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Jacques-Michel Robert arbeitet als Arzt an den Hôpitaux de Lyon und ist im Rahmen dieser Tätigkeit seit 1964 Leiter der Abteilung für Genetik am Städtischen Krankenhaus. Seit 1970 bekleidet er an der Fakultät für Medizin in Lyon den Lehrstuhl für medizinische Genetik. In Zusammenarbeit mit seinen Mitarbeitern und Schülern hat er in 30 Jahren die europaweit bedeutendste aktuelle Sammlung von Forschungsergebnissen auf dem Gebiet der Vererbungsforschung erstellt. Jacques-Michel Robert ist in erster Linie ein Lehrender, der sich fortwährend den Fortschritten dieser Disziplin anpaßt. Als studierter Neurologe widmet er sich mittlerweile insbesondere der Lehre der Neurogenetik. Die Neurologie und Genetik haben sich in gleichem Maße weiterentwickelt. Dieses Buch ist der Versuch einer Synthese ihrer gegenseitigen Beziehungen. Wichtigste französischsprachige Veröffentlichungen Jacques-Michel Roberts: Éléments de génétique médicale, Simep, 1968. L'Hérédité et les maladies génétiques de l'enfant, ESF, 1971. L'Hérédite raconté aux parents, Le Seuil, 1978. Comprendre notre cerveau, Le Seuil, 1982. Génétique, de la biologie à la clinique, Flammarion, 1983. L'Aventure des neurones, Le Seuil, 1994.
JACQUES-MICHEL ROBERT
DAS GEHIRN Ausführungen zum besseren Verständnis Anregungen zum Nachdenken Aus dem Französischen von Pia Eisold-Schoppe
DOMINO
DOMINO Band l
Deutsche Erstveröffentlichung © 1994 by Flammarion Der Originaltitel LE CERVEAU ist in der Collection DOMINOS, herausgegeben von Michel Serres und Nayla Farouki, erschienen. © für die deutschsprachige Ausgabe 1998 by BLT BLT ist ein Imprint der Verlagsgruppe Lübbe, Bergisch Gladbach Printed in France, November 1998 Lektorat: Nicola Bartels/Vera Thielenhaus Einbandgestaltung: © Flammarion Satz: Rolf Woschei Druck und Bindung: Groupe Hérissey, Évreux Cedex ISBN 3-404-93001-0 Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort ..................................................................
9
Ausführungen zum besseren Verständnis Wie funktioniert das Gehirn? ................................. Vom Einbaum zum Schiff. ...................................... Der Aufbau............................................................. Die Abläufe ............................................................
11 12 16 50
Anregungen zum Nachdenken Offene Fragen der Gehirnforschung .................... Weshalb kommt es zu Fehlentwicklungen?.............. Weshalb verschleißt das Gehirn? ............................ Weshalb überhaupt ein Gehirn?...............................
59 60 71 91
Anhang..................................................................
105
Fachbegriffe, die im Glossar näher erläutert werden, sind bei ihrer erstmaligen Erwähnung im Text mit einem * gekennzeichnet.
HAMLET. This? FIRST CLOWN. E'en that. HAMLET. Let me see.
Takes the skull. Alas, poor Yorick! — I knew him, Horatio; a fellow of infinite jest, of most excellent fancy; he hath borne me on his back a thousand times; and now, how abhorred in my imagination it is! my gorge rises it. Here hung those lips that I have kissed I know not how oft. Where be your gibes now? your gambols? your songs? your flashes of merriment, that were wont to set the table on a roar? HAMLET. Dieser? Nimmt den Schädel.
ERSTER TOTENGRÄBER. Ja, ja, eben der. HAMLET. Ach, armer Yorick! - Ich kannte ihn Horatio; ein Bursch von unendlichem Humor, voll von den herrlichsten Einfällen. Er hat mich tausendmal auf dem Rücken getragen und jetzt, wie schaudert meiner Einbildungskraft davor. Mir wird ganz übel. Hier hingen diese Lippen, die ich geküßt habe, ich weiß nicht wie oft. Wo sind nun deine Schwänke? deine Sprünge? deine Lieder? deine Blitze von Lustigkeit, wobei die ganze Tafel in Lachen ausbrach? Hamlet, 5. Aufzug, 1. Szene
Vorwort
Prinz begutachtet den ausgegrabenen Schädel Derseines Narren und erinnert sich. In dem jetzt leeren Kopfskelett befand sich einst ein Gehirn. Die Betrachtung eines in Formaldehyd oder durch Tiefkühlung konservierten menschlichen Gehirns löst Bewunderung aus und wirft Fragen auf. Zunächst einmal ist es schwer, sehr schwer. Von allen Organen unseres Körpers ist es das kompakteste. Tief im Innern seiner zahlreichen dicht zusammengedrängten, weißlichen Windungen ist das verborgen, was dem Menschen Leben verliehen hat, was er gesehen, gehört und gedacht hat, was ihn bewegt, verwirrt, mitunter aufgewühlt hat, all das, was er als Kind, Jugendlicher und Erwachsener erlebt und erfahren hat, sein Zögern und seine Entscheidungen, Gefühle wie Liebe und Haß, seine Vorurteile und Pläne. Die Niere ist dagegen lediglich ein Filter, die Leber nur eine Fabrik, die Lunge nur ein Blasebalg und das Herz ein Hohlorgan, das rhythmisch schlägt.
Vom Einbaum zum Schiff
war einmal ein Fluß, der vom Sturm ausgerissene EsBaumstämme in Richtung Meer beförderte. Die Menschen konnten einige aufhalten, setzten sich darauf und ließen sich flußabwärts treiben. Sie nutzten die Strömung, um Zeit und Kraft zu sparen. Schließlich höhlten die Menschen diese Stämme zur Hälfte aus, setzten sich hintereinander hinein und lernten, im Takt zu rudern. Später bekam der Einbaum dann einen Ausleger, um ein Kentern zu verhindern, und ein Steuerruder, damit der Kurs gehalten werden konnte. Mit dem Segel machte man sich die Kraft des Windes zunutze. Mit der Erfindung der Schraube wurden schließlich Schiffe mit Dampf-, Motor-, Turbinen- oder auch Kernenergieantrieb gebaut. Zur aufmerksamen und wachsamen Beobachtung wurden Späher ausgewählt, die sich in kurzen Zeitabständen gegenseitig ablösten. Bis zur Erfindung von Radar und Sonar wurden optische Signale und die »Sprache« der in verschiedenen Farben gehißten Flaggen mit dem Fernglas erfaßt und gedeutet. Das Brückendeck erhielt im Laufe der Jahrhunderte eine zentrale Bedeutung - an diesem Ort wurden wichtige Informationen ausgetauscht und abgestimmt, dort traf der Kapitän auf der Grundlage seines reichen Erfahrungsschatzes eigenmächtig wichtige Entscheidungen.
Die schrittweise Weiterentwicklung vom Einbaum zum Schiff ist das Ergebnis des menschlichen Erfindungsgeistes. Die Natur bot dem Menschen zwar das geeignete Material, dies konnte er aber letztlich nur in Verbindung mit einer einwandfrei angewandten Konstruktion optimal nutzen. Mit den Tausendfüßlern ist es ähnlich: Die Myriapoden zählen zu den Wirbellosen, ihre Herkunft läßt sich nicht mehr zurückverfolgen, und ihr Name ist eigentlich falsch: murias bedeutet im Griechischen »zehntausend« und podes »Füße«, zusammengesetzt also »zehntausend Füße«. Der bekannteste Vertreter aus der Gruppe der Myriapoden ist der Tausendfüßler. Jedes der 21 Glieder, aus denen er besteht, trägt ein Paar Füße: Das macht alles in allem also nur 42 Füße. Obgleich man von der Zahl Tausend weit entfernt ist, blieb der bildhafte Name bestehen. Ein bauchwärts verlaufender Nervenstrang verbindet 21 motorische Ganglien (Nervenknoten) miteinander, die Glied für Glied perlenschnurartig aufgereiht sind. Dies ermöglicht dem Tier eine für die damalige Zeit (Paläozoikum) außergewöhnlich perfektionierte motorische Koordination: Hebt man den Stein, unter dem sich der Tausendfüßer versteckt, läuft er flink davon. Seine äußere Hülle besteht aus Chitin, einer für die Panzer dieser Tiere charakteristischen Gerüstsubstanz. Am »Schädel« des Tausendfüßers sitzen die wichtigsten Signalempfänger, d.h. die Augen und die Antennen, zudem enthält er Nervenganglien für die Wahrnehmung von Reizen oder die Ausgabe von Befehlen. Aber nichts weist auf ein Gehirn nach unserem Verständnis hin. Ein wirbelloses Tier besitzt kein Gehirn. Schaltneurone in seiner Schädeldecke verbinden die Ganglien untereinander. Ankommende elektrische Nervenimpulse werden an
die Peripherie zurückgeleitet - Voraussetzung für die Urreflexe von Leben und Überleben. Ein wirbelloses Tier wie der Tausendfüßer kann uns in Erstaunen versetzen. Doch das Pulver hätte es nicht erfinden können.
Der Aufbau
die Wirbeltiere haben das Privileg, ein wirkAlein liches Gehirn zu besitzen. Bei den ältesten unter ihnen bildet sich entlang des Rückens - nicht bauchwärts wie bei den Wirbellosen — eine neurale Struktur, die sich sehr bald zur Neuralrinne* und schließlich zum Neuralrohr* weiterentwickelt. Das Neuralrohr bildet in der Folge - ähnlich wie beim Blasen von Glas - an seinem Vorderende knorpelig-knöcherne Ausdehnungen, aus denen das Gehirn hervorgeht. Zunächst sind diese viel zu groß, doch der Raum wird schon bald vollkommen ausgefüllt sein. Das Lanzettfischchen (Amphioxus) zeigt im wesentlichen den Grundbauplan der Wirbeltiere. Dieser frühe Vorfahre der Wirbeltiere hat allerdings weder Schwanz noch Kopf (er gehört zur Gruppe der Schädellosen). Sein Körper weist eine innere Segmentierung auf. Dorsal zu der Chorda dorsalis (Vorstufe der Wirbelsäule), die als Stützorgan dient, verläuft das Neuralrohr, das das zentrale Nervensystem darstellt. Ventral befindet sich der Darmkanal mit Kiemenkorb. Das zerebrale Gewebe besteht aus einer einzigen Zellschicht, seine Leistung ist entsprechend begrenzt. Dennoch darf diese Struktur als Urform des Gehirns angesehen werden, aus der schließlich das menschliche Gehirn entstanden ist. Bei den bereits ausgestorbenen sowie den heute noch existierenden Wirbeltieren, Fischen, Amphibien, Repti-
lien und Säugetieren hat sich im Laufe der Zeit das Gehirn Schicht um Schicht vervollständigt. Im Hinblick auf Leistungsfähigkeit und Ausgereiftheit nimmt das menschliche Gehirn dabei die unumstrittene Spitzenposition ein. Das Encephalon umfaßt all das, was sich im Kopf eines Wirbeltieres befindet: das eigentliche Gehirn, aber auch das Kleinhirn* und das verlängerte Mark (Medulla oblongata*). Das Rückenmark wird im allgemeinen nicht dazugerechnet. Das verlängerte Mark, das sich kopfwärts ans Rückenmark anschließt, ist das Zentrum des Lebens: Es kontrolliert den Blutdruck, reguliert die Atmung und den Schluckmechanismus. Die Kinderlähmung verlief, als noch kein Impfstoff bekannt war, häufig deshalb tödlich, weil das krankheitsverursachende Virus rasch vom Rückenmark in die vitalen Zentren des verlängerten Marks wanderte. Der plötzliche Kindstod, der eintritt, weil das Neugeborene »das Atmen vergißt«, ist in den
meisten Fällen sehr wahrscheinlich auf eine Funktionsstörung der Medulla oblongata zurückzuführen. Ein Boot ohne Ausleger und Ruder wird irgendwann entweder an einem Riff zerschellen oder stranden. So wie ein Mensch, der unter starkem Alkoholeinfluß steht, hin- und herschwankt, sich im Kreis dreht und hinfällt, weil durch den Alkohol zuerst das Kleinhirn angegriffen wird. Auch die Nervenzellen, die nicht weit entfernt von diesem Organ mittels chemischer Moleküle den Schlaf-/Wachzustand steuern, werden nicht verschont. Weiter oben teilt sich der Hirnstamm* und dringt links und rechts in die Tiefe der entsprechenden Hemisphären ein, wo sich das eigentliche Gehirn befindet. Ein Abstecher in die Tierwelt ist in diesem Zusammenhang sehr aufschlußreich. Im Kopf eines Fisches findet man unter dem knorpelig-knöchernen Schädeldach außer einem Gebiß mit scharfen, spitzen Zähnen - insbesondere, wenn der Fisch ein Fleischfresser ist - (fast) nichts: lediglich einige weißliche Körner. Fährt man mit dem Finger das Schädeldach eines Vogels entlang, ertastet man einen auffallenden Vorsprung, in dessen Innern ein recht großes Organ zum Vorschein kommt. Das Gehirn? Nein, es handelt sich um das Kleinhirn, dem der Vogel seine außergewöhnlichen Flugfähigkeiten verdankt: Er hält bei allen Flugmanövern stets das Gleichgewicht und findet mühelos seinen Kurs, selbst bis ins zum Teil weit entfernte Winterquartier. Vor dem voluminösen Kleinhirn liegt das eigentliche Gehirn des Vogels: winzig, flach, geradezu erbärmlich, nahezu ohne Rinde. Auch das Gehirn eines Schafs mit seinen deutlich getrennten Hemisphären ist kein Beispiel für Vollendung. Im Vergleich zum Gehirn des Lanzettfischchens ist es allerdings deutlich weiterentwickelt. Wenn man die
Hirnhäute wegprepariert, sind seine durch Furchen (Sulci) getrennten Windungen (Gyri) deutlich zu sehen. Das Gehirn des Schafs ist wie bei allen Säugetieren vollkommen »kortikalisiert«. Die grauen Nervenzellen der Großhirnrinde (Cortex cerebri*) haben sich bis zu einer bestimmten Anzahl geteilt und dann untereinander so viele Verbindungen geknüpft, daß sie den Raum, der ihnen zur Verfügung stand, schließlich vollends ausgefüllt haben. Bereits Reptilien weisen Strukturen auf, die Fontanellen* ähneln. Was genau sind eigentlich diese Fontanellen? Ambroise Paré wurde als erster auf die häutigen Zwischenräume in den Schädelknochen Neugeborener aufmerksam und taufte sie »kleine Fontainen«. Beim Abtasten des Schädels eines toten Säuglings hatte er festgestellt, daß die Gehirn-Rückenmark-Flüssigkeit (Liquor cerebrospinalis*) nur von einer dünnen Schutzhaut umgeben ist. Beim Säugling verläuft die auffälligste dieser Knochenlücken von der Nasenwurzel bis zur Schädelkuppe. Sie schließt sich langsam bis zum dritten Lebensmonat, und im Verlauf der folgenden Monate verknöchern alle Fontanellen. Ohne Fontanellen geboren zu werden bedeutet eine schwere Fehlbildung. Man spricht von Kraniostenose, die oft genetischen Ursprungs und folglich vererbbar ist: Das Gehirn ist Gefangener seines nicht ausdehnbaren Schädels, und die intellektuelle Beeinträchtigung ist erheblich. Zudem werden die Sehnerven zusammengedrückt, was zur Erblindung des Betroffenen führen kann. Nur im ganz frühen Stadium kann ein Neurochirurg die verknöcherten Nähte öffnen, indem er zur Druckentlastung künstliche Spalten in die Knochenplatten des Schädels einfügt. Das Gehirn hat nach diesem Eingriff wieder ausreichend Platz zur
Ausdehnung, so daß sich Intellekt und Sehvermögen normal entwickeln können. Die Zahlen sprechen für sich. Vergleicht man das Gewicht des kindlichen Gehirns mit dem eines Erwachsenen, sieht das Ergebnis folgendermaßen aus: Bei der Geburt beträgt sein Gewicht ein Viertel des ausgewachsenen Gehirns, im Alter von sechs Monaten die Hälfte, im Alter von zwei Jahren hat es etwa 80 % erreicht. Der durchschnittliche Kopfumfang bei einem reifen normalen Neugeborenen beträgt 34 cm. Beim Erwachsenen liegt er zwischen 56 und 60 cm.
Das verlängerte Mark — der Maschinenraum
Das verlängerte Mark, die Medulla oblongata, hat zentrale Bedeutung. Es regelt die Vitalfunktionen des Körpers. Generationen von Abiturienten haben im Biologieunterricht von der Existenz des vitalen Knotens* von Flourens (1794-1867, Nachfolger von Cuvier am Collège de France) erfahren. Wenn man mit einer langen Nadel in den oberen Nacken eines Hundes sticht, ist dieser auf der Stelle tot. Vermutlich erklärt dies auch das tödliche Ende der Stiere in der Kampfarena oder das diskrete Ableben einiger Opfer in den Romanen Agatha Christies. Unabhängig von Befehlen, die sie von übergeordneter Stelle erreichen, erfüllt die Medulla oblongata allein drei Funktionen: Die erste betrifft die Regulierung der Atmung, wobei ein Nervenzentrum das Ein-, ein zweites das Ausatmen steuert. Diese Struktur ist zwar uralt, doch ihr einwandfreies Funktionieren ist Voraussetzung dafür, daß zum Beispiel ein bewußtlos gewordener Verunglückter, dessen Atmung zeitweilig aussetzt, wieder ins Leben zurückgeholt werden kann. Ein anderes, weniger
dramatisches Beispiel sind die lauten Schnarcher, die das Schlafzimmer zumeist für sich allein haben: Die elektronische Aufzeichnung des Schlafrhythmus extremer Schnarcher registrierte Atemstillstände (Apnoen) von bisweilen weit mehr als einer Minute, bevor die Medulla schließlich reagierte und den dringend erforderlichen Befehl zum sofortigen Einatmen gab. Bei manchen dieser zumeist älteren Patienten männlichen Geschlechts, die getrennt von ihren Partnerinnen schlafen, kann sogar eine ununterbrochene nächtliche Sauerstoffzufuhr mit Maske und Flasche unbedingt notwendig sein. Hierdurch ist es möglich, einer Unterversorgung des Gehirns mit Sauerstoff vorzubeugen, die schwerste Schäden verursachen kann, wie zum Beispiel die Lähmung einer Körperhälfte (Hemiplegie) als Folge eines Schlaganfalls. Die zweite Funktion der Medulla betrifft die Aufrechterhaltung des Herzrhythmus mit einem Zentrum für die Beschleunigung und einem zweiten für die Verlangsamung der Herzschlagfolge. Diese Zentren übermitteln ihre Befehle über den sogenannten Vagusnerv. Bei einzelnen Personen kann der starke Fingerdruck auf die Augäpfel eine kurze Hirndurchblutungsstörung mit plötzlichem Bewußtseinsverlust (Synkope) und zeitweiligem Stillstand des Pulsschlages auslösen. Dieser Bulbusdruckreflex läuft über die Medulla. Die dritte Funktion der Medulla ist die Aufrechterhaltung des Blutdrucks. Das verlängerte Mark enthält Zentren, deren Befehle die Engstellung (Vasokonstriktion) bzw. Weiterstellung (Vasodilatation) der Gefäßmuskulatur bewirken. Diese Zentren werden von Druckrezeptoren, die an der Karotidenwand sitzen und empfindlich auf Blutdruckveränderungen reagieren, alarmiert und korrigieren sogleich den Druck im Gehirn, um Schwindelgefühle zu verhindern, wie beispielsweise plötzliche kurze Ohn-
macht, die auftritt, wenn man sich zu abrupt aus der liegenden in die stehende Position begibt.
Das Kleinhirn: der Kiel und das Ruder
Das Kleinhirn liegt in der hinteren Schädelgrube, unterhalb des Großhirns. Von den Anatomen wird diese Stelle als Fossa cranii posterior bezeichnet. Anhand der direkten Verbindung zu den häutigen Bogengängen im Vorhof des Innenohrs, die dreidimensional im Raum ausgerichtet sind, analysiert das Kleinhirn fortwährend die Körperstellung, unabhängig davon, ob die Augen geöffnet oder geschlossen sind. Mit dem Begriff Vestibularisschwindel, der zahlreiche Ursachen haben kann, sind u.a. die heftigen Schwindelanfälle gemeint, die Prosper Ménière (1801-1862) beschrieben hat. Sie führen nicht zum Tod. Erwachsenen, die von ihnen plötzlich heimgesucht werden, bleiben sie jedoch meist als ausgesprochen unangenehm in lebhafter Erinnerung. Das Kleinhirn stellt dem Organismus jene Nervenzellen zur Verfügung, die er benötigt, um sich aufzurichten. Das Kleinkind muß mühsam lernen, gegen die Schwerkraft anzukämpfen, sich aufzurichten und anders als nur auf allen Vieren zu laufen. Nach zahlreichen mißlungenen Versuchen und vielen Stürzen stellen sich im Alter von etwa einem Jahr erste Erfolge ein. Ein Kind, das mit zwei Jahren noch nicht allein laufen kann, leidet an einer schweren Störung des Muskeltonus (Tonus = Spannungszustand), deren Ursache möglicherweise im Kleinhirn zu finden ist. Das Kleinhirn ist zudem das automatische Koordinationszentrum für diverse willkürliche Bewegungen: mit
dem Fuß den Takt schlagen, aus einem Glas trinken, gehen, herumzappeln. Alle diese Bewegungen sind in ihrem Ablauf äußerst komplex. Das Kleinhirn der Säugetiere setzt jede Bewegung, die von der Großhirnrinde initiiert wird, adäquat um. Es erfaßt die Entstehung, schätzt die Auswirkungen ein und steuert alles bis zur korrekten endgültigen Ausführung. Eine Störung dieser besonderen Funktion äußert sich durch einen sogenannten zerebellaren Tremor (Muskelzittern), ausgelöst durch eine gestörte Kontinuität der Kontraktion der bei der willkürlichen Bewegung beteiligten Muskeln. Der Patient verfehlt sein Ziel (beispielsweise bei geschlossenen Augen die Nasenspitze, an die er den Zeigefinger führen soll, den Docht der Kerze, die er anzünden, ein Glas, das er ergreifen soll). Seine Bewegungen ähneln denen eines Betrunkenen, Sprache und Schrift verändern sich merklich.
Das Mittelhirn: der Ausguck Lange Zeit galt das Mittelhirn*, oder das »Gehirn der Mitte«, lediglich als einfache Durchgangsstation zwischen dem verlängerten Mark und den Hirnhemisphären. Dies ist grundsätzlich korrekt: Milliarden von Nervenfasern (Axone*) leiten aus der Großhirnrinde Befehle zur Bewegungssteuerung weiter. In umgekehrter Richtung geben Axone wiederum Informationen vom Körper über Tast-, Wärme- und Schmerzempfindungen an den Kortex. Anatomische Untersuchungen haben jedoch gezeigt, daß sich auch im Innern dieser unentbehrlichen Leitungsbahnen Zentren befinden, denen eine große Bedeutung zukommt. Im Mittelhirn liegen die Zentren, die für die Motorik
der Sehorgane zuständig sind. Personen, die schielen (sog. Strabismus), leiden sehr häufig an einer Augenmuskelstörung, die durch einen chirurgischen Eingriff oder durch ein entsprechendes Training (Sehschule) beim Orthoptisten behoben werden kann. Einen Vogel oder auch ein Flugzeug mit dem Auge zu verfolgen ist ein äußerst komplexer Vorgang, bei dem die exakte Ausrichtung des Auges durch Tausende von Nervenzellen gesteuert wird. Im Koma dagegen, ausgelöst durch ein Schädeltrauma oder eine Enzephalitis (Entzündung des Gehirns), blicken die Augen des Patienten unkontrolliert in entgegengesetzte Richtungen. Dieser außer Kontrolle geratende Blick, der auf eine Lähmung der Sehnerven zurückzuführen ist, beruht auf einer schweren Schädigung des Mittelhirns. Die im Mittelhirn angesiedelten Zentren, die maßgebend sind für Vigilanz, Schlaf und Traum, funktionieren auf der Grundlage von Zell- und Faseranhäufungen, die zur Formatio reticularis* gehören, einem »Maschenwerk«, das das verlängerte Mark und die Brücke (Pons cerebri*) mit den Kernen des Mittelhirns verbindet. Wenn man sich am Abend zu Bett begibt, dämmert man allmählich aus dem Wachzustand in einen ersten Schlaf, der etwa 90 Minuten dauert. Danach beginnen die verschiedenen etwa 20minütigen Traumphasen, die mit Unterbrechungen bis zum Aufwachen am Morgen anhalten. Der Träumende hat die Augen halb geöffnet, seine Augäpfel sind in ständiger Bewegung, seine Muskeln entspannt. Obwohl er tief schläft, vollführt sein Gesicht Bewegungen (Grimassen, Lächeln). Weckt man den Träumenden unvermittelt aus diesem »paradoxen Schlaf« (die Bezeichnung wurde von Michel Jouvet geprägt), kann er im allgemeinen seinen soeben erlebten Traum wiedergeben.
Eine weitere wichtige Aufgabe, die das Mittelhirn übernimmt, ist die Steuerung von Tonus und Bewegungsapparat. Eine zufällige bzw. im Tierversuch bewußt vorgenommene Durchtrennung der Hirnstiele (Pedunculi cerebri*) oberhalb der roten Kerne (Nuclei rubri*) führt zu einer schweren Hirnschädigung. Eine Schädigung der empfindlichen Nervenzellen der Substantia nigra* löst die Parkinson-Krankheit aus, deren auffälligste Symptome sich in der Körperbewegung äußern: fehlende Mitbewegungen, kleinschrittiger Gang, Beugehaltung von Rumpf und Gliedern, eng am Körper gehaltene Arme. Der Patient leidet an einem charakteristischen Tremor, vor allem an den Extremitäten: Man hat den Eindruck, als zerkrümele er fortwährend Brot zwischen seinen Fingern oder als zähle er Münzen. Im Sitzen vollführen seine Beine Bewegungen wie beim Radfahren. Eine Degeneration des weiter oben liegenden Nucleus caudatus* liegt der Huntington-Chorea zugrunde, einer Erkrankung, bei der der Patient an starken Bewegungsstörungen leidet (Chorea > griech. choreia = »Tanz, Reigen, Veitstanz«).
Der Hypothalamus: zentrales Regulationsorgan der vegetativen Funktionen
Das Zwischenhirn* (Diencephalon) besteht aus verschiedenen Regionen, die jeweils wichtige Steuerfunktionen übernehmen: der Thalamus*, eine Art Sammelstelle in Miniaturformat, empfängt, ordnet und selektiert alle Sinnesreize und leitet sie zur Analyse an die Großhirnrinde weiter; die Zirbeldrüse (Epiphyse*), ein oberhalb des Thalamus liegendes Uhrwerk, steuert den Biorhythmus, insbesondere die unter dem Einfluß von
Licht, Wetter und Jahreszeit oft wechselnden Stimmungslagen. Descartes erklärte die Hirnepiphyse (zu Unrecht) zum Zentrum des Geistes, weil sie sich - anatomisch betrachtet - als unpaares Organ weit oben im Gehirn befindet. Der Hypothalamus* als eigentliches Regulationszentrum für die vegetativen Funktionen liegt, wie schon sein Name verrät, unterhalb des Thalamus. Gemessen an seinen zahlreichen bedeutenden Steuerfunktionen ist der Hypothalamus in seiner räumlichen Dimension sehr klein (der Neurochirurg Harvey Cushing sagte einst, man könne ihn unter dem Daumennagel verstecken). Gemeinsam mit der Hirnanhangdrüse (Hypophyse*), die sich unterhalb anschließt, bildet der Hypothalamus das Hypophysen-Zwischenhirn-System, über das im Verlauf eines Lebens riesige Mengen von
Hormonen (> griech. hormao = »antreiben«) in den Blutkreislauf ausgeschüttet werden. Ihre Aufgabe besteht darin, die Sekretion der endokrinen Drüsen (endokriner Teil der Bauchspeicheldrüse, Nebenniere, Schilddrüse, Eierstöcke, Hoden etc.) zu regulieren. Bei einer übermäßigen Stimulation der Hormonausschüttung versucht die endokrine Drüse, diese gefährlichen Befehle, die zu ihrem Tod führen können, zu bremsen. Wird der zentrale Impuls dagegen schwächer, reagiert sie wiederum entsprechend: Die Hormonausschüttung läßt sich jeweils durch diese Gesetze der Biokybernetik aufs Nanogramm genau bestimmen. Durch einen Rückkopplungsmechanismus, der sensibel auf den Hormonspiegel im Blut reagiert, kann fortwährend die Aktivität dieser Hypothalamusregion gesteigert, gebremst oder gestoppt und somit reguliert und normalisiert werden. Mit diesen Steuerzentren sind demnach die Voraussetzungen dafür gegeben, daß das Herz schlägt und die Lungen atmen (Medulla), daß der Mensch sich im Raum orientieren, daß er geradeaus gehen und sich aufrecht halten kann (Kleinhirn), er Augen und Kopf derart bewegen kann, daß er eine Beute ausmachen oder eine Bedrohung erkennen, daß er wachen oder schlafen kann (Mittelhirn). Als Warmblüter muß der Mensch ferner seine Körpertemperatur regulieren, essen, wenn er Hunger verspürt, trinken, bis sein Durst gestillt ist, und sich paaren, um die Nachkommenschaft zu sichern und seine Art zu erhalten. Das Hypophysen-ZwischenhirnSystem reguliert die Körpertemperatur, die Nahrungsund Flüssigkeitsaufnahme, den Sexualtrieb, den Beginn des Geburtsvorgangs und die anschließende Stillzeit. Selbst bei der Reaktion auf Streß spielt es eine wichtige Rolle. Thermorezeptoren an der Körperoberfläche informieren den Hypothalamus (genauer gesagt den Nucleus
praeopticus, der sich beiderseits vor der Sehnervenkreuzung befindet) über die Umgebungstemperatur. Der Hypothalamus reagiert dann entsprechend auf diese Informationen: Bei ansteigenden Temperaturen setzt die Schweißbildung ein, durch den Verdunstungsvorgang wird die Haut abgekühlt, die Gefäße an der Körperoberfläche sind stärker geweitet, die Atmung wird beschleunigt, die Bewegungshäufigkeit nimmt ab. Bei plötzlich sinkenden Temperaturen fängt der Mensch an zu zittern, die Körperhaare stellen sich auf, Gesicht und Extremitäten erblassen, was den Kalorienverlust verringert, und die Bewegungshäufigkeit nimmt zu (Händereiben, Tänzeln). Sowohl anhaltende Unterkühlung als auch zu große Hitze können zum Tod führen, wenn der Regulationsmechanismus überfordert ist. Das Loch im Magen — Signal für einen sinkenden Blutzuckerspiegel — alarmiert die für die Nahrungsaufnahme zuständigen Bereiche des Hypothalamus. Eine Zerstörung dieser Region beim Tier bedeutet dessen baldigen Tod durch eine Anorexie (Appetitlosigkeit), der keine psychische Ursache zugrunde liegt. Ein an Ratten durchgeführtes Experiment hat auf der anderen Seite gezeigt, daß eine Zerstörung der Hypothalamusregion, die das Sättigungsgefühl reguliert, einen auffälligen Heißhunger auslöst, der in kürzester Zeit zu einer gewaltigen Fettleibigkeit führt. Diese Zusammenhänge sind in Wirklichkeit noch etwas komplexer, da über das Nervensystem auch der Geruchs- und Geschmackssinn miteinbezogen werden. Der osmotische Druck* wird durch Osmorezeptoren reguliert. Das Durstgefühl stellt sich ein, wenn das Blutserum zuviel Salz und zuwenig Wasser enthält. Der stimulierte Hypothalamus setzt daraufhin ein antidiuretisches Hormon frei, das in der Neurohypophyse gespei-
chert wird: Die Urinmenge wird sofort verringert, wodurch verhindert werden kann, daß der Körper einen zu großen Harnverlust erleidet, und der Salzgehalt des Blutplasmas normalisiert sich. Das Regulationszentrum für Sexualität und Fortpflanzung befindet sich in den hinteren Kerngebieten des Hypothalamus und ist mit der Hypophyse verbunden. Es steuert u.a. das Triebverhalten, das im Gegensatz zur Tierwelt beim Menschen nicht jahreszeitbedingt ist, bestimmt den Beginn von Pubertät und weiblicher Menstruation, das zwischengeschlechtliche Werben und Imponiergehabe sowie den anschließenden Geschlechtsakt, trägt zum Gelingen der Befruchtung und zum erfolgreichen Schwangerschaftsverlauf bei, beeinflußt maßgeblich den Geburtstermin, reguliert das Einsetzen der Milchproduktion und schließlich Stillphase und Mutterschaft. Der Begriff Streß wurde 1936 von Hans Selye in einem Artikel der Zeitschrift Nature eingeführt. Einen großen Bekanntheitsgrad erreichte er dann zunächst durch den Franzosen Henri Laborit, der den Begriff in seinen Ausführungen zur »Agressologie« verwendete. Seit dieser Zeit bezeichnet man in der Öffentlichkeit fast jede Form von Belastung als Streß. Vielleicht zu Unrecht, aber birgt nicht auch unser moderner Streß die Gefahr, durch eine bedrohliche Umwelt das physische oder psychische Gleichgewicht zu verlieren? Also wie früher Flucht oder Kampf? Oder ist der erhöhte Ausstoß an Adrenalin*, der uns schlagartig töten oder auch retten kann, in unserer Gesellschaft nicht mehr als ein beliebtes Gesprächsthema? Ausgelöst wird er durch die Stimulierung der inzwischen definierten Achse HypothalamusHypophyse-Nebenniere. Bei der Behandlung betroffener Personen werden Neuroleptika, Neuranalgetika und star-
ke Beruhigungsmittel eingesetzt, die die Gestreßten, wenn der Hypothalamus auszufallen droht, noch einmal vor dem in einigen Fällen sicheren Tod bewahren.
Das limbische System: Steuerzentrum für Gedächtnis und Gefühle Der oberhalb von Zwischenhirn und Hypothalamus liegende Bereich des menschlichen Gehirns ist so kompliziert gebaut, daß wir aus Platzgründen keine genaue Analyse vornehmen können. Diese auch als limbisches System bezeichnete Region, die von Sigmund Freud - in seiner Eigenschaft als Neurologe - zunächst mit dem Skalpell erforscht und schließlich durch analytische Gespräche mit Patienten entschlüsselt wurde, steht heute im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit von Neurophysiologen, Neuropharmakologen und zahlreichen Spezialisten, die sich Neurokognitivisten nennen. Diese Hirnregion erinnert sich. Ohne Erinnerung, ohne Gedächtnis ist soziales Leben für ein Säugetier in der Tat undenkbar. Das wiederholte Zurückgreifen auf Erinnerungen und Erfahrungen ermöglicht die für das alltägliche Leben und den Erwerb eines Berufs unerläßlichen Lernprozesse. Die wahrgenommenen Empfindungen werden überprüft und verarbeitet, bisweilen auch verdrängt, können jedoch im gegenwärtigen Verhalten wieder abgerufen und neu bewertet werden und bestimmen dann Gefühle wie Leidenschaft, Liebe, Haß, Freude oder Ärger, die abhängig von den Begleitumständen und Personen entweder hartnäckig im Gedächtnis verankert bleiben oder aus der Erinnerung herausfallen. Das Gedächtnis ist »eine Art eigensinniger neuronaler Weber, der fortwährend die Fäden des Wissens, die in
ihrer Gesamtheit das menschliche Leben bilden, miteinander verknüpft« (Bernard Schott, 1988). Wie eine ausgebrannte Stadt müssen Menschen, die ihr Gedächtnis verloren haben, auf ihre Archive verzichten. Sie können zwar sehen, hören, sprechen und sich fortbewegen, erkennen jedoch nichts mehr von dem wieder, was sie umgibt. Der eigene Körper und ihre Lebensgeschichte sind ihnen fremd und interessieren sie nicht. Nirgendwo im Gehirn gibt es eine eigene spezifische Region für die Gedächtnisleistung. Es bleibt daher noch viel zu entdecken, und sei es nur der Ort, an dem unsere allerersten Erinnerungen abgespeichert werden. Auf die Frage, welches das früheste Ereignis im eigenen Leben ist, an das man sich erinnern kann, erfährt man zuweilen Erstaunliches: Eine Person zum Beispiel, deren Vater im Krieg gefallen ist, als sie sechs Jahre alt war, erinnert sich weder an das Aussehen des Vaters noch an seine Stimme oder Gesten. Gäbe es nicht die Photographien, hätte man ihr nicht unzählige Male von den Umständen erzählt, unter denen der Vater ums Leben gekommen ist, oder ihr die an der Front erkämpften Auszeichnungen gezeigt, dann würde dieser Vater für sie nicht existieren. Andere hingegen erklären: »Mein jüngster Bruder ist zwei Jahre jünger als ich. Ich sehe noch, wie er neugeboren in seiner Wiege liegt.« Sechs Jahre, zwei Jahre, der Unterschied ist nicht so bedeutend. Doch was war vor diesen zwei Jahren? Die gerührten Gesichter der Großeltern über der Wiege, der Geruch der Mutterbrust, die ersten Freunde, die Bäume im Garten, unter denen man gespielt hat — wo sind sie gespeichert? Niemand kann hierzu Genaueres sagen. Die Analytiker versuchen, mit der Theorie einer Entwicklung in mehreren Stufen eine Erklärung für bestimmte Neurosen zu finden. Bereits die frühere Neurologie unterschied zwischen
dem Gedächtnis für weit zurückliegende Erlebnisse (retrogrades Gedächtnis) und jenem für neuere Erlebnisse (anterogrades Gedächtnis). Diese Unterscheidung ist bis auf kleine Abweichungen noch heute gebräuchlich. Bei den Erzählungen alter Menschen vom Krieg beispielsweise, von erlebten Siegen und Niederlagen, fällt immer wieder auf, an wie viele Details sich diese Menschen noch erinnern können: Namen von Vorgesetzten und Kriegskameraden, verlorene oder eroberte Städte, Regimentsnummern. Dieselben alten Menschen würden jedoch am Morgen niemals ohne einen Einkaufszettel zum Einkaufen gehen. Die heute verwendeten Begriffe Langzeit- und Kurzzeitgedächtnis entsprechen nahezu der alten Unter-
teilung. Jeder kann sechs, sieben oder auch acht Zahlen aus dem Gedächtnis wiedergeben. Mit zunehmendem Alter oder wenn die Zahlenreihe anschließend nicht unmittelbar oder nur selten abgerufen wird, vergißt man bereits nach einigen Minuten, spätestens nach ein paar Tagen einzelne Teile, was allerdings nicht sonderlich beunruhigend ist. Es ist auch bekannt, daß nach einem Schädeltrauma, dem ein Gedächtnisverlust folgt, die Erinnerung an die Augenblicke, die dem Unfall vorangegangen sind, für eine mehr oder weniger lange Zeit wie ausgelöscht ist (allerdings weiß man dieses Phänomen nicht zu erklären). Das Gedächtnis ist zunächst Erlebniseindruck und danach entweder Speicherung (die Neurophysiologen sprechen hier von Engrammen) oder auch nicht - je nachdem, ob das Erlebnis in eine bestimmte Region des zentralen Nervensystems transportiert wurde, aus der es bei Bedarf wieder abgerufen werden kann. Dieser Abruf erfolgt zum Teil mit Unterstützung von Ideenassoziationen, die auch personalisiert sein können. Bei manchen Menschen ist das Gedächtnis visuell betont. Sie müssen einen Satz, eine Nummer, eine Information lesen bzw. eine Abbildung betrachten, um sie sich merken zu können. Andere haben ein eher auditives Gedächtnis: Zwei zufällig gehörte Takte eines klassischen Werkes, dessen Klängen sie oft gelauscht haben, genügen ihnen, um sich an das entsprechende Werk und den Komponisten oder Interpreten zu erinnern. Musikalisches Fachwissen spielt in diesem Fall keine Rolle. Manche wiederum helfen ihrem Gedächtnis dadurch nach, daß sie beispielsweise den Namen, den sie behalten möchten, in Gedanken aufschreiben oder ihn vor sich hin murmeln. Diese mentalen oder motorischen Wiederholungen führen allerdings mit-
unter zu albernen Verhaltensweisen wie dem Knoten im Taschentuch, der an ein wichtiges zukünftiges Ereignis erinnern soll, wobei es nicht selten vorkommt, daß man den eigentlichen Grund für die Erinnerungsstütze vergißt. Die Gedächtnisleistung ist insbesondere unter dem Aspekt der Dynamik zu sehen: In Abhängigkeit vom Alter wird sie zunächst reicher, dauert fort und baut schließlich wieder ab. Das ganze Leben hindurch findet dabei unter dem Druck immer neuer Informationsfluten und Anforderungen ein ständiger Reorganisationsprozeß statt. Dieser Prozeß ist für die Aufrechterhaltung eines inneren geistigen Bildes unerläßlich. Es gilt von einer noch abrufbaren Vergangenheit zu profitieren und zugleich die Zukunft anzugehen, indem man ihr gedanklich vorgreift. Durch eine Fülle von zumeist notwendigen Reizen wird der Kontakt zwischen Nervenzellen hergestellt. Die Synapsen* (> griech. synapsis = »eng verbunden«) werden verschaltet, aktiviert und gefestigt. Nur selten genutzte Verbindungen werden dabei zugunsten häufiger genutzter, stabiler Wege aufgelöst. Ein Bild aus der Pflanzenwelt bietet sich zum Vergleich an: Der tüchtige Gärtner entfernt an seinen Rosen »schmarotzende« Zweige ohne Blüten und Knospen, um die vielversprechenden knospenreichen zu stärken und der Pflanze somit zu voller Pracht zu verhelfen. Die Beobachtungen der Neurochirurgen, die Pathologie der Nerven und die Schäden, die diese anrichten kann, haben die Aufmerksamkeit auf das limbische System gelenkt, insbesondere auf zwei seit langem gut bekannte Strukturen: einmal auf die Gehirnwindung (Gyrus cinguli) und die Kerne des Hippocampus*, zum anderen auf den Mamillarkörper (Corpus mamillare*).
Die ungewöhnliche Bezeichnung Hippocampus leitet sich aus seiner Form ab: Im Frontalschnitt erinnert der sichelförmig gekrümmte Längswulst an die Figur eines Seepferdchens. Die Existenz dieser Hauptkomponente des limbischen Systems geht zurück auf die späten Reptilien. Der Hippocampus, dessen stark gefaltete, verdichtete Struktur auf die zahlreichen Zellteilungen im Fötalstadium zurückzuführen ist, befindet sich am Boden der Gehirnhemisphären. Die bereits mit Engrammen versehenen Nervenzellen des Hippocampus vergleichen fortwährend die neu empfangenen Erlebnis-/Reizeindrücke mit den bereits gespeicherten Gedächtnisspuren. Durch diesen Bezug auf frühere Erfahrungen ziehen sie aus jedem Mißerfolg eine Lehre und ermöglichen es dem Organismus somit, sich entsprechend anzupassen. Sie sind zudem in der Lage zu erkennen, ob der Reiz eine völlig neue, noch nicht registrierte Information beinhaltet. Aus den vielen sensorischen und sensiblen Reizen, die sie empfangen, trennen sie in sehr kurzer Zeit das, was sie bereits kennen, von dem, was neu und bereichernd, aber auch manchmal beunruhigend ist. Der Mamillarkörper, der neben dem Hippocampus seinen Teil zur Gedächtnisleistung des Gehirns beiträgt, hat verschiedene Funktionen: Bei einer irreversiblen Zerstörung seiner Nervenzellen, wie sie sehr häufig bei chronisch Alkoholkranken auftaucht, betreffen die sehr auffälligen Symptome insbesondere das Kurzzeitgedächtnis. Der Kranke kann sich an nur kurz zurückliegende Ereignisse nicht erinnern (anterograde Amnesie), wohingegen weiter zurückliegende Erinnerungen präsent sind. Um das Gesicht zu wahren und zumindest ein Minimum an sozialer Kommunikation aufrecht zu erhalten, erzählt der Betroffene zumeist ununterbrochen von irgend etwas, in einer auffälligen Euphorie, hinter der er vermutlich seine
Angst versteckt und in der er bisweilen sogar Menschen um den Hals fällt, die er niemals gesehen hat. Das limbische System, in dem Gedächtnis/Lernen und Gefühlsleben eng miteinander verknüpft sind, wurde lange Zeit verkannt. Seine Strukturen verleihen ihm ein äußerst subtiles, aber auch verletzliches Wahrnehmungssystem, über das beispielsweise das Gehirn der Eidechse oder der Hirnstamm des Fisches nicht verfügen. Durch die Bezugnahme auf die bereits gespeicherten Inhalte entscheidet das System, ob auf eine sensorische oder sensible Information eine emotionale Resonanz erfolgen sollte. Hiervon hängt zu einem großen Teil der Grad der Sozialisierung und der Integration eines entwickelten Säugetiers in seine Gruppe ab. Auf der Grundlage eines individuellen Erlebnisses werden dann nuanciert stereotype Einstellungen entwickelt. In der Region des limbischen Systems werden zudem leidenschaftliche Gefühle und Empfindungen wie Freude bzw. Mißfallen erzeugt und irgendwo inmitten dieser Kreisläufe memorisiert (wenngleich sich die Ergebnisse von Experimenten an Ratten und Mäusen nicht ohne weiteres auf den Menschen übertragen lassen). So steuern das Septum* und die sie umgebende Septumregion* beispielsweise aggressives Verhalten, aber auch eine positive Empfindung wie Freude. Eine dem Septum einer Ratte zugefügte beträchtliche Verletzung ruft bei diesem Tier unkontrollierte Wutanfälle hervor. Eine moderate Stimulierung derselben Strukturen, von denen bekannt ist, daß sie anatomisch und funktionell eng miteinander verbunden sind, führt andererseits zu euphorischen Freudenreaktionen. 1954 begann James Olds damit, seinen Versuchsratten Elektroden in diese Strukturen einzusetzen. Die Tiere begriffen sehr schnell, daß sie sich bis zur völligen Erschöpfung selbst stimulieren konnten,
wenn sie mit ihrer Pfote auf den Hebel drückten, um den elektrischen Impuls auszulösen. Papez hat diese besondere Verknüpfung der limbischen Nervenzellen ausführlich beschrieben und zur Erklärung des Belohnungskreislaufs den Ausdruck circuit du plaisir (im Deutschen etwa »Kreislauf der Freude«) verwendet. Im limbischen System finden sich noch weitere stimulierende bzw. hemmende Kreisläufe der gleichen Kategorie. So zum Beispiel im Cingulum* (> latein. = »kleiner Gürtel«) oder im Nucleus amygdalae*, auch Mandelkern genannt (> griech. amygdale = »kleine Mandel«). Beim Kaninchen löst die Stimulierung des Mandelkerns einen Zustand hektischer Unruhe aus; seine Zerstörung bewirkt das genaue Gegenteil: Das Tier kauert sich in eine Ecke seines Käfigs, bewegt sich nicht mehr, verweigert die Flüssigkeitsaufnahme und geht schließlich zugrunde.
Der Kortex: die Kommandobrücke Die Großhirnrinde (Cortex cerebri) stellt im bildlichen Vergleich mit dem Schiff (vgl. Abb. S. 14) die oberste Etage dar. Ihre Funktion besteht darin, Informationen zu erfassen und zu verwerten. Durch die Verbindung mit den darunter liegenden Regionen ist der Kortex wichtiges Kommunikationsmittel und entscheidet über die unmittelbare bzw. verzögerte Ausführung von Befehlen. Im Laufe der Evolution der Wirbeltiere hat sich die Neuralrinne kontinuierlich weiterentwickelt: Aus zwei Seitenventrikeln (Ventriculi laterales), die symmetrisch die linke und die rechte Seite der Neuralrinne ausfüllten, entstanden die beiden Hirnhemisphären. Der unpaare, spaltförmige, hinten breitere sogenannte dritte Ventrikel (Ventriculus tertius) hat seine Lage unter dem Balken im
Zwischenhirn (Diencephalon) beibehalten. Seine Unterseite liegt auf dem Hypothalamus auf. Die drei Ventrikel werden von einer fortlaufenden, aus Neuroblasten* bestehenden Zellschicht umgrenzt. Vom vierten Monat des Fötalstadiums bis zur Geburt teilen sich diese Zellen 250.000mal pro Minute, wandern danach in die Peripherie und bauen untereinander ein weitverzweigtes Netz auf, bevor sie schließlich ihre Tätigkeit beginnen. Dieser Vorgang wird als Kortikalisierung bezeichnet. Der Kortex ist die Hirnrinde, die beim Menschen aus sechs übereinandergelagerten Schichten besteht (von außen nach innen von l bis 6 durchnumeriert). Als erste entstehen die äußere (1) und die innere (6) Schicht. Die Nervenzellen der anderen Schichten wandern nach ihrer Entstehung ganz gemächlich mit einer Geschwindigkeit von einem Zehntel Millimeter pro Tag an den sie leitenden Tutorzellen entlang, die aus der Neuroglia* stammen. Dabei werden sie von den Gliazellen sprichwörtlich wie an einem Seil aufgereiht, an dem sie sich entlangziehen, sich miteinander verflechten und Fortsätze an die Oberfläche des Gehirns senden, die sich verkürzen und auf diese Weise immer weitere Nervenzellen derselben Kette hinter sich herziehen. Sind diese schließlich am vorgesehenen Platz angekommen, lassen sie sich dort endgültig, Schicht um Schicht, nieder. Jetzt beginnt die Phase der Vernetzung, die in der Regel in horizontaler Richtung, parallel zur Oberfläche des Gehirns erfolgt, denn eine vertikal ausgerichtete kortikale Kette hat - isoliert betrachtet - nur einen geringen Nutzen. Die gesamte Kortexregion muß in einem extrem kurzen Zeitraum reagieren, und obgleich jede Kette nach demselben Modell konstruiert wurde, behält doch jede einzelne ihre funktionelle Besonderheit. Beim Wiedererkennen eines Gesichts,
eines Liedes, eines Geruchs oder eines Gedichts werden nicht alle kortikalen, sondern nur jeweils ganz spezielle Zellen beansprucht. Wie viele dieser Zellen gibt es nun eigentlich genau? Die Angaben weichen je nach konsultierter Fachliteratur stark voneinander ab. Es zählt jedoch letztlich nicht so sehr die Anzahl der Nervenzellen in einer bestimmten Region des Kortex, sondern vielmehr die Zahl ihrer Verknüpfungen, der sogenannten Synapsen. Es ist bekannt, daß eine einzige winzige Nervenzelle gleichzeitig mehrere Tausend synaptischer Verknüpfungen mit ihren nahen oder auch entfernteren Zellgenossen bilden kann. Die Sinnesorgane sind regelrechte Rezeptoren. Säugetiere wie zum Beispiel Fledermäuse, Delphine und
bestimmte Hunderassen können Ultraschallwellen aussenden und empfangen. Der Mensch hat diese Möglichkeit der Kommunikation zwar nicht, seine Hörleistung ist unter allen Wirbeltieren allerdings hinsichtlich der Genauigkeit eine der besten. Außerdem verfügt der Mensch über insgesamt fünf Sinne. Der Berührungssinn zeichnet sich durch eine ausgeprägte permanente Sensibilität aus. Unter der Epidermis sitzen spezielle Berührungsrezeptoren, die Reize wie Schmerz, Wärme, Kälte oder durch unterschiedliche Hautkontakte gewonnene Empfindungen, vom leichten Berühren bis hin zum festeren Drücken, Kneifen oder Stechen, empfangen. Die tieferen Schichten des Organismus sind in der Regel unsensibel. Eine Ausnahme bildet der Schmerz, der beim Durchbruch eines Magengeschwürs, durch eine Blinddarmentzündung (Appendizitis), eine Nieren-, Gallen- oder Darmkolik oder einen Herzinfarkt ausgelöst wird. Die viszerale Information, die von großem Nutzen ist, da sie warnt und Besorgnis erregt, hat sich für einen Moment der Verbindungen des sympathischen (= mitempfindenden) Nervensystems bedient und ist schließlich ins Rückenmark gelangt, in dem das Schmerzsignal zu den höher gelegenen Zentren des Nervensystems transportiert wird, wo es dann bewußt wahrgenommen wird. Zwischen den Rezeptoren des Tastsinns und dem Kortex, der die Mitteilungen aufzeichnet, besteht eine schnelle und eine langsame Verbindung. Bei der schnellen Übertragung wird die Information über drei fortlaufend hintereinander geschaltete Nervenzellen von der Epidermis zum Kortex befördert; die langsamere Übertragung erfolgt dagegen über komplexe Netze. Die vom Rückenmark gesammelten Mitteilungen erreichen schließlich die Formatio reticularis im Hirnstamm, dann
den Thalamus und gegebenenfalls den Kortex. Dem sensiblen Kortex entspricht der sogenannte Gyrus postcentralis des Scheitellappens, der sich hinter der Rolando-Furche befindet (s. Abb. S. 98). Jeder Teil der menschlichen Epidermis ist proportional zu seiner Anzahl an Nervenendigungen im Kortex vertreten. In der Spezies Mensch nehmen dabei Hand, Lippen und Zunge einen großen Platz ein. Der Geruchssinn ist zwar sehr wertvoll, man kann jedoch auch ohne ihn auskommem (in diesem Fall liegt eine Anosmie vor). Auf jeder der beiden aus der Haut entstandenen Knospen, die später die Stirn bilden, entsteht im Laufe des zweiten Fötalmonats eine olfaktorische Plakode, die sich zu einer Furche absenkt. Dies sind die späteren Nasenhöhlen, die von der Nase bedeckt werden. Zur gleichen Zeit nehmen zwei andere Knospen, die sich aus dem langsam entstehenden Gehirn ausstülpen, Verbindung zu den beiden ersten auf. Die Nasenschleimhaut enthält etwa eine Million Rezeptoren. An einem Ende dieser Rezeptoren sitzen feine Flimmerhärchen, an der anderen befindet sich ein Axon (Nervenfaser). Nur flüchtige und im Nasenschleim lösliche Moleküle werden wahrgenommen. Der durch diese Moleküle ausgelöste Nervenreiz wird durch zwei hintereinandergeschaltete Nervenzellen an den Hippocampus und den Hypothalamus weitergeleitet, wo er schließlich weiterverarbeitet wird. Früher wurde diese Region im unteren Bereich des Schläfenlappens als Rhinencephalon* (Riechhirn) bezeichnet. Diese älteste Region des Gehirns finden wir bereits bei den Reptilien, und sie spielt bei den Säugetieren, einschließlich des Menschen, eine bedeutende Rolle (Nahrungssuche, Aufspüren eines Sexualpartners, Duftmarkierung des Territoriums, Erkennen von Gerüchen).
Die Zunge enthält nahezu 10.000 Geschmacksrezeptoren, die über ihre Oberfläche verteilt sind. Von diesen sogenannten Papillen sind etwa ein Dutzend relativ groß und deutlich sichtbar. Wenn man die Zunge weit herausstreckt, sieht man ihre v-förmige Anordnung. Die Geschmackspapillen erkennen im Speichel gelöste Stoffe. Hierbei sind sie in der Wahrnehmung spezialisiert: Die Papillen an der Zungenspitze »erschmecken« die Qualitäten süß und salzig, die seitlich gelegenen Saures und die Rezeptoren im hinteren Teil Bitteres. Winzern und Weintestern ist dies wohl bekannt. Zwei Nerven, der rechte und linke IX. Hirnnerv oder Nervus glossopharyngeus, leiten die aufgefangenen Reize bis zum Kortex in den Insellappen (Lobus insularis, Insula*) weiter, der versteckt unter der Sylvius-Furche (s. Abb. S. 98) liegt. Hier befinden sich die Steuerzentren für Speichelfluß und Kauen. Die Beschreibungen zur Geschmackswahrnehmung stellen die Funktionsmechanismen nur sehr vereinfacht dar - in der Realität sind diese um einiges komplexer. Niemand hat dies besser beschrieben als Brillat-Savarin: »Alles, was einen Geschmack hat, hat auch einen Geruch [...]. Wir essen nichts, ohne es mehr oder weniger bewußt zu riechen. Bei unbekannten Speisen hat die Nase stets die Funktion eines Wachpostens, der ruft: Wer da? Wer nichts riechen kann, schmeckt auch nichts.« Mit Beginn des zweiten Schwangerschaftsmonats stülpen sich zwei Ohrbläschen ein und wandern in die Tiefe, in Richtung des zentralen Nervenstrangs des Embryos. Zwei wichtige Nerven leiten dann die empfangenen Impulse zwecks Weiterverarbeitung weiter: Der Gleichgewichtsnerv (Nervus vestibularis) lenkt die Schallwellen zum Vestibulum (Vorhof) mit den drei Bogengängen; der eigentliche Hörnerv (Nervus cochlearis)
leitet sie zur Cochlea oder dem Corti-Organ weiter. Die Sinneszellen des Corti-Organs können alle akustischen Schwingungen von 20 bis 20.000 Hertz erfassen. Die Intensität des akustischen Impulses ist dabei von Bedeutung: Oberhalb einer Schwelle von 160 Dezibel sind die Impulse schmerzhaft, und sogenannte Barotraumata können dem Corti-Organ irreversible Schäden zufügen. Im fünften Schwangerschaftsmonat findet für den Fötus die bisherige Stille ihr Ende - von diesem Zeitpunkt an nimmt er von außen Stimmen oder auch Gesang wahr. Die ursprüngliche Gehörzone des Kortex entspricht der ersten Temporalwindung. Die Fasern des Hörnervs eines jeden Ohrs sind bilateral, in beiden Temporallappen, vertreten. Zu Beginn des zweiten Schwangerschaftsmonats bildet sich mit den Augenbläschen eine weitere paarige Ausstülpung des Neuralrohrs, aus der nach Einstülpung die Linsenplatte und das Pigmentepithel der Netzhaut hervorgehen, während der Augenbläschenstiel den Sehnerv liefert. Die Netzhaut bleibt durch den Sehnerv mit dem zentralen Nervensystem verbunden. Sie besteht im wesentlichen aus zwei speziellen Zellarten: zum einen aus Stäbchenzellen, die ein purpurfarbenes Pigment (Rhodopsin bzw. Sehpurpur) enthalten, das sich vom Vitamin A herleitet (Vitamin A+ Protein) und dessen partieller Zerfall durch Lichteinwirkung das Sehen ermöglicht. Zum anderen aus den in geringerer Zahl, mehrheitlich im zentralen Teil der Netzhaut vorhandenen Zapfenzellen. Sie vermitteln - mit erheblich schnellerer Reaktion (aber höherer Reizschwelle) als die Stäbchenzellen - das scharfe Helligkeitssehen und das Farbensehen. Alle bekannten Formen des Daltonismus (RotGrün-Blindheit) stehen in Zusammenhang mit einer genetisch bedingten Veränderung der Zellbestandteile.
Unter Berücksichtigung der Tatsache, daß der Mensch über insgesamt fünf sehr wirkungsvolle Sinnesorgane verfügt, werden die einzelnen Signale in der Regel recht schnell weitergeleitet: Die Informationen werden nicht nur aufgezeichnet, das Sinnessystem muß zudem erkennen, ob diese neu sind, und gegebenenfalls eine entsprechende nervöse Reaktion auslösen. Heftige Diskussionen von Experten über genaue Lokalisierungen, die im 19. Jahrhundert ihre Sternstunden hatten, sind heute natürlich längst hinfällig, obgleich die rezeptorische Funktion der Kortexzellen aller Hirnlappen nach wie vor Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen ist. Im Jahre 1978 veröffentlichten schwedische Expertengruppen (Physiker und Informatiker) ihre Arbeiten: Sie hatten das in Lösung gebrachte Xenon 132, ein radioaktives Isotop* des natürlich vorkommenden und ungefährlichen Edelgases Xenon, in die Arteria carotis* eines Patienten gespritzt. Mit einer Gammastrahlen-Kamera, deren 254 externe Szintillatoren an Stirn und Schläfen der Testperson plaziert worden waren, wurden Bild für Bild Erscheinen, Verbreitung und Verschwinden der Radioaktivität verfolgt. Per Computer wurden alle Daten der Szintillatoren erfaßt und auf einem Bildschirm dargestellt. Jeder Region wurde dabei symbolisch eine bestimmte Farbe zugeordnet: Wenn der Patient seine rechte Hand bewegte, erhellte sich die für die Steuerung der Motorik zuständige Stirnregion auf der entgegengesetzten Seite (die motorischen Nervenbahnen laufen überkreuz). Wenn er seine Augen öffnete, leuchtete der Hinterhauptlappen (Okzipitallappen), in dem sich die Sehrinde befindet, auf. Ließ man den wachen Patienten im Dunkeln mit verschlossenen Ohren »denken«, dann reagierte die präfrontale Rindenregion, die nur beim Menschen gut entwickelt ist. Wenn der Patient seine
Gedanken verbalisierte, erhellte sich beim Rechtshänder das linke temporoparietale Rindenfeld (beim Linkshänder entsprechend das rechte). Die Farbphotos dieser Untersuchungsmethode sind beeindruckend. Sie haben allerdings den Nachteil, beim Betrachter möglicherweise den Eindruck zu erwecken, daß der Funktionsmechanismus des Kortex insgesamt recht einfach sei: Empfangener Reiz —> Antwort (prompt bzw. verzögert). Die Realität sieht ganz anders aus: Ein simples Reiz-Reaktions-Schema von Information und Antwort ist bestenfalls noch bei der Bewegung beispielsweise eines isolierten Froschbeines (»Nerv-Muskel-Präparat«) denkbar, dessen motorischer Nerv gereizt wird und dessen Muskeln sich daraufhin kontraktieren. Das menschliche Gehirn enthält Milliarden synaptischer Mikrokreisläufe, die nicht mit denen eines Computers und noch weniger mit denen eines Roboters vergleichbar sind. J. Bullier (1992), der mit seinen Mitarbeitern über lange Zeit die Sehbahnen von Katzen und Schimpansen untersucht hat, schreibt folgendes: »Das zeitabhängige Nachlassen der kortikalen Aktivität ähnelt weniger einer Welle, die ans Ufer gespült wird, als vielmehr einem Waldbrand, der - bei starkem Wind - gleichzeitig an mehreren voneinander entfernt liegenden Stellen entsteht und somit schlagartig eine riesige Fläche des Waldes in Flammen aufgehen läßt.« Im Bruchteil einer Sekunde nehmen wir flüchtig ein Gesicht wahr. Bei diesem Vorgang werden unzählige Rezeptoren aktiviert, um eine Antwort aussenden zu können wie: »Ich kenne diese Person« oder auch »Ich kenne sie nicht«. Mögliche Zweifel oder Irrtümer können ernsthafte Folgen haben. Die Nervenzellen des Gehirns befinden sich also inmitten eines sich unter Umständen ganz plötzlich mehr
oder weniger stark verändernden Umfeldes. Sie sind zudem eine Art Angriffspunkte für die anderen mit ihnen verbundenen Nervenzellen, die pausenlos neue Informationen an sie herantragen, die identifiziert, erfaßt, zugeordnet und aktualisiert werden müssen. Ein bildhafter Vergleich bietet sich auch hier an: Der Kapitän schimpft zu Recht auf jene, die ihm veraltete Karten gegeben haben, auf denen die erst vor kurzem entstandenen Korallenriffe, auf die er bei seiner Fahrt treffen wird, noch nicht eingezeichnet sind.
Die Abläufe
Nervenzellen und Synapsen Vom Empfänger bis zum Sender besteht also jeder Kreislauf aus einer variablen Anzahl hochspezialisierter Nervenzellen. Die Verbindungsstellen zwischen den Enden einer Nervenfaser und anderen Nervenzellen bezeichnet man als Synapsen. Wegen der äußerst wichtigen Rolle, die diese Synapsen insbesondere im Gehirn spielen, wo ihre Zahl auch am größten ist, soll in diesem Kapitel etwas näher auf ihre Funktionen eingegangen werden.
Vor ungefähr 500 Millionen Jahren hat sich im Tierreich, sehr wahrscheinlich bei einer Meduse (Quallenart), ein bedeutender Vorfall ereignet: Eine Zelle der äußeren Hülle dieses Tieres wies plötzlich noch nie dagewesene Eigenschaften auf. Diese Zelle war in der Lage, zum einen von außen kommende Informationen zu empfangen (Photonen, sich bewegende Objekte, Druck und Unterdruck, Schallwellen, Salzgehalt des umgebenden Milieus, Wahrnehmung von Riechstoff-Molekülen), sie zu sortieren, zu analysieren und sie an bestimmte Hirnnervenzellen weiterzugeben (bis heute ist nur zum Teil bekannt, wie diese Weiterleitung funktioniert). Sie verglich die verschiedenen Reize, ermittelte einen Durchschnittswert und sandte abhängig vom Resultat gegebenenfalls eine Antwort aus, indem sie über eine Synapse eine oder mehrere Nervenzellen reizte. Eine mögliche positive Antwort wurde in Form einer Erregungswelle mit einer Geschwindigkeit von einigen Dutzend Metern pro Sekunde ausgesendet. Es ist verständlich, daß eine Nervenzelle, die im Gegensatz zu den im Organismus frei beweglichen Zellen fixiert ist, nur existieren und funktionieren kann, wenn sie mit anderen Zellen ihrer Art Netze oder Kreisläufe aufbaut. Von der Qualität dieser Vernetzungen hängt letztendlich die Leistungsfähigkeit des menschlichen Gehirns ab. Die Membran der Nervenzelle trennt Flüssigkeitsräume, die sich in den Konzentrationen von NatriumIonen (Na+) und Kalium-Ionen (K+) unterscheiden. Die Flüssigkeit außerhalb der Nervenzelle enthält zehnmal so viele Natrium-Ionen wie Kalium-Ionen. In der Zelle ist das Konzentrationsverhältnis umgekehrt. Positiv und negativ geladene Ionen sind zu beiden Seiten der
Membran so verteilt, daß die Innenseite der Membran im Ruhezustand um siebzig Tausendstel Volt negativer geladen ist als die Außenseite (negatives Ruhepotential von 70 mV). Wenn die Nervenzelle gereizt wird, öffnen sich die unzähligen spannungsgesteuerten Natriumkanäle und Natrium-Ionen strömen in großer Zahl in die Zelle ein. Auf der Innenseite der Membran befinden sich jetzt mehr positiv geladene Ionen als auf ihrer Außenseite, und für kurze Zeit wird dadurch aus dem Membranpotential ein Aktionspotential von etwa plus 40 Millivolt. Wie die Flamme an einer Zündschnur pflanzt sich das Aktionspotential über die gesamte Länge der Nervenzelle fort und leitet so das Signal weiter. Dann schließen sich die Natriumkanäle, und es öffnen sich die Kanäle, die Kalium-Ionen nach außen strömen lassen. Dadurch wird die ursprüngliche Ladungsverteilung wieder hergestellt, und das Membranpotential kehrt schließlich zu seinem Ausgangswert von minus 70 Millivolt zurück. Amplitude und Intensität der Aktionspotentiale sind stets gleich. Lediglich ihre Häufigkeit ist variabel, entsprechend der Zahl der pro Sekunde ausgesandten Reize. Eine Nervenzelle kann also niemals isoliert bestehen, sie muß zumindest eine zweite Nervenzelle vor sich haben und mit dieser über eine Synapse verbunden sein. Die Nervenzelle muß zudem über eine weitere Synapse mit einer nachgeschalteten Nervenzelle Kontakt aufnehmen können. Bisweilen werden rückwirkende Kreisläufe gebildet. Diese Darstellung des Funktionsmechanismus Nervenzelle/Synapse ist allerdings recht vereinfacht. Sie dient in erster Linie dazu, dem Leser die in der Realität viel komplexeren Abläufe zu veranschaulichen.
Die Befrachtung In der Schiffahrt wird die Befrachtung folgendermaßen definiert: Verwendung eines Schiffes für den Transport von Waren. Ein Reeder schätzt es nicht sehr, wenn sein Schiff ohne Ladung unterwegs ist, insbesondere nicht, wenn es perfekt gebaut ist. Bei Montaigne kam der gutgebaute Kopf vor dem gutgefüllten. Doch warum sollte beim Gehirn ein Gleichgewicht zwischen Behältnis und Inhalt nicht möglich sein? Ich erinnere mich gut an einen alten Bauern, der allgemein als des Lesens und Schreibens unkundig galt und mit dessen Enkel in meinem Alter ich im Sommer immer spielte. Dieser Enkel hatte die Schule als Bester abgeschlossen. Ich weiß, daß er auch sein Studium glänzend absolvierte und dabei stets bescheiden blieb. Nach dem Studium stieg er sehr bald in Regierungskreise auf. Der alte Bauer betrachtete seinen Enkel stets mit unbeschreiblichem Stolz, wobei er sich mit seiner breiten, von der harten Arbeit schwieligen Handfläche immer wieder gegen die Stirn schlug und unaufhörlich wiederholte: »Er hat's, da drin.« Gutgebauter und -gefüllter Kopf — ist das nicht das Ziel, dem die Headhunter unserer Zeit bei ihrer Suche nach Personal nachjagen? Ist das nicht auch der heimliche Wunsch aller Eltern? Das Ziel, das Lehrende aller Richtungen anstreben? Eine Mutter spürt ab dem vierten Schwangerschaftsmonat, wie sich ihr Kind in der Gebärmutter bewegt. Bei der Ultraschall-Diagnostik können mittels Echographie seine verhaltenen Bewegungen der Arme und Beine auf einem Bildschirm sichtbar gemacht werden. Sobald das innere Ohr ausgebildet ist, hört der Fötus nahe Stimmen, Musik, Schreie und auch Streitereien. Bei der Geburt sind alle für das Leben und Überleben erforderlichen sensomotorischen Reflexe funktionstüchtig. Am Ende des ersten
Lebensmonats sind Wachen und Schlafen nicht mehr so stark vom Hunger- und Sättigungsgefühl abhängig. Jede wesentliche Verbindung zur Außenwelt bleibt aber weiterhin an den Rhythmus der Mahlzeiten gebunden. Zwischen dem 7. und dem 10. Lebensmonat verfügt der Fötus über erste Praxien, das heißt über die Fähigkeit, erlernte zweckmäßige Bewegungen auszuführen. Diese erfolgen nicht mehr isoliert, sondern koordiniert mit dem Ziel, ein bestimmtes Ergebnis herbeizuführen. So gelingt es dem Kind beispielsweise, das Objekt seiner Begierde zu erreichen und zu ergreifen. Es ist zu beobachten, daß die im Kortex gelegenen Felder für Motorik und Empfindungen, fürs Sehen, Hören und für den Geschmack in ihrer Entwicklung einen Gleichstand erreichen und daß zwischen ihnen definitive Verbindungen hergestellt werden. Der Säugling zeigt im Kontakt mit den Personen in seiner Umgebung sehr bald selektive Reaktionen. Er erkennt ihm vertraute Stimmen wieder und kann deren Intonation unterscheiden. Er wird sich seiner eigenen physischen Existenz, durch die er sich von seiner Umwelt abhebt, bewußt und kann besser zwischen Freunden und möglicherweise feindlich gesinnten Fremden unterscheiden. Aus dem anfänglichen Geplapper heraus entwickelt er langsam seine eigene Sprache, um künftig mit Worten seine Erfahrungen und Wünsche zu äußern. All diese Entwicklungen setzen voraus, daß Systeme für den Empfang und die Verarbeitung von sensorischen Reizen und die motorischen Systeme für Ausdruck und Gestik ausreichend ausgebildet, daß die assoziativen Leistungen des noch jungen Kortex adäquat funktionieren und von einem entsprechenden Gefühls- und kulturellen Milieu angeregt werden. Es ist schlichtweg unsinnig, hinsichtlich der Entwicklung der intellektuellen Leistungen eines Menschen angeborene und erworbene Fähigkeiten gegenüberzustellen,
wie dies in der Vergangenheit geschehen ist. Das eine ist das Wachs der Kerze, das andere ihr Docht. Ebenso anmaßend wäre es, bei Feuer und Licht, deren Kräfte gemeinsam zum Entstehen der Welt beigetragen haben, einem Teil mehr Bedeutung beizumessen.
Die Versorgung Auch der Terminus der Versorgung kommt aus der Schiffssprache und wird wie folgt definiert: Bereitstellung des gesamten Vorrats eines Schiffes, insbesondere der für die Verpflegung von Mannschaft und Passagieren notwendigen Lebensmittel sowie der Treibstoffe für die Maschinen. Während jede tierische Zelle bei Bedarf auch andere Energiequellen nutzen kann, verbrauchen die Nervenzellen des Gehirns im allgemeinen und jene des Nervensystems im besonderen ausschließlich Blutzucker (Glukose*). Die Zuckerreserven des Gehirns sind allerdings recht begrenzt, sie werden auf zwei Gramm Glykogen (Speicherform der Glukose) geschätzt. Das Neugeborene weist unter normalen Bedingungen einen sehr geringen Glukose-Gehalt im Blut auf (0,3 Gramm pro Liter, im Gegensatz zu einem Gramm pro Liter beim Erwachsenen). Bei Unterschreitung dieses Wertes besteht für das Neugeborene akute Todesgefahr, wenn die Hypoglykämie nicht sofort festgestellt und behandelt wird. Von allen Organen der Wirbeltiere verbraucht das Gehirn den meisten Sauerstoff. Es wird kontinuierlich von vier Hauptarterien versorgt: Irn Halsbereich kann man links und rechts am Unterkiefer die beiden Äste der paarigen Halsschlagader (Arteria carotis) schlagen spüren, die ungefähr so dick wie ein Bleistift sind. Die dahinter zum Nacken hin gelegene etwas schmalere Wirbelsäulen-
Schlagader (Arteria vertebralis) versorgt mit ihren Ästen Kleinhirn, Hirnstamm sowie den gesamten hinteren Teil des Gehirns. Das Gehirn ist hinsichtlich seiner Versorgung mit Sauerstoff sehr anfällig - selbst in der Schlaf- bzw. Traumphase. Eine mögliche Anoxie* kann verschiedene Ursachen haben, auf die später noch eingegangen wird. Beim ersten Schrei des Neugeborenen besteht die Gefahr eines Verschlusses seiner Atemwege durch Amnionflüssigkeit (Fruchtwasser). Im Kreißsaal müssen also alle notwendigen Vorbereitungen getroffen worden sein, um derartige Komplikationen und das damit einhergehende Absterben von Gehirnzellen zu verhindern. Bisweilen kommt es vor, daß sich bei der Geburt die (vermutlich zu lange) Nabelschnur um den Hals des Säuglings wickelt. Auch hier ist Eile geboten, anderenfalls wird das Neugeborene binnen weniger Sekunden regungslos, und es besteht auch hier die Gefahr, daß Gehirnzellen absterben. Die großen Fortschritte in der Geburtshilfe und Intensivmedizin haben dazu beigetragen, daß sich die Zahl der Todesfälle durch Ersticken bzw. Selbststrangulation bei der Geburt in den letzten Jahren deutlich verringert hat. Beim Erwachsenen ist tödliche Gefahr im Verzug, wenn die Herzfrequenz plötzlich schwächer wird: Bei weniger als 30 Herzschlägen pro Minute liegt eine Sauerstoffnot im Gehirn vor, gefolgt vom Tod der Nervenzellen und Bewußtlosigkeit (Synkope). Bei glimpflichem Ausgang ist letztere nur von kurzer Dauer und vorüber, wenn das Herz sich wieder »fängt«. Sie kann aber unter Umständen auch einen tödlichen Ausgang haben. Herzschrittmacher, die in den Brustkorb eingepflanzt werden, sollen verhindern, daß es zu derartigen Störungen kommt. Mittlerweile verdanken Millionen von Herzkranken in der ganzen Welt diesem Gerät eine Verlängerung ihres Lebens und eine Verbesserung der Lebensqualität.
Weshalb kommt es zu Fehlentwicklungen? Gehirn als auch Schiff haben eine vorhersehSowohl bare zeitlich begrenzte Lebensdauer. Insbesondere Versicherungsgesellschaften sind sich dessen bewußt und fürchten am meisten, daß die bei ihnen versicherte Sache im Verlauf dieser kalkulierten Zeit möglicherweise Mängel aufweisen könnte. Eine Fehlentwicklung im vorderen Teil des Neuralrohrs (Prosencephalon), bei der anstelle von drei Hirnkammern (Ventriculi) nur eine ausgebildet wird, führt bisweilen zu einer Zyklopie (Gesichtsschädel-Hirn-Mißbildung mit nur einem Auge). Diese geht häufig einher mit einer Trisomie 13, d.h. das Chromosom 13 ist in den Zellkernen drei- anstatt nur zweimal vorhanden. Bei Chromosomenaberrationen dieser Art kommt es zu schweren Mißbildungen, die eine Lebensunfähigkeit bedingen und bei dem Kind, sollte es ausgetragen werden, zu einer sehr geringen Lebenserwartung führen. Heute sind diese Mißbildungen jedoch mit der UltraschallFrühdiagnostik (Echographie) rechtzeitig erkennbar.
Dies gilt auch für die Anenzephalie, bei der Großhirnhemisphären, Zwischenhirn und Schädeldach vollständig oder weitgehend fehlen. Der Kopf des Kindes erscheint wie in Höhe der Schädelbasis abgeschnitten, das Hirnrudiment ist kapuzen- oder turbanartig. Das Gesicht ist eigentümlicherweise erhalten, wenngleich auch stark deformiert. Wird ein Kind mit Anenzephalie lebend geboren, stirbt es in der Regel nach der Durchtrennung der Nabelschnur. Neugeborene mit einer Trisomie 21 (DownSyndrom oder Mongolismus) sind dagegen in den meisten Fällen lebensfähig. Die Behinderungen lassen sich durch gezielte Maßnahmen beeinflussen, und aus der speziellen Erziehung und Frühförderung in der Familie resultiert eine gute soziale Eingliederungsfähigkeit. Die Hilfsbedürftigkeit aufgrund der geistigen Behinderung bleibt jedoch bestehen, was zu Spannungen im familiären und sozialen Umfeld führen kann. Andere mögliche Fehlentwicklungen treten erst in den letzten Wochen der Embryogenese auf, beispielsweise im Verlauf der Kortikalisierung oder einige Tage später: Die Gliazellen sind manchmal nicht in der Lage, die Nervenzellen aus den Zellschichten der Großhirnrinde (von l bis 6 durchnumeriert) an die ihnen zugewiesenen Stellen zu bringen. Das Gehirn bleibt in seiner Entwicklung auf niedriger Stufe stehen, vergleichbar dem Gehirn von Fischen oder niederen Wirbeltieren. (Die Schichten l und 6 sind dann ohne Zwischenschichten miteinander verbunden und nicht sehr leistungsfähig.) In einem anderen Fall sind die Gliazellen zwar hinsichtlich ihrer Struktur und ihrer enzymatischen Funktionen funktionstüchtig, aber es treten andere Mängel auf: Ihre Zahl reicht in manchen Fällen nicht aus, um eine Kette von Nervenzellen zu bilden. Ursache hierfür kann eine Virusinfektion (z.B. Röteln) oder auch eine
parasitäre Infektion (Toxoplasmose) sein, wenn die für die Schwangere getroffenen Schutzmaßnahmen unzureichend waren bzw. durch einen Fehler genetischen Ursprungs die letzten Zellteilungen blockiert worden sind. Das Gehirn erscheint zwar nach außen als relativ normal, doch die Zahl der Nervenzellen ist verheerend niedrig (Microcephalia vera). Im Gegensatz zur Zyklopie, zur Sirenomelie (Mißbildung mit Vereinigung beider Beine ohne oder mit Ausbildung eines Fußes) und zur Anenzephalie ist das Kind lebensfähig. Gemäß den Mendelschen Regeln liegt die Wahrscheinlichkeit bei 1:4, daß das mutierte Gen beim künftigen Geschwisterteil dieselbe Mißbildung auslösen wird. Auch in diesen Fällen können die Anomalien bei frühzeitiger Diagnostik rechtzeitig erkannt werden. Eine andere schwere Fehlbildung - die Agyrie — wird ebenfalls durch Mutation eines Gens ausgelöst. Bei der Agyrie fehlen einige oder alle Großhirnwindungen, und die Zahl der Nervenzellen ist wiederum sehr begrenzt. Bei nur oberflächlicher Betrachtung erscheint das Neugeborene als körperlich normal entwickelt. Doch in den ersten Lebenswochen wird es keinerlei Fähigkeiten dazuerwerben, seine Lebenserwartung beträgt nur einige wenige Monate. Bei den Säugetieren hängt die Zahl der Gehirnwindungen (Gyri) sehr wahrscheinlich — in Relation zum Körpergewicht — von der Menge der vorhandenen kortikalen Nervenzellen ab. Durch zwei mikrobiologische Tests zur Früherkennung von Anomalien, für die wenige Tropfen Blut aus der Ferse des vier Tage alten Neugeborenen entnommen werden, kann unter Umständen geistigen Behinderungen vorgebeugt werden: Durch einen positiven Guthrie(Hemm-)Test wird eine Phenylketonurie nachgewiesen (ein Fall auf 12.000 Geburten). Bei diesem erblichen
Stoffwechselleiden kommt es durch einen Enzymdefekt zu einer Anreicherung der Aminosäure Phenylalanin, die unbehandelt zu starker geistiger Behinderung, verzögerter körperlicher Entwicklung und neurologischen Symptomen (Krampfanfällen) führt. Durch die Frühdiagnose dieses Defekts ist bei sofortiger Aufnahme einer strengen phenylalaninarmen Diät, die in der Regel etwa bis zum zehnten Lebensjahr eingehalten werden muß, eine weitgehend normale Entwicklung des Kindes möglich. Bei einem anderen Test wird unter Einsatz der Techniken der klassischen Endokrinologie untersucht, ob die Schilddrüse möglicherweise fehlt oder nicht normal funktioniert (ein Fall auf 3.000 Geburten). Beim Menschen ist das einwandfreie Funktionieren dieser Drüse für die Entwicklung des Gehirns unerläßlich. Bei Frühdiagnose dieser Anomalie kann durch eine medikamentöse Hormongabe, die den Mangel ausgleicht, eine normale Entwicklung des Gehirns beim Neugeborenen und Kleinkind gewährleistet werden. Die Krankenversicherungen verlangen, zumindest in den westlichen Industrieländern, daß diese Tests durch-
geführt werden, deren Kosten sie auch übernehmen. Das Kosten-/Nutzenverhältnis spricht eindeutig für diese Maßnahmen: Jedes Jahr werden einige hundert Neugeborene durch die Frühdiagnostik davor bewahrt, mögliche irreversible geistige und körperliche Behinderungen davonzutragen. Wie ein gutgebautes Schiff gegen Winde und Gezeiten gewappnet ist, könnte nun auch das Gehirn von Fötus, Neugeborenem, Säugling und Kind - dank der erfolgten Vorsorge und Frühdiagnostik gut gerüstet und normal entwickelt - seinen weiteren Weg unter günstigen Voraussetzungen antreten. Leider ist dem nicht immer so, denn es können jederzeit unerwartet Störungen auftreten. Wo liegen deren Ursachen, und gibt es eine Antwort darauf? Welche Folgen können diese Störungen haben? Sind die Nervenzellen des Gehirns in der Lage, diese Vorfälle zu verkraften und wieder die Leistungsfähigkeit ihrer Zellgenossen zu erreichen? All diese Fragen sollen im nächsten Kapitel genauer behandelt werden.
Mögliche Störungen Bei einer gestörten Versorgung mit Glukose und Sauerstoff reagiert das Gehirn sofort. Desgleichen reagiert es sehr schnell bei Veränderungen im Blutgefäßsystem (z.B. bei Gefäßausbuchtungen und -fehlbildungen). In manchen Fällen kommt es sogar zur Gefäßruptur. Deren Ursachen sind zumeist entweder ein angeborener Defekt (Aneurysma, Angiom) oder auch Gefäßverengungen, wodurch der Blutdruck immer höher werden muß, um genügend Blut durch die Arterien zu pumpen. Bei letzterem tritt im Extremfall die Ruptur einer Gehirnarterie
ein, die zum Schlaganfall führen kann (man spricht in diesem Zusammenhang auch von Ictus > latein. = »Stoß, Schlag, Hieb«). Typische Symptome sind: sofortige Bewußtlosigkeit, geräuschvolle Atmung und im Armund Gesichtsbereich betonte Halbseitenlähmung (hängender Mundwinkel und Aufblähung der Wange der gelähmten Seite beim Ausatmen). Die Zahl der Schlaganfälle bei Bluthochdruckpatienten ist dank der Fortschritte in der Diagnostik, der Vorsorge und Behandlung heute etwas geringer geworden. In den letzten Jahren sind zudem zahlreiche Spezialkliniken entstanden, die eine fachmännische Betreuung dieser Patienten gewährleisten. Die soeben beschriebenen motorischen Störungen sind zweifelsfrei die eindrucksvollsten. Die Symptome können je nachdem, wo der Gefäßverschluß bzw. die -ruptur lokalisiert sind, jeweils unterschiedlich sein, doch die Ursachen bleiben stets gleich: Gefäßanomalien, Bluthochdruck oder auch Arteriosklerose. Bei der letzteren setzen sich arteriosklerotische Plaques in den Blutgefäßgängen fest und verstopfen diese. Motorische Störungen sind anhand verschiedener Symptome erkennbar: Der Betroffene kann für einen Moment sein Bein oder seinen Fuß, die wie erstarrt sind, nicht mehr bewegen. Sein Mundwinkel hängt plötzlich an einer Seite stark herab, oder der Arzt stellt beim Händedruck einen auffallenden Kraftunterschied zwischen linker und rechter Seite fest. Diese leichteren Lähmungen einer Körperhälfte werden als Hemiparese bezeichnet. Bei vollständiger Lähmung einer Körperhälfte spricht man von Hemiplegie. Störungen bei der Informationsweiterleitung können zur Anästhesie einer Körperhälfte führen. Bei der kortikalen Taubheit ist der Betroffene nicht wirklich taub: Er
hört zwar die Laute, kann diese jedoch nicht identifizieren. Eine weitere, sehr mysteriöse und schwer zu analysierende Störung ist die Rindenblindheit. Als Apraxie wird die Unfähigkeit zur Ausführung erlernter zweckmäßiger Bewegungen oder Handlungen trotz vorhandener Wahrnehmungs- und Bewegungsfähigkeit bezeichnet. Der Patient ist nicht mehr in der Lage, eine ihm vertraute, erlernte Bewegung (Kreuzzeichen, militärischer Gruß u.a.) auszuführen, sich alleine anzukleiden oder einen bekannten Gegenstand zu malen. Dennoch ist er nicht gelähmt und weist keinerlei Störung der Oberflächen- oder Tiefensensibilität auf. Bei den Sprachstörungen unterscheidet man zwei Arten der Aphasie. Zum einen die motorische Aphasie (Broca-Aphasie, Defekt im vorderen Sprachzentrum), die eine reine Wortstummheit bei erhaltenem Wort- und Sprachverständnis ist: Die Wörter sind im Kopf vorhanden, doch der Kranke kann sie nicht sprechen. Zum anderen kennt man die sensorische Aphasie (WernickeAphasie). Diese wird zumeist durch Schädigungen vaskulären Ursprungs im hinteren Sprachzentrum ausgelöst und äußert sich gänzlich anders: Der Kranke hat keinerlei Artikulationsschwierigkeiten, er redet sogar sehr viel, aber das Gesagte ist für sein Gegenüber vollkommen unverständlich. Der Betroffene begreift selbst einfachste Befehle nicht mehr, Leseverständnis und Schreiben sind beeinträchtigt, er ist unfähig zum Nachsprechen. Alle soeben beschriebenen Störungen haben insbesondere Auswirkungen auf das soziale Umfeld des Kranken: Familie, Freunde, Arbeitskollegen - sie alle sind angesichts seiner auffallenden Vergeßlichkeit und Nachlässigkeit und der sich häufenden Fehler beunruhigt. Der Kranke ist sich dieser Symptome nicht bewußt. Er ist mit sich zufrieden, ist fröhlich, unbekümmert und nimmt mit
Schwung und Elan neue Aufgaben in Angriff. Bisweilen tritt zusätzlich eine Psychose auf: Der Kranke fühlt sich entweder stark und unverletzbar wie ein mächtiger Herrscher oder glaubt, im krassen Gegensatz dazu, schwer krank zu sein. Er meint, keine Speiseröhre, keine Därme mehr zu besitzen. Er hat jeglichen Respekt vor sich selbst verloren, gibt sich den primitivsten Trieben hin, vernachlässigt sein Äußeres, uriniert ungeniert, wann und wo es ihm beliebt, seine Ausdrucksweise ist gewöhnlich, und seine Tischmanieren sind ungehobelt. All diese Symptome und Verhaltensweisen treten typischerweise bei einer präfrontalen Demenz auf. Einige von ihnen finden sich im Anfangsstadium der Demenz vom Alzheimer-Typ wieder.
Unfälle und Krankheiten Bei einem Unfall überträgt der erschütterte oder möglicherweise sogar beschädigte Schädel die Wellen der Erschütterung ans Gehirn. In der Folge kann der Betroffene sofort oder mit einiger Verzögerung in ein leichtes bis schweres Koma fallen. Der Verlust des Bewußtseins ist im günstigen Fall nur von kurzer Dauer, kann sich aber auch über eine sehr lange Zeit hinziehen. Mit zunehmender Länge des Komazustands stellt sich den Angehörigen irgendwann die entscheidende Frage, ob eine Elektroenzephalographie zur Messung der Gehirnaktivität erfolgen und die medizinischen Apparate abgestellt werden sollen, falls keine Gehirnströme mehr registriert werden können. Bei einer Schädigung des Mittelhirns, Zentrum der Bewußtseinssteuerung, oder des verlängerten Rückenmarks sind die Vitalfunktionen bedroht: Es muß zwecks Hilfsbeatmung eine Tracheotomie (Luft-
röhrenschnitt) vorgenommen werden. Dabei wird die Luftröhrenvorderwand im oberen Drittel eröffnet und eine Kanüle eingeführt. Der Rückgang von Infektionskrankheiten, die durch bestimmte Parasiten, Bakterien und Viren ausgelöst werden, ist darauf zurückzuführen, daß ständig neue Antibiotika oder Impfstoffe entwickelt werden: So ist beispielsweise die spinale Kinderlähmung (Poliomyelitis) in der westlichen Welt nahezu verschwunden, und Fälle von durch Tollwut ausgelöster Enzephalitis treten immer seltener auf (stabilisierter bzw. rückläufiger Virusbestand in Regionen mit elektronischem Fuchserkennungsverfahren). Es ist zu hoffen, daß Transplantationspatienten (z.B. der Hornhaut) nicht mehr der Creutzfeldt-JakobKrankheit anheimfallen. Die durch ein Virus ausgelöste Krankheit ist der Enzephalitis beim Rind sehr ähnlich, daher auch die von den Medien geprägte Bezeichnung »Rinderwahn«. Ein Impfstoff gegen Aids konnte leider bisher noch nicht gefunden werden: Das Aids-Virus greift die für unsere Immunität wichtigen Lymphozyten an und setzt so Schritt für Schritt das zelluläre Immunsystem außer Kraft. Keime, die gewöhnlich für den Organismus unschädlich (apathogen) sind, werden durch die Immunschwäche pathogen (man spricht von opportunistisch-pathogenen Erregern). Der Kranke erliegt letztendlich nicht dem Aids-Virus selbst, sondern den zahlreichen bakteriellen Infektionen, die z.B. Abzeßbildungen im Gehirn hervorrufen können, denen ein Mensch mit intaktem Immunsystem widerstanden hätte. In Frankreich sterben jährlich mehrere hundert Personen an einer Kohlenmonoxidvergiftung. Bei dieser Vergiftung wird das Hämoglobin durch Bildung von Kohlenmonoxidhämoglobin blockiert, was zu einem verminderten Sauerstofftransport - wie Claude Bernard be-
reits im Jahre 1860 gezeigt hat - und Erstickung führt. Typische Anzeichen sind Pulsschwäche und Atemdepression bis Atemstillstand (Asphyxie), Schwindel, Kopfschmerz, bei höheren Graden sogar Bewußtlosigkeit. Im Gehirn, das auf ein Absinken der Sauerstoffkonzentration sehr empfindlich reagiert, kann eine Anoxie schnell irreparable Schäden verursachen. Der Ausgang einer Kohlenmonoxidvergiftung hängt also entscheidend davon ab, wie schnell der Betroffene aus der vergifteten Umgebung entfernt und wie schnell er behandelt wird. Eine sofort eingeleitete intensive Sauerstofftherapie kann für einen günstigen Verlauf von entscheidender Bedeutung sein. Schädigungen der Zellen des Hirnstammes äußern sich durch eine Störung der Körpertemperatur, Schweißausbrüche, Sekretstau in den Bronchien und muskuläre Hypertonie. Die Sterblichkeitsrate ist hoch. Selbst wenn der Betroffene wieder aufwachen sollte, ist er nicht immer auch endgültig auf dem Weg der Besserung. Manchmal manifestieren sich erst nach einigen Wochen, die frei von auffälligen Störungen waren, die definitiven Schädigungen des Gehirns (Absterben des Streifenkörpers, eines Ganglions im Großhirn, Verschwinden der Schicht 3 des Kortex und des subkortikalen Myelins) in Form irreversibler physischer und intellektueller Verfallserscheinungen. Erhöhter intrakranieller Druck führt zu einem Hirnleiden. Normalerweise sind Schädel und Inhalt (Gehirn und Kleinhirn) einander angepaßt, d.h. der Raum ist vollständig ausgefüllt. Bei Verletzung bzw. Ruptur der mittleren Hirnhautarterie (Arteria meningea media) kann sich ein Bluterguß zwischen harter Hirnhaut und Schädelknochen (extradurales Hämatom), bei Ruptur eines tiefer gelegenen Gefäßes ein Bluterguß im Schädelinnern (intrakranielles Hämatom) bilden. Liegt
ein Hämatom oder auch ein gutartiger bzw. bösartiger Gehirntumor vor, muß ein Neurochirurg konsultiert werden. Dieser lokalisiert die Anomalie mittels Scanner oder Kernspintomographie (NMR*) und entfernt sie gegebenenfalls nach Öffnung der Schädelhöhle (Trepanation). Während gutartige Tumore vom Körper unter Umständen über Jahre hinweg toleriert werden, treten bei bösartigen sehr bald deutliche Symptome einer Hirnhauterkrankung auf. Denn die Schädelnähte eines Erwachsenen können, anders als im Kindesalter, bei steigendem Innendruck nicht mehr nachgeben. Die bei einem malignen Tumor auffälligen Symptome wie heftige Kopfschmerzen, Erbrechen, Benommenheit bzw. Bewußtseinstrübung und bisweilen Verwirrungszustände bleiben auch dem Umfeld des Betroffenen nicht verborgen. Das Gehirn versucht, dem Druck zu entfliehen, und sucht nach einem möglichen Ausweg, wie z.B. dem großen Hinterhauptsloch. Dort drückt es dann auf das Kleinhirn, das seinerseits weggedrückt wird und in der Folge die Medulla oblongata zerquetscht, deren Zerstörung letztlich tödlich ist.
Weshalb verschleißt das Gehirn? Der Alterungsprozeß Der geistige Zustand im Alter hängt von der Qualität des Gehirns ab (man spricht auch vom dritten oder sogar vierten Alter). Es gibt Neunzig- oder gar Hundertjährige, deren Gedächtnis intakt ist und die geistig noch verhältnismäßig fit sind. Bei genauerer Untersuchung ihrer Gehirne wurden dort zwar sogenannte senile Plaques gefunden, d.h. die Zahl der Nervenzellen war rückläufig, aber der Rest - insbesondere die Arterien — befand sich in gutem Zustand. Der Slogan »Der Mensch ist so alt wie seine Gefäße« besteht also zu Recht. Insbesondere der Tabakgenuß führt zu ihrem frühzeitigen Altern und stellt somit einen großen Risikofaktor dar. In manchen Fällen müssen infolge der Verstopfung bestimmter Gefäße (z.B. der Aorta und ihrer Äste) Zehen oder ganze Gliedmaßen amputiert und bei starken Rauchern, die häufig noch relativ jung sind und deren Gehirn intakt ist, Bypässe gelegt werden. In manchen Fällen spielt die Genetik eine größere Rolle als die äußeren Einflüsse, und dies bereits in jungen Jahren. Bei der Progerie beispielsweise kommt es innerhalb weniger Jahre zu hochgradiger Vergreisung, an deren Folgen das Kind vorzeitig stirbt. Kinder mit Progerie haben eine dünne, runzelig-pergamentartige
Haut ohne unterliegendes Fettgewebe. Ihr Haar ist licht und ergraut, nicht selten haben sie auch eine Vollglatze. Bereits mit zehn Jahren können sie - wie zuvor für Erwachsene geschildert — an einem arteriellen Atherom (degenerative Veränderung der Gefäßwand) oder an Hypertonie leiden. Mädchen bekommen niemals eine Regelblutung, bei den Jungen liegt eine Atrophie (Schwund) der Hoden vor. Als weitere Symptome sind zu nennen: Grauer Star, Taubheit, Demenz. All dies tritt in einem Zeitraum von weniger als 20 Jahren zutage. Die Genforscher sind dem außergewöhnlichen Gen, das für diesen vorzeitigen Alterungsprozeß — mit einhergehendem frühzeitigen Verschleiß der Organe, insbesondere des Gehirns — verantwortlich ist, eifrig auf den Fersen. Neben dieser sehr seltenen infantilen Demenz sowie der senilen Demenz (auch Presbyophrenie genannt) gibt es zudem präsenile Demenzen, bei denen nur bestimmte Hirnregionen vorzeitig altern. Hiervon betroffen sind Personen im Alter zwischen 40 und 60 Jahren, die in der Regel mitten im Berufsleben stehen. Auch diese Demenzen sind zum Teil vererbbar. Sie treten recht häufig auf, was dazu geführt hat, daß in einigen Ländern die Betroffenen und deren Familien Vereinigungen gegründet haben, um die medizinische Forschung auf dem Gebiet der sie betreffenden Krankheit zu unterstützen. Dort können sich z.B. Patienten mit ParkinsonKrankheit treffen und gemeinsam über ihre Probleme sprechen. Familienangehörige von Patienten, die an der Huntington-Chorea leiden, sind vor allem daran interessiert zu erfahren, welcher der Nachkommen ebenfalls von dieser Demenz betroffen sein könnte. Familien, in denen ein Mitglied an der Alzheimer-Krankheit leidet, finden in der entsprechenden Vereinigung Rat und Unterstützung.
Der Begriff »präsenil« blieb lange Zeit etwas verschwommen. Einige lehnten ihn vehement ab, für sie gab es nur die Stufe »alt«. Sie haben das Phänomen der progressiven Rückbildung bestimmter Strukturen im Gehirn, die für sein einwandfreies Funktionieren unerläßlich sind, schlichtweg geleugnet. Mittlerweile ist die Bezeichnung akzeptiert und wird von Medizinern für demente Patienten unter 60 Jahren verwendet. Die Alzheimer-Krankheit ist eine präsenile Demenz. Ein aufgeklärtes Umfeld wird die Symptome sogleich richtig deuten, denn die senilen Verhaltensmuster sind für Personen unter 60 Jahren ungewöhnlich. Da ist zum Beispiel die 55jährige Frau, die beim Gespräch mit Bekannten zu ihrem Mann, der gerade in allen Einzelheiten von seinem langjährigen Auslandsjob erzählt hat, sagt: »Aber Schatz, du weißt doch, daß wir niemals in diesem Land gewesen sind.« In einem anderen Fall kann es vorkommen, daß der Mann nach dem Erwachen im Ehebett zu seiner Gattin sagt: »Aber gute Frau, was machen Sie in meinem Bett? Ich kenne Sie nicht...« Die Demenz vom Alzheimer-Typ ist in erster Linie die auf eine bestimmte Lebensphase begrenzte definitive Amnesie (Erinnerungslücke), die meist sehr plötzlich auftritt. Sobald die Nahestehenden des Betroffenen erkennen, daß Äußerungen wie die soeben beschriebenen keine geschmacklosen Scherze sind, ist ärztlicher Rat geboten. Neben den auffälligen Erinnerungslücken können sich die Störungen aber auch progressiv manifestieren und längere Zeit unerkannt bleiben. Vergeßlichkeit und Fehler werden am ehesten im beruflichen Umfeld von Kollegen oder Vorgesetzten bemerkt. Wird der Kranke auf diese Unzulänglichkeiten hin angesprochen, wird er sie nicht eingestehen, sondern gänzlich abstreiten. Der konsultierte Arzt bemerkt im Verlauf der Unter-
suchung, daß sein Patient Wörter verwechselt, beim Schreiben ganze Wörter vergißt oder sie verstümmelt. Speziell durchgeführte Tests zeigen, daß der Patient auch beim Kopfrechnen deutliche Schwächen zeigt sowie Schwierigkeiten hat, die Gesichter von Verwandten und Freunden wiederzuerkennen. Er ist nicht in der Lage, einen Würfel dreidimensional zu zeichnen. Bei bereits fortgeschrittener Demenz ist der Kranke desorientiert und findet beispielsweise in seiner vertrauten Umgebung nur schwer den Weg von einem Zimmer ins andere wieder. Wenn er aus dem Haus geht, vergißt er möglicherweise, den Herd auszuschalten. Obgleich dieses Verhalten das unmittelbare Umfeld des Kranken alarmiert und Besorgnis erregt, wird häufig aus Scham noch lange Zeit eine trügerisch intakte soziale Fassade aufrecht erhalten. Amerikanische Wissenschaftler erhielten 1988 vom Senat beträchtliche Forschungsgelder. Zugleich wurde die
Stelle eines Forschungsleiters geschaffen, der ausschließlich Koordinierungsfunktion haben und dafür Sorge tragen sollte, daß jede Entdeckung festgehalten und sogleich an alle Laboratorien des Landes weitergegeben wurde. Bösen Zungen zufolge sollen laut Aussage des Koordinators ein Zehntel der seinerzeit im Amt befindlichen Senatoren selbst potentielle Alzheimer-Kranke gewesen sein (ihr Altersdurchschnitt lag bei ca. 70 Jahren). Die Alzheimer-Krankheit tritt innerhalb einer Familie zumeist als Einzelfall auf: Die Nachkommen des Erkrankten bleiben verschont. Eine Ausnahme bildet hier allerdings eine Familie, deren Geschichte von Foncin genauer erforscht wurde (1983). Der Ursprungsherd der Krankheit liegt in Süditalien. Die Registrierung des ersten Krankheitsfalls in den Akten reicht weit zurück. Anhand dieses Falls und der Nachkommen, die zum Teil in die USA und nach Frankreich auswanderten, erstellte
Foncin eine bemerkenswerte Genealogie über zehn Generationen mit insgesamt 1.435 Personen, die nachträglich untersucht wurden. Die Schäden, die sich bei den Alzheimer-Patienten der jüngsten Generation manifestierten, sind die gleichen, die Alois Alzheimer bereits 1906 beschrieb, als er diese häufig auftretende Erkrankung des Gehirns von anderen Demenzen abgrenzte (senile, vaskuläre, posttraumatische, postinfektiöse Demenz etc.). Ohne näher ins Detail gehen zu wollen, ist zu sagen, daß die unter dem Mikroskop erkannten Läsionen sehr spezifisch sind. Die Nervenzellen des Hippocampus sterben in ganz besonderer Weise ab: Ihre dem Zerfall nahe Struktur ähnelt dort, wo normalerweise die intakten Neurofilamente und Mikrotubuli verliefen, einem Stück Stacheldraht. Im Labor durch Einfärbung (rot oder rosa) kenntlich gemachte Plaques sind zunächst gehäuft in dieser Hirnregion zu finden, bevor sie auch auf andere Bereiche übergreifen. Die anormale Bausubstanz dieser Plaques lagert sich in den Wänden der Hirngefäße ab. Es handelt sich bei dieser Substanz um ein Protein, über das trotz Forschung nach wie vor noch ziemliche Unklarheit herrscht. Die Vermutung, daß es infolge der Mutation eines Gens im Chromosom 21 synthetisiert wird, gründet sich auf die unbestrittene Tatsache, daß über 40 Jahre alte Patienten mit Trisomie 21 bisweilen gegen Ende ihres Lebens Verhaltensstörungen und Hirnschädigungen aufweisen, die typisch für eine Demenz vom Alzheimer-Typ sind. Dies ist allerdings nur ein Erklärungsansatz. Es gibt andere Wissenschaftler, denen zufolge die Ursache der Proteinsynthese in einem anderen als dem Chromosom 21 zu finden ist. Dieses Thema ist seit vielen Jahren immer wieder Gegenstand zahlreicher Kongresse in der ganzen Welt. Die Dringlichkeit einer wirksamen und gezielten Be-
handlung liegt auf der Hand. Deren Erfolg hängt insbesondere von der Wirksamkeit der eingesetzten Therapeutika ab. Die Suche nach geeigneten Mitteln hat anfangs noch in zahlreiche Sackgassen geführt, doch mittlerweile ist die Forschung nicht zuletzt dank verstärkter finanzieller Förderung auf dem richtigen Weg. Bereits in absehbarer Zeit wird man in der Lage sein, ein Fortschreiten der Hirnschädigungen zu blockieren, weil man ihrer Entstehung auf die Spur gekommen ist. Und zwar nicht nur unter dem Mikroskop, sondern auch durch die Fülle von Daten, welche die Neurochemiker mit den Jahren über dieses Protein, das für den vorzeitigen Verfall der Nervenzellen des menschlichen Kortex verantwortlich ist, zusammengetragen haben. Die Huntington-Chorea ist ausnahmslos eine Erbkrankheit. Keiner hat sie besser beschrieben als George Huntington, dessen Namen sie auch trägt. Als junger Medizinstudent schrieb er 1872 in einer Zeitschrift: »Bei einem gemeinsamen Ausritt [...] mit meinem Vater, der Arzt ist, [...] stießen wir plötzlich auf zwei Frauen, offensichtlich Mutter und Tochter, die leichenhaft wirkten, sich krümmten und wanden und Grimassen zogen. Ich war erschrocken, fast verängstigt. Was hatte das nur zu bedeuten? Mein Vater hielt an, um mit ihnen zu sprechen, ritt dann aber weiter.« Huntington rekonstruierte daraufhin die Abstammungsgeschichte dieser beiden Frauen. Auf Long Island, in der Nähe von New York, nahm er seine Studien auf und konnte sehr präzise Informationen — über drei Generationen hinweg - zu dieser unglückseligen Familie zusammentragen. Er schrieb schließlich folgendes: »Die erbliche Chorea, wie ich sie nenne, tritt glücklicherweise in nur wenigen Familien auf. In diesen wird sie von Generation zu Generation als Erbe weitergegeben, dessen
Vergangenheit im dunkeln bleibt. Jene, die wissen, daß sie die Keime dieser Krankheit in sich tragen, sprechen nur selten - und falls doch, dann mit Grauen - darüber. Ihre Symptome gleichen denen der gewöhnlichen Chorea, sind jedoch stärker ausgeprägt. Sie bricht im mittleren Alter aus und manifestiert sich in einem allmählich fortschreitenden, irreversiblen Verfall des Kranken, von dem am Ende nur noch eine erbärmliche Hülle dessen, was er einmal gewesen ist, übrigbleibt. Wenn sich die Krankheit bei einem Elternteil manifestiert hat, wird es fast unweigerlich auch in der Nachkommenschaft ein oder mehrere Krankheitsfälle geben, sofern die Kinder ein mittleres Lebensalter erreichen. Sollten die direkten Nachkommen allerdings das Glück haben, von dem Leiden verschont zu bleiben, reißt der »Erbfaden« ab, und die Enkel und Urenkel können ruhig schlafen und sich sicher sein, niemals von dieser Krankheit heimgesucht zu werden. So wechselhaft und seltsam manche Symptome der erblichen Chorea bisweilen auch sein mögen, eines steht unumstößlich fest: Niemals überspringt sie eine Generation und manifestiert sich erst in der übernächsten [...]. Ich habe nie erlebt, daß ein Kranker geheilt wurde oder sein Leiden sich gebessert hätte. Der Kranke und sein Umfeld wissen um diese Tatsache und ziehen daher nur selten einen Arzt zu Rate. Die psychischen Störungen mit zum Teil paranoidhalluzinatorischen Symptomen, die den Kranken bisweilen in den Selbstmord treiben, sind sehr stark ausgeprägt. Mit Fortschreiten des Leidens baut der Patient sowohl körperlich als auch geistig zusehends ab, bis ihn schließlich der Tod erlöst.« Diese mehr als hundert Jahre alte Beschreibung hat nicht an Aktualität verloren. Alle Aspekte werden berücksichtigt: die Schwere des Leidens, die Symptome
(Chorea > griech. choreia = »Tanz, Reigen, Veitstanz«), die Furcht der Familien, daß sich die Krankheit weitervererben könnte, und ihre geringe Bereitschaft, darüber zu sprechen, das ungleiche Schicksal der verschiedenen Abstammungslinien, die Mendelschen Gesetze (dominanter Erbgang ohne Generationensprung), das in fast allen Fällen gleiche Alter, in dem die Störungen innerhalb einer Familie auftreten, der häufige Selbstmord oder der Tod im bettlägerigen Zustand. Als Ergebnisse neuerer genetischer Studien sind zu nennen: Die Isolierung des mutierten Gens, das auf dem kurzen Arm des Chromosoms 4 liegt; die Bestätigung,
daß die vom Nervenzellensterben am stärksten betroffene Region sich im Nucleus caudatus befindet, also inmitten der tiefstgelegenen Hirnregion; Bestätigung der zeitlich begrenzten Wirksamkeit bestimmter Neuroleptika oder Tranquilizer. Man kann heute bei einem noch jungen Menschen, der nach außen hin gesund erscheint, mit absoluter Sicherheit feststellen, ob er das kranke Gen in sich trägt, das zu gegebenem Zeitpunkt die oben beschriebenen schrecklichen Krankheitssymptome auslösen wird. Die Diagnostik erfolgt klinisch, ein Molekularbiologe stellt fest, ob das mutierte Gen vorliegt oder nicht. Bei einem positiven Gentest kann der Kranke bzw. zukünftige Kranke eine soziopsychologische Betreuung in Anspruch nehmen. Häufig ist jedoch vor allem das Umfeld des Kranken den extremen psychischen Belastungen nicht gewachsen. Familie und Freunde ziehen sich zurück, und viele Ehen zerbrechen schon bald nach dem Auftreten der ersten Anzeichen. Die Parkinson-Krankheit manifestiert sich progressiv ab mittlerem Lebensalter (etwa 60 Jahre) durch langsam fortschreitende hochgradige Bewegungsarmut bis zur Bewegungslosigkeit (Akinese). Weitere Symptome sind u.a. fehlende Mitbewegungen, kleinschrittiger Gang, Beugehaltung von Rumpf und Gliedern, Mimikarmut (»Maskengesicht«) und nicht zuletzt der charakteristische Tremor, der auch im Ruhezustand auftritt. Bei emotionaler Erregung und Erschöpfung ist er verstärkt, bei Willkürbewegungen wird er dagegen schwächer. Er betrifft vor allem die Hände: Man hat den Eindruck, der Kranke zerkrümele mit seinen Händen Brot oder zähle Münzen. Bei der Parkinson-Krankheit kommt es zu einer Degeneration der Substantia nigra oder »schwarzen Substanz«, die durch das Absterben der melaninhaltigen Nervenzellen ihre schwärzliche Färbung verliert. Die Substantia
nigra steuert die Motorik (ähnlich wie das Kleinhirn, nur auf andere Weise), insbesondere die Geschmeidigkeit der Bewegungen. Ihre Degeneration führt dazu, daß der Kranke mit der Zeit immer bewegungsärmer wird und schließlich wie erstarrt erscheint (Rigor). Die Nervenzellen in der Substantia nigra bilden und speichern den Neurotransmitter* Dopamin, der für dynamische Bewegungsabläufe unentbehrlich ist. Sie werden daher auch als dopaminerg bezeichnet. Dopamin wird in bestimmten synaptischen Spalten freigesetzt (wir kommen später darauf zurück). Oliver Sacks berichtete 1969, daß durch Verabreichung von Dopamin das Leiden seiner Parkinson-Patienten auf wundersame Weise gelindert wurde. Leider erschöpfen sich die positiven Wirkungen dieser Substanz nach einigen Monaten oder Jahren. Bei ihrem Kampf gegen den Parkinsonismus kam den Wissenschaftlern die Idee, Nervenzellen zu transplantieren. Bei dieser Behandlungsmethode werden dem Kranken aus einer Nebenniere Zellen entnommen und in die Substantia nigra injiziert, wo sie durch Freisetzung nunmehr wieder ausreichender Dopaminmengen deren Zerfall aufhalten sollen. Diese Methode hatte sowohl Erfolge als auch Mißerfolge zu verzeichnen. Die Neurochirurgen, die dopaminhaltige Zellen auch aus anderer Quelle transplantieren, sind dennoch zuversichtlich. Ihre couragierten Behandlungsansätze sind auf jeden Fall im Auge zu behalten, um so mehr, als die klassische Pharmakologie auf der Stelle tritt.
Die Ausfälle Die Neurowissenschaften sind derart strukturiert, daß sie eine zwar deutliche, aber nicht rigorose Abgrenzung zwi-
schen sogenannter trockener und feuchter Neurologie vornehmen, deren Inhalte komplementär sind. Der ersten verschreiben sich Forscher aus dem Gebiet der Grundlagenphysik, die die entsprechenden Techniken beherrschen (Untersuchung visuell und akustisch evozierter Potentiale, NMR, radioaktive Markierung etc.). Der zweiten fühlen sich Biochemiker und in deren Schlepptau Neuropharmakologen zugehörig, die sich schwerpunktmäßig mit dem Funktionsmechanismus der Ionenkanäle (Semipermeabilität der Zellmembran, die den Ionenfluß ermöglicht) in den Nervenzellen und dem molekularen Inhalt der Synapsen beschäftigen. Trotz der Erfolge, die in beiden Disziplinen verzeichnet werden konnten, sind bei den meisten neurologischen oder psychiatrischen Krankheiten die Ursachen immer noch nicht vollends erforscht. Und solange ursächliche Fragen offen bleiben, wird es schwierig sein, diesen Krankheiten mit einer dauerhaften und wirksamen Behandlung zu begegnen. Kurioserweise erreichen manche Gehirne ohne großen Leistungsabfall eine Lebensdauer, die weit über dem üblichen Mittel liegt. Das Geheimnis dieser zwar greisen, aber dennoch verläßlichen Gehirne liegt in einem außergewöhnlichen Selbstregulierungsmechanismus begründet. Voraussetzung hierfür sind einwandfreie Gene und eine fehlerlose Synthese von Proteinen und anderen Enzymen. Der synaptische Spalt und die Milliarden von Molekülen, Neurotransmittern und Neuropeptiden*, die er aufnimmt und weiterleitet, bilden zusammen eine beeindruckende morphologisch-chemische Einheit, deren Wirkungsmechanismus maßgeblich unser Verhalten und unsere Stimmungen steuert. Von den Neurotransmittern, die in den Endknöpfchen der Axone angehäuft werden, sollen an dieser Stelle die wichtigsten kurz vorgestellt werden:
Das Acetylcholin spielt eine wichtige Rolle bei der Erregungsübertragung von der motorischen Nervenfaser auf die postsynaptische Membran, d. h. auf den quergestreiften Muskel. Der Befehl kommt vom Kortex. Die Antwort ist die Kontraktion des Muskels, die die Bewegung auslöst. Dieser Neurotransmitter kommt auch in verschiedensten anderen Bereichen zum Einsatz, u.a. bei Patienten, die an der Huntington-Chorea leiden. Das Hormon Noradrenalin ist als Neurotransmitter unter anderem bei der Reaktion auf Streß wirksam. Es gibt sogenannte noradrenerge Bahnen, deren Nervenzellen sich auf seine Produktion spezialisiert haben. Eine
sehr hohe Konzentration an Zellen, die Noradrenalin produzieren, befindet sich in den Nebennieren. Aus dem Wissen um diese Produktionsstätte ist z.B. der umgangssprachlich recht verbreitete Ausdruck »Adrenalin ausschütten« entstanden, der im Grunde treffend beschreibt, was in mancher Situation tatsächlich im Körper abläuft. Das Dopamin (die Substanz selbst oder ihre Derivate) spielt bei der Behandlung der Parkinson-Krankheit eine Schlüsselrolle. Unter den dopaminergen (d.h. Dopamin bildenden) Bahnen ist die Substantia nigra das Gebilde, das die meisten Dopamin absondernden Neuronen enthält. Diese Bahnen sind für die Harmonisierung komplexer Bewegungen und die Regulierung der Stimmungslagen von großer Bedeutung. Das Serotonin und die serotonergen Bahnen regeln den Kreislauf von Wachzustand und Schlaf. Die serotonergen Nervenzellen führen ihre Axone in den Hypothalamus und ins Vorderhirn. Experimente an Ratten haben gezeigt, daß ihre Zerstörung bzw. Blockierung durch antiserotonerge Substanzen innerhalb weniger Tage eine tödliche Schlaflosigkeit bewirkt. Die GABA (Gammaaminobuttersäure) ist die Substanz, die nein sagt. Bisher wurden Neurotransmitter aufgeführt, die entweder anregen oder Spannung abbauen. Die GABA dagegen entfaltet an den Synapsen eine blockierende Wirkung (inhibitorischer Neurotransmitter) und verhindert, daß es beispielsweise bei Angst-, Panik- oder auch Epilepsieanfällen zu unkontrollierten Überreaktionen kommt. Durch zahlreiche im Handel erhältliche Beruhigungsmittel wird ihre Wirkung noch verstärkt. Eines dieser Mittel führt in Frankreich die Liste aller konsumierten Arzneimittel an, was auf einen tatsächlichen bzw. vom behandelnden Arzt, der oft kein Psychiater ist, als fehlerhaft oder empfindlich eingestuf-
ten Steuerungsmechanismus der neuronalen Produktion hinweist. Bei einer auffallenden Deregulierung der Gemütsverfassung ist es ratsam, einen Spezialisten aufzusuchen. Möglicherweise liegt eine manisch-depressive Erkrankung vor, die in vielen Fällen durch eine sorgsam überwachte Verabreichung von Lithium (Dauer- oder Intervallbehandlung) therapierbar ist. Lithium ist ein sehr einfaches Alkalimetall, dessen Wirkungsweise bislang noch nicht genau erforscht ist. Früher wurde diese Erkrankung von Autoren als zirkuläres Irresein bezeichnet. Der Begriff Psychose, wie er beispielsweise noch in der Definition der Schizophrenie zwecks Abgrenzung zu den Neurosen verwendet wird, ist heutzutage nicht mehr gerechtfertigt, daher ist meines Erachtens die Bezeichnung manisch-depressive Erkrankung zutreffender. Neben diesen eindeutig abgrenzbaren Störungen wurden Mischformen beschrieben, die sich nicht in die als starr empfundene Klassifizierung einordnen ließen. So entstand unter anderem der Begriff Psychoneurose oder auch Borderline-Psychose, der sich mitunter in der Praxis bewährt. Bei der manisch-depressiven Erkrankung besteht wie bei vielen anderen ein genetisches Risiko. Zahlreiche Labors sind damit beschäftigt, das (oder die) Gen(e) zu isolieren, die diese recht häufig auftretende Erkrankung auslösen. Diese betrifft den Funktionsmechanismus der regulierenden Nervenzellen des Thymus, des emotionalen Steuerzentrums. Jeder Mensch kennt das Phänomen schwankender Stimmungen und ist sicher schon einmal mit dem falschen Fuß aufgestanden. In der Medizin spricht man hier von Zyklothymie. Beim manischdepressiven Kranken wechseln sich Phasen mit jeweils unterschiedlichen, sehr charakteristischen Symptomen
ab, und zwar spontan, ohne daß ein offensichtlicher Grund erkennbar wäre. Die manische Phase ist charakterisiert durch große Unruhe, trügerische Euphorie, bisweilen Wutanfälle und aggressives Verhalten mit heftigen verbalen Angriffen und/oder wilder, nur schwer in den Griff zu bekommender Gestik. Diese Phase wird abgelöst von einer Depression, die nicht selten sehr stark ausgeprägt ist. In dieser depressiven Phase weigert sich der Patient, Nahrung aufzunehmen oder sich an einen anderen Ort zu begeben. Er zieht sich völlig in sich selbst zurück und verschließt sich gegenüber der Außenwelt. Er bezichtigt sich Vergehen, die er nicht begangen hat, und manövriert sich so in einen Zustand tiefster moralischer Verzweiflung. Die beiden soeben beschriebenen Phasen sind von zuweilen sehr langen Zeiträumen unterbrochen, in denen der Patient psychisch völlig ausgeglichen ist, eine Ausbildung machen oder einen Beruf, sogar in verantwortlicher Position, ausüben kann, insbesondere wenn die Erkrankung auf Lithium anspricht und unter der Voraussetzung, daß der Patient regelmäßig und dauerhaft in Behandlung ist. Ein plötzlicher Abbruch der Behandlung zieht häufig einen fast unmittelbaren Rückfall nach sich. Die Blutwerte des Patienten (respektive die Lithiumdosierung) müssen sorgfältig, in kurzen Zeitabständen kontrolliert werden. Édouard Zarifian bemerkt hierzu: »[...] ein depressiver Zustand, der nicht in Zusammenhang mit einer manisch-depressiven Erkrankung steht, sollte nicht mit Lithium therapiert werden.« Der Begriff der Schizophrenie wurde 1911 vom Schweizer Psychiater Eugen Bleuler geschaffen und löste die Bezeichnung der vorzeitigen Demenz ab, die für ältere Heranwachsende oder junge Erwachsene verwendet wurde und eine definitive Veränderung des Gehirns ohne jegliche Hoffnung auf Besserung oder möglicher-
weise Heilung beschrieb. Die Störungen sind anderer Natur als jene, die beispielsweise bei depressiven oder Angstzuständen auftreten: äußerst merkwürdiges, den Umständen nicht angepaßtes Verhalten; durch Kälte und Gleichgültigkeit gekennzeichnete Phasen, die durch impulsive Anfälle von Haß und Feindseligkeit unterbrochen werden; unausgeglichene Stimmung mit plötzlichen grundlosen Lachanfällen; lange meditative Betrachtungen vor dem Spiegel; Katatonie (Bewegungsstarre) über längere Zeit. Die unter Umständen begleitend auftretenden Halluzinationen sind häufig eher akustischer denn visueller Natur: Der Kranke hört eine innere Stimme, die ihn beleidigt, ihm Obszönitäten zuruft und ihm Befehle gibt. Er hat den Eindruck, seiner Gedanken beraubt und ferngelenkt zu werden. Seine Psyche zerbröckelt langsam. Der Krankheitsverlauf ist individuell verschieden und Heilung durchaus möglich. Viele Patienten sondern sich völlig von der Außenwelt ab und igeln sich in der eigenen Gedanken- und Vorstellungswelt ein (Autismus). Wieder andere verfallen in einen dauerhaften, völlig absurden deliranten Zustand oder dämmern in einem fortschreitenden intellektuellen Verfall dahin. Dieser weißt auf eine Atrophie des Gehirns hin, die durch moderne Techniken (Scanner oder NMR) bildlich dargestellt werden kann. Bestimmte Klassifizierungen, insbesondere jene des DSM (Diagnostic Statistical Manual of mental disorders), versuchen, Untergruppen der Krankheit als schizophrene Psychosen zu klassifizieren, was zur Folge hat, daß die Suche nach biologischen, möglicherweise genetischen Faktoren kaum vorankommt. So wurde z.B. die dopaminerge Theorie der Schizophrenie, die davon ausgeht, daß bei Schizophrenen eine Übererregbarkeit des dopaminergen Systems besteht, noch nicht umfassend
erforscht. Der frühkindliche Autismus (vormals Schizophrenia praecocissima) ist eine bereits im Säuglingsalter erkennbare Kontaktstörung, die keine Phasen inneren wie äußeren Gleichgewichts kennt. Hierdurch ist es dem erkrankten Kind unmöglich, im Gegensatz zu der zuvor beschriebenen vorzeitigen Demenz bzw. Schizophrenie, eine normale Schule zu besuchen. Der Artikel von Leo Kanner, der den Begriff des frühkindlichen Autismus definitiv einführt, stammt aus dem Jahre 1943. Er wurde in der Zeitschrift Nervous Child unter dem Titel »Autistische Störungen der affektiven Beziehung« veröffentlicht. Die vom selben Autor darin vorgeschlagenen Einschlußkriterien wurden ein halbes Jahrhundert später fast wortwörtlich in die letzte Ausgabe der Internationalen Klassifizierung der Krankheiten, die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) herausgegeben und aktualisiert wird, übernommen. Die ersten Anzeichen der Krankheit sind für sensibilisierte Beobachter lange Zeit vor Vollendung des zweiten Lebensjahres erkennbar. Der Blick des Säuglings ist in die Ferne gerichtet. Wenn man ihn auf den Arm nimmt, weint er. Später reagiert er auf Zuwendung der Umgebung überhaupt nicht mehr. Man hat den Eindruck, als umgebe ihn eine unsichtbare Mauer. Bis zum dritten Lebensjahr spricht das erkrankte Kind kein einziges Wort, so daß man geneigt ist, Taubheit als Ursache zu vermuten, die jedoch nicht vorliegt. Sein Interesse ist beschränkt und durch Monotonie gekennzeichnet: Das Kind kann sich stundenlang, in völliger Abschottung von der Außenwelt, mit ein und demselben Spiel beschäftigen. Es verweigert jegliche Gruppenaktivität. Sollte man darauf bestehen, beginnt es zu schreien und sich auf dem Boden hin und her zu werfen. Sofern ein Sprachverständnis gegeben ist und das Kind zu sprechen beginnt,
zeigt es starke Sprachstörungen: Es wiederholt sich in seinen Äußerungen, die zudem häufig unzusammenhängend und der Situation nicht angemessen sind. Es leiert Wörter herunter, stößt sich den Kopf und springt, mit den Armen wild um sich schlagend, wie im Wahn auf der Stelle auf und ab. Es dauert lange, bis das Kind sich selbständig ankleiden, ohne Hilfe essen und sich waschen kann. Es entwickelt starre Rituale, und werden diese gestört, kommt es zu Tobsuchtsanfällen mit Zerstörungswut. Allem Anschein zum Trotz ist die Intelligenz des an frühkindlichem Autismus erkrankten Kindes jedoch nicht unbedingt vermindert. Zumindest jene nicht, die mit klassischen Intelligenztests geprüft wird. Diese decken allerdings nur einen Teilbereich ab und haben somit nur begrenzten Aussagewert. Die Leistungen im Kopfrechnen sowie die Gedächtnisleistung sind bisweilen erstaunlich. Im Rahmen seiner Möglichkeiten kann ein autistisches Kind Sprache, soziale Verhaltensmuster, technische oder künstlerische Fähigkeiten erlernen. Dies erfordert allerdings seitens der Familie überdurchschnittliches Engagement und große Opferbereitschaft sowie Unterstützung durch erfahrene Psychologen und Psychiater. Glücklicherweise sind die Zeiten der soziomentalen Hygiene, wie sie von Cyril Koupernik bezeichnet wurden, endgültig vorbei, als sich Ankläger zu Wort gemeldet haben, »die niemals ein autistisches Kind mit leerem Blick in ihren Armen gehalten haben«. Über Jahre hinweg haben sie den Eltern, insbesondere den Müttern, Schuldgefühle eingeredet und ihnen vorgeworfen, sie seien unfähig, ihr Kind zu lieben, und schuld daran, daß es an Autismus leide, obwohl die Ursachen dieser Störung bis heute nicht bekannt sind. Da es sich in der
Regel um einen familiären Einzelfall handelt, geht man bei der Suche nach den Ursachen für die Störungen im Gehirn dieser unglücklichen Patienten nicht unbedingt von einem genetischen Defekt aus. Neuere Studien unter Einsatz von NMR zeigen mitunter eine anormale Entwicklung bestimmter Regionen des Kleinhirns auf. Dieser Erklärungsansatz muß allerdings noch durch weitere Untersuchungen bestätigt werden.
Weshalb überhaupt ein Gehirn? In Ihrem besten Wissen und Gewissen
D. C. Dennet schrieb 1991: »Das menschliche Bewußtsein ist eine noch junge Innovation, die sich nicht einfach in die Schublade des genetischen Allerleis stecken läßt.« Das sterbliche menschliche Wesen ist der Nachkomme von Säugetieren, die vom Tod nichts wußten. Ein Tier kennt das Gefühl der Angst: Der Hund fürchtet sich vor Schlägen, die Katze scheut das Wasser. Diese Ängste sind instinktiv, unreflektiert. Das menschliche Gehirn, sprich der Mensch, ist sich dieser und anderer Gefühle bewußt, kann sie unterdrücken oder vielleicht überwinden. Qualvoll ist jedoch die Furcht vor dem Tod, weil der Mensch nicht weiß, was ihn nach seinem Leben erwartet. Sein Leben lang ist er auf der Suche nach dem perfekten Glück und findet es doch so gut wie nie. Möglicherweise vergißt er bei dieser Suche sogar, daß er sterben muß — oder er tut zumindest so, als hätte er es vergessen. Der Mensch unterscheidet sich von jedem anderen Säugetier im wesentlichen dadurch, daß er um seinen Tod weiß, dem er durch das Bestattungsritual seine Bedrohlichkeit zu nehmen versucht, und dadurch, daß er bei seiner Sinnsuche ständig etwas Neues zu erleben versucht, das ihm die vermeintliche Erfüllung bringen soll.
Früher sollten mit dem Ritual der Totenbestattung die Kräfte des Jenseits beschworen werden. Der Mensch fürchtete weder Wasser noch Feuer. Es blieb die Angst vor dem Himmelsgewölbe, der Sonne, dem Mond, den Sternen und insbesondere vor Gewitter und Zeiten der Dürre. In ursprünglichen Religionsgemeinschaften taucht eines - oder sogar mehrere - dieser Elemente immer wieder auf. Menschenaffen (Hominiden) dagegen begreifen anfänglich nicht, daß ein Artgenosse gestorben ist. Sie verhalten sich dem Kadaver gegenüber so, als wäre dieser noch lebendig, und versuchen sogar, mit dem leblosen Tier zu spielen. Schließlich macht sie dessen Anteilnahmslosigkeit jedoch derart wütend, daß sie den Kadaver zunächst auseinandernehmen und dann einfach liegen lassen. Im Gegensatz zu diesen Affen ehrt jede menschliche Gemeinschaft ihre Toten stets mit einem Zeremoniell, und sei es auch nur ein ganz bescheidenes (ausgenommen in Kriegszeiten, bei Hungersnöten oder Epidemien). Schon der vor 100.000 Jahren auf der Erde lebende Neandertaler bestattete seine Toten. Einige Höhlen des Magdalénien (Kulturstufe der Altsteinzeit, benannt nach der Fundstätte La Madeleine im Département Dordogne, Frankreich), die etwa 20.000 Jahre alt sind, gleichen geweihten, reich geschmückten Altarräumen und zeugen von religiösen und symbolischen Ritualen. Neben den Verstorbenen wurden Blumen, rotes Ockerpulver, Waffen und Werkzeuge gelegt - ein Zeichen dafür, daß die Menschen an ein Jenseits glaubten. Einige in diesem Zusammenhang ganz interessante Zeilen aus der Rubrik »Correspondence« der Zeitschrift Nature vom 15. April 1993 seien an dieser Stelle aufgegriffen. Sie stammen aus der Feder von B. D. Josephson, Forscher am Cavendish Laboratory in Cambridge, jenem
Ort, an dem James Watson und Francis Crick die Doppelhelixstruktur der DNS (Desoxyribonukleinsäure) entschlüsselt haben. Vierzig Jahre nach dieser bahnbrechenden Entdeckung schreibt Josephson, daß jede menschliche Religionsgemeinschaft (mit Ausnahme pathologischer Abweichungen) unter anderem bestrebt sei, die menschliche Barmherzigkeit zu »maximieren«. Nach Ansicht des Autors besteht zwischen religiösen Verhaltensweisen und der Entwicklung des Gehirns, die heute weitestgehend erforscht ist, ein Zusammenhang: Religiöses Verhalten sei zum Teil durch gewisse Gene bestimmt, die sogar eine Rolle bei der natürlichen Auslese spielen würden. Er schreibt des weiteren, daß die Barmherzigkeit, die Liebe und die Weisheit die Grundlagen moderner Religionen bildeten (z.B. des Buddhismus). Claude Lévi-Strauss erklärte 1991: »Einzig die Betrachtung einer Pflanze oder eines Tieres weckt in mir ein geheiligtes Gefühl oder zumindest ein Gefühl, von dem ich glaube, daß andere es als solches bezeichnen. Alles, was ihr Überleben und den Erhalt ihrer Mannigfaltigkeit bedroht, quält mich.« Es ist das Überleben des menschlichen Gehirns, um das es hier geht. Bei seiner Suche nach dem Glück und dem Bestreben, dem tristen Alltag zu entfliehen, hat der Mensch sich bereits vor langer Zeit künstliche Paradiese erschaffen: Seit dem späten Altertum weiß man um die Wirkung zahlreicher Substanzen pflanzlichen Ursprungs, mit denen sich Stimmungslagen je nach Wunsch beeinflussen lassen. Drogenkonsum nennt man das heute. Die besagten Substanzen wurden vielseitig eingesetzt: Die Krieger nahmen sie, um sich Mut für die Schlacht zu machen; Entscheidungsträger in Politik und Gesellschaft, um ihren Verstand zu schärfen; breite Anwendung fanden sie
vor allem bei der allgemeinen Bekämpfung von Unzufriedenheit, Depressionen oder Angstgefühlen. Bei Ausgrabungen in Äthiopien stieß man auf die Ruinen von Siedlungen, die vor mehr als 5.000 Jahren erbaut worden sind. In der Nähe der Feuerstätten hatten die Eingeborenen unter Steinen Indischen Hanf, aus dem das Rauschgift Haschisch gewonnen wird, versteckt, eine Pflanze, die viel später auch von einigen Sekten im Mittleren Orient verwendet wurde. Die Mitglieder dieser Sekte hießen Hachachins - eine Bezeichnung, aus der sich übrigens der französische Begriff assassin (Mörder) ableitet. Haschisch, mit dem sich Moreau de Tours bereits 1842 in einer Abhandlung mit dem Titel Du haschisch et de l'aliénation mentale (Vom Haschisch und der Entfremdung des Geistes) beschäftigte, wirkt selektiv auf die Rezeptoren der nachgeordneten Nervenzellen, die sich im Hippocampus und in bestimmten Bereichen des Kortex befinden. Mittels Positronenemissionstomographie (PET) können in diesen Regionen Veränderungen des Gehirnstoffwechsels sichtbar gemacht werden. Aus den Mohnpflanzen des Orients (Papaver orientalis) wird Opium nebst Alkaloiden (Morphin bzw. Morphium und Heroin) gewonnen. Unser zentrales Nervensystem und insbesondere das Gehirn produzieren übrigens ihre ganz eigenen Beruhigungsmittel. Die Geschichte der Entdeckung dieser zerebralen Endorphine (Wortschöpfung aus den Begriffen Morphin und endogen > griech. = »von innen kommend«) soll an dieser Stelle kurz geschildert werden: Neurophysiologen wollten herausfinden, wo und wie das Morphin (seit 1803 bekannt und nach dem griechischen Gott des Traumes, Morpheus, benannt) auf das Gehirn wirkt. Die Argumentation der Forscher in den siebziger Jahren war folgende: Da das analgetisch wirkende Morphin von den
zerebralen Nervenzellen aufgenommen wird, sondert möglicherweise das Gehirn selbst dem Morphin verwandte Substanzen ab, die ähnliche Eigenschaften wie das natürlich vorkommende pflanzliche Alkaloid aufweisen. 1976 gelang es Neurochemikern, körpereigene Substanzen zu isolieren, die zunächst mit dem Terminus Opioide (dem Opium ähnlich) bezeichnet, schließlich in opioide Peptide bzw. Neuropeptide umbenannt wurden. Zu dieser Gruppe zählen u.a. die Endorphine. Ihre molekulare Struktur, die komplizierter und schwerer ist als die der Neurotransmitter, entspricht weitestgehend jener der Opiate, die aus dem Papaver orientalis gewonnen werden. Die postsynaptischen Nervenzellen aller Wirbeltiere besitzen an ihrer Oberfläche sogenannte Opiatrezeptoren, die im Rahmen der physiologischen Schmerzdämpfung die opioiden Peptide binden, wodurch die Leitung von Schmerzreizen gestört wird. Sehr wahrscheinlich wird also das individuell sehr unterschiedliche physische Schmerzempfinden des Menschen maßgeblich durch die Quantität und Qualität der Endorphine bzw. ihrer Rezeptoren bestimmt. Südamerikanische Ureinwohner haben die CocaPflanze als Stimulans und Rauschmittel entdeckt — lange bevor man in Kolumbien begann, mit der weltweiten Vermarktung von Kokain große Geschäfte zu machen. Bei den Aymara in Bolivien bedeutet coca »Baum« oder »Pflanze«. Im elften Jahrhundert hatte die Coca-Pflanze in den südamerikanischen Ländern den Rang einer heiligen Pflanze, die von den Göttern der Incas geschaffen worden sein soll, um Hunger und Müdigkeit zu unterdrücken. So wie im Orient Opium geraucht wird, raucht die Bevölkerung in den Kokain produzierenden Ländern (Kolumbien, Peru, Bolivien) eine als Crack bezeichnete Masse, ein Gemisch aus getrockneten Coca-Blättern,
Kerosin und Schwefelsäure. Das Salz des Kokains, das Cocainum hydrochloricum, ist ein weißes Pulver, das man inhalieren oder sich in eine Vene spritzen kann. Es hemmt bestimmte synaptische Enzyme, deren Aufgabe es ist, den Neurotransmitter Dopamin wieder in die Nervenzelle zurückzuschleusen. Dessen Wirkung dauert dadurch länger als normalerweise üblich an und versetzt den Konsumenten vorübergehend in einen euphorischen Rauschzustand. Auch in heutiger Zeit hat sich das Drogenkonsumverhalten der Menschen nicht geändert. Hinzugekommen sind synthetische Drogen, die vergleichbare Wirkungen haben, sowie der Konsum von verschiedenen pflanzlichen Giften, Rauschmitteln (Alkohol, Ether), Hypnotika, Barbituraten, Betäubungsmitteln, Halluzinogenen und Amphetaminen. Mit den Jahren gewannen Drogenanbau und -handel wirtschaftlich und finanziell immer mehr an Bedeutung - sowohl für die produzierenden Länder als auch für jene, die mit dem Drogenhandel weltweit große Geschäfte machen. Es gilt heute als gesichert, daß der Wirkungsgrad von Drogen davon abhängt, wie stark diese die zellulären Rezeptoren beeinflussen. Die zuvor erwähnten Drogen haben gemein, daß sie bei längerem Konsum zunächst zu einer zunehmenden Toleranz und dann zur Gewöhnung führen, was wiederum eine kontinuierliche Erhöhung der Dosen und schließlich die Abhängigkeit zur Folge hat. Der Drogenkonsument wird zum Patienten mit zerebraler Erkrankung. Durch den Drogenmißbrauch wurde ein neues Kapitel der Pathologie des menschlichen Gehirns aufgeschlagen: die experimentelle Humanpsychiatrie. Ein Weg aus der Abhängigkeit ist bis zu einem gewissen Grad durch Entziehungskuren in spezialisierten Kliniken bzw. Anstalten
möglich. Der Entzug verlangt dem Kranken enorm viel ab. Alkoholabhängige verfallen in schweren Fällen beispielsweise ins sogenannte Delirium tremens (Alkoholdelir), viele stehen die Behandlung nicht durch oder werden wieder rückfällig. Der französische Schauspieler Yves Montand hat in dem Film Cercle rouge in beeindruckender Weise einen Alkoholiker auf Entzug dargestellt, der sein Delirium regelrecht lebt, weil es ihm real erscheint. Typische Merkmale eines Delirium tremens sind heftige Schweißausbrüche, Halluzinationen, hohes Fieber, Dehydration — der Abhängige stirbt, wenn er nicht umgehend medizinisch behandelt wird. Wir haben den Drogen den Kampf angesagt. Doch der Weg der Entwöhnung und Heilung ist lang und voller Hindernisse. Für viele kommt jede Hilfe zu spät - ihr Gehirn wird irgendwann der todbringenden Überdosis erliegen.
Das Morgen Jean Boissonnat schrieb 1991: »Wir haben den Tiegel zerschlagen, in dem unsere Erinnerungen geformt wurden. Ein Kreislauf vollendet sich. Ein anderer beginnt, dessen wahren Inhalt wir erst in zwanzig Jahren kennen werden, wenn die Kinder, die heute geboren werden [...], erwachsen sind. Hüten wir uns also davor, unsere eigenen Klagen oder Wünsche in die Zukunft einfließen zu lassen.« Es sei an dieser Stelle kurz auf die Theorie der mathematischen Einheiten zurückgegriffen. Diese waren noch vor einigen Jahren weit weniger allgegenwärtig als heute, sind in diesem ganz besonderen Fall jedoch sehr anschaulich. Stellen wir uns vor, die größte Einheit sei
die Biosphäre, die alles umfaßt, was augenblicklich auf diesem Planeten lebt und in zwei Untereinheiten aufgeteilt ist: Zur ersten zählen zirka sechs Milliarden Individuen mit ihren Gehirnen, die ihnen unter anderem das Erlernen von Sprache und kreatives Denken ermöglicht haben. Die zweite Untereinheit, zu der der Rest der lebenden Welt - Tiere und Pflanzen - gehört, wird von der ersten dominiert, die mit ihr macht, was sie will. Wenn man bedenkt, daß zwei oder drei Gehirne verrückter Tyrannen dieses ausgehende Jahrhundert zu einem der grausamsten in der Menschheitsgeschichte gemacht haben, ist berechtigter Anlaß zur Sorge gegeben.
Psyche, menschliche Spezies, Gesellschaft, Sprache, Freiheiten - all diese Begriffe stehen in enger Verbindung zu Gehirnen, die bisweilen von der Familie aufgegeben oder von Sektengurus »gewaschen«, umgedreht, gebrochen oder zerstört wurden. Was die Vergangenheit betrifft, so hat die Geschichte bereits ihr Urteil gefällt. Für die Gegenwart sind die Weichen gestellt, nicht alle augenblicklich stattfindenden Prozesse geben dabei allerdings einen zuversichtlichen Ausblick in die Zukunft. Die Zeiten der Wolfskinder sind zwar endgültig vorbei, Analphabetismus ist dagegen immer noch weit verbreitet. Es werden zwar keine Verstümmelungen des Gehirns mehr vorgenommen (Lobotomie, Exzision des Kortex, Entfernung einer Hirnhemisphäre), in der so gepriesenen Psychopharmakologie, die kranke Gehirne beruhigt, stärkt und chemisch »repariert«, wird aber nicht unbedingt weniger Mißbrauch als früher betrieben, bisweilen durch schlecht informierte Ärzte, aber auch durch die Patienten selbst, wenn sie sich eigenmächtig bestimmter Psychopharmaka bedienen oder sogar mit deren Unterstützung Selbstmord begehen. Das menschliche Gehirn hat vielfältige Aufgaben: Es muß die Informationen verarbeiten, die es erhält, seine Funktion für den Körper erfüllen, sein emotionales Leben steuern: das Wesen der tiefen Gefühle, die es beleben, und die Mechanismen, die es befähigen, sich etwas vorzustellen, zu handeln, zu lieben oder zu hassen. Dies ist der Preis, den es für seine Kontrolle über die Welt um sich herum bezahlt, eine Kontrolle, die allerdings von äußeren Umständen abhängig ist. In dieser gesellschaftlichen Hinsicht gibt es noch eine Menge zu tun. Nur so können wir heutzutage verhindern, vom richtigen Weg abgetrieben zu werden. Doch unter denen, die sich des-
sen bewußt sind, halten nur wenige inne, um sich derjenigen anzunehmen, die vom Weg abgekommen sind. Der Status des erwachsenen Gehirns gilt laut Gesetz mit dem Erreichen des 18. Lebensjahres. Mit 18 Jahren und einem Tag ist das Gehirn also selbstverantwortlich. Leicht gesagt. Durch eine verlängerte Studiendauer beispielsweise wird der Eintritt ins aktive Leben hinausgeschoben. In vielen Fällen überrumpeln die Gesetze der Menschheit, die von der Gesellschaft diktiert werden, ein unverhältnismäßig reifes Gehirn in einem Körper, der insbesondere beim männlichen Geschlecht - noch nicht vollends ausgewachsen ist. Die Wissenschaft hat in nur kurzer Zeit gewaltige Fortschritte verzeichnen können, die auf der einen Seite den Weg frei gemacht haben für neue Berufe, auf der anderen Seite aber zum zahlenmäßig größeren Aussterben insbesondere traditioneller Berufe, die fest zu unserer Gesellschaft gehörten, geführt haben. Parallel hierzu wurden die Lebensformen in einer immer stärker verstädterten Gesellschaft zunehmend freizügiger: Eine höchst explosive Mischung, die nach wie vor brodelt. Der Heranwachsende wird plötzlich mit dem Leben konfrontiert, dem er seine Gefühle und Empfindungen anpaßt, in dem er seine Fähigkeiten einsetzt, seine Überzeugungen formt und seinen Erfahrungsschatz erweitert. Er ist schließlich mit 18 Jahren dem Gesetz nach bereits erwachsen und sollte eigentlich jetzt produktiv und kreativ sein. Denn mit Mitte 20, wenn er nach abgeschlossener Ausbildung tatsächlich ins aktive Leben eintritt, nimmt seine geistige Leistungsfähigkeit bereits wieder ab: Es gilt als wissenschaftlich belegt, daß etwa mit dem 25. Lebensjahr der Zerfall von Hirnzellen einsetzt. Der junge Erwachsene muß also in einem Vierteljahrhundert all das Wissen erworben haben, für dessen Entdeckung die Menschheit Tausende von
Jahren benötigt hat. Natürlich kann auch das bereits ausgereifte Gehirn noch Neues dazulernen, sich erinnern, logisch schlußfolgern, kreativ und produktiv sein. Inwieweit die Leistungsfähigkeit des Gehirns auch im Alter in biologischer und psychologischer Sicht erhalten bleibt, hängt nicht zuletzt insbesondere von der Kraft seiner Überzeugungen oder seines Glaubens und der Beurteilung seiner Umwelt ab. Das Kind, das zur Welt kommt und dessen Gehirn bereits mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle genetisch dahingehend programmiert ist, komplexe Strukturen auszubilden, kann möglicherweise aufgrund irgendwelcher Einwirkungen in seiner Entwicklung zurückgeblieben sein, ohne daß sein näheres Umfeld etwas bemerkt. Im Umgang mit seiner Familie und mit all jenen, die die Aufgabe haben, es zu unterrichten und aufs Leben vorzubereiten, wird es im Laufe seines Heranwachsens sowohl Fortschritte machen als auch Rückfälle erleben. Das physiologisch funktionsfähige Gehirn ist zwar notwendig für eine optimale Entwicklung des Menschen, aber das allein ist noch nicht ausreichend. Vor 1920, als in Lyon noch das Hôpital de la Charité existierte, gebrauchte man dort den Begriff der stabulation, was soviel bedeutet wie »Unterstellung im Stall« und heute ausschließlich im landwirtschaftlichen Bereich verwendet wird. Hiermit sollte die Versorgung von ausgesetzten, in Waisenhäusern untergebrachten Neugeborenen umschrieben werden, die zwar gut genährt waren, aber keinerlei emotionale Zuwendung erhielten und von übertragbaren Infektionen heimgesucht wurden, die oft tödlich verliefen. 1948 erklärte der Kinderpsychiater René Spitz vor der Société française de psychologie: »Der Entzug von affek-
tiver Zuwendung ist für das Neugeborene genauso gefährlich wie der Nahrungsentzug.« Der Evangelist Matthäus war bereits zweitausend Jahre zuvor zu dieser Erkenntnis gelangt, als er schrieb: »Der Mensch lebt nicht vom Brot allein.« (IV, 4) Das Kind reagiert auf seine Mutter, die in die Beziehung zu ihm einerseits die Erfahrungs- und Gefühlswelt einbringt, die sie aus der Beziehung zu den eigenen Eltern aufgebaut hat, aber auch Gefühle an ihr Kind weitergibt, die das partnerschaftliche und sexuelle Gleich- bzw. Ungleichgewicht widerspiegeln. Das Kind erwartet von den Eltern instinktiv Zuwendung und Sicherheit. Zwischen beiden Elternteilen muß ein harmonisches Gleichgewicht bestehen, denn das Kind spürt schnell Meinungsverschiedenheiten und Gegensätze. Eine Trennung der Eltern kann tiefgehende Ängste auslösen, die mitunter nur sehr schwer zu verstehen und zu fassen sind. Marie de Maistre schrieb 1975: »Um die harmonische Entwicklung einer Persönlichkeit zu gewährleisten, muß die Erziehung so weit wie möglich individualisiert werden. Das heißt, die Beziehung Lehrer/Schüler darf sich nicht auf rein funktioneller Ebene entwickeln, es muß vielmehr eine Ebene zwischenmenschlicher Beziehungen geschaffen werden. Der Lehrer ist nicht der, der alles weiß, und der Schüler nicht jener, der noch alles lernen muß. Zwischen Lehrer und Schüler, aber auch zwischen den Schülern selbst, müssen zwischenmenschliche Beziehungen bestehen, die zugleich Wertmaßstab für andere sind.« Die moderne Informatik hat die Gedanken von Marie de Maistre zur Bedeutung des kooperativen Miteinanders von Individuen einer Spezies aufgegriffen und untermauert, insbesondere das Phänomen der Uneigennützigkeit
(Altruismus), bei dem nach wie vor ungeklärt ist, wie es sich in die klassische Darwinsche Theorie (Selektionstheorie) einfügen konnte. In Simulationen wurde gezeigt, daß es für den Menschen von Vorteil ist, gütig statt bösartig, nachsichtig statt nachtragend, einfühlsam statt unsensibel zu sein. Intelligenz begünstigt Kooperation und stellt somit im biologischen Kosmos einen Selektionsvorteil dar. Diese Erkenntnis widerspricht der mitunter vertretenen Meinung, die Phänomene Intelligenz und Komplexifizierung von Lebewesen seien rein zufällig.
vielen Millionen Jahren verfügt das Gehirn über SeitFähigkeiten wie Bewußtsein, Aufmerksamkeit, Kurzund Langzeitgedächtnis, es nimmt Rhythmen und Bewegungen des Körpers wahr und empfängt Informationen über die fünf Sinnesorgane. Seit einigen Hunderttausend Jahren besitzt der menschliche Kortex bereits nahezu jene Struktur, die wir heute kennen. Seit einigen Tausend Jahren vermag das Gehirn zu lesen und Prosa oder Poesie zu verfassen. Seit einigen Jahren unterhält es sich mit den Maschinen, die es selbst geschaffen hat. Doch seine Strukturen sind zerbrechlich. Stets droht Gefahr durch die Moleküle in seinem Innern. Sein scharfer Verstand führt zu immer größerer Isolation in einer Welt, die verrückt geworden zu sein scheint. »Ein niedergekauertes Kind, voller Traurigkeit, läßt Ein Boot schwimmen, das zerbrechlich ist wie ein Schmetterling im Mai.« Arthur RIMBAUD, Le Bateau ivre, 1871. Abb. aus dem Atlas von Orbigny, 1869, Gravur von Fournier, coloriert von Blanchard Ph. © Coll. ES/Explorer Archives.
Anhang
Eingesetzte Arzneimittel
Seit langem unterscheiden Mediziner zwischen symptomatischen Behandlungsmethoden (Behandlung der Krankheitssymptome) und kausalen Methoden (Behandlung der Krankheitsursache). In vielen Bereichen der Medizin wird allerdings ausschließlich symptomatisch behandelt, da bis heute viele Krankheitsursachen immer noch nicht bekannt sind. Dies gilt auch für Erkrankungen des Gehirns. Hier werden Medikamente eingesetzt, die z.B. den Schlaf regulieren, die Häufigkeit von Epilepsieanfällen vermindern, Angstzustände abbauen, die Wachsamkeit erhöhen und Depressionen, Unruhezustände oder auch Delirien mit begleitenden optischen und akustischen Halluziationen bekämpfen sollen. Bei nahezu all diesen Substanzen besteht die Gefahr, daß es beim Konsumenten aufgrund der toxischen Eigenschaften bei Überschreitung der vorgeschriebenen Dosis wiederholt zu Vergiftungen kommt. Der Konsument weiß leider sehr gut um diese Toxizität: Bei Selbstmordversuchen bzw. Selbstmorden wurden häufig ein oder mehrere Medikamente zugleich eingenommen. Arzneimittel dieser Art sind ausschließlich über Rezept, das von einem Allgemeinmediziner oder Psychiater ausgestellt sein muß, erhältlich. Weder die Selbstmedikation noch das abrupte Abbrechen einer Langzeittherapie, das zu bisweilen schwer kontrollierbaren Entzugserscheinungen führen kann, ist wünschenswert. Eine weitere Nebenwirkung dieser Medikamente ist oft die Gefahr der Gewöhnung, die zu einer suchtähnlichen Abhängigkeit führen kann (z.B. bei Barbituraten oder Psychotonika).
Schlaflosigkeit und Hypnotika
Hypnotika sind Schlaf herbeiführende Mittel bzw. solche, die ein Durchschlafen ermöglichen. In geringen Dosen wirken sie als Sedativa (bewirken eine Ruhigstellung), in hohen Dosen als Narkotika. Im Extremfall kann der Patient ins Koma fallen und stirbt an einer Atemlähmung, die wahrscheinlich auf eine Funktionsstörung des verlängerten Rückenmarks zurückzuführen ist. Hypnotika setzen zum einen die Erregbarkeit des zentralen Nervensystems herab, und dies auf allen Ebenen: in der Großhirnrinde, im Thalamus und Hypothalamus sowie im limbischen System und in der Formatio reticularis. Sie verstärken zum anderen die blockierende Wirkung der Gammaaminobuttersäure (GABA, s. S. 84 ) an den Synapsen. Die Barbitursäure wurde erstmals 1864 von Adolph von Baeyer synthetisiert. Sie verdankt ihren Namen angeblich der Form ihrer Kristalle, die an ein harfenartiges Saiteninstrument erinnern (> griech. barbitos). Gemäß der Schilderung Françoise Goldenbergs entstand ihr Name allerdings auf etwas weniger poetische Art: »Der Chemiker feierte seine Entdeckung in einem von Artillerieoffizieren besuchten Gasthof am Tag der Heiligen Barbara, der Schutzpatronin der Artilleristen.« Der Handel mit Arzneimitteln gegen Schlaflosigkeit hat sich in den letzten Jahren dahingehend entwickelt, daß die Barbiturate aufgrund ihrer langsamen und langanhaltenden Wirkung immer seltener verschrieben werden. In der Anästhesie hingegen werden einige Vertreter dieser Gruppe, die sich durch eine schnell einsetzende und kurz andauernde Wirkung auszeichnen, nach wie vor geschätzt. Bestimmte Benzodiazepine haben neben ihrer angstlösenden auch hypnotische Wirkung und werden heute sehr häufig insbesondere unter diesem zweiten Gesichtspunkt eingesetzt. Die Phenothiazine und die Carbamate vervollständigen das beeindruckende Spektrum der Hypnotika. Es ist nicht immer einfach, im Rahmen einer Suchtkrankheit die Grenze zwischen Medikamentengebrauch und Medikamentenmißbrauch in Form von Selbstmedikation zu ziehen. Um einem Mißbrauch entgegenzuwirken, ist es unerläßlich, das Medikament nur über ein ärztliches Rezept abzugeben, so daß eine individuell
angepaßte Einnahme des Mittels in vernünftigen Dosen gewährleistet ist. Schlaflosigkeit an sich ist keine Krankheit, sondern vielmehr ein Symptom, das unter Berücksichtigung der Gesamtsituation des Betroffenen zu untersuchen ist. Depression und Antidepressiva Wie die Behandlung von Angstzuständen mit Beruhigungsmitteln ist auch das Thema Depression derzeit in Mode. Der Begriff ist ein wenig abgedroschen und ungenau, denn bei Depressionszuständen sind verschiedene Stadien zu unterscheiden. Das Spektrum reicht von reaktiver Depression (traurige Verstimmung als Antwort auf eine tiefe psychische Erschütterung; klingt in der Regel von selbst ab) bis hin zu pathologischer Traurigkeit und chronischer Depression, die schließlich wegen Suizidgefahr gezielt behandelt werden muß. Bei akuter Selbstmordgefahr wird häufig das Antidepressivum Imipramin eingesetzt, von dem es zahlreiche Derivate gibt. Eine weitere in Wirkung und Indikation vergleichbare Gruppe von Antidepressiva stellen die Monoaminooxidase-Hemmer (MAO-Hemmer oder MAOH) dar. Der Begriff Monoamine ist ein Synonym für Neurotransmitter wie z.B. Dopamin, Serotonin und Noradrenalin. Das Enzym Monoaminooxidase hat die Aufgabe, diese Substanzen schnellstmöglich aus dem synaptischen Spalt zu »entfernen«. Die MAOH hemmen die Wirkung dieses Enzyms und verhindern somit, daß die genannten Neurotransmitter zu schnell abgebaut werden. Andere Antidepressiva verhindern ein Wiederauffangen der Neurotransmitter (s. Abb. S. 83). Wenngleich sich die Antidepressiva in ihrer Wirkungsweise unterscheiden, bleiben doch die Ziele stets gleich: Wiederherstellung einer normalen Stimmung bzw. Gemütsverfassung, Enthemmung oder psychomotorische Stimulierung, die eine Belebung von Wachzustand und Dynamik bewirkt, oder auch mitunter die Verbesserung einer der Komponenten der Depression (beispielsweise Abschwächung der Angstgefühle). Der Psychiater muß die je nach Antidepressivum unterschiedlichen Kontraindikationen beachten und das Mittel dem angestrebten therapeutischen Ziel entsprechend auswählen. Er entscheidet zudem, ob die Behandlung die stationäre Einweisung in eine spezialisierte Einrichtung erfordert.
Angst und Anxiolytika (Tranquilizer) Das Wort Angst ist ursprünglich auf das griechische Verb agkein (= »drücken, (zs.)ziehen«) zurückzuführen und wurde später abgelöst durch das lateinische Verb angere (= »bedrücken, beklemmen, den Hals zuschnüren«). Die früheren Arzneibücher enthielten bis in unser Jahrhundert hinein Wirkstoffe, die aus bestimmten Pflanzen gewonnen wurden und jetzt allgemein als Sedativa bezeichnet werden. Eine der zahlreichen, noch heute gebräuchlichen sedativen Zubereitungen ist z.B. die Mischung aus Passionsblume, Baldrian und Tollkirsche (letztere in geringen Mengen, da ihr Alkaloid, das Atropin, ein gefürchtetes Synapsengift ist). Im Jahre 1957 fand Randall heraus, daß das Benzodiazepin, eine relativ einfache Substanz, ein Tranquilizer mit nahezu sofortiger Wirkung ist. Seine Entdeckung hat die bei Angstzuständen bis dahin angewandten Behandlungsmethoden grundlegend revolutioniert. Von der ursprünglichen Substanz wurden zahlreiche Derivate abgeleitet, die allerdings alle die Grundstruktur beibehalten haben. Vom französischen Gesundheitsministerium sowie verschiedenen sozialen Einrichtungen in Auftrag gegebene Berichte und Umfragen sind zu erstaunlichen Ergebnissen gelangt: 11 % der Franzosen und 22 % der Französinnen erklärten, Angstgefühle zu haben. In den 80er Jahren lag Frankreich beim Konsum von angstlösenden Mitteln weltweit an der Spitze. Laut Angaben der französischen Krankenkassen betrugen die Ausgaben für diese Arzneimittel 5,5 % der Gesamtausgaben für pharmazeutische Produkte. Bestimmte Anxiolytika haben neben der angstlösenden zudem hypnotische, muskelrelaxierende und antikonvulsive Wirkung. Diese Eigenschaften spielen jedoch im Vergleich zu den beruhigenden, die die Betroffenen von ihrer Angst (reaktive Angst bei konkreten Ereignissen, Angstneurosen, Panikattacken) befreien, eine untergeordnete Rolle. Durch die vielen Weiterentwicklungen in der Pharmakologie wird die Liste der Mittel, die den Patienten zur Verfügung stehen, stets länger. So wird auch der Neurotransmitter GABA immer wieder durch neue Varianten ergänzt. Psychasthenie und Psychostimulanzien Die Psychostimulanzien sind bekannt für ihre durchschlagende Wirkung: Sie regen die geistige und intellektuelle Aktivität an,
erhöhen die Aufmerksamkeit und schärfen die sensorische Wahrnehmung. Dies gilt allerdings nur für die »echten« Psychostimulanzien. Auf dem Markt finden sich eine ganze Reihe sogenannter Psychotonika, deren Kosten im allgemeinen nicht oder nur zum Teil von der Krankenkasse übernommen werden. Diese enthalten häufig Phosphor, Kalzium, Alkaloide pflanzlichen Ursprungs (z.B. Nux vomica, aus der Strychnin gewonnen wird), Ginseng, Koffein etc. Die wirklichen Psychostimulanzien sind höherwertige, nur auf Rezept erhältliche Arzneimittel. Harting und Munch haben erstmalig 1931 ein Psychostimulans synthetisiert. Sie nannten ihre neue Entdeckung Benzedrin. Auch heute noch führt dieses Mittel eine ganze Gruppe von Derivaten an, darunter die Amphetamine als echte »Weckamine«. Psychostimulanzien aktivieren durch eine massive Ausschüttung von Adrenalin und Dopamin in die Synapsen die adrenergen Bahnen (s. S. 84). Bei Überdosierung äußern sich Vergiftungserscheinungen in Form von Herzjagen (Tachykardie), arterieller Hypertonie, Schlaflosigkeit, Ruhelosigkeit, Aggressivität, Appetitverlust (Anorexie). Es besteht hohe Suchtgefahr. Die Entwöhnung ist um so problematischer, als die Patienten häufig von mehreren Suchtmitteln gleichzeitig abhängig sind (Alkoholgenuß mit gleichzeitiger Einnahme von Tranquilizer oder Hypnotika). Die typischen Konsumenten von Amphetaminen waren anfangs Intellektuelle, später dann auch Studenten im Prüfungsstreß, LKW-Fahrer oder auch an Fettleibigkeit Erkrankte, die sich die appetitzügelnden Eigenschaften dieser Substanzen zunutze machten. Im Bereich des Dopings im Hochleistungssport ist die vom Internationalen Olympischen Komitee herausgegebene Liste der verbotenen, im Urin nachweisbaren Substanzen mit den Jahren um einiges länger geworden. Die Amphetamine sind dort auch zu finden. Psychosen und Neuroleptika Die Bezeichnung für diese Gruppe von Substanzen wurde von Delay und Denicker geschaffen (im Griechischen bedeutet neuroleptisch: »die Nerven in Besitz nehmen«). Ihre Entdeckung im Jahre 1950 ist den Franzosen zuzuschreiben: Die beiden Chemiker Charpantier und Courvoisier synthetisierten in den Labors von Rhône-Poulenc das Chlorpromazin. Anfangs wurde es in Verbindung mit Anästhetika eingesetzt, da es deren Wirkung noch verstärkte. Henri Laborit, der seinerzeit Physiologe in Val-de-Grâce
war, bestätigte diese ursprüngliche Eigenschaft und hielt schon 1952 den Einsatz dieser Substanz bei der Langzeitbehandlung von chronischen Psychosen für möglich. Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe durch Synthese gewonnener Nachfolger des Chlorpromazins. Das umfangreiche therapeutische Arsenal wird zudem durch andere Substanzen mit anderer Struktur, aber vergleichbarer klinischer Wirkung (Butyrophenon, Benzamide) ergänzt. Neuroleptika haben genau genommen eine Dreifachwirkung. Sie sind zunächst vor allem starke Sedativa (in den 50er und 60er Jahren wurden sie von ihren Gegnern als chemische Zwangsjacken bezeichnet). In der Psychiatrie werden sie zur Dämpfung von Erregungs- und Unruhezuständen (starke Verwirrung, manisches Mitteilungsbedürfnis, akuter schizophrener Schub) eingesetzt. Sie wirken zudem enthemmend: Die an Antriebslosigkeit und Passivität leidenden Patienten nehmen wieder Kontakt zu ihrer Umwelt auf (Gesprächsbereitschaft, Wiederaufnahme körperlicher Aktivität). Und sie haben drittens eine antipsychotische Wirkung, insbesondere bei Halluzinationen und Wahnideen. Während die Funktion der Neuroleptika als Dopamin-Rezeptorenblocker eindeutig geklärt ist, bleiben hinsichtlich ihrer Wirkung auf das Gehirn noch viele Fragen offen. Für Patienten, die an Psychosen leiden, ist angesichts der Notwendigkeit einer Dauerbehandlung, der Gefahren bestimmter Arzneimittelkombinationen und des Auftretens neurologischer Symptome (sog. therapeutischer Parkinsonismus) eine psychiatrische Betreuung sowohl bei ambulanter als auch bei stationärer Behandlung in einer geschlossenen Anstalt unerläßlich. Das Alkalimetall Lithium wird nicht zu den Neuroleptika gezählt. Es ist ein sogenannter Thymoregulator. Lithium-Salze sind ausschließlich bei manisch-depressiven Erkrankungen als Dauer- bzw. Intervallbehandlung therapeutisch indiziert (s. S. 85). »Neuroleptika sind zwar wirkungsvolle Medikamente, sie ersetzen aber weder das Zuhören und die persönliche Beziehung noch die psychologische Arbeit und die Maßnahmen zur sozialen Wiedereingliederung. Sie tragen allerdings in nicht unerheblichem Maße zum Behandlungserfolg bei [...], auch wenn sie ausschließlich symptomatische Wirkungen haben [...]. Man wird vielleicht eines Tages wissen, wie man unruhig oder sogar delirant wird, nicht aber, weshalb man es wird.« (Édouard Zarifian)
Glossar
Adrenalin: Von Nebenniere und Nervenzellen des Sympathikus abgesondertes Hormon. Das dem Adrenalin in seiner chemischen Struktur sehr ähnliche Noradrenalin ist einer der wichtigsten Neurotransmitter. Anoxie: Völlig unzureichende Sauerstoffkonzentration im Gewebe. Arteria carotis: Aus dem Aortenbogen entstandene paarige (= beidseitige) Kopfarterie im Halsbereich. Gemeinsam mit den dahinter gelegenen Ästen der Arteria vertebralis leistet sie die Gefäßversorgung für das gesamte Gehirn. Axon oder Neurit: Fortsatz der Nervenzelle, der mit seinen verdickten Endigungen synaptisch (s.a. Synapse) an anderen Nervenzellen endet und ihnen, durch Neurotransmitter vermittelt, Erregungen zuleitet. Cingulum cerebri: (latein.) Gürtel; Nervenfaserzug aus Assoziationsfasern zum limbischen System und zum Gyrus cinguli. Er enthält auch Fasern vom limbischen System zur Hirnrinde, von wo aus Verbindung zum Zwischenhirn besteht. Corpus mamillare (Mamillarkörper): Im Zwischenhirn, an der Basis des Hirnstammes gelegener Zellkörper, der Bestandteil des limbischen Systems ist. Seine Schädigung führt zu schweren Verhaltensstörungen. Cortex cerebri (Kortex, Großhirnrinde): Enthält graue Nervensubstanz und besteht aus Nervenzellkörpern, die in der Spezies Mensch am weitesten entwickelt sind. Die Großhirnrinde ist nur bei den Säugetieren vollständig ausgebildet.
Epiphyse oder Zirbeldrüse (Corpus pineale): Eine das Gewebshormon Melatonin absondernde endokrine Drüse. Melatonin reguliert wie eine Uhr den Biorhythmus in Abhängigheit von der Tageszeit. Fontanelle, Fontanella: Angeborene, natürliche Knochenlücke des Schädeldachs, die es dem Schädel von Neugeborenem und Kleinkind ermöglicht, sich ungehindert weiterzuentwickeln. Beim Neugeborenen sind in der Regel sechs solcher Lücken (weitere Bildungen sind möglich) zu finden, die sich normalerweise bis zum zweiten Lebensjahr knöchern schließen. Formatio reticularis: Dreidimensionales, z.T. Zellanhäufungen nach Art von Nervenkernen enthaltendes Maschenwerk des Nervensystems, das sich von Medulla oblongata bis Zwischenhirn erstreckt. Es ist u.a. maßgebend für den Bewußtseins- und Wachzustand, die Modulierung von Wahrnehmungen der Sinnesorgane, für die Beeinflussung von Haltung und Bewegung und die zentrale Kreislauf- und Atmungsregulation. Glukose: Zucker (Monosaccharid), aus dem die tierische Zelle direkt, ohne vorherige Umwandlung Energie gewinnen kann. Ein längerfristiges Absinken des Glukose-Gehalts im Blut (Hypoglykämie) kann schwere Schädigungen des Gehirns zur Folge haben. Gyrus: Windung; i.e.S. Bezeichnung für die Hirnwindungen (Gyri cerebri). Als Gyrus cinguli wird der gürtelförmige, zwischen der Balken- und Cingulum-Furche gelegene Gyrus bezeichnet. Hippocampus: Relativ primitiver, aber kortikalisierter Teil des Temporallappens, den die Informationen passieren müssen, die im Gedächtnis gespeichert werden sollen. Diese sogenannten mnestischen Spuren werden hier gelagert und gefestigt. Hirnstamm (Truncus cerebri): Umfaßt verlängertes Rückenmark (Medulla oblongata), Brücke und Mittelhirn. Hypophyse oder Hirnanhangdrüse (Glandula pituitaria): Am Boden des Zwischenhirns, in der Vertiefung des Türkensattels liegende endokrine Drüse. Ihr gesamter hinterer Teil ist über Nerven und Venen direkt mit dem Hypothalamus verbunden. Daher auch die Bezeichnung Hypophysen-Zwischenhirn-System.
Hypothalamus: Teil des Zwischenhirns, der durch seine Kerne als zentrales Regulationsorgan der vegetativen Funktionen, u.a. der Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme sowie der Regulierung von Körpertemperatur und Sexualität wirksam ist. Insula oder Lobus insularis: Der Kortex dieser in der SylviusFurche (s. Abb. S. 98) verborgenen Hirnregion ist maßgeblich für das Geschmacksempfinden. Isotop: Atomart eines Elements mit gleicher Ordnungs-, aber verschiedener Massenzahl, die im Kern also die gleiche Anzahl an Protonen (nicht aber an Neutronen) aufweist und damit die gleiche Elektronenhülle und das gleiche chemische Verhalten. Im Labor und in Versuchen werden radioaktive Isotope eingesetzt, die aufgrund dieser Eigenschaften »Marker«-Funktionen übernehmen. Ein sehr bekanntes Beispiel ist das 14C (Carbon 14), ein Isotop zum natürlich vorkommenden Carbon (13C). Kleinhirn (Cerebellum): In der hinteren Schädelgrube gelegene Teilregion des Zentralnervensystems, die über die Pedunculi cerebellaris mit Mittelhirn, Brücke und Medulla oblongata verbunden ist. Lobus frontalis: Der paarige Stirnlappen als vorderster Großhirnlappen; mit Zentren für willkürliche Bewegungen sowie Kontrolle und Koordination vegetativer, affektiver und geistiger Funktionen. Lobus occipitalis: Der Hinterhauptlappen; kleinster Großhirnlappen; mit Sehzentrum und Zentren für das Festhalten von Erinnerungsbildern. Lobus parietalis: Der Scheitellappen des Großhirns; mit Körperfühlsphäre und dem optischen Sprachzentrum. Lobus temporalis: Der Schläfenlappen; an der seitlichen Hemisphärenoberfläche, mit dem Hör- und dem akustischen Sprachzentrum. Liquor cerebrospinalis (Gehirn-Rückenmark-Flüssigkeit): Das zentrale Nervensystem ist durch die Hirn- und Rückenmarkshäute vor direktem Kontakt zu den umgebenden Knochen (Schädel und Wirbel) und damit vor mechanischer Verformung geschützt.
Die Gehirn-Rückenmark-Flüssigkeit zirkuliert dazwischen in den Liquorräumen. Medulla oblongata oder Bulbus (medullae spinalis): Das verlängerte Rückenmark, sprich der kopfwärts ans Rückenmark (Medulla spinalis) anschließende Teil des Zentralnervensystems. Er enthält u.a. das Atem- und Kreislaufzentrum. Mittelhirn (Mesencephalon): Der mittlere, zwischen Brücke (Pons cerebri) und Zwischenhirn gelegene, entwicklungsgeschichtlich sehr frühe Teil des Hirnstammes. Bei den Säugetieren stellen die Pedunculi cerebri (Hirnstiele) seine Hauptmasse dar. Neuralrinne und Neuralrohr: Beim menschlichen Embryo bildet sich am 18. Tag durch eine seitliche Aufwulstung der Neuralplatte die dorsal-mediane Neuralrinne. Diese schließt sich am 28. Tag durch die mediane Vereinigung der Neuralwülste zum Neuralrohr, das die Quelle aller späteren Neuroblasten ist. Das Neuralrohr wächst anschließend steiß- und kranialwärts, wobei der schmalere Teil (steißwärts) zum Rückenmark, der breite, kraniale zum Gehirn wird. Zu diesem frühembryonalen Wandern von Zellmassen kommt es nur bei höherentwickelten Wirbeltieren. Neuroblasten: Aus den Neuroepithelzellen hervorgehende primitive Nervenzellen. Die Neuroepithelzellen haben ursprünglich das mehrschichtige Epithel der Neuralplatte bzw. des Neuralrohrs gebildet. Durch aufeinanderfolgende Zellteilungen entstehen schließlich Nervenzellen, die in die für sie bestimmten Regionen abwandern und sich entsprechend der ihnen eigenen Funktionen differenzieren. Neuroglia: Zellgewebe des Nervensystems, das die Räume zwischen Nervenzellen und Blutgefäßen bis auf einen schmalen Spalt ausfüllt und Stütz- und Nährfunktionen ausübt. Man unterscheidet insbesondere zwischen den Oligodendrozyten, die die graue und weiße Substanz des zentralen Nervensystems synthetisieren, und den Astrozyten, die mit dem Blutkreislauf verbunden sind. Neuropeptide: Aus mehreren Aminosäuren bestehende körpereigene Peptide, die schwerer als die Neurotransmitter sind. Die bekanntesten sind die vom Gehirn selbst abgesonderten Endorphine, welche die Grenze für das Schmerzempfinden heraufsetzen. Sie sind in bestimmten Kernen des Hypothalamus sowie - in ganz
geringen Dosen - auch im zirkulierenden Blut zu finden. Die Enkephaline sind in erster Linie isoliert im limbischen System vorkommende Neuropepitde, die aber auch in bestimmten Kernen der Medulla oblongata und des Hypothalamus zu finden sind. Neurotransmitter: In den meisten Fällen besteht zwischen der Endigung eines Axons und einer anderen Nervenzelle kein direkter Kontakt. Sie sind über eine Synapse miteinander verbunden, in deren Strukturen eine bzw. maximal zwei Arten einer Überträgersubstanz gespeichert sind. Diese sogenannten Neurotransmitter werden bei einem elektrischen Nervenimpuls freigesetzt, überqueren den synaptischen Spalt und verbinden sich mit Rezeptoren der postsynaptischen Membran. Zu den Neurotransmittern zählen insbesondere Noradrenalin, Acetylcholin, Dopamin, Serotonin und die Gammaaminobuttersäure (GABA). NMR: (engl.) Abkürzung für nuclear magnetic resonance (Kernspintomographie). Physikalisches Verfahren, das auf dem Einsatz starker Magnetfelder beruht, mit denen die Struktur der anatomischen Gebilde, die es zu untersuchen gilt, noch präziser als mit dem Scanner bildlich erfaßt werden kann. Nuclei rubri: Rötlichgelbe Kerne des Tegmentums (Mittelhirnhaube), die wiederum ein Bestandteil der Pedunculi cerebri sind. Letztere spielen eine Rolle bei der Steuerung von Muskeltonus und Motorik. Nucleus amygdalae (Mandelkern): Gruppe von Nervenzellen, die Teil des limbischen Systems sind. Die Bezeichnung Mandelkern ist vom griechischen Begriff amygdale = »kleine Mandel« abgeleitet. Nucleus caudatus: Der den Thalamus vorn und seitlich umfassende Schweifkern als wesentlicher vorderer Teil des Corpus striatum (Streifenkörper, -hügel). Die Zellen dieses Kerns sind zusammen mit anderen, benachbarten Zellen für die Steuerung der Motorik maßgeblich. Ihre Zerstörung ist eine der Ursachen für abnormale Bewegungen, wie sie bei der Huntington-Chorea ( > griech. choreia = »Tanz, Reigen, Veitstanz«) symptomatisch sind. Osmotischer Druck: Die unterschiedliche Konzentration gelöster Teilchen im Innern einander benachbarter Zellen führt zu einem passiven Fluß von Ionen (z.B. Chlor oder Natrium) bzw. von
Wasser durch die semipermeablen Zellmembranen, ohne daß von außen Energie zugeführt werden muß. Durch diese als Osmose bezeichnete Diffusion werden die Konzentrationsunterschiede ausgeglichen: So verdünnen beispielsweise durch die Membran durchtretende Wassermoleküle die einseitig höhere Konzentration größerer Teilchen. Pedunculus: (> latein. = »kleiner Fuß«) stielartiger Anfangsteil, »Stiel«. Der Pedunculus cerebri (Hirnstiel) bildet die Hauptmasse des Mittelhirns. Der Pedunculus cerebellaris (Kleinhirnstiel) inferior, medius und superior verbindet jeweils Kleinhirn und Rückenmark, Kleinhirn und Brücke bzw. Kleinhirn und Gehirn miteinander. Pons (Pons cerebri, Pons varolii, Brücke): Weißer Querwulst, der wie eine Brücke (daher auch die Bezeichnung) Pedunculi cerebri, Kleinhirn und Medulla oblongata verbindet. Rhinencephalon (Riechhirn): Entwicklungsgeschichtlich ältester, vorne gelegener Teil des Gehirns, der für die Analyse der von den olfaktorischen Nervenzellen wahrgenommenen Gerüche maßgeblich ist. Rückenmark: Der im Wirbelkanal gelegene primitivste Teil des Zentralnervensystems, der vom zweiten Lendenwirbel ausgehend kopfwärts zieht und unterhalb der Pyramidenkreuzung in das verlängerte Rückenmark übergeht. Septum und Septumregion: Der am weitesten vorne gelegene Teil des limbischen Systems. Seine Nervenzellen gehören zum sogenannten Kreislauf von Papez. Beim Tier ruft seine Stimulierung Lustreaktionen hervor, die allerdings nicht unbedingt sexueller Natur sind. Seine Schädigung führt dagegen zu heftigen Aggressionen. Substantia nigra: Paariger grauer Kern zwischen Haube und Fuß des Mittelhirns. Seine Dopamin produzierenden Nervenzellen bilden mit melaninhaltigen Zellen des beidseitigen Nucleus ruber das sogenannte schwarze System (> griech. melas = »schwarz«), das beim Parkinsonismus erkrankt. Synapse oder synaptischer Spalt: Sehr schmale Kontaktstelle zwischen Nervenzellen bzw. Nervenzellen und dem Plasmalemm
anderer Zellen (Sinnes-, Muskelzellen u.a.). Beim Eintreffen eines elektrischen Nervenimpulses werden Neurotransmitter freigesetzt, die den synaptischen Spalt überqueren und den Impuls somit weiterleiten. Thalamus: Zentrale Kernmasse im Zwischenhirn, die als subkortikale Sammelstelle für die Sinnessysteme (außer Geruchssinn) mit Umschaltung zur Großhirnrinde fungiert. Vitaler Knoten: Veraltete, nicht mehr gebräuchliche Bezeichnung für die Vitalfunktionen des verlängerten Marks (Bulbus). Zwischenhirn (Diencephalon): Der bei allen Wirbeltieren oberhalb von Medulla und Pedunculi zwischen End- und Mittelhirn liegende Teil des Gehirns als Teil des Hirnstammes. Das Zwischenhirn umfaßt von oben nach unten Epiphyse, Thalamus und Hypothalamus.
Anmerkungen
S. 8
SHAKESPEARE, W., Hamlet, 5. Aufzug, 1. Szene, in: Prof. Dr. L.L. Schücking (Hrsg.), William Shakespeare. Gesamtwerk (zweispr. Ausg.), Bd. 4, Augsburg 1995. S. 33-34 SCHOTT, B., in: Vorwort zu Mémoire et Insomnies, S. V Mason,1988. S. 45 BRILLAT-SAVARIN, Physiologie du goût, Charpentier, Paris 1841. S. 48 BULL1ER, J., SALIN, R, GIRARD, P., La Recherche, Nr. 246, S. 980, 1992. S.77-78 HUNTINGTON, G., in »The Medical and Surgery Reporter«, Philadelphia 1872. S. 86 ZARIFIAN, É., Des paradis plein la tête, Odile Jacob, 1994 S. 89 KOUPERNIK, C., PONS, M., La Psychiatrie à visage ouvert, Mercure de France, 1979. S. 93 LEVI-STRAUSS, C., Le monde, 1991. S. 97 BOISSONNAT, J., La Croix, 1991. S. 102 Matthäus-Evangelium, IV, 4. S. 102 MAISTRE, M. de, Les Capacités de l'enfant en grande section maternelle ou à l'entrée au cours préparatoire, Editons universitaires, 1979. S. 104 RIMBAUD, A., Le Bateau ivre, 1871. S. 107 GOLDENBERG, F., Encyclopcedia Universalis, 1990, Band 11, S. 844. S. 111 ZARIFIAN, É., Des paradises plein la tête, Odile Jacob, 1994.
Literaturhinweise
DARWIN, CH., Die Abstammung des Menschen, Kap. 1-5 und Anhang zu Teil I: HUXLEY, TH. H., Anmerkung über die Ähnlichkeiten und die Verschiedenheiten im Bau und in der Entwicklung des Gehirns beim Menschen und den Affen, Wiesbaden, 2. Aufl. 1992. ECCLES, J.-C., POPPER, K. R., Das Ich und sein Gehirn, München, 6. Aufl. 1996. ECCLES, J.-C., Die Evolution des Gehirns - die Erschaffung des Selbst, München, 2. Aufl. 1994). ECCLES, J.-C., Gehirn und Seele. Erkenntnisse der Neurophysiologie, München, 3. Aufl. 1991. EDELMAN, G.M., Göttliche Luft, vernichtendes Feuer. Wie der Geist im Gehirn entsteht - die revolutionäre Vision des MedizinNobelpreisträgers, München, 2. Aufl. 1995. HAGNER, M., Homo cerebralis. Der Wandel vom Seelenorgan zum Gehirn, Berlin 1997. LIEURY, A., Das Gedächtnis, DOMINO Bd. 17, erscheint im Mai 1999. ROBERT, J.-M., Nervenkitzel. Den grauen Zellen auf der Spur, Heidelberg 1995. SACKS, O., Awakenings - Zeit des Erwachens, Reinbek 1991). WILLS, C., Das vorauseilende Gehirn. Die Evolution der menschlichen Sonderstellung, Frankfurt am Main 1996 ZIMMER, D. E., So kommt der Mensch zur Sprache. Über Spracherwerb, Sprachentstehung, Sprache und Denken, München, 3. Aufl. 1996.
Register
Die kursiv gesetzten Seitenzahlen verweisen auf Abbildungen. Acetylcholin 83, 116 Achse, hypothalamisch-hypophysäre 32 Adrenalin 32, 84, 110, 112 Aggressivität 39, 86, 110 Aids 68 Alterungsprozeß 71 ff. Altruismus 103 Alzheimer 67, 72-77 (74 f.) Amnesie 38 Amphibien 16 Amphioxus s. Lanzettfischchen Angst 39, 84, 87, 91 f., 94, 106-109 Anoxie 57, 69, 112 Aphasie 66 Apraxie 66 Atherom 72 Autismus 87 ff. Axon 26, 44, 50f., 82, 84, 112, 116 Bakterie 68 Balken (Corpus callosum) 7, 29, 35, 40 Berührungssinn 43 Bestattungsritual 91 Blutdruck 18, 24, 64 Brücke (Pons cerebri) 7, 15, 27, 117 Chromosom 60, 76, 79 Chromosomenaberrationen 60 Cingulum cerebri s. Gürtel
Corpus callosum s. Balken Corpus mamillare s. Mamillarkörper Cortex cerebri s. Kortex Creutzfeldt-Jakob-Krankheit 68 Delirium tremens 97 Demenz 67, 72 ff., 76, 86, 88 Dendrit 50f., 83 Depression 85 f., 94, 108 Diencephalon s. Zwischenhirn Drogen 93-97 Druck, osmotischer 31, 116 f. Durst 30 f. Echographie 54, 60 Elektroenzephalographie 67 Empfindung 26, 39, 43, 100 Encephalon 18 Endokrine Drüsen (Absonderung) 30, 113 Endorphine 94 f. Engramm 36, 38 Enzephalitis 27, 68 Epilepsie 84, 106 Epiphyse s. Zirbeldrüse Erziehung 61, 102 Fische (Gehirn) 16, 19, 20, 39, 61 Fötus (Gehirn) 22, 46, 54 f., 64 Fontanellen 21 Formatio reticularis 27, 43, 107, 113 Fossa cranii posterior 25 Freud, Sigmund 33 Freude 33, 39 f. GAB A 84, 107, 109 Gedächtnis 33-39 (35), 71, 89, 104 Gefühl, geheiligtes 93 Gefühle 9, 33, 39, 94, 99 f., 102, 108 f. Gehirn (Entwicklung) 16, 17, 18, 22, 41, 54 f., 71, 93, 100 ff., 115 Gehirn (Fehlentwicklung) 20, 27, 57, 60-70, 90, 99, 106 Gehirn (Funktionen) 14 f., 34, 48 f., 52, 56 f., 82, 99 Gehirn (Gewicht) 22, 23
Gehirn-Rückenmark-Flüssigkeit (Liquor cerebrospinalis) 21, 114 f. Gehirntests 47, 62 ff., 74, 89 Gehirntumor 70 Gehirnwindung 15, 22, 37, 62, 63 Genetik 71 Geruchssinn 19, 31, 44 Geschmack 31, 45, 55 Glia 41, 115 Gliazellen 41, 42, 61 Glukose 56, 64, 113 Großhirnrinde s. Kortex Gürtel (Cingulum cerebri) 35, 40, 112 Hemiparese 65 Hemiplegie 24, 65 Herzrhythmus 24 Hinterhauptlappen 47, 98, 114 Hippocampus 35, 37 f., 44, 76, 94, 113 Hippocampuswindung 7 Hirnhemisphären 7, 19, 26, 35, 38, 40 Hirnstamm 14, 20, 43, 57, 69, 113 Hirnstiel (Pedunculus cerebri) 15, 28, 117 Hörleistung 43 Humanpsychiatrie 96 Hunger 30 f., 55 Huntington-Chorea 28, 77-80 (79) Hypertonie 69, 110 Hypophyse 7, 29, 30 f., 113 Hypophysen-Zwischenhirn-System 29 f. Hypothalamus 7, 14, 28-33, 35, 41, 44, 107, 114 Insellappen s. Insula Insula (Insellappen) 7, 45, 114 Kerne, präoptische (Nucleus praeopticus) 27, 29 Kleinhirn 7, 15, 18, 25 f., 30, 42, 57, 69 f., 98, 114 Körpertemperatur 30, 69 Kohlenmonoxidvergiftung 68 f. Koma 27, 67, 107 Koordination von Bewegungen 14, 25 f., 114 Kortex (Cortex cerebri, Großhirnrinde) 7, 14, 26, 40-49, 55, 61, 69, 83, 94, 98, 99, 104, 112
Kortikalisierung 21, 41, 42, 61 Laborit, Henri 32, 110 Lanzettfischchen (Amphioxus) 16, 18 Lévi-Strauss, Claude 93 Limbisches System 14 f., 33-40 (35) Liquor cerebrospinalis s. Gehirn-Rückenmark-Flüssigkeit Makrogyrie und Mikrogyrie 63 Mamillarkörper (Corpus mamillare) 35, 37f., 112 Mandelkern (Nucleus amygdale) 35, 40, 116 Manisch-depressive Erkrankung 85 f. Mark, verlängertes s. Rückenmark, verlängertes Medulla oblongata s. Rückenmark, verlängertes Mesencephalon s. Mittelhirn Mittelhirn (Mesencephalon) 7, 14, 26 ff., 30, 67, 115 Motorik 26, 47, 55 Muskeltonus und Bewegungen 25 f. Myelin 50f., 69, 83 Nervensystem 43 Nervenzelle 20 f., 28, 37 f., 40 ff., 42, 43 f., 48-53, (50f.), 61 f., 64, 71, 77, 80 ff., 83, 84 f., 94 ff., 112 Neuralplatte 17, 115 Neuralrinne 16, 17, 40, 115 Neuralrohr 16, 17, 46, 115 Neuroblasten 115 Neuroglia 41, 115 Neurologie 34, 82 Neuropeptid 82, 95, 115 Neurose 34, 85, 109 Neurotransmitter 81 ff., 83, 95 f., 108, 112, 116 NMR 70, 82, 87, 90, 116 Noradrenalin 83 f., 108, 112, 116 Nuclei rubri 28, 116 Nucleus amygdalae s. Mandelkern Nucleus caudatus 28, 79, 80, 116 Nucleus praeopticus s. Kerne, präoptische Ohr, inneres 25, 54 Okzipitallappen 47 Parasit 62, 68
Parkinson-Krankheit 28, 72, 80 f., 84 Pedunculus cerebri s. Hirnstiel Pons cerebri s. Brücke Präfrontale Region 47, 98 präsenil 73 Progerie 71 Psychoneurose 85 Psychopharmakologie 99 Psychose 67, 85, 87, 110 f. Religion 92 f. Reptilien (Gehirn) 38, 44 Rhinencephalon s. Riechhirn Riechhirn (Rhinencephalon) 44, 117 Rolando-Furche 44, 98 Rückenmark, verlängertes (Medulla oblangata) 7, 14 f., 18, 20, 23 f., 26 f., 67, 70, 107, 115 Sauerstoff 24, 56 f., 68 f. Säugetiere (Gehirn) 18, 21, 29, 44, 62, 63, 98, 112 Säugling 55, 64, 88 Scanner 70, 87 Schädeltrauma 27, 36 Scheitellappen 44, 98, 114 Schilddrüse 63 Schizophrenie 85-88 Schlaf 20, 24, 27, 30, 55, 57, 84, 106 ff., 110 Schläfenlappen 44, 98, 114 Schwangerschaft 32, 45 f., 54 Sehen 46, 55 Septum 35, 39, 117 Septumregion 35, 39, 117 Serotonin 84, 108 Sexualität 29, 30, 32 Sinnesorgan 14, 42, 47, 104 Sprache 26, 55, 88 f., 98 Stirnregion 47 Streß 30, 32 f., 83 Substantia nigra 28, 80 f., 84, 117 Sylvius-Furche 22, 45, 98 Synapse 37, 42, 42, 50-53 (50 f.), 82-84 (83), 107, 110, 117 f. Thalamus 7, 28 f., 29, 44, 107, 118
Tod, Angst vor dem 91 Ventriculus tertius 40 Vereinigungen von Betroffenen 72 Virus 18, 61,68 Vitaler Knoten 23, 118 Vogel (Gehirn) 19, 20, 29 Vorderhirn 84 Wirbellose (Gehirn) 13, 15 Wirbeltiere (Gehirn) 16, 18, 18, 40, 43, 56, 61, 95 Zentren für Wach-, Bewußtseins-, Schlaf- und Traumzustände 27 Zirbeldrüse (Epiphyse) 28 f., 113, 118 Zwischenhirn (Diencephalon) 28 f., 29, 41, 61, 118