermauerung der Belege. Man kann sie in einer Anzahl ungewöhnlicher Koinzidenzen finden, die zwischen rein äußerlich nicht direkt miteinander verbundenen Naturkonstanten bestehen, die für unsere Existenz und die Existenz
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anderer Lebensformen von entscheidender Bedeutung sind. Typische Beispiele sind die Resonanzniveaus beim Kohlenstoff und Sauerstoff, die Hoyle angegeben hat. Es gibt noch viele andere: Schon geringe Änderungen der Stärke der verschiedenen Naturkräfte und der Masse der Elementarteilchen zerstören unzählige wohl ausgewogene Balanceakte, die Leben erst ermöglichen. (Es gäbe keinen Anlass, über ein Anthropisches Prinzip der starken Art nachzudenken, wenn die Bedingungen für Leben nur sehr wenig von den Naturkonstanten abhingen.) Wir werden später sehen, wie man über das Starke Anthropische Prinzip durchaus zu dem Schluss kommen kann, dass noch andere ›Universen‹ existieren, die über andere Eigenschaften (und Naturkonstanten) verfügen. Dann befänden wir uns in einem dieser vielen möglichen Universen – einem, in dem aber die Naturkonstanten und die kosmischen Bedingungen gerade so ausgefallen sind, dass beständiges Leben möglich ist.
Die Natur als Drahtseilakt Wir haben festgestellt, das die Größen der Naturkonstanten, die Leben ermöglichen, ziemlich zufällig ›gewählt‹ erscheinen. Stellen wir uns nun mögliche Welten vor, in denen die Wahl anders ausgefallen ist. Die Struktur der Atome und Moleküle wird fast völlig durch die zwei Zahlen bestimmt, die wir in Kapitel 5 kennengelernt haben: das Verhältnis der Masse von Elektron und Proton (β = mel/mpr ≈ 1/ 1 840) und die Feinstrukturkonstante (α ≈ 1/137). Wir wollen nun davon ausgehen, dass diese beiden Konstanten unabhängig voneinander andere Werte annehmen können und – der Einfachheit halber –, dass alle anderen Naturkonstanten und auch die Naturgesetze selbst unverändert bleiben. Was passiert in einer solchen Welt? Wenn wir die Folgen solcher Änderungen untersuchen, stellen wir sehr schnell fest, dass der Spielraum nur sehr klein ist. Erhöht man β zu sehr, gibt es keine geordneten Molekülstrukturen mehr. Nur ein kleines β garantiert, dass die Elektronen wohldefinierte Energieniveaus um einen Atomkern einnehmen und davon nicht zu sehr abweichen. Tun sie es, scheitern so fein abgestimmte Prozesse wie die
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DNS-Vervielfältigung. Der Wert von β spielt auch bei der Energieproduktion in den Sternen eine Rolle. Hier ist β mit α so verbunden, dass das Innere der Sterne heiß genug ist, um Kernreaktionen ablaufen zu lassen. Ist β größer als 0,005 α2, kann es keine Sterne geben. Wenn die modernen Eichtheorien auf der richtigen Spur sind, muss α in dem schmalen Bereich zwischen 1/180 und 1/85 liegen, da sonst die Protonen zerfallen, bevor sich Sterne bilden können. Die ›erlaubten‹ und ›verbotenen‹ Bereiche von α und β sind in Abbildung 8.7 abgesteckt. In der Abbildung ist mit einer gestrichelten Linie auch noch eine von Carter angegebene Bedingung eingezeichnet, die erfüllt sein muss, damit Sterne mit konvektiven Außenbereichen existieren können. Man nimmt an, dass es diese Bereiche geben muss, damit ein Planetensystem entstehen kann.
A b b ild u n g 8 .7 Korridor des Lebens in Abhängigkeit von α und β.33
Anstatt mit α und β können wir unser Spiel auch mit α und αs machen, der Kennzahl für die Größe der starken Kernkraft. Jetzt gilt, dass αs größer als 0,3 α1/2 sein muss, damit lebensnotwendige Ele-
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mente wie Kohlenstoff und damit eine organische Chemie existieren können – anderenfalls haben hochorganisierte Moleküle keinen Zusammenhalt. Vergrößert man αs um nur 4 Prozent, kann dies schon zu einem Desaster führen, da sich nun das Diproton oder He2, ein neues Heliumisotop mit einem Kern aus nur zwei Protonen, bilden kann, und sehr schnelle direkte Reaktionen der Form Proton + Proton = Diproton
erlaubt sind.34 Damit würden Sterne sehr schnell ihren WasserstoffTreibstoff verbrauchen und zu einer degenerierten Form oder einem Schwarzen Loch kollabieren. Wenn man andererseits αs um etwa 10 Prozent verringert, ist das Deuterium nicht mehr stabil, und der astrophysikalische Weg zu den biologisch interessanten Elementen wird blockiert. Auch im Bezug auf α und αs finden wir wieder nur einen ziemlich engen Bereich, in dem die Parameter die richtige Größe haben, um chemisch komplexe Strukturen zu ermöglichen. Dieses Fenster des Lebens ist in Abbildung 8.8 dargestellt.
A b b ild u n g 8 .8 Korridor des Lebens in Abhängigkeit von α und αs.35
Das Anthropische Prinzip
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Je mehr man gleichzeitige Änderungen anderer Konstanten zulässt, umso eingeschränkter wird der Bereich, in dem Leben der uns bekannten Form existieren kann. Zudem ist es sehr wahrscheinlich, dass nicht alle denkbaren Variationen von Konstanten voneinander unabhängig sind. Vielmehr wird eine kleine Änderung bei einer Konstanten vermutlich eine oder mehrere andere ebenfalls verändern. Das würde dazu führen, dass die Einschränkungen noch enger werden. Unsere Beispiele sollen lediglich als Hinweis verstanden werden, dass ›unsere‹ Werte der Naturkonstanten ziemlich lebensfreundlich sind. Würden sie sich nur wenig ändern, wäre die Welt tot und öde und würde interessanten komplexen Lebensformen keine Heimat mehr bieten. Dass die Dinge so liegen, war für Carter der erste Anlass, nach einer ›starken anthropischen‹ Erklärung für die Größe der Naturkonstanten zu suchen.
Andere anthropische Prinzipien Andere Wissenschaftler führten noch weitere spekulative anthropische Prinzipien an. John Wheeler aus Princeton, der den Begriff ›Schwarze Löcher‹ geprägt hat und wesentlich zu deren Erforschung beitragen konnte, schlug ein ›Partizipatorisches Anthropisches Prinzip‹ vor. Es bezieht sich nicht speziell auf die Naturkonstanten, sondern verdankt sich der Feinheit der Koinzidenzen, die Leben im Kosmos ermöglichen. Vielleicht, so fragt Wheeler, ist Leben in irgendeiner Weise für den Zusammenhalt des Universums wesentlich? Und hat unsere Existenz für die weit im All treibenden Galaxien und das Bestehen des Universums in ferner Vergangenheit, als es noch kein Leben gab, ganz sicher keine Konsequenzen? Die Tatsache, dass die Quantenrealität erst durch einen Beobachter ›wirklich‹ wird, führte Wheeler zu der Frage, ob nicht passend definierte ›Beobachter‹ notwendig sind, um das Universum entstehen zu lassen. Wheelers Argument ist allerdings schwer nachvollziehbar, da in der Quantentheorie der Begriff des Beobachters nicht scharf definiert ist. Ein Beobachter ist irgendetwas, das Informationen aufnimmt: Das könnte ebenso gut eine fotografische Platte sein wie ein Nachtwächter.
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Das 1 × 1 des Universums
Ein viertes, etwas anderes Anthropisches Prinzip haben Frank Tipler und ich vorgeschlagen. Es stellt nur eine Hypothese dar, über deren Richtigkeit mithilfe der physikalischen Gesetze und Beobachtungen des Zustands unseres Universums entschieden werden kann. Wir haben es das ›Finale Anthropische Prinzip‹36 (oder die ›letzte anthropische Vermutung‹) genannt. Es besagt, dass Leben, das im Universum einmal begonnen hat, nicht aussterben wird. Wenn wir Leben hinreichend großzügig definieren – Leben als Informationsverarbeitung (Denkvermögen) plus Informationsspeicherung (Gedächtnis) –, können wir untersuchen, ob das Prinzip stimmt.37 Wenn Leben ewig weiterbestehen soll, muss es irgendwann seine Grundlage ändern, denn die Astrophysik lehrt uns, dass in ferner Zukunft unsere Sonne eine Energiekrise erleiden wird, aus der es kein Zurück gibt. Sie wird sich ausdehnen und die Erde mitsamt dem übrigen inneren Sonnensystem verschlingen. Wir müssen zu diesem Zeitpunkt die Erde verlassen haben oder die Informationen, die zur Neuschöpfung des Menschen (wenn man ihn weiterhin so nennen will) nötig sind, irgendwohin ins All übertragen haben. Wenn wir uns in Gedanken Millionen von Jahre in die Zukunft wagen, können wir uns auch ausmalen, dass dann Leben existiert, das wir nach heutigen Maßstäben ›künstlich‹ nennen würden. Es könnte aus nichts als Prozessoren bestehen, die Informationen verarbeiten und für künftige Zwecke speichern können. Wie alle Lebensformen wären auch sie den Gesetzen der Evolution mit ihrer natürlichen Auslese unterworfen.38 Es ist sehr wahrscheinlich, dass diese ›Lebewesen‹ klein sein werden. Wir sehen ja heute schon einen Trend in der technischen Entwicklung, der zur Herstellung immer kleinerer Geräte geht, die immer weniger Energie verbrauchen und kaum noch Abfall liefern. Wenn wir dieser Logik folgen, werden hochentwickelte Lebensformen der Zukunft so klein sein, wie es die Physik erlaubt. Ganz nebenbei sei angemerkt, dass dies erklären könnte, warum es keine Anzeichen für extraterrestrisches Leben im Universum gibt. Wenn es – nach unseren Maßstäben – hochentwickelt ist, werden seine Vertreter höchstwahrscheinlich sehr klein sein, vielleicht sogar nur Molekülgröße haben. Sie würden von allen denkbaren Vorzügen profitieren können: Es gibt jede Menge Platz für riesige Populatio-
Das Anthropische Prinzip
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nen. Die Möglichkeiten machtvoller Quantencomputer können genutzt werden. Es wird nur wenig Rohmaterial verarbeitet und Reisen im All sind leicht zu bewerkstelligen. Und man kann vermeiden, von Zivilisationen aus schwerfälligen Zweibeinern entdeckt zu werden, die auf hellen Planeten leben und andauernd einen Salat aus Radiowellen ins All schicken. Die Frage ist nun, ob das Universum für immer und ewig die Verarbeitung von Information erlaubt. Selbst wenn man Informationsverarbeitung nicht mit Leben – wie immer es aussehen mag– gleichsetzen Ich möchte nicht mit meiner Arbeit will, wird sie sicher für seine Existenz unsterblich werden. Ich möchte unnötig sein. Damit haben wir schon fast sterblich werden, indem ich nicht sterbe. Ich möchte nicht in den Herzen meiner die Antwort auf unsere Frage. Glauben Landsleute weiterleben, sondern lieber in wir den jüngsten Beobachtungen, hat meinem Apartment. das Universum vor ein paar Milliarden Woody Allen40 Jahren begonnen, sich beschleunigt auszudehnen, und die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass die Expansion ewig weitergeht.39 Weder wird sich die Ausdehnung verlangsamen noch wird sich das Universum zusammenziehen und in einem Big-Crunch enden. In diesem Fall ewiger Ausdehnung kann nur eine endliche Zahl von Informations-Bits verarbeitet werden, und die Informationsverarbeitung wird irgendwann enden.41 Das ist eine schlechte Nachricht, denn durch die stark ansteigende Expansionsgeschwindigkeit wird die Informationsqualität äußerst schnell herabgesetzt.42 Noch schlimmer ist, dass die beschleunigte Ausdehnung so rapide verläuft: Es gibt daher für jede Art von Signalen, die von einer Zivilisation ausgeschickt werden, einen Horizont, hinter dem sie nicht wahrgenommen werden können. Das Universum zerfällt dadurch in Bereiche, die Kommunikation nur innerhalb ihrer Grenzen erlauben. Nun könnte es aber auch sein, dass sich die derzeit beobachteten Zeichen für eine Beschleunigung als falsch erweisen. Was dann? Das wahrscheinlichste Szenario ist, dass sich das Universum ohne Ende ausdehnt, die Expansionsrate dabei aber abnimmt. Dem Leben steht auch in diesem Fall ein harter Kampf um seine ewige Existenz bevor. Es ist darauf angewiesen, Temperatur-, Dichte- oder Expansionsunterschiede im Universum ausfindig zu machen, um verwertbare En-
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ergie zu gewinnen, indem es die Unterschiede ausgleicht. Verlässt es sich auf lokal existierende Energievorräte – erloschene Sterne, verdunstende Schwarze Löcher, zerfallende Elementarteilchen –, wird es schließlich vor einem Problem stehen, wie es bei allen ausgeschlachteten Kohlegruben unvermeidlich auftritt: Man benötigt mehr Energie zum Abbau, als man aus dem Brennstoff gewinnen kann. Die Lebewesen der fernen Zukunft werden begreifen, dass sie Energie sparen müssen – was heißt, dass das Leben auf kleinerer Flamme laufen muss. Sie können ihren Verbrauch an Energie drosseln, indem sie langen Winterschlaf halten, für nur kurze Zeit aufwachen, um Informationen zu verarbeiten und dann wieder in ihren inaktiven Zustand zurückfallen. Es gibt für diese Rip-van-Winkle-Existenz ein potenzielles Problem: Man braucht einen Wecker. Es muss irgendein physikalischer Prozess angekurbelt werden, der einen unüberhörbaren Weckruf garantiert, aber nicht so viel Energie kostet, dass der ganze Spareffekt des Winterschlafs aufgezehrt wird. Es ist nicht sicher, ob es auf diese Weise ewig weitergehen kann. Letztlich wird sich herausstellen, dass es zu teuer wird, Energiedifferenzen zur Verarbeitung von Informationen auszunutzen. Dann ist die Uhr des Lebens abgelaufen, und es muss zwangsläufig erlöschen. Wenn sich im Gegensatz zu diesem Szenario das Leben nicht auf die Ausbeutung lokaler Energiequellen beschränkt, sieht der Blick in die ferne Zukunft schon rosiger aus. Das Universum expandiert nicht in alle Richtungen gleich schnell, es gibt also kleine Geschwindigkeitsdifferenzen zwischen der einen und der anderen Richtung. Sie sind Gravitationswellen zuzuschreiben, die sich mit riesiger, ja vielleicht unendlich großer Wellenlänge durchs All bewegen. Die Herausforderung für die Superlebewesen der Zukunft besteht darin, diese möglicherweise unerschöpfliche Energiequelle anzuzapfen. Bemerkenswerterweise nimmt ihre Dichte und Ergiebigkeit bei der Expansion des Universums weit langsamer ab, als die aller anderen Formen von Materie. Es könnte ein Weg gefunden werden, die Temperaturdifferenzen auszubeuten, die auf die Strahlung zurückzuführen ist, die in Expansionsrichtung ausgesandt wird. Mit der Erschließung dieser Energiequelle könnte möglicherweise die Verarbeitung von Information sichergestellt werden. Nun kennen wir aber noch ein anderes Szenario, nach dem das Universum in einer fernen, aber zeitlich fest liegenden Zukunft in
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einem Big-Crunch in sich zusammenstürzt – auf den ersten Blick eine hoffnungslose Aussicht für alles Leben. Irgendwann wird sich das kollabierende Universum so weit zusammengezogen haben, dass die Sterne und Galaxien ineinander aufgehen. Die Temperatur wird so stark ansteigen, dass alle Moleküle und Atome zerfallen. Damit könnte das Leben wieder nur in einer abstrakten, von aller Körperlichkeit befreiten Form existieren – vielleicht ist es dann in das Geflecht von Raum und Zeit verwoben. Erstaunlicherweise ist aber das ewige Überleben nicht ausgeschlossen, solange nur die Zeit in angemessener Weise definiert ist. Wenn die wahre Zeit, nach der die Uhr des Universums tickt, erst durch die Expansion geschaffen wurde, könnte sie in der (nach unseren Uhren) endlichen Zeit, die noch bis zum Big-Crunch verbleibt, unendlich oft ticken. Die überlebenden Superwesen in einem Universum, das zur ewigen Expansion verdammt ist, haben noch einen letzten Trick in petto. 1949 konnte der Logiker Kurt Gödel seinen Freund und Kollegen Einstein in Princeton mit der Botschaft schockieren, dass nach dessen Gravitationstheorie Zeitreisen möglich sind.43 Er hatte als Lösung der Einsteinschen Gleichungen ein Universum gefunden, dessen Eigenschaften dies erlauben, das aber leider von dem unseren völlig verschieden ist: Es dreht sich mit hoher Geschwindigkeit und widerspricht fast allem, was uns vertraut ist. Vielleicht gibt es aber andere, etwas kompliziertere Lösungen, die unserem Universum in allen nötigen Aspekten gleichen und trotzdem Zeitreisen erlauben? Die Physiker haben große Anstrengungen unternommen, die Möglichkeit bestimmter Verzerrungen von Raum und Zeit zu untersuchen, wie sie für Zeitreisen eine Voraussetzung darstellen. Wenn es gelingt, Informationen in die Vergangenheit zu senden, eröffnet dies Strategien für hinreichend ätherische Formen von ›Leben‹, die über Informationsverarbeitung und -speicherung definiert sind und es erlauben, einer lebensfeindlichen Zukunft zu entkommen. Man sollte daher nicht alle Anstrengungen darauf verwenden, immer perfektere Methoden zur Entnahme von Energie aus einer Umgebung zu entsinnen, die immer mehr auf einen Gleichgewichtszustand zusteuert, in dem kein Leben mehr existieren kann. Es ist besser, rechtzeitig in eine Zeit zurückzureisen, in der die Umstände für Leben freundlicher waren. Man muss ja nicht einmal unbedingt selbst rei-
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sen: Es genügt schon, die Informationen zurückzuschicken, die für eine Wieder- oder Neugeburt nötig sind. Oft sind die Menschen über Paradoxa besorgt, die sich auf den ersten Blick aus einer Zeitreise in die Vergangenheit ergeben. Könnte man nicht sich selbst oder seine Eltern in frühester Kindheit umbringen und damit die eigene Existenz auslöschen? All diese Paradoxa sind ausgeschlossen! Sie tauchen nur auf, weil man entgegen der Theorie willkürlich etwas einfügt, was physikalisch und logisch unmöglich ist. Um das zu verstehen, müssen wir uns nur Raum und Zeit in der Weise vorzustellen, die uns Einstein gelehrt hat: als einfachen Block von Raumzeit, wie es in Abbildung 8.9 dargestellt ist.
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Nun wollen wir uns aus diesem Block entfernen und von außen beobachten, was in ihm passiert. Die Geschichte eines Menschen ist ein Weg durch den Raumzeitblock. Wenn er einen dieser Wege zurückgeht und damit eine geschlossene Kurve beschreibt, würden wir von einer Zeitreise reden. Die schon einmal durchlaufenen Wege liegen aber fest: Wenn wir sie zurückgehen, wird die Geschichte nicht verändert. Eine Zeitreise ermöglicht uns, an der Vergangenheit ›teilzuhaben‹, aber nicht, sie zu ändern. Es sind nur Zeitreisen auf den eingetretenen Pfaden möglich. Auf diesen geschlossenen Pfaden gibt es zwischen Vergangenheit und Zukunft keine wohldefinierte Grenze. Es ist wie mit Soldaten, die hintereinander in einer Linie marschieren. Bewegen sie sich auf geradem Weg in Richtung Feind, ist klar, wer vorangeht und wer die Nachhut bildet. Wenn sie sich aber imKreis bewegen, marschiert der erste hinter dem letzten her, und man kann nicht mehr von einer klaren Ordnung aus ›vor‹ und ›nach‹ reden (siehe Abbildung 8.10).
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Wenn es solche Zeitreisen in die Vergangenheit ermöglichen, dem thermodynamischen Tod des Universums zu entkommen, und wenn unser Universum auf ein solches Ende zusteuert, an dem alle Möglichkeiten zur Informationsverarbeitung ausradiert sind, könnte es vielleicht sein, dass bereits jetzt Superwesen aus der fernen Zukunft in unsere gegenwärtige gesegnete kosmische Umgebung zurückreisen. Man hat viele Einwände dagegen vorgebracht, dass solche Touristen aus der Zukunft bereits unter uns sind, sie sind aber ziemlich anthropozentrisch geprägt. Man hat argumentiert, dass die spektakulärsten Ereignisse in der Geschichte der Menschheit (der Tod des Sokrates, der Stall von Bethlehem …) eine große Schar Zeitreisender aus der Zukunft hätten anziehen müssen, dass man aber keinen der zu erwartenden Staus beobachtet hat. Es gibt aber eigentlich keinen Grund, warum Wesen, die dem Kälte- oder Hitzetod des Universums entkommen wollen, gerade uns besuchen und damit einen Massenandrang an kritischen Punkten unserer Geschichte verursachen sollten. Mein Lieblingsargument gegen Zeitreisen in die Vergangenheit hat mit der Finanzwelt zu tun.44 Es beruht darauf, dass die Zinssätze der Finanzmärkte nicht gleich Null sind. Weder Zeitreisende in die Zukunft noch in die Vergangenheit können ihre Lage ausnutzen und die Finanzmärkte zerstören. Könnten sie mit dem Wissen um künftige Kursbewegungen in der Vergangenheit investieren, müssten über kurz oder lang alle Zinsen und Profite gegen Null gehen. Aber auch hier ist es wieder leicht, das Argument zu widerlegen, Zeitreisen zur Vermeidung des Kältetods könne es nicht geben, weil wir nie auf Reisende treffen: Schließlich könnte der DAX zu den Dingen zählen, die sie am wenigsten interessieren.
Kapitel 9
»Es war einmal …«: Variable Konstanten und die Neufassung der Geschichte Zunächst einmal … muss man sich darüber klar werden, dass parallele Universen nicht parallel sind. Des weiteren sollte man sich darüber klar werden, dass sie strenggenommen auch keine Universen sind, aber darüber wird man sich besser noch nicht zu diesem Zeitpunkt klar, sondern etwas später, nachdem man sich darüber klargeworden ist, dass alles, worüber man sich bis dahin klargeworden ist, nicht stimmt. Douglas Adams1
Starre Welten contra flexible Welten Was kann man mit dem Starken Anthropischen Prinzip anfangen? Ist es mehr als nur die neue Verpackung der Aussage, dass unsere komplexe Form von Leben auf kleine Änderungen der Naturkonstanten sehr empfindlich reagiert? Und was sind diese ›Änderungen‹? Was sind diese ›anderen Welten‹ ohne Leben, in denen die Konstanten größer oder kleiner sind? Es erscheint uns plausibel, dass es in einem Universum eine und nur eine Möglichkeit für die Naturkonstanten und -gesetze gibt. Es ist äußerst schwierig, ein funktionierendes Universum zu schaffen, und je komplizierter es ist, umso mehr Bestandteile müssen perfekt zusammenpassen. Nach dieser Vorstellung sind die Naturkonstanten Teil eines Puzzles, das auf nur eine Weise aufgeht, die von der einen und einzig wahren Naturtheorie vollständig vorgegeben wird. Falls diese Vorstellung richtig ist, wäre es so sinnlos, über hypothetische Universen mit anderen Naturkonstanten nachzudenken, wie über eckige Kreise. Es könnte dann keine anderen Welten geben.2 Die Tatsache, dass das eine und einzig mögliche Universum gerade so beschaffen ist, dass in ihm Leben entstehen konnte, wäre nichts als eine nackte Tatsache, wenn auch eine, über die wir uns sehr freuen.3
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Mit dieser Vorstellung einer fest gefügten Welt im Kopf können wir unmöglich von Naturkonstanten reden, deren Werte vielleicht zufällig sind. Wir können nur zusehen, wie die Forscher die Werte der Konstanten mit immer mehr Dezimalstellen nach dem Komma bestimmen und dann überprüfen, ob die Ergebnisse der Theorie entsprechen. In einer fest gefügten Welt Morgen werde ich sieben Adler sehen, ein gibt es keinen Platz für Dinge, die angroßer Komet wird auftauchen, und ders als die gerade vorhandenen sind. Stimmen werden aus Wirbelwinden töZu den vorhandenen Gesetzen und nen und schreckliche, monströse Dinge Kräften gibt es so wenig Alternativen vorhersagen. – Dieses Universum hat nie wie zu den Naturkonstanten.5 einen Sinn ergeben: vermutlich wurde es im Regierungsauftrag geschaffen. Im Gegensatz dazu bietet eine fle4 xible Welt eine Vielzahl von VariationsRobert A. Heinlein möglichkeiten. Wenn es ›andere‹ Universen gibt (oder geben kann), wenn einige der Naturkonstanten durch die endgültige Theorie nicht streng festgelegt werden oder wenn unser eigenes Universum jenseits des Horizonts völlig andere Strukturen aufweist, ist die Bedeutung des Starken Anthropischen Prinzips völlig klar. Nehmen wir an, es gibt Universen, in denen die Naturkonstanten über einen weiten Bereich variieren. Wir können dann unser Ensemble von Konstanten mit einer Vielzahl anderer vergleichen. Etwas derartiges hatte Carter vor, als er das Starke Anthropische Prinzip in eine bloße Variante des schwachen verwandeln wollte. Wenn nämlich viele (oder sogar alle) möglichen Universen in einem gewissen Sinn auch ›existieren‹, wird es unter der Vielzahl möglicher Ensembles von Naturkonstanten auch solche geben, die Beobachter erlauben. Es ist trivial, dass wir in einem dieser Universen leben, so außergewöhnlich seine Eigenschaften auch sein mögen, wenn wir sie mit der Gesamtheit aller Möglichkeiten vergleichen. Carter machte den folgenden Vorschlag: Wenn es keine triftigeren physikalischen Argumente gibt, ist es als letzte Zuflucht natürlich immer philosophisch möglich, aus einer Vorhersage, die auf das Starke Anthropische Prinzip gegründet ist, eine Erklärung zu machen, indem man von einem ›Ensemble‹ von Welten ausgeht, die durch alle denkbaren Kombinationen von Anfangsbedingungen und Grundkonstanten charakterisiert sind. … Die Existenz irgendwelcher Organismen, die man als Beobachter
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bezeichnen könnte, ist nur für ganz bestimmte, eingeschränkte Kombinationen der Parameter möglich. Eine Vorhersage auf Grundlage des Starken Anthropischen Prinzips kann man als Demonstration der Tatsache betrachten, dass das jeweils herangezogene Merkmal allen Mitgliedern der beobachtbaren Untergruppe eigen ist.6
Die Vorstellung, dass es noch andere Universen gibt, ist nicht neu. Über sie wurde schon im 18. und 19. Jahrhundert im Zusammenhang mit der Debatte spekuliert, ob anderswo im All mit Leben zu rechnen ist. Es setzte eine breite Diskussion vor einem Hintergrund ein, der sehr dem Starken Anthropischen Prinzip ähnelte. Man wusste schon lange, welche Umstände lebensfördernd sind und wie die Form der Gravitations- und Bewegungsgesetze, die Gestalt der Erde und des Sonnensystems und die Biologie des Menschen zusammenspielen. Nach Ansicht der Naturtheologen verrieten diese Bedingungen, dass der Struktur des Universums ein göttlicher Sinn zugrunde liegt. Andere – allen voran Leibniz – argumentierten, dass wir in der besten aller möglichen Welten leben, eine Ansicht, die Voltaire in seinem Candide gnadenlos parodierte. Die Lage änderte sich, als Pierre Louis Maupertuis mit beträchtlicher Unterstützung durch den Schweizer Mathematiker Leonhard Euler zeigte, dass die bekannten Newtonschen Bewegungsgesetze aus einem neuen mathematischen Prinzip abgeleitet werden können. Nach diesem Prinzip können Bewegungen zwischen zwei Punkten zunächst alle denkbaren Wege nehmen. Wenn man nun für jeden Weg eine Größe bestimmt, die uns schon als ›Wirkung‹ begegnet ist, und gleichzeitig fordert, dass der Weg mit der kleinsten Wirkung eingeschlagen wird, führt dies gerade zu dem Weg, den die Newtonschen Gesetze voraussagen. Man fand schließlich heraus, dass alle physikalischen Gesetze aus ›Prinzipien der kleinsten Wirkung‹ der genannten Art abgeleitet werden können. Maupertuis kündigte stolz an, er könne die ›beste aller Welten‹ und deren Wesen bstimmen: Die ›beste‹ ist die mit der kleinsten Wirkung, und die anderen schlechteren Welten sind diejenigen, in denen die Bewegung nicht dem Idealweg folgt. Im 19. Jahrhundert gab es sogar den Versuch, Fossilien als Überbleibsel jener missratenen und gescheiterten Welten zu erklären, in denen es nicht auf die kleinste Wirkung ankam. Bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts machte es die offenkundige Leere des Universums leicht, über
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andere Welten zu spekulieren, die von Naturgesetzen regiert werden, die sich von unseren unterscheiden. Wallace schrieb 1903: Keine zwei Sterne, keine zwei Sternhaufen, keine zwei Nebel gleichen einander. Warum sollte es da nur andere Universen von ausschließlich derselben Materie, die denselben Gesetzen unterworfen wäre, geben? …Gewiss mag es andere Universen geben, und es gibt sie wahrscheinlich auch, die vielleicht aus anderen Arten von Materie bestehen und anderen Gesetzen unterworfen sind.7
Die moderne Physik basiert darauf, die Naturgesetze aus Minimalprinzipien abzuleiten. Dies ist der einfachste Weg, sie zu finden und erlaubt eine größere Verallgemeinerung und Vereinheitlichung der Gesetze. Max Born, einer der Pioniere der Quantenmechanik, sah voraus, dass die Suche nach einer ›Theorie für Alles‹ darauf hinauslaufen würde, den richtigen Weg mit der minimalen Wirkung im Raum aller Möglichkeiten zu finden: Wir sind noch immer weit davon entfernt, die … Universalformel zu kennen, aber wir dürfen vermuten, dass, wenn wir sie finden, sie die Form eines Extremalprinzips haben wird, nicht weil die Natur selber einen besonderen Willen hat oder Zweck verfolgt oder besonders ökonomisch ist, sondern weil der Mechanismus unseres Denkens keinen anderen Weg kennt, um der komplizierten Struktur der Naturgesetze kurzen, präzisen Ausdruck zu verleihen.8
Heute, nachdem die Physiker diesem Weg ein weites Stück in Richtung auf immer tiefer gehende, universalere Theorien der Naturkräfte gefolgt sind, haben sie sich auch immer mehr dem Bild flexibler Welten genähert. Es scheint Naturkonstanten zu geben, die von einer umfassenden Theorie für Alles nicht gänzlich festgelegt werden. Einige tauchen in ihr auf, können aber Werte in einem weiten Bereich annehmen. Andere tauchen nicht explizit in dieser letzten aller Theorien auf, erscheinen aber in bestimmten Entwicklungsstadien des Universums als Folge eines Zufallsprozesses – ähnlich, wie eine sorgfältig ausbalancierte Nadel in eine bestimmte Richtung umfällt, obwohl ihr alle Richtungen offen stehen. Diese Konstanten nehmen Werte an, die zeigen, dass die Realisierungen der Naturgesetze nicht die gleiche perfekte Symmetrie besitzen müssen wie die Gesetze selbst: Sie sind weit komplizierter und willkürlicher.
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Eine der großen Fragen, mit denen die Physik heute konfrontiert ist, besteht darin, wie viele dieser Naturkonstanten von einer Theorie für Alles (wie der zurzeit favorisierten Superstring-Theorie, der MTheorie) eindeutig und vollständig beschrieben werden. Die Konstanten, die nicht auf diese Weise festgelegt sind, können alle denkbaren Werte annehmen, ohne die innere Logik der Theorie zu verletzen. Sie könnten kleiner oder größer sein, wenn bestimmte Ereignisfolgen, die zu ihrem Auftauchen in den Frühphasen des Universums geführt haben, anders verlaufen wären. Mit einer anthropischen Argumentation können wir einer Erklärung ihrer Werte noch am nächsten kommen. Es könnte sein, dass alle Werte dieser Konstanten gleich wahrscheinlich sind, uns kann es aber nur geben, wenn sie in das schmale Band fallen, das die Existenz von Beobachtern zulässt.
Inflationäre Universen Es gibt einige bemerkenswerte Eigenschaften des Universums, die entscheidend dafür sind, dass sich in ihm Leben entwickeln kann. Es handelt sich dabei nicht nur um die schon diskutierten Naturkonstanten wie die Feinstrukturkonstante oder die Masse des Elektrons, sondern auch um andere Größen, die beispielsweise angeben, wie ›klumpig‹ das Universum ist, wie schnell es sich ausdehnt und wie viel Materie und Strahlung es enthält. Natürlich würden die Kosmologen diese Größen gern erklären. Vielleicht werden sie eines Tages sogar zeigen können, dass sie vollständig durch Naturkonstanten wie die Feinstrukturkonstante bestimmt werden. Die genannten Eigenschaften des Universums, die durch astronomische ›Konstanten‹ (Abbildung 9.1) bestimmt werden, spielen für die Entwicklung biochemischer Komplexität eine Schlüsselrolle. Wir wollen nun zwei dieser Größen etwas genauer betrachten, da die Art und Weise, wie man ihre ungewöhnlichen Werte erklären kann, eine völlig neue Perspektive eröffnet. Eine Unmenge ›anderer‹ Welten erscheint dann möglich, auf die man das Anthropische Prinzip notwendigerweise und ganz selbstverständlich anwenden muss.
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Das 1 × 1 des Universums
Zahl der Photonen je Proton
• Verhältnis der Dichte dunkler und • • • •
heller Materie Anisotropie der Expansion Inhomogenität des Universums Kosmologische Konstante Abweichung der Expansion vom ›kritischen‹ Verlauf
A b b ild u n g 9 .1 Einige Schlüsselgrößen, die unser Universum definieren und es von anderen vorstellbaren Universen unterscheiden, in denen die gleichen Naturgesetze herrschen.
Wenn wir uns die Expansion des Universums genauer anschauen, stellen wir fest, dass sie dicht an einer ›kritischen‹ Grenzlinie verläuft. Sie trennt die ›offenen‹ Universen, die schnell genug expandieren, um den Sog der Gravitation zu überwinden und sich in alle Ewigkeit ausdehnen, von den so genannten ›geschlossenen‹. Bei diesen wird die Expansion irgendwann umschlagen und in einen allgemeinen Schrumpfungsprozess übergehen, der in einem bestimmten Moment der Zukunft als Katastrophe im Big-Crunch endet. Wir befinden uns so nah an dieser Grenzlinie, dass wir aus den Beobachtungen noch nicht sicher schließen können, wie es auf lange Sicht weitergeht. Diese extreme Nähe ›unserer‹ Expansionskurve zu der Grenzlinie ist ein großes Geheimnis: Es ist höchst unwahrscheinlich, dass es sich um bloßen Zufall handelt, und genau besehen ist es gar nicht so überraschend. Universen, die sich zu schnell ausdehnen, sind nicht in der Lage, Materie in Form von Galaxien und Sternen zusammenzuballen, daher können sich die Grundbausteine komplexen Lebens nicht bilden. Andererseits kollabieren Universen, die sich zu langsam ausdehnen, schon vor den Milliarden von Jahren, die nötig sind, damit sich Sterne bilden können. Nur Universen, deren Expansion nahe der kritischen Grenzlinie verläuft, können lang ge-
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nug leben und dehnen sich sanft genug aus, sodass Sterne und Planeten entstehen können. Es ist also kein Zufall, dass wir uns in einer Zeit wiederfinden, die Milliarden Jahre nach dem Big-Bang liegt, und nun Zeuge einer Phase einer Expansion sind, die nahe an der kritischen Grenze verläuft (siehe Abbildung 9.2).
Zeit A b b ild u n g 9 .2 Expansionsmöglichkeiten eines Universums.
Eine zweite charakteristische Eigenschaft unseres Universums ist seine Homogenität. Die Zusammenklumpung9 von Materie ist für eine Skala, die größer ist als die der Galaxien, sehr gering und beträgt im Mittel nur etwa 1 : 100 000. Das ist wichtig, denn wenn dieses Verhältnis weit größer wäre, würden die Galaxien sehr schnell zu dichten Materieklumpen degenerieren. Schwarze Löcher würden entstehen, lange bevor sich eine lebensunterstützende Umgebung bilden könnte. Und selbst wenn es doch zu Leben käme, wäre die Gravitation in den Galaxien stark genug, um die Bahnen von Planeten um einen Stern wie die Sonne zu stören. Wäre andererseits die Klumpigkeit weit geringer als beobachtet, würden die Inhomogenitäten der Materiedichte nicht ausreichen, um Galaxien und Sterne auszubilden. Auch in diesem Fall würden keine Grundsubstanzen für Leben entstehen, und das Universum bliebe wüst und leer.
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Seit 1980 gibt es eine kosmologische Theorie, die erklärt, warum das Universum ausgesprochen ›flach‹ ist, einen niedrigen (aber nicht zu niedrigen) Wert von Klumpigkeit aufweist und ungeheuer ausgedehnt ist.10 Die Theorie versucht die genannten Eigenschaften mit einer Reihe von Ereignissen zu erklären, die in jeder Art von Universum mit großer Wahrscheinlichkeit auftreten, gleichgültig auf welche Weise seine Expansion beginnt. Das Szenario für das ganz junge Universum schließt ein historisches Intermezzo ein, das ›Inflation‹ genannt wird und beträchtliche Folgen nach sich zieht. Nach der seit den 1920er Jahren vertrauten Vorstellung einer Expansion, die nach dem Big-Bang begann, nimmt die Expansionsrate im Lauf der Zeit ab. Gleichgültig, ob das Schicksal des Universums darin besteht, sich in alle Ewigkeit auszudehnen oder schließlich in einem Big-Crunch in sich zusammenzustürzen: Die Expansionsrate wird infolge der Gravitationswirkung der Materie ständig kleiner. Man hat immer angenommen, dass die Gravitation in allen Gebilden aus Materie und Energie anziehend wirkt. In den 1970er Jahren haben dann Elementarteilchenphysiker in ihren Theorien über das Verhalten von Materie bei hohen Temperaturen eine neue Form von Materie beschrieben, die so genannten ›skalaren Felder‹. Diese können untereinander von der Gravitation abgestoßen werden.11 Wenn diese Felder in einem Frühstadium unseres Universums den Hauptbeitrag zu dessen Dichte leisteten, wurde die Verlangsamung der Expansion von einem Beschleunigungsschub abgelöst. Nach der Theorie des inflationären Universums waren diese skalaren Felder, so sie denn existierten, unweigerlich gleich nach Beginn der Expansion die einflussreichsten Bestandteile des Universums. Ihr Einfluss dauerte zwar nicht lang, war aber doch entscheidend. Schon nach kürzester Zeit gingen sie dann im kosmischen Ozean der gewöhnlichen Materie und Strahlung auf, ohne Spuren zu hinterlassen (siehe Abbildung 9.3). Eine ›kurze inflationäre Phase‹ klingt harmlos, ist es aber nicht: Eine solche Periode mit beschleunigter Expansion würde eine Vielzahl unserer großen kosmologischen Probleme auf einen Schlag lösen. Zunächst wäre dann verständlich, warum sich das sichtbare Universum in einer Weise ausdehnt, die nahe der kritischen Grenzlinie zwischen offenen und geschlossenen Universen liegt. Die Tatsa-
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Größe
Inflationsphase
Zeit
A b b ild u n g 9 .3 Kurze inflationäre Phase mit beschleunigter Expansion in der Frühzeit des Universums
che, dass wir uns auch nach über 13 Milliarden Jahren noch so dicht an dieser Linie befinden, ist ziemlich erstaunlich, da schon die kleinste Abweichung mit der Zeit stetig anwachsen würde.12 Abbildung 9.2 zeigt deutlich, dass sich im Laufe der Zeit sowohl die offenen als auch die geschlossenen Universen immer weiter von der Grenzlinie entfernen. Die Ursache dafür ist wieder die anziehende Wirkung der Gravitation. In einer Phase, in der die Gravitation abstoßend wirkt und sich die Expansion beschleunigt, rückt dagegen die Expansion näher an die kritische Kurve. Wenn die Inflation lang genug gedauert hat13, könnte dies die überraschende Nähe der derzeitigen Expansion zur kritischen Linie erklären. Diese lebensfördernde Eigenschaft unseres Universums wäre damit von den besonderen Anfangsbedingungen beim Big-Bang losgelöst. Eine kurze Beschleunigungsphase hat auch den Nebeneffekt, dass jegliche Anisotropie bei der Expansion des Universums beseitigt wird und sie sehr schnell in jede Richtung mit der gleichen Rate erfolgt – so wie wir es heute beobachten. Damit wäre eine Erklärung für die äußerst symmetrische Expansion des Universums gefunden, die den Kosmologen immer als mysteriös und unwahrscheinlich er-
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schien. Schließlich gibt es so viel mehr Möglichkeiten für ungeordnete Zustände als für geordnete. Man würde eher ein asymmetrisches und ungeordnetes Universum erwarten, wenn man es dem Zufall folgend aus der Lostrommel zieht.14 Falls es diese Inflationsphase gegeben hat, ist das gesamte sichtbare Universum aus einem Gebiet entstanden, das weit kleiner ist, als eine nicht-inflationäre Big-Bang-Theorie mit ihrer ständig langsamer werdenden Expansion annimmt. Unser Universum ist dann nur das ausgedehnte Abbild eines kleinen Flecks, der einen Durchmesser von 10-25 cm hatte. Die Winzigkeit eines solchen inflationären Anfangs hat den hübschen Nebeneffekt, sowohl das hohe Maß an Isotropie zu erklären, die bei der Expansion des Universums herrscht, als auch die winzigen Anisotropien, die der COBE-Satellit15 der NASA beobachtet hat, und die man als die Saatkörner künftiger Galaxien und Sterncluster (siehe Abbildung 9.4) interpretieren kann.
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3x10–25cm
Expan sion
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heute sichtbares Universum
A b b ild u n g 9 .4 Expansion des Universums während einer inflationären Phase.
Wenn sich das Universum beschleunigt ausgedehnt hat (oder ausdehnt), kann sein gesamter sichtbarer Teil aus einem Gebiet entstanden sein, das klein genug war, um schon zu sehr frühen Zeiten von Lichtsignalen durchquert zu werden. Diese Signale haben dann dazu beigetragen, die Bedingungen in dieser Urzelle des Universums zu harmonisieren und jede Art von Inhomogenität schnell zu glätten. Im ›klassischen‹ nicht-inflationären Big-Bang-Universum war die Situation ganz an-
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ders. Die Urzelle wäre nach diesem Modell so groß gewesen, dass die Lichtstrahlen ihre glättende Wirkung nicht entfalten konnten. Es wäre ein tiefes Geheimnis geblieben, warum unser Universum in jede Richtung des Himmels so gut wie gleich aussieht: Beobachtungen haben gezeigt, dass die Abweichungen kleiner als 1 : 100 000 sind. Die winzige Region, aus der das sichtbare Universum entstanden ist, konnte unmöglich schon von allem Anbeginn so homogen gewesen sein. Die Quantelung der Materie und der Energie fordert, dass es auf jeden Fall ein bestimmtes kleines Maß an Fluktuationen gegeben haben muss. In einer Inflationsphase dehnen sich diese anfänglichen Fluktuationen aus und werden ›verschmiert‹, sodass sie sich über riesige astronomische Distanzen erstrecken, wo sie dann von einem Satelliten wie COBE identifiziert werden können.16 Diese Strukturen werden durch den 2001 gestarteten MAP-Satelliten17 noch genauer untersucht. Wenn es die Inflationsphase gegeben hat, müssen die Signale, die er empfängt, ganz bestimmte Strukturen aufweisen. Die COBE-Daten stimmen bisher gut mit den Prognosen überein, die wirklich entscheidenden Merkmale der beobachtbaren Signale werden aber erst dann deutlich, wenn man die Temperaturunterschiede räumlich weit besser auflöst, als dies mit COBE möglich war. Die neuen Beobachtungen durch MAP sollen durch die Planck Surveyor Mission der ESA im Jahr 200718 und parallele, immer präzisere Durchmusterungen kleinerer Flächen des Himmels von der Erde aus fortgeführt werden. Abbildung 9.5 zeigt die Verteilung der Fluktuationen in Abhängigkeit vom Raumwinkel, wie man sie aus einem Modell des Universums mit inflationärer Phase erhält. Die Modellprognose ist Messergebnissen gegenübergestellt, die mit dem Forschungsballon Boomerang19 nahe der Erdoberfläche gewonnen wurden. Durch die Satellitenbeobachtungen werden die experimentellen Fehlerbreiten kleiner als die Dicke der gezeichneten Kurve. Sie stellen damit einen unwiderlegbaren Test für bestimmte kosmologische Modelle einer inflationären Phase in der Frühzeit des Universums dar. Bemerkenswert ist dabei, dass uns diese Beobachtungen einen Einblick in Ereignisse erlauben, die stattfanden, als das Universum gerade 10-35 s alt war! Jenseits der Grenze des winzigen Flecks von 10-25 cm Durchmesser, aus dem das Universum entstand, lagen zahlreiche (vielleicht
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Das 1 × 1 des Universums
Temperaturfluktuation in µK
80 Modellrechnungen 60
40
20
0 1
1/3 1/4 Winkelbereich des Himmels in Grad
1/6
A b b ild u n g 9 .5 Fluktuationen in einem Universum mit inflationärer Phase in Abhängigkeit vom Winkelbereich nach Modellrechnungen (ausgezogene Kurve) und Messungen bei Satelliten- und Ballonexperimenten.
sogar unendlich viele) andere in sich verbundene Flecke. Auch diese durchlebten verschiedene inflationäre Phasen und wurden dabei zu weit aufgeblähten Regionen unseres Universums, die jenseits unseres Horizonts der Sichtbarkeit liegen – ein komplizierter Vorgang, der ›chaotische Inflation‹ genannt wird. Daraus können wir folgern, dass unser Universum eine höchst komplexe Topographie besitzt und die Bedingungen, die wir auf unserer Seite des Horizonts bis in 15 Milliarden Lichtjahren Entfernung vorfinden, nicht typisch für die Verhältnisse dahinter sind.20 Man hat es schon immer für denkbar gehalten, dass das Universum jenseits des Horizonts eine andere Struktur haben könnte. Bevor man jedoch über die Inflationsmodelle verfügte, war dies immer nur eine positivistische Variante, die oft von pessimistischen Philosophen ins Spiel gebracht wurde, aber nicht beweisbar war. Nun hat sich die Lage geändert: Das Modell eines chaotisch inflationären Universums liefert zum ersten Mal einen nachvollziehbaren Beweis
Variable Konstanten und die Neufassung der Geschichte
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dafür, dass das Universum hinter dem Horizont anders ist als vor ihm. Nach zwei sowjetischen Naturwissenschaftlern, Alex Vilenkin und Andre Linde, die einst in die USA emigrierten, ist die Situation vermutlich noch komplizierter. Wenn sich ein Gebiet inflationär ausdehnt, erzeugt es zwangsläufig in sich selbst die Bedingungen für zahlreiche weitere Inflationen, die in Untergebieten ihren Ausgangspunkt haben. Dieser Prozess kann bis in unendliche Zeiten weitergehen: Inflationär aufgeblähte Gebiete erzeugen Untergebiete, die sich aufblähen, diese erzeugen Unter-Untergebiete und so fort – bis in alle Ewigkeit. Man nennt ein solches Gebilde ein ›ewig‹ oder ›selbstreproduktives‹ inflationäres Universum (siehe Abbildung 9.6).21
Inflation Inflation Inflation
Inflation
A b b ild u n g 9 .6 Ewige, sich selbst reproduzierende Inflation.
Diese erweiterte Fassung des inflationären Modells liefert kein allzu detailliertes Bild des Universums. Dass sich das ewig expandierende Universum immer wieder selbst reproduziert, scheint der unvermeidliche Nebeneffekt der Empfindlichkeit zu sein, mit der die Entwicklung eines Universums auf die winzigen räumlichen Quantenfluktuationen der Dichte reagiert, die ganz zu Anfang vorhanden sind.
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Das 1 × 1 des Universums
Die auf Ewigkeit angelegte chaotisch-inflationäre Struktur unseres Universums liefert einen neuen Rahmen für anthropische Annahmen. In jeder der aufgeblähten Blasen jenseits unseres Horizonts und in jedem Zeitabschnitt herrschen andere Verhältnisse: Das Maß an Klumpigkeit und der Abstand von der kritischen Expansionskurve sind von Blase zu Blase verschieden. Die Blasen, die wie zufällig ausgewählte Exemplare aus einer ungeheuer großen Ansammlung von Universen wirken, sind streng genommen nicht wirklich Universen, sondern nur extrem ausgedehnte Bereiche, die aber immerhin größer als unser sichtbares Universum sind – Mini-Universen von gewaltiger Ausdehnung. Eine weitere Untersuchung dieses Szenarios zeigt, dass sich diese aufgeblähten Blasen noch in einigem mehr unterscheiden können: in der Zahl der Dimensionen und in den Naturgesetzen und -konstanten. Es gibt Blasen, in denen keinerlei komplexes Leben möglich ist, in anderen gibt es Leben wie das auf der Erde und in wieder anderen Leben, das sich vom irdischen völlig unterscheidet. In unserem möglicherweise unendlich ausgedehnten Universum existiert also eine ganze Kollektion anderer Welten, auf die man das Anthropische Prinzip anwenden muss. Für die Kosmologen bleibt die Aufgabe, die Wahrscheinlichkeiten herauszufinden, mit denen sich die unterschiedlichen Mini-Universen aus dieser komplexen inflationären Situation herausbilden. Sind Mini-Universen wie das unsere häufig oder selten? Hat ›Wahrscheinlichkeit‹ in dieser Situation eine eindeutige Bedeutung? Was müssen wir schließen, wenn lebensfördernde Universen äußerst selten sind? Wenn man die Vorhersagen der Theorie mit den Beobachtungen in unserem Mini-Universum vergleichen will, muss man auch wieder davon ausgehen, dass nur in einer Untergruppe aller möglichen Universen Beobachter existieren können. So unwahrscheinlich lebensfördernde Mini-Universen auch sein mögen: Wir leben in einem! Diese Überlegungen wirken sich auf die Interpretation jeder zukünftigen kosmologischen Quantentheorie aus, die Aussagen darüber machen will, welche Werte die Kräfte und Konstanten eines Universums ›höchst wahrscheinlich‹ annehmen werden. Es ist allerdings noch nicht klar, ob diese ›höchst wahrscheinlichen‹ Werte auch die sind, die wir beobachten. Da Beobachter in einem Univer-
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sum nur vorkommen können, wenn – beispielsweise – der Wert der Feinstrukturkonstante in einem schmalen erlaubten Bereich liegt, befinden wir uns selbst in diesem schmalen Bereich von Möglichkeiten, so unwahrscheinlich das auch sein mag. Wir müssen fragen, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass Konstanten bestimmte Werte annehmen, wenn andere Eigenschaften des Universums, etwa sein Alter, die notwendigen Voraussetzungen für Leben darstellen. Der Trend zur Vereinheitlichung der auf den ersten Blick unabhängigen Konstanten wird die anthropischen Einschränkungen verstärken. Wenn wir ›Theorien für Alles‹ untersuchen, müssen wir alle Einschränkungen kennen, die von den Strukturvarianten des Universums, den Werten seiner Naturkonstanten und der Zahl seiner Dimensionen einer möglichen Existenz von Beobachtern auferlegt werden.
Virtuelle Geschichte – ein kleiner Exkurs Das Anthropische Prinzip hat uns zu dem kleinen Gedankenexperiment verleitet, Naturkonstanten zu ändern. Dazu gibt es ein Gegenstück bei den Historikern. Wie wir noch aus unserer Schulzeit wissen, ist die Geschichtswissenschaft durch zwei Merkmale bestimmt: Sie muss versuchen, die ›Fakten‹ herauszufinden, also die Frage zu beantworten, was sich wann ereignet hat. In einem zweiten Schritt muss sie dann versuchen zu verstehen, warum bestimmte Ereignisketten entstanden – nach der Meinung einiger, damit sich die Fehler der Vergangenheit in Zukunft vermeiden ließen.22 Eine Gegenposition zu einer solchen Rekonstruktion der Vergangenheit stellt der Versuch einer ›kontrafaktischen‹ oder ›virtuellen‹ Geschichtsschreibung dar, die mit der Frage ›Was wäre gewesen, wenn …?‹ an die historischen Ereignisse herangeht. Die virtuelle Geschichte versucht darzustellen, was passiert wäre, wenn bestimmte Schlüsselereignisse in der Vergangenheit nicht stattgefunden hätten oder zumindest ein wenig anders verlaufen wären. Was hätte sich ereignet, wenn das Auto mit Erzherzog Franz Ferdinand am 28. Juni 1914 eine andere Straße gefahren wäre? Wenn
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Das 1 × 1 des Universums
Lincoln am 15. April 1865 in Washington nicht ins Theater gegangen wäre, um Our American Cousin zu sehen? Wenn die Stimmen Floridas für Gore und Bush Ende 2000 wirklich genau ausgezählt worden wären? Wenn Hitler den plötzlichen Kindstod gestorben wäre? Das klingt alles ein wenig nach einem netten Gesellschaftsspiel. Doch dieser Ansatz zieht erstaunlich heftige Kritik vieler Historiker auf sich, da er eine Art historischen Determinismus impliziert, den sie ablehnen. Bei näherer Betrachtung erkennt man, dass die Debatte um die virtuelle Geschichte und die um die anthropische Wirkung auf die Variabilität von Naturkonstanten in vielen Punkten erstaunliche Ähnlichkeiten aufweisen. Fragt man nach den Folgen geringer Änderungen der Naturkonstanten, muss man verschiedene Vergangenheiten unseres Universums konstruieren. Einige davon bergen die Überraschung in sich, weder uns noch irgendwelche andere fühlende Wesen zu enthalten. Die Kosmologen verfügen bislang über keine vollständige Theorie, die es erlaubt, all diese Änderungen in konsistenter Weise zu berücksichtigen. In der Regel gehen sie aber davon aus, dass für den Ablauf der Ereignisse die gleichen Gesetze gelten. Wenn auch die Änderungen der Naturkonstanten oder sogar der ›Anfangsbedingungen‹ des Universums rein spekulativ sind, kann man die daraus resultierenden Konsequenzen relativ problemlos berechnen. Das Ganze ähnelt einem automatisch ablaufenden Computerprogramm, das man mit unterschiedlichen Eingangsgrößen starten kann. Wenn man an der Weltgeschichte herumbastelt, muss man zwar keine Naturkonstanten ändern, die Vorhersage der Folgen ist aber in der Regel bei weitem zu kompliziert, als dass man den Ergebnissen Glauben schenken könnte – es sei denn, man betrachtet sie mit den Augen eines Romanschriftstellers. Historische Ereignisketten sind klassische Beispiele für komplexe Systeme. Sie sind äußerst empfindlich für kleinste Änderungen. Das macht es unmöglich, die Zukunft mit Sicherheit vorauszusagen – selbst wenn wir in der Lage wären, vollständig zu verstehen, was sich in der Vergangenheit ereignet hat. Diese zeitliche Asymmetrie ist für alle chaotischen Prozesse typisch, aber die Geschichte der Menschheit ist noch weit weniger vorhersagbar. Für chaotische Prozesse kann man in den meisten Fällen immerhin die statistischen Merk-
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male des zukünftigen Geschehens verlässlich berechnen. Bei historischen Ereignissen kommt noch hinzu, dass sie nicht nur praktisch, sondern auch prinzipiell unvorhersagbar sind: Die Beteiligten verfügen über einen freien Willen – oder bilden sich das zumindest ein. Die Wettervorhersage ist schwierig, da die meteorologischen Modelle empfindlich darauf reagieren, wie genau der Ausgangszustand angegeben werden kann. Aber immerhin hat die Vorhersage keinen Einfluss auf das zukünftige Wetter. Ökonomen und Soziologen, die eine Vorhersage wagen, sind weniger glücklich dran. Wenn der Wirtschaftsminister oder die ›Fünf Weisen‹ die neuesten Wachstumsprognosen verkünden oder ein Meinungsforschungsinstitut den Wahlausgang vorhersagt, werden dadurch die Ergebnisse in einer Weise verändert, die man aus logischen Gründen nicht in der ursprünglichen Vorhersage berücksichtigen konnte.23 Damit soll nicht gesagt werden, dass sich diese Ereignisse jeder Logik entziehen und prinzipiell völlig unvorhersagbar sind. Um aber bessere Trefferquoten zu erreichen, müsste man die Vorhersagen verheimlichen. Erfahren die Betroffenen die Prognose, können sie sich möglicherweise so verhalten, dass sie nicht mehr zutrifft. Viele Romane und Hollywoodfilme machen sich diesen virtuellen Geschichtsansatz zunutze. In dem Film It’s a Wonderful Life zeigt ein Engel dem selbstmordwilligen James Stewart, wie viel schlimmer alles geworden wäre, hätte er nicht gelebt.24 Ein beliebtes Motiv für Romane, die eine virtuelle Vergangenheit konstruieren, ist der Ausgang des Zweiten Weltkriegs. In Len Deightons Buch SS–GB25 wird England im Februar 1941 besiegt und von der SS regiert, die in Whitehall ihren Sitz hat. Churchill wird hingerichtet, König Georg VI. im Tower eingesperrt. Oft gehen in Science-Fiction-Filmen Zeitreisen Back to the Future26, oder sie spielen in Parallel-Universen, wo Neufassungen der Vergangenheit präsentiert und mit der wirklichen Geschichte konfrontiert werden. Diese Szenarien zehren von der naturwissenschaftlich durchaus denkbaren Vorstellung, dass alle irgendwie möglichen Geschichtsabläufe auch verwirklicht werden. Nimmt man in der Vergangenheit Veränderungen vor, so wird der Held – wie beispielsweise der Wanderer in Borges’ Garten der Pfade, die sich verzweigen – nur auf eine der vielen anderen historischen Schienen umgesetzt, die jene kreuzt, die er ansonsten benutzt hätte.
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Das 1 × 1 des Universums
Die vehemente Zurückweisung der virtuellen Geschichte durch viele Historiker ist bemerkenswert. Sie wird mit viel Leidenschaft, aber nicht immer überzeugend vorgetragen. Niall Ferguson zitiert den Philosophen Michael Oakshott als Gegner der virtuellen Geschichtsschreibung und führt dazu aus: Wenn sich die Historiker »im Sinne eines rein theoretischen Gedankenexperiments damit auseinander setzen, sowohl was hätte passiert sein können als auch was der historische Beweis zu glauben zwingt, das passiert ist«, bewegen sie sich nach Oakshotts Auffassung »außerhalb des Laufs der Geschichte«: »Es ist durchaus möglich, dass der Völkerapostel Paulus gefangen genommen und getötet werden konnte, während seine Freunde ihn bei seiner Flucht von der Stadtmauer Damaskus’ herunterließen, sodass die christliche Religion nie der Ausgangspunkt und Kern unserer Zivilisation hätte werden können. Und deshalb kann die Ausbreitung des Christentums kausal durchaus der Flucht des Paulus zugeschrieben werden. … Aber wenn Ereignisse auf eine solche Weise interpretiert und historisch instrumentalisiert werden, hören sie auf, geschichtliche Ereignisse zu sein. Die Folge einer solchen Vorgehensweise ist nicht nur eine minderwertige und zweifelhafte Geschichtsschreibung, sondern vielmehr ein völliges Ignorieren und Ablehnen von tatsächlich sich ereignender Geschichte. … Überhaupt entspricht die Unterscheidung … zwischen notwendigen und zufälligen Ereignissen ganz und gar nicht seriösem historischen Denken, sondern stellt geradezu einen fürchterlichen Anschlag auf die Wissenschaftlichkeit von Geschichtsschreibung dar.« Und Oakshott fährt fort: … »Der Historiker ist niemals dazu berufen, darüber zu grübeln, was sich unter modifizierten Bedingungen hätte ereignen und anders ergeben können.«27
Mit dem »fürchterlichen Anschlag auf die Wissenschaftlichkeit« ist der rigide Determinismus gemeint. Aber dieser Einspruch hat auch etwas Irritierendes, denn es gibt keinen Zweifel, dass die Geschichte eine deterministische Folge von Ereignissen darstellt. Allerdings ist die Komplexität dieser Ereignisketten so groß, dass jeder Versuch, alle Ursachen mit ihren Wirkungen zu verknüpfen, zur Hoffnungslosigkeit verdammt ist. Außerdem haben Wissenschaftler wie Oakshott auch berechtigte Bedenken, dass die virtuelle Geschichte uns dazu verführt, willkürlich einige Fakten herauszupicken und ihnen eine Schlüsselstellung zuzuweisen, während die anderen als bloße ›Zufälle‹ abgetan werden. Benedetto Croce hält genau aus diesem Grund die Konstruktion einer Geschichte gegen die Fakten für verhängnisvoll:
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»Historische Notwendigkeit muss als solche bestätigt und immer wieder erneut bestätigt werden, um das ›Konditionale‹ aus der Geschichte auszuklammern, das hier völlig fehl am Platze ist. … Nicht erlaubt ist … das unhistorische und vernunftwidrige ›Wenn‹. Solch ein ›Wenn‹ teilt völlig willkürlich den Gang der Geschichte in notwendige und zufällige Tatsachen auf … und die zweite Tatsache klammert man so mental aus, um festzustellen, wie sich die erste Tatsache unter ihrer eigenen Rahmenbedingung und den damit verbundenen Umständen entwickelt hätte, wenn sie nicht durch die zweite beeinträchtigt bzw. beeinflusst worden wäre. Das ist eine Art Spiel, dem sich ein jeder von uns in Momenten der Zerstreuung oder des Müßiggangs hingibt, wenn wir darüber nachdenken, wie unser Lebensweg hätte verlaufen können, wenn wir eine bestimmte Person nicht getroffen hätten. … Aber wenn wir fortfahren würden, diese virtuelle Wirklichkeit gänzlich zu analysieren, würde das Spiel der Vorstellungen bald zu Ende sein.«28
Nach Ansicht von Oakshott und Croce kann ein Historiker nichts weiter tun, als unser Verständnis für die Geschehnisse in der Vergangenheit zu verbessern und uns ein vollständigeres Bild der Abläufe zu geben. Es ist höchst bedenklich, wenn Ereignisse in ›bedeutend‹ und ›unbedeutend‹ eingeteilt werden, weil niemand dafür klare Kriterien hat und man nur seinem subjektiven Eindruck folgen kann. Es gibt sicher auch gute Gründe, eine ›fertige‹ Rekonstruktion der Vergangenheit, also das, was man gemeinhin ›Geschichte‹ nennt, durch Fragen zu überprüfen, die sich nicht an den Fakten ausrichten. Die dabei allerdings einfließenden systematischen Fehler werden in einem entlarvenden Rechenschaftsbericht über die Ziele des Historikers angesprochen, den der Sozialhistoriker und historische Determinist Edward H. Carr unter dem Titel What is History? veröffentlicht hat. »Aufgrund der Vielfalt der Abläufe von Ursache und Wirkung wählen sich [die Historiker] diejenigen aus, und nur solche, die wirklich von historischer Bedeutung sind. Das Kriterium der historischen Bedeutsamkeit ist die Eigenschaft, zu den Mustern der rationalen Erklärungen und Interpretationen des Historikers zu passen. Andere Abläufe von Ursache und Wirkung werden als zufällig verworfen, nicht weil ihre Beziehung zu Ursache und Wirkung eine andere ist, sondern der Geschichtsverlauf selbst unwichtig ist. Der Historiker kann nichts damit anfangen, es ist nicht einer rationalen Interpretation zugänglich und besitzt somit keinerlei Bedeutung, weder für die Vergangenheit noch für die Gegenwart.«29
Bei allen schrillen Töne gegen die ›kontrafaktische‹ Neuformulierung der Geschichte gibt es doch auch angesehene Historiker, die
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gern mit dem Konzept der virtuellen Geschichte spielen. Edward Gibbon hat sich beispielsweise gefragt, wie wohl die europäische Geschichte verlaufen wäre, wenn die Araber im 8. Jahrhundert nicht vernichtend geschlagen worden wären. 1907 schrieb George Trevelyan einen Essay mit dem Titel »If Napoleon Had Won the Battle of Waterloo«30. Es gibt darüber hinaus noch eine Menge ähnlicher Fantasiegebilde, die aus der Kausalkette bestimmte Schlüsselereignisse herauspicken. Ein schönes Beispiel gibt Betrand Russell. Demnach gründet sich die Industrialisierung auf die moderne Wissenschaft, diese beruht auf Galilei, der wiederum ohne den Fall von Konstantinopel keinen Erfolg gehabt hätte. Der Fall von Konstantinopel verdankt sich den Wanderbewegungen der Türken, diese der Austrocknung Zentralasiens. Folglich muss die historische Forschung bei der Hydrographie einsetzen. James Burke, ein Journalist unserer Tage, der heute Kolumnist bei Scientific American ist, hatte in Großbritannien unter dem Titel Connections eine ganze TV-Serie laufen, die ähnlich bizarren Ereignisketten nachging. Es gibt aber auch ernsthaftere Anwendungen einer kontrafaktischen Geschichtsschreibung. Einige Analysten haben versucht, die wirtschaftliche Entwicklung in einem Land für den Fall zu rekonstruieren, dass sich bestimmte Industrien nicht entwickelt hätten oder die Eisenbahn nicht gebaut worden wäre. Sie wollten damit herausfinden, welcher Segen von einzelnen Industriezweigen für die gesamte Volkswirtschaft ausgeht. Die Ansichten von Idealisten wie Oakshott, die nicht auf die Verbindung von Ursache und Wirkung vertrauen und dabei lediglich ihre Untersuchungsobjekte gegen andere, mit rigoroseren Methoden operierende Wissenschaftler abschotten wollen, erscheinen modernen Physikern völlig verfehlt. Ebenso sperrig verhalten sich auch eingefleischte Deterministen, die in der Geschichte einen unerbittlichen Marsch in Richtung eines marxistischen oder kapitalistischen Utopia sehen. Wir haben genug über komplexe Ereignisketten gelernt, um zu wissen, dass man zukünftige Entwicklungen zwar meist prinzipiell, nicht aber praktisch vorhersagen kann, da sie äußerst empfindlich auf kleinste Änderungen reagieren, die weder bemerkt noch registriert werden können. So wären sicher einige Veränderun-
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gen im Geschichtsablauf ohne Wirkung geblieben, andere hätten zu dramatischen Folgen geführt.31 Wir wissen auch, dass man die Zukunft komplexer Systeme – je nach ihren besonderen Eigenschaften – statistisch voraussagen kann. Bestimmte Systeme können auch in einen ›kritischen‹ Zustand gelangen32, der in besonderem Maße auf kleinste Änderungen empfindlich reagiert – und doch herrscht bei all diesen Unsicherheiten aufs Ganze gesehen Gleichgewicht! In einem solchen System können Kausalketten auch mit der größten Anstrengung nicht mehr zurückverfolgt werden. Es gibt ein Gebiet des Lebens, für das virtuelle Geschichten eine Selbstverständlichkeit darstellen: Vor Gericht ist es wichtig, festzustellen, ob eine bestimmte Handlung einen Schaden verursacht hat. Um Zweifel an der Schuld des Angeklagten zu wecken, kann sein Anwalt den Geschworenen die andere Geschichte erzählen, in welcher der Angeklagte nicht so gehandelt hat, wie ihm vorgeworfen wird. Der Staatsanwalt wird mit einer weiteren virtuellen Geschichte dagegenhalten, in welcher der Angeklagte seine Tat zwar nicht begangen hat, dann aber auch kein Schaden zu beklagen wäre. Die Verteidigung wird wiederum entgegnen, dass es noch eine dritte virtuelle Geschichte gibt, nach der das Opfer geschädigt worden wäre, selbst wenn der Angeklagte nichts getan hätte – mit der Schlussfolgerung, dass er freigesprochen werden müsse. Solche Strategien beruhen auf dem Glauben, dass eine virtuelle Geschichte ein wichtiges Mittel sein kann, um die Stichhaltigkeit bestimmter historischer Annahmen zu überprüfen. Es gibt natürlich keine Garantie, dass die Wahrheit ans Licht kommt, wenn man alle möglichen alternativen Geschichtsabläufe durchspielt. Manchmal sind Ursache und Wirkung auf so vertrackte Weise verflochten, dass es keine ›gerechte‹ Lösung gibt. Hier ein berühmtes Beispiel: Es gibt eine alte Geschichte von einem Mann, der die Wüste durchqueren will. Er hat zwei Feinde. In der Nacht schleicht sich der erste Feind in sein Lager und gibt Strychnin in die Wasserflasche. In derselben Nacht schleicht sich später auch der zweite Feind in das Lager. Er weiß nichts von dem ersten Besucher und sticht ein kleines Loch in die Wasserflasche. Unser Mann bricht wieder zu seinem Marsch durch die Wüste auf. Als er trinken will, ist die Flasche leer. Er verdurstet. Wer ist der Mörder? Der Verteidiger des ersten Feindes bringt ein hieb- und stichfestes Argument vor: Sein Mandant gibt zu, den
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Mann vergiften zu wollen. Aber der Anschlag ist missglückt, da das Opfer kein Gift zu sich genommen hat, also hat er keinen Mord begangen. Aber auch der Verteidiger des zweiten Feindes hat ein ähnlich schlagkräftiges Argument: Sein Mandant gibt zu, den Mann verdursten lassen zu wollen. Aber auch er hat keinen Mord begangen, sondern sogar einen verhindert: Schließlich hat er den Mann davon abgehalten, das tödliche Strychnin einzunehmen.33
Historiker wie Ferguson beharren darauf, dass die Konstruktion virtueller Geschichtsabläufe wichtig sei. Kritiker werfen ein, dass man eine Unzahl von Alternativen berücksichtigen müsse, was eine Rekonstruktion aussichtslos macht. Ferguson hält dagegen, dass es nur einige wenige Alternativszenarios gebe, die ernsthaft in Frage kommen: Wir sollten überlegen, wie plausibel oder wahrscheinlich nur solche Alternativen sind, die wir auf der Grundlage von Zeugnissen bzw. Hinweisen aus der Gegenwart aufzeigen, die für unsere Zeitgenossen wirklich auch überzeugend sind.34
Es ist offenkundig, dass die ›vernünftigen‹ Alternativen im Denken eines Protagonisten eine Rolle gespielt haben und für ihn hypothetische Zukunftsversionen darstellten. Welche davon Wirklichkeit wurden, hing von seinen Handlungsentscheidungen ab. Wir müssen daher auch die nicht verwirklichten Alternativen bedenken, wenn wir voll und ganz verstehen wollen, warum gerade diese Entscheidung getroffen wurde. Dieser kleine Exkurs in die Geschichtsphilosophie hat deutlich gezeigt, dass dort eine lebendige Debatte über das Thema ›virtuelle Geschichte‹ stattfindet, die seltsamerweise ganz ähnliche Züge aufweist, wie die in der Kosmologie über den Sinn und Unsinn von Hypothesen über Universen (oder Teile unseres Universums) geführt wird, in denen die Naturkonstanten anders als im Hier und Jetzt ausfallen. Virtuelle Naturgeschichte ist ein wesentlicher Teil der modernen Kosmologie.
Kapitel 10
Neue Dimensionen Wir wollen drei Dimensionen des Raumes in gewöhnlicher Weise anschaulich gegeben denken; die vierte aber ersetzen wir durch eine Farbe. Wir denken uns nämlich, dass alle Körper außer ihrem Wechsel im Ort noch einen Wechsel in der Farbe besitzen; sie mögen aller Abwandlungen vom rot über das violett zum blau fähig sein. Eine physikalische Wirkung ist nur zwischen Körpern möglich, die nicht nur im dreidimensionalen Ort, sondern auch in der Farbe benachbart sind; verschiedenfarbige Körper vermögen sich also zu durchdringen, ohne sich dabei zu stören. … Sperren wir einen Fliegenschwarm in eine rote Glaskugel ein, so kann er trotzdem entweichen: er wird nämlich blau und vermag dann die rote Kugel zu durchdringen. Hans Reichenbach1
Ein Leben mit hundert Dimensionen Wenn Sie sich mit jemand in einem Hochhauskomplex verabreden, müssen Sie ihm vier Informationen geben, damit das Treffen zustande kommt: Uhrzeit, Stockwerk, Flur und Nummer des Apartments, also eine Zeit- und drei Raumkoordinaten. Geben Sie weniger an, wird aus dem Rendezvous nichts werden, geben Sie mehr an, ist das eine oder andere überflüssig. Unser Beispiel zeigt, was es heißt, in einem Universum mit einer Zeit- und drei Raumdimensionen zu leben. Science-Fiction-Autoren machen ihr Geschäft mit Spekulationen über zusätzliche Dimensionen, die es erlauben, in unserer dreidimensionalen Welt magische Dinge zu treiben – beispielsweise die sichtbare Welt zu verlassen und wieder in ihr aufzutauchen. Im 19. Jahrhundert gab es einen berühmten Trickbetrüger, der behauptete, Zugang zu höheren Dimensionen zu haben und daher ganz ›unmögliche‹ Meisterstücke zu beherrschen: verknotete Fesseln lösen, Linksspiralen zu Rechtsspiralen machen, einen Gegenstand aus dem Inneren einer Glaskugel nach außen befördern, ohne das Glas zu durchbrechen. Um zu sehen, wie solche Tricks durch einen Sprung in die vierte Dimension möglich werden, wollen wir überlegen, wie ein Sprung
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Das 1 × 1 des Universums
von zwei in drei Dimension aussieht. Wir legen dazu eine Schnur im Kreis um ein Stück Zucker, das auf dem Tisch liegt. Wenn das Zuckerstück immer in Kontakt mit der zweidimensionalen Tischoberfläche bleiben muss, kann es den Ring nicht Ich bin Mathematiker, aber nur bis zu verlassen, ohne ihn zu durchreißen. einer bestimmten Grenze: Ich kann DreiWird ihm aber der Zugang zur dritten fachintegrale nur verstehen, wenn mir Dimension erlaubt, ist die Aufgabe ein guter Freund alles ganz langsam auf leicht zu lösen: Man nimmt es im Inneeiner großen Tafel vormacht. ren des Rings hoch und setzt es außerJ. W. McReynolds2 halb wieder ab. In Abbildung 10.1 ist noch ein weiteres Beispiel dargestellt: Eine Rechtsspirale, die auf einem Tisch liegt, kann nicht in eine Linksspirale verwandelt werden, solange sie in der zweidimensionalen Welt der Tischplatte gefangen bleibt. Nimmt man sie aber auf und befördert sie damit in die dreidimensionale Welt, ist die Verwandlung möglich: Man dreht sie einfach um und legt sie wieder zurück. Trotz der Faszination, die diese verborgenen Reiche der Materie und des Geistes ausüben, sahen die Wissenschaftler des 18. und 19. Jahrhunderts wenig Anlass, über die Zahl der Dimensionen des Raums nachzudenken. Nur einer der großen Philosophen befasste
➟
anheben und umdrehen
A b b ild u n g 1 0 .1 Umkehrung der Drehrichtung einer flachen Spirale in der dritten Raumdimension.
sich mit der tiefen Verbindung zwischen den Raumdimensionen und der Form der Naturgesetze und ihren Konstanten: Immanuel Kant (siehe Abbildung 10.2). Während der ersten Jahre seiner Karriere in Königsberg war Kant weit mehr an den Naturwissenschaften als an Philosophie interessiert. Er war ein großer Bewunderer Newtons und seiner Gravita-
Neue Dimensionen
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A b b ild u n g 1 0 .2 Immanuel Kant (1724–1804).3
tions- und Bewegungsgesetze und versuchte, sie auf große astronomische Probleme wie die Frage nach dem Ursprung unseres Sonnensystems anzuwenden. Angesichts der besonderen Form des Newtonschen Gravitationsgesetzes stellte er eine Frage, auf die vor ihm noch niemand gekommen war: ›Warum hat der Raum drei Dimensionen‹?4 Kant hatte etwas ganz Grundsätzliches erkannt: Newtons berühmtes Gravitationsgesetz, nach dem die Schwerkraft umgekehrt proportional zum Quadrat des Abstands r abnimmt, ist eng mit der Tatsache verknüpft, dass der Raum drei Dimensionen hat. Wären es vier, nähme die Gravitation (und auch die elektromagnetische Kraft) proportional zu r –3 statt r –2 ab, bei 100 Dimensionen proportional zu r –99 und ganz allgemein in einem n-dimensionalen Raum proportional zu r –(n–1).5 Ähnlich ist auch die Größe, die im Gravitationsgesetz als Proportionalitätskonstante auftritt, von der Zahl der Dimensionen abhängig. Für Kant war das Newtonsche Gesetz der ›Beweis‹, dass der Raum drei Dimensionen haben muss. Hätte Gott die Schwerkraft proportional zu r –3 abnehmen lassen, wäre ein vierdimensionaler Raum entstanden. Heute würden wir sagen, dass Kant damit das Pferd vom Schwanz her aufgezäumt hat und das Newtonsche Gesetz mit r –2 gilt, weil der Raum dreidimensional ist.
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Kant zeigte aber zum ersten Mal, dass es zwischen der Zahl der Raumdimensionen und den Naturgesetzen und -konstanten eine Verbindung gibt. Er spekulierte über einige theologische und geometrische Aspekte zusätzlicher Dimensionen und hielt es für möglich, die Eigenschaften dieser hypothetischen Räume mithilfe der Mathematik zu untersuchen. Eine Wissenschaft von allen diesen möglichen Raumes-Arten wäre ohnfehlbar die höchste Geometrie, die ein endlicher Verstand unternehmen könnte. … Wenn es möglich ist, daß es Ausdehnungen von anderen Abmessungen gebe, so ist es auch sehr wahrscheinlich, daß sie Gott würklich irgendwo angebracht hat. … Räume von dieser Art könnten nun unmöglich mit solchen in Verbindung stehen, die von ganz anderm Wesen sind; daher würden dergleichen Räume zu unserer Welt gar nicht gehören, sondern eigene Welten ausmachen müssen.6
Was bei Kant Spekulation war, erwies sich als real: Die Mathematiker des 19. Jahrhunderts entwickelten neue Geometrien zur Beschreibungen von Linien und Formen auf gekrümmten Flächen7, der auch Räume mit mehr als drei Dimensionen angehören können. Glücklicherweise, denn damit stand Einstein die Mathematik zur Verfügung, die er in den Jahren zwischen 1905 und 1915 zur Entwicklung seiner neuen Gravitationstheorie, der Allgemeinen Relativitätstheorie, benötigte.
Ein Spaziergang mit Planisauriern Dimensionen spielen eine große Rolle. Zwischen Welten mit einer unterschiedlichen Zahl von Dimensionen gibt es erhebliche Unterschiede. Zu den einfachsten zählt, dass eine geschlossene Kurve eine zweidimensionale Welt in ein ›Innen‹ und ›Außen‹ aufteilt (Abbildung 10.3). Diese simple Tatsache ist äußerst wichtig, denn sie macht das Leben für zweidimensionale Wesen mit einem röhrenartigen Verdauungsapparat recht verdrießlich. Wenn ein solcher Flachwelt-Bewohner (siehe Abbildung 10.4) Ihnen mitteilt, sein Leben falle in Stücke, so dürfen Sie ihn durchaus ernst nehmen! Der Sprung von der zweiten in die dritte Dimension macht auch das Leben von Mathematikern interessanter. Nun können sich Wege
Neue Dimensionen
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ßen au
in ne
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A b b ild u n g 1 0 .3 Im zweidimensionalen Raum grenzt eine geschlossene Kurve ›außen‹ gegen ›innen‹ ab.
A b b ild u n g 1 0 .4 Ein zweidimensionales Lebewesen mit einem Verdauungskanal kann leicht in Stücke fallen.
auf die komplizierteste Weise verschlingen, ohne sich zu berühren und zu durchdringen (siehe Abbildung 10.5). Die Möglichkeiten steigen ins Unermessliche, wenn man beispielsweise dreidimensionales Monopoly spielt und auf immer neue Bretter überwechselt, oder – wie Mr. Spock – dreidimensionales Schach. Eine Welt, in der man verloren gehen kann, muss mindestens drei Dimensionen haben. Wenn man in einer zweidimensionalen Welt herumläuft, indem man wie ein Betrunkener vor jedem Schritt den
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Das 1 × 1 des Universums
Zufall entscheiden lässt, wie es weitergeht, wird man – sofern nur die Schritte immer gleich groß sind – schließlich unweigerlich an den Ausgangspunkt zurückkommen. Ganz anders im drei- oder mehrdimensionalen Raum: Dort wird man aller Wahrscheinlichkeit nach nie zu Hause landen, sondern im Raum verloren gehen. Es gibt einfach für den Zufalls-Wanderer zu viele ›falsche‹ Wendungen.
A b b ild u n g 1 0 .5 In Räumen mit mehr als zwei Dimensionen können sich Wege auf komplizierte Weise verschlingen, ohne sich zu durchdringen.
Diese Beispiele zeigen, dass die Dinge umso komplizierter werden, je mehr Dimensionen beteiligt sind. Das gilt aber nicht für alles! Manchmal machen es die zusätzlichen Dimensionen nur schwerer, die Dinge einzuordnen. Die Mathematiker, die sich mit Geometrie befassen, haben seit den Zeiten Platons bemerkt, dass sich seltsame Dinge ereignen, wenn man von zwei zu drei Dimensionen übergeht. Im zweidimensionalen Raum gibt es eine unendliche Zahl gleichseitiger Polygone, im dreidimensionalen Raum dagegen nur fünf gleichseitige Polyeder: die berühmten fünf Platonischen Körper (Abbildung 10.6). Für solche Körper müssen im dreidimensionalen Raum zahlreiche Symmetriebedingungen erfüllt sein, daher ist ihre Zahl so gering. In Räumen mit noch mehr Dimensionen sind die Einschränkungen noch größer. Die britische Gesellschaft zu Zeiten von Königin Viktoria ließ sich von neuen Dimensionen gern verzaubern. Die Fantasievorstellungen von Lebewesen mit weniger oder mehr als drei Dimensionen gaben
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Neue Dimensionen
Würfel
Tetraeder
Dodekaeder
Oktaeder
Ikosaeder
A b b ild u n g 1 0 .6 Die fünf Platonischen Körper.
einen Rahmen für Aussagen über unsere dreidimensionale Existenz ab. So geometrisch interessant diese Fabelgeschichten oft auch waren: Ihr wahrer Zweck war ein anderer. Wie konnte ein Prediger die Skepsis über das Reich der Seligen besser bekämpfen, als mit einem Hinweis, wie glückselig unwissend Flachlandbewohner in einer dreidimensionalen Welt sind – jener Welt, die uns dreidimensionalen Wesen wiederum so ›flach‹ erscheint, dass wir uns nach ›höheren‹ Dimensionen sehnen? Was konnten Illusionisten Besseres tun, als ihre Tricks mit der Wirkung höherer Dimensionen zu erklären? Die berühmteste dieser fantastischen Geschichten ist der Roman Flatland, den Edwin Abbott, der Direktor der City of London School, 1884 veröffentlichte. Der Roman stellt eine kaum verhüllte Sozialkritik dar. Die Mathematiker mögen die vierte Die Flachlandbewohner8 und ihre Ho- Dimension und die Welt der Möglichkeihenpriester verfolgen alle, die von der ten erforschen. Der Zar kann aber nur in der dritten Dimension gestürzt werden. unsichtbaren dritten Dimension spre9 chen. Je mehr Seiten oder Ecken je- Wladimir Iljich Lenin mand hat, umso höher ist seine soziale Stellung. Daher sind Frauen kurze Geraden (!), die Adeligen sind Polygone und die Hohenpriester Kreise (Abbildung 10.7). Der Held der Geschichte ist ein ›Square‹, das sich solange der strikten sozialen Ordnung unterwirft, bis es den Besuch eines ›Fremden‹ aus der drit-
196
Das 1 × 1 des Universums
ten Dimension erhält, der es dann mitnimmt, um ihm einen tieferen Einblick in die Wirklichkeit zu verschaffen.10
Frau
Soldat
Arbeiter
Kaufmann
Experte
Gentleman
Adliger
Hoherpriester
A b b ild u n g 1 0 .7 Bewohner von Edwin Abbotts Flächenland.
Nicht jeder dachte an weniger Dimensionen als drei. Ein paar Jahre vor dem ersten Erscheinen von Abbotts Buch versetzte der Prozess gegen einen bekannten Hellseher, einem gewissen Henry Slade, die Londoner Gesellschaft in Aufregung. Einige Wissenschaftler11 waren zu seiner Verteidigung angetreten, nachdem er behauptet hatte, Zugang zur vierten Dimension zu haben und von dort Gegenstände auftauchen lassen zu können.12 Okkultismus war seinerzeit in England (und auch auf dem Kontinent) in Mode.13 Selbst Arthur Conan Doyle scheint an Feen geglaubt zu haben. Ich habe allerdings Zweifel, ob das auch für Sherlock Holmes gilt.14 1877 wurde eine Anzahl einfacher kontrollierter Experimente durchgeführt, um Slades Behauptung zu überprüfen, er könne Objekte aus der vierten Dimension empfangen und sie wieder dorthin zurückschicken: – Zwei völlig intakte Holzringe sollten vereinigt werden, ohne sie zu zerbrechen. – Ein rechtsdrehendes Schneckenhaus sollte in ein linksdrehendes verwandelt werden.
Neue Dimensionen
197
– Ein Seil mit einem rechtslaufenden Knoten in einem versiegelten Behälter sollte entknotet und dann wieder linkslaufend neu verknotet werden, ohne das Siegel zu brechen. – Der Inhalt einer versiegelten Flasche sollte ausgeleert werden, ohne das Siegel zu brechen.
All diese Aufgaben sind in einer ›normalen‹ dreidimensionalen Welt unlösbar. Die einzige Möglichkeit, die Flasche zu leeren oder das Seil zu entknoten, ergibt sich in einer höheren Dimension. Wie wir sehen, war Slade eine Art Uri Geller des 19. Jahrhunderts. Aber ach! Er hatte keinen Erfolg mit seinen Kunststücken, die den topologischen Erkenntnissen trotzen sollten, und wurde schließlich als Betrüger verurteilt.
Polygone und Polygamie Der reichlich sonderbare englische Mathematiker Charles Hinton arbeitete zur gleichen Zeit am Patentamt in Washington DC, als Einstein Angestellter des ›Amts für geistiges Eigentum‹ in Bern war. James Hinton, sein äußerst fortschrittlich gesinnter Vater, war Mediziner und ein charismatischer Prediger, der offen für die freie Liebe und Polygamie eintrat.15 Das war natürlich nicht gerade das Rezept, um es im Viktorianischen England zu etwas zu bringen. Sein Sohn Charles Mir scheint, dass man die höheren schien sich zunächst allerdings mehr Dimensionen langsam ernst nimmt. … für Polygone als für Polygamie zu inte- Mir scheint auch, dass wir zum Teil die Fähigkeit verlieren, mit einer Sache ressieren. Nachdem er in Rugby und richtig umzugehen, wenn wir angeOxford studiert hatte, wurde er am fangen haben, sie ernst zu nehmen. Cheltenham Ladies’ College und an Charles Hinton16 der Uppingham School Mathematiklehrer. 1880 veröffentlichte er seinen ersten Essay über die vierte Dimension17. Sein weiteres Leben verlief ziemlich aufregend. Offensichtlich war er doch noch den väterlichen Anregungen gefolgt: 1885 wurde er wegen Bigamie eingesperrt. Er hatte Mary, die Tochter von George Boole geheiratet, einem der Schöpfer der Mengenlehre, danach aber auch noch seine Freundin
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Das 1 × 1 des Universums
Maude Weldon. Nach drei Tagen Haft kam er wieder frei, ging mit Mary in die USA, wurde Dozent in Princeton und erfand eine automatische Baseball-Wurfmaschine.18 Nachdem er von seinem Arbeitgeber gefeuert worden war, arbeitete er eine Zeit lang an der MarineAkademie, um dann schließlich beim Patentamt zu landen. Hintons denkwürdigster Beitrag zur Untersuchung höherer Dimensionen besteht in einer Reihe einfacher Skizzen, mit denen er zeigen wollte, dass es möglich ist, zumindest einen schemenhaften Eindruck von Gegenständen der vierten Dimension zu gewinnen. Da schließlich alle Abbildungen dreidimensionaler Objekte in Büchern zweidimensional sind, müssten wir auch in der Lage sein, das zweioder dreidimensionale Bild eines vierdimensionalen Objekts zu entwerfen, das dann so etwas wie dessen Projektion wäre. Einige Beispiele sind in Abbildung 10.8 dargestellt. Besonders sein Würfel-Würfel (auch Tessaract oder Hyperkubus genannt) wurde berühmt.19 a)
b)
c)
d)
A b b ild u n g 1 0 .8 a) Dreidimensionaler Würfel in zweidimensionaler Darstellung. b) Dreidimenmsionale Ansicht eines vierdimensionalen Würfels in perspektivischer Darstellung. c) Entfaltung eines dreidimensionalen Würfels. d) Entfaltung eines vierdimensionalen Würfels.
Neue Dimensionen
199
Hintons Idee, die vierte und höhere Dimensionen durch Extrapolation und Analogien zu veranschaulichen, hatte große Wirkung. 1909 setzte die Zeitschrift Scientific American einen Preis von 500 Dollar für die beste allgemeinverständliche Darstellung der vierten Dimension aus. In der europäischen Kunstwelt konnte man eine ähnliche Faszination spüren, die sich in multidimensionalen Perspektiven ausdrückte – so griffen die Kubisten die Idee der vierten Dimension auf.20 Marcel Duchamp überlagerte in seinem Akt, eine Treppe herabsteigend21 verschwommene Bilder einer Frau, die eine Treppe herabsteigt, und veranschaulichte damit die Zeit als vierte Dimension. Rein räumliche Mehrdeutigkeiten setzte Pablo Picasso ein. In seinen
A b b ild u n g 1 0 .9 Pablo Picasso, Dora Maar, 1937, Musée Picasso, Paris.22
diversen Porträts der Dora Maar (Abbildung 10.9) entkam Picasso der dreidimensionalen Zwangsjacke einer eindeutigen Perspektive, indem er das Gesicht der Frau gleichzeitig aus verschiedenen Winkeln zeigte.
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Das 1 × 1 des Universums
Warum ist das Leben für Physiker ein Kinderspiel? Wenn man sich nach einiger Zeit an den Gebrauch von Gleichungen und Formeln der mathematischen Physik gewöhnt hat, erkennt man, dass der Natur eine Besonderheit innewohnt: Sie verzeiht uns, wenn wir bestimmte Einzelheiten außer Acht lassen. Ein Naturgesetz hat einige grundlegende Eigenschaften. Es stellt einen logischen Mechanismus dar, der aus der Gegenwart Schlüsse auf die Zukunft erlaubt, man kann es mit Informationen über die Gegenwart füttern, und es enthält Naturkonstanten sowie einige einfache Zahlen. Diese einfachen, dimensionslosen Zahlen treten in fast allen physikalischen Formeln im Zusammenhang mit den Naturkonstanten auf. Wir haben in Kapitel 3 gesehen, wie Einstein diese Zahlen, die er ›universelle Konstanten‹ nannte, in seinem Briefwechsel mit Rosenthal-Schneider herausgepickt hat. So ist beispielsweise die Periode t eines Pendels mit hoher Genauigkeit durch die einfache Formel t = 2π √(L/g)
gegeben, wenn L die Länge des Pendels und g die Erdbeschleunigung ist.23 2π ist ein solcher Faktor, der aus jenen einfachen, dimensionslosen Zahlen zusammengesetzt ist, die in jeder Formel zur Beschreibung der materiellen Welt auftauchen. Bemerkenswert daran ist, dass diese Faktoren fast immer von der Größenordnung 1 sind und daher vernachlässigt werden können, solange wir nicht an einem genauen Wert des Ergebnisses interessiert sind. Das ist ein großer Vorteil, wenn wir ein Problem angehen wollen. Wollen wir beispielsweise die Periode unseres Pendels bestimmen, so erhalten wir die Struktur des Gesetzes durch eine bloße Analyse der Einheiten. Fordert man, dass sie auf beiden Seiten der Gleichung übereinstimmen, gibt es nur eine Kombinationsmöglichkeit der Länge L und der Erdbeschleunigung g, die eine Zeit als Ergebnis liefert: Die Periode muss proportional zur Quadratwurzel von L/g sein. Diese erfreuliche Eigenschaft der materiellen Welt, sich mit mathematischen Formeln so gut beschreiben zu lassen, in denen die rein numerischen Faktoren von der Größenordnung 1 sind, gehört
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zu ihren meistens übersehenen Geheimnissen. Einstein hingegen war von der Allgegenwart der kleinen dimensionslosen Zahlen in den Gleichungen der Physik höchst beeindruckt: Dies lässt sich zwar nicht streng fordern, denn warum sollte ein numerischer Faktor (12π)3 nicht bei einer mathematisch-physikalischen Betrachtung auftreten können? Aber derartige Fälle gehören unstreitig zu den Seltenheiten.24
Auch viele Jahre später zeigte er sich in einem Brief über die Naturkonstanten an Rosenthal-Schneider angesichts dieses Geheimnisses noch höchst ratlos: Es dürfte in der Natur der Sache liegen, dass solche rationelle Zahlen sich der Größenordnung nach nicht von 1 unterscheiden, wenigstens solange man sich auf ›einfache‹, bzw. natürliche Bildungen beschränkt. Dies ist aber nicht fundamental und nicht scharf fassbar.25
Da endlich sah ich das Pendel. Die Kugel, frei schwebend am Ende eines langen metallischen Fadens, der hoch in der Wölbung des Chores befestigt war, beschrieb ihre weiten konstanten Schwingungen mit majestätischer Isochronie. Ich wusste – doch jeder hätte es spüren müssen im Zauber dieses ruhigen Atems –, dass die Periode geregelt wurde durch das Verhältnis der Quadratwurzel aus der Länge des Fadens zu jener Zahl π, die, irrational für die irdischen Geister, in göttlicher Ratio unweigerlich den Umfang mit dem Durchmesser eines jeden möglichen Kreises verbindet, dergestalt, dass die Zeit dieses Schweifens einer Kugel von einem Pol zum anderen das Ergebnis einer geheimen Verschwörung der zeitlosesten aller Maße war – der Einheit des Aufhängepunktes, der Zweiheit einer abstrakten Dimension, der Dreizahl von π, des geheimen Vierecks der Wurzel und der Perfektion des Kreises.
Man kann etwas Licht in das Dunkel dieses Rätsels bringen, wenn man berücksichtigt, dass fast alle numerischen Faktoren, von denen Einstein so beeindruckt war, ihren Ursprung in der Geometrie haben. So ist zum Beispiel das Volumen eines Würfels mit Seitenlänge r gleich r3, das Volumen einer Kugel mit Radius r aber 4π/3 r3. Die numeri- Umberto Eco26 schen Faktoren berücksichtigen, in welcher Weise die Form unserer Gebilde die fundamentalen Naturkräfte beeinflusst. Da diese isotrop wirken, also keine Raumrichtung bevorzugen, weisen sie in der Regel sphärische Symmetrie auf.
Wie wir wissen hat ein Kreis mit Radius r den Umfang 2π r. Die Oberfläche einer Kugel beträgt 4π r2. Entsprechend ist die Fläche eines Kreises π r2, das Volumen einer Kugel 4π/3 r 3. Nun wollen wir ›Kugeln‹ mit n Dimensionen betrachten. Für einen Mathematiker ist
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Das 1 × 1 des Universums
es ein Kinderspiel, deren Oberflächen und Volumina zu berechnen. Es ist klar, dass F(n), die Oberfläche einer n-dimensionalen Kugel, proportional zu r n–1 ist, das Volumen V(n) proportional zu r n. Es ist aber überhaupt nicht ohne weiteres ersichtlich, wie jeweils die Proportionalitätsfaktoren aussehen, die im dreidimensionalen Raum 4π und 4π/3 betragen. Ihre Größe in Abhängigkeit von der Zahl der Dimensionen des Raums ist in Abbildung 10.10 dargestellt. 35
a)
30
Oberfläche
25 20 15 10 5 0
0
10
20
30
40
50
60
50
60
Zahl der Dimensionen n 6
b)
5
Volumen
4 3 2 1 0
0
10
20
30
40
Zahl der Dimensionen n
A b b ild u n g 1 0 .1 0 Oberfläche und Volumen einer n-dimensionalen ›Kugel‹ mit Radius 1. Das Maximum des Volumens liegt bei 5,3 Dimensionen. Die Werte fallen dann schnell ab.
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Bemerkenswert ist, dass mit der Anzahl der Dimensionen auch die Faktoren Größen erreichen, die von 1 erheblich abweichen: Sie wachsen zunächst an und erreichen ein Maximum (beim Volumen liegt es bei etwa fünf Dimensionen), um dann für größere n schnell gegen Null zu gehen. Damit haben wir eine Antwort für Einstein: Die weite Verbreitung kleiner numerischer Faktoren in den Naturgesetzen und physikalischen Formeln folgt aus der Tatsache, dass die Welt nur wenige Raumdimensionen hat. Würden wir in einer Welt mit fünf oder sechs Dimensionen leben, wären physikalische Formeln, in denen wir die Proportionalitätsfaktoren vernachlässigen, oft höchst ungenau. Einstein hätte sich dann darüber gewundert, dass die Faktoren immer so ungewöhnlich groß sind. Wir sehen aus alledem, dass die Naturkonstanten in einer dreidimensionalen Welt einen viel größeren relativen Einfluss auf die Resultate der Naturgesetze haben, als in einer Welt mit wesentlich mehr Raumdimensionen.
Paul Ehrenfest: ein trauriger Fall Paul Ehrenfest (1880–1933)27 war ein äußerst begabter österreichischer Physiker, der zu Anfang des 20. Jahrhunderts mit den bedeutendsten Naturwissenschaftlern zusammenarbeitete. Einstein (siehe Abbildung 10.11), Heisenberg, Schrödinger, Pauli, Dirac – sie alle profitierten von seiner Hilfe. Darüber hinaus war er ein scharfer Kritiker, der die Schwachstellen in jeder Argumentation herausfand, wodurch er zu einer Art ›Gewissen‹ der Physik wurde. Er war auch berühmt für seine unkonventionellen Bemerkungen, wie etwa auf die Frage, warum seine Studenten so schlau seien: »Weil ich so dumm bin.« Oder: »Haben Sie das jetzt gesagt, um etwas zu beweisen, oder nur, weil es zufällig wahr ist?«28 Ehrenfest hat zu vielen Bereichen der Physik wesentliche Beiträge geliefert, und alle Physikstudenten, die sich mit der Quantenmechanik befassen, werden unweigerlich auf das ›Ehrenfestsche Theorem‹ stoßen. Aber er war auch ein ungläubiger Thomas, wobei die Zweifel allerdings ihm selbst galten. Seine Ansprüche waren so hoch, dass er
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Das 1 × 1 des Universums
ihnen nie genügen konnte. Ehrenfest hatte eine unglückliche Kindheit: Seine Mutter starb 1890, als er gerade zehn Jahre alt war, und sein Vater, der immer krank war, folgte ihr sechs Jahre später nach.
A b b ild u n g 1 0 .1 1 Albert Einstein mit Paul Ehrenfest.29
Trotz der hohen Achtung, die ihm andere entgegenbrachten und die ihm 1912 mit nur 32 Jahren den Ruf auf einen Physiklehrstuhl in Leiden einbrachte, litt er an Minderwertigkeitskomplexen. Er war frustriert, weil er mit den schnellen Fortschritten in der Quantenphysik und mit der wachsenden Mathematisierung nicht Schritt halten konnte. Am 13. Mai 1931 schrieb er an Niels Bohr: Ich habe total den Contact mit der theoretischen Physik verloren. Ich kann nun absolut nichts mehr lesen und fühle mich außer stande auch nur im bescheidensten Maße zu überblicken, was in der Flut von Artikeln und Büchern Sinn hat. – Vielleicht ist mir überhaupt nicht mehr zu helfen. Aber noch habe ich die Illusion, dass Du mir bei einer Begegnung von einigen Tagen den Weg weisen könntest. … Und natürlich so, dass ich nicht irgendwas erzählen muss. Sondern ich will hören.30
Seine Verzweiflung wuchs und verschlimmerte sich noch durch die großen Probleme mit seinem Sohn Wassik, der am Down-Syndrom litt. 1906 hatte Ludwig Boltzmann, Ehrenfests Doktorvater, aus Ver-
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zweiflung über die Nichtbeachtung seines Werks Selbstmord begangen. Ehrenfest sah auch für sich nur noch diesen Ausweg. Am 25. September 1933 erschoss er seinen Sohn und dann sich selbst im Wartezimmer eines Arztes. Ein letzter Brief an seine engsten Freunde unter den Wissenschaftlern – u. a. Bohr und Einstein – und seine Studenten wurde nie abgeschickt. Darin klagte er über seine schwindenden Kräfte und erwog, vielleicht wieder nach Russland zu gehen. Dann kündigte er seinen Freitod an und bat alle Freunde um Verzeihung. Ehrenfest gehört in unsere Geschichte, da er 1917 als Erster erkannte, in welch hohem Maße die physikalischen Gesetze von der Zahl der Raumdimensionen abhängen.31 Dabei stützte er sich auf die Er war ja nicht nur der beste Lehrer schon erwähnten Einsichten Kants in unseres Faches, den ich kennengelernt den Zusammenhang zwischen dem habe; er war auch leidenschaftlich erfüllt von dem Interesse für Entwicklung Gravitationsgesetz und den Dimensio- und Schicksal der Menschen, insbenen des Raums. Er stellte fest, dass sondere aber seiner Studenten. Andere Planeten nur dann auf stabilen Um- Menschen zu verstehen, Freundschaft laufbahnen eine Zentralsonne umkrei- und Vertrauen zu erwerben, allen beisen können, wenn die Welt drei Di- stehen in äußeren und inneren Nöten, fördern junger Talente, all dies bildete mensionen hat. Geht man nun in den zusammen sein eigentliches LebensGrößenbereich der Atome, wo die elek- element, fast noch mehr als die Vertromagnetische Kraft zwischen dem tiefung in die wissenschaftlichen Propositiven Atomkern und den negativen bleme. Elektronen auf ihren Umlaufbahnen Albert Einstein32 ebenfalls umgekehrt proportional zum Quadrat des Abstands abnimmt, so folgt daraus nach Ehrenfest, dass in Welten mit mehr als drei Dimensionen auch keine stabilen Atome existieren können: Entweder würden die Elektronen in einer Spiralbahn in den Kern stürzen oder sie würden sich davonmachen. Ehrenfest fand auch heraus, dass dreidimensionale Wellen ganz besondere Eigenschaften haben. Nur im dreidimensionalen Raum können sich Wellen ungestört ausbreiten, ohne reflektiert zu werden. Ist die Zahl der Dimensionen des Raums gerade (2, 4, 6, …), bewegen sich verschiedene Teile einer Wellenstörung mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten fort. Deshalb überlagern sich trotz kontinuierli-
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Das 1 × 1 des Universums
cher Ausstrahlung beim Empfänger verschiedene Wellen: Wellen, die zu verschiedenen Zeiten gesendet wurden, treffen gleichzeitig ein. Ist die Zahl der Dimensionen des Raums ungerade (3, 5, 7, …), ist die Geschwindigkeit aller Wellenstörungen gleich, aber nur bei drei Dimensionen wird die Welle nicht deformiert: Dreidimensionale Wellen haben eine Sonderstellung. Die einfallsreiche Untersuchung Ehrenfests hatte gezeigt, dass die Dimensionalität der Welt einen weitreichenden Einfluss auf die Dinge und ihr Verhalten hat. Dreidimensionale Welten sind etwas Außergewöhnliches und prägen den Naturgesetzen und -konstanten ganz besondere Eigenschaften auf.33 Ehrenfest verfolgte 1917 seine Spur nicht weiter und zog keine besonderen philosophischen Schlüsse aus seinen Ergebnissen. Er war nicht der Erste, der bemerkte, dass es mit den Planetenbahnen im dreidimensionalen Raum etwas Besonderes auf sich hat. Wir haben schon William Paley erwähnt, der 1802 die ganz speziellen, Leben ermöglichenden Eigenschaften des Gravitationsgesetzes genannt hat. 1903 nahm dann Alfred Wallace in seinem ebenfalls schon zitierten Buch Man’s Place in Universe das Thema wieder auf. Aber diese Autoren haben ihre Werke in einer Zeit verfasst, in der es die Quantentheorie noch nicht gab. Ehrenfest war in der Lage, die physikalische Einmaligkeit dreidimensionaler Welten weit schlüssiger theoretisch zu begründen.
Gerald Whitrow: ein ganz besonderer Fall Einen direkten anthropischen Zusammenhang zwischen der Zahl der Dimensionen des Raums und der Existenz lebender Beobachter hat zum ersten Mal 1955 der englische Kosmologe Gerald Whitrow hergestellt. Auf die Frage, warum das Universum gerade drei Raumdimensionen hat, versuchte er, eine ganz neue Antwort zu finden. Er behauptete, dass denkende Wesen nur in einer dreidimensionalen Welt existieren können. Deshalb sei es möglich, die Zahl der Dimensionen aus der Tatsache abzuleiten, dass es uns (oder eine andere Art intelligenten Lebens) gibt.
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Man kann auf diese grundlegende topologische Eigenschaft der Welt … als den einzigartigen natürlichen Begleitumstand anderer Bedingungen schließen, die mit der Entwicklung höherer irdischer Lebensformen – und insbesondere des Menschen, der das Problem formuliert hat – verbunden waren.34
Whitrow erläuterte seine Argumente vier Jahre später in einem populärwissenschaftlichen Buch über die Kosmologie mit dem Titel The Structure and Evolution of the Universe. In einer zweidimensionalen Welt könne keinerlei Leben existieren: Die unvermeidlichen Überschneidungen der Verbindungen zwischen Nervenzellen würden quasi zu Kurzschlüssen führen und damit die Herausbildung eines komplexen neuralen Netzwerks verhindern. In diesem Ansatz wandte Whitrow als Erster das an, was wir heute ›Anthropisches Prinzip‹ nennen und was Dicke auf das Problem eines variablen G und die Hypothese über die großen Zahlen angewandt hat. Mit unserem heutigen Wissen können wir noch ein wenig weiter gehen und uns überlegen, wie eine Welt aussehen würde, in der weiterhin die alten Naturgesetze gelten, die sich aber in der Zahl der Raumdimensionen unterschiede. Und warum sollten wir es damit genug sein lassen? Warum sollten wir nicht fragen, was passiert, wenn sich die Zahl der Zeitdimensionen ebenfalls ändert? Diese Frage drängt sich förmlich auf, denn wenn die Lichtgeschwindigkeit eine Naturkonstante ist, die für alle Beobachter gilt, wo immer sie sich befinden und wie immer sie sich bewegen, heißt das nichts anderes, als dass es eine tiefe Verbindung zwischen Raum und Zeit gibt. Die Physiker sprechen daher lieber von der vierdimensionalen ›Raumzeit‹ als von Raum und Zeit. Diese Synthese wurde zum ersten Mal von Hermann Minkowski in einem Vortrag mit dem Titel »Raum und Zeit« eingeführt, den er am 21. September 1908 vor der 80. Naturforscher-Versammlung in Köln hielt. M. H.! Die Anschauungen über Raum und Zeit, die ich Ihnen entwickeln möchte, sind auf experimentell-physikalischem Boden erwachsen. Darin liegt ihre Stärke. Ihre Tendenz ist eine radikale. Von Stund an sollen Raum und Zeit für sich und Zeit für sich völlig zu Schatten herabsinken, und nur noch eine Art Union der beiden soll Selbständigkeit bewahren.35
Wie wir schon bei unseren Zeitreisen gesehen haben, stellen sich die Physiker die Raumzeit gern wie einen vierdimensionalen Block vor,
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Das 1 × 1 des Universums
den man auf unterschiedliche Weise in Scheiben schneiden kann (siehe wieder Abbildung 8.9). Jede dieser Scheiben entspricht dann einer in bestimmter Weise definierten Zeit. Diese Vorstellung von einer blockartigen Raumzeit ist sehr alt, da sie sich auf ganz natürliche Weise mit dem Blick eines Schöpfergottes auf seine Welt deckt. Thomas von Aquin hat im 13. Jahrhundert angeführt, dass Gott, für den es keine »Aufeinanderfolge« durch das »Früher und Später bei der Bewegung« gibt, das irdische Treiben mit seinem zeitlichen Ablauf wie von einem Turm aus überblickt. »Daraus folgt, dass er alles, was er erkennt (denkt), zugleich auf einmal erkennt (denkt)«.36 Mit einem einzigen Blick überschaut er die gesamte Karawane der Vorbeiziehenden – und damit die gesamte Schöpfung in Raum und Zeit. Den Begriff des blockförmigen Universums führte der Oxforder Philosoph Francis Bradley in seinem Buch The Principles of Logic ein, das viele Jahre vor Minkowskis mathematischer Beschreibung der Raumzeit und den Zeitreisefantasien eines H. G. Wells erschien. Bradley schrieb: Wir stellen uns vor, in einem Boot zu sitzen und den Strom der Zeit hinabzutreiben. Am Ufer stehen Häuser aufgereiht, an deren Türen Zahlen angebracht sind. Wir steigen aus dem Boot und klopfen bei Hausnummer 19, dann steigen wir wieder ins Boot und finden uns gegenüber der 20 wieder, dort machen wir das gleiche und fahren zur 21. Und während dieser ganzen Zeit erstreckt sich die feste Reihe von Vergangenheit und Zukunft hinter und vor uns.
Auch Einstein scheint die Vorstellung gehabt zu haben, dass die Zukunft schon fertig vor uns ausgestreckt liegt und irgendwelche Unterschiede zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bloße Illusion sind. In einem Brief, den er kurz nach dem Tod Michele Bessos37, eines seiner ältesten und besten Freunde, an dessen Familie schrieb, wies Einstein angesichts der Gewissheit, dass es für ihn selbst keine Heilung seiner Krankheit gab, auf die illusionäre Natur von Vergangenheit und Zukunft hin: Nun ist er mir auch mit dem Abschied von dieser sonderbaren Welt ein wenig vorausgegangen. Dies bedeutet nichts. Für uns gläubige Physiker hat die Scheidung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nur die Bedeutung einer wenn auch hartnäckigen Illusion.38
Die Möglichkeit von Universen mit einer unterschiedlichen Zahl von Dimensionen in Raum und Zeit wurde von einer ganzen Reihe von
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Wissenschaftlern untersucht.39 Wie bei Universen mit verschieden vielen Raumdimensionen, aber einer Zeitdimension, können wir davon ausgehen, dass die Naturgesetze es zwar erlauben, die Zahl der Dimensionen in Raum und Zeit frei zu variieren, im Übrigen aber die gleiche mathematische Struktur haben. Das Schachbrett der Möglichkeiten in Abbildung 10.12 kann dramatisch reduziert werden, indem man einige wenige vernünftige Forderungen stellt, die für die Informationsverarbeitung und ein funktionierendes Gedächtnis – also für die Existenz von ›Leben‹ – erfüllt sein müssen. Wenn wir wollen, dass die Zukunft durch die Vergangenheit bestimmt wird, müssen wir alle Felder auf dem Schachbrett entfernen, in denen ›unvorhersagbar‹ steht. Wenn wir wollen, dass stabile Atome und Planetenbahnen existieren, fallen alle Felder mit ›instabil‹ weg. Scheiden wir dann noch Welten aus, in denen es nur Signale gibt, die sich schneller als das Licht ausbreiten, bleibt allein unsere Welt mit ihren 3+1 Raum- und Zeitdimensionen übrig. Darüber hinaus blieben noch einige allzu einfache Welten mit 2+1, 1+1 und 1+2 Dimensionen, von denen man annimmt, dass in ihnen kein Leben existieren kann. So gibt es beispielsweise in 2+1-Welten keine Schwerkraft, und es sind nur äußerst einfache Strukturen möglich, die jede Herausbildung von Komplexität ausschließen. Trotz all dieser Einschränkungen gab und gibt es zahlreiche Spekulationen, wie man Geräte und Werkzeuge für zweidimensionale Welten konstruieren könnte.40 Allerdings müssen wir uns an Whitrows Warnung erinnern, dass sich in einer zweidimensionalen Welt keine Wege kreuzen können, ohne sich dabei zu durchdringen (siehe Abbildungen 10.3–10.5), weshalb sich keine hinreichende neurale Komplexität entwickeln kann. Welten mit mehr als einer Zeit können wir uns schwer vorstellen. Sie scheinen aber eine Vielzahl neuer Möglichkeiten zu eröffnen – so viele Möglichkeiten, dass die Elementarteilchen weit instabiler als in Welten mit nur einer Zeitdimension wären. Das Proton könnte dort leicht in ein Neutron, ein Positron und Neutrinos zerfallen, das Elektron in ein Neutron, ein Antiproton und Neutrinos. Insgesamt bewirken zusätzliche Zeitdimensionen, dass komplexe Strukturen höchst instabil werden, es sei denn, sie werden bei extrem niedrigen Temperaturen ›eingefroren‹.41
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Das 1 × 1 des Universums
in st a bil
5
3
2
u n vo r h e r sa g ba r
Zahl der Zeitdimensionen
4
1
nur Tachyonen
u n vo r h e r s a g ba r
zu Wir befinden uns hier!
einfach
0
i n s t a bi l
u n vo r h e r s a g b a r 0
1
2
3
4
5
Zahl der Raumdimensionen
A b b ild u n g 1 0 .1 2 Eigenschaften von Universen mit unterschiedlich vielen Raum- und Zeitdimensionen.
Wenn wir Welten mit anderen Dimensionen als 3+1 betrachten, fällt uns ins Auge, dass man bei mehr als einer Zeitdimension die Zukunft nicht vorhersagen kann. So gesehen haben diese Welten überhaupt keine Zeitdimension. Ein komplex organisiertes System, wie es für die Existenz von Leben notwendig ist, könnte keine Informationen, die es seiner Umwelt entnommen hat, zur Gestaltung seiner Zukunft nutzen. Es würde auf niedrigstem Niveau dahinvegetieren: zu simpel konstruiert, um Informationen speichern und verarbeiten zu können. Könnte man die Dimensionen des Raums und der Zeit einfach auswürfeln und wären alle Kombinationen möglich, müssten wir davon ausgehen, dass ihre Zahl sehr groß ausfallen würde. Kleine Zahlen wären unwahrscheinlich. Die Einschränkungen, die wir der Welt auferlegen, indem wir die Existenz von ›Beobachtern‹ fordern, die sich dieses Problems annehmen, führen aber dazu, dass nicht alle Möglichkeiten realisiert werden können. Wir sind zwangsläufig dazu verdammt, in einem 3+1-dimensionalen Raum zu leben: Alle Alternativen würden Leben verbieten. Wenn Wissenschaftler in einem
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anderen Universum unsere Naturgesetze kennen, aber nicht die Zahl der Dimensionen unserer Raumzeit, so könnten sie diese Zahl allein aus der Tatsache unserer Existenz ableiten. Wir haben nun gesehen, dass Whitrows Ansatz zur Lösung des Problems, warum der Raum drei Dimensionen hat, zu weitreichenden Erwägungen darüber führt, wie und warum dreidimensionale Welten mit einer einzigen Zeitrichtung etwas Besonderes sind. Die Alternativen sind für die Existenz komplexer Beobachter zu einfach, zu instabil, oder sie erlauben keine Vorhersage der Zukunft. Wir sollten daher nicht allzu überrascht sein, dass wir uns in einem dreidimensionalen Raum vorfinden und von einer einzigen Zeit heimgesucht werden – es gibt keine Alternative.
Theodor Kaluza und Oskar Klein: ein seltsamer Fall Theodor Kaluza (1885–1954) war das einzige Kind eines angesehenen Lehrers, der im oberschlesischen Ratibor, dem heutigen Racibórz, lebte und Englisch und Deutsch unterrichtete. Theodor zeigte aber schon früh Talent für Mathematik und schrieb sich an der Universität Königsberg ein, wo er 1910 promovierte. Bis zu diesem Punkt waren alle Wege für eine erfolgreiche Universitätskarriere in Forschung und Lehre geebnet. Er war ein liebenswürdiger Mensch mit weit gefächerten Interessen und einem ausgeprägten Sinn für Humor. Er sprach und schrieb 15 Sprachen, war aber weniger geschickt im Umgang mit den praktischen Erfordernissen des Alltagslebens. Sein Sohn berichtete, dass es für ihn typisch war, wie er in den frühen 1930er Jahren das praktische Problem löste, nun endlich schwimmen zu lernen. Er kaufte sich ein einschlägiges Lehrbuch, ackerte es sorgfältig durch, sprang ins Wasser – und hatte schon mit seinem ersten Versuch Erfolg. Seiner Ansicht nach ein Triumph des theoretischen Wissens! Aber aus irgendeinem Grund geriet Kaluzas Karriere ins Stocken. Anstatt wie andere talentierte Wissenschaftler zwei oder drei Jahre als Assistent zu arbeiten, wurden daraus zwanzig, ohne dass er eine Professur erlangte. Es war während dieser langen Wartezeit, als er im
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April 1919 Einstein von seiner neuen Idee berichtete, Elektrizität, Magnetismus und Gravitation zu vereinigen. Einstein war damals unter den Physikern wegen seiner Arbeiten zur Relativität, Gravitation und Atomphysik schon sehr bekannt, während man in der breiten Öffentlichkeit noch nichts von ihm Die Dogmen einer ruhigen Vergangenheit wusste. Kaluza hatte herausgefunden, sind der stürmischen Gegenwart unandass man Einsteins Theorie der Gravigemessen. Die derzeitige Situation ist voltation mit der Maxwellschen Elektriziler Schwierigkeiten und wir müssen mit täts- und Magnetismustheorie auf sehr der Herausforderung wachsen. Da unser ökonomische Weise vereinigen konnte, Problem neu ist, müssen wir alles neu überdenken und neu handeln. Wir müswenn man eine zusätzliche vierte sen uns von allen Zwängen befreien, Raumdimension zuließ. Einstein war dann werden wir unser Land retten. von Kaluzas »fünfdimensionaler ZylinAbraham Lincoln42 derwelt« recht angetan: »Auf den ersten flüchtigen Blick gefällt mir Ihre Idee enorm.«43 Er drängte Kaluza, seine Arbeit zur Veröffentlichung vorzubereiten und schickte den Text zusammen mit seiner Empfehlung an die Preußische Akademie, die ihn auch tatsächlich 1921 in den Sitzungsberichten abdruckte.44 Kaluzas Ansatz war genial: Der Elektromagnetismus ist etwas Ähnliches wie die Gravitation und breitet sich in einer weiteren (vierten) Raumdimension aus. Aber während dieser theoretische Ansatz mathematisch bestechend elegant war, warf er eine unangenehme praktische Frage auf: Warum bekommen wir von dieser vierten Dimension nichts mit? Kaluza ist dieser Frage nicht nachgegangen. Erst 1926 fand der schwedische Mathematiker und Physiker Oskar Klein (1894–1977), ein früherer Student von Kaluza, eine Lösung für dieses Rätsel. Klein hatte ganz ähnliche Theorien wie Kaluza entwickelt, verfolgte diese aber nicht weiter, als er merkte, dass Kaluza ihm zuvorgekommen war. Er hatte an Niels Bohr geschrieben, dass man die Wurzel der Planckschen Konstante wohl in Periodizitäten der fünften Dimension finden könnte. In einer Arbeit über die fünfdimensionale Relativitätstheorie präzisierte er diesen Gedanken: Es ist bekanntlich immer weniger wahrscheinlich geworden, dass die Quantenerscheinungen eine einheitliche raumzeitliche Beschreibung zulassen, wogegen die Möglichkeit, diese Erscheinungen durch ein System von fünfdimensionalen Feldgleichungen darzustellen, wohl nicht von vornherein auszuschließen ist.45
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Das Problem, dass wir die zusätzliche Dimension nicht wahrnehmen, fand eine einfache Lösung: Sie ist außerordentlich klein und zudem eingerollt. Ihr Umfang beträgt ganze 10-30 cm. Die Größe der Feinstrukturkonstante, die wir in unseren drei Dimensionen messen, wird von den Ausmaßen der zusätzlichen Dimensionen mitbestimmt. Eine Zeit lang interessierte man sich noch für die ›Kaluza-Klein-Theorie‹, dann geriet sie in Vergessenheit. Erst in den 1980er Jahren wurde sie wieder hervorgeholt und rückte in den Mittelpunkt des Interesses der Physiker. Die Kaluza-Klein-Theorie eröffnete den Physikern eine Welt mit zusätzlichen Raumdimensionen, die nicht mit den Problemen behaftet ist, die Ehrenfest und andere angesprochen hatten. Der Trick besteht einfach darin, dass nicht alle Dimensionen gleichberechtigt sein dürfen: Die Zusatzdimensionen müssen, verglichen mit den drei vertrauten Dimensionen, winzig und unveränderlich sein, wenn sie den Charakter der Welt, wie wir sie wahrnehmen, nicht verändern sollen. Die Naturkräfte sind undemokratisch und wirken nicht in allen Dimensionen gleich. Die Ideen von Kaluza und Klein wurden zu neuem Leben erweckt, als man die schwache und die starke Kraft mit der Gravitation und der elektromagnetischen Kraft zu vereinigen versuchte, indem man weitere Dimensionen einführte. Funktionierte dies, könnte man die Naturkonstanten, die angeben, wie stark die vier Kräfte sind, durch die Größe der jeweiligen Zusatzdimensionen bestimmen. Eine Zeit lang sah diese neue Idee erfolgversprechend aus, und es wurden ernsthafte Anstrengungen unternommen, um den Wert der Feinstrukturkonstante im Rahmen von Theorien mit Zusatzdimensionen zu bestimmen.46 Bald aber zeigten sich die Schwächen des Ansatzes. Der Versuch, aus den einfachen Zusatzdimensionen, wie sie Kaluza und Klein vorgeschlagen hatten, die komplizierten Eigenschaften der schwachen und der starken Kraft abzuleiten, scheiterte. Genausowenig vermochte man die Eigenschaften der eigenwilligen Elementarteilchen, die sie beherrschen, daraus abzuleiten. Die Lehren, die man aus dem Ansatz gezogen hatte, blieben jedoch weiterhin wichtig und konnten für die Entwicklung der neuen Superstring-Theorie mit Nutzen fruchtbar gemacht werden. Wie wir sehen werden, behebt sie die Mängel der Kaluza-Klein-Theorie. Am wichtigsten war aber die Erkenntnis, dass auch die Naturkonstanten in allen Raumdimensionen beheimatet
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Das 1 × 1 des Universums
sein müssen, wenn wir zulassen, dass die Welt von mehr als drei aufgespannt wird. Die Schattenbilder der Naturkonstanten im dreidimensionalen Raum können sich durchaus in der Größe unterscheiden und, noch bemerkenswerter, sie müssen nicht einmal konstant sein. Kaluza wurde schließlich doch noch Professor: zunächst 1929 in Kiel und dann 1935 in Göttingen, nachdem sich Einstein für seine Berufung eingesetzt hatte. In seinem Gutachten hatte er eindringlich auf das Neue an Kaluzas Ansatz hingewiesen, mit der Einführung einer neuen Dimension die Gravitation mit dem Elektromagnetismus zu vereinigen.
Variable Konstanten für den Tanz auf dem Brane Die interessanteste Konsequenz zusätzlicher Raumdimensionen besteht darin, dass die Naturkonstanten nicht mehr konstant sein müssen. Wenn die Welt wirklich vier Raumdimensionen hat, so sind auch die Naturkonstanten vierdimensional, und wir nehmen in unserer dreidimensionalen Welt nur dreidimensioEs gibt zwei Möglichkeiten, Licht auszunale Abbilder von ihnen wahr. Diese Absenden: die Kerze zu sein oder der Spiebilder müssen nicht einmal konstant gel, der das Licht reflektiert. sein! Wachsen die Zusatzdimensionen Edith Wharton47 in ähnlicher Weise an, wie die übrigen drei Dimensionen, werden im gleichen Maß die Werte der Naturkonstanten in der 3-D-Welt kleiner. Daraus können wir zunächst einmal den Schluss ziehen, dass die Änderungen der zusätzlichen Dimensionen sehr langsam vonstatten gehen müssen, da wir sonst unsere Konstanten niemals Konstanten genannt hätten. Nehmen wir eine der traditionellen Naturkonstanten, die Feinstrukturkonstante. Wenn die mittlere Größe der zusätzlichen Raumdimensionen r ist, wird sich der Wert der dreidimensionalen Feinstrukturkonstante α proportional zu 1/r2 ändern. Wir müssen uns vorstellen, dass wir in einem vierdimensionalen expandierenden Universum leben, uns aber nur im dreidimensionalen Raum bewegen können. Die elektromagnetische Kraft kann alle vier Dimensio-
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Neue Dimensionen
Größe
nen ›sehen‹, und ihr dreidimensionaler Anteil wird schwächer werden, wenn die vierte Dimension anwächst. Wir wissen, dass sich die dreidimensionale Feinstrukturkonstante nicht annähernd so schnell änderte, wie sich das Universum und seine Dimensionen ausgedehnt haben. Deshalb muss sich die vierte von den anderen drei Dimensionen erheblich unterscheiden. Klein hielt sie für sehr klein und unveränderlich. Eine zusätzliche Kraft fängt die Zusatzdimensionen ein und sorgt dafür, dass sie klein bleiben. Ändern sie ihre Größe nicht wesentlich, wird auch keine der Naturkonstanten variieren. Es gibt ein mögliches Szenario, nach dem sich alle Dimensionen des Universums zu Beginn gleich verhalten haben. Dann wurden aber einige von ihnen eingefangen, erfuhren keine Veränderungen mehr und blieben klein, während drei Dimensionen sich weiter ausdehnten und das Universum aufspannten, wie wir es heute vorfinden (Abbildung 10.13).
dr
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s en m i d um die übrigen Raumdimensionen b l e i b e n ko n s t a n t
alle Raumdimensionen dehnen sich aus
Zeit A b b ild u n g 1 0 .1 3 Szenario eines Universums, dessen Expansion mit vielen Raumdimensionen beginnt. Sie werden zu einem bestimmten Zeitpunkt bis auf drei eingefangen und bleiben dann konstant.
1982 schlugen die String-Theoretiker eine spektakuläre Lösung für ein altes Problem vor: Wie kann man die Quantentheorie mit Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie vereinigen? Alle vorherigen Versuche waren jämmerlich gescheitert, denn sie führten zu unendli-
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Das 1 × 1 des Universums
chen Größen.48 Diese ›Singularitäten‹ waren die Crux aller Theorien mit drei Raumdimensionen und einer Zeitdimension. 1984 konnten Michael Green und John Schwarz aber zeigen, dass man dieses Problem bewältigen kann, indem man zwei radikale Ideen miteinander kombiniert: Man muss die Vorstellung aufgeben, dass die grundlegendsten Strukturen punktförmig sind, also keine Ausdehnung haben, und zudem mehr als drei Raumdimensionen zulassen. Dann verschwindet das Spukwerk unendlicher Größen: Sie heben sich auf wunderbare Weise gegenseitig auf. Wie schon bei den frühen Varianten der Kaluza-Klein-Theorie kann man ausschließen, dass sich die Zusatzdimensionen merklich ändern, da wir sonst auch in unserer dreidimensionalen Welt deutliche Änderungen der Naturkonstanten feststellten. Man nahm erneut an, dass sich die Zusatzdimensionen in der Gewalt einer unbekannten Kraft befinden, die auf Entfernungen von der Größenordnung der Planck-Länge mit ihren 10-33 cm wirkt. Die einfache Idee, dass an der Expansion des Universums nur drei Dimensionen beteiligt sind, wirft ein Schlaglicht auf die zentralen Geheimnisse der Dimensionen von Zeit und Raum. Die String-Theorien geben an, welche Zahl von Raum- und Zeitdimensionen ›möglich‹ ist. Man hat bisher weder herausgefunden, warum nur eine der RaumZeit-Dimensionen den Charakter einer Zeit hat, noch warum gerade drei Raumdimensionen bei der Expansion des Universums anwachsen. Wenn die übrigen Dimensionen dazu verdammt sind, winzig zu bleiben, würden wir gern wissen, warum davon gerade drei ausgenommen sind oder ob dies nur Zufall ist und im Prinzip auch anders hätte ausfallen können. Ist die Zahl der besonderen Raumdimensionen das Ergebnis von Zufällen, die sich zu Beginn des Universums ereigneten, könnte es irgendwo hinter dem Horizont des für uns sichtbaren Universums auch Bereiche der Welt mit mehr als drei ›großen‹ Dimensionen geben. War die Wahl Zufall, können wir diesen Aspekt der Welt auch nicht weiter im üblichen reduktionistischen Sinn erklären: Nur in Welten mit drei Raum- und einer Zeitdimension kann es uns geben, und nur in ihnen können wir diese Tatsache registrieren. Vor einiger Zeit wurde ein weiterer Versuch unternommen, das Problem der Dimensionen und Konstanten zu klären. Anstatt die Zusatzdimensionen einzufangen und damit konstant zu halten, ist es nun erlaubt, dass einzig die Gravitation in allen Raumdimensionen wirkt. Die
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Neue Dimensionen
anderen drei Grundkräfte der Natur bleiben dagegen auf die ›klassischen‹ drei Raumdimensionen beschränkt, die jenen Teil unseres Universums aufspannen, den man ›Brane-Welt‹ nennt (siehe Abbildung 10.14), weil er die Struktur einer multidimensionalen Membran hat. in höhere Dimensionen Gravitation Wärme und Licht
Atome
Kernkraft
N
S
Radioaktivität Magnetismus
dreidimensionale Brane-Welt
A b b ild u n g 1 0 .1 4 Die Naturkräfte, die die Elektrizität, den Magnetismus, die Radioaktivität und die Kernreaktionen beherrschen, sind auf eine dreidimensionale ›Brane-Welt‹ beschränkt, während die Gravitation in allen Dimensionen wirkt und entsprechend schwächer ist.
Die Gravitation wirk über diese Brane-Welt hinaus in die höheren Raumdimensionen des ›Bulk‹-Universums49. Deshalb ist sie relativ zu den anderen Kräften, die ihre Kraftlinien nur in drei Dimensionen verbreiten, vergleichsweise schwach. Die Brane-Welten sind derzeit vielerorts das Objekt von Spekulationen. Man will damit herausfinden, ob von ihnen irgendein eindeutiger Rest im Universum verblieben ist, den man beobachten und messen kann. In den nächsten Jahren wird man durch diese Untersuchungen vielleicht das Bindeglied zwischen den Naturkonstanten des ›wahren‹ höherdimensionalen Raums und ihren Spuren finden, die im dreidimensionalen Brane-Raum, also ›unserem‹ Universum wirksam werden. Es könnte sein, dass wir an der Schwelle tiefgreifender Entdeckungen stehen, die den Stellenwert angeben, den unser sichtbares Universum im Hyperspace hat.
Kapitel 11
Variationen über ein Thema Für einen Physiker im Präkambrium wäre es sehr einfach gewesen, einen Kernreaktor zu bauen. George A. Cowen1
Ein prähistorischer Kernreaktor Am 2. Juni 1972 machte Dr. H. Bouzigues eine beunruhigende Entdeckung, eine Entdeckung von der Art, die unzählige politische, wissenschaftliche oder sogar kriminelle Folgen haben kann.2 Bouzigues war Angesellter der Wiederaufbereitungsanlage von Pierrelatte in Frankreich. Zu seinen Routineaufgaben gehörte es, die Zusammensetzung der Erze zu überprüfen, die aus der früheren französischen Kolonie Gabun kamen, genauer gesagt, aus den Oklo-Uranminen3, 440 Kilometer vom Atlantik entfernt (siehe Abbildung 11.1). Bouzigues untersuchte wieder und wieder, welche Anteile der Isotope U235 und U238 das angelieferte Erz hatte, indem er Gasproben von Uranhexafluorid analysierte.4 Die beiden Uranisotope haben einen entscheidenden Unterschied: U238, aus dem das natürlich vorkommende Uranerz auf der Erde vorwiegend besteht, kann keine Kettenreaktion aufrechterhalten, ansonsten wäre unser Planet schon in grauer Vorzeit explodiert. Um eine Atombombe zusammenzubasteln oder eine Kettenreaktion in einem Reaktor auszulösen, muss das Isotopengemisch des Urans einen bestimmten Anteil von U235 haben. In natürlichem Uran beträgt dieser Anteil nur Bruchteile eines Prozents, während man für eine Kettenreaktion mindestens 3 Prozent braucht. ›Waffentaugliches‹ oder ›hochangereichertes‹ Uran enthält 90 Prozent U235. Diese Zahlen sorgen dafür, dass wir ruhig schlafen können, denn in der Erde wird von selbst keine Kettenreaktion in Gang kommen, die sie in eine Bombe verwandelt. Aber wer weiß? Vielleicht gibt es irgendwo Erz mit einem höheren Anteil von U235?
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Variationen über ein Thema
Bouzigues führte seine Messungen mit großer Präzision durch, um die Qualität des Rohstoffs sicherzustellen, der dann in der französischen Nuklearindustrie verwendet werden sollte. Bis zu jenem Junitag im Jahr 1972 war das Routine, aber jetzt wurde die sorgfältige Arbeit des Wissenschaftlers belohnt. Üblicherweise enthält Uranerz aus Minen oder auch aus Meteoriten und vom Mond 0,7202 ± 0,006 Prozent U235, bei der Probe von Oklo waren es aber 0,7171 ± 0,0007 Prozent! Man kannte den Standardwert von zahlreichen
Kamerun ÄquatorialGuinea Sangh a
Libreville
Äquator
Kap Lopez
Franceville
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Moanda Ko
Mouila
ng
Ok
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Gabun
Atlantischer Ozean
Republik Kongo
A b b ild u n g 1 1.1 Lage von Oklo in Gabun (Westafrika).
Messungen, und der neue Wert trat gleichermaßen in allen Proben auf, die von Oklo kamen. Obwohl die Abweichung an sich klein war, läuteten sämtliche Alarmglocken, denn das Uran von der Oklo-Mine war offensichtlich anders als jedes Uranerz der Welt. In der Tat zeigten alle Proben seit 1970, als man mit dem Uranabbau in Oklo begonnen hatte, den geringeren U235-Anteil. Immerhin fehlten bei 700 inzwischen abgebauten Tonnen Uran ungefähr 20 kg U235!
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Das 1 × 1 des Universums
Wohin waren sie verschwunden? Es sah so aus, als wäre mit dem Erz vor seinem jetzigen Abbau schon einmal ein Reaktor beschickt worden, wobei sich der U235-Anteil reduziert hatte. Die französische Atomenergie-Kommission erwog alle denkbaren Möglichkeiten. Vielleicht waren die Proben mit gebrauchtem Brennstoff aus einem Reaktor verunreinigt worden? Es gab aber keinerlei Anzeichen für die intensive Radioaktivität, die damit verbunden gewesen wäre, zudem fehlte auch – zumindest, wenn man den Büchern glaubte – kein angereichertes Uranhexafluorid. Ein Diebstahl durch Terroristen wurde ebenso ausgeschlossen wie Ablagerungen aus dem Weltall. Auch alle anderen Möglichkeiten wurden untersucht. Vom Abbau in Gabun über die dortige Aufbereitung und den Transport bis zur Verarbeitung in Frankreich, bevor es zur Wiederaufbereitungsanlage Pierrelatte gebracht wurde, stieß man auf nichts Auffälliges. Nach und nach kamen dann die Experten auf die richtige Spur: Es schien eine natürliche Ursache für das zu niedrige Verhältnis U235/U238 zu geben, die in dem Uranerzlager selbst verborgen war. Als man die Mine näher untersuchte, wurde endgültig klar, dass das fehlende U235 nirgendwo anders als in den Flözen der Mine vernichtet worden war. Die Möglichkeit, dass es durch eine chemische Reaktion verschwunden war, während U238 zurückblieb, schied aus, denn das U235/U238-Verhältnis wird durch die chemischen Prozesse im Erdinnern nicht beeinflusst. Derartige Prozesse können dazu führen, dass bestimmte Gegenden auf der Erde reich an Uran sind – oder arm, wenn es ausgewaschen und fortgeschwemmt wird. Sie ändern aber nichts am Isotopenverhältnis, denn sie wirken unabhängig vom Atomgewicht. Nur Kernreaktionen und der radioaktive Zerfall kamen als Ursache in Frage (siehe Abbildung 11.2). Den Forschern dämmerte langsam die überraschende Lösung des Problems. Die Schichten mit dem abgereicherten Uranerz enthielten in einem ganz bestimmten Verhältnis auch noch mehr als 30 andere Atome, wie sie typischerweise bei der Kernspaltung auftreten: eine Palette, die man aus Reaktorexperimenten kannte. Die Verhältnisse unterschieden sich völlig von denen, die man natürlicherweise in Gestein findet. Die Experten fanden in den Oklo-Minen also quasi die Schmauchspuren bestimmter Kettenreaktionen, die sie schließlich in sechs Lagerstätten nachweisen konnten. Einige Isotope der
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Variationen über ein Thema
U235
angeregter Urankern
instabiler Urankern
Neutron
Spaltung
Spaltprodukte
Neu
Ne
tr o
u tr
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on
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A b b ild u n g 1 1.2 Spaltung eines U235-Kerns.
vorgefundenen Elemente sind keine Spaltprodukte. Ihr Spektrum liefert uns ein Maß für die Isotopenverteilung vor irgendwelchen Kernreaktionen und erlaubt somit, die Auswirkungen und den Zeitablauf jener Reaktionen zu bestimmen.5 Es schien, als habe die Natur heimlich einen Kernreaktor geschaffen, in dem vor 2 Milliarden Jahren unter der Erdoberfläche eine spontane Kettenreaktion einsetzte.6 In diesem geologischen Zeitabschnitt von Gabun wurden die Spaltprodukte dort abgelagert, wo sich heute die Uranmine befindet. Eine erste Folge dieser sensationellen Entdeckung war 1972 die Unterbrechung des Erzabbaus für einige Zeit, um detaillierte geochemische Untersuchungen anstellen zu können. Man fand schließlich 15 fossile Reaktorplätze, 14 um Oklo und einen weiteren in Bangombé, 25 km südlich. Schon 1956 hatte der japanische Physiker Paul Kuroda, der an der Arkansas University arbeitete, die Vermutung geäußert, dass sich so etwas in der Natur ereignen könne.7 Kuroda berücksichtigte nahezu alle Voraussetzungen für eine Kernreaktion: die Konzentration von Uran, die Epoche der Vergangenheit, in der sich das Ereignis abspielen konnte und das Verhältnis der beiden Uranisotope.8 Er konnte sich aber keinen Ort auf der Erde vorstellen, wo jemals all die besonderen Voraussetzungen zur gleichen Zeit erfüllt waren. Kuroda war
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Das 1 × 1 des Universums
eine Möglichkeit entgangen, die sich aus der Geologie am Oberlauf des Ogowe ergeben hatte. Im Rahmen des Manhattan-Projekts, das zur Entwicklung der ersten Atombombe führte, löste Enrico Fermi als erster Mensch am 2. Dezember 1942 eine Kettenreaktion aus. Bei einer solchen Reaktion werden schwere Kerne in leichtere gespalten, wobei Energie frei wird und schnelle Neutronen in den Raum schießen, die weitere Kerne spalten. Vom Menschen geschaffene Reaktoren werden durch ›Moderatoren‹ wie Graphit oder Wasser in Zaum gehalten, die Neutronen absorbieren oder abbremsen, und damit die Kettenreaktion steuern. Die schnellen Neutronen, die bei der Kernspaltung entstehen, werden von U238-Kernen absorbiert. Damit sie mit ausreichender Wahrscheinlichkeit von U235-Kernen absorbiert werden können und damit die Kettenreaktion aufrecht erhalten, müssen sie erheblich abgebremst werden. Man kann dazu beispielsweise Graphitstangen verwenden, die man zwischen die Brennelemente schiebt. Ohne solche Moderatoren gerät die Kettenreaktion außer Kontrolle: der Reaktor brennt durch, wenn einmal der kritische Punkt überschritten ist – oder die Kettenreaktion schläft ein. Was diente in Oklo als Moderator? Das Isotopenverhältnis im Uranerz war nicht während der gesamten Erdgeschichte gleich. Beide Isotope sind radioaktiv, zerfallen aber mit verschiedenen Halbwertszeiten. U235 hat eine Halbwertszeit von etwa 700 Millionen Jahren, während die von U238 etwa 4,5 Milliarden Jahre beträgt. Der schnellere Zerfall von U235 bedeutet, dass dessen Anteil am Isotopengemisch früher größer war. Als sich die Erde vor etwa 4,5 Milliarden Jahren gebildet hat, betrug der Anteil von U235 etwa 17 Prozent. Vor 2,5 Milliarden Jahren, als die Erde bereits 2 Milliarden Jahre alt war, waren es nur noch 3 Prozent. Das reicht gerade für eine Kettenreaktion aus, die von Wasser moderiert wird. Die Uranlagerstätten von Oklo wurden in den 1960er Jahren entdeckt und sind einige Kilometer lang und etwa 700 m breit. Uran wurde während der Entstehung der Erde in ihrer Kruste eingelagert, wo sein anfänglicher Anteil sehr klein war und weniger als ein Millionstel betrug. Die Quelle der Uranatome lag wie die aller anderen schweren Elemente im Inneren der Sterne. Dort wurde das Uran erzeugt und in den Weltraum geschleudert, bevor es dann in der Frühgeschichte unseres Sonnensystems zu kleinen Brocken kondensieren
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Variationen über ein Thema
und sich an Planeten anlagern konnte. Nach der intensiven geologischen Phase der Erdbildung ist der Oklo-Reaktor durch Zufall entstanden: Uranreiche Flöze lagerten sich innerhalb einer Sandsteinschicht ab, die nach unten von Granit begrenzt war. Im Laufe von Millionen von Jahren wurde eine kilometerdicke Schicht von Sand über dem Uran angeschwemmt. Die Granitflächen sind 45° geneigt, was im Untergrund zur Bildung einer Blase mit angestautem Regenwasser und gelöstem Uranoxid führte (siehe Abbildung 11.3). Dicke des Flözes etwa 50 cm Sa
nd
st
ein
Reaktorkern Wasserdampf Wasser Urankonzentration unter 10 Prozent
Sa
nd
st
ein
uranreicher Flöz
Abbildung 11.3 Geologie des Oklo-Reaktors.
Das saure Wasser, das dazu nötig war, entstand nach einer gravierenden Veränderung in der Biosphäre der Erde: Vor etwa 2 Milliarden Jahren änderte sich die Zusammensetzung der Atmosphäre, weil sich blaugrüne Algen rasant vermehrten, die als erste Lebewesen über Photosynthese verfügten. Durch ihre Aktivität stieg der Sauerstoffgehalt im Wasser, und ein Teil des Urans konnte in lösliches Uranoxid verwandelt werden. In Oklo waren die Uranablagerungen
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Das 1 × 1 des Universums
tief genug begraben, um nicht im Verlauf der folgenden 2 Milliarden Jahre herausgewaschen und weggeschwemmt zu werden. Erst während der letzten 2 Millionen Jahre gelangten Teile der Ablagerungen näher an die Erdoberfläche, wo sie dann von Prospektoren entdeckt und ausgebeutet wurden. Das waren aber noch nicht alle Vorbedingungen für den natürlichen Reaktor. Die Schicht mit hoher Urankonzentration musste mindestens 50 cm mächtig sein, damit die Neutronen aus der ersten Kernspaltung nicht einfach nach außen entweichen konnten. Dann wäre die Kettenreaktion nämlich zum Erliegen gekommen. Darüber hinaus musste die Schicht frei von Verunreinigungen durch so genannte ›Neutronengifte‹ sein, die alle Neutronen verschluckt und damit die Kettenreaktion ebenfalls rasch beendet hätten. Als das gelöste Uran vor 2 Milliarden Jahren eine Konzentration von über 10 Prozent erreicht hatte, konnte nicht nur eine Kettenreaktion ausgelöst werden, sondern sich auch lange Zeit selbstgeregelt aufrechterhalten. Immer wenn sie stärker wurde, erhöhte sich die Temperatur, und das Wasser verdampfte. Die Wassermoleküle bremsten die Neutronen ab, wodurch die Temperatur wieder absank und mit ihr die Zahl der absorbierten Neutronen. Die Reaktion nahm wieder Fahrt auf. Dieser Kreislauf mit seinem Stop-and-Go scheint mit Unterbrechungen über beinahe 1 Million Jahre funktioniert zu haben. Die Zeitabschnitte, in denen der Reaktor kritisch war, dauerten von ein paar Jahren bis zu Tausenden von Jahren – bis sich schließlich der Reaktor selbst ausschaltete.9 An sechs Lagerstätten innerhalb der Oklo-Uranschicht wurde im Laufe der Zeit eine Tonne U235 verbrannt und dabei das Millionenfache der Energie erzeugt, die in dem langwierigen natürlichen Zerfallsprozess des Urans frei geworden wäre. Die gesamte Energieproduktion während der 200 000 Jahre Aktivität wurde mit 0,15 x 1012 kWh berechnet, was einer Leistung von nur etwa 25 kW entspricht. An jedem der Schauplätze kann man noch heute die charakteristischen Spuren der Kernspaltungen finden und sich von ihnen ihre Geschichte erzählen lassen.10 Das alles ist an sich schon bemerkenswert. Aber es sollten noch weitere Erkenntnisse folgen, die aus dem Oklo-Reaktor einen wichtigen Prüfstein für unser Verständnis der Naturkonstanten gemacht haben.
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Alexander Shlyakhters geniale Idee Alexander Shlyakhter war ein außergewöhnlicher junger Kernphysiker (siehe Abbildung 11.4). Er stammte aus St. Petersburg und war nach Harvard gegangen. Im Juni 2000 starb er an Krebs. Seine Fachkenntnisse waren von großer Bedeutung für die Untersuchung einiger Reaktorunfälle, insbesondere des Desasters von Tschernobyl in der damaligen UdSSR. Noch während seines Studiums erkannte er, dass uns die Aktivitätsspuren des Oklo-Reaktors wichtige Einzelheiten über dessen Arbeitsweise vor 2 Milliarden Jahren verraten können. Einige der Kernreaktionen mussten ungewöhnlich gewesen sein. Eine dieser Reaktionen – der Einfang eines Neutrons durch das Samarium-Isotop Sm149, das dadurch zu Sm150 wird und ein Photon aussendet – findet nur aufgrund einer Resonanz statt, einer dramatischen Zunahme der Reaktionsrate in einem engen Energiebereich. Eine solche Resonanz ist ein ähnlicher Glücksfall, wie wenn man beim Golfspiel den Ball mit nur einem Schlag ins Loch schickt. Wie wir schon von Hoyles Untersuchungen der Triple-Alpha-Reaktion wissen, tritt Resonanz auf, wenn die Summe der Energien der anfliegenden Beteiligten einer Kernreaktion fast genau einem Energieniveau bem Resultat der Reaktion entspricht.
A b b ild u n g 1 1.4 Alexander Shlyakhter (1951–2000).11
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Das 1 × 1 des Universums
Shlyakhter konnte nun aufgrund des genau lokalisierten Sm149-Resonanzniveaus für den Neutroneneinfang aus den Überresten des Oklo-Reaktors bemerkenswerte Schlüsse über die Konstanz der physikalischen Eigenschaften über Milliarden von Jahren hinweg ziehen. Das äußerst fein abgestimmte Zusammenspiel der Naturkonstanten, deren Größe die Resonanzniveaus bestimmt, musste auch schon vor 2 Milliarden Jahren mit hoher Präzision funktioniert haben, als der natürliche Reaktor gearbeitet hatte. In Abbildung 11.5 ist die Wahrscheinlichkeit der Samarium-Reaktion für Temperaturen zwischen 200° C und 500° C und verschiedene Abweichungen ∆Er vom heutigen Resonanzniveau dargestellt.
heute beobachteter Wert
Einfangquerschnitt in kb
200˚ C 150
100 500˚ C 50
0 –150 –100 –50
0
+50 +100 +150
Verschiebung der Resonanzenergie in meV
A b b ild u n g 1 1.5 Wahrscheinlichkeit des Neutroneneinfangs von Sm149 bei unterschiedlichen Reaktortemperaturen in Abhängigkeit von Verschiebungen der Resonanzenergie.12
Man fand heraus, dass im Oklo-Gebiet der Anteil von umgewandeltem Sm149 signifikant geringer ist als üblich. Dafür machte man den Resonanzcharakter des Neutroneneinfangs bei diesem SamariumIsotop verantwortlich. Drei der vier Naturkräfte, die starke, die schwache und die elektromagnetische, sind für die Lage des entscheidenden Resonanzniveaus verantwortlich. Unglücklicherweise kann
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man ihr Zusammenwirken noch nicht in allen Einzelheiten berechnen, da die Verknüpfungen äußerst komplex sind. Shlyakhter gelang trotz aller Komplexität ein Durchbruch mit der plausiblen Annahme, dass der Beitrag jeder Kraft zur Lage des Resonanzniveaus proportional zu ihrer Stärke ist. Wenn man annimmt, dass die Temperatur in dem Reaktor etwa 300° C betrug – der Siedepunkt des Wassers bei dem hohen Druck, der in dem Flöz herrschte –, kann man berechnen, dass das fragliche Resonanzniveau vor 2 Milliarden Jahren nicht weiter als 50 meV von seiner derzeitigen Position entfernt lag. Shlyakhter folgerte daraus, dass αS, der Kopplungskonstante der starken Kernkraft, enge Grenzen gesetzt sind, wenn die Wechselwirkung vorwiegend auf dieser Kraft beruht. Es gilt dann: Änderungsrate von αS / Wert von αS < 5 x 10-19/Jahr.
Das bedeutet, dass sich αS während der gesamten fast 14 Milliarden Jahre dauernden Geschichte unseres Universums nur um etwa ein Milliardstel geändert haben kann. Hat sich im Laufe der Zeit nur die elektromagnetische Wechselwirkung geändert, so gilt für die ihr zugeordnete Feinstrukturkonstante α Änderungsrate von α / Wert von α < 10-17/Jahr,
da die elektromagnetische Wechselwirkung zur gesamten Wechselwirkung der Samariumreaktion nur 5 Prozent beiträgt. Wenn sich nur die schwache Wechselwirkung verändert hat, so gilt für die entsprechende Konstante αW Änderungsrate von αW / Wert von αW < 2 x 10-12/Jahr.13
Diese Grenzen für die zeitliche Änderung der Naturkonstanten waren bei weitem enger als alle je zuvor berechneten. Das Universum hat sich fast 14 Milliarden Jahre ausgedehnt, und wenn wir diese Grenzen akzeptieren, so sagen sie uns, dass sich beispielsweise die Feinstrukturkonstante während dieser ganzen Zeit höchstens um 1 : 10 Millionen verändert haben kann. Grenzen, die man zuvor aus anderen Beobachtungen berechnet hatte, waren um einen Faktor von mehr als 10 000 weiter gesteckt.
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Einiges muss man noch zu den engen Grenzen für die Variation der Naturkonstanten klarstellen: (a) Die Ergebnisse stützen sich auf die Zeit vor 2 Milliarden Jahren, als der Oklo-Reaktor kritisch war. Sie reichen also, verglichen mit dem Alter der Erde (4,6 Milliarden Jahre) und dem Alter des Universums (13,7 Milliarden Jahre), nicht allzu weit zurück. (b) Wenn sich die verschiedenen Konstanten gleichzeitig geändert haben, kann das Gesamtergebnis anders ausfallen. (c) Die Annahmen, auf welche Weise die Naturkonstanten zur Lage des Resonanzniveaus beitragen, sind ebenso stark vereinfacht, wie die Annahmen über die Temperatur im Inneren des kritischen Reaktors.
Der einzigartige Prüfstein für die Konstanz der Naturkonstanten, den uns der Oklo-Reaktor liefert, hat andere Forscher angeregt, Shlyakhters brillante Untersuchungen fortzuführen und noch mehr ins Detail zu gehen.14 Das ausgefeilteste Projekt dieser Art wurde von Yasanori Fujii und seinen Mitarbeitern in Japan durchgeführt.15 In Abbildung 11.5 können wir sehen, wie eine Verschiebung der Resonanzenergie (also ∆Er ≠ 0) den Einfangquerschnitt für Neutronen bei verschiedenen Reaktortemperaturen verändert. Der Einfangsquerschnitt in der Zeit vor 2 Milliarden Jahren liegt der Analyse des Samariums nach zwischen 85 und 97 kb16. Die an den Untersuchungen beteiligten Forscher stimmen darin überein, dass die Temperatur im Reaktor irgendwo zwischen 200° C und 500° C gelegen haben muss. Wenn man nun die Kurven dieser Temperaturen betrachtet, erkennt man zwei Bereiche von ∆Er, in denen der Einfangsquerschnitt innerhalb der erlaubten Grenzen liegt: -12 meV < ∆Er < 20 meV im rechten Ast und -105 meV < ∆Er < -89 meV im linken Ast.
Die Grenzen im rechten Ast stellen eine Präzisierung der Ergebnisse Shlyakhters dar. Wenn man nun annimmt, dass die Feinstrukturkonstante die einzige variable Naturkonstante ist, gilt für das Limit ihrer zeitlichen Variation
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Änderungsrate von α / Wert von α = (-0,2 ± 0,8) x 10-17/Jahr.
Es ist damit weit enger als das zuerst angegebene. Wegen der Fehlergrenze von ± 0,8 x 10-17/Jahr kann man aber eigentlich überhaupt keine klare Aussage machen. Dazu müsste die Fehlergrenze deutlich unter ± 0,2 x 10-17/Jahr gedrückt werden. Wenn man andererseits den linken Ast der Kurven von Abbildung 11.5 heranzieht, ist ∆Er eindeutig nicht Null, woraus man ableiten kann, dass sich die Feinstrukturkonstante seit dem Oklo-Ereignis geändert hat. Das Ausmaß dieser Änderung kann man abschätzen:17 Änderungsrate von α / Wert von α = (-4,9 ± 0,4) x 10-17/Jahr.
Berücksichtigt man nun noch die Anteile anderer Isotope in den Überbleibseln des Oklo-Reaktors, scheidet möglicherweise dieses zweite Ergebnis aus.18 Aufgrund der begrenzten Qualität der Proben und der Ungewissheit über die Temperatur während des Reaktorbetriebs wäre dieses Urteil nach dem jetzigen Stand des Wissens allerdings verfrüht. Interessant ist noch, welche Folgen es hat, wenn sowohl die elektromagnetische als auch die starke Kernkraft zeitlich variieren. Das führt zu Grenzen für die Variationsrate beider ›Konstanten‹, die in etwa denen entsprechen, die wir schon für die Feinstrukturkonstante angegeben haben. Es gibt aber einen besonderen, allerdings sehr konstruiert wirkenden Fall, bei dem die Grenzen für Variationen weit weniger eng gesteckt sind. Wenn aus irgendeinem unbekannten Grund die Änderungsraten der starken und der elektromagnetischen Wechselwirkung über 2 Milliarden Jahre hinweg bis auf einen Unterschied von 10-7 gleich sind, heben sich die beiden Effekte auf. Die neuen Limits erreichen dann ein Niveau, wie wir es vorfinden würden, wenn es überhaupt keine besondere Resonanz für den Einfang von Neutronen gäbe: Änderungsrate von α (oder αS) / Wert von α (oder αS) < 10-10/Jahr.
Wenn diese feinabgestimmte 1 : 10 Millionen-Chance für eine deutliche Änderung von elektromagnetischer und starker Wechselwirkung auch reichlich an den Haaren herbeigezogen erscheint, handelt es sich doch um ein Ergebnis, das auch aus vielen Theorien folgt, die
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versuchen, die verschiedenen Naturkräfte zu vereinigen. Aus diesem Grund sollte man diese Variante nicht als völlig absurd verwerfen.19
Die Uhr der Ewigkeit Die meisten Menschen assoziieren mit ›Radioaktivität‹ Begriffe wie Unfall, Abfall, Leck, Krebs oder Katastrophe. Aber ohne Radioaktivität gäbe es uns überhaupt nicht! Die empfindlich ausbalancierten Prozesse, die zu jenem ständigen Energiefluss von der Sonne führen, in dem unsere Erde badet, werden erst durch die Radioaktivität möglich. Als die Erde vor 4,5 Milliarden Jahren zu ihrer jetzigen Form kondensierte, enthielt sie in ihrem Die Eulersche Zahl e weist eine unendKern genügend Metalle wie Nickel und liche Folge von Ziffern nach dem Komma Eisen, um ein merkliches Magnetfeld auf. Diejenigen, die mit der Geaufzubauen. Wie wir schon gesehen schichte der Vereinigten Staaten vertraut haben, hätte ohne dieses schützende sind, können sich als Eselsbrücke merMagnetfeld der Sonnenwind die Atken: e = 2,7 (Andrew Jackson)² bzw. e = 2,718281828 …, denn Andrew Jackson mosphäre schon längst weggeblasen – wurde 1828 zum Präsidenten der Vereiwie auf dem Mars. nigten Staaten gewählt. Für die in MatheZusammen mit diesem lebenserhalmatik Beschlagenen wiederum ist tenden inneren Kern aus Nickel und dies eine zuverlässige Methode, sich an Eisen wurden in der Ur-Erde auch die Geschichte der USA zu erinnern. reichlich radioaktive Elemente wie 20 Edward Teller Uran eingelagert, die seitdem das Erdinnere durch den radioaktiven Zerfall aufheizen. Diese Maschine im Erdinnern spielte für die Freisetzung des geologischen Potenzials der Erde eine Schlüsselrolle. Der unterirdische Ofen hat immer wieder Schübe von Gebirgsbildung und Plattenbewegung ausgelöst, damit die Erdoberfläche in Bewegung gehalten und sie zu einer wohnlichen Umgebung für Wasser- und Landtiere gemacht. Als Dirac und Gamow zum ersten Mal die Idee äußerten, die traditionellen Naturkonstanten könnten sich langsam ändern, wurde den Physikern auch bewusst, dass die Konstanten, die den radioaktiven Zerfall bestimmen, für die Geschichte des Planeten Erde von
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entscheidender Bedeutung sind. Jede Änderung ihrer Werte in der Vergangenheit hätte vermutlich ein fein abgestimmtes Gleichgewicht gekippt, sei es, dass zu viel, sei es, dass zu wenig Wärme erzeugt worden wäre. Radioaktive Elemente stellen eine Art Uhr dar. Ihre Halbwertszeiten geben uns an, wie lange es dauert, bis die Hälfte der Atome zerfallen ist. Die Halbwertszeiten der natürlich vorkommenden radioaktiven Elemente reichen von Milliarden bis zu Tausenden von Jahren. Freeman Dyson folgte ersten Ansätzen von David Wilkinson21, als er die Halbwertszeiten des Beta-Zerfalls langlebiger radioaktiver Kerne wie Rhenium (Re187) und Kalium (K40) heranzog, um Grenzen für Veränderungen der Feinstrukturkonstante in der Vergangenheit zu berechnen.22 Die besagten Isotope haben sehr lange Halbwertszeiten23, die in Laborexperimenten und durch den Vergleich mit dem Alter von Meteoriten recht genau bestimmt werden konnten. Wenn man annimmt, dass die Zerfallsrate von U238 während der letzten 2 Milliarden Jahre bis auf 20 Prozent Abweichung der heutigen gleich war, folgt daraus: Änderungsrate von α / Wert von α < 2 x 10-13/Jahr.
Ähnliche Untersuchungen, die von anderen Wissenschaftlern für die unterschiedlichsten Zerfallssequenzen durchgeführt wurden, führten zu Grenzwerten der gleichen Größenordnung24, die schließlich durch die Werte abgelöst wurden, die sich aus den Untersuchungen des Oklo-Reaktors ergaben.
Untergrund-Spekulationen Der Oklo-Reaktor war möglicherweise nicht der einzige. Die Bedingungen, die herrschen müssen, damit eine Kettenreaktion aufrechterhalten werden kann, sind zwar ungewöhnlich, aber durchaus nicht völlig abwegig. Es kann gut sein, dass man andere Lagerstätten abgebaut hat, ohne zu bemerken, dass sich dort einmal ein Reaktor be-
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funden hatte. Vielleicht warten solche Plätze auch noch auf ihre Entdeckung. Obwohl es Minen in Afrika und den USA (Colorado) gibt, die einen Mangel an U235 aufweisen, der durch natürliche Kernreaktionen entstanden sein könnte, glaubt man aber nicht, dass es sich um frühere Reaktoren handelt. Die Entdeckung der natürlichen Kernreaktoren ist nicht nur für das Studium der Naturkonstanten von Dieses Salz ist vor 200 Millionen Jahren großer Wichtigkeit. Sie gibt den Kerndurch uralte geologische Prozesse physikern auch die notwendigen Ausim deutschen Gebirge entstanden. künfte über die zukünftige Stabilität Verfallsdatum April 2003. von nuklearem Abfall und über die BeAufschrift auf einer Salzpackung25 schaffenheit von Plätzen, wo er für lange Zeit unterirdisch eingelagert werden kann. Vielleicht wird eines Tages erneut die sorgfältige chemische Buchführung eines Wissenschaftlers zu einer Reihe aufregender Untersuchungen wie jenen führen, mit denen der Schleier vom Geheimnis des Oklo-Reaktors gerissen wurde. Wenn es auf der Erde natürliche Reaktoren geben kann, warum dann nicht auch anderswo? Es ist verlockend, über eine neue lebensunterstützende Wärmequelle zu spekulieren, die vielleicht in anderen Welten eine ungewöhnliche Rolle beim Anschub der biochemischen Evolution gespielt haben könnte. Wir haben schon Fred Hoyles Science-Fiction-Roman Comet Halley erwähnt, in dem die Entstehung von Leben beschrieben wird, das im Innern eines Kometen von natürlichen Kernreaktionen in Gang gesetzt und aufrechterhalten wird. Vielleicht wird man bei der Suche nach Planeten oder Monden in anderen Sonnensystemen auf ein Exemplar stoßen, auf dem ein Oklo-Reaktor weit größeren Ausmaßes tätig war, das Innere über lange Zeiten aufheizte und zur Entwicklung von komplexem bakteriellem Leben führte, bis er erlosch und den Planeten schlafend und äußerlich tot zurückließ. Der Gedanke ist ernüchternd, dass das Zeitfenster der kosmischen Geschichte, in dem Leben existieren kann, uns auch einige interessante nukleare Konsequenzen auferlegt. Wir haben gesehen, dass wegen der zwei unterschiedlichen Halbwertszeiten der beiden Uranisotope U235 in der Vergangenheit häufiger als heute war, während es in der Zukunft immer seltener werden wird. Im letzten Jahrhundert
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haben wir in der Erdkruste Elemente entdeckt, mit denen wir die Atombombe bauen können, wenn es uns nur gelingt, die aktiven U235-Isotope von den häufigeren U238-Isotopen zu trennen. Bei einem ersten Auftritt des Menschen auf der Erde zu einer viel früheren Zeit (oder einem Auftritt erst in ferner Zukunft) wären die Aussichten, Kernwaffen zu entwickeln und anzuwenden, völlig anders gewesen. Johann von Neumann, einer der bemerkenswertesten Wissenschaftler des 20. Jahrhunderts, analysierte die Lage zu Beginn des Nuklearzeitalters sehr weitblickend: Wäre der Mensch mit seiner Technologie schon vor einigen Milliarden Jahren auf der irdischen Bühne erschienen, wäre die Abtrennung von U235, das für die Herstellung der Bombe entscheidend ist, weit leichter gewesen als heute. Wäre er später aufgetreten, sagen wir einmal 10 Milliarden Jahre später, wäre der Anteil an U235 zu gering gewesen, um ihn praktisch nutzen zu können.26
Wir sind die Nutznießer zahlreicher Aspekte der spannenden geologischen Geschichte der Erde. Die Existenz schwerer Elemente mit interessanten magnetischen und radioaktiven Eigenschaften hat zu einem besseren Verständnis dieser grundlegenden Naturkräfte geführt. Das Leben auf einem angenehmen wasserreichen Planeten, der im Licht einer sich anständig benehmenden Sonne badet, wäre auch ohne nukleare oder radioaktive Prozesse in der Nähe seiner Oberfläche möglich. Seine Bewohner hätten es aber schwerer, ihrem Verlangen nachzugehen, die Möglichkeiten der Natur und die reiche Fülle der Naturkräfte und -konstanten zu verstehen.
Kapitel 12
Der Griff nach den Sternen Die Alten glauben alles, die Menschen im mittleren Alter misstrauen allem, die Jungen wissen alles. Oscar Wilde1
Rückblicke Stellen wir uns vor, dass ein Nachfolgemodell des Hubble Space Telescope Zeichen intelligenter Lebewesen von einem Sternensystem irgendwo in unserer Galaxis aufgefangen hat. Wir senden gebündelte Radiowellen in die entsprechende Richtung und nach ein paar Jahren erhalten wir eine Antwort. Ein langsamer Austausch von Botschaften beginnt, die von den jeweiligen Adressaten mühelos entschlüsselt werden. Nach und nach erfahren wir Seltsames und (zumindest für einige von uns) auch Enttäuschendes über unsere extraterrestrischen Brieffreunde: Sie interessieren sich nur für Astronomie. Es scheint in ihrer Zivilisation kein anderes Thema zu geben. Alle Fortschritte in der Mathematik, der Computertechnik und den Naturwissenschaften dienen bei ihnen nur dem einen Ziel, mehr über die Sterne herauszufinden. Wir wissen nicht, wie es dazu gekommen ist. Vielleicht gibt es tiefe religiöse Zwänge. Es ist sicher, dass die fernen Wesen auch andere technische Dinge treiben, aber sie interessieren sich nicht besonders dafür – es sei denn, sie haben auch kosmische Anwendungen. Während die irdischen Astronomen über diese Schieflage nicht unglücklich sind, ist es für viele andere eine Pleite, nur Fachidioten entdeckt zu haben. Man beschließt, dass eine der Fragen, die man mit den interstellaren Korrespondenten diskutieren könnte, die nach den Werten der Naturkonstanten ist. Bei diesem Thema kann man ziemlich sicher gehen, über die gleichen Dinge zu sprechen. Allein schon die ausgetauschten Radiosignale sind ein Beweis, dass es gemeinsame elektromagnetische Erfahrungen gibt. Es dürfte nicht
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allzu schwer sein, ihnen zu sagen, was wir unter der Feinstrukturkonstante verstehen. Man könnte die Aliens bitten, verschiedene Energieniveaus in bestimmten Atomen und Molekülen zu messen. Die Antwort würde uns mit Lichtgeschwindigkeit erreichen. Wir würden es genau so machen und ihnen unsere Messergebnisse schicken. Da all dies bis jetzt noch nicht passiert ist, weiß ich nicht, wie der Vergleich der Daten ausgehen würde. Aber unsere kleine Science-Fiction-Geschichte macht deutlich, wie uns Informationen, die wir aus fernen Gebieten unseres Universums zusammentragen, eine Überprüfung erlauben, ob die physikalischen Gesetze unbegrenzt gelten und die Naturkonstanten wirklich überall gleich sind. Was wäre, wenn wir die Aliens umgehen könnten und unsere Informationen über die Naturkonstanten direkt aus den Fernen des Alls zu beziehen versuchen? Erstaunlich aber wahr: Diese Fiktion ist schon Wirklichkeit geworden, und die ungeheuren Aufwendungen für eine Kommunikation mit extraterrestrischen Wesen und die Mühen bei der Entzifferung ihrer Botschaften haben sich erübrigt. Wenn wir einen Fixstern beobachten, erhalten wir nicht nur Informationen aus großer Ferne, sondern auch aus längst vergangenen Zeiten. Da sich das Licht mit einer zwar großen, aber begrenzten Geschwindigkeit ausbreitet, benötigt es zur Überwindung der ungeheuren Distanzen zu den Sternen eine lange Zeit. Von der Sonne zur Erde sind es etwa 8 Minuten, von den nächsten Fixsternen – Alpha und Proxima Centauri – bereits 4,2 Jahre, während es von den am weitesten entfernten Objekten, die beobachtet werden können, 13 Milliarden Jahre und mehr sind. Das Licht von diesen fernen Galaxien kann uns sicher wichtige Informationen über die physikalischen Prozesse liefern, durch die sie in grauer Vorzeit entstanden sind. George Gamow war einer der ersten, der auf die Idee kam, astronomische Beobachtungen zur Untersuchung der Frage heranzuziehen, ob die Naturkonstanten wirklich konstant sind.2 Er wollte insbesondere die Bestätigung für eine Variation der Feinstrukturkonstante finden, die Diracs Koinzidenzen der großen Zahlen erklären würde, und dann überprüfen, ob diese Variation einen Beitrag zur Rotverschiebung des Lichts von fernen Galaxien liefert. Die Expansion des Universums bedeutet, dass sich die Galaxien von uns entfernen und daher ihr Licht von unseren Fernrohren mit einer niedrigeren Fre-
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quenz eingefangen wird als der, mit der es ausgesandt wurde: Die Farbe des Lichts ist zum roten Ende des Spektrums hin verschoben, ein Vorgang den man Rotverschiebung3 nennt. Gamow glaubte einen Weg gefunden zu haben, wie man aus der Rotverschiebung auf die Werte der Naturkonstanten schließen kann, die sie in dem Moment hatten, als der Lichtstrahl seine Reise vom fernen Stern in das irdische Teleskop begann. In Abbildung 12.1 ist ein Telegramm abgebildet, das Gamow an Ralph Alpher, einen seiner früheren Studenten, geschickt hat. Er berichtet darin von seiner neuen Idee und von einigen der Schlussfolgerungen, die man aus ihr ziehen könnte.
A b b ild u n g 1 2 .1 »Triplet paper flies to Washington …«: Gamows Telegramm an seinen früheren Studenten Ralph Alpher.4
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Leider stellte sich heraus, dass Gamows Verfahren keinen messbaren Effekt erwarten ließ, selbst wenn sich die Feinstrukturkonstante ändern würde. Nur wenig später versuchten es John Bahcall, Wallace Sargent und Maarten Schmidt5 vom CalTech in Pasadena mit einem anderen Ansatz, der durch die nicht lange zuvor entdeckten Quasare, deren Strahlung eine starke Rotverschiebung aufweist, zum ersten Mal möglich geworden war.6 Gaswolken, die zwischen uns und einem fernen Quasar liegen und dessen Strahlung absorbieren, stellen ein ideales Laboratorium zur Untersuchung der Konstanz der Naturkonstanten dar. Quasare können als helle Objekte leicht von Teleskopen erfasst werden und wir finden Ich weiß von diesem Stern eine Auswahl vor, die einen weiten Be- nur dies: reich von Rotverschiebungen über- Ein roter Pfeil geht von ihm aus, ein blauer dann. deckt. Es gibt aber auch Einschränkun- Wie vom Kristall aus Spat. gen. Objekte mit besonders großen Robert Browning7 Rotverschiebungen sind sehr lichtschwach und daher kaum noch wahrnehmbar. Dazu kommt, dass einige Wellenlängen, die an sich sehr interessant wären, durch die Rotverschiebung zu sehr zum roten Ende des Spektrums verschoben sind. Sie fallen nicht mehr in das Fenster der Wellenlängen, die vom Wasserdampf in der Erdatmosphäre durchgelassen werden und die irdischen Teleskope erreichen können. Durch die neuen Ansätze konnten die Astronomen ihr Wissen über die Konstanz der Naturkonstanten verbessern, da die wachsende Empfindlichkeit der Teleskope und elektronischen Detektoren Beobachtungen von Objekten mit immer stärkerer Rotverschiebung erlaubten, also einen Blick, der immer weiter in die Vergangenheit ging. Die Strategie dieser Untersuchungen ist einfach: Man vergleicht Energieübergänge in einem astronomischen Objekt und in einem irdischen Labor. Wählt man beispielsweise Dubletts, die bei Kohlenstoff, Silizium oder Magnesium zu finden sind – Elementen, die gewöhnlich in Gaswolken mit hoher Rotverschiebung vorkommen –, so ist der Abstand der Wellenlängen der beiden Spektrallinien, λ1 und λ2, proportional zu α2. Für den relativen Linienabstand gilt:
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(λ1 – λ2) / (λ1 + λ2) ~ α2
Man muss nun auf Erden die beiden Wellenlängen λ1 und λ2 äußerst genau messen und mit den Messungen am Licht des fernen Objekts vergleichen. Hat man die linken Seiten der Gleichung für beide Messungen bestimmt, kann man sie durcheinander dividieren und erhält [(λ1 – λ2) / (λ1 + λ2)]Erde / [(λ1 – λ2) / (λ1 + λ2)]Quasar = αErde2 / αQuasar2
Das Ziel der Untersuchungen ist also, eventuelle Abweichungen der rechten Seite dieser Gleichung von 1 zu finden. Eine Abweichung sagt uns, dass sich zwischen der Zeit der Absorption des Lichts und seiner Ankunft auf der Erde die Feinstrukturkonstante geändert hat. Um sicherzustellen, dass eine Abweichung auch wirklich signifikant ist, müssen einige Dinge sorgfältig überprüft werden. Zunächst muss man die beiden Wellenlängen λ1 und λ2 im Labor mit größter Genauigkeit messen können. Man muss auch sichergehen, dass die Beobachtungen nicht durch Störungen von außen beeinträchtigt werden oder systematischen Fehlern unterliegen, die auftreten, weil unsere Beobachtungsinstrumente nicht alle Informationen gleich gut registrieren. Die Forscher hatten Paare oder Dubletts von Spektrallinien gefunden, die entstanden, als das Licht des neu entdeckten Quasars QSO 3C191 in interstellaren Wolken von Silizium absorbiert wurde. Der Abstand zwischen den beiden Linien des Silizium-Dubletts ist ein deutlicher Indikator für atomare Eigenschaften, die durch relativistische Effekte bestimmt werden, wie sie auftreten, wenn Elektronen mit nahezu Lichtgeschwindigkeit um einen Atomkern kreisen (siehe Abbildung 12.2). Entscheidend ist, dass der Linienabstand des Dubletts empfindlich vom Wert der Feinstrukturkonstante abhängt. Die Rotverschiebung des Quasars 3C191 liegt bei 1,95. Daraus kann man schließen, dass ihn das Licht verließ, als das Universum rund ein Fünftel seines jetzigen Alters hatte – also vor 11 Milliarden Jahren. Das Licht trägt also verschlüsselte Informationen über den Wert der Feinstrukturkonstante in dieser Zeit mit sich. Die Auswer-
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Linienaufspaltung
Absorption
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Wellenlänge A b b ild u n g 1 2 .2 Spektrallinien eines typischen Dublett-Systems.
tung ergab, dass die Feinstrukturkonstante vor 11 Milliarden Jahren (α11) höchstens um wenige Prozent vom heutigen Wert (α0) abwich: α11 / α0 = 0.97 ± 0,05
Schon wenig später untersuchten Bahcall und Schmidt8 ein Paar von Sauerstoff-Emissionslinien in den Spektren von fünf Galaxien, die Radiowellen aussenden. Ihre Rotverschiebung von 0,2 besagt, dass sie ihr Licht vor etwa 2 Milliarden Jahren auf den Weg schickten – ungefähr zu der Zeit, als auf der Erde der Oklo-Reaktor aktiv war. Das Ergebnis glich dem von 3C191, wobei die Genauigkeit jetzt weit größer war. Nach diesen Untersuchungen ist die Feinstrukturkonstante seit 2 Milliarden Jahren konstant und es gilt α2 / α0 = 1,001 ± 0,002
Diese Messungen widerlegten die Prognose Gamows, dass die Feinstrukturkonstante proportional zum Alter des Universums zunimmt. In diesem Fall hätte man α2 / α0 ≈ 0,8 erhalten müssen. Neben der genannten Untersuchung von Dubletts gibt es noch ein weiteres Messverfahren, mit dem man unser Problem angehen
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kann. Man vergleicht die Rotverschiebung des Lichts, das von Kohlenmonoxid und Wasserstoff in der gleichen Wolke ausgesandt wird.9 Auch bei diesen radioastronomischen Untersuchungen kann man den irdischen Wert von α mit dem Wert der astronomischen Quelle vergleichen.10 Aus Daten von Objekten mit den Rotverschiebungen z = 0,25 und z = 0,68 erhielt man ∆α/α = (αz – α0)/α0 = (-1,0 ± 1,7) x 10-6
Eine der Schwierigkeiten dieser Methode ist, dass man sicher sein muss, Atome und Moleküle mit der gleichen Bewegung aus der gleichen Wolke zu untersuchen. Bei einer dritten Methode untersucht man die Rotverschiebung von Radiowellen im 21 cm-Band, die von Atomen der gleichen Wolke ausgeschickt werden und optische Energieübergänge aufweisen. Das Verhältnis der Frequenzen dieser Signale erlaubt es, eventuelle Änderungen einer weiteren Kombination von Konstanten zu untersuchen, der Größe A = α2 mel/mpr
mit mel = Masse des Elektrons und mpr = Masse des Protons. Beobachtungen einer Gaswolke11 mit einer Rotverschiebung von 1,8 führten für die Änderung von A zu ∆A/A = (Az – A0)/A0 = (0,7 ± 1,1) x 10-5
An diesen beiden Resultaten fällt auf, dass die Fehlerschranken noch zu hoch sind, um die Konstanz der betrachteten Größen (also ∆α/α = 0 und ∆A/A = 0) auszuschließen. Man sollte vielleicht daran erinnern, dass während des Zeitraums 1967–1999, in dem diese Messungen mit wachsender Genauigkeit durchgeführt wurden, niemand erwartet hatte, überhaupt eine Änderung der traditionellen Konstanten zu finden. Die Messungen wurden durchgeführt, um die Fehlergrenzen immer weiter herabzusetzen und damit die Schranken für eventuelle Variationen enger zu ziehen – enger als alles, was man im Labor erreichen konnte. Eine irdische Beobachtung der Energieniveaus von Atomen über ein paar Jahre hinweg kann niemals mit einer Geschichte von Milliarden von Jahren konkurrieren, wie sie das Licht astronomischer Objekte hinter sich hat.
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Der Griff nach den Sternen
Die vierte und neueste Untersuchungsmethode ist die schlagkräftigste. Auch mit ihr versucht man, kleine Änderungen der Absorption des Lichts ferner Quasare durch Atome zu bestimmen. Anstelle eines Dubletts eines Elements – etwa von Silizium – untersucht man den Abstand von Absorptionslinien verschiedener chemischer Elemente in den Staubwolken, die zwischen den Quasaren und uns im All treiben (siehe Abbildung 12.3). Absorption des Quasar-Lichts Quasar-Licht Quasar
Erde Interstellare Gaswolke A b b ild u n g 1 2 .3 Absorption von Quasar-Licht durch chemische Elemente in einer interstellaren Wolke zwischen dem Quasar und der Erde.
Die neue Methode hat eine Reihe großer Vorzüge: Zunächst einmal gibt es eine Vielzahl von Linienpaaren, die untersucht werden können. Dazu kommt, dass man aus dem umfangreichen Datenmaterial die Linienpaare aussuchen kann, deren Abstand am empfindlichsten auf eine zeitliche Änderung von α reagiert.12 Darüber hinaus hat die Methode noch einen ungewöhnlichen Vorzug: Man kann die Differenz der Wellenlänge, die man aus den astronomischen Daten und im Labor bestimmt, auch mithilfe umfangreicher Computersimulationen berechnen. Sie geben an, wie sich die Lage eines Energieniveaus verändert, wenn man α variiert.13 Die Lageverschiebungen unterscheiden sich je nach Linienpaar deutlich. Erhöht man den Wert von α um 10-6, wird in einigen Fällen der Abstand zunehmen, in einigen abnehmen und bei anderen gleich bleiben. Das Ensemble der
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Lageverschiebungen aller denkbaren Linienpaare bildet eine Art Fingerabdruck für eine bestimmte Änderung von α. Unbekannte Störeinflüsse auf die Daten oder Turbulenzen, die in dem Absorptionsgebiet im All eine Änderung von α vortäuschen, können so von echten α-Änderungen unterschieden werden. Diese Many-Multiplet-Methode14 (oder kurz MM-Methode) ist weit empfindlicher als die anderen astronomischen Methoden und erlaubt, weit mehr aus den registrierten Daten herauszuholen. Wir haben mit ihr 128 Quasare untersucht und dabei Paare von Linien von Magnesium, Eisen, Nickel, Chrom, Zink und Aluminium mit einbezogen. Als wir mit der neuen Technik begannen, hatten wir nur erwartet, die Fehlergrenzen für die Konstanz von α noch enger ziehen zu können. Aber es gab eine große Überraschung!
Schwankende Konstanten Die MM-Methode erwies sich als ideal, um die neuen Entwicklungen in der extragalaktischen Astronomie, die Riesenteleskope und die neuen Detektoren optimal zusammenzuführen. Die Ergebnisse, die unser Team – John Webb, Mike Murphy, Victor Flambaum, Vladimir Dzuba, Chris Churchill, Michael Drinkwater, Jason Prochaska, Art Wolfe und ich selbst, dazu Wallace Sargent, der weitere Daten beitragen konnte – gesammelt und analysiert hat, waren für uns unerwartet und hatten weitreichende Folgen. Wenn sich als wahr erweist, was sie zu belegen scheinen, sind sie nach den Worten von Robert Scherrer »die aufregendste Entdeckung der letzten 50 Jahre«15. Schon die ersten Untersuchungen mit der MM-Methode im Jahr 199916 belegten eine Abweichung der Feinstrukturkonstante in der Vergangenheit mit ∆A/A = (Az – A0)/A0 = (-1,09 ± 0,36) x 10-5
Inzwischen wurden die Daten ständig ergänzt und bessere Analysemethoden entwickelt. Es ist bemerkenswert, dass wir die gleichen Ergebnisse erhielten, nachdem wir die Daten von sämtlichen bisher erfassten 128 Quasaren einbezogen. Das ganze Forschungsprojekt
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ist der größte experimentelle Versuch, die Frage zu beantworten, ob die Naturkonstanten heute und vor 13 Milliarden Jahren gleich waren. Bei unseren weiteren Untersuchungen17 fanden wir in allen Fällen – verglichen mit den Werten, die im Labor gemessen wurden – höchst signifikante Abweichungen der Linienabstände bei starken Rotverschiebungen, also zu Zeiten, die Milliarden von Jahren zurückliegen.18 Der komplizierte Fingerabdruck der Verschiebungen entspricht genau den Voraussagen der Theorie, wenn man annimmt, dass die Feinstrukturkonstante zur Zeit der Absorption in der fernen Gaswolke um 7 Millionstel kleiner war als heute. In Abbildung 12.4 sind die verschiedenen Ergebnisse zusammengefasst. Es scheint also tatsächlich einen Zeitabschnitt der kosmischen Geschichte gegeben zu haben, in dem die Feinstrukturkonstante etwas kleiner als heute war und die Atome damit ein wenig größer ausfielen. Der Unterschied ist mit 7 x 10-6 äußerst gering und damit viel zu klein, als dass er bei früheren Untersuchungen mit anderen Methoden oder in Laborexperimenten hätte gefunden werden können. a) Daten aller untersuchter Objekte.
Relative Änderung der Feinstrukturkonstante (⌬␣Ⲑ␣) in Einheiten von 10-5
Zeit, von der Gegenwart aus rückwärts gerechnet, in Milliarden Jahren 34 5 6 7 8 9 10 11 10
0
–10
1
2 Rotverschiebung
3
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Relative Änderung der Feinstrukturkonstante (⌬␣Ⲑ␣) in Einheiten von 10-5
b) Daten von Gruppen aus jeweils 10 Objekten. Zeit, von der Gegenwart aus rückwärts gerechnet, in Milliarden Jahren 5 6 7 8 9 10 11 0,5 0 –0,5 –1 –1,5 0,5
1
1,5 2 Rotverschiebung
2,5
3
A b b ild u n g 1 2 .4 Änderung der Feinstrukturkonstante α in Abhängigkeit von der Rotverschiebung und damit vom Alter des Universums.
Wenn man den gesamten Bereich der Rotverschiebungen zwischen 0,5 und 3,5 heranzieht, ergibt sich im Einzelnen ∆A/A = (Az – A0)/A0 = (-0,57 ± 0,18) x 10-5
Rechnet man dieses Ergebnis in eine relative Änderungsrate von α um, erhält man Änderungsrate von α / derzeitiger Wert von α = 5 x 10-16/Jahr
Auf den ersten Blick sieht es so aus, als belegten diese dramatischen Ergebnisse eine weit größere Änderungsrate als die Untersuchungen am Oklo-Reaktor. Bei genauerem Hinsehen stehen aber die Ergebnisse nicht in direktem Widerspruch. Wenn man einmal alle Ungewissheiten beiseite lässt, die bezüglich der genauen Abhängigkeit der Neutroneneinfangrate im Oklo-Reaktor von der Feinstrukturkonstante bestehen, so ist noch zu beachten, dass die Ergebnisse von Oklo für die Zeit vor 2 Milliarden Jahren gelten. Das entspricht einer
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Rotverschiebung von 0,1, während die Quasar-Beobachtungen in Zeiten vor 3 bis 11 Milliarden Jahren zurückführen. Die beiden Untersuchungen stehen nur im Konflikt, wenn man davon ausgeht, dass sich die Feinstrukturkonstante immer im gleichen Maß geändert hat. Wie wir aber sehen werden, gibt es keinen zwingenden Grund zu dieser Annahme.
Botschaften aus grauer Vorzeit Das Ergebnis, dass die Feinstrukturkonstante in vergangenen Zeiten möglicherweise andere Werte hatte, ist zwar sehr beeindruckend, man muss aber bedenken, dass es eine statistische Aussage darstellt. Sie beruht auf einer Vielzahl astronomischer Beobachtungen der Lichtabsorption durch viele unterschiedliche chemische Elemente in 128 verschiedenen Staubwolken. In der Zukunft werden weitere Daten hinzukommen, und die Messungen werden immer präziser werden. Andere Astronomen werden unsere Beobachtungen wiederholen und mit den unterschiedlichsten Instrumenten und neueren Analyseverfahren überprüfen, ob sie zu den gleichen Resultaten kommen. So wünschenswert aber noch mehr Beobachtungen mit noch größerer Genauigkeit sind: Sie stellen für sich allein genommen noch keine Garantie dar, dass man der Wahrheit auf der Spur ist. Bei allen wissenschaftlichen Beobachtungen und Experimenten muss man auf eine Vielzahl von Fehlermöglichkeiten achten. Da sind zunächst die Fehler, die durch die Ungenauigkeit der Instrumente entstehen. Messen wir unsere Größe auf den Zentimeter genau mit 1,85 m, so liegt sie eigentlich irgendwo zwischen 1,845 m und 1,855 m. Mit dieser Art von Fehlern kann man gut umgehen. Man kann sie nach und nach verringern, indem man die Messtechnik verbessert, also in unserem Fall eine Messlatte mit Millimeter-Einteilung verwendet. Es gibt aber noch eine subtilere Art von Fehlern, die schon erwähnten ›systematischen‹ Fehler, die den Prozess der Datengewinnung in eine Schieflage bringen: Gewisse Daten werden leichter erfasst als andere, ohne dass man davon weiß. Sie bilden dann ein Übergewicht im Da-
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tensatz, was so weit gehen kann, dass man letzten Endes überhaupt nicht das gemessen hat, was man eigentlich hatte messen wollen.19 Systematische Fehler stellen für die gesamte experimentell arbeitende Naturwissenschaft eine Herausforderung dar. In irdischen Laboratorien ist es üblich, die Experimente auf verschiedene Art zu wiederholen, wobei man jeweils die Messanordnung verändert und damit möglichst viele systematische Fehler auszuscheiden versucht. In der AstroIch hoffe, dass ich bei den Experimentalphysikern kein allzu großes Ärgernis nomie gibt es aber ein Problem: Wir errege, wenn ich hinzufüge, dass es auch verfügen nur über ein einziges Univerein gesunder Grundsatz ist, dass man sum, mit dem wir zudem keine Experikein übergroßes Vertrauen auf Beobachmente anstellen können. Wir sind auf tungsergebnisse setzen soll, solange eine Rolle als bloße Beobachter besie nicht durch die Theorie bestätigt worden sind. schränkt, die nehmen müssen, was ihnen geboten wird und nur versuchen Arthur S. Eddington20 können, die Zusammenhänge zwischen den vielen Einzelfakten herauszufinden. Gibt es beispielsweise im Licht aller interstellarer Gaswolken mit bestimmten Rotverschiebungen bestimmte Abweichungen bei bestimmten Linienpaaren? Man kann versuchen, systematische Fehler zu vermeiden, stößt dabei aber vielleicht auf Grenzen. Ein Beispiel: Wenn man versucht, ein Verzeichnis aller Galaxien anzulegen, wird sofort klar, dass die helleren und damit leichter zu erkennenden das Verzeichnis dominieren. Dem kann man nichts entgegensetzen, was das Verzeichnis ›gerechter‹ machen würde. Ein noch größeres Problem stellen aber systematische Fehler dar, von denen man gar nichts weiß. Die Daten, die man zur Untersuchung möglicher Variationen der Feinstrukturkonstante herangezogen hat, wurden natürlich umfangreichen Prüfungen unterzogen, um die Einflüsse aller nur denkbaren systematischen Fehler zu eliminieren. Bis jetzt hat man nur eine signifikante Fehlerquelle gefunden. Wenn man die durch sie bewirkte Verfälschung der Daten berücksichtigt, treten die gefundenen Variationen der Feinstrukturkonstante aber sogar noch besser in Erscheinung.21 Die Reaktion der meisten Physiker und Chemiker auf die Vorstellung, dass sich die Feinstrukturkonstante im Laufe der Milliarden Jahre geändert haben könnte, ist irgendwo zwischen Horror und völligem Unglauben angesiedelt. Alle chemischen Theorien basieren
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auf dem Glauben, dass die Feinstrukturkonstante absolut konstant ist. Allerdings hat eine Änderung um einige Millionstel innerhalb von 10 Milliarden Jahren auch keinerlei wahrnehmbare Auswirkung auf physikalische oder chemische Experimente in unseren irdischen Labors. Um das etwas klarer zu zeigen, wollen wir uns nun mit den derzeit genauesten experimentell im Labor bestimmten Grenzen für eine Veränderung von α befassen. Die meisten direkten Überprüfungen der Konstanz von α werden an Atomen durchgeführt, die man eine bestimmte Zeit lang so genau wie möglich untersucht. Man kann derzeit den Wert von α auf zehn Stellen genau bestimmen. Das Verfahren läuft daraus hinaus, verschiedene atomare ›Uhren‹ zu vergleichen. Man kann das nicht beliebig lange tun, weil man viele Parameter des Experiments konstant halten muss. Die besten Ergebnisse hat man aus einem Experiment von 140 Tagen Dauer gewonnen.22 Wenn man annimmt, dass sich das Massenverhältnis von Elektron und Proton nicht geändert hat, kann man aus den Messungen der Hyperfeinstruktur von Wasserstoff und Quecksilber auf eine Feinstrukturkonstante schließen, die sich um nicht mehr als 3,7 x 10-14/Jahr ändert. Dieser Grenzwert erscheint sehr eng, aber nach ihm hätte sich die Feinstrukturkonstante in der gesamten Geschichte des Universums immerhin schon um 10-4 ändern dürfen, während die astronomischen Beobachtungen, wie wir gesehen haben, auf Änderungen < 10-6 hindeuten. Dieser Unterschied zwischen den Laborergebnissen und denen aus astronomischen Daten macht deutlich, um wie viel genauer die astronomischen Methoden sind. Sie können es zwar bei der absoluten Messung der Feinstrukturkonstante nicht mit der Genauigkeit von Labormessungen aufnehmen, blicken dafür aber weit in die Vergangenheit zurück – 13 Milliarden Jahre anstelle von 140 Tagen – und liefern so die Änderungsraten mit größerer Präzision.23 Das Universum musste ein Alter von einigen Milliarden Jahren erreichen, damit sich die Elemente bilden konnten, die für die Entstehung komplexen Lebens nötig sind. Wenn sich diese komplexen chemischen Produkte zufällig in der Form von Astrophysikern verkörpern, ist es für diese Spezies von Wissenschaftlern ein schöner Nebeneffekt des hohen Alters unseres Universums, dass so empfindliche Messungen der Konstanz von Naturkonstanten zur Verfügung stehen.
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Es sieht also so aus, als ob wir derzeit etwaige Änderungen der Feinstrukturkonstante noch nicht mit irdischen Experimenten überprüfen könnten: Die vorhandenen Geräte sind einfach nicht empfindlich genug, um die winzigen Schwankungen nachweisen zu können, die wir nach den astronomischen Beobachtungen vermuten. Derzeit wäre die beste unabhängige Kontrollmethode, andere astronomische Daten heranzuziehen. Nach den Ergebnissen von Oklo zu schließen, werden wir in der unmittelbaren Vergangenheit – bis in die Zeit vor 2 Milliarden Jahren – kaum eine ähnliche Änderungsrate finden. Aber vielleicht gab es in der Frühzeit unseres Universums größere Raten, die auch messbare Effekte hatten. Die Quasare reichen bis zu 80 Prozent der Geschichte des Universums zurück, wir können aber noch ein Stück weiter zurückblicken, indem wir die kosmische Mikrowellen-Hintergrundstrahlung untersuchen, die ein Überbleibsel aus dem Beginn der Expansion unseres Universums darstellt. Schon wenige Millionen Jahren nach dem BigBang kühlte sich die ›Suppe‹ aus Elementarteilchen ab und wurde durchsichtig. Die Struktur der damals ausgesandten Strahlung stellt einen Schnappschuss dar, auf dem wir erkennen können, wie es um die Isotropie des Universums im Alter von etwa 300 000 Jahren bestellt war (siehe Abbildung 12.5). Während die beobachteten Quasare Rotverschiebungen von bis zu 3,5 aufweisen, wurde die Mikrowellenstrahlung bei einer Rotverschiebung von 1 100 emittiert. In den letzten Jahren sind die Astronomen mit ihren von Ballonen und Satelliten aus durchgeführten Kartierungen der Hintergrundstrahlung in die Schlagzeilen gekommen. Wir wissen inzwischen, dass das Spektrum dieser Strahlung mit hoher Genauigkeit die Eigenschaften einer reinen Wärmestrahlung aufweist und dass ihre Temperatur bis auf Abweichungen von 10-5 in allen Himmelsrichtungen gleich ist. Die genauen Kartierungen der Temperaturvariation über den Himmelsraum bergen in sich das Geheimnis, wie die Galaxien und Cluster in ihrer frühen Jugendzeit aussahen, als sie noch kaum mehr waren als Materieinseln im Urzustand und sich ihre Dichte nur wenig von der ihrer Umgebung unterschied. Es sieht aber leider so aus, dass uns die Mikrowellenstrahlung keine klare und eindeutige Diagnose der Feinstrukturkonstante zur Zeit ihrer Emission erlaubt. Trotzdem haben die Ergebnisse aus den
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A b b ild u n g 1 2 .5 Blick in den Weltraum (und in die Vergangenheit) bis zu den Quasaren und weiter in die Zeit, als der Raum noch nicht strahlungsdurchlässig war und der hohen Temperaturen wegen noch keine Atome existieren konnten (300 000 Jahre nach dem Big Bang; das Universum war zu dieser Zeit tausendmal kleiner als heute).
Quasar-Daten einige Teams von Kosmologen ermutigt, die komplizierte Rekonstruktion der Verteilung der Hintergrundstrahlung und der statistischen Eigenschaften ihrer Fluktuationen für den Fall zu versuchen, dass α zur Zeit einer Rotverschiebung von 1 100 einen anderen Wert hatte. Sie mussten dazu auf die fortgeschrittensten Theorien zurückgreifen und mit ihnen die Auswirkungen berechnen, die das Anwachsen von Fluktuationen zu Galaxien auf das Mikrowellen-Temperaturfeld hat. Diesen Rechnungen nach deuten die allerneuesten Beobachtungsdaten bei einer Rotverschiebung von 1 100 auf ein kleineres α.24 Die vermutete Änderung ist mit 10 Prozent25 so groß, dass α von der Zeit, als die Mikrowellenstrahlung zum
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letzten Mal eine Wolke durchdrang, bis in die Epoche der Quasare stetig hätte zunehmen müssen. Das ist nicht gerade ein überzeugendes Ergebnis, wenn wir an die zahlreichen Varianten der Entstehungsgeschichte der Galaxien denken. Es gibt so viele andere kleine Einflüsse auf die Temperaturverteilung, die alle einleuchtend erklärt werden können und insgesamt Auswirkungen haben, die denen einer verminderten Feinstrukturkonstante gleichen. Ohne zusätzliche Informationen über Details, nach denen genauer gesucht werden sollte, erscheint dieser Weg für die Bestimmung von α in der Urzeit des Universums nicht allzu vielversprechend. Aber möglicherweise ändert sich die Lage, wenn die neuen Karten der Hintergrundstrahlung und ihrer Variationen, die der MAP-Satellit der NASA zur Erde sendet, vollständig analysiert sind.
Unser Platz in der Geschichte Wenn sich die Naturkonstanten langsam ändern, könnten wir uns auf einer abschüssigen Bahn befinden, die in unsere Vernichtung führt. Wir haben gesehen, dass unsere Existenz auf zahlreichen eigentümlichen Koinzidenzen zwischen den Werten der verschiedenen Naturkonstanten beruht, und dass es für diese Werte jeweils nur sehr enge Fenster gibt, innerhalb derer sie Leben erlauben. Was könnte nun passieren, wenn sich diese Werte ändern? Könnten sie nicht aus dem ›grünen Bereich‹ wandern, in dem Leben möglich ist? Gibt es in der kosmischen Geschichte nur ausgewählte Epochen, in denen die Konstanten die richtige Größe für Leben haben? Um die Änderungen der Feinstrukturkonstante und der Gravitationskonstante im Einzelnen zu untersuchen, stehen uns vollständige Theorien zur Verfügung, die auch die Folgen berücksichtigen. Die Theorien sind Verallgemeinerungen26 der berühmten Allgemeinen Relativitätstheorie Einsteins aus dem Jahr 1915 und liefern uns das Bild eines expandierenden Universums für den Fall, dass sich die genannten Konstanten ändern. Wenn wir wissen, wie stark sich G oder α in einer bestimmten Epoche geändert hat, können wir mithilfe der Theorie auf die Auswirkungen in späteren Zeiten schließen.
Der Griff nach den Sternen
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Wir wären damit in die Lage, die Theorie anhand von Beobachtungen zu überprüfen. Ändern sich die Konstanten G und α nicht mit der Zeit, kann man die Geschichte unseres Universums recht einfach beschreiben. Während der ersten 300 000 Jahre war die Strahlung die vorherrschende Energie im Universum. Die Temperatur lag oberhalb 3 × 109 K und war damit für die Existenz von Atomen und Molekülen zu hoch. Das Universum stellte eine trübe Suppe aus Elektronen, Photonen und Kernen dar. Man nennt diesen Zeitabschnitt die ›Strahlungs-Ära‹ des Universums. Nach 300 000 Jahren kam es dann zu einer gewaltigen Umstellung. Die Materie hatte aufgeholt und schließlich die Strahlung als Energieform überrundet. Die Temperatur fiel bald tief genug, um die Bildung der ersten Atome und Moleküle zu erlauben. Die Expansionsrate des Universums wurde nun vorwiegend davon bestimmt, wie dicht es mit Wasserstoff- und Heliumkernen angefüllt war. Im Laufe der nun folgenden 13 Milliarden Jahre bildeten sich immer kompliziertere Strukturen heraus: Galaxien, Sterne, Planeten und schließlich Menschen. Diesen Zeitabschnitt der Geschichte des Universums nennt man die ›Materie-Ära‹ oder ›Staub-Ära‹. Es ist durchaus möglich, dass wir diese Ära schon hinter uns haben, denn wenn sich das Universum schnell genug ausdehnt, verliert schließlich die Materie ihre bestimmende Rolle. Die Expansion löst sich aus den bremsenden Fesseln der Schwerkraft – wie eine Rakete, die mit mehr als der Fluchtgeschwindigkeit von der Erde wegfliegt. Wir sprechen dann von einer Ära, die von der ›Raumkrümmung‹ beherrscht wird, da jene schnelle Expansion zu einer negativen Krümmung des astronomischen Raums führt, die in etwa der Gestalt eines Pferdesattels ähnelt. Drei Abläufe der Expansion (siehe wieder Abbildung 8.3) sind vorstellbar: Das ›geschlossene‹ Universum dehnt sich zu langsam aus, um die bremsende Wirkung der Schwerkraft zu überwinden und kollabiert schließlich zu einem Gebilde mit extrem hoher Dichte. Beim ›offenen‹ Universum überwiegt die Expansionsenergie die Schwerkraft. Die Expansion geht ewig weiter und wird dabei immer rasanter. In einem Universum zwischen diesen beiden Extremen, das man auch ›flaches‹ oder ›kritisches‹ Universum nennt, sind Expansionsenergie und Schwerkraft im Gleichgewicht, und es dehnt sich weiterhin gleichmäßig aus. Unser Universum liegt äußerst nah an diesem ›kritischen‹ Zustand.
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Das 1 × 1 des Universums
Größe
Nun gibt es aber noch eine andere Möglichkeit: Die Vakuumenergie des Universums könnte schließlich die Oberhand gewinnen, die Effekte der ›gewöhnlichen‹ Materie überlagern und zu einer Beschleunigung der Expansion beitragen. Neuere astronomische Beobachtungen zeigen, dass unser Universum möglicherweise erst ›kürzlich‹ – als es drei Viertel des derzeitigen Alters erreicht hatte – in eine Phase beschleunigter Expansion eingetreten ist. Darüber hinaus zeigen diese Untersuchungen, dass die Expansion nicht zunehmend von der Raumkrümmung bestimmt wird. Abbildung 12.6 zeigt die Expansionsgeschichte des Universums seit der ersten Lebenssekunde im Überblick. Aus den Beobachtungen können wir schließen, dass derzeit 70 Prozent der Energie des Universums im Vakuum steckt und zur Beschleunigung der Expansion beiträgt, während fast der gesamte Rest in Materieform existiert.
Wir befinden uns hier!
Strahlung
Kalte, dunkle Materie
Vakuumenergie
Zeit A b b ild u n g 1 2 .6 Drei Phasen der Expansion eines Universums wie dem unseren, dessen Energie derzeit zu 70 Prozent aus einer unbekannten Form von Vakuumenergie besteht, die die Expansion beschleunigt.
Was wird aus diesem Szenario, wenn sich α ändert? Die Expansion ist von einer Änderung der Feinstrukturkonstante im Wesentlichen unabhängig, sofern sie so langsam ist, wie es die Beobachtungen bestätigen: um eine Million Mal langsamer als die Expansion des Uni-
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Der Griff nach den Sternen
Feinstrukturkonstante ␣
versums. Umgekehrt sieht es anders aus: Die Expansion hat dramatische Folgen für die Feinstrukturkonstante! Zusammen mit Håvard Sandvik und João Magueijo habe ich untersucht, was in den Milliarden Jahren der kosmischen Geschichte mit der Feinstrukturkonstante passiert sein könnte. Unsere Schlussfolgerungen waren recht einfach – und dabei ziemlich erstaunlich. Während der Strahlungs-Ära gab es keine signifikanten Änderungen. Als dann aber nach 300 000 Jahren die Materie-Ära begann, wurde der Wert der Feinstrukturkonstante langsam größer und wuchs proportional zum Logarithmus des Alters des Universums an.27 Mit Beginn der Krümmungs-Ära oder mit dem Zeitpunkt, von dem an die Vakuumenergie die Expansion zu beschleunigen begann, endete der Anstieg von α. Dieser charakteristische Verlauf ist in Abbildung 12.7 für ein Universum dargestellt, das heute in etwa die Materie-, Strahlungs- und Vakuumenergie des unseren hat.
StrahlungsÄra
MaterieÄra
KrümmungsÄra Zeit
A b b ild u n g 1 2 .7 Änderungen der Feinstrukturkonstante in den drei Expansionsphasen unseres Universums.
Das Ergebnis ist faszinierend und deckt sich recht gut mit allen Beobachtungen. Unser Universum begann sich ab einer Rotverschiebung von etwa 0,5 beschleunigt auszudehnen, daher kann man seit der Zeit des Oklo-Reaktors mit keiner signifikanten Änderung von α rechnen. Im Zeitabschnitt, der durch die Quasar-Beobachtungen abgedeckt wird, deutet das Modell hingegen auf ein niedrigeres α – genau, wie es die Beobachtungen belegen. Gehen wir dann noch
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Das 1 × 1 des Universums
Gravitationskonstante G
weiter zurück bis zu Rotverschiebungen von 1 100, als die Mikrowellenstrahlung ihre Reise zu uns begann, sagt das Modell weit kleinere Änderungen von α voraus, als sie mit der heutigen Messtechnik nachgewiesen werden können. Wenn diese Variationen von α im Verlauf der Expansion des Universums wirklich stattgefunden haben, hatten sie auch Folgen für die Entwicklung von Leben. Ist die Feinstrukturkonstante zu groß, können keine Atome und Moleküle existieren und sich keine Sterne entwickeln, weil ihr Inneres zu kühl ist, um selbsttragende Kernreaktionen zu erlauben. Es ist daher entscheidend, dass die Materie-Ära der kosmischen Geschichte, in der die Feinstrukturkonstante zunimmt, nicht zu lang dauert. Ohne die Vakuumenergie oder die Raumkrümmung, die den stetigen Anstieg der Feinstrukturkonstante zum Halt bringt, würde eine Zeit kommen, in der Leben unmöglich wäre, zumindest kein Leben, das auf Atomen beruht und Energienachschub aus Sternen benötigt. Ganz ähnlich sehen mögliche Änderungen der Gravitationskonstante G aus. In der Strahlungs-Ära tendierte sie dazu, konstant zu bleiben, während sie in der Materie-Ära geringer wurde, bis die Raumkrümmungs-Ära begann. Ohne eine Raumkrümmungs-Ära würde die Gravitationskonstante immer kleiner werden, und es wäre für Planeten und Sterne immer schwieriger, zu existieren. Der hypothetische Verlauf von G ist in Abbildung 12.8 dargestellt.
StrahlungsÄra MaterieÄra
KrümmungsÄra Zeit
A b b ild u n g 1 2 .8 Änderungen der Gravitationskonstante G in den drei Expansionsphasen unseres Universums.
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Insgesamt gesehen zeigen die Ergebnisse, dass die Konstanten nur in der Materie-Ära die Freiheit haben, sich zu ändern. Wenn sie überhaupt Änderungen unterworfen waren (und sind), so beobachten wir das Universum in einem ganz besonderen Abschnitt seiner Geschichte, in dem die Werte der Konstanten gerade so groß sind, dass Atome, Sterne und Planeten möglich sind. Es war schon immer ein Geheimnis, warum die Expansion unseres Universums heute so nahe der ›kritischen‹ Kurve verläuft und warum die Vakuumenergie so außerordentlich klein ist. Wir wissen, dass die Wahrscheinlichkeit für Leben auf der Erde – und anderswo im Universum – weit geringer gewesen wäre, wenn die Expansionsrate weiter vom kritischen Wert entfernt gelegen hätte. Ist ein Universum zu stark von der Raumkrümmung bestimmt, beschleunigt sich – wie wir schon gesehen haben – die Expansion so sehr, dass Materieinseln diesen Effekt nicht überleben: Es entstehen weder Galaxien noch Sterne. Wenn sich andererseits das Universum zu langsam ausdehnt, wird es irgendwann wieder in sich zusammenfallen und im Big-Crunch enden. In diesem Fall bilden sich allzu schnell dichte Materieinseln, die in riesigen Schwarzen Löchern versinken, bevor Sterne oder gar eine Biochemie entstehen können (siehe Abbildung 9.2). Ähnlich verhält es sich mit der Vakuumenergie. Wäre sie zehnmal größer, hätte sie die Expansion des Universums so früh gestartet, dass sich auch in diesem Fall weder Galaxien noch Sterne hätten bilden können. Unsere Überlegungen zeigen, dass es wenig überraschend ist, wenn die Expansionsrate des Universums so nahe an der kritischen liegt oder wenn die Vakuumenergie nahezu Null ist: Es gäbe uns nicht, wenn es anders wäre. Sind die Konstanten variabel, erklärt das, warum das Universum für uns nicht exakt kritisch sein kann und warum es nicht völlig ohne Vakuumenergie ist.28 Die Vakuumenergie und die Raumkrümmung sind die Bremsbeläge des Universums, die Änderungen der Naturkonstanten zum Halt bringen. Wenn dies nicht geschieht, könnten sie Werte erreichen, die jegliche Existenz von Atomen, Planeten und Sternen ausschließen. Das Universum wäre dann ohne Leben und ohne die Bausteine, aus denen Komplexität entstehen kann. Wie alle schönen Dinge würde auch das Leben irgendwann zu Ende gehen.
Kapitel 13
Neue Welten – neue Rätsel Oh Welt von vielen Welten! Oh Leben vieler Leben! Was ist deine Mitte? Und wo ist mein Platz? Wilfred Owen1
Multiversen Unsere Ausflüge auf den neuen Wegen, die sich uns bei den Versuchen eröffnet haben, die Naturkonstanten zu verstehen und zu erklären, haben eine Menge großer Fragen über die Natur der Dinge aufgeworfen. Wir haben gesehen, dass sich die Kosmologen eingehend mit ›anderen‹ Welten befassen, deren Naturkonstanten sich von denen in unserer Welt unterscheiden. Es hat den Anschein, dass schon kleine Änderungen bei der einen oder anderen Konstante Leben unmöglich machen würden. Damit stellt sich natürlich die Frage, ob diese anderen Welten in irgend einem Sinne ›existieren‹ und, wenn es sie gibt, worin sie sich von der Welt unterscheiden, die wir vor Augen haben und (zumindest ein wenig) kennen. Die Existenz alternativer Welten würde auch den ›Beweis‹ für einen Schöpfungsplan zunichte machen, der sich auf die ›offensichtlich‹ so feine, Leben schenkende Abstimmung unserer Welt gründet. Denn wenn es alle nur denkbaren Alternativen gibt, so leben wir eben in einer von ihnen, die unsere Existenz zulässt. Wir können sogar noch weiter gehen und eine Wette wagen, dass wir in der wahrscheinlichsten Sorte lebensfördernder Universen leben.2 Der wohl Erste, der von ›vielen‹ Welten ausging, ist der Biologe Charles Pantin aus Cambridge. Er wollte für seine Überlegungen zu den besonderen Struktureigenschaften des Universums, seinen Gesetzen und den Naturkonstanten einen Rahmen finden, indem er ein Ensemble aus vielen Welten postulierte, von denen jede ganz bestimmte physikalische Eigenschaften aufweist:
Neue Welten – neue Rätsel
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Wenn wir sicher sein könnten, dass unser Universum nur ein Exemplar aus einer unendlichen Zahl von Universen mit jeweils anderen Eigenschaften ist, könnten wir vielleicht eine Lösung in Analogie zum Prinzip der natürlichen Auslese angeben: Nur in bestimmten Universen, zu denen zufällig auch unseres gehört, sind die Bedingungen für Leben geeignet. Und wenn diese Bedingungen nicht erfüllt sind, gibt es auch niemand, der das feststellen kann.3
Eines der Probleme, sich ein solches Multiversum aus zahlreichen Universen auch nur vorzustellen, besteht darin, dass es unzählige Möglichkeiten von Andersartigkeit gibt. Wir wissen aus der Mathematik, dass es jenseits der Logik vom ausgeschlossenen Dritten, die wir üblicherweise benützen, noch andere Logiken gibt, nach denen beispielsweise Aussagen sowohl wahr als auch falsch sein können. Ganz ähnlich gibt es auch unterschiedliche mathematische Strukturen, unterschiedliche Naturgesetze, andere Werte der Naturkonstanten, Universen mit unterschiedlich vielen Dass uns das Universum so einmalig Raum- und Zeitdimensionen, andere erscheint, rührt in erster Linie von den Anfangsbedingungen und andere Zu- vielen Alternativen her, die wir uns vorstellen können. fallsresultate komplexer Ereignisketten. 4 Es sieht so aus, dass das Ensemble aller Charles Pantin möglichen Welten zumindest alle denkbaren Permutationen und Kombinationen dieser unterschiedlichen Parameter enthalten muss. Dieses Füllhorn von Möglichkeiten zu begreifen ist sicher eine immens schwere Aufgabe. Wir haben schon gesehen, was sich ereignen kann, wenn man für die eine oder andere mögliche Welt konkrete Änderungen vorgibt, beispielsweise mehr Dimensionen oder andere Werte der entscheidenden Konstanten festlegt. Wir wissen allerdings nicht, ob diese anderen Welten auch wirklich funktionieren könnten. Handelt es sich tatsächlich um erlaubte Alternativen – oder sind sie so unwahrscheinlich wie eckige Kreise? Es könnte sein, dass die noch zu findende Theorie für Alles den Bauplänen anderer Welten große Einschränkungen auferlegt. Dass wir uns so viele andere Welten vorstellen können, die durch kleinere oder größere Naturkonstanten definiert werden, ist vielleicht nur Ausdruck für unsere Ignoranz gegenüber der logischen Konsistenz einer Theorie für Alles. Man kann sich der Vorstellung von anderen Universen auf zwei Wegen annähern. Der konservative Weg nimmt unser Universum als
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Das 1 × 1 des Universums
Vorlage und ändert seine Eigenschaften in nur geringem Maß: Man dreht an einigen Naturkonstanten und den astronomischen Eigenschaften des Universums – lässt aber die Naturgesetze selbst unverändert. Fallen unsere Variationen zu groß aus, hat das Konsequenzen für die uns bekannten Lebensformen. Wir nehmen beispielsweise an, dass wir noch existieren können, wenn sich die Feinstrukturkonstante um 10-11 ändert, aber nicht wenn es 10 Prozent sind.5 Neben diesem konservativen gibt es noch den radikalen Ansatz, der von großen Änderungen ausgeht, die auch die Gesetze, die ihnen zugrunde liegende mathematische Logik und die Zahl der Raumund Zeitdimensionen betreffen. Man muss sich dann mit grundsätzlich anderen Formen von ›Leben‹ befassen, die in einer von der irdischen völlig verschiedenen Umgebung existieren können.6 Das verlangt, genauer zu untersuchen, was ›Leben‹ eigentlich ist. In der Regel reduziert man den Begriff auf einige Grundforderungen: die Fähigkeit, Information zu verarbeiten und zu speichern (wenn man Computerfreak ist), die Fähigkeit, sich durch natürliche Auslese zu entwickeln (wenn man Biologe ist). Oder man definiert Leben einfach als Energiefluss im Nicht-Gleichgewicht (wenn man Chemiker ist). Als Beispiel für den radikalen Ansatz kann mein Versuch gelten, ›Leben‹ im mathematischen Formalismus zu finden.7 Wir wollen dazu die Hierarchie aller möglichen mathematischen Strukturen betrachten, indem wir mit einfachen endlichen Ansammlungen von Punkten beginnen, die durch Regeln verbunden sind, dann Geometrien und Zählsysteme wie die Arithmetik ganzer Zahlen mit einbeziehen, daraufhin Brüche, Dezimalzahlen, komplexe Strukturen, Gruppen und so fort: immer vorwärts und die Treppe der Komplexität hinauf. Nun fragen wir, welche dieser Strukturen als Wesen mit Bewusstsein gelten können. Wenn wir nämlich die Axiome eines der logischen Systeme hernehmen und dann unter Verwendung der vorgegebenen Regeln der Beweisführung sämtliche irgendwie möglichen wahren Aussagen herausarbeiten, so wird sich vor uns ein riesiges Netz logischer Wahrheiten erstrecken. Enthält dieses Netz schließlich Strukturen, die vollständig dem entsprechen, was wir mit dem Begriff ›Bewusstsein‹ bezeichnen, können wir sagen, dass sie in einem bestimmten Sinne ›leben‹. Die Frage ist nur, in welchem Sinne.
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Ein anderer Zugang zu diesem Problem ist die Entwicklung eines Computermodells oder einer Simulation des Prozesses der Sternund Planetenbildung. Astronomen arbeiten eifrig an dieser Aufgabe. Die Bildung von Sternen ist zu kompliziert, als dass man sie ›von Hand‹ rechnen kann: Ohne die Hilfe eines schnellen Computers zur Lösung der Prozessgleichungen ist man verloren. Wir wollen uns nun vorstellen, dass irgendwann in ferner Zukunft diese Rechnungen so präzise werden, dass sie aufs Genaueste beschreiben, wie sich Sterne bilden und Planeten entstehen, die denen, die wir heute beobachten, sehr ähneln. Wenn wir dieses Problem ›gelöst‹ haben, kommt garantiert ein begeisterter Biochemiker und will, dass wir noch einen Schritt weitergehen und den Computer mit Bergen von Biochemie und Geologie füttern, sodass wir Prognosen über die ersten chemischen Prozesse auf einem Planeten und in seiner Atmosphäre erhalten. Die Ergebnisse fallen äußerst interessant aus: Der Computer beschreibt die Bildung von Molekülen, die sich selbst vervielfältigen, miteinander in Wettbewerb treten und auf der Oberfläche unseres jungen Planeten ganz komplizierte Dinge tun. DNS-Spiralen tauchen auf und bilden die erste Grundlage für genetische Replikatoren. Die Selektion tut ihr Werk, und die am besten angepassten Replikatoren vermehren sich sehr schnell, verbessern sich dabei und verbreiten ihre Baupläne über den gesamten bewohnbaren Teil des Planeten. Nun lässt man das Computerprogramm immer weiter laufen. Irgendwann werden sich bestimmte Programmteile gegenseitig Signale zusenden und Informationen speichern. Sie haben einen einfachen Code entwickelt und einen Algorithmus, der auf der (achtfachen) Symmetrie beruht, wie sie die größten Replikatoren aufweisen. Die Programmierer sind über das Gedeihen ihres Werks hell begeistert, denn sie hatten nie damit gerechnet, dass so etwas aus ihrem ursprünglichen Programm entstehen könnte. Das Verhalten der Replikatoren ist wie ein Code, der zunächst nicht allzu schwer zu knacken ist. In den Computerresultaten finden wir Ansätze zu einer einfachen Kommunikationslogik. Eine Videoaufzeichnung der Ergebnisse würde einem naturgeschichtlichen Film über die Evolution des Lebens ähneln. Diese kleine Fantasiereise zeigt, wie sich aus einer Computersimulation Verhaltensweisen entwickeln können, die wir als ›bewusst‹ klassifizieren würden. Wenn wir nun fragen, wo sich dieses Bewusst-
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sein befindet, wird uns wenig anderes einfallen als ›im Programm‹. Es ist Teil der Software, die auf der Maschine läuft, und besteht aus einer Ansammlung komplexer Theoreme, die, ableitbar aus den Anfangsbedingungen, die Programmlogik darstellen. Diese Art von Leben ›existiert‹ im mathematischen Formalismus. Diese Beispiele sollen zeigen, wie sich Aspekte von Leben als Computerprogramm verwirklichen lassen. Unsere Überlegungen führen zu dem Schluss, dass entsprechend definiertes ›Leben‹, wenn es in einem mathematischen Formalismus existieren kann, auch wirklich in vollem Sinne existiert. Das Ganze ist dem berühmten ontologischen Gottesbeweis eines Anselm von Canterbury nicht unähnlich. Man könnte nun fragen, ab welcher Stufe von Komplexität es möglich ist, von Leben innerhalb eines mathematischen Formalismus zu sprechen. Die einzige merkliche Schranke taucht auf, wenn wir die Komplexität der Arithmetik erreichen. An diesem Punkt ist Selbstreferenzialität möglich: Es kann zu einer eindeutigen Zuordnung der Arithmetik und der Sätze über die Arithmetik kommen, was bei einfacheren Strukturen wie der Geometrie nicht möglich ist. Zellulare Automaten wie in John Conways ›game of life‹8 erweisen sich in ihrer logischen Struktur als der Arithmetik gleichwertig. Es ist bemerkenswert, dass mit dem Erreichen der Komplexität von Arithmetik die ›Gödelsche Unvollständigkeit‹9zu einer Eigenschaft des Systems wird. Einige Autoren, insbesondere John Lucas und Roger Penrose, haben die Vermutung geäußert, dass diese Eigenschaft möglicherweise ein wesentliches Merkmal von Bewusstsein ist. Wenn das stimmt, ist die Komplexitätsschranke, die man beim Erreichen der Arithmetik überschreitet, das niedrigste Niveau, ab dem ›bewusste‹ Informationsverarbeitung in einem logischen System beginnen kann. Interessant ist auch, diese untere Schranke für selbstreferenzielle Komplexität in logischen Systemen mit der unteren Schranke zu vergleichen, die vor dem Entstehen von Komplexität in diskreten Zellautomaten zu überwinden ist, wie sie von Stephen Wolfram in A New Kind of Science diskutiert werden. Einfache eindimensionale Algorithmen mit Regeln für die unmittelbaren Nachbarn können Komplexitätsniveaus erreichen, die auch nicht übertroffen werden, wenn man sich in höhere Dimensionen begibt, komplexere Regeln aufstellt oder zufällige Störungen und Mittelbildung zulässt.
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Das Problem bei derartigen computer-ontologischen Argumenten, die Leben inmitten mathematischer Formalismen erblühen lassen, ist ihre Gleichsetzung von mathematischer und physikalischer Existenz. Mit der physikalischen Existenz haben wir einige Erfahrung. Wie vieles andere auch können wir sie vielleicht nicht definieren, aber wir wissen manches über sie und erkennen sie, wenn unsere Sinne sie registrieren. Die mathematische Existenz ist ein weit schwammigeres Ding, dafür aber weit leichter zu definieren. Mathematische Existenz bedeutet logische Widerspruchsfreiheit. Das allein genügt für einen mathematischen Satz, damit er als ›wahr‹ gilt. Rechtwinklige Dreiecke ›existieren‹ im System der Euklidischen Geometrie, Kreise mit Ecken nicht. Ein wahrer mathematischer Satz muss nicht unbedingt interessant sein, er muss auch weder kurz sein noch neu. Er darf nur nicht zu einem Widerspruch innerhalb des logischen Regelwerks führen, mit dessen Hilfe er abgeleitet wurde.10 Derartige mathematische Universen können in vielerlei Hinsicht ›imaginär‹ sein. Es gab sogar Mathematiker wie Godfrey Hardy (1877–1947), die dachten, das eine oder andere sei sogar dem irdischen vorzuziehen: ›Imaginäre‹ Universen sind so viel schöner als unser dumm konstruiertes ›reales‹. Aber die meisten der schönen Früchte, die den Launen eines Vertreters der angewandten Mathematik entspringen, müssen – traurig, aber wahr – sofort nach ihrer Schöpfung aufgrund eines hinreichenden Grundes zurückgewiesen werden: Sie stehen in Widerspruch zu den Fakten.11
Ein möglicher Einwand gegen die Schöpfung lebensfördernder Welten aus einem großartigen Computercode besteht darin, dass es anscheinend weit mehr mathematische Formalismen gibt, die nicht zu Leben führen, als solche, die es zum Blühen bringen. Von unserem anthropischen Argument wissen wir, dass wir uns in einem jener Universen befinden, die Leben unterstützen. Es gibt aber noch ein subtileres Problem. Eine unendliche Zahl von Universen, die über eine so wohlgeordnete Struktur verfügen wie derzeit das unsere, werden in Zukunft aus der Rolle fallen und sich gesetzlos verhalten. Die Wahrscheinlichkeit ist also bei weitem größer, in einem Universum zu leben, in dem der Glaube enttäuscht wird, dass die Sonne auch am nächsten Morgen wieder aufgeht.12 Wenn es eine so große Anzahl
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möglicher Welten gibt, in denen die Sonne morgen nicht aufgeht, sonst aber alles so ist wie in unserer lebensfördernden Welt – was sollen wir dann daraus schließen, dass bei uns die Sonne morgen doch aufgeht? Diese Frage ist nicht so paradox wie sie auf den ersten Blick erscheint. Wir müssen einen Weg finden, um die Wahrscheinlichkeit der verschiedenen Geschichtsverläufe herauszufinden, wobei es nicht ausreichen dürfte, sie einfach nur zu zählen. Die Universen, in denen die Geschichte lange Zeit wohlgeordnet verläuft, aber in einem bestimmten Moment in Chaos umschlägt, müssen ganz bestimmte Konstruktionsmerkmale aufweisen. Diese sind der Grund dafür, dass diese Universen weniger wahrscheinlich als die anderen sind, in denen alles weiter seinen geregelten Gang geht. Die anderen Welten, mit denen wir uns gerade beschäftigt haben, sind für uns so fiktiv wie die Schattenbilder Platons. Ihre Existenz hat nichts von dem, was wir unter realer ›Existenz‹ eigentlich verstehen. Sie sind mehr virtuell als real. Irgendwie lebt das Leben in mathematischen Formalismen oder in einem Computerprogramm nicht wirklich. Vielleicht leiden ja alle ›bewussten‹ Informations-Verarbeiter in diesen Formalismen unter denselben Wahnvorstellungen von Größe und Einmaligkeit. Aber wir wollen nun annehmen, dass mit ihnen alles in Ordnung ist – und lieber zu konkreteren Ensembles anderer Welten übergehen.
Das Buch der Bücher Kosmologen haben sich ausgedacht, wie Ensembles anderer Welten entstehen könnten. Meist gehen sie von dem konservativen Schöpfungsansatz aus, den wir schon kennengelernt haben, bringen also nur einige wenige Änderungen an den Naturkonstanten oder der Zahl der Dimensionen an, lassen aber die Naturgesetze so wie sie sind. Wir haben uns schon mit dem inflationären Universum und seinen beiden Abarten, dem chaotischen und dem ewigen Universum befasst. Verschiedene große (vielleicht sogar unendlich große) Gebiete unseres Universums können als Folge der Zufallsprozesse,
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Neue Welten – neue Rätsel
welche die Inflation eingeleitet haben, unterschiedliche Dichten und Expansionsraten aufweisen, vielleicht sogar verschieden viele Raumdimensionen und völlig andere Naturkräfte. Anfang und Ende der Inflation können an verschiedenen Plätzen zu verschiedenen Zeiten stattgefunden haben. Das Ergebnis ist ein Universum mit Regionen, in denen vollkommen unterschiedliche Zustände herrschen und natürlich auch die bestimmenden Naturkonstanten andere Werte aufweisen (siehe Abbildung 13.1). a)
E D C B
A
b) Energie
A
B
C
D
E Feldgröße
A b b ild u n g 1 3 .1 a) Universum mit Regionen, die auf unterschiedliche Weise eine Inflationsphase durchmachen. b) Der niedrigste Energiezustand der Materie am Ende einer Inflation kann verschieden ausfallen. Das hat zur Folge, dass die Zahl und die Stärke der Naturkräfte je nach dem von der Materie erreichten Minimum verschieden sein wird.
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Diese Regionen sind mit größter Wahrscheinlichkeit sehr ausgedehnt – viel weiter als unser sichtbares Universum. Die Inflation bläht kleinste Gebiete äußerst schnell zu riesigen Räumen auf, daher liegt höchstwahrscheinlich auch die Grenze unserer Region weit jenseits unseres Sichtbarkeitshorizonts. Aber vielleicht taucht ja einst für unsere Nachfahren eine dieser völlig exotischen Regionen auf, vernichtet Materie, verzerrt die Expansion des Universums und verschluckt Sterne und Galaxien. Wenn wir uns ein für ewige Zeiten inflationäres Universum vorstellen, ist das Reich der Möglichkeiten noch weit größer. Wir selbst sind dann nichts als eine lokale Fluktuation in einem nie endenden Prozess, der alle denkbaren Permutationen der kosmischen Bedingungen, Konstanten und Dimensionen durchläuft. Nur in einigen von ihnen ist auch Leben möglich. Eine interessante Eigenschaft dieses inflationären Universums ist, dass es uns keinen Glauben an ein Multiversum aus anderen Welten dubioserer Art abverlangt. Die Regionen des inflationären Universums sind keine Parallel-Universen oder imaginäre Welten – und vielleicht sind sie nicht einmal bloß hypothetisch. Was als ›Welt‹ zählt ist nichts als eine riesig große Region des einen und einzigen Universums. Wenn es unendlich ausgedehnt ist, kann es auch unendlich viele Alternativen umfassen. Wenn es alle logisch möglichen Varianten durchläuft, wird auch jede Welt, die existierten kann, irgendwo existieren – und nicht nur einmal, sondern unendlich oft. Eines kann man über diese Idee mit Sicherheit sagen: Wenn sie wahr ist, sind wir wohl kaum die Ersten, die auf sie gekommen sind.13 Es gibt noch andere und banalere Möglichkeiten, um innerhalb eines Universums verschiedene Welten zu schaffen. Die Natur erzeugt Komplexität, indem sie bei der Realisierung der Möglichkeiten die Symmetrie ihrer Gesetze bricht. Sie, die Sie dieses Buch lesen, befinden sich in diesem Augenblick an einem ganz bestimmten Ort des Universums, obwohl die Gesetze der Schwerkraft und des Elektromagnetismus, deren kompliziertes Produkt Sie sind, keinen Ort im Universum bevorzugen, sondern universell gelten. In der Frühzeit der Expansion und Abkühlung des Universums gab es unzählige Gelegenheiten, bei denen die Symmetrie gebrochen wurde. An dieser Stelle geschah das auf diese Weise, dort wieder anders. Solche Zu-
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fallsereignisse können aber für die Entwicklung von Leben in der Zukunft eine weitreichende Bedeutung haben. Ein typisches Beispiel eines solchen ›vitalen‹ Symmetriebruchs ist derjenige, der zum Gleichgewicht von Materie und Antimaterie im frühen Universum geführt hat. Er hatte zur Folge, dass das Ungleichgewicht zwischen Materie und Strahlung, das nötig ist, damit nicht alles in Strahlung aufgeht, später von Ort zu Ort stark variierte. Fand dieser Symmetriebruch vor einer Inflation statt, hat sich ein Gebiet mit einem Übergewicht an Materie ausgedehnt und eine gewaltige Region gebildet, in der unser sichtbares Universum seinen Platz hat. Hat er nach der Inflation stattgefunden, könnte der sichtbare Teil des Universums Gebiete enthalten, in denen ein anderes Verhältnis von Materie zu Antimaterie herrscht. Wir haben damit wieder einen Prozess, der innerhalb eines einzigen Universums große Regionen entstehen lässt, in denen sich einige Eigenschaften, die für die Herausbildung von Leben entscheidend sind, von Ort zu Ort signifikant unterscheiden. Die Quantentheorie lehrt uns, dass alle Dinge, die wir als Teilchen oder materielle Gebilde sehen oder greifen können, Wellencharakter haben. Die Wellenfunktion ist Ausdruck der Wahrscheinlichkeit für den Aufenthalt eines Teilchens. Eine der interessanten Entdeckungen der Physiker, die sich um die quantentheoretische Beschreibung des gesamten Universums bemühen, besteht darin, dass die Anfangsbedingungen des Universums eine entscheidende Rolle beim Übergang von Wellen- zu Partikeleigenschaften gespielt haben. Wir gehen gewöhnlich davon aus, dass sich der wellenhaft-unbestimmte Charakter von Materieteilchen nur im Bereich winzigster Dimensionen zeigt. Je größer die Dinge sind, umso kleiner und vernachlässigbarer werden die Quanteneffekte. Wir müssen uns um sie kümmern, wenn wir Atomphysik betreiben, aber wir können sie vergessen, wenn wir ein Auto steuern: Es verhält sich nicht quantenhaft. Es scheint jedoch ganz bestimmte Anfangsbedingungen geben zu müssen, damit Universen diese Eigenschaft annehmen, wenn sie sich aufblähen und alt werden. In vielen Welten werden sich vertraute Eigenschaften wie Ort, Energie, Impuls und Zeit nicht so genau definiert herausbilden wie bei ›uns‹ – so wenig wie der Typus komplexer Organisation, den wir Leben nennen.
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Die moderne Suche nach einer Theorie für Alles lässt Raum für andere Welten. Man hat sich oft vorgestellt, dass eine solche ultimative Theorie auch alle Naturkonstanten bestimmen wird. Das erscheint inzwischen aber eher unwahrscheinlich, und man vermutet nun, dass nur ein Teil der Naturkonstanten durch die strikte, innere Logik der Theorie absolut festgelegt wird, während der Rest verschiedene Werte annehmen kann, die das Ergebnis symmetriebrechender Zufallsprozesse sind. Wir waren in Kapitel 8 mit einer solchen offenen Zukunft konfrontiert und müssen, wie wir gesehen haben, die anthropische Auslese heranziehen, um zu erklären, warum bei uns die Werte der Naturkonstanten in einem engen, lebensfördernden Bereich liegen. Bis jetzt waren wir damit zufrieden, Ensembles anderer Welten zu schaffen, indem wir an Teilen unserer eigenen Welt herumgebastelt haben und ihre natürliche Tendenz ausnützen konnten, dass die Realität von Ort zu Ort verschieden ausfällt. Es ist nun an der Zeit, weiterreichende Spekulationen anzustellen und Wege zur Änderung der Naturkonstanten zu überlegen, die alle Möglichkeiten umfassen. Dazu wollen wir die Zwänge der gängigen Physik verlassen und uns in das Reich fantastischerer Vorstellungen begeben.
Grenzenlose Welten Bevor man den selbst-reproduktiven Charakter des ewig inflationären Universums14 erkannt hatte, war man davon ausgegangen, dass man die Inflation vielleicht in einem Teil des Universums anregen kann, indem man dort bestimmte Zusammenstöße von Elementarteilchen mit hohen Energien arrangiert – ein Versuch, den Zufall auszuschalten. Das Szenario ewiger Inflation beruht darauf, dass nichts arrangiert werden muss. Das Universum bringt die kontinuierlichen Inflationsperioden zustande, ohne dass es intelligente Hilfe braucht und ohne dass unintelligente Unglücksfälle eine Rolle spielen. Was aber, wenn sich das Universum bis in alle Ewigkeit in seinen Inflationsphasen immer wieder neu erfindet? Vielleicht hat es in Regionen, die sich in der Vergangenheit inflationär ausgedehnt haben,
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weit fortgeschrittene Zivilisationen gegeben, die wussten, wie man eine Inflation anheizt und ihre Folgen zurechtschneidert. Wenn das so war, hätten sie die Inflation so abstimmen können, dass sie für die weitere Existenz von Leben förderlich war. Der britische Kosmologe Edward Harrison hat über Vermutungen spekuliert, derart erleuchtete Wesen würden versuchen, die nächste Auflage des Universums lebensfreundlicher einzurichten als die, in der sie sich selbst entwickelt hatten.15 Wenn sich dieser Prozess der Feinabstimmung über viele Generationen ewiger Inflation fortsetzt, muss man davon ausgehen, dass die lebensfördernden ›Koinzidenzen‹ zwischen den Werten der einstellbaren Naturkonstanten immer besser abgestimmt werden. Nach Harrison ist das vielleicht die Erklärung dafür, dass sie so Mannigfaltig und seltsam sind die gut abgestimmt sind. So verführerisch Universen, die wie Blasen im Schaum diese ›intelligente‹ Schöpfung von Uni- des Zeitstroms treiben. versen auch erscheinen mag, so wenig Arthur C. Clarke16 klar ist, wie sie in Gang gesetzt werden kann. Wenn ein Universum mit Konstanten beginnt, die weit von denen entfernt sind, die zur Herausbildung von Komplexität nötig sind, werden nie die bewussten Lebewesen entstehen, die dann eine Feinabstimmung vornehmen können. Nur zufällige Fluktuationen können hier noch weiterhelfen. Ein anderes interessantes Szenario, nach dem die Naturkonstanten ebenfalls Einflüssen von außen unterliegen, hat der amerikanische Physiker Lee Smolin in seinem Buch Warum gibt es die Welt? entwickelt. Danach entfaltet sich aus der geheimnisvollen Singularität im Innern jedes neu entstandenen Schwarzen Lochs ein Parallel-Universum. Alles, was von einem Schwarzen Loch eingefangen wird, endet unerbittlich in dieser Singularität. Anstatt in ein zeitloses Nirwana einzugehen, wird die untergegangene Materie wiedergeboren und ersteht neu in Form eines expandierenden Universums, dessen Naturkonstanten sich von den alten auf zufällige Weise unterscheiden.17 Auf lange Sicht führt dieses Szenario zu einem Universum mit ganz bestimmten Eigenschaften. Wenn der Sturz von Materie in ein Schwarzes Loch jeweils neue Universen entstehen lässt, wird ein Universum umso mehr Nachkommen haben, die seinen eigenen ›Genetischen Code‹ – die Größe seiner Naturkonstanten – weitergeben, je
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mehr Schwarze Löcher es erzeugt. Zuletzt, so kann man argumentieren, würden wir uns in einem Universum wiederfinden, in dem die Naturkonstanten optimal für die Erzeugung von Schwarzen Löchern sind. Daher machten es schon kleinste Änderungen der derzeitigen Naturkonstanten schwerer, Schwarze Löcher entstehen zu lassen. Das ist allerdings nur eine der Schlussfolgerungen, die wir aus diesem Szenario ziehen können. Unsere anthropischen Erwägungen sagen uns, dass sich Universen, die optimal für das Entstehen Schwarzer Löcher ausgelegt sind, als ungeeignet für lebende Beobachter erweisen könnten. Es ist daher wesentlich, das Anthropische Prinzip anzuwenden. Wir können nur vorhersagen, dass wir uns in einem für Schwarze Löcher optimalen Universum befinden, wenn dort auch lebende Beobachter möglich sind. Und das könnte ein völlig anderes Universum sein! Es ist auf lange Sicht aber auch möglich, dass die Änderung von Naturkonstanten zu keinen lokalen Maxima für die Entstehung von Schwarzen Löchern führt. Es mag für einige Konstanten eine Änderungstendenz geben, die zu einer ständig anwachsenden Erzeugung Schwarzer Löcher führt. Aber auch hier können wir wieder wenig über die Werte sagen, die die Naturkonstanten letztlich annehmen.18 Das legt einen weiteren Weg nahe, bei dem aus unserem Universum ein Ensemble anderer Welten mit unterschiedlichen Naturkonstanten erzeugt werden kann. Enthält ein Universum genügend Materie, so kann es sich wieder zusammenziehen und in ferner Zukunft einen BigCrunch erleiden. Es bleibt dabei ein Geheimnis, was bei diesem BigCrunch eigentlich passiert. Physikalisch gesehen ähnelt es den Vorgängen im Mittelpunkt eines Schwarzen Lochs. Vielleicht kommt das Universum ja – zusammen mit Raum und Zeit und allen Naturgesetzen – einfach zu einem Ende auf das nichts folgt. Aber die Kosmologen waren immer versucht sich vorzustellen, dass das kollabierende Universum wie der Phönix aus der Asche wieder in den Zustand der Expansion springt. Dann wäre der Schluss nur natürlich, dass das Universum für alle Zeiten zwischen Expansion und Schrumpfung oszilliert (siehe Abbildung 13.2). Die große Frage ist, was sich bei einem solchen Sprung ändert – wenn sich überhaupt etwas ändert. Muss die Tafel mit den Zehn Geboten neu beschrieben werden, oder werden Informationen aus den vorhergegangenen Zyklen in den neuen übernommen?
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A b b ild u n g 1 3 .2 Oszillierendes Universum, in dem nach jedem Big-Crunch ein neuer Zyklus beginnt.
John Wheeler hat ursprünglich angenommen, dass bei jedem Sprung aus der Schrumpfung in die Expansion die Naturkonstanten neu gemischt werden. Das Resultat wäre eine unendliche Folge schrumpfender und expandierender Universen, in denen die Naturkonstanten jeweils unterschiedlich sind. Nur während eines Zyklus, in dem der Zufall einen Satz von Naturkonstanten gewählt hat, der Leben erlaubt, können auch wir existieren. Leider wissen wir nicht, wie die Werte der Konstanten vom einen zum nächsten Zyklus weitergegeben werden. Ein Faktor spielt dabei eine bedeutende Rolle: Folgt aus der neuen Mischung von Konstanten, dass das Universum nicht wieder in einem Big-Crunch kollabiert, ist das Spiel vorbei, und das nun ewig expandierende Universum bleibt auf einer Hand voll Konstanten sitzen, die nie mehr verändert werden. Es ist natürlich am wahrscheinlichsten, dass sich das Universum heute in diesem Zustand befindet. Wenn es in der Vergangenheit unendlich viele Oszillationen gegeben hat und wenn es auch nur die kleinste Wahrscheinlichkeit für einen Satz von Naturkonstanten gibt, der dieses Spiel beendet, dann wird dieser auch irgendwann zum Zug kommen.19 Die Kosmologen stülpen dieser Evolution von Zyklus zu Zyklus gern eine bestimmte Form von solider Kontinuität über: den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik, nach dem die Unordnung (oder Entropie) im Zeitverlauf zunimmt. Wenn man auf der Gültigkeit dieses Prinzips und darüber hinaus der des Energieerhaltungssatzes20 besteht, wächst die Größe der Universen von Zyklus zu Zyklus an (siehe Abbildung 13.3).21
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Größe
Zeit
A b b ild u n g 1 3 .3 Oszillierendes Universum, in dem die Zunahme der Entropie den jeweils nächsten Zyklus größer werden lässt. Voraussetzung ist die Gültigkeit des Energieerhaltungssatzes.
Das ist recht interessant, denn das Universum wird sich in diesem Fall auf lange Zeit gesehen immer mehr dem Zustand der kritischen Expansion nähern. Es gibt aber bei der Geschichte noch einen weiteren Dreh. Mariusz Dąbrowski hat zusammen mit mir gezeigt, dass aus dem beobachteten Wert der kosmischen Vakuumenergie, die für die beschleunigte Expansion des Universums sorgt, ein Ende der Oszillationen folgt und das Universum dann in alle Zukunft beschleunigt weiter expandiert (Abbildung 13.4).22
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A b b ild u n g 1 3 .4 Oszillierendes Universum mit einer kleinen positiven kosmologischen Konstante, die dazu führt, dass die Expansion des Universums beschleunigt wird und die Oszillationen enden.
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Das Endresultat ist immer, dass das Universum mit seinem letzten Satz von Naturkonstanten auskommen muss und in einem Zustand expandiert, in dem die Vakuumenergie in einem fein austarierten Gleichgewicht mit den anderen Energieformen steht. In der Tat: Es sieht dann ein wenig aus wie unseres.
Das Ende der Reise Unser Blick auf die Naturkonstanten begann in irdischen Gefilden, hat uns aber inzwischen bis an die Grenzen des Universums und sogar darüber hinaus geführt: in ein Multiversum anderer Welten, deren Existenz sich nur unscharf und blass in unserer Welt widerspiegelt. Die Suche nach Maßstäben, die von menschlichen Dimensionen und unserem engen Horizont bestimmt wurden, hat zur Entdeckung von anderen geführt, die universal gelten und alle Dimensionen sprengen. Die Aufklärung der Prozesse in der Natur und der Regeln, nach denen sie sich verändert, hat jene geheimnisvollen Zahlen aufgedeckt, die das gesamte ›Sein‹ bestimmen. Die Naturkonstanten verleihen unserem Universum seine Existenz und prägen es. Ohne sie wären die Naturkräfte machtlos, die Elementarteilchen hätten keine Masse und das Universum keine Ausdehnung. Die Naturkonstanten sind das letzte Bollwerk gegen ungezügelten Relativismus. Sie definieren das Universum in einer Weise, die alle Vorurteile eines Blicks auf die Dinge weit hinter sich lässt, bei dem der Mensch im Mittelpunkt steht. Wenn wir einst mit intelligenten Wesen irgendwo im All Kontakt aufnehmen, werden wir uns zuerst über die Naturkonstanten und alles, was sie definieren, verständigen. Die Tafeln, die wir schon in den Weltraum geschickt haben, um den Aliens zu erklären, wo wir sind und was wir können, tragen Informationen über den menschlichen Körper (ein Paar ist dargestellt: der Mann grüßt freundlich, die Frau steht dabei), unsere Position im Universum und Angaben über die Wellenlänge der Wasserstofflinie. Die Naturkonstanten sind möglicherweise das gewaltigste physikalische Wissen, das intelligente Wesen im gesamten Universum teilen. Nun, nachdem wir allen Haupt- und Nebenwegen zur Erforschung
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ihrer Bedeutung gefolgt sind, kommen wir wieder an den Ausgangspunkt zurück. Ihre Entdecker sahen in ihnen ein Mittel, unser Verständnis des Universums von allen Anthropomorphismen menschlicher Konstruktionen zu befreien und das Anderssein eines Universums zu entdecken, das nicht extra für uns hergestellt wurde. Die Naturkonstanten aber, die aus dem Zusammenwirken von Relativität und Quanteneffekten entstehen, haben wiederum unsere Existenz in eiBis zur naturwissenschaftlichen Revolution des 17. Jahrhunderts haben wir die ner Weise hervorgehoben, die sowohl Welt mit Sinn überschüttet. Von da ab geheimnisvoll als auch wunderbar ist. war es umgekehrt, und die Welt hat uns Ihre Werte, die wir zwar in unseren Lamit Sinn überschüttet. bors mit immer größerer Genauigkeit Chet Raymo23 messen, aber mit unseren Theorien noch nicht erklären können, machen das Universum zu einer Heimat für denkende Wesen aller Art. Und es sind diese Werte, die uns die Vorstellung anderer, weniger befriedigender Alternativen leicht machen – und damit die Einmaligkeit unseres Universums unterstreichen. Ob wir wohl irgendwann die Werte der Naturkonstanten erklären können? Bis jetzt ist die Antwort auf diese Frage noch unklar. Unsere am tiefsten gehenden Theorien der Naturkräfte besagen, dass eine Theorie für Alles keine eindeutigen Werte liefern wird: Nicht alles wird von der toten Hand logischer Konsistenz festgenagelt. Es gibt Konstanten, die auch anders sein können, die dem Zufall unterworfen sind und das Universum für immer in einen finsteren Abgrund ohne Leben stürzen würden, wenn sie den ›falschen‹ Wert annehmen. Und wie sieht es mit der eigentlichen Natur dieser Konstanten aus? Sind sie wirklich heute, morgen und in alle Ewigkeit konstant? Oder ändern sie sich im langsamen Rhythmus von Ebbe und Flut der Zeit? Wenn wir uns auf unsere empfindlichsten Instrumente verlassen, können wir die ersten Anzeichen für Änderungen erkennen, die eine der am meisten verehrten Naturkonstanten im Laufe von Milliarden Jahren kosmischer Geschichte erlitten hat. Was bedeutet das für unser Verständnis des Puzzles, dem unser Bild des Universums gleicht? Werden sich die Konstanten ändern, ihre Koinziden-
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zen zerstören und damit den Baum des Lebens in ferner Zukunft seiner Blätter berauben und alles Leben auslöschen? Sind unsere Konstanten mit der Expansionsrate unseres Universums gekoppelt oder sind sie wirklich konstant – und damit eine isolierte Enklave in der Entwicklung der Komplexität und des Lebens, des Wirbels der Sterne und Galaxien um uns herum? Entwickeln sie sich weiter und ändern sie sich von Zyklus zu Zyklus eines Universums, dessen Geschichte weder Anfang noch Ende hat, eines Universums, das alle Möglichkeiten durchspielt und ein Multiversum aller denkbaren Welten hervorbringt, die alle in sich konsistent sind, aber meist ohne Leben und ihrer eigenen Existenz nicht bewusst? Große Rätsel – die aber ihren Ursprung in kleinen Rätseln haben. Wir haben unseren Blick auf die physikalische Realität Stufe für Stufe erweitert, haben das Geflecht von Verbindungen zwischen ganz unterschiedlichen Gebieten aufgedeckt und erkannt, dass das Universum einzig auf Zahlen beruht. Und Zahlen verstehen wir, wenigstens zum Teil. Das mag für den einen oder anderen enttäuschend sein. Aber obwohl die Naturkonstanten Zahlen sind, sind sie nicht nur reine Zahlen, und sie sind nicht nur Zahlen. Sie sind die Barcodes der letzten Wirklichkeit, die PINs und TANs, die uns das Tor zu den letzten Geheimnissen des Universums öffnen werden – eines Tages.
Anmerkungen
Kapitel 1 1
Siehe Bryan Appleyards Buch Der halbierte Mensch und Václav Havels Rede zur Verleihung der Philadelphia Liberty Medal am 4. Juli 1994 (http://www.hrad.cz/president/Havel/speeches/index_uk.html). Havel schreibt der Naturwissenschaft und der von ihr angeschobenen »technologischen Zivilisation« die Verantwortung für all das Unerwünschte in der Welt (und insbesondere in den früher kommunistischen Staaten Osteuropas) zu. Seine Hoffnung setzt er darauf, »in der Erde und gleichzeitig im Kosmos verwurzelt« zu sein und wieder zu begreifen, dass wir alle Freiheit dem »Schöpfer« verdanken.
Kapitel 2 1 Bennett, Fourty Years On, S. 80. 2 A.a.O., S. 37. 3 Der Vorsitzende des House Science Committee, F. James Sensenbrenner, gab vor der Presse nur ein ungewöhnlich kurzes Statement ab, als er von der Katastrophe hörte: »Ich bin sprachlos.« 4 »Mars Climate Orbiter Mishap Investigation Board. Phase I Report« vom 10. November 1999, S. 6, siehe ftp://ftp.hq.nasa.gov/pub/pao/reports/ 1999/MCO_report.pdf. 5 Ein interessantes Beispiel gibt der Aufbau des britischen Eisenbahnnetzes ab, für das die Zeitmaße in den weit entfernten Städten in Übereinstimmung gebracht werden mussten. 6 Joan Rivers in: An Audience with Joan Rivers (London Weekend Television, 1984). 7 Im 19. Jahrhundert gab es in Deutschland mehr als 30 verschiedene Fuß- und Ellenmaße, die zum öffentlichen Gebrauch oft an Kirchen angebracht waren. Erst 1871 wurde im Deutschen Reich der Meter eingeführt. Auch heute noch behaupten Politiker gern, sie würden keinen Zoll weichen und keinen Fußbreit Landes dem Feind überlassen, während in
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den Einkaufsmeilen Dutzendware unter die Leute gebracht wird. (Anm. d. Übers.) Siehe dazu Algernon Berrimans Buch Historical Metrology. Eddington, Naturwissenschaft auf neuen Bahnen, S. 218. Karl der Große hatte schon im 8. Jahrhundert versucht, die Maßeinheiten zu vereinheitlichen und in seiner Admonito Generalis (dt.: Allgemeine Ermahnung) gleiche und gerechte Maße gefordert. (Anm. d. Übers.) Man denke nur an die Einführung von Joule und Watt anstelle der vertrauten Maßeinheiten Kalorie und PS. Es wurden große Anstrengungen unternommen, nicht nur für die Messung von Massen und Längen das Dezimalsystem einzuführen, sondern auch für die Zeit. Im Oktober 1793 wurde ein offizielles Dekret zur Einführung des neuen ›Revolutionskalenders‹ verabschiedet. Nach ihm hatte der Monat nun drei zehntägige ›Dekaden‹. Das hatte zur Folge, dass über das Jahr gerechnet fünf (in Schaltjahren sechs) Tage überzählig waren, die an den letzten Sommermonat angehängt wurden. Das System ähnelte dem der alten Ägypter und hatte letztlich zum Motiv, den Sonntag als wöchentlichen religiösen Feiertag abzuschaffen. Die Neuerung war ein völliger Fehlschlag: Zum Jahresbeginn 1806 wurde von Napoleon I. wieder die Siebentagewoche eingeführt. (Siehe dazu mein Buch Der kosmische Schnitt.) Zitiert in: Gläser, Kilogrammprototyp, S. 2. Der Begriff ist vom griechischen µετρον – Maß, Maßstab, Richtschnur – abgeleitet. Ursprünglich hatte Talleyrand eine ›natürliche‹ Längeneinheit vorgeschlagen, die auf der Länge eines ›Sekundenpendels‹ beruhen sollte, das an einem Ort in Meereshöhe und in 45° geographischer Breite mit einer Periode (= Hin- und Hergang) von zwei Sekunden schwingt. Ein deutliches Zeichen dafür war, dass die Londoner Royal Society auf eine Einladung zu einem Treffen mit der Pariser Akademie der Wissenschaften, auf dem ein internationales System von Maßeinheiten beschlossen werden sollte, nicht einmal antwortete. Bereits zwanzig Jahre zuvor waren sie von den Niederlanden, Belgien und Luxemburg eingeführt worden, 1832 durch König Otto I. in Griechenland. Großbritannien erlaubte 1864 immerhin einen eingeschränkten Gebrauch der metrischen Einheiten, die USA folgten zwei Jahre darauf, der Norddeutsche Bund 1868, Österreich und das Deutsche Reich 1871. Siehe dazu das Buch Massebestimmung von Manfred Kochsiek und Michael Gläser (S. 54) und Wolfgang Trapps Kleines Handbuch der Maße, Zahlen, Gewichte und der Zeitrechnung. Es ist natürlich die Frage, wie genau man diese Standardmasse überhaupt kennt. Die Masse des Prototyps wurde so definiert, dass sie einem Kilogramm mit der Messungenauigkeit
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von ± 0,135 mg entsprach. Der britische Prototyp ist bis auf ± 0,053 mg genau, der amerikanische bis auf ± 0,021 mg. Das Urkilogramm ist auch heute noch gültig. Es gibt allerdings zahlreiche Bemühungen, auch die Maßeinheit für die Masse auf eine solidere Basis zu stellen, beispielsweise das Kilogramm durch die Masse einer bestimmten Anzahl von Atomen zu definieren. (Anm. d. Übers.) Inzwischen wurde das ›SI-System‹ Gesetz, das auf sieben Basisgrößen und Basiseinheiten beruht: Länge (Meter), Masse (Kilogramm), Zeit (Sekunde), Stromstärke (Ampère), Temperatur (Kelvin), Stoffmenge (Mol) und Lichtstärke (Candela). (Anm. d. Übers.) Things you ought to know, Rawdon, o.J., S. 9. Um 1800 genügte der Industrie ein Urmeter, das auf ± 0,25 mm genau war, 1900 war die Toleranzgrenze bereits auf ± 0,01 mm geschmolzen, 1950 auf ± 0,25 µm und 1970 auf ± 12 nm (Nanometer), weil heute an Strukturen im Nanometerbereich gearbeitet wird. J. C. Maxwell, »Presidential Address« an die British Association for the Advancement of Science, 1870, zitiert nach: Petley, Physical Constants, S. 15. Beim Studium von Texten aus dem 19. Jahrhundert muss man bedenken, dass einige Begriffe damals noch anders definiert waren als heute. So finden wir bei Maxwell den Begriff ›Molekül‹ anstelle von ›Atom‹. Lord Kelvin nannte jedes System von Maßen und Gewichten ›metrisch‹, wobei er sich einfach auf das griechische µετρον bezog. Das heutige ›metrische System‹ mit dem Meter als Grundeinheit hieß damals ›Dezimalsystem‹. Um Konfusionen zu vermeiden, werden hier wie im Folgenden in Zitaten aus älteren Arbeiten die modernen Begriffe eingesetzt. (Anm. d. Übers.) Den Vorschlag, zur Definition eines Längenstandards die Wellenlänge von Licht heranzuziehen, hat vermutlich als Erster im Jahr 1827 der französische Physiker Jacques Babinet gemacht. Geräte, um die entsprechenden Messungen durchzuführen, standen aber erst nach Babinets Tod (1872) zur Verfügung. 1960 wechselte man zur Wellenlänge einer orangeroten Linie von Kr86. Diese Linie erlaubt genauere Messungen als die Cd-Linie. Seit 1983 ist 1 m als der Weg definiert, den das Licht im Vakuum in 1/299.792.458 s zurücklegt – wozu natürlich wiederum die Sekunde definiert werden muss: 1 s ist die 9.192.631.770-fache Periodendauer der Strahlung, die dem Übergang zwischen zwei bestimmten Hyperfeinstrukturniveaus von Cs133 entspricht. (Anm. d. Übers.) Singer, Kabbalist vom East Broadway, S. 65. Stoney hielt seinen Vortrag ein weiteres Mal am 16. Februar 1881 vor der Royal Society Dublin. Er wurde unter dem Titel »On the Physical Units of Nature« in: Phil. Mag. (Ser. 5) 11 (1881), S. 381–390, und in: Sci. Proc. Roy. Dublin Soc. 3 (1883), S. 51–60, veröffentlicht.
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Die Bedeutung der Arbeiten Stoneys wird durch den Artikel »Electron« von Robert Millikan in frühen Ausgaben der Encyclopaedia Britannica und durch Anmerkungen in seinem Buch The Electron unterstrichen. Siehe David Andersons Buch The Discovery of the Electron und I. B. Cohen, »Conservation and the Concept of Electric Charge: An Aspect of Philosophy in Relation to Physics in the Nineteenth Century«, in: Clagett, Critical Problems. Der von Stoney überlieferte Begriff ›electron‹ wurde dem Begriff ›corpuscle‹ vorgezogen, an den Thomson zunächst gedacht hatte. G. J. Stoney, »On the Cause of Double Lines and of Equidistant Satellites in the Spectra of Gases«, in: Sci. Trans. Roy. Dublin Soc. (Ser. 2) 4 (1891), S. 563–608, hier: S. 583. Stoney hatte die Eigenheit, seinen Einheiten die Endung ›ine‹ anzuhängen. So bezeichnete er die Längeneinheit Meter mit ›lengthine‹, das Gramm mit ›massine‹ und die Sekunde als Zeiteinheit mit ›timine‹. J. G. O’Hara, »George Johnstone Stoney, F. R. S., and the Concept of the Electron«, in: Not. Rec. Roy. Soc. 29 (1974–75), S. 265–276, Tafel 14; Wiedergabe mit Genehmigung der Royal Society Library. Stoneys Vermutung, es gäbe eine Elementarladung, scheint nicht die Aufmerksamkeit erregt zu haben, die ihr eigentlich zukam. Das kann man aus dem Brief schließen, den er am 4. September 1894 an die Herausgeber des Philosophical Magazine schrieb, einer seinerzeit führenden wissenschaftlichen Zeitschrift. Er beklagte sich darin, dass ein gewisser Ebert in einem Artikel behauptet hatte, »von Helmholtz … sei der Erste gewesen, der zeigen konnte, … dass es eine kleinste Menge von Elektrizität geben müsse, … die wie ein elektrisches Atom nicht mehr weiter teilbar ist«. Stoney verwies auf seinen Vortrag von 1874 und die Artikel, die er 1881 und 1883 veröffentlicht hatte. (G. J. Stoney, »On the ›Electron‹ or Atom of Electricity«, in: Phil. Mag. (Ser. 5) 38 (1894), S. 418–420, siehe auch http: //dbhs.wvusd.k12.ca.us/Chem-History/Stoney-1894.html.) Zu den Mitgliedern zählten auch James Maxwell und William Thomson, der spätere Lord Kelvin; siehe dazu J. G. O’Hara, »George Johnstone Stoney, F. R. S., and the Concept of the Electron«, in: Not. Rec. Roy. Soc. 29 (1974–75), S. 265–276. Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie dehnt die Newtonsche Theorie auf Bereiche aus, in denen die Schwerkraft außerordentlich groß ist und Bewegungen mit einer Geschwindigkeit nahe der Lichtgeschwindigkeit stattfinden. Die entscheidende Konstante in Einsteins Theorie ist die Größe G/c4, was die universelle Stellung der Gravitationskonstante unterstreicht und den relativistischen Aspekt betont. In den frühen 1960er Jahren wurde von den Astronomen eine Zeit lang die Idee verfolgt, dass G möglicherweise immer kleiner wird. Der Grund für
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diese Vermutung war, dass die Prognosen der Allgemeinen Relativitätstheorie über den Einfluss der Schwerkraft der Sonne auf das Licht im Gegensatz zu den Beobachtungen zu stehen schienen. Die amerikanischen Physiker Carl Brans und Robert Dicke verallgemeinerten daraufhin die Einsteinsche Theorie, wonach nun G in Raum und Zeit variieren konnte. Diese Theorie hat immer noch große Bedeutung, weil man mit ihr vorausberechnen kann, wie sich Änderungen von G auswirken würden, und weil man die Ergebnisse mit den Beobachtungen vergleichen kann. Im Laufe von nur zehn Jahren wurden allerdings die Gründe, die Brans und Dicke zu ihrem Ansatz verleitet hatten, hinfällig: Es zeigte sich, dass die Diskrepanz zwischen der Einsteinschen Theorie und den Beobachtungen durch Ungenauigkeiten bei der Bestimmung des Sonnendurchmessers verursacht worden war, die sich den turbulenten Bewegungen auf der Sonnenoberfläche verdankten. Wenn man diesen Effekt in die Rechnungen einbezieht, stimmen Theorie und Beobachtung äußerst genau überein. Die Permeabilität oder magnetische Feldkonstante µ0 verknüpft die magnetische Induktion mit der magnetischen Feldstärke. Analog dazu verknüpft die Permittivität oder elektrische Feldkonstante ε0 die elektrische Flussdichte mit der elektrischen Feldstärke. Sie wird auch Dielektrizitätskonstante genannt. Es gilt ε0µ0 = 1/c2. (Anm. d. Übers.) Stoney wählte das Symbol V1; hier wie auch im Folgenden werden der Übersichtlichkeit halber aber immer die heute üblichen Symbole eingesetzt: c für die Lichtgeschwindigkeit, e für die Elementarladung, α für die Feinstrukturkonstante, k für die Boltzmann-Konstante, h für das Plancksche Wirkungsquantum und G für die Gravitationskonstante. Das Symbol g oder G für die Gravitationskonstante wurde vermutlich von A. König und F. Richarz in ihrer Arbeit »Eine neue Methode zur Bestimmung der Gravitationsconstante«, in: Ann. Phys. Chem. (N. F.) 24 (1885), S. 664–668, zum ersten Mal verwendet. (Anm. d. Übers.) G. J. Stoney, »On the Physical Units of Nature«, in: Sci. Proc. Roy. Dublin Soc. 3 (1883), S. 51–60 (Hervorhebungen durch Stoney). Stoney hatte auch versucht, die Ladung des Elektrons zu bestimmen. Er dividierte dazu die Elektrizitätsmenge, die zur Elektrolyse von 1 cm3 Wasserstoff benötigt wird, durch die Zahl der Wasserstoffatome in diesem Volumen, die durch die Avogadrosche Zahl gegeben ist. Stoneys Arbeit wurde vor der Einführung der modernen CGS-Einheiten für elektrische Messgrößen verfasst. Mit Ampère wird heute die Stromstärke und nicht die elektrische Ladung (= Stromstärke x Zeit) gemessen. Nach Stoney gilt e = 3 x 10–11 CGS-Einheiten, heute wird der Wert der Elementarladung mit 4,803 x 10-10 CGS-Einheiten angegeben.
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39 Planck, Epilogue, S. 217. Der Epilog, ein fiktives Gespräch zwischen Einstein, Planck und dem Übersetzer und Herausgeber James Murphy, ist in den deutschen Ausgaben von Where is Science Going? nicht enthalten. 40 Siehe dazu seine Aufsätze »Wissenschaft und Glaube« und »Religion und Naturwissenschaft« (der Aufsatz endet mit dem Aufruf »Hin zu Gott!«), sowie »Mystery of Our Being« (insb. S. 153). 41 Die von Planck vertretene Loslösung der wissenschaftlichen Beschreibung von den menschlichen Konventionen war nicht unumstritten. Andere Physiker wie Pierre Duhem und Percy Bridgman hielten das für prinzipiell unerreichbar. Sie sahen die Naturkonstanten und die Theorien, deren Grundlage sie bilden, ganz und gar als vom Menschen verfertigte Kunstprodukte, die dazu dienen, die Welt überzeugend zu erklären. 42 Rosenthal-Schneider, Reality and Scientific Truth, Titelbild; in der deutschen Ausgabe ist dieses Bild nicht enthalten. 43 Mit Eddington werden wir uns insbesondere in Kapitel 5 ausführlich befassen. 44 Max Planck an Ilse Rosenthal-Schneider am 30. März 1947, zitiert in: Rosenthal-Schneider, Begegnungen, S. 41. 45 Planck, Vorlesungen, S. 167f. (§ 164. Natürliche Maßeinheiten). In Ergänzung zu dieser Sammlung von Vorlesungen, die Planck 1906/7 in Berlin gehalten hat, siehe auch »Über irreversible Strahlungsvorgänge«, in: Ann. Phys. 1 (1900), S. 69–122. 46 Wirkung = Energie x Zeit. Für das Plancksche Wirkungsquantum gilt h = 6,6261 x 10-34 Js. 47 Planck, Vorlesungen, S. 168f. Die oben angegebenen Werte der natürlichen Einheiten sind aus dieser Quelle übernommen. Heute werden sie meist mit ħ anstelle von h angegeben, was an der Größenordnung nichts ändert. Der Grund für die Ähnlichkeit der natürlichen Massen-, Längen- und Zeiteinheiten bei Stoney und Planck liegt in der Tatsache verborgen, dass die Größe e2/hc eine dimensionslose Naturkonstante darstellt, die ungefähr 1/860 beträgt, wenn man die bekannten Werte von e, h und c einsetzt. Ersetzt man in Stoneys Einheiten e2 durch hc, erhält man die Planckschen Einheiten bis auf einen Faktor √860 ≈ 29,3. Man könnte auf diese Weise auch eine Stoneysche Temperatureinheit konstruieren. 48 Planck, Über irreversible Strahlungsvorgänge, a.a.O., S. 122. 49 Ebd. 50 P. Drude, »Über Fernewirkung«, in: Ann. Phys. (3. F.) 62, Beilage (1897), S. I–XLIX, hier: S. XLIX. Drude hat seine Erkenntnisse in seinem Lehrbuch der Optik breiter ausgeführt. 51 Einige Jahre später gab Drude einen Satz von Grundgrößen an, der dem Plancks glich und c, G und zwei Strahlungskonstanten umfasste,
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mit denen die Schwarzkörperstrahlung definiert wurde. Diese beiden Konstanten können auf die Boltzmann-Konstante k und das Plancksche Wirkungsquantum h zurückgeführt werden. »Ein solches absolutes Maßsystem wird durch die Festsetzung gewonnen, dass die Gravitationskonstante, die Lichtgeschwindigkeit im Äther, und die beiden Konstanten h und k des Strahlungsgesetzes den Wert 1 erhalten sollen.« In einer Anmerkung gibt Drude noch einen Hinweis: »Die numerischen Werte dieser absoluten Einheiten sind bei Planck, Vorlesungen über die Theorie der Wärmestrahlung, zu finden«. (Drude, Lehrbuch der Optik, S. 519.) Laut Charles Fockens Buch Dimensional Methods and their Applications hat Eddington vermutet, die Planck-Länge müsse der Schlüssel zu einer grundlegenden Struktur sein, da sie so viel kleiner als die Radien von Proton und Elektron ist. Focken weist die Quelle der Äußerung Eddingtons nicht nach, bezieht sich aber vielleicht auf dessen Report on the Relativity of Gravitation von 1918, einen Bericht über die Allgemeine Relativitätstheorie, den Eddington für die Physical Society in London verfasst hat. Auf der letzten Seite dieses Berichts, aus dem später Eddingtons Buch The Mathematical Theory of Relativity hervorging, leitete er Plancks natürliche Längeneinheit ab. In dem Bericht steht der bemerkenswerte Hinweis, dass »es andere natürliche Längeneinheiten gibt – die Radien der negativen und positiven Elementarladungen –, dass diese aber weit größer sind. … Es gibt keine Theorie, die eine derartige Feinauflösung erreicht, aber es ist evident, dass diese [Plancksche] Länge den Schlüssel zu einer grundlegenden Struktur darstellt. Es mag keine vergebliche Hoffnung sein, dass man eines Tages klarere Erkenntnisse über den Prozess der Schwerkraft erlangen wird und das außerordentlich Umfassende … der Relativitätstheorie beleuchtet werden kann.« Percy Bridgman hat in seinem Buch Dimensional Analysis darauf hingewiesen, dass der selbst für die Astrophysik extrem hohe Wert der PlanckTemperatur andeutet, dass sie mit einer neuen und fundamentalen Ebene der kosmischen Struktur zusammenhängen könnte. Planck, Sinn und Grenzen der exakten Wissenschaft, S. 377. Planck, Religion und Naturwissenschaft, S. 326f. Vortrag Michelsons an der University of Chicago, siehe dazu die Leserbriefe von C. Weiner und R. C. Wyckoff unter dem Titel »Who Said it First?«, in: Physics Today 21 (August 1968), S. 9, sowie Michelsons Buch Lightwaves and their Uses.
Kapitel 3 1 Doyle, Bruce-Partington-Pläne, S. 113. Die Geschichte wurde zuerst im Dezember 1908 im Strand Magazine veröffentlicht.
Anmerkungen
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2 Die Ergänzung »im Vakuum« ist sehr wichtig. In einem Raum, der mit Materie gefüllt ist, bewegt sich das Licht langsamer fort, und es kann durchaus sein, dass es dort Bewegungen mit größerer Geschwindigkeit als der des Lichts gibt. In diesem Fall kommt es zur Cerenkov-Strahlung, einem Effekt, der dem Knall gleicht, wenn die Schallmauer durchbrochen wird. Diese Strahlung ist nach dem sowjetischen Physiker Pawel A. Cerenkov benannt, der sie 1934 entdeckte. Sie ist von großem Nutzen, wenn man schnelle Teilchen der kosmischen Strahlung nachweisen will. Der Weltraum stellt für alle praktischen Zwecke ein Vakuum dar. Wenn nun die Teilchen, die sich im Weltraum mit nahezu Lichtgeschwindigkeit fortbewegen, in einen irdischen Wassertank eindringen, bewegen sie sich dort schneller als das Licht und lösen Cerenkov-Effekte aus, die man leicht registrieren kann. 3 Albert Einstein an Ilse Rosenthal-Schneider am 11. Mai 1945, zitiert in: Rosenthal-Schneider, Begegnungen, S. 24. 4 Siehe dazu mein Buch Theorien für Alles. 5 Einstein wollte mit seiner einheitlichen Feldtheorie die Schwerkraft und den Elektromagnetismus vereinigen. Er schien weder Interesse an der ›schwachen‹ atomaren Kraft zu haben, die bei der Radioaktivität eine Rolle spielt, noch an der ›starken‹ Kraft im Inneren der Atomkerne. Man könnte sagen, dass in Einsteins Programm zur Vereinheitlichung nur die Hälfte der Puzzlesteine eine Rolle spielte. 1980 sprach ich darüber in Berkeley mit dem Mathematiker und Physiker Abraham Taub, der in Princeton eng mit John von Neumann zusammenarbeitete und auch Kontakt zu Einstein hatte. Er sagte mir, dass er eines Tages Zeuge war, wie man Einstein diesen Einwand vorbrachte. Einstein habe darauf geantwortet, man würde irgendwann erkennen, dass die schwache und die starke Kraft nur Erscheinungsformen der elektromagnetischen Kraft sind. Das war ein weitblickender Kommentar, denn heute glauben wir, dass die schwache und die elektromagnetische Kraft im Rahmen der gut belegten Glashow-Weinberg-Salam-Theorie vereinigt werden können. Es gibt auch bereits Theorien, in denen die starke Kraft mit einbezogen ist; sie sind aber noch nicht hinreichend durch Beobachtungen bestätigt. 6 Einstein maß gern die Qualität von Theorien an der ›Stärke‹ ihrer Gleichungen. (Siehe dazu sein Buch Grundzüge der Relativitätstheorie, insb. S. 132ff.) Mit dieser ›Stärke‹ ist die Zahl der frei und unabhängig voneinander wählbaren Größen in einer Gleichung gemeint. Einstein legte diesen Maßstab für die Tauglichkeit einer Theorie auch an die Zahl der notwendigen Naturkonstanten an. 7 Rosenthal-Schneider, Begegnungen, S. 23ff. 8 Albert Einstein an Ilse Rosenthal-Schneider am 11. Mai 1945, zitiert a.a.O., S. 24. Mit e ist hier die Eulersche Zahl gemeint.
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9 Ilse Rosenthal-Schneider an Albert Einstein am 26. August 1945, zitiert in: Rosenthal-Schneider, Begegnungen, S. 25. 10 Albert Einstein an Ilse Rosenthal-Schneider am 13. Oktober 1945, zitiert a.a.O., S. 26. 11 Wenn wir beispielsweise den Umfang eines Kreises mit Radius r berechnen, erhalten wir 2π r. Der Faktor 2π ist eine dieser allgegenwärtigen ›rationellen Zahlen‹, wie sie Einstein nannte. 12 Ebd. 13 Ebd. 14 Wählt man stattdessen e, h und c, so kann man daraus, wie wir gesehen haben, die dimensionslose Zahl e2/hc bilden. Diese Eigenschaft wurde von Douglas Hartree ausgenützt, der aus e, h, c und der Masse des Elektrons me ein Einheitensystem für die Atomphysik definierte. 15 Sie ist gleich dem Massenverhältnis (mpr/mPl)2 ≈ (1,7 x 10–24 g / 5,6 x 10–5 g)2 ≈ 10–39, wobei mPl die fundamentale Planck-Masse ist. 16 Einstein wies darauf hin, dass »es bisher überhaupt keine konsistente theoretische Grundlage für die gesamte Physik und erst recht keine [gibt], die so einer radikalen Forderung genügte«, dass man also das vorgestellte Verfahren noch nicht auf die gesamte Physik anwenden konnte. (Albert Einstein an Ilse Rosenthal-Schneider am 13. Oktober 1945, zitiert a.a.O., S. 27.) 17 An dieser Stelle verweist Ilse Rosenthal-Schneider in einer Fußnote auf die erste Formulierung eines Zusammenhangs zwischen Geometrie und Physik in Kants Gedanken von der wahren Schätzung der lebendigen Kräfte von 1747, wonach die »Dimension der Ausdehnung« von den Gesetzen herrührt, »nach welchen die Substanzen vermöge ihrer wesentlichen Kräfte sich zu vereinigen suchen«, also die drei Raumdimensionen mit den Gravitationskräften verknüpft sind. (Kant, a.a.O., S. 34 (§ 10); Anm. d. Übers.) 18 Albert Einstein an Ilse Rosenthal-Schneider am 13. Oktober 1945, zitiert in: Rosenthal-Schneider: Begegnungen, S. 26. 19 Rosenthal-Schneider, Voraussetzungen und Erwartungen. 20 Albert Einstein an Ilse Rosenthal-Schneider am 23. April 1949, zitiert in: Rosenthal-Schneider, Begegnungen, S. 29. 21 Albert Einstein an Ilse Rosenthal-Schneider am 24. März 1950, zitiert a.a.O., S. 31. 22 G. Gamow, »Any Physics Tomorrow?«, in: Physics Today 2 (Januar 1949), S. 16–21. 23 Wenn das Alter des Universums t beträgt, ist mit der Lichtgeschwindigkeit c die Größe des sichtbaren Universums ct. 24 J. D. Bekenstein, »The Limits of Information«, in: Stud. Hist. Phil. Mod. Phys., 32 (2001), S. 511–524, siehe auch arXiv, gr-qc/0 009 019v2 (17. Juni 2001).
Anmerkungen
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25 Die Masse eines Atoms beträgt etwa 10–24 g, sein Volumen etwa 10–24 cm3. Die daraus berechnete Dichte von 1 g/cm3 ist auch die Dichte des Wassers. Die Dichten aller Flüssigkeiten und Festkörper sind von der gleichen Größenordnung. 26 Nach einem Diagramm in B. J. Carr u. M. J. Rees, »The Anthropic Principle and the Structure of the Physical World«, in: Nature 278 (1979), S. 605–612, hier: S. 606. 27 Norman Packard, zitiert in: Bass, Predictors, S. 172. 28 Newton wurde schon von Philosophen wie Bischof George Berkeley für seine Vorstellung kritisiert. Er erkannte, dass hier eine Schwäche seiner Theorie lag, hielt sie aber trotzdem für nützlich, da ihre Gesetze die ›lokalen‹ Bewegungen äußerst genau zu beschreiben erlaubten. Die Vorstellung eines ruhenden Hintergrunds ist eine Idealisierung, denn auch die fernsten Sterne tragen den Namen ›Fixsterne‹ zu unrecht: Sie ruhen relativ zu uns keineswegs, ihre Bewegungen erscheinen nur – von uns aus gesehen – äußerst langsam. Eine der Annahmen, mit der die Einsteinsche Theorie über die Newtonsche hinausging, war der Abschied von diesem imaginären Hintergrund eines ›absoluten Raumes‹. 29 Eine Rotationsbewegung ist immer eine beschleunigte Bewegung, selbst wenn der Betrag der Rotationsgeschwindigkeit konstant ist, da ständig die Richtung der Bewegung geändert werden muss, um die Bahn einzuhalten. Der Vektor der Geschwindigkeit, der durch Betrag und Richtung bestimmt wird, ändert sich – und jede Änderung der Geschwindigkeit bedeutet Beschleunigung.
Kapitel 4 1 R. P. Crease, »Do Physics and Politics Mix?«, in: Physics World (Februar 2001), S. 17. 2 Siehe dazu mein Buch Die Natur der Natur. 3 Srinivasa Ramanujan, zitiert in: Pickover, Mathematik und das Göttliche, S. 32. 4 Quadrivium: Teilbereich der Artes liberales mit den Disziplinen Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik. Die Vierzahl wurde weitgehend von anderen Glückszahlen wie der 3 und der 7 abgelöst, hat sich aber noch im vierblättrigen Kleeblatt, der Vierzahl der Jahreszeiten, Himmelsrichtungen und Evangelisten sowie der Vierfruchtmarmelade erhalten. (Anm. d. Übers.) 5 Wir erwarten nicht, dass alle nach den Naturgesetzen möglichen ›Zustände‹ des Universums auch durchlaufen werden. Unsere reale Welt ist daher nur ein Exemplar aus der Vielzahl möglicher Welten. Es bleibt eine interessante Frage, was gegen eine Welt einzuwenden wäre, deren Gesetze
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in sich nicht widerspruchsfrei sind, in der sich diese Widersprüche aber nicht realisieren. Die Lichtgeschwindigkeit wurde zum ersten Mal 1675/76 auf brillante Weise von dem dänischen Astronomen Olaf Römer bestimmt. Ihm war aufgefallen, dass sich die Verfinsterungen des Jupitermonds Io im Schatten des Planeten verzögern, wenn sich die Erde auf ihrer Umlaufbahn um die Sonne vom Jupiter weiter entfernt, und früher eintreten, wenn sie ihm näher kommt. Aus zahlreichen Beobachtungen errechnete er eine Differenz von knapp 1000 s. Römer ging nun davon aus, dass die Lichtgeschwindigkeit konstant ist und das Licht folglich diese 1000 s benötigt, um den Durchmesser der Erdumlaufbahn zu durchlaufen, der auch damals schon recht genau bestimmt war. Römer gelang mit 214 000 km/s eine beachtlich gute Abschätzung der Lichtgeschwindigkeit. Gamow nimmt sich hier natürlich einige künstlerische Freiheiten heraus. Wie wir schon im letzten Kapitel angemerkt haben, ändert die Variation einer dimensionsbehafteten Naturkonstante – beispielsweise der Lichtgeschwindigkeit – unsere Wahrnehmung der Natur nicht, solange die anderen Konstanten in einer Weise mitvariiert werden, bei der die dimensionslosen Konstanten unverändert bleiben. Gamow, Mr. Tompkins’ seltsame Reise, S. 3. Für die Stabilität der Materie ist h ≠ 0 äußerst wichtig. Kann sich die Energie eines Atoms in beliebig kleinen Schritten ändern, unterscheiden sich binnen kurzer Zeit infolge der Stöße anderer Atome und der Strahlung alle Atome voneinander und nehmen ständig neue Energieniveaus ein. Der derzeitige Wert der Konstante h ist groß genug, damit alle Atome einen gewissen ›Kick‹ brauchen, bevor sie die nächste Sprosse erklimmen können. Ed Fomalont und Sergei Kopeikin konnten mit Messungen von QuasarStrahlung im Gravitationsfeld des Jupiter im September 2002 nachweisen, dass sich die Gravitation nicht schneller als das Licht ausbreitet. Sie erhielten als Ausbreitungsgeschwindigkeit (0,95 ± 0,25) c. (Anm. d. Übers.) Nach L. B. Okun hat der sowjetische Physiker Matveí Bronstein als Erster Ende der 1930er Jahre eine derartige Darstellung eingeführt. Bronstein wurde 1938 im Alter von nur 32 Jahren Opfer der Stalinschen ›Säuberungen‹. (Siehe dazu die Biografie Bronsteins von Gennadij Gorelik.) Nach David Singmaster, zitiert in: Stueben u. Sandford, Twenty Years, S. 95. Das Gespräch ist fiktiv. Einstein und Poincaré sind sich vermutlich nur einmal 1911 auf einem Kongress begegnet und hatten sich nicht viel zu sagen. Einstein äußerte sich enttäuscht über diese Begegnung: »Poincaré war (gegen die Relativitätstheorie) einfach allgemein ablehnend, zeigte bei allem Scharfsinn wenig Verständnis für die Situation.« (Pais, Raffiniert ist der Herrgott, S. 170; Anm. d. Übers.)
Anmerkungen
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13 Man weiß heute noch nicht, was nach dieser Explosion übrig bleibt. Die Theorien reichen vom absoluten Nichts über ein Loch im Raum und ein Wurmloch in ein neues Universum bis zu einer stabilen Masse. 14 Während man bei den genannten Konstanten heute 8–10 Stellen sicher angeben kann, sind es bei G bestenfalls 5. (Anm. d. Übers.) 15 Wir wissen beispielsweise nicht einmal, ob die Feinstrukturkonstante eine rationale oder irrationale Zahl ist. 16 Butler, Number Symbolism. 17 2:1 entspricht der Oktave, 3:2 der Quinte und 4:3 der Quarte. 18 Mit ein wenig statistischem Geschick kann man Beispiele für die Sphärenharmonie finden. So liegt in sechs von acht Fällen das Verhältnis der Aphelgeschwindigkeiten benachbarter Planeten (also etwa Merkur/ Venus) nahe den musikalischen Harmonien. (Anm. d. Übers.) 19 Kommentar der Schriften des Aristoteles von Alexandros Aphrodisiensis in seiner Metaphysica (38, 10), zitiert nach: Guthrie, History of Greek Philosophy, Bd. 1, S. 303f. 20 Primzahlen wie 7 und 23 sind durch keine andere Zahl teilbar – 1 und sich selbst ausgenommen. Euklid ist es gelungen, auf wunderschöne Art zu beweisen, dass es unendlich viele von ihnen gibt: Nehmen wir an, ihre Zahl ist endlich. Wenn man nun alle Primzahlen miteinander multipliziert und 1 addiert erhält man wieder eine Primzahl, denn bei jeder Division durch die Faktoren bleibt 1 als Rest. Daraus folgt, dass die neue Zahl entweder eine Primzahl ist oder durch eine Primzahl dividiert werden kann, die größer ist als die größte der ursprünglichen Liste. Eine solche Primzahl kann es aber nicht geben, denn wir hatten ja angenommen, dass unsere Liste vollständig ist. Damit ist bewiesen, dass es unendlich viele Primzahlen gibt. 21 Perfekte Zahlen kann man mit ausgewählten n als 2n-1 (2n – 1) darstellen: Mit n = 3 erhält man beispielsweise 22 (23 – 1) = 28. Der große Schweizer Mathematiker Leonhard Euler konnte zeigen, dass alle geraden perfekten Zahlen diese Form haben, wobei 2n – 1 eine Primzahl sein muss. Man weiß nicht, ob es auch ungerade perfekte Zahlen gibt. 22 Laut Iamblichos war für Pythagoras ein Freund »einer, der ein anderes Ich ist, wie 220 und 284«. 23 Inzwischen hat man mehr als tausend dieser Zahlenpaare gefunden. Die nächstgrößeren sind 1 184 und 1 210, 2 620 und 2 924, 5 020 und 5 564, 6 232 und 6 368 sowie 10 744 und 10 856. 24 1. Mose 32,14: »Und er blieb die Nacht da und nahm von dem, was er erworben hatte, ein Geschenk für seinen Bruder Esau: zweihundert Ziegen, zwanzig Böcke, zweihundert Schafe, zwanzig Böcke …«. Auf der Geschenkliste stehen dann allerdings noch 30 Kamele, 40 Kühe, 10 Stiere und 30 Esel. (Anm. d. Übers.)
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25 Trachtenberg, Jewish Magic, zitiert in: Pickover, Mathematik und das Göttliche, S. 115. Kumin ist Kreuzkümmel. 26 Theon von Smyrna über die Tetraktys und den Tod, zitiert in: Butler, Number Symbolism, S. 9. 27 Good, Quantal Hypothesis for Hadrons. 28 Der Aprilscherz stand in M. Gardners Kolumne »Mathematical Games« unter dem Titel »Six Sensational Discoveries that Somehow or Another Have Escaped Public Attention«, in: Sci. American (April 1975), S. 126–133. Er wurde dann in der Juliausgabe aufgedeckt: »On Tessellating the Plane with Convex Polygon Tiles«, in: Sci. American (Juli 1975), S. 112–117. Es kann bewiesen werden, dass man eine rationale Zahl erhalten kann, wenn man eine irrationale Zahl mit einer irrationalen Zahl potenziert: Nehmen wir an, wir potenzieren die irrationale Zahl √2 mit √2. Das Ergebnis (√2)√2 kann nun entweder rational oder irrational sein. Ist es rational, ist schon bewiesen, was wir beweisen wollen, daher nehmen wir nun an, dass es irrational ist. Potenziert man es wieder mit √2, so hat man nun (√2)√2 x √2 = (√2)2 = 2. Damit hat man die als irrational angenommene Zahl (√2)√2 mit einer irrationalen Zahl potenziert und ein rationales Ergebnis erhalten, womit der Beweis geführt ist. 29 Die King-James-Bibel war das Ergebnis der Hampton Court Conference von 1604, die von König Jakob I. einberufen wurde, um die verschiedenen ›High Church‹- und ›Low Church‹-Fraktionen wieder zusammenzubringen. Die Authorized Version (die im Übrigen nicht wirklich in offizieller Weise ›autorisiert‹ wurde), die aus diesen Bemühungen hervorging, erschien 1611. Sie beruht vorwiegend auf den Übersetzungen von William Tyndale aus den Jahren 1525–1534 und wurde durch Beiträge von John Wycliffe (oder Wyclif) vom Ende des 14. Jahrhunderts ergänzt. Shakespeare lebte von 1564 bis 1616. (Anm. d. Übers.) 30 Psalm 46: »Gott ist unsere Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen haben …« 31 Der Anfang des Psalms – ohne die einleitenden Worte »Ein Lied der Söhne Korah, vorzusingen, nach der Weise der ›Jungfrauen‹« – lautet in der Fassung der Authorized Version: »God is our refuge and strength, A very present help in trouble. Therefore will not we fear, though the earth be removed, And though the mountains be carried into the midst of the sea; Though the waters thereof roar and be troubled, Though the mountains SHAKE with the swelling thereof«. Der Schluss lautet: »He breaketh the bow, and cutteth the SPEAR in sunder; He burneth the chariot in the fire.
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›Be still, and know that I am God: I will be exalted among the heathen, I will be exalted in the earth.‹ The Lord of hosts is with us; The God of Jacob is our refuge.« Zum Vergleich: Der Wert von 1/α wird derzeit mit 137,0359998 … angegeben. G. N. Lewis u. E. Q. Adams, »A Theory of Ultimate Rational Units. Numerical Relations between Elementary Charge, Wirkungsquantum, Constant of Stefan’s Law«, in: Phys. Rev. 3 (1914), S. 92–102. A. S. Eddington, »The Charge of an Electron«, in: Proc. Roy. Soc. A 122 (1929), S. 358–369. Eddington glaubte seinerzeit, 1/α sei eine ganze Zahl. Wenn man die Ungenauigkeit der damaligen Messungen berücksichtigt, war eine solche Annahme nicht von vornherein von der Hand zu weisen. A. M. Wyler, »L’espace symétrique du groupe des équations de Maxwell«, in: C. Rend. Acad. Sci. A 269 (1969), S. 743–745, und ders., »Les groupes des potentiels de Coulomb et de Yukawa«, in: C. Rend. Acad. Sci. A 271 (1971), S. 186–188. H. Aspden u. D. M. Eagles, »Aether Theory and the Fine Structure Constant«, in: Phys. Lett. A 41 (1972), S. 423–424. Werner Heisenberg an Paul Dirac am 27. März 1935. Mit 137,5098708 liegt er allerdings nicht gut im Rennen. (Mein Dank gilt Helmut Rechenberg, Max-Planck-Institut für Physik, München, für eine Kopie des Originalbriefs; Anm. d. Übers.) B. Robertson, »Wyler’s Expression for the Fine-Structure Constant Alpha«, in: Phys. Rev. Lett. 27 (1971), S. 1 545–1 547. T. J. Burger, »Calculating the Fine Structure Constant«, in: Nature 271 (1978), S. 402. Pickover, Mathematik und das Göttliche, S. 302.
Kapitel 5 1 Shakespeare, Sommernachtstraum, S. 53 (4. Akt, 1. Szene). Arthur Eddington zitiert diese Stelle in seinem Buch Dehnt sich das Weltall aus? »Zettels Traum« begegnet uns wieder als Zettel’s Traum bei Arno Schmidt, der im Übrigen in seinen Werken eine Vielzahl kosmologischer Vorstellungen verwertete. (Anm. d. Übers.) 2 Siehe die Biografien von Allie Douglas, Clive Kilmister und Subrahamanyan Chandrasekhar. 3 Foto: Eddingtons Schwester; Douglas, Eddington, Tafel II. 4 Carroll, Alice im Wunderland, S. 57–61. 5 W. H. Williams, »The Einstein and the Eddington«, in: Whitrow, Records of
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R. A. S. Club, S. XXIV–XXVII; das vollständige Gedicht ist auch unter http: //www.xs4all.nl/~jcdverha/scijokes/2_1.html zu finden. ›Bunker‹ wird auf dem Golfplatz die Sandgrube (mit dem Loch) genannt. Eines der Bücher Eddingtons hat den Titel The Philosophy of Physical Science. Man spricht auch vom Wärmetod. Angesichts der Eiseskälte, die dann in dem ausgestorbenen Universum herrschen wird, ist aber der Begriff Kältetod angemessener. (Anm. d. Übers.) Sayers, Zur fraglichen Stunde, S. 274f. Have His Carcase ist Cockney-Slang für die ›Habeas Corpus‹-Akte (lat., wörtlich: Du habest den Körper), die 1679 das englische Parlament erlassen hatte und die besagt, dass kein Verdächtiger ohne gerichtliche Prüfung der vorliegenden Indizien und Beweise verhaftet werden darf. Eddingtons Nachfolger, R. O. Redman, schrieb, dass »Eddington Menschenmengen liebte. Eine Zeit lang ging er an jedem Samstag während der Saison zu einem Fußballspiel, wo er in der Masse der Fans aus der Arbeiterklasse saß – während normalerweise die Cambridger Universitätsdozenten dem Rugby huldigten«. (Zitiert in: Douglas, Eddington, S. 122.) Die beiden Lehrstühle sind private Stiftungen: 1704 von Thomas Plume, 1663 von Henry Lucas. (Anm. d. Übers.) Das unvollendete Werk wurde nach Eddingtons Tod von seinem Freund E. T. Whittacker herausgegeben, der auch den Titel Fundamental Theory wählte. Zur Erläuterung der Theorie siehe die Bücher von Noel Slater (Rezension von A. H. Taub, in: Math. Rev. 11 (1950), S. 144) sowie von Clive Kilmister und Brian Tupper. Eddington, Philosophie der Naturwissenschaft, S. 78. Arthur Eddington 1920 in einer Rede vor der British Association, in: Observatory 43 (1920), S. 357f. Eddington, Relativitätstheorie, S. 227. Ebd. Sie ist natürlich nicht mit der oben erwähnten Eddington-Zahl E zu verwechseln, die sein Fahrradleben kennzeichnete. Die jetzt zur Diskussion stehende astrophysikalische Eddington-Zahl NEdd bezieht sich auf das Universum, und zwar auf den Teil, der für uns sichtbar ist und dessen Grenze durch die Lichtgeschwindigkeit bestimmt wird. Diese Grenze ist gerade so weit entfernt, dass das Licht von dort in den mehr als 13 Milliarden Jahren seit der Entstehung und Expansion des Universums bis zu uns gelangen konnte. Ob die Anzahl der Protonen im gesamten Universum unendlich oder endlich ist, hängt von der Geometrie des Raums ab. Eddington, Naturwissenschaft auf neuen Bahnen, S. 241. A.a.O., S. 220. A.a.O., S. 220f.
Anmerkungen
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20 A.a.O., S. 222. 21 Wenn sich auch Eddington sehr mit den Riesenzahlen der Größenordnung 1040 und Potenzen davon beschäftigte, war er doch nicht der Erste, der ihr Auftreten im Zusammenhang mit Naturkonstanten entdeckte. Herman Weyl stellte schon 1919 fest: »Es ist eine Tatsache, dass am Elektron reine Zahlen auftreten, deren Größenordnung gänzlich von 1 verschieden ist; so das Verhältnis des Elektronenradius zum Gravitationsradius seiner Masse, welches von der Größenordnung 1040 ist; das Verhältnis des Elektronen- zum Weltradius mag von ähnlicher Größenordnung sein.« (H. Weyl, »Eine neue Erweiterung der Relativitätstheorie«, in: Ann. Phys. 59 (1919), S. 101–133, hier: S. 129.) Später schrieb Weyl: »Die Gravitationsanziehung zweier Elektronen ist 1040-mal so schwach wie ihre elektrische Abstoßung. … Diese reine Zahl 1040, die am Elektron auftritt, ist für unsere Naturerkenntnis eine harte Nuss. … Und wirklich zeigt sich, wenn unsere Ausdeutung der Hubbleschen Beobachtungen das Richtige trifft, dass das Radienverhältnis 1040 am Elektron wiederkehrt als das Verhältnis zwischen dem Weltradius (1027 cm) und dem Elektronenradius (10–13 cm); demnach ist die reine Zahl 1040 im wesentlichen = √N, nämlich gleich der Quadratwurzel aus der Zahl N der vorhandenen Teilchen.« (H. Weyl, »Universum und Atom«, in: Naturwiss. 22 (1934) S. 145–149, hier: S. 147f.) 22 Eddington, Philosophie der Naturwissenschaft, S. 87. 23 Eddington, Naturwissenschaft auf neuen Bahnen, S. 234. 24 A.a.O., S. 238. Eddington erklärte es an anderer Stelle so: »Es erscheint wahrscheinlich, dass elektrische Ladungen, die in einem perfekten Gitter sitzen, 1/137 ihrer Masse verlieren. Da der Atomkern annähernd starr ist, sollte diese Größe ein angenähertes Maß für den Packungsanteil sein.« (A. Eddington, »The Interaction of Electric Charges«, in: Proc. Roy. Soc. A 126 (1930), S. 696–728.) 25 Vladimir Fock, zitiert in: Gamow, Biographie der Physik, S. 378. Fock war ein einflussreicher sowjetischer Physiker, der sich darum bemühte, Einstein und sein Werk in der Stalinära politisch durchzusetzen. Im Vorwort zur deutschen Ausgabe seines zuerst 1955 in Moskau erschienen Buches betonte er, dass die Theorie in keiner Weise gegen die absoluten Wahrheiten des dialektischen Materialismus gerichtet sei: »Nicht zuletzt soll aber das Buch die Unzulässigkeit der sich in der Literatur eingebürgerten Auffassung der Gravitationstheorie als einer Art ›allgemeiner Relativität‹ zeigen; diese Auffassung soll durch eine konsequentere ersetzt werden, welche … die Begriffe ›Relativität‹ und ›Kovarianz‹ streng unterscheidet. Wie auch der Titel zeigt, wird in unserem Buch nicht das Relative, sondern das Absolute betont.« (Fock, Raum, Zeit und Gravitation, S. VI).
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26 G. Beck, H. Bethe u. W. Riezler, »Bemerkung zur Quantentheorie der Nullpunktstemperatur«, in: Naturwiss. 19 (1931), S. 39. Man muss hier anmerken, dass es damals durchaus ernst zu nehmende Vermutungen gab, die Feinstrukturkonstante könne mit der Definition von ›Temperatur‹ zusammenhängen. Dirac war an dieser Möglichkeit interessiert, und auch Heisenberg zog diese Annahme in Betracht. In einem Brief an Dirac drückte er einige Jahre später seine Enttäuschung aus: »Ich glaube gar nicht mehr an Ihre Vermutung, dass die Sommerfeldsche Feinstrukturkonstante etwas mit dem Temperaturbegriff zu tun hätte … Vielmehr bin ich fest davon überzeugt, dass man schon in der Löchertheorie e2/ħc bestimmen muss, bevor die Theorie vernünftig formuliert werden kann.« (Werner Heisenberg an Paul Dirac am 27. März 1935. Mein Dank gilt Helmut Rechenberg, Max-Planck-Institut für Physik, München, für eine Kopie des Originalbriefs; Anm. d. Übers.) 27 Es war Arnold Sommerfeld, der die Feinstrukturkonstante eingeführt und sie mit dem Symbol α bezeichnet hatte. 28 »Berichtigung« des Herausgebers, in: Naturwiss. 19 (1931), S. 233. 29 A. K. Das, »Origin of Cosmic Penetrating Radiation«, in: Naturwiss. 19 (1931), S. 305–306. 30 Born, Experiment und Theorie, S. 32f. u. Fußnote S. 33; vergleiche Offenb. 13,11 u. 18 sowie 13,5, wo von 42 Monaten die Rede ist. Born schrieb zu seinen Äußerungen: »Was nun meinen Aufsatz anti Eddington und Milne betrifft, so ist er im Stile britischer Höflichkeit geschrieben. Mit meinen eigenen Worten wäre die Sache kürzer abgetan gewesen: rubbish.« (Max Born an Albert Einstein am 10. Oktober 1944, in: Einstein u. Born, Briefwechsel, S. 160.) 31 Dresden, Kramers: Between Tradition and Revolution, S. 518. 32 Siehe dazu mein mit F. J. Tipler verfasstes Buch The Anthropic Cosmological Principle, S. 231. 33 Zur ›Teufelszahl‹ 666 und anderen Aspekten der Zahl 6 siehe Underwood Dudleys Buch Die Macht der Zahl, S. 63ff.. 34 Jeans, Werdegang, S. 371. 35 Siehe beispielsweise das von Hans Israel herausgegebene Buch Hundert Autoren gegen Einstein. (Anm. d. Übers.) 36 Arthur Eddington an Herbert Dingle, zitiert in: Crowther, British Scientists, S. 194.
Kapitel 6 1 Valéry, Rede zur Geschichte, S. 437. 2 Um 1980 befasste man sich mit der Möglichkeit, dass auch das Proton instabil ist und mit einer Halbwertszeit von 1031 Jahren zerfällt. Eine Zeit lang nahm man auch an, den Zerfall beobachtet zu haben, was sich
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aber letztlich nicht bestätigte. Ich habe damals darauf hingewiesen, dass das Verhältnis dieser prognostizierten Halbwertszeit zur Planck-Zeit ungefähr 1080 beträgt. (J. D. Barrow, »The Proton Half-Life and the Dirac Hypothesis«, in: Nature 282 (1979), S. 698–699.) Die ›Wirkung‹ des Universums entspricht in etwa seiner Energie multipliziert mit seinem Alter. Die meist Λ genannte kosmologische Konstante kennzeichnet die abstoßende Gegenkraft zur Gravitation. Ist Λ positiv, beschleunigt sich die Expansion des Weltalls. P. A. M. Dirac, »The Cosmological Constants«, in: Nature 139 (1937), S. 323 (Brief an den Herausgeber vom 5. Februar 1937), siehe auch ders., »A New Basis for Cosmology«, in: Proc. Roy. Soc. A 165 (1938), S. 199–208. Dirac, Cosmological Constants, a.a.O.. Dirac war der Ansicht, dass ein Ensemble dimensionsloser Naturkonstanten zu jedem anderen proportional sein müsse, wobei die Proportionalitätskonstante von der Größenordnung 1 ist, also beispielsweise 10 oder 100 betragen kann. Sie könnte sich aus dimensionslosen Faktoren wie 2 oder π zusammensetzen, dagegen sind Zahlenfaktoren, die sehr klein oder sehr groß sind – etwa 1 000 000 – nicht erlaubt. Der Schluss N ~ t2 brachte Dirac zur – allerdings falschen – Annahme, es müssten dauernd neue Protonen entstehen. Tatsächlich besagt die Beziehung nur, dass für uns im Laufe der Zeit immer mehr Protonen über dem Horizont auftauchen. (P. A. M. Dirac, »Long Range Forces and Broken Symmetries«, in: Proc. Roy. Soc. A 333 (1973), S. 403–418.) Die heftigste Kritik kam von Herbert Dingle, der die Theorie von Dirac (und eine ähnliche von Milne mit zwei Zeitskalen) zusammenfassend als »Beispiele einer Kombination aus der Paralyse des Verstands und der Vergiftung durch die Fantasie« bezeichnete: »Anstatt aus den Phänomenen auf Grundprinzipien zu schließen, wird uns hier die Pseudowissenschaft einer rückgratlosen ›Kosmythologie‹ präsentiert, und wir werden eingeladen, uns umzubringen, um zu vermeiden, sterben zu müssen.« (H. Dingle, »Modern Aristotelianism«, in: Nature 139 (1937), S. 784–786; Dirac erwiderte diese Kritik im gleichen Band von Nature auf S. 1 001–1 002.) P. A. M. Dirac, »The Relation between Mathematics and Physics«, in: Proc. Roy. Soc. (Edinburgh) 59 (1938–39), S. 122–129. Siehe Barrow u. Tipler, Anthropic Cosmological Principle, Abschnitt 4.5. E. Teller, »On the Change of Physical Constants«, in: Phys. Rev. 73 (1948), S. 801–802. Siehe dazu wieder Barrow u. Tipler, Anthropic Cosmological Principle, Abschnitt 4.5. Paul Dirac an George Gamow am 10. Januar 1961, zitiert in: Kragh, Dirac, S. 236f.
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15 Auf 6 Milliarden Jahre schätzte er seinerzeit das Alter des Universums. Inzwischen wissen wir, dass es damit weit unterschätzt war, da man den Abstand der Galaxien falsch interpretiert hatte. Der Fehler wurde 1953 behoben. 16 George Gamow an Paul Dirac am 15. Oktober 1967, zitiert a.a.O., S. 238. 17 Siehe das Buch von Andrew Hodges über Turing. 18 J. B. S. Haldane, »Radioactivity and the Origin of Life in Milne’s Cosmology«, in: Nature 153 (1944), S. 555, und ders., »The Origin of Life«, in: New Biology 16 (1954), S. 12. 19 Gould, Der Daumen des Panda, S. 192. 20 Will, Theory and Experiment, S. 181. 21 R. H. Dicke, »Principle of Equivalence and the Weak Interactions«, in: Rev. Mod. Phys. 29 (1957), S. 355–362. 22 R. H. Dicke, »Dirac’s Cosmology and Mach’s Principle«, in: Nature 192 (1961), S. 440–441. An den Artikel schließt sich auf S. 441 eine kurze Erwiderung Diracs an. 23 Das Argument gilt in gleicher Weise auch für jede andere Lebensform, die Atome zur Grundlage hat, die schwerer als Helium sind. 24 Dirac in seiner Erwiderung auf Dickes Artikel, in: Nature 192 (1961), S. 441. 25 Milne, Modern Cosmology, S. 158. 26 Damit sind chemische Elemente gemeint, die schwerer als Helium sind. 27 Paul Dirac an Werner Heisenberg am 6. März 1967. (Mein Dank gilt Helmut Rechenberg, Max-Planck-Institut für Physik, München, für eine Kopie des Originalbriefs, der handschriftlich in englischer Sprache verfasst ist; Anm. d. Übers.) 28 Paul Dirac an George Gamow am 20. November 1967, zitiert in: Kragh, Dirac, S. 238. 29 Die Bampton-Lectures wurden 1779 von Rev. John Bampton in Oxford eingeführt. (Anm. d. Übers.) 30 Mascall, Christian Theology, S. 43. Mascall bezieht sich auf eine unveröffentlichte Arbeit Gerald Whitrows, die ich nicht ausfindig machen konnte. Als ich 1979 Whitrow dazu befragte, antwortete er, dass er leider keine Ahnung habe, was mit ihr passiert sein könnte. 31 Zum Vergleich: Das ›Vakuum‹ einer TV-Bildröhre enthält über 1016 Atome/m3, das einer Thermoskanne gar 1018. (Anm. d. Übers.) 32 Jaspers, Ursprung und Ziel der Geschichte, S. 294f. (Ich danke Yuri Balashov für den Hinweis auf dieses Werk.) 33 Es ist eine interessante Koinzidenz, dass die Zahl der Sterne in einer Galaxie nahezu gleich der Zahl der Galaxien im Universum ist: Beide betragen etwa 100 Milliarden. Vielleicht kann auch dies teilweise damit erklärt werden, dass wir in einer Zeit leben, in der die Sterne (schon und noch) leuch-
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ten. In ferner Zukunft wird das für uns sichtbare Universum größer sein und mehr Galaxien enthalten – wenn es dann noch Sterne und Galaxien gibt. (Eine aktuelle Koinzidenz: Auf 100 Milliarden US-Dollar wurden die Kosten des 2. Irak-Kriegs vor Kriegsbeginn geschätzt – kriegsübliche und Kollateralschäden nicht gerechnet; Anm. d. Übers.) 34 Hooke, Works, S. 143. Durch die Schlafenszeiten, das Vergessen und andere Einschränkungen wird die Zahl allerdings erheblich reduziert. (Anm. d. Übers.) 35 Zu derartigen Netzwerken siehe Mark Buchanans Buch Small Worlds. 36 M. Holderness, »Think of a Number«, in: New Scientist (16. Juni 2001), S. 45.
Kapitel 7 1 Adams, Restaurant am Ende des Universums, S. 307. 2 Bilder dieses dramatischen Ereignisses sind beispielsweise unter http: //nssdc.gsfc.nasa.gov/planetary/sl9/comet_images.html zu besichtigen. 3 Ward, Unsere einsame Erde, S. 195. 4 A.a.O. 5 B. Carter, »The Anthropic Principle and its Implications for Biological Evolution«, in: Phil. Trans. Roy. Soc. A 310 (1983), S. 347–363. 6 Es gibt inzwischen zahlreiche Arbeiten über dieses so genannte ›Doomsday‹-Argument, siehe beispielsweise John Leslies Buch The End of the World sowie N. Keyfitz, »On Future Population«, in: J. Am. Statist. Assoc. 67 (1972), S. 347–363; H. B. Nielsen, »Random Dynamics and Relations between the Number of Fermion Generations and the Fine Structure Constant«, in: Acta. Phys. Polonica B 20 (1989), S. 427–468; J. R. Gott, »Implication of the Copernican Principle for our Future Prospects«, in: Nature 363 (1993), S. 315–319; ders., »Future Prospects Discussed«, in: Nature 368 (1994), S. 108 (Antwort auf Anmerkungen von S. N. Goodman und A. L. Mackay zur Frage, ob das Kopernikanische Prinzip mit dem Ansatz von Thomas Bayes vereinbar ist). Zu weiteren Arbeiten siehe die Website von Nick Bostrom: www.anthropic-principle.com/preprints.html. 7 Die Anzahl der Möglichkeiten für die beiden Zeiten, sich stark zu unterscheiden, ist weit größer als die, dass sie nahezu gleich sind. 8 M. Livio, »How Rare Are Extraterrestrial Civilizations, and When Did They Emerge?«, in: Astrophys. J. 511 (1999), S. 429–431, siehe auch arXiv, astro-ph/9808237 (21. August 1998). 9 J. Laskar u. P. Robutel, »The Chaotic Obliquity of the Planets«, in: Nature 361 (1993), S. 608–612; siehe auch S. 185–191 in meinem Buch Der kosmische Schnitt. 10 Die Neigung der Erdachse (oder ›Schiefe der Ekliptik‹) schwankt etwa ± 1,3° um den Wert 23,3°. Sie nimmt derzeit jährlich um 0,47“ ab. (Anm. d. Übers.) 11 ›Lebende‹ Materiewolken erregten schon zu Anfang des 20. Jahrhunderts die
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Fantasie von Dichtern. Es sei an Paul Scheerbarts Zukunftsromane erinnert, insbesondere an Lesabendio aus dem Jahr 1913, wo über einem kraterförmigen Planeten eine lebende Wolke schwebt, die das Geheimnis des Seins verbirgt und mit der die Planetenbewohner kommunizieren können. (Anm. d. Übers.) Brooke Shields, zitiert in: Observer (20. Januar 2002), S. 26. Gott, Zeitreisen, S. 262. Diese Zahlentricks können allerdings zu reichlich absurden Schlüssen führen, da sie Alterungsprozesse (von Menschen, Mauern, Firmen, Staaten, Kernkraftwerken etc.) nicht berücksichtigen: Die Lebenserwartung steigt mit dem Alter! (Anm. d. Übers.) Siehe dazu den Bericht über Lord Kelvins Vortrag »The Absolute Amount of Gravitational Matter in Any Large Volume of Interstellar Space« in: Nature 64 (1901), S. 626–629, sowie ders., »On the Clustering of Gravitational Matter in Any Part of the Universe«, in: Phil. Mag. (Ser. 6) 3 (1902), S. 1–9, und aus neuerer Zeit E. R. Harrison, »Newton and the Infinite Universe«, in: Phys. Today 39 (Februar 1986), S. 24–32. Kelvin argumentierte, dass mit 10 Milliarden Sternen die Geschwindigkeiten zu groß würden. In einem Schweresystem mit der Gesamtmasse m, einem Radius r und einer durchschnittlichen Geschwindigkeit v der Sterne sind diese drei Größen über die Beziehung v2 ≈ 2Gm/r verbunden, wobei G die Newtonsche Gravitationskonstante ist. Whitehead, Abenteuer der Ideen, S. 428. Wallace, Stellung im Weltall, S. 285f. u. S. 290. A.a.O., S. 286. A.a.O., S. 287. Ebd. A.a.O., S. 167. A.a.O., S. 168f.
Kapitel 8 1 Willard Quine in einem Interview für das Harvard Magazine, zitiert in: Hersh, Mathematics, S. 170. 2 Siehe dazu H. Pagels, »A Cozy Cosmology«, in: The Sciences 25 (1985), S. 34–38; G. L. Kane, M. J. Perry u. A. N. Zytkow, »The Beginning of the End of the Anthropic Principle«, in: New Astronomy 7 (2002), S. 45–53. 3 D. A. Redelmeier u. R. J. Tibshirani, »Are Those Other Drivers Really Going Faster?«, in: Chance 13 (2000), S. 8–14. 4 Siehe dazu Nick Bostroms Buch Anthropic Bias und www.nickbostrom.com sowie www.anthropic-principle.com/phd/ (dort auch: »Cars in the Next Lane Really Do Go Faster«). 5 © Bettmann/Corbis.
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Harrison, Darkness in Night, S. 87. Santayana, Sense of Beauty, S. 102f. Pascal, Religion, S. 324 (Nr. 693). Ramsay, Foundations of Mathematics, S. 291. Der zitierte Text steht im Abschnitt »Epilogue«, der in die deutsche Übersetzung des Werks nicht mit aufgenommen wurde. H. Bondi u. T. Gold, »The Steady-State Theory of the Expanding Universe«, in: Month. Not. Roy. Astron. Soc. 108 (1948), S. 252–270; H. Bondi, T. Gold u. F. Hoyle, »Origins of Steady-State Theory«, in: Nature 373 (1995), S. 10. Der etwas abwertend gemeinte Name ›Big-Bang‹ wurde erst 1949 von Fred Hoyle erfunden, als er in der BBC in der Sendereihe The Nature of the Universe auf den dramatischen Beginn des Universums als Voraussetzung für dessen Expansion hinweisen wollte. Hoyles Ausführungen erschienen unter dem gleichen Titel als Buch. Tatsächlich hatten M. G. Holloway und B. L. Moore 1940 einen Anregungszustand des Kohlenstoffkerns nahe 7 MeV angegeben (»The Disintegration of N14 and N15 by Deuterons«, in: Phys. Rev. 58 (1940), S. 847–860), der auch in die einschlägigen Tafeln mit Kerneigenschaften aufgenommen wurde, später aber von R. Malm und W. W. Buechner (»Alpha-Particle Groups from the N14 (d, alpha) C12 and N15 (d, alpha) C13 Reactions«, in: Phys. Rev. 81 (1951), S. 519–522) nicht bestätigt werden konnte. In neueren Tafeln tauchte er dann auch nicht mehr auf. (Mein Dank für diese Informationen gilt Virginia Trimble.) D. N. F. Dunbar, R. E. Pixley, W. A. Wenzel u. W. Whaling, »The 7.68-Mev State in C12«, in: Phys. Rev. 92 (1953), S. 649–650; C. W. Cook, W. A. Fowler, C. C. Lauritsen u. T. Lauritsen, »B12, C12, and the Red Giants«, in: Phys. Rev. 107 (1957), S. 508–515.. Das wurde von E. Salpeter (»Nuclear Reactions in Stars without Hydrogen«, in: Astrophys. J. 115 (1952), S. 326–328) und G. K. Öpik (»Stellar Models with Variable Composition«, in: Proc. Roy. Irish Acad. A 53 (1949), S. 1–16, und A 54 (1951), S. 49–77) festgestellt. Hoyle, Astronomy and Cosmology, S. 402. H. Oberhummer, A. Csótó u. H. Schlattl, »Stellar Production Rates of Carbon and Its Abundance in the Universe«, in: Science 289 (2000), S. 88– 90. Hoyle, Galaxies, S. 159f. A.a.O., S. 160. Fred Hoyle, in: Stockwood, Religion. Die weniger gut gelungenen Konstruktionen werden gewöhnlich übersehen. Eine interessante Diskussion dieses Themas gibt George Williams in Plan and Purpose in Nature und in Das Schimmern des Ponyfisches.
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21 Diese Beweise für die Existenz Gottes stützten sich auf die Vielfalt in der existierenden Welt, in der es unzählige Beispiele gibt, die ›eindeutig‹ zeigen, dass der Natur ein Schöpfungsplan zugrunde liegt. Eine Sammlung solcher Beispiele stellt beispielsweise William Paleys Buch Natural Theology dar. Wallace und Darwin wurden durch Bücher wie dieses erst auf das Problem gestoßen und versuchten dann, neue andere Erklärungen zu finden. (Siehe dazu wieder Barrow u. Tipler, Anthropic Cosmological Principle.) 22 Mit ›Realisierungen‹ sind die jeweils besonderen Exemplare gemeint, die sich aus der Fülle der Möglichkeiten realisieren. Man kann auch sagen, dass ein System einen ›Zustand‹ aus einer Vielzahl möglicher Zustände einnimmt. In der Differenz der Naturgesetze und ihrer Realisierungen spiegelt sich die ›ontologische Differenz‹ von Sein und Seiendem wider. (Anm. d. Übers.) 23 Diese verschiedenen Einflüsse werden systematisch in meinem Buch Theorien für Alles diskutiert. 24 Das 13. Kapitel des Buchs ist den großen Zahlen und den variablen Konstanten gewidmet. 25 Diese Schlussfolgerung ist aber nicht zwingend. Wir wissen, dass die Realisierungen der Naturgesetze nicht das gleiche Maß an Symmetrie haben müssen wie die Naturgesetze selbst. Die Realisierungen sind bei weitem komplizierter, asymmetrischer und – wenn man so will – weniger schön als die Gesetze. 26 Dyson, Innenansichten, S. 266. 27 A.a.O., S. 160. 28 Carter, Large Number Coincidences, S. 291. 29 A.a.O., S. 292. 30 Wie wir später sehen werden, geht Whitrow so vor, um zu begründen, warum unser Raum drei Dimensionen hat. 31 Carter bezieht sich im Folgenden auf Diracs Anmerkungen zu Dicke in: Nature 192 (1961), S. 441. 32 Carter, Self-selection, S. 187f. 33 M. Tegmark, »Is ›The Theory of Everything‹ Mereley the Ultimate Ensemble Theory?«, in: Ann. Phys. 270 (1998), S. 1–51, hier: S. 26, vereinfachte Darstellung nach Barrow u. Tipler, Anthropic Cosmological Principle. 34 Freeman Dyson hat zum ersten Mal in »Energy in the Universe«, in: Sci. American (September 1971), S. 50–59, darauf hingewiesen, dass bereits eine Erhöhung der starken Wechselwirkung um 70 keV Dineutronen und Diprotonen zulässt. 35 M. Tegmark, »Is ›The Theory of Everything‹ Mereley the Ultimate Ensemble Theory?«, in: Ann. Phys. 270 (1998), S. 1–51, hier: S. 27, vereinfachte Darstellung nach Barrow u. Tipler, Anthropic Cosmological Principle. 36 Daniel Berger hat die vier anthropischen Prinzipien in einem »impertinent resumé« polemisch mit den folgenden Merksätzen gekennzeichnet: »›Weiches‹ – Wenn wir nicht hier wären, wären wir nicht hier; ›Hartes‹
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– Nur ein Universum mit uns ist möglich; ›Partizipatorisches‹ – Wenn wir nicht hier wären, könnte das Universum nicht existieren; ›Finales‹ – Das Universum sind wir.« (Siehe http://www.bluffton.edu/~bergerd/essays/ impert.html; Anm. d. Übers.) Eine Anmerkung ist noch nötig: Es wird keine Aussage darüber gemacht, dass Leben entstehen und andauern muss. Es gibt Biologen, für die zu Leben alles zählt, was einem Evolutionsprozess unterliegt. Siehe dazu J. D. Barrow, R. Bean u. J. Magueijo, »Can the Universe Escape Eternal Acceleration?«, in: Month. Not. Roy. Astron. Soc. 316 (2000), S. L41– L44, siehe auch arXiv, astro-ph/0004321 (23. April 2000). Woody Allen, zitiert in: Observer (27. Mai 2001), S. 30. Siehe Barrow u. Tipler, Anthropic Cosmological Principle, S. 668. Zur weiteren Diskussion siehe L. M. Krauss u. G. D. Starkman, »Life, the Universe, and Nothing: Life and Death in an Ever-expanding Universe«, in: Astrophys. J. 531 (2000), S. 22–30. Die Beschleunigung ist möglicherweise auf die Tatsache zurückzuführen, dass die schon genannte kosmologische Konstante positiv ist. Sie wirkt wie eine additive Größe im Gravitationsgesetz. Im Gegensatz zum Newtonschen Gesetz, nach dem die Schwerkraft umgekehrt proportional zum Quadrat des Abstands abfällt, nimmt sie linear mit der Entfernung ab. Die kosmologische Konstante wird mit der Vakuum-Energie des Universums erklärt, ihre Größe bleibt mit 10-55 cm-2 oder 10-121 lPl-2 (lPl ist die Planck-Länge) ein Mysterium, ist sie doch damit 10121 mal kleiner als der ›natürliche‹ Wert, den man nach der Theorie der Elementarteilchen erwarten würde. Ein Schlupfloch, das man im richtigen Typ von Universum ausnützen kann, ist die Möglichkeit, dass die Beschleunigung durch eine neue Art von Materie bewirkt wird, die eine positive kosmologische Konstante vortäuscht und als neue Energiequelle angezapft werden kann. Schließlich würde aber auch diese Quelle nur noch die Expansion antreiben und das unaufhaltsame Absinken der Informationsqualität begänne erneut. K. Gödel, »An Example of a New Type of Cosmological Solutions of Einstein’s Field Equations of Gravitation«, in: Rev. Mod. Phys. 21 (1949), S. 447–450. Siehe M. R. Reinganum, »Is Time Travel Impossible? A Financial Proof«, in: J. Portfolio Management 13 (1986), S. 10–12.
Kapitel 9 1 Adams, Einmal Rupert und zurück, S. 880f. 2 Diese Argumentation steht auf keinem sicheren Boden: Es ist zwar einzusehen, warum unsere ›letzte‹ Theorie auch nicht um das Geringste geän-
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dert werden kann, ohne ihre innere Stimmigkeit zu zerstören, aber woher können wir die Gewissheit haben, dass es keine völlig andere, aber in sich konsistente Theorie gibt, die in keiner Weise etwas mit unserer angeblich ›letzten‹ Theorie zu tun hat? Auf den ersten Blick könnte es scheinen, dass dies der Situation in der Biologie vor der Entdeckung der Evolution mit ihrer natürlichen Auslese ähnelt. Es ist aber ganz anders. Es geht um die Entdeckung einer vollständigen Theorie zur Beschreibung aller Naturgesetze und -konstanten. Aber selbst wenn wir sie hätten, könnten wir nicht alle Realisierungen vorhersagen, die in ihrem Rahmen möglich sind. Heinlein, Zahl des Tiers, S. 15. Das bedeutet nicht, dass ein Universum in allen Einzelheiten so sein muss, wie das unsere. Zwei Universen mit identischen Naturgesetzen und -konstanten, ja selbst den gleichen Startbedingungen, können trotzdem anders ausfallen und im Einzelnen eine unterschiedliche Entwicklung nehmen, da Symmetrieverletzungen und Quanteneffekte wie die Unschärfe ins Spiel kommen. Carter, Large Number Coincidences, S. 295f. Wallace, Des Menschen Stellung im Weltall, S. 300. Born, Minimalprinzipien, S. 83. Lumpiness = Klumpigkeit, Maß für die Zusammenballung von Materie. Siehe Alan Guths Buch Die Geburt des Kosmos aus dem Nichts und seinen Artikel »Inflationary Universe: A Possible Solution to the Horizon and Flatness Problems«, in: Phys. Rev. D 23 (1981) S. 347–356. Siehe dazu mein Buch Der Ursprung des Universums. Da das Universum in seinem Aufbau Inhomogenitäten aufweist, ist es im Übrigen auch unmöglich, dass die Expansion exakt auf dieser Linie liegt. Sie muss also äußerst dicht an ihr begonnen haben. Die Beschleunigung ist so immens, dass schon eine Phase von 10-35 bis 10-33 s für diesen Effekt ausreicht. Näheres zu diesem Thema findet sich in dem Buch Die linke Hand der Schöpfung, das ich zusammen mit Joseph Silk verfasst habe. COBE = Cosmic Background Explorer: Satellit zur Messung der diffusen Infrarotstrahlung und der kosmischen Mikrowellen-Hintergrundstrahlung, der im November 1989 in eine Umlaufbahn gebracht wurde. (Anm. d. Übers.) Siehe dazu Das Echo der Zeit von Goerge Smoot und Keay Davidson sowie The Very First Light von John Mather und John Boslough. MAP = Microwace Anisotropy Probe: Satellit zur Messung der kosmischen Mikrowellen-Hintergrundstrahlung, der am 30. Juni 2001 gestartet wurde. Das Projekt läuft jetzt unter dem Namen WMAP, wobei das W für den 2002 verstorbenen Astronomen Denys Wilkinson steht, der zu seinen
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Initiatoren gehörte. Im Frühjahr 2003 wurden erste Ergebnisse veröffentlicht. Danach ist das Universum 13,7 Milliarden Jahre alt, und die ersten Sterne begannen bereits 200 000 Jahre nach dem Big-Bang zu leuchten. (Anm. d. Übers.) Planck Surveyor Mission: Untersuchungen der Anisotropie der kosmischen Mikrowellen-Hintergrundstrahlung mit hoher Auflösung und in einem weiten Frequenzbereich von 30 bis 857 GHz. (Anm. d. Übers.) Boomerang: australisches Ballon-Experiment über der Antarktis 1998/99 zur Messung der Mikrowellen-Hintergrundstrahlung. (Anm. d. Übers.) Siehe dazu mein mit Frank Tipler verfasstes Buch The Anthropic Cosmological Principle. A. Linde, »The Self-Reproducing Inflationary Universe«, in: Sci. American (November 1994), S. 48–55, siehe auch http://physics.stanford.edu/linde/ 1032226.pdf. Ich muss gestehen, dass mir diese Begründung für die Geschichtsforschung immer ein Rätsel war. Es scheint eher, dass die größten Probleme unserer Zeit – von Nordirland bis zum Mittleren Osten – auf zu viel Kenntnis der Vergangenheit beruhen. D. MacKay; siehe dazu auch mein Buch Die Entdeckung des Unmöglichen. It’s a Wonderful Life (Film, USA 1946; dt. Verleihtitel: Ist das Leben nicht schön?). Das Rührstück geht gut aus: Der Held bringt sich nicht um, und der Engel bekommt endlich Flügel. (Anm. d. Übers.) Ein weiteres Beispiel ist Vaterland von Robert Harris. Film, USA 1985; inzwischen drei Teile. Ferguson, Virtuelle Geschichte, S. 16f.; Zitate aus Oakshott, Experience, S. 128–145. A.a.O., S. 15f.; Zitate aus Croce, Necessity in History, S. 557ff. A.a.O., S. 71; Zitat aus Carr, History. Siehe dazu John C. Squires ›Parallelweltgeschichten‹ unter dem Titel Wenn Napoleon bei Waterloo gewonnen hätte. Nicht jeder Sack Reis, der in China umfällt, löst eine Katastrophe aus, und viele der Schmetterlinge flattern folgenlos durch Wald und Flur. (Anm. d. Übers.) Siehe dazu wieder Mark Buchanans Buch Small Worlds. Beispiele sind Ehen, Haarrisse in Flugzeugflügeln, brandgefährdete Wälder, erdbebenanfällige Landstriche und Epidemien vor ihrem Ausbruch. (Anm. d. Übers.) Blackburn, Being Good, S. 72f. Ferguson, Virtuelle Geschichte, S. 108.
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Kapitel 10 1 Reichenbach, Philosophie der Raum-Zeit-Lehre, S. 322. 2 J. W. McReynolds, »George’s Problem«, in: Scripta Mathematica 15 (1949), S. 156–158. 3 © AKG London. 4 Kant, Schätzung der lebendigen Kräfte, S. 33ff. (§§ 9–11). 5 Um das zu begreifen, wollen wir uns eine Masse vorstellen, die in einem Punkt konzentriert ist. Nun umgeben wir sie mit einer Kugelschale. Durch jeden Punkt der Kugelschale geht eine Kraftlinie, die auf das Massezentrum zuläuft. Die Oberfläche der Kugelschale sagt uns, zu welcher negativen Potenz die Kraft proportional ist. Im dreidimensionalen Raum ist die Kugeloberfläche proportional zum Quadrat des Radius, im n-dimensionalen Raum entsprechend proportional zur (n-1)-ten Potenz des Radius. 6 A.a.O., S. 35 (§§ 10–11). Die Dimensionen heißen bei Kant ›Abmessungen‹. 7 Diese Entdeckung wäre schon früher möglich gewesen, man hätte nur die Zeichnungen von Dreiecken, Geraden oder anderen geometrischen Gebilden in einem gekrümmten Spiegel betrachten müssen. Die Euklidische Geometrie geht dann in die Geometrie einer gekrümmten Fläche über, aber die optischen Gesetze garantieren, dass die mathematischen Zusammenhänge, die in der Ebene gelten, auf der gekrümmten Fläche erhalten bleiben. 8 Die Herausforderung, sich ein Leben in zwei Dimensionen vorzustellen, kam vor der mit vier Dimensionen. Der deutsche Mathematiker Carl Friedrich Gauß stellte sich beispielsweise zweidimensionale Wesen vor, die er ›Bücherwürmer‹ nannte, und die auf unendlich großen Papierbogen lebten. Hermann Helmholtz versetzte 1881 die Bücherwürmer auf die Oberfläche eines Balls und verschaffte ihnen damit eine Welt mit endlicher Ausdehnung, aber ohne Grenzen. (Siehe Kaku, Hyperraum, S. 56 u. 65; Anm. d. Übers.) 9 Wladimir Iljich Lenin in einer Kritik der Untersuchung n-dimensionaler Geometrien durch Ernst Mach. Siehe dazu Lenins Schrift Materialismus und Empiriokritizismus. 10 Die Idee wurde in regelmäßigen Abständen von anderen Autoren aufgegriffen, die immer neue geometrische und topologische Spitzfindigkeiten hinzufügten. Beispiele sind Dionys Burgers Silvestergespräche eines Sechsecks, Alexander Dewdneys Planiversum und Ian Stewarts Flatterland (das sich im Untertitel –Like Flatland, Only More So – direkt auf Abbotts Buch bezieht). 11 Insbesondere Johann Zöllner und Mitglieder der Society for Psychical Research, die in Oscar Wildes Gespenst von Canterville verspottet werden. 12 J. C. F. Zöllner, »On Space of Four Dimensions«, in: Quart. J. Sci. (N. F.) 8 (1878), S. 227–237.
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13 Näheres dazu findet man in The Unseen Universe von Balfour Stewart und Peter Guthrie Tait. Tait war einer der Pioniere der Knotentheorie und fand heraus, dass man dreidimensionale Knoten in der vierten Dimension lösen kann. 14 Eine interessante Untersuchung des Verhältnisses von Doyle und Holmes stellt Martin Gardners Essay »The Irrelevance of Conan Doyle«, in: ders. Science: Good, Bad and Bogus, dar. 15 Auch über die Medizin hatte James Hinton recht ungewöhnliche Ansichten. In seinem Buch The Mystery of Pain. A Book for the Sorrowful vertrat er die Theorie, dass »alles, was wir als Schmerz empfinden, uns in Wirklichkeit etwas gibt«, auch wenn uns das nicht sofort einleuchten will. Sein Sohn Charles versuchte später, diese Theorie mathematisch zu formulieren und griff dazu auf eine höherdimensionale Geometrie und unendliche Reihen zurück. (Zu James und Charles Hinton siehe auch Kaku, Hyperraum, S. 92ff.) 16 Hinton, Picture of Our Universe, S. 41. 17 C. Hinton, »What is the Fourth Dimension?«, in: Univ. Mag. (Dublin), 1880. Der Essay wurde 1884 als Pamphlet in der Reihe Scientific Romances von Swan Sonnenschein & Co., London, wieder veröffentlicht. Sonnenschein war ein Anhänger der Ideen Hintons und brachte in den folgenden zwei Jahren weitere neun seiner Streitschriften heraus, die als zweibändige Sammlung unter dem Titel Scientific Romances auf den Markt kamen. Die Essays »Eine flache Welt«, »Was ist die vierte Dimension?« und »Der König von Persien« sind in dem Sammelband Wissenschaftliche Erzählungen enthalten. 18 C. Hinton, »A Mechanical Pitcher«, in: Harper’s Weekly (20. März 1897), S. 301–302. 19 Siehe dazu wieder Kaku, Hyperraum. 20 Sie dazu Arthur I. Millers Buch Einstein, Picasso: Space, Time and the Beauty that Causes Havoc. 21 Marcel Duchamp, Nu descendant un escalier, 1912, Philadelphia Museum of Art, Sammlung Louise und Walter Arensberg, Philadelphia (Penn.). Zu Anfang des 20. Jahrhunderts entstand eine ganze Reihe solcher ›Kinetographien‹, u.a. von El Lissitzky und Giacomo Balla. Im Life Magazine 284 erschien 1952 eine Fotomontage von Eliot Eliofson mit dem Titel Duchamp, eine Treppe herabsteigend, die Duchamps Bild persifliert. (Anm. d. Übers.) 22 © Succession Picasso/DACS 2002. 23 Hier sei an unser ›Sekundenpendel‹ erinnert: Für L = 1 m ist t ≈ 2 s. 24 A. Einstein, »Elementare Betrachtungen über die thermische Molekularbewegung in festen Körpern«, in: Ann. Phys. 35 (1911), S. 679–694, hier: S. 687. 25 Albert Einstein an Ilse Rosenthal-Schneider am 13. Oktober 1945, zitiert in: Rosenthal-Schneider, Begegnungen, S. 26.
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26 Eco, Das Foucaultsche Pendel, S. 9. 27 Siehe dazu die Biografien von Viktor Frenkel und Martin Klein. 28 G. E. Uhlenbeck, »Reminiscenses of Professor Paul Ehrenfest«, in: Am. J. Phys. 24 (1956), S. 431–433. Uhlenbeck war einer der Studenten Ehrenfests. 29 Aquarell von Maryke Kammerlingh-Onnes, mit freundlicher Erlaubnis von AIP Emilio Segrè Visual Archives. 30 Paul Ehrenfest an Niels Bohr am 13. Mai 1931. (Mein Dank gilt Dr. G. A. C. Veeneman, Museum Boerhaave, Leiden, für eine Kopie des Originalbriefs; Anm. d. Übers.) 31 P. Ehrenfest, »In What Way Does it Become Manifest in the Fundamental Laws of Physics that Space has Three Dimensions?«, in: Proc. Amsterdam Acad. 20 (1917), S. 200–209 (siehe auch ders., Collected Scientific Papers, S. 400–409), dt. (in gekürzter Fassung ohne den Anhang): »Welche Rolle spielt die Dreidimensionalität des Raumes in den Grundgesetzen der Physik?«, in: Ann. Phys. 61 (1920), S. 440–446. 32 Einstein, In memoriam Paul Ehrenfest, S. 205. 33 Die Mathematiker sind diese Besonderheit gewohnt. Es ist häufig der Fall, dass eine mathematische Aussage in Räumen mit allen möglichen Dimensionen bestätigt werden kann – aber nicht für den dreidimensionalen Raum. In der Regel ist dort die Beweisführung besonders schwierig. 34 G. J. Whitrow, »Why Physical Space has Three Dimensions«, in: Brit. J. Phil. Sci. 6 (Mai 1955), S. 13–31. 35 Minkowski, Raum und Zeit, S. 431. (M. H.! = Meine Herren!) 36 Thomas von Aquin, Compendium theologiae, S. 30 u. S. 54. 37 Besso starb am 15. März 1955, Einstein gut einen Monat später am 18. April. 38 Albert Einstein an Sohn und Schwester von Michele Besso am 21. März 1955, zitiert in: Hoffmann, Einstein, S. 302f. 39 Siehe Barrow u. Tipler, Anthropic Cosmological Principle, Kapitel 4; F. R. Tangherlini, »Schwarzschild Field in n Dimensions and the Dimensionality of Space Problems«, in: Nuovo Cimento 27 (1963), S. 636–651; I. M. Freeman, »Why is Space Three-Dimensional?«, in: Am. J. Phys. 37 (1969), S. 1 222–1 224; L. Gurevich u. V. Mostepanenko, »On the Existence of Atoms in N-dimensional Space«, in: Phys. Lett. A 35 (1971), S. 201–202; I. L. Rozental, »Physical Laws and the Numerical Values of Fundamental Constants«, in: Sov. Phys. Usp. 23 (1981), S. 296–305; J. D. Barrow, »Dimensionality«, in: Phil. Trans Roy. Soc. A 310 (1983), S. 337–346. 40 Es gibt einige interessante Anmerkungen über zweidimensionale Maschinen von John S. Harris von der Brigham Young University. Er wies auf die erstaunliche Ähnlichkeit zwischen Mechanismen in einer flachen (zweidimensionalen) Welt und (dreidimensionalen) Schusswaffen hin.
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So schrieb er über die deutsche Mauser-Pistole: »Diese bemerkenswerte automatische Pistole funktioniert ohne Drehzapfen und Schrauben. Es gleiten nur Nocken in zweidimensionale Muffen. In der Tat folgen die Schlösser zahlreicher Waffen, insbesondere im 19. Jahrhundert, im Wesentlichen planiversen Prinzipien.« (John S. Harris, zitiert in: Dewdney, Symposium, S. 181. J. Dorling, »The Dimensionality of Time«, in: Am. J. Phys. 38 (1969), S. 539–540; F. J. Yndurain, »Disappearance of Matter Due to Causality and Probability Violations in Theories with Extra Timelike Dimensions«, in: Phys. Lett. B 256 (1991), S. 15–16. Abraham Lincoln, Botschaft an den Kongress vom 1. Dezember 1862. Albert Einstein an Theodor Kaluza am 21. April 1919, zitiert in: Pais, Raffiniert ist der Herrgott, S. 333. Th. Kaluza, »Zum Unitätsproblem der Physik«, in: Sitz. Preuss. Akad. Wiss. (1921), S. 966–972. O. Klein, »Quantentheorie und fünfdimensionale Relativitätstheorie«, in: Z. Phys. 37 (1926), S. 895–906, hier: S. 905f. P. Candelas u. S. Weinberg, »Calculation of Gauge Couplings and Compact Circumferences from Self-Consistent Dimensional Reduction«, in: Nucl. Phys. B 237 (1984), S. 397. Aus »Vesalius in Zante. 1564«, einem Gedicht von Edith Wharton, zitiert in: Pickover, Surfing through Hyperspace, S. 118. Zur Frage, warum dieses Problem auftaucht und warum es die StringTheorie lösen kann, siehe mein Buch Theorien für Alles, insbesondere S. 40–41 u. S. 111–117, sowie M. B. Green, »Superstrings«, in: Sci. American (September 1986), S. 44–56. Bulk = Größe, Ausmaß, massige Gestalt, das Ganze.
Kapitel 11 1 G. A. Cowen, »A Natural Fission Reactor«, in: Sci. American 235 (Juli 1976), S. 36–47. 2 R. Bodu, H. Bouzigues, N. Morin u. J. P. Pfiffelman, »Sur l’existence d’anomalies isotopiques rencontrées dans l’uranium du Gabon«, in: C. Rend. Acad. Sci., D 275 (1972), S. 1731–1732. 3 Die Uranlagerstätten liegen zwischen Mounana, Moanda und Franceville nahe dem Ogooué oder Ogowe, dem größten Fluss Gabuns. An seinem Unterlauf liegt Lambarene, 1913–1965 die Wirkungsstätte Albert Schweitzers. (Anm. d. Übers.) 4 Ein Isotop ist eine Variante eines Elements mit der gleichen Anzahl Protonen, aber verschieden vielen Neutronen. Das einfachste Beispiel ist der Wasserstoff, dessen Kern nur aus einem Proton besteht. Das Deuterium,
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das leichteste Isotop des Wasserstoffs, besteht aus je einem Proton und einem Neutron, das Tritium aus einem Proton und zwei Neutronen. Die Analyse wird mit einem Massenspektrometer durchgeführt. Die Gasmoleküle von Uranhexafluorid (UFl6) werden ionisiert und beschleunigt, bevor sie ein Magnetfeld durchlaufen, in dem sie abgelenkt werden. Die Ablenkung ist von der Masse der Isotope abhängig. Die Methode erlaubt Messungen von großer Präzision. Ein Beispiel ist Nd142, eines von neun Neodym-Isotopen, das kein Spaltprodukt ist und daher als Maß für den Neodym-Anteil in Oklo vor dem Betrieb des Reaktors dienen kann. M. Neuilly, J. Bussac, C. Fréjacques, G. Nief, G. Vendryes u. J. Yvon, »Sur l’existence dans un passé reculé d’une réaction en chaîne naturelle de fissions, dans le gisement d’uranium d’Oklo (Gabon)«, in: C. Rend. Acad. Sci. D 275 (1972), S. 1847–1849. P. K. Kuroda, »On the Nuclear Stability of Uranium Minerals«, in: J. Chem. Phys. 25 (1956), S. 81–82, und ders., »On the Infinite Multiplication Constant and Age of U Minerals«, in: J. Chem. Phys. 25 (1956), S. 1295–1296. Nach George Cowan wurde schon 1953 eine – allerdings weniger detaillierte – Vorhersage von George Wetherill (UCLA) und Mark Inghram (University of Chicago) gemacht. Die beiden Forscher untersuchten eine Lagerstätte von Uranpecherz (eine Erzmischung, die vor allem aus Uranoxid besteht, das in kristalliner Form als Uraninit, in einer pechglänzenden Masse als Pechblende und in Pulverform als Uranschwärze vorkommt) und stellten fest: »Unsere Rechnungen zeigen, dass 10 Prozent der erzeugten Neutronen absorbiert werden und die Kettenreaktion aufrecht erhalten. Daher hat das Erzlager 25 Prozent des Wegs zu einem Kernreaktor zurückgelegt. Es ist auch von Interesse, 2 Milliarden Jahre zurückzurechnen, als der U235-Anteil noch 3 anstelle von 0,7 Prozent betrug. Eine solche Lagerstätte wäre sicher noch dichter davor, einen kritischen Reaktor zu bilden.« (G. W. Wetherill u. M. G. Inghram, in: Proc. Conf. Nucl. Processes Geol. Settings, Nat. Research Council, Washington DC 1953, S. 30–32; hier zitiert nach G. A. Cowen, »A Natural Fission Reactor«, in: Sci. American 235 (Juli 1976), S. 36–47.) Mithilfe der Uran-Blei-Methode konnte bestimmt werden, dass der Reaktor zum ersten Mal vor 1,84 ± 0,07 Milliarden Jahren kritisch wurde. Dieser Zeitpunkt musste weit genug in der Vergangenheit liegen, damit der Anteil an U235 noch genügend hoch war, andererseits musste aber schon ausreichend Wasser zur Verfügung stehen, damit sich die hochangereicherte UnranoxidLösung bilden konnte. Die Lebensdauer des Reaktors wird mit 2,29 ± 0,7 x 105 Jahren angegeben. (Y. V. Petrov, »The Oklo Natural Nuclear Reactor«, in: Sov. Phys. Usp. 20 (1978), S. 937–944; R. Naudet, »The Oklo Nuclear Reactors: 1800 Million Years Ago«, in: Interdisc. Sci. Rev. 1 (1976), S. 72–84.)
Anmerkungen
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10 M. Maurette, »Fossil Nuclear Reactors«, in: Ann. Rev. Nucl. Sci. 26 (1976), S. 319–350; J. C. Ruffenach, R. Hagemann u. E. Roth, »Isotopic Abundance Measurements a Key to Understanding the Oklo Phenomenon«, in: Z. Naturforsch. 35A (1979), S. 171–179. 11 Foto mit freundlicher Genehmigung von Ilya Shlyakhter; weitere Informationen finden sich unter http://alexonline.info. 12 Vereinfachte Darstellung nach Y. Fujii et al., »The Nuclear Interaction at Oklo 2 Billion Years Ago«, in: Nucl. Phys. B 573 (2000), S. 377–401, hier: S. 381; siehe auch arXiv, hep-ph/9809549v2 (4. Januar 2000). 13 A. I. Shlyakhter, »Direct Test of the Constancy of Fundamental Nuclear Constants«, in: Nature 264 (1976), S. 340; siehe auch Shlyakhters ATOMKIReport von 1983, der im Internet unter http://alexonline.info zu finden ist. 14 T. Damour u. F. Dyson, »The Oklo Bound on the Time Variation of the Fine-Structure Constant Revisited«, in: Nucl. Phys. B. 480 (1996) S. 37–54, siehe auch arXiv, hep-ph/9606486 (28. Juni 1996). 15 Y. Fujii et al., »The Nuclear Interaction at Oklo 2 Billion Years Ago«, in: Nucl. Phys. B 573 (2000), S. 377–401, siehe auch arXiv, hep-ph/9809549v2 (4. Januar 2000). 16 1 Barn (Zeichen: b) = 10-28m2. 17 Aus der Analyse von Damour und Dyson kann man auf die Schranken -94 ± 26 meV und 46 ± 44 meV schließen, die von den Autoren zu einem einzigen Bereich -120 meV < ∆Er < 90 meV zusammengefasst wurden. 18 Siehe wieder Y. Fujii et al., Nuclear Interaction, S. 381, wo der Neutroneneinfang eines Gadolinium-Isotops untersucht wird – ein vielversprechender Ansatz, der sich auf neue Proben stützt. Leider ist weiterhin das Problem von Verunreinigungen akut, das umfangreiche Korrekturen der Analysen erfordert. Am vernünftigsten erscheint es, sich auf die Lösung vom rechten Ast der Samariumkurve zu stützen, nach der in drei von vier untersuchten Proben keine Verschiebung der Resonanzenergie festgestellt werden konnte. 19 Die Kaluza-Klein-Theorien mit ihren zusätzlichen Raumdimensionen, die wir im letzten Kapitel diskutiert haben, sagen sowohl für α als auch αS voraus, dass ihre Änderungen proportional zu r-2 sind, wenn sich r, der mittlere Durchmesser der Zusatzdimensionen, zeitlich ändert. 20 Teller, Geheimnisse der Physik, Fußnote S. 104. Jacksons Präsidentschaft dauerte von 1829 bis 1837. 21 D. H. Wilkinson, »Do the ›Constants of Nature‹ Change with Time?«, in: Phil. Mag. (Ser. 8) 3 (1958), S. 582–585. 22 F. Dyson, »Time Variation of the Charge of the Proton«, in: Phys. Rev. Lett. 19 (1967), S. 1291–1293. 23 Re187: 43,5 Milliarden Jahre (ionisiert in heißem Plasma: 32,9 Milliarden Jahre; es zerfällt in das stabile Os187), K40: 1,3 Milliarden Jahre.
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24 A. Peres, »Constancy of the Fundamental Electric Charge«, in: Phys. Rev. Lett. 19 (1967), S. 1293–1294; S. M. Chitre u. Y. Pal, »Limit on Variation of e2 with Time«, in: Phys. Rev. Lett. 20 (1968), S. 278–279; T. Gold, »Rotating Neutron Stars as the Origin of the Pulsating Sources«, in: Nature 218 (1968), S. 731–732. 25 Observer (27. Januar 2002), S. 30. 26 J. v. Neumann, »Impact of Atomic Energy on the Physical and Chemical Sciences«, Rede beim M. I. T. Alumni Day Symposium, in: Techn. Rev. (1955), S. 15–17, und in: ders., Collected Works, Bd. 6, S. 520–523.
Kapitel 12 1 Wilde, Sätze und Lehren, S. 255. 2 G. Gamow, »Electricity, Gravity and Cosmology«, in: Phys. Rev. Lett. 19 (1967), S. 759–761. Zu ersten Messungen siehe auch M. P. Savedoff, »Physical Constants in Extra-Galactic Nebulae«, in: Nature 178 (1956), S. 688–689. 3 Der relativen Rotverschiebung z = ∆λ/λ der Strahlung, die von einem Stern oder einer Galaxie ausgeht, kann man – abhängig von der Modellvorstellung, die man vom Kosmos hat – eine Entfernung und ein Alter des Objekts zuordnen. (Anm. d. Übers.) 4 R. A. Alpher, »Large Numbers, Cosmology, and Gamow«, in: American Scientist 61 (1973), S. 51–58, hier: S. 56. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung von American Scientist. 5 J. N. Bahcall, W. L. Sargent u. M. Schmidt, »An Analysis of the Absorption Spectrum of 3C 191«, in: Astrophys. J. 149 (1967), S. L11–L15. 6 Quasar = Quasistellare Radioquelle; 1960 entdeckte man leuchtkräftige Objekte in großer Entfernung, die optisch Sternen ähneln (daher ›quasistellar‹), aber im wesentlichen Radiowellen ausstrahlen. (Anm. d. Übers.) 7 Aus »My Star«, einem Gedicht von Robert Browning, in: ders., Poems. 8 J. N. Bahcall u. M. Schmidt, »Does the Fine-Structure Constant Vary with Cosmic Time?«, in: Phys. Rev. Lett. 19 (1967), S. 1294–1295. 9 M. J. Drinkwater, J. K. Webb, J. D. Barrow u. V. V. Flambaum, »New Limits on the Possible Variations of Physical Constants«, in: Month. Not. Roy. Astron. Soc. 295 (1998), S. 457, siehe auch arXiv, astro-ph/9711290 (15. November 1977). 10 Genauer gesagt vergleicht man gpr α2, wobei gpr der so genannte Proton-gFaktor ist, von dem man in diesem Zusammenhang voraussetzt, dass er sich nicht ändert. 11 L. L. Cowie u. A. Songaila, »Astrophysical Limits on the Evolution of Dimensionless Physical Constants over Cosmological Time«, in: Astrophys. J. 453 (1995), S. 596–598. Die Grenzwerte beziehen etwaige Ungenauigkeiten, die durch lokale Geschwindigkeitsvariationen der absorbierenden Gase entstehen, nicht mit ein.
Anmerkungen
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12 In den Gesetzen für die relativistischen atomaren Effekte tritt die Feinstrukturkonstante in der Form (αZ)2 auf, wobei Z das Atomgewicht ist. Die Ergebnisse werden daher erheblich genauer, wenn man anstelle von Linien-Dubletts eines Atoms Linien von Atomen mit möglichst unterschiedlichem Z auswählt. 13 Man hat diese Rechenprogramme entwickelt, um für die Laboruntersuchungen die Lage von Energieniveaus vorauszusagen. Die Untersuchungen wurden von Victor Flambaum und seinen Mitarbeitern an der University of New South Wales durchgeführt. 14 Multiplett: analog zu Dublett und Triplett ein Satz von mehreren Energieniveaus. 15 Robert J. Scherrer, zitiert in G. Musser, »Inconstant Constants«, in: Sci. American (November 1998), S. 13–14. 16 J. K. Webb, V. V. Flambaum, C. W. Churchill, M. J. Drinkwater u. J. D. Barrow, »Search for Time Variation of the Fine Structure Constant«, in: Phys. Rev. Lett. 82 (1999), S. 884–887. 17 J. K. Webb, M. T. Murphy, V. V. Flambaum, V. A. Dzuba, J. D. Barrow, C. W. Churchill, J. X. Prochaska u. A. M. Wolfe, »Further Evidence for Cosmological Evolution of the Fine Structure Constant«, in: Phys. Rev. Lett. 87 (2001), 091 301, siehe auch arXiv, astro-ph/0 012 539v3 (4. September 2001). 18 Die fraglichen Absorptionslinien mit der erforderlichen Genauigkeit zu messen ist eine große Herausforderung – vermutlich gab es zuvor dafür noch keinen Bedarf. Je mehr Laborwerte vorliegen, umso mehr Informationen können mit der MM-Methode aus den vorliegenden Daten gewonnen werden. 19 Eddington, Naturwissenschaft auf neuen Bahnen, S. 200. 20 Es gibt noch andere Fehler, die insbesondere von Politikern ganz bewusst begangen werden, wenn sie die Wahlergebnisse interpretieren. So nimmt zum Beispiel eine Partei, die mit einem 10-Punkte-Katalog von Forderungen auftritt, nach der gewonnenen Wahl ganz selbstverständlich an, dass das Volk allen 10 Punkten zugestimmt hat. Es kann aber durchaus sein, dass es eine Mehrheit nur für einen Teil der Punkte gab. 21 Es handelt sich um die Dispersion, die wellenlängenabhängige Brechung des aus dem All kommenden Lichts in der Atmosphäre. Ihr Ausmaß ist von der Dicke der Atmosphäre und damit von der geographischen Lage des Teleskops und seiner Höhe über dem Meeresspiegel abhängig. Der Effekt ist sehr gering und kann normalerweise in der Astronomie vernachlässigt werden, aber er ist von der Größenordnung der gefundenen Variationen der Feinstrukturkonstante. Korrigiert man den Fehler, wird die aus dem Sternenlicht bestimmte Feinstrukturkonstante noch etwas kleiner, das heißt, der Effekt wird sogar deutlicher. 22 J. D. Prestage, R. L. Tjoelker u. L. Maleki, »Atomic Clocks and Variations
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of the Fine Structure Constant«, in: Phys. Rev. Lett. 74 (1995), S. 3 511– 3 514. In der Zukunft werden möglicherweise neue Atominterferometer die von Prestage und seinen Mitarbeitern angegebenen Grenzen weiter verbessern. Die derzeitige Auflösung mit dieser Technologie liegt bei Veränderungen von α in der Größenordnung 10-8 in 1 bis 2 Stunden. Man wird vielleicht später mit dieser Methode die Konstanz von α im Labor besser überprüfen können, zur Zeit besteht jedoch noch keine Aussicht, die Genauigkeit astronomischer Messungen zu erreichen. Angeregt durch neue atomphysikalische Rechnungen (V. A. Dzuba u. V. V. Flambaum, »Atomic Optical Clocks and Search for Variation of the Fine-Structure Constant«, in: Phys. Rev. A 61 (2000), 034 502, S. 1) hat J. R. Torgerson die Möglichkeit diskutiert, Hohlraumresonatoren auszunützen, um zu verbesserten Messungen der Änderungsrate von α zu kommen (»Method for Precision Test of Fine Structure Constant Variation with Optical Frequency References«, in: arXiv, physics/0 012 054v3 (24. Dezember 2001)). Er nimmt an, dass man schon bald in Laborexperimenten eine zeitliche Variation der Größenordnung 10-15/Jahr feststellen kann. P. P. Avelino, C. J. A. P. Martins, G. Rocha u. P. Viana, »Looking for a Varying Alpha in the Cosmic Microwave Background«, in: Phys. Rev. D 62 (2000), 123 508; R. A. Battye, R. Crittenden u. J. Weller, »Cosmic Concordance and the Fine Structure Constant«, in: Phys. Rev. D 63 (2001), 043 505. Da die Auflösung von Anisotropiemessungen der Mikrowellen-Temperatur etwa 2 x 10-5 beträgt und die letzten Streuereignisse nach unseren besten Altersschätzungen 14 Milliarden Jahre zurückliegen, können wir als Grenze für die Variation von α bestenfalls (2 x 10-5)/(14 x 109 Jahre) ≈ 1,4 x 10-15/Jahr erreichen. In C. Brans u. R. H. Dicke, »Mach’s Principle and a Relativistic Theory of Gravitation«, in: Phys. Rev. 124 (1961), S. 925–935, wird eine Theorie mit einem variablen G entwickelt, in H. B. Sandvik, J. D. Barrow u. J. Magueijo, »A Simple Cosmology with a Varying Fine Structure Constant«, in: Phys. Rev. Lett. 88 (2002), 031 302, eine kosmologische Theorie mit variablem α, die an J. D. Bekenstein, »Fine-Structure Constant: Is it Really a Constant?«, in: Phys. Rev. D 25 (1982), S. 1 527–1 539, anknüpft. Für weitere Einzelheiten siehe J. D. Barrow, H. Sandvik u. J. Magueijo, »The Behaviour of Varying-alpha Cosmologies«, in: Phys. Rev. D 65 (2002), 063 504, siehe auch ArXiv, astro-ph/0 109 414v1 (24. September 2001) J. D. Barrow, H. B. Sandvik u. J. Magueijo, »Anthropic Reasons for Nonzero Flatness and Lambda«, in: Physical Review D 65 (2002), 123 501.
Anmerkungen
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Kapitel 13 1 Aus »O World of Many Worlds«, einem Gedicht von Wilfred Owen, in: ders., Collected Poems. 2 Es ist ein schwerwiegendes Problem, dem Begriff ›wahrscheinlich‹ im kosmischen Zusammenhang Substanz zu verleihen. Jeder Versuch einer exakten Definition ist bis jetzt gescheitert. Ohne ein Maß für die Wahrscheinlichkeit kann man aber nicht quantitativ abschätzen, wie wahrscheinlich eine Leben fördernde Entwicklung des Universums ist. Man weiß einfach nicht, welche anderen Resultate gleich häufig sind, wenn man alle denkbaren Ausgangssituationen des Universums oder alle möglichen Varianten, die aus der chaotisch-inflationären Theorie des Universums folgen, einbezieht. Die Problematik wird zudem verschärft, weil man nur schwer definieren kann, ›wann‹ die Wahrscheinlichkeiten universell, also für jeden Ort im Universum gelten. Auf diesem Gebiet wird derzeit viel geforscht, das Problem ist aber noch ungelöst. 3 Pantin, Life, S. 104. Pantin spricht zwar von einer Analogie zur natürlichen Auslese, führt diese Idee aber nicht weiter aus. 4 Pantin, Life, S. 94. 5 Dieser Schluss könnte in die Irre führen, wenn die Theorie für Alles Querverbindungen zwischen den Konstanten enthält, die bei einer kleinen Änderung der Feinstrukturkonstanten von 10-11 bei anderen lebenswichtigen Konstanten beispielsweise eine Verdopplung oder Halbierung bewirken. 6 Wenn Leben nichts als das Nebenprodukt hoher Komplexität ist, kann es auch im Geschwindigkeitsraum oder in der Struktur der Raumzeit oder auch in der Miniwelt der Atome, Kerne und Elementarteilchen existieren. Es würde dann dem nahe kommen, woran derzeit die Nanotechnik arbeitet. 7 Siehe dazu mein Buch Ein Himmel voller Zahlen. Zur weiteren Entwicklung siehe auch M. Tegmark, »Is ›The Theory of Everything‹ Mereley the Ultimate Ensemble Theory?«, in: Ann. Phys. 270 (1998), S. 1–51, siehe auch arXiv, gr-qc/9 704 009 (1. Dezember 1998). 8 Das Spiel wurde 1970 im Scientific American vorgestellt. Siehe dazu John Conways Buch Über Zahlen und Spiele. (Anm. d. Übers.) 9 Das Theorem Kurt Gödels aus dem Jahr 1931 besagt, dass eine formale arithmetische Theorie nicht alle in ihr wahren Aussagen beweisen kann. (Anm. d. Übers.) 10 Wenn es in einem logischen System auch nur einen falschen Satz gibt, kann man mit ihm die Wahrheit jeder falschen Aussage (z.B. von 0 = 1) beweisen. Es gibt die berühmte Anekdote über Bertrand Russell, der auf die Aufforderung eines Diskussionsteilnehmers, er solle beweisen, dass er der Papst sei, wenn 2 = 1 gelte, geantwortet haben soll: »Sie und der Papst sind zwei, wenn aber 2 = 1 ist, dann sind Sie und der Papst eins.«
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11 Hardy, Mathematician’s Apology, S. 135. 12 Die Positivisten ziehen den Wert der Induktion als Weg zur Erkenntnis in Zweifel. Der Glaube, dass die Zukunft so sein wird wie die Gegenwart, ist für sie höchst problematisch. Bertrand Russell führt als Beispiel das tragische Schicksal eines Huhns an. Jeden Tag füttert der Bauer das Tier. Dessen Induktionsschluss, es würde immer so weiter gehen, wird eines Tages jäh von den Tatsachen widerlegt: Es wandert in den Grill. (Anm. d. Übers.) 13 Wenn wir einmal für einen Moment vergessen, dass die Inflation für Diversität sorgt, und nur annehmen, dass das Universum unendlich und zufallsbestimmt ist, muss es irgendwo (unendlich oft) riesige Gebiete geben, in denen Leben möglich ist. Wir bewohnen eines von ihnen. Allerdings wären diese großen geordneten Gebiete weit weniger häufig als kleine. Die Inflation stellt nun einen Prozess dar, der erklärt, warum auch große Gebiete mit einer gewissen Häufigkeit entstehen. 14 A. Linde, »The Self-Reproducing Inflationary Universe«, in: Sci. American (November 1994), S. 48–55; siehe auch http://physics.stanford.edu/linde/ 1032226.pdf. 15 E. R. Harrison, »The Natural Selection of Universes Containing Intelligent Life«, in: Quart. J. Roy. Astron. Soc. 36 (1995), S. 193–203. Obwohl der Autor die intelligente Feinabstimmung der Naturkonstanten ›natürliche Selektion‹ von Universen nennt, handelt es sich in Wirklichkeit um eine ›unnatürliche‹ Selektion oder ein Ausbrüten von Universen unter dem Zwang, bestimmte Eigenschaften zu erzeugen. 16 Clarke, Wall der Finsternis, S. 39. 17 Diese Idee, dass die Naturkonstanten ›überarbeitet‹ werden, wenn Materie in einer Singularität von unendlicher Dichte versinkt, wurde zuerst von John Wheeler propagiert. Ein solcher Vorgang läuft ab, wenn ein geschlossenes Universum kollabiert und dann wieder in einen Zustand der Expansion übergeht. (Siehe dazu das letzte Kapitel des Buches Gravitation von Charles Misner, Kip Thorne und John Wheeler) 18 Das ähnelt etwas dem ständigen Konkurrenzzustand in einem evolutionären System, während die zuvor besprochene Situation, in der ein lokales Maximum der Produktion Schwarzer Löcher erreicht wird, eher der Verwirklichung einer Stabilitätsstrategie gleicht, in der jede Abweichung vom Status quo zumindest für einen der Mitspieler böse endet. (Siehe dazu beispielsweise das Buch Evolutionsgenetik von John Smith.) 19 Dies gilt unter der Annahme, dass Konstanten ihre Größe nur an einer Singularität wie dem Sprung vom Big-Crunch zum neuen Big-Bang ändern können. 20 Die totale Energie des Universums ist in jedem Zyklus im Übrigen Null. 21 Dies wurde zuerst in zwei Artikeln des amerikanischen Kosmologen R. C. Tolman angemerkt: »On the Problem of the Entropy of the Universe as a
Anmerkungen
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Whole«, in: Phys. Rev. 37 (1931), S. 1 639–1 660, und ders., »On the Theoretical Requirements for a Periodic Behaviour of the Universe«, in: Phys. Rev. 38 (1931), S. 1 758–1 771. 22 J. D. Barrow u. M. Dąbrowski, »Oscillating Universes«, in: Month. Not. Roy. Astron. Soc. 275 (1995), S. 850–862. 23 Raymo, Skeptics, S. 221.
Literatur
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Das 1 × 1 des Universums
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Register
Abbott, Edwin 195 f. Adams, Douglas 118 Adamson, Gary 80 Allan, Woody 161 Alpher, Ralph 236 Alter, kosmisches 104 – siehe auch Universum, Alter des Ångström (Längeneinheit) 28 Anisotropie 175, 176 Anthropisches Prinzip 133, 153, 156, 159 ff., 171, 180 f., 207 – finales 160 – partizipatorisches 159 – schwaches 155 – starkes 167 ff. Aquin, Thomas von 208 Asteroiden 15, 118 f. Astronomie 59, 105, 128, 131, 234 Atmosphäre 29, 118, 122, 259 – Magnetfeld 118, 230 Atome 12, 23, 26 ff., 38, 50 f., 62, 112, 115 f., 133, 163, 240, 251, 254 – Ununterscheidbarkeit 27 Bahcall, John 237, 239 Beck, Guido 93 f. Bekenstein, Jacob 52 Bennett, Alan 18 Bethe, Hans 93 f.
Big-Bang (Urknall) 107, 109, 125, 132, 153, 173 ff. – Modelle 143 f. Big-Crunch (Endkollaps, Endknall) 141, 161, 163, 172, 174, 255, 268 f. Biochemie 259 Biologie 41, 105, 114, 117, 127, 169 Bohr, Niels 34, 68, 97, 204, 212 Boltzmann-Konstante 37, 45, 70 Bondi, Herrmann 140 ff., 152 Boole, George 197 Born, Max 94, 97, 170 Bouzigues, Dr. H 218 f. Bradley, Francis 208 Brane-Welten 217 Brans, Carl 105 Brillo, John 79 Burke, James Canterbury, Anselm von 260 Carr, Edward H. 185 Carroll, Lewis 84 Carter, Brandon 121, 126, 151 f., 153 f., 155, 157 f., 168 Chaos 15, 262 Clarke, Arthur C. 267 COBE-Satellit 176 f. Conways, John 260 Cowen, George A.
320
Das 1 × 1 des Universums
Crease, Robert 60 Croce, Benedetto 184 f. Csótó, Attila 147 Dabrowski, Mariusz 270 Darvin, Charles 28, 128 David I (König) 20 Deightons, Len 183 Determinismus, rigider 184 Dezimalsystem 20 Dibbon, Edward 186 Dicke, Robert 105, 107–109, 128 f., 133 ff., 137, 151, 154 Dimensionen 27, 189–199, 205 f., 209 f., 214 ff., 260, 271 Dingle, Herbert 97 Dinosaurier, Ausrottung der 119 Dirac, Paul 87, 97, 100–110, 114, 134, 144, 152, 203, 230, 235 DNS 50, 107, 133, 259 Doyle, Arthur Conan 43, 196 Dreieckszahlen 73 f., 77 Drude, Paul 38 f. Duchamp, Marcel 199 Dyson, Freeman J. 152, 231 Eco, Umberto 201 Eddington, Arthur 35, 49, 80 f., 82– 93, 95, 98,100, 104, 106 f., 113 f., 134 f., 246 Eddington-Zahl 86, 88, 98 Ehrenfest, Paul 150, 203–206, 213 Ehrenfestsches Theorem 203 Eichtheorien, moderne 157 Einheiten – metrische 19 – natürliche 34, 36 ff., 42, 51 f. – siehe auch Maßeinheiten Einstein, Albert 29, 31, 34 f., 43, 45, 47 ff., 56–59, 68, 82 ff., 97, 105 f., 163 f., 192, 200 f., 203, 205, 208, 212, 214, 250
Eisenhower, Dwight D. 116 Elektrizität 26, 33, 38 f., 212 Elektromagnetismus 50, 61, 69, 80, 212, 264 Elektron 16, 29, 88 ff., 93, 247, 251 Elementarladung 29, 31, 32, 56, 71, 103 Elementarteilchen 23, 42, 50, 53, 248, 266, 270 Energie (als konservative Größe) 61 Energieerhaltungssatz 105 Energiequellen, unerschöpfliche 162 Energieschleifen (Strings) 68 Erhaltungsgrößen 61 Euler, Leonhard Evolutionstheorie 28, 128, 132, 150 Faraday, Michael 33, 29 Fehler, systematische 136, 245 f. Feinstrukturkonstante 54, 71, 79, 103, 133, 147 f., 156, 171, 181, 214 f., 235, 237 ff., 242–248, 250, 252 ff. Felder, skalare 174 Ferguson, Niall 184, 188 Fermi, Enrico 222 FitzGerald, George 29 Fock, Vladimir 92 Formalismus, mathematischer 258, 260 Fowler, Willy 145 Französische Revolution 21 Fuji, Yasanori 228 Galaxien 15, 42, 82, 99, 112, 129, 143, 176, 235, 246, 250, 264 Gamow, George 49 f., 63 f., 94, 103 f., 109, 230, 235 ff., 239 Gehirn, menschliches 114 f. Geller, Uri 79, 197 Genetischer Code 14, 50, 267 Geologie 104 f., 127, 131, 259
Register
Geometrie 58, 194, 260 Geschichtsschreibung, virtuelle oder kontrafaktische 181, 183 f., 186, 188 Glashow, Sheldon 69 Gödel, Kurt 163 Gödelsche Unvollständigkeit (Arithmetik) 260 Gold, Thomas 140 ff. Gott, Richard 126 Gottesbeweise 149 ff. Goudsmit, Sam 95 Gravitation 54, 61 ff., 70, 82, 105, 118, 174 f., 212 f. Gravitationsgesetz 31, 137, 205 f. Gravitationskonstante 39, 47, 70 f., 101, 105, 134, 144, 250, 254 Gravitationstheorie 83, 106 f., 163 Green, Michael 216 Größen, absolute 48 Grossmann, Marcel 59 Grundeinheiten, praktische 23 Grundkräfte der Natur 61 f. Haldane, John 104 Hardy, Godfrey 261 Harrison, Edward 267 Hawking, Steven 69 f. Heinlein, Robert A. 168 Heisenberg, Werner 52, 68, 80, 109, 203 Heisenbergsche Unschärferelation 54 Heschel, John 33 Hintergrundstrahlung 143, 248 ff. Hinton, Charles 197 f. Holderness, Mike 115 Holderness-Zahl 115 Hooke, Robert 114 Hoyle, Fred 123 ff., 140 ff., 144 ff., 148 f., 232, 225 Hubble-Weltraumteleskop 99, 234
321
Industrielle Revolution 23, 26 Inflation, ewige 264, 266 f. Informationsverarbeitung 52 f., 160, 166, 209, 260 Intel 52 Intelligenz – außerirdische 123 – künstliche 125 – siehe auch Leben, extraterrestrisches Jaspers, Karl 113 Jeans, James 96 Kabbalismus 77 Kaluza, Theodor 211 f., 214 Kaluza-Klein-Theorie 213, 216 Kant, Immanuel 190 ff., 205 Kelvin (Lord) 129, 132 Kernreaktion 82, 109, 145, 157, 220 f., 225 Klein, Oskar 212 Klima 15, 149 – Neigung der Planetenachse 122 Kohlenstoff, Entstehung des 144 ff. Koinzidenzen 73, 78 f., 83, 100, 102, 106, 108, 121, 125, 134 f., 144, 149, 152, 154 f., 159, 235, 250, 267 Kometen 15, 118 f. Komplexität 260, 264, 267, 273 Konstanten siehe Naturkonstanten Konstanz 16, 102, 247 Kopernikanische Wende 57, 59 Kopernikanisches Prinzip 153 Kopernikus, Nikolaus 56, 152 Kosmologie, moderne 50, 111, 114 Kovarianzprinzip 58 Kramers, Hendrik 95 Kuroda, Paul 221 Laskar, Jacob 122 Leben – Einzigartigkeit des 114 – Entwicklung von 120 f., 130 ff.
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Das 1 × 1 des Universums
– extraterrestrisches 112, 121, 124, 160 – grundsätzlich andere Formen von 258 – metaphysische Effekte111 Leibniz, Gottfried Wilhelm 169 Lenin, Wladimir Iljich 195 Lichtgeschwindigkeit 31 ff., 39, 43– 46, 51, 56, 63, 66 ff., 131, 235, 238 Lincoln, Abraham 212 Linde, Andre 179 Livio, Mario 121 f. Lockheed-Martin 18 Lorenz-FitzGerald-Kontraktion 29 Lucas, John 260 Ludwig XVI 21 Magnetismus 26, 38 f., 212 Magueijo, Joao 253 Manhattan-Projekt 222 Mankell, Henning 14 Many-Multiplet-(MM-)Methode 241 Mars Climate Orbiter (MCO) 18 Mascall, Eric 110 Maßeinheiten 19 ff., 23 f., 28, 30, 116 – anatomisch definierte 20 – metrisches System 21 ff. – natürliche 36, 46 – universelle Standards 26 Materie-(Staub-)Ära 251, 254 f. Materieanlagerung 110 Maupertuis, Pierre Louis 169 Maurice de Talleyrand, Charles 22 Maxwell, James Clerk 26 f., 151 McReynolds, J. W. 190 Medcalf, Stephen 79 Michelson, Albert 41 Mikrowellenstrahlung 248 f. Milne, Edward 104, 108 Mini-Universen 180 Minkowski, Herrmann 207 MKS-System (CGS-System) 23, 36
Modell intermittierter Gleichgewichtszustände 104 Moore, Gordon 52 Moores Gesetz 52 f. M-Theorie 65, 72, 80, 171 Multiversen 256 f., 271 Napoleon I 22 NASA 18 f., 176, 250 Naturgesetze 49, 55 ff., 60 ff., 100, 150, 156, 168, 190, 203, 207, 257, 262 Naturkonstanten – dimensionslose 49, 55 – entscheidende Rolle 11 – Größe 11 f., 17, 49, 78, 88, 133, 151, 156 – kosmische Bedeutung 127 – neue 67 – Reduktion 67 f. – Variabilität 67, 70, 182 Naturphilosophie 25, 30 Newton, Isaac 31, 38, 43, 58, 72, 150 Newtonsche Bewegungsgesetze 57, 169, 191 Newtonsche Gesetze 38, 58, 66, 129 Newtonsche Gravitationsgesetze 190 f. Newtonsche Gravitationskonstante 33 Newtonsche Gravitationstheorie (NGT) 65 – nichtrelativistische Quantenversion der (NQGT) 65 Newtonsche Mechanik 64 ff. Numerologie 73 ff., 78, 81 Oakshott, Michael 184 ff. Oberhummer, Heinz 147 Okkultismus 196 Oklo-Reaktor 223–226, 229, 231 f., 239, 244, 253
Register
Oppenheimer, Robert 102 Owen, Wilfred 256 Ozeane, kochende 102 f. Packard, Norman 57 Pantin, Charles 256 f. Parallell-Universum 264, 267 Pauli, Wolfgang 94, 203 Penrose, Roger 260 Picasso, Pablo 199 Planck, Max 34–41, 44, 46, 53, 68, 116 Plancksche Einheiten 38, 51 f., 54 – siehe auch Einheiten, natürliche Plancksches Wirkungsquantum 34, 37, 47, 56, 63, 68, 71, 98 Planck-Zeit 42, 117 Platon 262 Platonische Körper, die fünf 194 f. Polygone 197 Positivismus 39 f. Priestley, John Boynton 99 Protonen 48, 89 ff., 93, 98, 100, 115, 247, 251 Pythagoras 73 ff. Quanteneffekte 51 f., 63, 67, 69, 72, 265, 272 Quantenfeldtheorie (QFT) 65 Quantengravitationstheorie (RQGT) 65 Quantenmechanik 50 f., 65, 66 f., 68, 117, 170, 203 – Unschärferelation der 55 Quantenphysik 63, 204 Quantentheorie 41, 51, 66, 159, 180, 265 Quantenwellenlänge 51 f. Quasare 12, 237 f., 241 f., 248 ff., 253 Quine, Willard 133 Radioaktivität 61, 69, 220, 230 Ramanujan, Srinivasa 61
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Ramsey, Frank 140 Raumkrümmung 251 f., 254 f. Rayleigh, Lord 26 Realität, die Grundstruktur unserer 16 Reichenbach, Hans 189 Relativitätstheorie 29, 63, 128 – allgemeine 44, 50 f., 71, 82, 95, 105, 192, 215, 250 – fünfdimensionale 212 – spezielle 44, 65, 68 Riesenzahlen siehe Superzahlen Riezler, Wolfgang 93 f. Rivers, Joan 20 Rosenfeld, Léon 94 Rosenthal-Schneider, Ilse 34 f., 44f., 46, 49, 200 f. Rotverschiebung 235 ff., 240, 243 ff., 248 f., 253 f. Russell, Betrand 186 Sacharow, Andrej 102 Salam, Abdus Salpeter, Ed 144 Samarium-Reaktion 226 f. Sandvik, Hâvard 253 Santayana, George 139 Sargent, Wallace 237 Sayers, Dorothy 85 Schlattl, Helmut 147 Schmidt, Maarten 237, 239 Schrödlinger 203 Schwarz, John 216 Schwarze Löcher 15, 51 f., 54 f., 69 f., 159, 173, 255, 267, 268 – Ereignishorizont 69 Schwerkraft 31, 38 f., 43, 50 f., 54, 56, 65, 102, 104, 108, 117, 129, 133, 251, 264 Sellers, Peter 102 Shakespeare, William 79, 82 Shields, Brooke 126
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Das 1 × 1 des Universums
Shlyakhter, Alexander 225, 227 f. Singer, Isaac B. 28 Singularitäten 216 Slade 197 Smolin, Lee 267 Sonnenfinsternis, totale 82 f., 85 Spektrallinien 238 ff. Steady-State-Theorie 142, 144, 152 Stewart, James 183 Stoney, George Johnstone 28–34, 36 f., 44, 53, 116 String-Theorien 65, 68, 72, 216 Supernovae 99, 107 Superstring-Theorie 68, 171, 213 Superzahl 90, 98 f., 101, 105, 114 Systeme, komplexe 15, 182, 187 Teller, Edward 102 f., 230 Tensormathematik 59 Tetraktys 77 Theorie für Alles 17, 44, 67 f., 72, 170 f., 181, 257, 266 Theorie, fundamentale 87, 95 f., 108, 152 Thermodynamik 85 f., 269 Thomson, Joseph John 29 Tipler, Frank 12, 121, 160 Tompkins, C. G. H. 63 Trevelyan, George 186 Triple-Alpha-(Salpeter-)Prozess 144, 225 Turing, Alan 29, 104 Uhren, atomare 247 Ulam, Stan 102 Universum – Alter des 100, 109, 116, 129, 137, 247 – Dichte des 112, 116, 174 – Expansion des 51, 128, 138, 140, 161 ff., 172, 175 f., 216, 251 ff., 255, 264, 270
– inflationäre Universen 171, 174, 178 f., 262, 264, 266 – Kältetod des 85, 166 – kritische Grenzlinie zwischen offenen und geschlossenen 172, 174 – kritischer Zustand des 251 Uranisotope 218, 220 ff., 232 f. Urkilogramm 22, 27, 31 Urknall 107 – siehe auch Big-Bang Urkonstanten (ultimate constants) 89 f. Urmeter 22, 26, 31 Vakuumenergie 253, 255, 270 f. Valéry, Paul 98 Viktoria (Königin) 194 Vilenkin, Alex 179 Voltaire 169 Wallace, Alfred 128, 129, 131 f. 170, 206 Weinberg, Steven 69 Wellenfunktion 265 Wells, H. G. 208 Welten, flexible 167, 170 Weyl, Hermann 99 Wharton, Edith 214 Wheeler, John 159, 269 Whitehead, Alfred North 129 Whitrow, Gerald 110, 154, 206 f. Wilde, Oscar 234 Witten, Ed 72 Zahlen – dimensionslose 44 f., 46, 48, 54, 56, 100, 200 f. – perfekte 76 Zahlenmystik 77, 107 Zeitreisen 30, 163 ff., 207 f. Zufälle 36, 82, 184