Western-Bestseller Neuauflage der großen Romane des berühmten Autors
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Western-Bestseller Neuauflage der großen Romane des berühmten Autors
G. F. UNGER Der andere Weg Sie tragen plumpe, abgenutzte Schnürschuhe, obwohl sie wie Männer im Sattel sitzen, die schon reiten konnten, bevor sie ihren Namen zu schreiben vermochten. Ihre hageren Gesichter sind gebräunt, denn sie verbrachten die letzten Monate ihrer langen Haft bei harter Arbeit in Steinbrüchen und beim Straßenbau. Sie sind beide sehr groß, aber auch sehr mager. Es fehlt ihnen an Gewicht. Aber sonst sind sie sehr verschieden, das erkennt man schon in ihren Augen. Dave Hallaghans Augen blicken ernst und prüfend. In Brack Hallaghans Augen aber glüht es gierig und verwegen. So erreichen sie die Gabelung der Poststraße und halten an. Ein von Winden und dem Wechsel der Jahreszeiten verwitterter Wegweiser besagt, dass die nordwestliche Gabelung nach Santa Fe führt, während man auf der südwestlichen Gabelung irgendwann im Cochise County in Arizona anlangen muss.
Plötzlich sehen sie einen Reiter, der aus einer Gruppe von Cottonwoodbäumen geritten kommt und sich nicht sonderlich beeilt. »Da kommt Alum Cal«, krächzt Brack Hallaghan sofort. »Es ist also alles richtig, Bruder.« Dann ist Alum Cal bei ihnen, ein kleiner, magerer Revolverheld und Bandit. Er verhält vor den Brüdern sein Pferd, grinst und sagt dann beißend scharf wie Alaun: »Willkommen in freier Wildbahn, Freunde!« »Wir waren nie Freunde, Cal«, sagt Brack Hallaghan sofort grimmig. »Obwohl wir zu einer Mannschaft gehörten und oft gemeinsam ritten, waren wir nie Freunde. Konnte Jesse Cass keinen anderen Mann schicken?« »Das Los entschied«, grinst Alum Cal. »Dabei hättet ihr den Weg auch ohne mich finden können, weil wir wieder im Camp hinter dem Rim leben. Das gute Loch Run Hole ist immer noch nur uns bekannt. Also kommt, Jungs!« Er will sein Pferd herumziehen, und er seufzt dabei, weil der Ritt bis zum Ziel drei Tage dauern wird. »Ich bin schon fast eine Woche fort und habe hier schon zwei Tage auf euch gewartet«, knurrt er. »Ich dachte, ihr würdet nicht kommen.« Dann will er anreiten. Aber jetzt öffnet Dave Hallaghan zum ersten Mal den Mund. Er sagt ruhig: »Ich reite nicht mit. Ich kehre nicht zu Jesse Cass und der Bande zurück. Ich reite einen anderen Weg. Brack, komm mit mir. Wir
haben unsere Strafe abgesessen und werden nicht mehr gejagt und gehetzt. Wir können überallhin reiten. Wenn wir uns Jesse Cass und dem Rudel wieder anschließen, beginnt eines Tages alles wieder von vorn. Brack, komm mit mir!« Der starrt ihn seltsam an. Und auch Alum Cal, der sein Pferd wieder herumgezogen hat, betrachtet ihn staunend. Schließlich sagt er scharf und ätzend: »Man hat in diesen Strafgefängnissen schon härtere Jungs zerbrochen und ihnen die Köpfe so sehr verdreht, dass sie wirklich daran glaubten, sie hätten auf einem anderen Weg eine Chance. Dave, du bist ein Narr. Brack, sag ihm, dass er ein Narr ist. Du bist doch sein großer Bruder. Dir wird er mehr Glauben schenken als mir. Sag es ihm, Brack!« Die letzten Worte stößt er mit einer scharfen Wut hervor. Brack Hallaghan betrachtet seinen Bruder Dave starr. Brack ist jetzt achtundzwanzig Jahre, und er ist zwei Jahre älter als Dave. Langsam sagt er: »Pass auf, Dave, ich will es dir erklären. Oh, mein armer Junge, du denkst, du könntest neu beginnen. Du glaubst, dass man dir eine Chance geben wird. Aber du vergisst, dass du ein Hallaghan bist. Red Dave Hallaghan, der berüchtigte Revolverheld, Straßenräuber, Bankräuber, Eisenbahnbandit Red Dave Hallaghan. Und du vergisst, dass dein Bruder Black Brack Hallaghan heißt, der Schwarze Brack! Und dann vergisst du noch, dass unser Vater und unser Onkel damals aufgehängt wurden, weil sie ebenfalls Banditen waren. Dein Bild war auf zu vielen Steckbriefen. Wohin du auch gehen magst, Bruder,
weder die Guten noch die Schlechten werden an eine Wandlung glauben. Du kannst es ehrlich versuchen und dir die größte Mühe geben, sie werden dir keine Chance geben.« Er atmet jetzt scharf und fährt dann noch grimmiger und härter fort: »Aber das ist noch nicht alles, Dave! Auch die andere Seite wird dich nicht gewähren lassen. Sieh dir Alum Cal an. Glaubst du denn wirklich, er und all die anderen Burschen würden dir gestatten, dass du eine Chance bekommst? Wir sind geächtet bis in die Hölle. Es gibt keinen anderen Weg. Versuch es nicht, Dave. Ich weiß, dass du ein besonderer Liebling des Gefängnisdirektors warst, weil du einen Oberaufseher davor bewahrt hast, dass ihm ein Sträfling den Schädel einschlug. Ich half dir dabei sogar, weil du mein Bruder warst und dich die anderen Burschen sonst zerrissen hätten. Nun gut, wir wurden durch diese Sache vorzeitig entlassen. Einige schlimme Jahre im Steinbruch blieben uns erspart. Aber glaub nur nicht, dass es für dich nun einen Weg aus der Hölle gibt. Auch der Job, den dir der Direktor angeboten hat, wird dir nichts nützen. Verzichte darauf. Komm mit mir, Bruder!« Er blickt ihn hart an. Er ist ein dunkelhaariger und scharfgesichtiger Mann mit funkelnden Augen und voll kaum beherrschter Leidenschaft. Alum Cal räuspert sich und sagt dann mit seiner scharfen und ätzenden Stimme: »Da ist noch etwas, mein guter Dave. Es sollte dich noch bedeutend mehr beeindrucken. Du kennst das versteckte Camp der Bande und könntest zum Verräter werden. Jesse Cass und die Jungs werden nicht dulden, dass jemand abtrünnig wird, der sie
vielleicht eines Tages verraten könnte. Die guten alten Freunde werden dich abschießen müssen, so sehr ihnen dabei auch das Herz brechen wird. Also, komm, mein Junge.« Aber Dave Hallaghan bewegt sich nicht im Sattel. Er murmelt nur: »Ich gebe euch mein Wort, dass ich nicht zum Verräter werde. Aber ich reite jetzt einen anderen Weg. Ich will es versuchen. Komm mit, Brack!« Der schüttelt den Kopf. Da reitet Dave Hallaghan davon, und er schlägt den Weg nach Arizona ein. Als er zehn Yards geritten ist, zieht Alum Cal wortlos seinen Colt und bleckt dabei die Zähne. Es ist ganz klar, dass er Dave Hallaghan hinterrücks vom Pferd schießen will. Aber da schlägt Brack zu. Er fegt den kleinen Mann mit einem Schwinger aus dem Sattel. Der Schuss löst sich, und dann schlägt Alum Cal hart am Boden auf. Dave Hallaghan hält an und wendet sich um. Er blickt auf den Bruder zurück und sagt bitter: »Das wird dich bei Jesse Cass in Schwierigkeiten bringen, Brack. Komm also lieber mit mir.« »Du bist ein Narr, Dave«, keucht Brack. »Du kannst deinem Schicksal nicht auf diesem neuen Weg entrinnen. Ich habe dir jetzt nochmals eine Chance geben wollen. Du weißt nun, wie ernst es ist. Und beim nächsten Mal würde ich dich nicht retten, obwohl du mein Bruder bist.« »Du würdest es immer wieder tun, wie auch ich dich immer retten würde. Und richte Jesse Cass aus, dass ich euch nicht verraten werde, solange ihr mich in Frieden lasst.«
Nach diesen Worten wendet sich Dave um und setzt sein Pferd wieder in Bewegung. Es ist nun alles entschieden. Jeder der beiden Brüder hat seinen eigenen Weg gewählt. Am Boden setzt sich Alum Cal auf, presst sich die flache Hand gegen Kinnwinkel und Ohr und murmelt dann kalt: »Du hast ihm das Leben gerettet, aber eines Tages wirst du das bereuen. Jesse Cass und die Jungs werden dir die Hölle heiß machen. Und ich werde nicht vergessen, dass du mich aus dem Sattel geschlagen hast.« Aber Brack Hallaghan grinst ihn nur hart an. *** Acht Tage später erreicht Dave Hallaghan das San Pedro Valley, durchfurtet den San Pedro River und gelangt auf die alte Wagen- und Poststraße, die von Tucson nach Tombstone führt. Dave Hallaghan hat ein festes Ziel. Der Direktor jener Strafanstalt in Texas, in der die Brüder Hallaghan sechs lange Jahre verbrachten, gab Dave Hallaghan eine Anschrift und ein versiegeltes Schreiben mit auf den Weg. Dave war erstaunt darüber, doch der Gefängnisleiter klopfte ihm auf die Schulter und sagte seltsam ernst: »Ich kenne mich aus, Dave, und ich habe sechs lange Jahre Zeit gehabt, Sie zu beobachten. Sie haben sich geändert. Irgendwann hatten Sie erkannt, dass Sie Ihre Strafe nicht zu Unrecht absitzen, sondern damit eine Schuld bezahlen müssen. Es hat mir gefallen. Über Ihren Bruder, Dave, bin ich mir nie klar geworden. Er half Ihnen zwar, als Sie meinen Oberaufseher davor
bewahrten, von einigen Sträflingen erschlagen zu werden. Aber ich glaube nicht, dass Ihr Bruder sich so gewandelt hat wie Sie. Brack ist ein Tiger geblieben. Eines Tages wird er hängen oder von einem Aufgebot gehetzt und dabei in Stücke geschossen werden. Aber Sie, Dave, sind anders. Ich weiß, dass Sie den Versuch machen werden, einen anderen Weg einzuschlagen. Das wird schwer sein, sehr schwer. Aber Sie sind noch jung. Sie können es schaffen. Hier ist ein Brief. Reiten Sie zu dem Mann, dessen Anschrift auf dem Brief steht. Dieser Mann wird an Sie glauben, wie ich an Sie glaube. Fangen Sie vollkommen neu an, Dave.« Das waren die Worte, an die Dave Hallaghan sich erinnert. Auf eine Art ist er froh, dass er nun allein ist. Denn er möchte seinem älteren Bruder wirklich nicht nochmals in die Hölle folgen. So ist es also zwischen den beiden Brüdern. Brack ritt zu Jesse Cass’ Bande zurück. Seine Zukunft ist nicht sehr ungewiss. Dave aber hat einige Chancen. So reitet er jetzt durch das San Pedro Valley und strebt seinem Ziel entgegen. Nach einigen Meilen stößt er auf einen Wegweiser, auf dem steht: River Station, 17 Meilen Als Dave dies Schild zwei Meilen hinter sich gelassen hat und die staubige Wagenstraße zu einem Hügelsattel ansteigt, vernimmt er weit in der Ferne einige Schüsse. Sie erklingen sehr weit und sehr schwach. Er erreicht nach einer Weile die Wasserscheide des Hügelsattels und bekommt Sicht in einen Canyon hinunter.
Unten steht eine Postkutsche, die von der Straße abgekommen ist. Eine Gruppe von Menschen ist halb verdeckt zu erkennen. Dave zögert unmerklich, aber dann reitet er weiter. Nach etwa zehn Minuten erreicht er die Kutsche und fünf ratlose Menschen, die zwei regungslos am Boden liegende Gestalten umgeben und sich beim Klang der Hufschläge umwenden. Dave Hallaghan hält an. Seine rauchgrauen Augen betrachten ruhig die Szene, und er weiß sofort Bescheid. Gelassen erwidert er die Blicke der fünf Reisenden. Er schätzt sie ab und weiß auch sofort ziemlich genau, zu welcher Sorte sie gehören. Da ist ein dicker Handelsreisender, dann ein dunkler und schmalbrüstiger Kartenhai. Ein Greenhorn aus dem Osten in einem sehr modischen, aber nun sehr zerdrückten und staubigen Anzug ist dabei. Der vierte Mann ist ein mexikanischer Padre. Und die fünfte Person ist ein Mädchen. Dieses Mädchen hat graugrüne Augen, die sehr gerade und forschend blicken. Über ihren Hut hat sie ein Seidentuch gebunden und unter dem kleinen und so energischen Kinn verknotet. Aber man sieht einige dunkelrote Haarlocken hervorlugen. Es ist ein sehr schlankes und stolzes Mädchen, das erkennt Dave sofort an ihrer Haltung und an der Art, wie sie den Kopf trägt. Ihr Reisekostüm sitzt vorzüglich und lässt erkennen, dass alles an ihr genau richtig ist. Sie bietet wirklich einen erfreulichen Anblick, und sie gehört zu jener Sorte, die von jedem Mann in diesem Land geachtet und mit Respekt behandelt wird.
Dave Hallaghan hat sechs Jahre kein Mädchen von dieser Art gesehen: Aber sie gefällt ihm nicht nur deshalb. Selbst von tausend anderen Mädchen würde ihm keine so gefallen wie diese. Er spürt das sofort. Da sie ihn immer noch fest betrachtet, greift er an den Hut. »Das war ein Überfall? Kann ich helfen, Madam?« So fragt er ruhig. Sie hebt unschlüssig die Schultern. Ihre Augen sind nass. Sie hat geweint. »Sicher, das war ein Überfall«, sagt sie bitter. »Die Straßenräuber haben sich die Lohngelder der OpalMine geholt. Und weil der Fahrer und sein Begleitmann nicht anhalten wollten, wurden sie von der Kutsche geschossen. Es ist niemand unter uns, der diese Kutsche die Serpentinen hinunter nach River Station fahren könnte. Aber vielleicht sagen Sie in der River Station in der Posthalterei Bescheid, damit man von dort…« »O Madam, ich denke, dass ich die Kutsche fahren kann«, unterbricht er sie sanft und sitzt ab. Er geht an ihr vorbei und tritt zu den beiden Toten. Dann wendet er sich an die Männer, die ihn stumm betrachten. »Wickelt die Unglücklichen in Decken ein. Wir müssen sie dann auf das Dach der Kutsche legen.« Dann geht er zur Kutsche, betrachtet sie und überprüft alles genau. Das Geschirr des Sechsergespanns ist etwas in Unordnung. Er macht sich an die Arbeit, ordnet alles und fasst die beiden Führungspferde dann rechts und links an den Halftern. Er bringt die Kutsche auf die Straße und wendet sich den Fahrgästen zu.
Der Padre und das Greenhorn mühen sich um die Toten. Der Handelsvertreter und der Kartenhai aber stehen wartend dabei. Sie starren ihn an, und der Handelsvertreter holt eine kleine und flache Flasche aus der Rocktasche, nimmt einen Schluck und sagt dann böse: »Ich glaube nicht, dass ich mich von einem entlassenen Sträfling fahren lasse. Der Weg zur Ebene hinunter ist zu gefährlich. Und Sie sind ein entlassener Sträfling, Mister! Ich erkenne es an Ihren Schuhen und an Ihrem Anzug. Dieses Zeug hat meine Firma vor Jahren an alle Strafanstalten verkauft, damit die entlassenen Gefangenen einigermaßen anständig bekleidet…« »Das Zeug ist Schundware«, unterbricht ihn Dave kühl. »Ich habe noch nie so schlechtes Zeug getragen. Packen Sie endlich mit an! Wenn der Weg so gefährlich ist, wie Sie sagen, dann möchte ich ihn noch bei Tageslicht hinter mich bringen. Packen Sie mit an, Mister!« Der Handelsvertreter will aufbegehren. Aber nun mischt sich der Kartenhai ein. Er hatte die ganze Zeit nur geschwiegen und Dave Hallaghan nur angestarrt. Jetzt sagt er lässig: »Tun Sie lieber, Charley, was er Ihnen sagt. Das ist Dave Hallaghan. Ich erinnere mich jetzt wieder an ihn. Das ist Dave Hallaghan, ich täusche mich nicht. Nicht wahr, Hallaghan? Wo ist denn Ihr großer Bruder Brack Hallaghan?« Dave gibt keine Antwort. Aber in seinem Inneren ist er tief erschrocken. Denn er hätte niemals geglaubt, dass man sich so schnell an ihn erinnern und ihn so schnell erkennen würde. Er blickt den Kartenhai bitter an.
Indes nimmt der Handelsreisende wieder einen Schluck aus der Flasche und murmelt dann hastig: »Nichts für ungut, Mr Hallaghan. Ich wollte Sie nicht beleidigen. Ich…« »Er hat keine Waffe bei sich, Charley«, unterbricht ihn der Kartenhai kühl. »Sie brauchen nicht vor ihm zu kriechen. Und wahrscheinlich hat man ihn während der Haft auch etwas zurechtgestutzt. Aber wir sollten jetzt wirklich machen, dass wir fortkommen. Packen wir also an, Charley. Was mich betrifft, so glaube ich, dass Dave Hallaghan selbst jetzt noch eine Postkutsche fahren kann.« Indes sich die vier Männer nun bewegen und die beiden in Decken gehüllten Unglücklichen auf das Dach der Kutsche schaffen, tritt das Mädchen zu ihm und hält ihm mit einer schnellen Bewegung die Hand hin. »Ich bin Caroline Scott und war zu Einkäufen in Tucson. Und Sie sind zu Simson Scott unterwegs, der mein Vater ist, nicht wahr?« »Yeah«, murmelt Dave, und dann nimmt er zögernd ihre Hand und drückt sie vorsichtig. Oh, er weiß nun wirklich, dass dieses Mädchen ihn ziemlich gut kennt. Denn ihr Vater ist jener Mann, zu dem ihn der Gefängnisleiter schickt. Sicherlich hatte vorher ein Briefwechsel zwischen den beiden Männern stattgefunden. Bevor Dave etwas sagen konnte, klingt die kalte und lässige Stimme des Kartenhaies von der Kutsche herüber. »All right, Hallaghan, all right!« Dave wendet sich langsam um und klettert dann auf die Kutsche. Der Kartenhai sitzt neben ihm auf dem Bock. Dave nimmt die Zügel und löst die
Bremse. Das Mädchen ist inzwischen eingestiegen. Als die Kutsche anfährt, fragt Dave zur Seite: »Und wie ist Ihr Name, Gambler?« Der drückt sich den Hut fester auf den Kopf und blickt Dave seltsam von der Seite her an. »Ich bin nur ein kleiner und unbekannter Kartenhai«, sagt er kühl. »Mein Name ist Roy Corbin. Gegen das, was Sie einmal waren, bin ich nur eine kleine Maus.« Dave Hallaghan erwidert nichts. Er hat jetzt auch alle Hände voll zu tun und muss seine ganze Geschicklichkeit aufbieten, um die schwankende Concordkutsche in den engen Kehren auf der Straße zu halten. Aber er glaubt nicht, dass dieser Corbin gegen ihn nichts anderes als eine Maus ist. Dieser schmächtige Kartenhai ist gefährlich. Und furchtlos ist er auch. Dave Hallaghan hat in Roy Corbins Augen gesehen und weiß Bescheid. Er vergisst auch das Mädchen in der Kutsche. Der Weg zur Ebene hinunter ist gefährlich, und Dave darf keinen einzigen Fehler begehen. Solch ein Sechsergespann ist nicht einfach zu lenken. Aber es macht ihm Freude. Als dann die Sonne im Westen den Himmel in ein höllisches Rot verwandelt, erreichen sie die Ebene. Einige Meilen vor ihnen liegt der San Pedro River. Jenseits des Flusses, viele Meilen weit, liegt das berüchtigte Cochise County mit der Silberstadt Tombstone. Die alte Kutsche ächzt und rumpelt durch die Nacht. Daves müdes Pferd ist hinten angebunden und trottet mit.
Dies hier ist also Banditenland. Früher gehörte Dave Hallaghan zu den Banditen. Aber es hat sich jetzt in ihm wohl viel geändert. Er fährt eine Kutsche. Und ein Mädchen sitzt in dieser Kutsche, bei deren Anblick er den Atem anhielt. Der Spieler neben ihm auf dem Bock zeigt plötzlich mit der Hand in die Nacht. »Dort sind die Lichter von River Station«, sagt er zufrieden. »Sie können wirklich eine ganze Menge, Dave Hallaghan. Sie könnten sich sogar als Postkutschenfahrer Ihr Brot verdienen. Wollen Sie nach Tombstone weiter?« »Warum fragen Sie, Corbin?« »Nur so, nur so, Hallaghan! Ich wundere mich die ganze Zeit, dass Sie unbewaffnet sind. Das passt so gar nicht zu einem Hallaghan. Und dieses Land hier ist voll wilder Burschen, von denen viele die Idee in den Köpfen haben, eines Tages groß und berühmt zu sein.« Er lässt es bei dieser Andeutung, doch Dave versteht ihn sehr gut. Ja, es ist sehr gefährlich für ihn, ohne Waffe zu sein. Dass ihn der Spieler erkannte, beweist, dass er noch nicht vergessen wurde. Dave gibt dem Spieler keine Antwort. Er lenkt auf die immer näher kommenden Lichter der kleinen Stadt zu, erreicht schließlich die ersten Häuser des Ortes und fährt in die einzige Hauptstraße ein. Zu beiden Seiten der Straße zieht sich eine Girlande von Lichtern entlang. Ja, aus River Station ist eine kleine Minenstadt geworden.
Als Dave dann die Posthalterei erreicht, sieht er im Schein einiger Laternen eine kleine Menschenansammlung, die schnell anwächst. Vor der Menge, am Rand des Plankengehsteiges, stehen zwei Männer, die Dave besonders auffallen. Den einen Mann kennt er gut. Es ist ein bullenhafter Bursche mit einem kurzen Hals und dicken Kopf. Er trägt einen Marshalstern und hat sich den steifen Derbyhut weit aus der Stirn nach hinten geschoben. Im Laternenschein erkennt Dave sofort das zernarbte Gesicht von Jos Warrow. Und an der Art, wie Jos Warrow den Kopf hebt und die Hand an die Waffe legt, erkennt er auch, dass Jos Warrow ihn bereits erkannt hat. Aber dann tritt der andere Mann vor. Es ist ein alter Mann, aber er ist ein Riese und gleicht einer eisenharten und knorrigen Eiche, die den harten Stürmen noch viele Jahre trotzen kann. Dieser Mann ist sicherlich der leitende Agent der Wells Fargo Company. Denn er starrt zu Dave hinauf, hebt die Hand und fragt in die jäh entstehende Stille: »Was ist das? Ihr habt Tote auf dem Dach? Was ist geschehen?« Dann blickt der Mann auf das Fenster der Kutsche und tritt schnell vorwärts, um die Tür zu öffnen. Jetzt klingt seine Stimme voller Sorge. »Mädel, ist alles in Ordnung?«, fragt er, und man kann erkennen, wie er aufatmet, als aus der Kutsche die Stimme des Mädchens einige beruhigende Worte sagt. Dave Hallaghan sitzt immer noch bewegungslos auf dem Bock, indes die Fahrgäste und das
Mädchen aussteigen und auch der Spieler neben ihm sich vom Sitz schwingt. Die Fahrgäste verschwinden in der Menschengruppe. Abwechselnd berichten sie von dem Überfall. Nur Marshal Jos Warrow kümmert sich nicht um das Durcheinander. Er steht unterhalb des Fahrersitzes und starrt zu Dave hinauf. Seine Worte werden außer von Dave von niemandem beachtet. Die Szene zwischen beiden Männern spielt sich am Rand ab. Jos Warrow sagt mit kalter Bosheit: »Hallaghan, bist du ausgebrochen? Wie kommst du auf den Bock der Kutsche? Komm herunter und…« »Ich trage keine Waffe, Warrow«, unterbricht ihn Dave bitter. Er wickelt endlich die Zügel um die Bremse und klettert vom Bock. Der Marshal tritt sofort hinter ihn und sucht ihn nach Waffen ab. Plötzlich steht einer der Fahrgäste bei ihnen. Es ist das städtisch gekleidete Greenhorn aus dem Osten. Und es sagt höflich: »Mr Marshal, dieser Gentleman war so freundlich, als Ersatzmann für den getöteten Fahrer und dessen Begleiter einzuspringen. Niemand von uns hätte die Kutsche fahren können. Wir säßen jetzt noch alle dort draußen in der Wildnis fest. Und das wäre vor allen Dingen für die junge Lady sehr unangenehm gewesen. Wir sind dem Gentleman sehr zu Dank verpflichtet.« Einige der Zuschauer haben sich inzwischen umgewendet. Auch der Wells-Fargo-Agent Simson Scott drängt sich herbei.
»Die Wells Fargo Company wird Ihnen das nicht vergessen, Fremder. Kommen Sie doch bitte in mein Büro, ja? Ich will Ihnen gleich sagen, dass ich sehr in Druck bin. Diese Kutsche muss sofort weiter nach Tombstone. Ich habe keinen Fahrer. Kommen Sie doch in mein Büro.« Inzwischen haben auch einige Männer die beiden Toten von der Kutsche heruntergeholt. Die dichte Menge hat sich aufgelöst. Man erwartet keine weiteren Sensationen mehr. Dass wieder einmal eine Postkutsche überfallen, die beiden Fahrer getötet und ein Lohngeldtransport in die Hände von Banditen fiel, daran ist man hier schon gewöhnt. Und doch gibt es jetzt für diese Menschen eine Sensation. Denn die Stimme des Marshals Jos Warrow sagt grimmig und böse: »Das ist Dave Hallaghan! Red Dave Hallaghan, Simson! Einer der beiden Hallaghans, die zu Jesse Cass’ Bande gehörten, verstehst du das, Simson Scott? Oha, ich weiß noch nicht, warum dieser Red Dave Hallaghan nicht mehr im Gefängnis sitzt. Ich weiß auch nicht, warum er so plötzlich zur Stelle war, als diese Kutsche einen Fahrer brauchte. Aber ich weiß, dass ich ihn erst einmal einsperren werde, bis ich den Beweis habe, dass er nicht aus der Strafanstalt ausgebrochen und wirklich nur zufällig auf den Bock dieser Kutsche gekommen ist. Vorwärts, Red! Vorwärts! Ich gebe dir ein Einzelzimmer in meinem Stadtgefängnis! Macht Platz, Leute!« Die Menge verhält noch einige Sekunden wie erstarrt. In die Stille erklingt jedoch die Stimme des Spielers Roy Corbin.
»Er ist nicht bewaffnet, Leute! Er hat seine Strafe ordnungsgemäß abgesessen und kann als freier Mann überallhin gehen. Er hat bezahlt und kann neu beginnen. Trampeln Sie nur nicht auf ihm herum!« Es wird sogar beifälliges Gemurmel laut. Aber dann erklingt Jos Warrows Stimme böser und grimmiger als zuvor: »Ich weiß, was ich tue! Vorwärts, Red! Vorwärts!« Er gibt Dave einen Stoß. Aber da mischt sich Simson Scott ein, und er ist ein Mann, der in dieser Stadt sicherlich besondere Autorität besitzt. »Halt, Jos«, sagt er hart. Als dieser innehält, wendet sich Simson Scott an Dave. »Haben Sie einen ordnungsgemäßen Entlassungsschein, Hallaghan?« Der nickt. Er blickt Simson Scott einen Moment fest an. Er kann schon jetzt gefühlsmäßig feststellen, dass ihm dieser Mann gefällt. Und dennoch ist dies alles ziemlich schlimm für Dave. Denn Jos Warrow ist da. Das macht es so schwer. Er greift langsam in die Tasche, holt seinen Entlassungsschein hervor und hält ihn Jos Warrow hin. Dabei spricht er kein Wort. Der Revolvermarshal starrt auf den Schein. Aber er nimmt ihn nicht. Sein von vielen Saloonkämpfen überall zernarbtes und gezeichnetes Gesicht verzieht sich böse. »Nun gut«, sagt er. »Du hast Simson Scott einen Gefallen erwiesen, und er fühlt sich verpflichtet, etwas für dich zu tun. Wir werden ja sehen, wie weit er damit kommt. Aber ich sage, dass du immer noch ein verdammter Strolch und Hundesohn bist. Die lange Haft hat dich höchstens noch schlimmer
gemacht. Red, ich verbiete dir diese Stadt! Wenn ich dich in einer Stunde noch in River Station treffe, wird es schlimm für dich. Ich dulde keine Sträflinge hier, wenn es Sträflinge sind, die Hallaghan heißen.« Nach diesen Worten geht er langsam und schwer davon. Er ist nicht sehr groß, aber er wiegt zweihundertzwanzig Pfund und hat dennoch kein einziges Gramm überflüssiges Fleisch. Er ist ein harter und mitleidloser Mann, und der Unterschied zwischen ihm und einem schießwütigen Revolverhelden besteht nur darin, dass er einen Stern trägt und somit gewissermaßen einen »Jagdschein« besitzt. Dave Hallaghan sieht dem Bullen nach. Er erinnert sich auch an jenen Tag damals, da er mit Brack und einigen anderen Burschen in die Falle eines Aufgebotes ritt. Er wurde schwer verwundet und lag am Boden. Jos Warrow, der zu diesem Aufgebot gehörte, stand über ihm und wollte ihm wie einem verwundeten Wolf den Gnadenschuss geben. Doch der US Deputy Marshal, der das Aufgebot führte, verhinderte diesen Mord. Dave Hallaghan erschauert leicht, denn er verspürt plötzlich einen heißen Hass gegen Jos Warrow in sich. Aber dann legt sich eine große Hand auf seine Schulter. »Kommen Sie in mein Büro, Dave«, sagt Simson Scotts Stimme zu ihm. Dave blickt den Agenten der Wells Fargo Company an. Er sieht ihm fest in die Augen, denn dies ist ja der Mann, zu dem er wollte, zu dem ihn der Gefängnisleiter schickte.
Der Mann gefällt ihm. Er nickt und folgt ihm. Indes wird die Postkutsche in den Hof gebracht. Dort wird sie ein frisches Sechsergespann bekommen. Sie muss ihren Weg nach Tombstone fortsetzen. Darin kennt Wells Fargo keine Gnade. Selbst wenn die Hölle aufbricht, müssen die Männer der Wells Fargo alles daransetzen, dass die planmäßigen Postkutschen möglichst wenig Verspätung haben. Als Dave das Büro betritt, will er sich erschöpft in einen Sessel sinken lassen. Aber da erkennt er das Mädchen in der Ecke. Sie sitzt dort in einem Schaukelstuhl und betrachtet ihn ernst. »Setzen Sie sich, Dave«, sagt sie herzlich. Er verspürt plötzlich ein gutes Gefühl. Die Erkenntnis, dass ihn nicht alle Menschen für einen gestreiften Tiger halten, einen Hundesohn und Strolch, tut ihm gut. Und ganz plötzlich verspürt er in sich den Wunsch, diesem Mädchen eines Tages beweisen zu können, dass er wirklich einen anderen Weg eingeschlagen hat und sich nicht mehr verlieren wird. Simson Scott kommt herein und schließt langsam die Tür. »Mein Freund hat Sie angemeldet, Dave«, sagt er ruhig. »Er hat mir gesagt, nein, geschrieben natürlich, dass Sie ein Mann geworden sind, der noch einmal neu beginnen will und dem dies auch gelingen könnte.« »Ich habe einen Brief in der Tasche«, murmelt Dave, holt ihn heraus und reicht ihn Simson Scott. Aber der öffnet ihn gar nicht, sondern steckt ihn fort. Er betrachtet Dave ernst. Dann nickt er.
»Aus den wildesten Burschen werden eines Tages die besten Männer«, murmelt er. »Mein Freund, der Ihr Gefängnisleiter war, hat mir viel über Sie geschrieben. Ich kenne Sie genau. Aber ich kann Ihnen nur Vertrauen entgegenbringen. Alles andere hängt von Ihnen allein ab. Denn Sie werden hier gegen eine Welt von Misstrauen ankämpfen müssen, bis Sie eine Chance erhalten, diesen Burschen zu beweisen, dass Sie wirklich auf dem neuen Weg zu bleiben vermögen. Es trifft sich gut, dass ich Ihnen diese Chance jetzt gleich geben kann. Aber die Entscheidung liegt bei Ihnen.« Dave Hallaghan schluckt mühsam und setzt sich langsam. Er spürt den Blick des Mädchens auf sich ruhen. Aber er sieht Simson Scott an. »Soll ich vielleicht Jesse Cass fangen?«, fragt er bitter, denn er ist immer noch misstrauisch. »Nein«, spricht Simson Scott, »obwohl Wells Fargo schon seit vielen Jahren fünftausend Dollar Belohnung auf Jesse Cass’ Ergreifung ausgesetzt hat und in fast einem halben Dutzend Staaten Kopfgelder in ähnlicher Höhe ausgesetzt sind, verlange ich das nicht von Ihnen, Dave. Ich bin nur ein kleiner Wells-Fargo-Agent in einer kleinen Stadt am Weg der Verkehrs- und Frachtlinien. Ich will Ihnen nur zum Start in ein neues Leben verhelfen, weil mein Freund mich darum gebeten hat und weil es mir vor fast vierzig Jahren ähnlich erging wie Ihnen, Dave. Ich will Ihnen noch etwas sagen. Der Oberaufseher, dem Sie damals bei einer Gefangenenrevolte das Leben retteten, war der Sohn meiner Schwester. Deshalb wandte sich mein Freund, der Gefängnisleiter, wohl an mich. Es gibt
manchmal merkwürdige Zufälle im Leben, die vielleicht gar keine Zufälle sind.« Dave Hallaghan schluckt wieder. Dann fragt er sehr ruhig: »Was soll ich also tun?« »Die Post fährt in wenigen Minuten nach Tombstone weiter. Das heißt, sie kann nur fahren, wenn ich einen Fahrer dafür finde.« »Ich kenne den Weg nicht«, murmelt Dave. »Es ist Nacht, und ich kenne die gefährlichsten Stellen des Weges nicht.« »Whip Windy wird mit Ihnen fahren, mein Junge. Und Whip Windy könnte die Strecke mit verbundenen Augen fahren. Er wird Ihnen stets genau sagen, wie Sie…« »Warum fährt er dann nicht selbst?« »Er hat nur noch einen Arm«, brummt Simson Scott. »Er war der beste Fahrer, der jemals auf dem hohen Bock einer Concordkutsche saß. Aber ein Fahrer braucht zwei kräftige Arme. Das wissen Sie selbst, Dave.« »Yeah«, nickt dieser, denn er verspürt noch die Anstrengung in seinen Armen. »Wenn ich einen Lotsen mitbekomme, könnte ich wohl fahren«, murmelt er. »Ist das alles? Ist das die Chance? Dann ist sie bestimmt nicht besonders…« »Nein, es kommt noch etwas hinzu«, unterbricht ihn Simson Scott. »Ihr werdet zehn Meilen hinter der Stadt auf drei Frachtwagen treffen, die am Rand der Straße an einem Campfeuer stehen. Von den Frachtfahrern übernehmt ihr eine Geldkiste. Darin sind hunderttausend Dollar Lohngelder für die Schieffelin-Mine. Ihr bringt sie nach Tombstone. Und dann wird die ganze Welt hier bald wissen,
dass Red Dave Hallaghan hunderttausend Dollar Lohngelder zuverlässig ans Ziel gebracht hat.« »He!« Dave keucht diesen Ausruf seltsam heraus. Er starrt Simson Scott ungläubig an. »Mir wollen Sie hunderttausend Dollar anvertrauen, mir, der ich aus dem Gefängnis komme und ein Hallaghan bin?« »Genau!«, sagt Simson Scott ruhig. »Und wenn ich es nicht schaffe?« »Dann wirft mich meine Gesellschaft hinaus. Ich habe aber auch noch eine Menge anderer Gründe, um dies alles zu riskieren. Seit Monaten wird fast jeder Geld- und Silbertransport überfallen und geraubt. Keine Versicherung übernimmt mehr die Garantie. Jeden Schaden muss Wells Fargo aus eigener Tasche ersetzen. Meine Gesellschaft hat in den letzten Wochen ein Vermögen zugesetzt. In Schieffelins Lucky-Cuss-Mine aber streiken die Arbeiter, weil sie schon seit Wochen auf den rückständigen Lohn warten. Kein Geldtransport kam durch. Morgen ist abermals Lohntag. Wir haben die hunderttausend Dollar jetzt nicht in Postkutschen, sondern in Frachtwagen transportiert, die Mehl geladen haben. Aber diese Frachtwagen sind zu langsam. Sie schaffen es nicht rechtzeitig bis nach Tombstone. Als sie heute Mittag hier durchkamen, erhielt ich Anweisung, dass die Nachtpost unterwegs das Geld übernehmen soll, damit es morgen in aller Frühe in Tombstone ist. Und ich habe keinen Fahrer! Dich hat mir der Himmel geschickt, mein Junge! Gute Fahrer sind so selten wie weiße Büffel. Es wurden in den vergangenen Wochen zu viele angeschossen und gar getötet. Den wenigen Burschen, die ich
vielleicht bekommen könnte, kann ich nicht vertrauen. Verstehst du nun alles, mein Junge?« Er duzt Dave, und es ist wirklich schon jetzt ein besonderes Verhältnis zwischen ihnen. Dave kann noch gar nicht daran glauben, dass ihm jemand ein solch großes Vertrauen schenkt. Und doch ist es so! Er hebt die Hand und wischt sich über das Gesicht. »Sie wagen viel, Simson«, sagt er gepresst. »Doch hören Sie! Ich war ein wilder Bursche. Aber noch nie in meinem Leben brach ich mein Wort. Und ich gebe Ihnen jetzt mein Wort, dass ich alles tun werde, was ich kann, damit ich Sie nicht enttäusche. Sie wissen ja gar nicht, was Sie mir geben. Oha, ich kann Burschen wie Jos Warrow beweisen, dass ich…« »Schon gut, Dave! Mach dich fertig! Hier ist der Waffenschrank. Du musst dich natürlich bewaffnen. Caroline, hol ihm einen starken Kaffee und etwas zu essen. In zehn Minuten muss er fahren. Ich kümmere mich jetzt um die Kutsche. Sie steht in zehn Minuten fahrbereit vor der Tür.« Als Dave mit seiner Bewaffnung fertig ist, kommt das Mädchen mit einem Tablett herein. Kaffee dampft. Dazu gibt es Schinkenbrote. »Danke«, sagt Dave und er spürt seinen Hunger. Aber er sieht immer nur das Mädchen an. Sie ist sehr ernst. »Mein Vater ist erledigt, wenn Sie versagen«, sagt sie herb. »Und auch ich glaube an Sie. Ich weiß nicht, warum ich so sicher bin, dass Sie gut sind. Aber vielleicht glaube ich nur deshalb an Sie, Dave Hallaghan, weil Burschen wie Bull Jos Warrow gegen Sie sind. Was hätten Sie mit diesem Warrow
gemacht, als er Sie einen Strolch und Hundesohn nannte, wenn Sie eine Waffe bei sich gehabt hätten?« Sie stellt die Frage scharf und fordernd. Ihr fester Blick lässt ihn nicht los. Er überlegt einige Sekunden. Dann bewegt er auf eine seltsame Art die Schultern. »Während der letzten fünfeinhalb Jahre hat man mich noch viel schlimmer beschimpft«, murmelt er. »Und als ich dann den Mord an jenem Oberaufseher verhinderte, bekam ich von den anderen Gefangenen noch ganz andere Dinge zu hören. Ich bin daran gewöhnt. Ich kann Beleidigungen jetzt abschütteln wie ein nasser Hund das Wasser. Ich mache mir nichts mehr daraus.« Sie seufzt hörbar und nickt dann. »Ihr Bruder Brack wurde mit Ihnen entlassen?« »Ja.« »Und Sie blieben nicht mit ihm zusammen?« »Nein.« »Das bedrückt Sie sehr?« »Ja.« Sie nickt und geht in die Ecke zurück, wo sie sich wieder in den Schaukelstuhl setzt. Plötzlich sagt sie: »Ein Mann baut sich sein eigenes Leben, Dave. Versuchen Sie es! Ich glaube an Sie. Zum Teufel, vielleicht hilft es Ihnen etwas, wenn Sie wissen, dass ich an Sie glaube. Jemand muss doch an Sie glauben. Beweisen Sie es der erbarmungslosen Meute der Rechtschaffenen und Gerechten, dass ein Mann wie Sie seinen Irrtum erkennen und einen neuen Weg beginnen kann. Es würde mich sehr freuen.«
Er erhebt sich und kaut noch. Dann trinkt er stehend den Rest des Kaffees und nimmt das Schrotgewehr. Damit geht er zur Tür und sieht sich dort erst um. Schlank und geschmeidig wiegt sie sich im Schaukelstuhl. Sie ist noch staubig von der Reise und sicherlich auch sehr müde. Aber ihre Augen sind hell und klar. »Es bedeutet mir viel, Miss, dass Sie an mich glauben«, murmelt er. »Ich will zur Hölle fahren, wenn ich Sie enttäusche.« Dann tritt er hinaus. Draußen wartet die Kutsche. Fahrgäste klettern hinein. Dave erkennt den Spieler Roy Corbin und das modisch gekleidete Greenhorn aus dem Osten. Auch sie wollen also nach Tombstone weiter. Auf dem Beifahrersitz hockt ein einarmiger, lederhäutiger und falkennasiger Oldtimer. Wieder haben sich einige Menschen angesammelt. Simson Scott und einer seiner Stallhelfer stehen bei der Kutsche. Scott nickt Dave Hallaghan wortlos zu. Als Dave auf den hohen Bock klettert, taucht Marshal Jos Warrow wieder auf. Er stellt sich neben Simson Scott, starrt zu Dave hinauf und fragt grimmig und hart: »Was ist das, Simson? Du hast einen verdammten Zuchthäusler als Fahrer angeworben?« Aber Simson Scott gibt ihm keine Antwort. Er winkt nur zu Dave hinauf und sagt ruhig: »Bring die Post sicher nach Tombstone! Viel Glück!« Dave hat indes die Zügel losgewickelt. Er knallt mit der Peitsche, löst mit der Hand die Bremse und ruft scharf: »Hoiiiaaah! Braaah! Braaah! Hoiiiah!«
Die sechs Pferde springen an. Es ist ein richtiger, guter und jeden Fachmann zufrieden stellender Start. Es ist ein richtiger Postkutschenfahrerstart. So muss es sein! Das gehört dazu! Selbst wenn eine solche Concordkutsche jenseits der Stadtgrenze ruhiger fährt, hier am Startplatz gehört es sich einfach, dass sie sofort ein Höllentempo anschlägt. Später fällt das Sechsergespann in einen langsamen Trab. Die Fahrt hat begonnen. *** Um seinen Beifahrer hat Dave sich bis jetzt nicht gekümmert, doch nun hört er ihn zufrieden brummen und dann zur Seite spucken. Whip Windy hat eine Stimme wie ein Reibeisen, so kratzig und rau. Und er sagt jetzt: »Das war ziemlich prächtig, mein Sohn. Ich habe schon gedacht, dass ich mich den ganzen Weg ärgern müsste, aber jetzt pass gut auf, Junge. Da kommt der Hackebeil-Canyon. Er ist so schwarz wie Jesse Cass’ Seele und so eng wie meine neuen Stiefel. Wenn du auch nur mehr als zehn Zoll vom Weg abkommst, dann geraten die Räder rechts und links in die Klippen, oder die Felsnasen der Wände reißen dir den Wagenkasten auf. Du musst zu den Sternen sehen, mein Junge, immer zu den Sternen hinauf. Da siehst du die Schluchtränder.« Dave begreift sofort, und als dann bald darauf das dunkle Maul der Schlucht auftaucht, starrt er
gen Himmel. Ja, er kann die Schluchtränder gut erkennen. Nach sieben Meilen wird die enge Schlucht zu einem Canyon. Da knurrt Whip Windy auch schon wieder neben ihm: »Jetzt kommt die scharfe Biegung nach rechts. Links ist ein Abgrund! Die verdammte Straße geht steil nach unten wie in die Hölle. Und wenn du dich nur auf die Bremse verlässt, bist du verloren. Die Gäule müssen die Kutsche bremsen, verlass dich nicht auf die Bremse.« Ja, dann kommt auch schon der scharfe Knick. Von dem Abgrund sieht Dave nicht viel, aber er ahnt ihn und wittert die aufsteigende Kühle und Feuchtigkeit. Dann geht der Weg auch wirklich steil abwärts mitten in ein Höllenloch hinein. Dave schafft es. Er behält die schnaubenden Tiere fest unter Kontrolle und hält mit ihnen das Gewicht der schweren Kutsche auf. Sie erreichen den Grund des Kessels. Und da knurrt Whip Windy auch schon: »Jetzt kommt die steile Steigung. Du schaffst sie nicht, wenn du die Gäule nicht zu einem Höllentempo zwingen kannst!« Dave reagiert sofort. Als sie oben sind, knurrt der alte Whip Windy zufrieden. »Das war richtig«, sagt er. »Jetzt kommt eine Ebene, Junge. Jetzt hast du es einige Meilen leicht.« Dave ist zufrieden. Der scharfe Fahrtwind trocknet den Schweiß an seinem Körper. Sie fahren schweigend über die Ebene.
Nach wenigen Meilen entdecken sie ein Feuer in der Nacht. Es glüht dicht neben der Straße, und sie erkennen auch die Umrisse dreier schwerer Murphy-Frachtwagen. Bald darauf hält die Postkutsche mit quietschenden Bremsen neben dem Feuer und den drei Frachtwagen, zu denen noch je ein kleinerer Anhänger gehört. Die drei Fahrer und deren Gehilfen stehen im Schatten der Wagen, halten sich dem Feuer fern und haben Waffen bereit. Aber da sagt Whip Windys Stimme kratzig: »All right, Jungs! Habt ihr den wilden Cochise gesehen?« Diese Frage nach dem Apachenhäuptling Cochise ist sicherlich das Losungswort und Erkennungszeichen. Denn die Frachtfahrer bewegen sich nun wie erleichtert und senken die Waffen. Zwei der Männer klettern auf einen der Frachtwagen und beginnen dort, unter der Plane Mehlsäcke umzuschichten. Ein anderer Mann, sicherlich ist er der Vormann dieses Trecks, tritt zu der Postkutsche und starrt zu Whip Windy hinauf. »Wir sind mächtig froh«, knurrt er, »dass ihr uns die goldenen Eierchen abnehmen wollt. Wir sind schon zehn Tage mit dem Geld unterwegs, aber wir wären niemals rechtzeitig damit nach Tombstone gekommen. Die verdammte Steigung hinter uns hat uns viele Stunden aufgehalten. Vor jedem Wagen mussten wir drei Gespanne anschirren. Nehmt es also mit.« Er hat kaum ausgesprochen, als seine Männer zwei Eisenkisten und drei Ledersäcke anschleppen,
denn hunderttausend Dollar in Münzen und kleineren Scheinen sind eine ganze Menge. Die beiden Kisten werden auf dem Dach der Kutsche hinter Dave und Windy festgebunden. Die Lederbeutel kommen unter den Fahrersitz. Der Spieler Roy Corbin will aus der Kutsche klettern, aber einer der Männer knurrt scharf: »Bleiben Sie in der Kutsche, Mister! Hier wird nicht ausgestiegen!« »Aber ich muss mal…« »Machen Sie sich meinetwegen in die Hosen. Es wird nicht ausgestiegen!« Da zieht sich der Spieler fluchend zurück und schließt auch das Fenster. Außer ihm ist nur noch das Greenhorn aus dem Osten in der Kutsche. Sie sind die beiden einzigen Fahrgäste nach Tombstone. Das Greenhorn sitzt ruhig in der Ecke. Roy Corbin flucht immer noch bitter und sagt dann: »Wir haben einen Geldtransport von den Frachtwagen übernommen. Wells Fargo probiert einen neuen Trick aus. Sie hat es riskiert, dass der kleine Geldtransport zehn Meilen vor River Station geraubt werden konnte. Jetzt weiß ich, warum diese Kutsche unbedingt weiter nach Tombstone musste. Wegen zwei Kisten und drei Säcken voll Geld. Das kann ziemlich höllisch werden, wenn die Banditen einen großen Geldtransport erwarten und die Kutsche auf jeden Fall anhalten. Und auf dem Fahrersitz hockt Red Dave Hallaghan, der…« Aber da unterbricht ihn das Greenhorn aus dem Osten ruhig: »Mister, vielleicht ist gerade das der Trick. Keinen Begleitschutz, und auf dem Bock ein einst sehr berüchtigter Bandit, der soeben aus dem
Zuchthaus kommt! Vielleicht ist das der Trick! Denn selbst die schlimmsten und schlauesten Banditen dieses Landes werden nicht damit rechnen, dass man einem Mann wie Red Dave Hallaghan eine Postkutsche nach Tombstone anvertraut, die einen solchen Haufen Geld transportiert. Das ist der große Trick! Wenn diese Kutsche angehalten wird und Red Dave Hallaghan als Fahrer erkannt wird, so wird niemand auf die Idee kommen, dass ihm die Wells Fargo ein solches Vertrauen schenkt und er dieses Vertrauen vielleicht sogar verdient.« Der Spieler denkt über die Worte nach. Dann murmelt er: »Sie haben einen guten Verstand, Mister. Wie war doch Ihr Name?« »Ambrose Baxter aus Chicago.« »Und was wollen Sie in Tombstone?« Das Greenhorn lacht leise. »Ein Mann muss sein Glück suchen, nicht wahr? Vielleicht wartet es in Tombstone auf mich. Wir werden sehen.« Dann fährt die Kutsche mit einem Ruck an. Die beiden Fahrgäste schweigen. *** Die Poststraße führt über eine trockene und trostlose Ebene des San Pedro Valley. Irgendwo zur Linken muss sich der Fluss befinden. Mond und Sterne leuchten. Das Gespann läuft in einem gleichmäßigen Trab und lässt Meile um Meile hinter sich. »Jetzt kommt bald die Watervale-Steigung«, knurrt Whip Windy. »Hier verlor ich den Arm,
Junge. Jesse Cass schoss mich hier vor einem Jahr vom Bock.« Die Kutsche rollt in einen schluchtartigen Bodenriss hinein. Und da passiert es. Zwei Schüsse krachen, und sofort stürzen die beiden Führungspferde und versperren dem Gespann den Weg. Es gibt ein wildes Durcheinander. Die Kutsche hält mit einem scharfen Ruck, und weil das alles sehr schnell geht und der Ruck unerwartet kommt, fliegt Whip Windy vom Bock. Er hat ja nur einen Arm, und das ist zu wenig, um sich festhalten zu können. Er fliegt mitten in das Durcheinander der Pferde und stößt einen heiseren Schrei dabei aus. Auch Dave Hallaghan befindet sich auf einer »Luftreise«, aber bei ihm ist sie gewollt. Ja, er hätte sich festhalten und auf dem hohen Bock bleiben können. Aber wer tut das schon, wenn Banditen eine Postkutsche angehalten haben und jetzt wie hier eine Menge Blei verschießen? Ein Mann auf einem Fahrersitz ist viel zu gefährdet. Dave Hallaghan landet ziemlich schmerzvoll, denn der Boden ist felsig. Er rollt sich von der Kutsche und den Pferden weg und prallt hart gegen einen Felsen. Ruhig bleibt er am Boden liegen, denn hier unten ist es besonders dunkel. Er holt seinen Colt aus dem Hosenbund und wartet. Dabei stützt er sich auf den linken Ellbogen und späht schräg nach oben. So vergeht fast eine volle Minute. In Dave Hallaghan sind während dieser Zeit viele Gedanken.
Er denkt an jene Zeit, da er als Mitglied der Jesse-Cass-Bande solche Geldtransporte überfiel. Er denkt auch an Whip Windy, von dem er nichts mehr hört. Er denkt an die beiden Männer in der Kutsche, die ebenfalls keinerlei Zeichen geben. Und schließlich denkt er an Caroline, die ihm sagte, dass sie an ihn glaubt. Dann ist die Minute um. Die Pferde haben sich beruhigt und stehen zitternd vor Schrecken im Geschirr. Sie schnauben und seufzen manchmal fast wie Menschen. Plötzlich ertönt eine Stimme, und sie sagt hart und scharf in die Stille: »Seht nach, Jungs, seht nach!« Gleich danach erklingt eine zweite Stimme. Sie kommt aus der Kutsche, und sie gehört Roy Corbin, dem Spieler. Sie ruft schrill und nervös: »Hallaghan, Red Dave Hallaghan, wenn Sie noch auf den Beinen sind, dann kämpfen Sie lieber nicht! Sonst muss ich harmloser Passagier vielleicht mit darunter leiden.« Dave gibt keine Antwort, aber er hört, wie jemand die Tür der Kutsche öffnet und ins Freie klettert. Die Banditen zwischen den Felsen sind wieder still. Ganz gewiss haben sie alle jedes Wort des Spielers genau verstanden. Sie sind ja alle sehr nahe und lauern in der Runde in den Schatten der Felsen. Es ist fast so, als hätte die Stimme des Spielers sie noch einmal angehalten oder sogar gewarnt. Dann erklingt wieder die harte und scharfe Stimme, die vorhin den Befehl erteilte. Und sie fragt: »Red Dave Hallaghan ist dort bei der Kutsche,
einer von den beiden Hallaghans, die für Jesse Cass ritten?« Roy Corbins Stimme klingt jetzt lauter als vorher. Er hat nun die Kutsche verlassen. Und er ruft: »Dave Hallaghan ist der Fahrer, Männer! Einigt euch mit ihm. Oder lasst mich wenigstens vorher verschwinden. Ich bin vollkommen neutral und möchte mich nicht totschießen lassen. Ich bin nur ein Fahrgast, dem es vollkommen gleichgültig ist, was mit dem Geld geschieht.« »Hoii, habt ihr gehört?«, meldet sich eine andere Stimme. »Er hat gesagt, dass Geld in der Kutsche ist.« Dann ist es abermals einige Sekunden still. Dave Hallaghan bewegt sich nicht. Er hört jedoch, dass der Spieler von der Kutsche fortkriecht und immer mehr in seine Nähe kommt. Dann wird er wieder abgelenkt, denn die harte und scharfe Stimme dort zwischen den Felsen spricht nun zu ihm. »Dave Hallaghan, gib auf! Diesmal bekommen Jesse Cass und seine Jungs nichts ab. Ihr jagt schon wieder einmal in einem fremden Revier. Komm her, Dave Hallaghan! Wenn wir das Geld haben, kannst du verschwinden.« Aber Dave bleibt stumm. Er wartet mit kalter Entschlossenheit. Ja, er spürt weder Zorn noch Hass. Aber er ist entschlossen, es dieser Bande sehr schwer zu machen. Wenn er diesen Geldtransport verliert, ist Simson Scott erledigt. Und es ist ja auch ganz klar, dass man ihn, Dave, verdächtigen wird, mit der Bande zusammengearbeitet zu haben.
Weil er keine Antwort gibt, beginnen zwischen den Felsen einige Stimmen zu fluchen. Aber dann sagt die Stimme des Anführers wieder: »Vielleicht wurde er schon getroffen oder ist unglücklich vom Bock gefallen. Seht jetzt nach, Jungs! Hallaghan, wenn du schießen solltest, machen wir dich hier fertig!« Und dann kommen sie. Obwohl es hier im Hohlweg zwischen den Felsen sehr dunkel ist, sieht Dave bald darauf auf der linken Seite zwei geduckte Schatten auftauchen. Als er sie gut genug sieht, beginnt sein Colt zu krachen. Er spürt instinktiv, dass er trifft, rollt sich jedoch fort und will unter der Kutsche hindurch auf die andere Seite gelangen. Doch da springt jemand auf ihn nieder, und er spürt einen heftigen Schmerz am Hinterkopf. Sein ganzer Kopf scheint zu explodieren. Er wird jedoch nicht völlig besinnungslos. Nur seine sämtlichen Glieder sind gelähmt. Wie aus weiter Ferne hört er eine Stimme rufen: »Ich habe ihn! Ich habe ihn! Nicht mehr schießen! Nicht mehr schießen, Jungs! Ich habe ihn.« Dann verliert Dave für einen kurzen Moment das Bewusstsein. Und als er nach zwei oder drei Minuten erwacht, sich mühsam aufsetzt und sich mit beiden Händen den schmerzenden Hinterkopf hält, ja, da haben sich einige Dinge sehr verändert. An der Kutsche hängt nun eine brennende Laterne. Er blinzelt gegen das Licht und erkennt einige Männer. »Whip Windy ist immer noch bewusstlos«, meldet eine Stimme von der anderen Seite. »Es sieht so
aus, als hätte ein Pferd ihn schlimm getreten. Warum musste der alte Ziegenbock auch oben auf dem Bock als Begleitmann mitfahren.« Ein anderer Mann kommt aus der Kutsche geklettert. Dave blinzelt diesen Mann an. Es ist das Greenhorn, und es blutet stark an der Stirn. Aber der junge Mann aus dem Osten starrt bitter auf den Spieler, der bei den Banditen steht, und sagt ärgerlich: »Warum haben Sie mich denn in der Kutsche zusammengeschlagen, Mister? Das war nicht fair!« Roy Corbin grinst ihn an. Dann gibt er einem der Banditen einen Wink. »Bring diesen Narren fort, Chet! Bring ihn fort!« Einer der Banditen, ein großer, knochiger Kerl, tritt sofort neben das Greenhorn, packt ihn am Kragen und stößt es vor sich her. Sie verschwinden zwischen den Felsen. Die anderen Burschen starren Dave an, der sich langsam erhebt. Seine Schmerzen am Hinterkopf sind jetzt erträglich. Er kann wieder denken und auch besser sehen. Die Lähmung seiner Glieder ist verschwunden. Ja, sie starren ihn an. Es ist auch ganz klar, dass der Spieler Roy Corbin zu der Bande gehört. Er scheint sogar der Boss zu sein, denn er übernimmt nun die Leitung dieser »Vorstellung«. Er starrt Dave Hallaghan an und sagt kühl: »Du wirst uns eine Menge Fragen beantworten müssen, Hallaghan. Und ich habe die Laterne anzünden lassen, damit ich dich besser ansehen kann, wenn du lügen solltest. Doch bevor ich dich frage, will ich
meinen Partnern erklären, um was es sich eigentlich dreht.« Er blickt die drei anderen Männer an. Einer ist ja mit dem Greenhorn fortgegangen. Und ein weiterer Mann der Bande wird sicherlich bei den Sattelpferden sein. Mit Roy Corbin sind es also sechs. Lässig deutet er auf Dave Hallaghan und sagt: »Einen feinen Trick hat sich Jesse Cass ausgedacht. Er wusste genauso gut wie ich, dass die Schieffelin-Mine morgen ihre Lohngelder haben muss, und er konnte sich ausrechnen, dass man das Lohngeld vielleicht schon in River Station hatte und mit dieser letzten Post nach Tombstone zu bringen versuchen würde. Jesse Cass überfiel also die Kutsche, bevor sie, von Tucson kommend, River Station erreichte. Er fand heraus, dass sie nur die Lohngelder für die Opal-Mine beförderte. Daran erkannte Cass genauso wie ich, dass die hunderttausend Dollar für die Schieffelin-Mine auf anderen Wegen schon zumindest in River Station angelangt sein mussten. Und da dachte sich die Cass-Bande einen Trick aus. Sie hatte ja den Fahrer und dessen Begleitmann getötet. Mich hielten sie für einen der vielen Kartenhaie. Sie wussten, dass niemand von den Fahrgästen die Kutsche nach River Station bringen konnte. Und da schickten sie Dave Hallaghan, der während des Überfalls unsichtbar geblieben war. Dave Hallaghan bot sich als Fahrer an. Er brachte die Kutsche nach River Station. Obwohl man ihn sofort erkannte und sofort auf ihm herumzutreten begann, brachte es Dave Hallaghan fertig, Simson Scotts Vertrauen zu gewinnen. Er…«
Roy Corbin wird nun von einem Schuss unterbrochen, der weiter entfernt zwischen den Felsen erklingt, und dies aus der Richtung, in der der Bandit Chet mit dem Greenhorn verschwunden war. Dave Hallaghan glaubt zu wissen, was das zu bedeuten hat. Und nun verspürt er zum ersten Mal einen heißen Zorn. »Mordbande!«, knurrt er heftig. Und dann erinnert er sich endlich daran, dass er zwar Gewehr und Colt verloren hat, sich aber noch der kleine Derringer in seiner Hosentasche befindet. Er spürt das Gewicht der kleinen Waffe nun sehr deutlich in der Tasche. Dieses kleine Ding ist jetzt eine winzige Chance für ihn, und er wundert sich nicht darüber, dass ihn in der Posthalterei ein instinktives Gefühl dazu veranlasst hatte, auch diese kleine Waffe aus dem Waffenschrank zu nehmen. »Nur ruhig, mein Junge«, knurrt einer der Banditen zu ihm. »Ein entlassener Zuchthäusler, der wieder zu seiner alten Bande gestoßen ist, sollte seine Kollegen von der Konkurrenz nicht Mörder nennen.« Dave erwidert nichts, aber er greift in die Tasche und holt sein Rauchzeug hervor. Er dreht sich eine Zigarette und zündet sie an. Er steckt das Rauchzeug dann wieder fort. Die Banditen haben ihn also mehrmals in verschiedene Taschen greifen lassen. Dave nimmt sich vor, dass er das nächste Mal seinen Derringer hervorholen wird. Roy Corbin deutet mit dem Colt auf ihn und sagt: »Du hast diesem Simson Scott eine gute Vorstellung
geliefert, nicht wahr? Er brauchte unbedingt einen Fahrer nach Tombstone. Und du konntest ihn irgendwie davon überzeugen, dass du dich von deinem Bruder Brack getrennt hattest und nie wieder auf einen falschen Weg geraten wolltest. Simson Scott musste alles auf eine Karte setzen. War es nicht so, Dave?« »Vielleicht«, sagt dieser. Roy Corbin nickt zufrieden. Und dann spricht er weiter, wobei er bei fast jedem Wort mit dem Coltlauf dirigiert: »Oben auf der Wasserscheide der Watervale-Steigung hättest du Whip Windy und uns zwei Fahrgäste zum Teufel gejagt, nicht wahr? Du hättest das Gespann verschnaufen lassen und uns überrumpelt. Dann wärst du allein weitergefahren, bald von der Poststraße abgebogen und zu einem Ort gefahren, an dem Jesse Cass und seine Jungs jetzt noch warten. So sollte es doch vonstatten gehen, oder…?« »Du hältst dich für einen Schlaukopf, Corbin«, murmelt Dave sanft. »Aber du bist wirklich nur ein zweitklassiger Straßenräuber. Es ist nämlich ganz anders. Ich habe mich von meinem Bruder getrennt, habe keinerlei Verbindung mit Jesse Cass und war wirklich ehrlich bemüht, das Geld nach Tombstone zu bringen. Du wirst es nicht glauben, Corbin, aber ich wollte wirklich einen anderen Weg einschlagen, der mich nie wieder ins Zuchthaus bringen sollte. Simson Scott hat es mir geglaubt.« Nach diesen Worten starren ihn die Banditen an wie ein Gespenst. Sie können es nicht glauben, dass Roy Corbins Vermutungen nicht stimmen sollen. Sie können nicht glauben, dass ein entlassener Sträfling einen
anderen Weg einschlagen will und die Absicht hat, hunderttausend Dollar nach Tombstone zu bringen. Einer der Burschen legt plötzlich seinen Colt auf Dave an und sagt böse: »Nun gut, er hat Jube schwer angeschossen und Bruces Arm zerschmettert. Nun gut!« Aber bevor der Bursche abdrücken kann, schlägt ihm Roy Corbin die Waffe nieder. Dabei knurrt er scharf und sagt hart: »Ihr alle könnt nicht denken! Jesse Cass und sein Rudel kommen immer wieder in unser County und machen uns Konkurrenz. Sie schnappen uns immer wieder fette Brocken weg und ziehen sich dann für einige Wochen in ein Versteck zurück. Jeder weiß, dass die Cass-Bande ein besonders gutes Versteck haben muss. Und Dave Hallaghan kann es uns vielleicht verraten. Dann können wir einem US Marshal einen Tipp zukommen lassen und werden auf diese Art die Cass-Bande los. Könnt ihr das begreifen?« Ja, sie können es. Das ist klar. Die Sache begreifen sie, denn sie liegt klar auf der Hand. Sie sind ja gewissermaßen eine Wolfsmeute, in deren Gebiet manchmal eine andere Wolfsmeute jagt. Roy Corbin starrt Dave kalt an. »Wir bringen es aus dir her aus, Dave«, sagt er sanft. »Du weißt, dass wir es aus dir herausquetschen können. Also sprich lieber, bevor wir rau werden müssen. Wo können wir Jesse Cass und seine Jungs finden? Schnell, Dave Hallaghan! Sprich!« Dave wirft die Zigarette auf den Boden, tritt sie mit dem Absatz aus. Und als er nun in die Tasche
greift, da sieht es so aus, als wollte er abermals den Tabaksbeutel herausholen. Doch es ist der Derringer. Die vier Burschen starren überrascht in die Doppelmündung der kurzläufigen Waffe. Dave glaubt, dass er sich beeilen muss, denn er rechnet jede Sekunde mit der Rückkehr des Banditen, der sich mit dem Greenhorn entfernte. Doch da erlebt auch er eine Überraschung. Die Stimme des Greenhorns erklingt nämlich zwischen den Felsen. Und die Worte sind sehr erfreulich für Dave. Ambrose Baxter aus Chicago sagt nämlich: »Der gute Chet hat es nicht geschafft, Freunde. Ich habe seinen Colt. Ihr könnt mir glauben, dass ich nicht nur ein guter Boxer, sondern auch ein mittelmäßiger Schütze bin, der auf fünf Schritt einen Mann treffen kann.« Ja, das ist wirklich eine Überraschung. *** Es ist früher Morgen. Die Sonne ist noch nicht aufgegangen, als Dave Hallaghan die Postkutsche über die Hochflächen der Mesa fährt, auf der sich die wilde Silberstadt Tombstone erhebt. Jetzt ruht Tombstone noch aus wie ein riesenhaftes Untier. Aber noch vor Anbruch der Nacht wird es sich wieder erheben, und alle Leidenschaften, Laster, Sünden und Begierden werden sich in den prunkvoll ausgestatteten Saloons, Spielhallen und Tanzpalästen austoben. Dave Hallaghan lenkt die Postkutsche also die Allen Street hinunter. Natürlich hat die Post einige Stunden Verspätung. Sie ist überfällig. Die wenigen
Menschen auf der Straße halten inne und betrachten die Sache. Von Ambrose Baxter, dem Greenhorn, und den gefangenen Banditen ist nicht viel zu sehen. Denn die Gefangenen sitzen gefesselt in der Kutsche und werden von Ambrose Baxter bewacht. Auch ist dieser junge Mann kein Greenhorn, sondern ein Detektiv der Wells Fargo Company. Er hat sich nur als Greenhorn getarnt. Wie gefährlich Ambrose Baxter jedoch ist, beweist die Tatsache, dass er den Banditen Chet, der ihn fortbringen und irgendwo zwischen den Felsen töten sollte, überrumpeln konnte und dadurch am Leben blieb. So kommt also die Postkutsche nach Tombstone hereingerollt und strebt der Haltestelle vor der Postagentur zu. Dort wartet eine Menschengruppe. Sie wartet sicherlich schon viele Stunden. Dave Hallaghan hält an, legt die Bremse fest und wickelt die Zügelenden um den Peitschenhalter. Dabei blickt er auf die Männergruppe nieder, die dort bewegungslos auf dem Gehsteig wartet und ihn aufmerksam betrachtet und studiert. Zwei dieser Männer kennt Dave Hallaghan. Es ist wieder einmal so, dass ihn auch hier die Vergangenheit eingeholt hat. Er ist wieder einmal auf Männer getroffen, die ihn aus seiner wilden und rauchigen Zeit kennen. Es sind keine einfachen und unbedeutenden Männer. Denn dort stehen Wyatt und Virgil Earp! Dave Hallaghan erkennt den berühmten Wyatt Earp sofort, denn er hat ihn in Dodge City einmal bei der Arbeit gesehen. Wyatt Earp war damals der
Marshal von Dodge City, jener wilden Treibherdenstadt am Chisholm Trail, und er hat auch Dave und Brack Hallaghan einmal zurechtgestutzt. Dave Hallaghan und Wyatt Earp blicken sich an, und das ist ganz natürlich. Earp ist ein großer blonder Mann, der sehr ruhig und kühl wirkt. Es geht jedoch nichts von ihm aus, was böse und gewalttätig wirkt. Und doch erkennt man ihn auf den ersten Blick als einen besonderen Mann. Er sieht Dave Hallaghan fest an, und dieser hat sofort das Gefühl, dass Wyatt Earp ihn zumindest genauso schnell erkannt hat wie Jos Warrow in River Station. Doch Wyatt Earp bewegt sich nicht. Er steht mit seinem Bruder Virgil am Rand der Männergruppe und sieht nur zu. Inzwischen jedoch ist ein anderer Mann vorgetreten, der genauso aussieht, wie man sich den Manager einer Minengesellschaft vorstellt. Und dieser Mann ruft scharf und nervös: »Bringt ihr die Lohngelder mit? Bringt ihr sie mit?« Dave Hallaghan antwortet nicht sofort. Und Whip Windy, der viel zu starke Leibschmerzen hat und sich kaum noch auf dem Bock halten kann, bringt ebenfalls kein Wort heraus. Aber da tritt auch der Posthalter von Tombstone vor. Er starrt zu Dave hinauf und fragt mit bitterer Stimme: »Die Post ist wieder einmal überfallen worden, nicht wahr?« Dabei öffnet er die Tür der Kutsche und blickt hinein.
Und da sieht er etwas, was ihn überrascht zusammenzucken lässt. »He!«, ruft er und tritt schnell zurück, um abermals einen Blick zu Dave Hallaghan hinaufzuwerfen. Der nickt ihm zu. »Diesmal haben die Banditen das Geld nicht bekommen«, sagt er langsam zu den Männern nieder. »Wir haben die Burschen auch gleich mitgebracht. Und ich möchte, dass Sie das Geld sofort übernehmen, abzählen und mir eine Quittung darüber aushändigen.« »He«, keucht der Posthalter. »Wenn Sie ein Fahrer der Wells Fargo sind, brauche ich Ihnen keine Quittung zu geben, Freund! Die Sache ist Ihnen wohl sehr an die Nerven gegangen?« Dave Hallaghan grinst müde. »Mister«, sagt er, »bevor es Ihnen andere Leute erzählen, will ich Ihnen sagen, dass ich Red Dave Hallaghan bin. Wenn ich nach River Station zurückreite, möchte ich die Quittung in meiner Tasche haben. Denn mein alter und lieber Freund Jos Warrow, der dort Marshal ist, würde mir kein Wort glauben und mich erst einmal vorsorglich in eine Zelle sperren.« Alle Männer starren Dave an. Und als sie alle noch staunen, sagt Wyatt Earps Stimme trocken: »Er ist Dave Hallaghan, Red Dave Hallaghan, der damals mit Jesse Cass ritt und dann sechs Jahre eingesperrt wurde. Es waren doch sechs Jahre, Dave? Oder kann ich nicht mehr rechnen?« Er schenkt ihm ein seltsames Lächeln. Doch dann ist er wieder kühl und wirkt sehr hart.
Lässig wendet er sich an einen kleinen Mann, der den Stern eines Sheriffs trägt. »Nun, Sheriff, die Kutsche ist voll gefangener Banditen.« Er tritt vorwärts und späht in die Kutsche. Als er sich wieder umwendet, sieht man ihm die Enttäuschung nicht an. Aber er murmelt: »Sie brauchen sich nicht zu sorgen, Sheriff Behan. Von Ihren Freunden ist niemand dabei.« »Zum Teufel, Earp! Sie behaupten doch wohl nicht, dass ich mit Banditen befreundet bin?«, bellt Sheriff Johnny Behan, der nach der Ansicht vieler eine recht zwielichtige Figur ist. Aber Wyatt Earp grinst nur sparsam, dreht ihm den Rücken zu und sieht Dave Hallaghan an, der inzwischen langsam vom Bock geklettert ist und Whip Windy heruntergeholfen hat. Auch Ambrose Baxter, der wieder ganz den Eindruck eines Greenhorns aus dem Osten macht, ist aus der Kutsche geklettert. Er bläst seine runden und sehr roten Backen auf und verkündet erleichtert: »Puh, was habe ich in dieser Gesellschaft geschwitzt. Diese Hartgesottenen haben mir richtig Angst gemacht. Fast hätte ich vor Furcht ihre Fesseln gelöst.« Er lacht seltsam auf und geht schnell davon. Es ist schon etwas sehr Außergewöhnliches, dass ein so großer Geldtransport sein Ziel erreichen konnte, dass die Straßenräuber als Gefangene mitgebracht wurden und dass ein Mann namens Red Dave Hallaghan diese Kutsche fuhr.
Das ist schon etwas, worüber man bald überall in Tombstone und im Cochise County sprechen wird. Dave Hallaghan hat nichts mehr zu tun. Nur der Postagent ruft ihm zu: »Kommen Sie in einer Stunde, Hallaghan, und machen Sie dann Ihren Bericht!« Dave nickt. Er fühlt sich sehr müde und ausgebrannt. Und doch ist er sehr zufrieden und erleichtert. Er hat es also geschafft. Er hat den Geldtransport ans Ziel gebracht und damit bewiesen, dass er kein Bandit mehr ist, sondern einen anderen Weg einschlug. Seiner Meinung nach hat er nun den ersten Schritt getan in ein neues Leben. Er erwidert Wyatt Earps seltsam forschenden und prüfenden Blick noch einmal, lächelt bitter und geht langsam davon. Die Müdigkeit strömt nun wie Blei durch seine Glieder, aber er verspürt auch einen nagenden Hunger. Aus der offenen Tür eines kleinen Speiserestaurants strömen verlockende Düfte. Dave zögert nicht lange und tritt ein. Als er gesättigt ist, verlässt er das Restaurant und geht langsam wieder zur Allen Street zurück. An der nächsten Ecke trifft er auf Wyatt Earp. »Trinken wir miteinander einen Whisky«, sagt der US Marshal sanft und deutet zu einem Saloon hinüber, vor dem ein alter Mann gerade den Plankengehsteig fegt. Dave zögert.
Er denkt daran, wie Marshal Jos Warrow in River Station auf ihn losgegangen ist. Er verspürt immer noch eine Abneigung gegen jeden Mann in sich, der einen Gesetzesstern trägt. Aber dann folgt er dem Mann, der hier in diesem wilden Banditenland das Bundesgesetz vertritt. Er fühlt sich sehr einsam, aber er spürt auch, dass dieser Wyatt Earp ebenfalls sehr einsam ist. Irgendwie spürt er das. Sie betreten den Saloon, setzen sich in eine Ecke. Wyatt Earp zeigt dem Barkeeper, der soeben seinen Dienst begonnen hat, zwei steife Finger. Dann bekommen sie den Whisky, trinken und blicken sich forschend an. »Wir wollen nicht erst lange herumtändeln, Hallaghan«, murmelt Wyatt Earp dann sanft und holt einige Zigarren aus der Innentasche seiner schwarzen Tuchjacke. Er trägt ein blütenweißes Hemd und eine schwarze Schleife aus Samt. Irgendwo unter seiner Kleidung hat er zwei große Colts verborgen. Dave nimmt zögernd eine Zigarre. Earp gibt Feuer. »Was wollen Sie von mir, Earp?«, fragt er schließlich den Marshal. Der US Marshal lächelt wieder seltsam. »Ich weiß alles über die Hallaghans«, sagt er dann. »Ich kenne die Geschichte deines Vaters und dessen Bruder, mein Junge. Ich kenne deine Geschichte, die deines Bruders und die der Jesse-Cass-Bande. Brack und du, ihr fandet damals milde Richter. Aber das war vielleicht richtig so, denn ihr wart noch sehr jung und hattet einen Banditen zum Vater, der euch verwildern ließ, sodass euer ganzes Denken verzerrt war und…«
»Das alles hat unser Anwalt dem Richter damals in viel besseren und ergreifenderen Worten gesagt«, unterbricht ihn Dave bitter. »Dieser Anwalt war wirklich tüchtig. Er sagte dem Gericht, dass wir ohne Mutter und ohne Elternhaus aufgewachsen seien und einen Banditen zum Vater gehabt hätten, der uns zu Jungwölfen erzog. Er sagte, dass zwei junge Hunde, die unter Wölfen aufwachsen, nichts anderes als Wölfe werden und sein können und dass man ihnen die Chance geben müsste…« »Nun gut, Dave Hallaghan«, unterbricht ihn Earp ruhig. »Hattet ihr diese Chance?« »Ich ja! Mein Bruder Brack nicht! Denn ich brach mir als Sträfling gleich in der ersten Woche bei einem Fluchtversuch beide Beine. Ich musste viele Wochen liegen. Und da war ein Padre, der noch jung und voller Ideale war. Ich lernte lesen und schreiben, und jener Padre stieß in mir immer wieder Türen und Fenster auf. Er hatte eine sehr schlichte, einfache, aber sehr wirksame Methode. Ich bekam ein anderes Bild von der Welt und den Menschen, von der menschlichen Gemeinschaft und den großen Männern. Ich lernte denken, und ich hatte sechs Jahre Zeit. Immer wieder war jener junge Padre mein Führer und Freund. Vielleicht hatte er sich von höchster Stelle die Erlaubnis verschafft, mit mir ein Experiment zu machen. Mir war es recht. Ich wollte ja lernen! Mein Bruder Brack hatte diese Chance nicht. Er hatte nicht das Glück, gleich am Anfang unserer Haft mehr als ein halbes Jahr mit schlimmen Knochenbrüchen stramm zu liegen.«
Dave verstummt fast erschrocken, denn er stellt erst jetzt fest, dass er im Begriff ist, diesem Wyatt Earp eine ganze Menge seines Inneren bloßzulegen. Aber Earp nickt ernst und murmelt sanft: »Ich weiß Bescheid, Dave. Ich kann jetzt erkennen, warum du einen anderen Weg einschlagen möchtest.« »Habe ich das nicht schon getan?«, fragt Dave Hallaghan. Wyatt Earp betrachtet ihn lange. Er ist höchstens sechs oder acht Jahre älter als Dave, und doch wirkt er sehr viel reifer und weiser. »Junge«, sagt er, »du hast bis jetzt nichts anderes getan als deinen Einsatz gemacht. Du glaubst, du hättest jetzt schon die große Prüfung bestanden, weil du hunderttausend Dollar retten konntest und eine Banditen-Bande unschädlich machtest.« Er schnauft und blickt Dave nachdenklich an. »Ich kenne Jesse Cass und seine Bande«, sagt er dann. »Ich bin schon lange hinter ihnen her. Diese Männer werden nicht zulassen, dass du abtrünnig wirst. Du wirst bald von ihnen hören und vor einer Entscheidung stehen. Viele Leute in diesem Land werden überhaupt annehmen, dass Jesse Cass und du ein ganz gerissenes Spiel in Gang gebracht habt.« Dave Hallaghan beginnt zu ahnen, dass ein Mann wie Wyatt Earp mehr über all die Strömungen und Interessengruppen in diesem Land weiß als andere Leute. Wyatt Earp ist bestimmt kein Fantast. Und so fragt Dave plötzlich: »Und was denken Sie von mir, Earp?« Der sieht ihn fest an.
»Zuerst dachte ich, Jesse Cass hätte dich vorgeschickt und du spieltest ein bestimmtes Spiel. Aber jetzt glaube ich das nicht mehr. Ich denke jetzt, dass du dich von deiner Vergangenheit freikämpfen möchtest und allein einen Weg eingeschlagen hast. Nun gut, Dave Hallaghan! Wenn du eines Tages in einem Verdruss sitzt, dann komm zu mir. Vielleicht kann ich dir dann helfen.« »Warum, Marshal?« Der erhebt sich, leert stehend das Glas und lächelt dann wieder auf seine sparsame Art. »Ich habe mehr als einen Grund«, murmelt er. Dann geht er hinaus, ein großer, harter Mann. *** Es ist später Abend, als er River Station erreicht und die Kutsche vor der Poststation anhält. Auch hier wartet eine Menschengruppe. Simson Scott hebt grüßend die Hand. Er lächelt, doch in seinen Augen ist ein gespannter Ausdruck. Dave nickt zu ihm nieder und klettert vom Bock. »Es hat alles geklappt«, murmelt er. »In der Kutsche sind fünfhundert Kilo Silber für Tucson.« »Du hast das Lohngeld für die Schieffelin-Mine ohne Schwierigkeiten durchbekommen?«, fragt Simson Scott schnell, und man sieht ihm deutlich an, wie sehr er sich erleichtert fühlt. »Es gab schon einige Schwierigkeiten«, erwidert Dave. Simson Scott räuspert sich und brummt: »Du hast ein kleines Zimmer im Hotel dort schräg gegenüber. Das Hotel der Wells Fargo. Alle Fahrer wohnen dort. Aber du isst nicht im Restaurant,
sondern bei uns hier. Caroline will das so, und ich will das auch! Ich denke, es tut dir gut, wenn du so etwas wie ein Heim hast. Mir ging es damals vor vielen Jahren ähnlich wie dir. Die Wärme eines Heimes ist gut für einen Mann.« »Danke«, murmelt Dave gepresst. »Aber ich glaube nicht, dass es gut ist, Simson, wenn ich bei Ihnen esse. Caroline ist ein Mädchen, in das sich ein Mann verlieben muss.« Simson Scott brummt seltsam. Dann legt er seine Hand auf Daves Schulter. »Caroline will es so haben, Junge«, sagt er langsam und bedächtig. »Und sie ist alt genug und weiß, was sie tut. Sie ist wie ihre Mutter. Ich hielt mich damals auch nicht gut genug für sie. Nun, kneife nur nicht, mein Junge, kneife nur nicht! Es kommt nicht darauf an, was du warst. Es kommt darauf an, was du bist und sein möchtest. Ich möchte dir gern ein Freund sein.« Er klopft ihm auf den Rücken und geht davon. Dave Hallaghan atmet langsam aus. Und er hat begriffen, dass er einen Freund gefunden hat. Es wird nun nur an ihm liegen, sich würdig zu erweisen. Langsam geht er den Gehsteig entlang, bis er gegenüber dem Hotel an der Ecke einer Gasse verhält. In ihm sind viele Gedanken. Er will sich in Bewegung setzen, um zum Hotel hinüberzugehen. Da sieht er rechts von sich einen bulligen Mann auftauchen. Ein Marshalstern blinkt im Lampenschein. Es ist Jos Warrow, der da kommt, und er kommt wie eine sture und grimmige Bulldogge heran.
Als er bei Dave ist, hebt er die Hand und stößt ihm den dicken Zeigefinger gegen die Schulter. »Das Tragen von Waffen ist in dieser Stadt verboten«, sagt er dabei böse. »Und da du ein entlassener Sträfling bist, der hier großspurig mit einer Kanone herumstolziert, lasse ich es nicht bei einer Geldstrafe bewenden, sondern sperre dich fünf Tage ein. Gib mir den Colt und komm mit, mein Junge! Mit Burschen von deiner Sorte mache ich es immer hart. Denn du kannst mich nicht bluffen. Für mich spielst du ein ganz gerissenes Spiel und bleibst ein Bandit! Den Colt her!« Er streckt die Hand aus, um die Waffe in Empfang zu nehmen. Und er grinst Dave dabei böse und herausfordernd an. Dave aber steht starr und steif und kämpft mit seinem Zorn. Dann atmet er langsam aus. Und er hört hinter sich in der Gasse ein leises Geräusch. Es verstummt sofort, und es wäre durchaus möglich, dass es eine Ratte war, die gegen eine Büchse oder irgendeinen Abfall stieß. Doch Daves Misstrauen ist jetzt wach. Er ist wieder der misstrauische Wolf, der er früher war und zu dem er von Vater und Onkel gemacht wurde. Er starrt Jos Warrow an und erkennt das gierige Glitzern in dessen Augen. Da hebt er langsam die Hände und hält sie hoch über dem Kopf still. Jos Warrow ist ihm ja kein Unbekannter. Es gibt viele Geschichten über Warrows Stil. Dave kennt diese Geschichten. Und er sagt ruhig und kalt: »So bekommen Sie mich nicht, Sie Schießer mit dem Stern an der Weste! So nicht! Wenn Sie meine Waffe haben
wollen, dann ziehen Sie diese selbst aus meinem Hosenbund. Hinter mir in der Gasse steht einer Ihrer Gehilfen, nicht wahr? Und wenn ich die Waffe in die Hand nehme, um sie Ihnen zu übergeben, dann wird der Hundesohn hinter mir abdrücken. Ich werde eine Ladung Schrot in den Rücken bekommen, und Sie und Ihr folgsamer Hund werden dann behaupten, ich hätte gegen Sie meinen Colt gezogen.« Er kommt nicht weiter, denn Jos Warrow hat ihm inzwischen den Colt aus dem Hosenbund gezogen, hochgerissen und zugeschlagen. Er tut es mit einem bösen Knurren. Dave bekommt den Lauf quer über Stirn und Nase. Er taumelt zwei Schritte zurück und in die Gasse hinein. Dort rammt ihm jemand den Kolben eines Gewehrs in den Rücken. Der Schmerz ist höllisch. Er stolpert nach vorn und fällt auf die Knie, genau vor Warrow. Und der schlägt abermals zu. Neugierige laufen herbei. Es sind Miner, Cowboys und Satteltramps. Sie bilden einen Halbkreis und blicken stumm zu. Sie alle kennen den rauen Marshal und wissen von seiner Bösartigkeit. Jemand hat den Posthalter aus dem Büro gerufen. Schnaubend kommt Simson Scott herbei, drängt sich durch den Halbkreis der Zuschauer und ruft wütend: »Das geht zu weit, Warrow! Zum Teufel…« Aber Jos Warrow überbrüllt ihn. »Halten Sie Ihren Mund, Mr Scott! Diese Stadt wird von mir geleitet! Es ist Ihre Sache, wenn Sie Zuchthäusler als Postfahrer beschäftigen! Aber in dieser Stadt läuft keiner dieser Burschen großspurig mit einem Colt im Gürtel herum! Hier nicht! Dafür sorge ich!
Diese Revolverschwinger stutze ich überall und immer wieder zurecht, wo ich sie treffe in dieser Stadt. Scott, ich sperre Ihren Fahrer fünf Tage ein! Er hat sich geweigert, mir seine Waffe zu geben. Er wollte mich tätlich angreifen! Wenn Ihnen die Verhaftung Ihres Fahrers nicht gefällt, dann legen Sie meinetwegen beim Richter Beschwerde ein. Aber ich sage Ihnen gleich, dass Sie keinen Erfolg haben werden!« Nach diesen Worten starrt er Simson Scott kalt und böse an. Scott beherrscht sich jetzt, obwohl er dunkelrot angelaufen ist und es ihm sehr schwer fällt. Aber er sagt kein Wort mehr. Er sieht zu, wie zwei Gehilfen des Town Marshals zu dem Bewusstlosen treten, ihn hochzerren und mitschleifen. *** Fünf Tage sitzt Dave Hallaghan einsam in der Zelle. Er bekommt ein jämmerliches Essen und darf keine Besuche empfangen. Er magert ab, und selbst am fünften Tag verspürt er noch Kopfschmerzen und Schmerzen in der Niefengegend. Aber in diesen fünf Tagen geschieht im Lande sehr viel. Dreimal wird die Post von Tucson überfallen. Und da sie zweimal einen Geldtransport an Bord hat, fallen den Straßenräubern mehr als zwanzigtausend Dollar in die Hände. Beim dritten Mal wird eine Silberladung geraubt und der Fahrer schwer angeschossen. Das geschieht in den fünf Tagen.
Dave Hallaghan wird mit fünfstündiger Verspätung aus dem Stadtgefängnis entlassen. Und wahrscheinlich hätte er noch viele Tage in der Zelle zubringen müssen, wenn Simson Scott nicht beim Richter vorstellig geworden wäre. Scott holt Dave selbst vom Gefängnis ab. Obwohl es schon nach Mitternacht ist, wartet Caroline in der Wohnküche mit einem prächtigen Essen auf ihn. Als er eintritt, kommt sie ihm entgegen und reicht ihm beide Hände. »Ich wollte Sie besuchen, Dave«, sagt sie schlicht. »Aber man ließ mich nicht zu Ihnen. Ich wollte Ihnen die Bitterkeit und den Zorn nehmen. Denn ich konnte mir denken, wie Ihnen in der Zelle zu Mute war.« Er nimmt ihre Hände. Sie hat ihr Gesicht zu ihm erhoben, und so kann er es betrachten und genau den Ausdruck in ihren Augen erkennen. Ja, sie sorgt sich sehr um ihn, und er versteht sie. Er erkennt den Grund ihrer Besorgnis. Da schüttelt er sanft den Kopf und sagt ruhig: »Nein, so schafft es dieser Warrow nicht, Caroline. Sicher, ich war am Anfang sehr wild und voller Hass. Ich war entschlossen, mir, sobald ich wieder frei sein würde, einen Colt zu nehmen und auf Jos Warrow und seine Revolverhelden loszugehen. Ich wollte ihnen endlich die Zähne zeigen. Aber das alles wünscht Jos Warrow sich. Das habe ich bald erkannt. Ich hatte fünf lange Tage Zeit zum Nachdenken. Und ich kam zu dem Schluss, dass ich fortgehen werde.« Als er die letzten Worte spricht, kann er in ihren Augen ein Erschrecken erkennen. Dann essen sie schweigend.
Und als sie zum Nachtisch den Apfelkuchen verspeisen und Kaffee trinken, da weiß Dave, dass er noch nie in seinem Leben so gut gegessen hat. »Ihr könnt rauchen«, sagt das Mädchen und beginnt flink das Geschirr abzuräumen. Simson Scott verschwindet einen Moment im Büro. Als er wieder in die Wohnküche kommt, bringt er einen kleinen Gegenstand und ein amtlich aussehendes Schreiben mit. Er legt beides vor Dave auf den Tisch und sagt trocken: »Ich war bei US Marshal Wyatt Earp in Tombstone. Mein Kollege in Tombstone begleitete mich zu Wyatt Earp, und wir wollten den ganzen Einfluss der Wells Fargo Company geltend machen. Aber es war nicht nötig. Wyatt Earp ist dein Freund, Junge!« Dave Hallaghan hörte die Worte wie aus weiter Ferne, denn er starrt ungläubig auf den kleinen Gegenstand, den Simson Scott vor ihn auf den Tisch legte. Es ist der Stern eines US Deputy Marshals. Dave hebt die Hand und wischt sich über das Gesicht. Dann nimmt er das Schriftstück zur Hand und beginnt zu lesen. Die Buchstaben tanzen vor seinen Augen. Er muss alles mehrmals lesen. Aber dann ist alles klar. Es ist keine Illusion. Da steht es schwarz auf weiß. Und wenn Dave Hallaghan dieses Schriftstück unterschreibt, legt er damit zugleich einen Eid auf die Verfassung ab. Mit seiner Unterschrift würde er beeiden, die Verfassung der Vereinigten Staaten zu verteidigen und als dritter US Deputy Marshal des Arizona-Territoriums treu dem Bundesgesetz zu dienen. Ja, er würde einen Eid darauf leisten.
Er würde nach Wyatt Earp und dessen Bruder Morgan der dritte Vertreter des Bundesgesetzes im Arizona-Territorium sein. Diese Erkenntnis trifft ihn wie ein Schlag. »Das ist doch unmöglich?«, fragt er heiser. Simson Scott blickt ihn ernst an. »Wyatt Earp übernimmt die volle Verantwortung, und seine Vollmachten sind weit reichend. Er kann als Deputy anwerben, wen er will. Der Erfolg ist maßgebend.« »Ich will keinen Stern tragen«, sagt Dave gepresst. »Ich bin ein entlassener Strafgefangener. Ich bin nicht gut genug, um einen Stern zu tragen. Was werden die Menschen in diesem Lande sagen, wenn man ihnen einen entlassenen Strafgefangenen als US Marshal präsentiert? Das schadet Earp. Man wird ihn ablösen und zum Teufel jagen.« Da beginnt Simson Scott zu grinsen. »Du hast schon eine Banditenbande festgenommen, nicht wahr? Und durch dich sind seit langer Zeit ein großer Geldtransport und eine Silberladung ans Ziel gekommen. Hinter dir steht US Marshal Wyatt Earp. Und die Minenbesitzer stehen hinter dir. Unterschätze die Minenbesitzer nicht. Sie sind die wichtigsten Steuerzahler im Land. Überdies sollst du Postfahrer bleiben. Wyatt Earp wird dafür sorgen, dass jede Postkutsche von nun ab Bundespost befördern wird. Jede Post wird zumindest ein amtliches Schreiben der Bundespolizei im Postsack haben. Und wenn die Post von Banditen überfallen wird, so wird das ein Vergehen gegen das Bundesgesetz sein, das die Banditen vor einen Bundesrichter bringt. Du bist
jetzt tabu, mein Junge. Du kannst deinen Weg gehen und der Welt beweisen, dass Red Dave Hallaghan tot ist und es nur noch den rechtlichen und verantwortungsbewussten Dave Hallaghan gibt! Unterschreibe, mein Junge. Dann steck dir den Stern an und gehe zuversichtlich deinen Weg. Zeige es der Meute! Beweise ihr, dass aus dem wilden Jungen ein reifer und rechtlicher Mann wurde. Das ist es!« Er verstummt heftig. Seine Augen funkeln. Sein Glaube an Dave Hallaghan ist stark und unbeirrbar. Wieder wischt sich Dave über das Gesicht. Ja, er begreift alles. Es ist ihm klar. Er hat Freunde, die an ihn glauben. Da ist Simson Scott! Da ist sein Kollege in Tombstone! Da ist Marshal Wyatt Earp! Und da sind die Minenbesitzer, die sich viel davon erhoffen, wenn sie Red Dave Hallaghan auf ihrer Seite und dem Fahrersitz der Postkutsche halten können. Indes er noch überlegt und mit sich kämpft, tritt das Mädchen neben ihn. Caroline legt ihm die Hand auf die Schulter. »Es gibt nur zwei Möglichkeiten, Dave«, sagt sie sanft. »Entweder du läufst fort und musst dich dein ganzes Leben lang immer verkriechen und versteckt halten und dich immer wieder ducken, wenn man dich erkennt, und immer wieder fortlaufen, oder du stellst dich den Dingen und kämpfst sie aus. Das ist doch klar! Wenn du hier im Land bleibst und den Stern trägst, dann werde ich stets Sorge und Angst um dich spüren. Wenn du fortreitest, bist du bald mit Sicherheit verloren. Meine Angst und Sorge würden größer sein.«
Sie verstummt. Sie ist sehr ruhig und gefasst. Und sie hat ihn geduzt. Dave spürt mit einem Mal, dass er ihr etwas bedeutet, viel, viel mehr bedeutet, als er auch nur in seinen Träumen zu hoffen wagte. »Ich nehme den Stern«, murmelt er. »Du hast Freunde, Junge«, brummt Simson Scott. »Ein Mann, der Freunde hat, sollte niemals verzweifeln.« *** Die Auseinandersetzung mit Jos Warrow findet gleich am nächsten Tag statt. Sie war wohl unausbleiblich und musste kommen. Es ist fast Mittag, als Dave Hallaghan das Hotel verlässt. Er hat lange geschlafen und auf das Frühstück verzichtet. In einer Stunde soll die Postkutsche von Tombstone eintreffen. Er wird sie übernehmen und nach Tucson fahren. Caroline und Simson Scott warten sicherlich schon mit dem Mittagessen auf ihn, aber Dave hat zuerst noch etwas anderes vor. Er begibt sich zur Sattlerei und Lederwarenhandlung. Über seinem Hemd trägt er eine ärmellose Lederweste. Sein Stern ist deshalb nicht zu sehen, da er ihn an der Hemdtasche festgesteckt hat. Im Hosenbund trägt er einen Colt, den Simson Scott ihm gab. Es ist eine alte, aber gut ausgewogene und prächtig in der Hand liegende Waffe, deren Korn und Abzug abgefeilt sind, denn sie gehörte mal einem jungen Revolverhelden, der schon gelernt hatte, dass man schneller schießen kann, wenn man auf den Abzug verzichtet und den
Hammer mit dem Daumen zurücklegt und zuschnappen lässt. Der Sattler starrt den Eintretenden wortlos an, und als Dave einen Waffengürtel mit Lederholster verlangt, zögert der Mann. Doch dann gehorcht er, wobei er mit den Schultern zuckt, als wollte er sagen oder ausdrücken: Oha, es ist dein Kummer, Mister! Es geht mich nichts an. Ich habe einen Laden und verkaufe an alle Leute! Er bringt einige Gürtel und Holster. Doch Dave ist nicht zufrieden. »Haben Sie auch gebrauchte Holster? Ich will geschmeidiges Leder, und…« »Ich weiß schon, was Sie brauchen«, unterbricht ihn der Sattler bitter und geht noch einmal in den Hintergrund des Ladens. Dann bringt er das Richtige. Es ist ein alter und sehr weicher Gürtel mit einem tief ausgeschnittenen so genannten »Halbblutholster«. Dave prüft alles genau, aber es gibt nirgendwo beschädigte Nähte oder Fehler im Leder. Er bindet sich den Gürtel um, nimmt den Colt aus dem Hosenbund und schiebt ihn ins Holster. Die Waffe sitzt dort wie nach Maß. Sie sitzt fest genug, um nicht herausrutschen zu können. Aber sie lässt sich leicht ziehen. Da das Holster so tief ausgeschnitten ist, kann Dave den Hammer schon beim Zugreifen unter den Daumen bekommen und zurücklegen. Er rückt alles richtig zurecht, bindet die baumelnden Lederriemen dicht über dem Knie um den Oberschenkel und zahlt. Als er zur Tür geht, sagt der Sattler hinter ihm her: »Ich würde nicht auf Jos Warrow losgehen,
Mister. Der hat Sie nur so schlimm zurechtgestutzt, damit Sie es tun.« Dave wendet sich zurück und öffnet seine kurze Lederweste etwas, sodass man den Stern sehen kann. Der Sattler reißt ungläubig die Augen auf. Aber Dave sagt nichts, sondern geht hinaus. Er ist nicht überrascht, als er Jos Warrow an der Ecke der nächsten Gasse stehen sieht. Wenn Dave zur Posthalterei will, muss er an Warrow vorbei. Dave macht drei Schritte. Dann hält er jäh an und blickt über die Schulter. Da er Jos Warrows Stil schon kennt, ist er nicht überrascht, als er die beiden Gehilfen des Town Marshals hinter sich zu beiden Seiten der Fahrbahn auf den Plankengehsteigen entdeckt. Sie haben unterhalb der Straße gewartet und standen gedeckt in Gassenmündungen. Als Dave sich von der Sattlerei aus in Bewegung setzte, traten sie hervor und folgten ihm. Einer der beiden Revolverhelden trägt ein Gewehr. Der andere hat eine doppelläufige Schrotflinte bei sich. Dave geht weiter und genau auf Jos Warrow zu, der jetzt breitbeinig auf dem Gehsteig steht und ihn erwartet. Ja, sie haben ihn wieder in der Zange. Das ist Jos Warrows Stil. Auf diese Art arbeitet er, und auf diese Art erwarb er sich in wilden Städten und Camps den Ruf, auch die schlimmsten Burschen bändigen und die jeweiligen Stadtgesetze zur Geltung bringen zu können. Er geht niemals ein Risiko ein. Warrows Handlungsweise wäre vielleicht vertretbar, wenn Dave wirklich noch ein Bandit
oder schießwütiger Revolverheld wäre, durch den der Stadtfrieden und die Sicherheit der Bürger bedroht würde. Aber er ist es nicht mehr. Und das ist Jos Warrows Unrecht. Doch auch ein Mann wie Warrow muss dann und wann noch etwas lernen. Denn als Dave Hallaghan fünf Schritte vor ihm verhält, da begreift Warrow, dass seine beiden Handlanger zwar Dave Hallaghan abschießen, aber wahrscheinlich sein Leben nicht würden retten können. Denn er sieht jetzt einen Dave Hallaghan, der anders wirkt als vor Tagen, auch anders als gestern. Er verspürt wieder jene alte Furcht, die an jenem Tag in ihm geboren wurde, als ein US Marshal ihn daran hinderte, den verwundet unter seinem Pferd liegenden Red Dave Hallaghan zu töten. Aber Jos Warrow bekämpft die Furcht. Er tut es mit Arroganz und kalter Anmaßung. Hart und böse sagt er: »Jetzt bist du erledigt, mein Freund! Jetzt…« Er verstummt, denn Dave schlägt die linke Seite seiner Lederweste zurück und zeigt ihm den Stern. Dabei schreitet Dave vorwärts und nutzt die kurze Zeitspanne des Staunens aus. Als er hart vor Jos Warrow verhält, weicht dieser fluchend zurück. Später wird er behaupten, dass er zu der Auffassung gelangt war, Dave Hallaghan trüge den Stern zu Unrecht. Er verlangt aber jedenfalls keine Erklärung, sondern springt fluchend zurück und will die Colts ziehen. Dave Hallaghan zieht jedoch schneller und folgt dem zurückspringenden Mann. Als Jos Warrow
seine Waffen freibekommt, trifft ihn Dave von oben herunter auf den Hut. Er rammt ihm die Linke in die Magenpartie. Jos Warrow schießt seinen rechten Colt, ab, aber der Schuss geht in die Hauswand. Er bricht zusammen und fällt mit dem Gesicht auf die Planken. Dave wirbelt mit dem schussbereiten Colt in der Hand herum. Er ist verwundert, dass Warrows Gehilfen noch nicht geschossen haben. Das lag zuerst sicherlich daran, dass er und Warrow sich schnell bewegten und die beiden Burschen Sorge hatten, ihren Boss zu treffen. Als sie es dann versuchen wollten, kam hinter ihnen Simson Scott mit einem Büffelgewehr aus einer Gasse und rief ihnen etwas zu. Sicherlich hatte Simson Scott, als Dave Hallaghan im Sattlerladen war, die Aufstellung der drei Town Marshals beobachtet und sofort erkannt, dass sie Dave in die Zange nehmen wollten, sobald er aus der Sattlerei kommen würde. Da hatte der Posthalter sein Haus durch die Hintertür verlassen und kam genau im richtigen Moment aus einer Gasse zum Vorschein. Dave hört ihn jetzt rufen: »Fangt nur an, Jungs! Aber vorher müsst ihr wissen, dass ihr auf den dritten US Deputy Marshal unseres Territoriums losgegangen seid! Fangt nur an! Ich habe ein gutes Büffelgewehr, mit dem ich große Löcher in euch schießen werde!« Dave wendet sich wieder Jos Warrow zu und stößt ihn mit dem Fuß an. Der bullige Mann grunzt
stöhnend und bewegt sich etwas. Dave tritt vom Gehsteig hinunter in den Staub der Fahrbahn. Als er sich Warrow wieder zuwendet, setzt sich dieser langsam auf. Er blutet aus der Nase, hat eine Platzwunde auf der Stirn und bekommt eine dicke Beule auf seinem ziemlich haarlosen Hinterkopf. Er stöhnt vor Schmerz. Dave denkt an sein eigenes gebrochenes Nasenbein, über das er ein Pflaster geklebt hat, und weil er ja auch nur ein Mensch ist und ein harter Mann, verspürt er eine gewisse Genugtuung darüber, dass er Jos Warrow den Kummer zurückzahlen konnte. Sofort aber wird er sich darüber klar, dass dies nicht der Sinn seiner Handlungsweise sein darf. Hier geht es vielmehr darum, dass Warrow ihn endlich zufrieden lässt, nie wieder auf ihn loszugehen versucht und ihn zumindest als Postfahrer und Vertreter des Bundesgesetzes respektiert. Und gerade das macht er Jos Warrow jetzt klar. Er bückt sich und reißt den schweren und bulligen Mann mit einem heftigen Kraftausbruch hoch. Er stößt ihn mit dem Rücken hart gegen die Haus wand, krallt seine Linke fest in das Hemd des Mannes und dreht es ihm auf der Brust zusammen. »Pass auf, Warrow«, sagt er heiser. »Ich habe dir meinen Stern gezeigt, und du hast dich nicht erst danach erkundigt, warum ich ihn trage, sondern deine Colts gegen mich gezogen. Und jetzt warne ich dich, Mister! Ich warne dich jetzt! Wenn du noch ein einziges Mal auf mich losgehen solltest, wirst du von einem US Marshal vor einen Bundesrichter gebracht oder, wenn es nicht anders
geht, totgeschossen, du dickschädeliger und starrsinniger Narr! Jetzt habe ich genug! Hast du mich genau verstanden?« Die letzten Worte stößt er wild hervor. Er schüttelt den schweren Mann wie ein Lumpenbündel und stößt ihn nochmals hart gegen die Wand. »All right, all right!«, ächzt Warrow benommen. Dave lässt ihn los und wendet sich um. Die Bürger der Stadt und auch einige Fremde sind aus den Häusern und Lokalen gekommen. Sie haben zugesehen. Dave geht jetzt auf die Fahrbahn und wartet, bis Simson Scott bei ihm ist. Warrows Gehilfen gehen auf ihren Boss zu, nehmen ihn in die Mitte und verschwinden in Richtung Stadtgefängnis, in dem sich ja auch das Office befindet. »Sie mussten es auf die raue Art eingehämmert bekommen«, sagt Simson Scott zu Dave. Sie gehen zur Posthalterei hinüber. Dort steht Caroline vor der Tür und wartet. Als die Männer bei ihr sind, erkennen sie die starke Erregung des Mädchens. »Es war schlimm und rau genug«, sagt sie bitter. »Und jetzt bin ich bald verzweifelt und ertrage es nicht mehr länger, Vater. Zum Teufel mit der Wells Fargo Company und all den anderen Dingen! Ich habe jetzt plötzlich Furcht! Können wir denn nicht einen Wagen anspannen, unsere Sachen darauf laden und weit fort von hier fahren?« Simson Scott brummt nur.
Dave sagt, ruhig: »Wer anderen Mut machte, sollte nicht schwach werden, Caroline. Ich habe jetzt richtig angefangen und höre nicht mehr auf.« *** Als Pete Murphy die Post aus Tombstone in die Stadt fährt, sitzt auch Whip Windy auf dem Bock. Ein neues Gespann wird angeschirrt. Dann klettert Dave auf den Bock, schüttelt die Zügel aus und fährt los. Er fährt allein, denn auch von River Station wollen einige Leute nach Tucson. Die Kutsche ist bis auf den letzten Platz besetzt. Es wird eine glatte und ruhige Fahrt. In Tucson übernachtet Dave, indes eine andere Kutsche mit einem neuen Fahrer die Gegenfahrt beginnt. Am nächsten Morgen meldet sich Dave zum Dienst. Der Agent betrachtet ihn prüfend und brummt dann: »Bei der Wells Fargo und einigen anderen Leuten haben Sie also einen mächtigen Stein im Brett, Mister. Sie nehmen fünf Fahrgäste und fünfunddreißigtausend Dollar mit. In den Postsäcken befindet sich auch Post an den US Marshal Wyatt Earp. Wenn Sie angegriffen werden, Dave, dann vergehen sich die Banditen nicht nur gegen die Gesetze des ArizonaTerritoriums, sondern gegen das Bundesgesetz.« *** Eigentlich wird auch diese Fahrt ruhig. Es erfolgt kein Überfall auf das Geld. Es ist so, als hätten alle
Straßenräuber des Pima und des Cochise County Urlaub gemacht und es gäbe überhaupt keine Banditen im San Pedro Valley. Aber als Dave die Pferdestation am Blue Skull erreicht, einem blauen Felsen, der wie ein großer Schädel geformt ist, da trifft er doch auf einen Banditen. Die Fahrgäste sind in die Station gegangen, um sich an Speisen und Getränken zu erfrischen. Die beiden Pferdeburschen bringen gerade das müde Gespann in den Corral und werden gleich mit sechs frischen Tieren wieder auftauchen. Dave überprüft die Bremsen und Achsen der Kutsche und nimmt sich vor, noch mal schmieren zu lassen, als er einen leisen Pfiff vernimmt. Diesen Pfiff kennt er. Als er in die Richtung blickt, entdeckt er seinen Bruder Brack. Er steht drüben an der Quelle, deren Wasser in einer Baumröhrenleitung in die Tröge der Station fließt, und er wirkt wie ein Cowboy, der sein Pferd tränkt. Er muss vor weniger als einer Minute um den großen Felsen herumgekommen und sofort an der Quelle abgesessen sein. Dave setzt sich langsam in Bewegung und geht zu Brack hinüber. In ihm sind viele Gedanken und Befürchtungen. Als er bei Brack ist, kann dieser nichts von seinem Gesicht ablesen. Black Brack Hallaghan betrachtet seinen jüngeren Bruder fest und deutet dann auf den Stern. »Als wir gestern die Nachricht aus Tucson bekamen, dass du dich so rausgemacht hast, Bruderherz, da wollten wir es gar nicht glauben. Meinen herzlichen Glückwunsch!«
Er sagt es sehr spöttisch. Dave geht nicht darauf ein, sondern fragt kurz: »Was willst du?« »Wie wir hörten, hast du dich unentbehrlich gemacht. Du bist sogar ein Banditenfänger geworden. Und deine Weste ist wieder so weiß, dass du sogar im Namen des Gesetzes für die Sicherheit der Verbindungslinien dieses Landes sorgen darfst.« »Was willst du, Brack?« »Du bist immer noch ein Hallaghan! Und du kennst das Versteck der Cass-Bande! Zum Teufel, sie haben dich reingelegt, Junge! Sie haben dir den Stern gegeben, und du Narr hast ihn angenommen. Nun werden sie bald von dir verlangen, dass du ihnen die Cass-Bande fangen hilfst! Du wirst deinen lieben Bruder und deine alten Freunde ans Messer liefern helfen. Oder würdest du den Stern wieder abgeben, wenn sie von dir verlangen, dass du…?« »Wyatt Earp gab mir aus einem anderen Grunde den Stern«, unterbricht ihn Dave. »Er hat dabei nicht an die Cass-Bande gedacht, sondern an die Banditen im Pima und Cochise County. Er wollte mir helfen, auf meinem Weg zu bleiben, und das will ich! Wenn ihr euch davor fürchtet, dass ich euren Schlupfwinkel verraten könnte, dann verlasst ihn. Und kommt mir nicht in den Weg!« Black Brack Hallaghan grinst jetzt sehr böse. »Wir haben unser Versteck schon verlassen. Jesse Cass geht kein Risiko ein. Aber er und die Jungs sind sehr wütend auf dich. Überdies werden wir uns in der nächsten Zeit sehr oft sehen, weil wir uns jetzt an dem Geschäft hier im Pima und Cochise County beteiligen wollen. Dave, wenn du
den nächsten großen Geldtransport fährst, wird dich die Cass-Bande irgendwo anhalten. Und wenn du zu schießen beginnst, dann wirst du auf deinen lieben Bruder und deine alten Freunde schießen. Wirst du das wirklich übers Herz bringen?« Dave blickt ihn lange an und schluckt schwer. »Bruder«, sagt er dann langsam, »unsere Wege trennten sich damals, als Alum Cal uns erwartete. Ich hatte dich oft genug darum gebeten, mit mir zu kommen. Doch du wähltest deinen Weg, und ich wählte den meinen. Ich habe mit der Cass-Bande nichts mehr zu tun, und wenn du dich unter diesen Banditen befindest, wenn sie meine Kutsche anhalten, dann werde ich nicht daran denken, dass du mein Bruder bist. Ich werde schießen, Bruder Brack!« Der blickt ihn eine Weile hart an, und in seinen Augen, die ebenso rauchgrau sind wie die von Dave, tanzen die Funken eines Zorns. Aber er beherrscht sich und sagt: »Ich kann es einfach nicht glauben, dass du so sehr auf der anderen Seite stehst und sogar auf mich schießen würdest. Würdest du wirklich einen so hohen Preis dafür bezahlen wollen, dass die andere Seite deine Wandlung anerkennt, dir gewissermaßen bescheinigt, dass du einen anderen Weg eingeschlagen hast und ein guter Hallaghan geworden bist? Würdest du wirklich diesen hohen Preis zahlen und auf deinen Bruder und deine alten Freunde schießen? Wir waren doch alle gute Sattelgefährten.« Dave hebt die Schultern. »Bleibt mir aus dem Weg«, sagt er kurz.
»Zum Teufel, warum bist du dann nicht tausend Meilen von hier fortgeritten? Warum hast du dann hier in diesem Lande solch einen Job angenommen? Du musstest doch wissen, dass unsere Wege sich eines Tages kreuzen müssen. Die Cass-Mannschaft reitet immer noch. Warum bleibst du uns nicht aus dem Weg? Du bist ein Abtrünniger und stellst dich uns in den Weg! Meinst du vielleicht, wir reiten aus dem Territorium und verzichten auf fette Beute, nur damit du nicht in irgendwelche Nöte gerätst?« Brack Hallaghan spricht diese Worte mit einer immer mehr anwachsenden Wut. Und er fährt schneidend fort: »Wenn du so sehr darauf aus bist, dieser verdammten Welt zu beweisen, dass du gezähmt worden und kein Rebell mehr bist, nun, dann reite fort und beweise deine Wandlung in einem anderen Land. Aber nicht hier! Zum Teufel, du hättest andere Möglichkeiten gehabt! Aber du musstest unbedingt Postfahrer werden und dir einen verdammten Stern anstecken lassen!« Dave Hallaghan denkt über diese Worte nach. Dann zuckt er mit den Schultern. »Manchmal teilt das Schicksal die Karten aus«, murmelt er sanft. »Ein Mann muss die Karten nehmen, wie sie ihm in die Hand kommen. Er muss seine Chips einsetzen und das Spiel machen. Brack, es war sicherlich mein Schicksal, dass ich ausgerechnet hier in diesem Land Freunde fand, die an mich glauben. Ja, ich will dieser Welt beweisen, dass Red Dave Hallaghan rechtlich geworden ist. Sie sollen alle eines Tages meine Rechtlichkeit anerkennen und nie wieder daran
zweifeln. Ich habe hier die Chance, dies beweisen zu können. Früher habe ich Überlandpostkutschen überfallen und Geldtransporte beraubt. Jetzt beschütze ich sie. Ich zahle meinen Preis. Diesen Weg habe ich mir gewählt. Und nun bleibe ich auf diesem Weg.« »Dann wirst du bald in die Hölle sausen, Dave!« »Was habe ich zu verlieren, Brack? Auch auf euch wartet die Hölle. Doch es ist ein Unterschied, ob man für eine gute Sache stirbt und das Vertrauen guter und rechtlicher Freunde nicht enttäuscht oder ob man als Bandit und Straßenräuber totgeschossen wird. Es ist immer noch besser, als ehrlicher Mann zu sterben. Was habe ich zu verlieren, Bruder Brack?« »Unsere Mutter, die wir kaum kannten, hätte sicherlich ihre Freude an dir, Dave«, sagt Brack gepresst. Er tritt neben sein Pferd, schiebt den Fuß in den Steigbügel und sitzt auf. Vom Sattel sagt er dann: »Nun gut, Dave, ich kann nichts mehr für dich tun. Jesse Cass und die Jungs wollen sich deinen Skalp holen. Sie werden ihn bekommen. Ich kann dir nicht helfen. Du hast vielleicht die richtige Seite gewählt. Das will ich gar nicht abstreiten. Aber was nützt dir die richtige Seite, wenn du bald tot bist? Die Burschen, für die du deine Haut riskierst und für deren Besitz oder Interessen du dich totschießen lässt, werden es dir nicht einmal danken. Du bist ein Narr, Dave! Aber ich wünsche dir Glück! Du wirst es nicht schaffen, aber ich wünsche dir viel Glück! Du bist wie ein Junge, der einen Berg bezwingen will, dessen Besteigung unmöglich ist.«
Nach diesen Worten lenkt er sein Pferd herum und verschwindet zwischen den Felsen. Dave geht langsam zur Kutsche zurück. Das frische Gespann wird herbeigebracht. Dave lässt die Achsen schmieren und ruft dann die Fahrgäste aus dem Imbissraum der Station. Bald darauf ist die Concordkutsche wieder unterwegs. Obwohl sie einen Geldtransport durchführt, wird sie unterwegs nicht behelligt. Es ist wirklich so, als hätten die Banditen alle Urlaub gemacht. Doch Dave hat jetzt eine Erklärung dafür. Sie ist ganz einfach: Die Jesse-Cass-Bande ist ins San Pedro Valley gekommen. Das bedeutet auch, dass es irgendwelche Machtkämpfe unter den Banditenbanden geben wird. Vielleicht ist es aber auch so, dass sich die Banditen jetzt umorganisieren. Auf jeden Fall wird die Ruhe nicht lange anhalten. Wenn Jesse Cass zuzuschlagen beginnt und es vorher fertig bekommen hat, die Banditen zu vereinigen und unter Kontrolle zu bekommen, wird es schlimmer werden denn je. Dave erreicht River Station zur vorgeschriebenen Zeit. Es ist schon lange her, dass eine Post ohne Verspätung eintrifft. Und da Dave sich noch frisch fühlt, bleibt er auf dem Bock und fährt bald darauf mit einem frischen Gespann nach Tombstone weiter. Wyatt Earp will ihn sprechen, und auch Dave will mit dem Marshal reden. Auch die Fahrt nach Tombstone verläuft ohne jeden Zwischenfall.
*** Dave Hallaghan erreicht Tombstone um Mitternacht. Eine Stunde später sitzt er Wyatt Earp in dessen Büro gegenüber. Virgil und Morgan Earp sind ebenfalls da, und so sehr sich die Earps auch äußerlich ähnlich sind, Wyatt Earp wirkt dennoch beachtlicher als seine Brüder. Er streicht mit dem Zeigefinger sanft über seinen blonden Schnurrbart und betrachtet Dave nachdenklich. »Ich bot dir den Stern an, Dave«, murmelt er dann. »Und du trägst ihn jetzt. Aber ich hätte dir den Stern nicht angeboten, wenn ich gewusst hätte, wie schnell sich die Dinge im Territorium Süd verändern würden. Dave, du kannst den Stern zurückgeben, wenn du willst.« »Wenn Sie es so haben wollen, Wyatt«, erwidert Dave mit deutlicher Verwunderung. Und er fügt hinzu: »Ich kann gut verstehen, dass man in der Hauptstadt nicht damit einverstanden ist, dass Sie sich einen ehemaligen Sträfling zum Gehilfen…« »Unsinn, Dave! Meine Vollmachten sind weit reichend. Der US Marshal von Arizona deckt mich bis in die Hölle. Es liegt nicht an deiner Vergangenheit, Dave. Es ist etwas anderes. Die Banditen im Territorium veranstalten eine Umorganisierung. Du und Ambrose Baxter machtet die Roy-Corbin-Bande unschädlich, und danach ging den Straßenräubern mehrmals fette Beute verloren. Hier im Cochise County zwischen River Station, Tombstone und der Mexiko-Grenze sind die Banditen gut organisiert, denn hier gibt es die
Clantons, McLowrys, Johnny Ringo, Curly Bill und all die anderen. Sie leben gut unter Sheriff Behans Sonne. Sie haben so viel Arbeit, dass sie kaum zur Ruhe kommen. In den letzten vier Wochen sind mehr als zehntausend Rinder über die Grenze in unser Land gebracht worden. Und es waren Rinder, die in Mexiko gestohlen wurden. Es wurden ganze Wagenzüge ausgeraubt. Ich kann nichts dagegen tun, denn ich vertrete nur die Bundesgesetze. Wenn kein Bundesgesetz verletzt wird, ist Sheriff Johnny Behan zuständig. Die Banditen hier haben also viel zu tun und werden nur wenig bekämpft. Ich muss, um eingreifen zu können, darauf warten, bis Post geraubt wird. Nur dann kann ich Banditen vor einen Bundesrichter bringen. Fange ich Banditen wegen anderer Vergehen, so ist Sheriff Behan für sie zuständig, und er lässt die Burschen immer wieder wegen Mangels an Beweisen frei.« Er macht eine Pause und streicht sich wieder über den Bart. Dabei betrachtet er Dave sehr ernst und fast mitleidig. Als er wieder zu sprechen beginnt, weiß Dave, dass jetzt die Hauptsache kommt. Und er hört ihn trocken sagen: »Auch Roy Corbin und seine Bande sind wieder frei. Sie wurden aus dem Gefängnis befreit. Doch die Banditenbosse vertrauen Roy Corbin nicht mehr das ›Jagdgebiet‹ zwischen Tucson und River Station an. Er hat sich nicht als tüchtig und groß genug erwiesen. Man nahm ihm sehr übel, dass er sich von dir und einem Greenhorn mitsamt seinen Jungs festnehmen ließ. Corbin ist erledigt und spielt keine große Rolle mehr. Der neue Boss im Jagdrevier zwischen Tucson und River Station ist Jesse Cass.
Es fand eine Zusammenkunft zwischen den großen Banditen statt. Sie nahmen Jesse Cass in ihre Partnerschaft auf. Die Cass-Bande ist jetzt hier mit ins Spiel gekommen. Jesse Cass übernimmt Roy Corbins Jagdrevier und zahlt dafür ein Drittel seiner ›Einnahmen‹ an die Clantons, McLowrys und deren Anhang. Und deshalb nehme ich es dir nicht übel, Dave, wenn du den Stern wieder abgeben möchtest.« Nun versteht Dave alles. Er denkt nur drei Sekunden nach und sagt dann ruhig und fest: »Ich möchte den Stern behalten, Wyatt. Vor vierzehn Stunden traf ich meinen Bruder Brack bei der Station am Blue Skull. Und ich sagte ihm, dass ich auf meinem Weg bleiben werde und auf jeden Banditen schieße, der meine Kutsche anhalten will. Warum soll ich also meinen Stern abgeben, Wyatt? Bandit ist Bandit! Ich kenne auch bei der Cass-Bande keine Unterschiede.« Als er das sagt, atmen die drei Earps langsam aus. »Ein Bruder ist ein Bruder«, murmelt Virgil Earp bedächtig. »Und du könntest eines Tages daran beteiligt sein, dass man ihn aufhängt.« Diese Worte spricht Morgan Earp. Wyatt Earp aber sagt das Wichtigste. Und es ist eine trockene Frage. Sie lautet: »Wo befindet sich das sagenhafte und schon seit vielen Jahren von vielen Aufgeboten gesuchte Versteck der CassBande?« Dave zuckt leicht zusammen und zögert. »Siehst du, mein Junge«, murmelt Wyatt Earp. »Du kannst nicht zum Verräter werden, selbst
einem Rudel Banditen gegenüber nicht. Und deshalb kann ich dir nicht den Stern lassen. Das ist keine Erpressung, Dave. Aber…« »Die Cass-Bande hat ihr Versteck verlassen und benutzt es nicht mehr«, unterbricht ihn Dave schnell. »Wenn Jesse Cass und sein Rudel jetzt im Pima und Cochise County arbeiten wollen, so kann ihnen dieses Versteck nicht mehr als Stützpunkt dienen. Von River Station sind es bestimmt fünf Tagesritte. Wyatt, ich habe Jesse Cass durch meinen Bruder sagen lassen, dass ich die Lage des Versteckes niemals verraten werde, solange mich Jesse Cass und seine Reiter in Frieden lassen.« Wyatt Earp überlegt kurz. Dann nickt er. »Nun gut, Dave! Aber sei jetzt vorsichtig! Es wird der Tag kommen, da wir Jesse Cass und seine Bande jagen und hetzen werden. Er wird damit rechnen und einkalkulieren, dass er eines Tages doch wieder in sein verstecktes Camp flüchten muss. Du bist in Gefahr, Dave. Jesse Cass weiß genau, dass du dich an dein Wort gebunden fühlst, solange er dich in Frieden lässt. Aber er kann dich nicht in Frieden lassen, wenn du Fahrer bei der Wells Fargo und zugleich mein Gehilfe bist. Er wird dich töten lassen. Hier in Tombstone passen wir auf. Aber unterwegs und in River Station bist du ziemlich einsam und allein. Überleg es dir gut, Dave!« »Ich habe meinen Weg gewählt und will der Welt meine Rechtlichkeit beweisen und die alten Schulden bezahlen«, erwidert Dave. Er erhebt sich und tritt zu dem alten Schreibtisch in der Ecke. Dort setzt er sich nieder, nimmt ein Blatt Papier und beginnt eine Zeichnung
zu verfertigen. Er steckt sie in einen Umschlag und klebt diesen zu. Damit tritt er vor Wyatt Earp. »Wenn mich die Cass-Bande erwischen sollte, können Sie den Umschlag öffnen, Wyatt«, sagt er langsam. »Denn dann bin ich nicht mehr an mein Wort gebunden, nicht wahr?« »Du vertraust mir sehr, Dave.« »Ganz und gar, Wyatt Earp.« »Ich nehme an, Dave. Ich zahle diesen Preis. Behalte also den Stern und bleib auf dem Bock. Ich werde diesen Umschlag nur öffnen, wenn du dadurch nicht wortbrüchig wirst. Und wenn du größere Geldtransporte oder Silberladungen fährst, wirst du ab heute nicht mehr ganz so allein sein. Du wirst es herausfinden.« *** Dave Hallaghan übernimmt am nächsten Tage die Mittagspost von Tombstone nach Tucson. Es ist diesmal eine außerplanmäßige Kutsche, die nicht zum Liniendienst gehört. Denn sie soll tausend Kilo Silber nach Tucson bringen. Es gibt also keine Fahrgäste. Den grinsenden Begleitmann, der mit einem Schrotgewehr zu Dave auf den Bock klettert, erkennt er nicht sofort. Erst beim zweiten Blick sieht er, dass es Ambrose Baxter ist. Nun wirkt er jedoch nicht mehr wie ein Greenhorn, denn er ist stoppelbärtig, trägt derbe Kleidung, einen Colt an der linken Seite und einen sehr alten und speckigen Hut. Er duftet nicht
mehr nach Pomade und wirkt sehr scharf und hartgesotten. Sie grinsen sich zu. Dann fährt Dave los. Als sie Tombstone hinter sich gelassen haben und auf die Watervale-Steigung zurollen, sagt Ambrose Baxter lässig: »Wir werden jetzt oft gemeinsam auf dem Bock sitzen, Dave. Meine Rolle als Greenhorn ist ausgespielt. Ich kann nicht mehr durch die Saloons streifen und den Dummkopf spielen. Ich kann nirgendwo mehr meine Ohren aufsperren. Seitdem Roy Corbin und seine Jungs aus dem Gefängnis geflüchtet sind, weiß man besser über meine Mitwirkung bei der Festnahme der Corbin-Bande Bescheid. Man kennt mich. Freund, wir sitzen jetzt auf dem selben Gaul.« »Ich bin zufrieden damit«, grinst Dave. »Nun bin ich nicht mehr ganz so allein.« Er muss sich dann um sein Sechsergespann kümmern und die Pferde immer wieder antreiben, denn nun geht es die lange Steigung hinauf. Auf der anderen Seite wird es noch schlimmer, denn die schwere Ladung gibt der Kutsche eine Menge Schwung. Die Bremsen kreischen ständig, und die Pferde tanzen und müssen sich mit Macht rückwärts stemmen. Dann aber kracht es trocken, und durch die Kutsche geht ein Ruck. Die sechs Tiere können das Gewicht nicht mehr halten, denn die Bremsen sind ausgefallen. Dave und Ambrose können jetzt jedoch nicht darüber nachdenken, aus welchem Grunde die beiden Bremsstangen, gegen die Fahrer und Begleitmann ihre Füße stemmen können, plötzlich
brachen und nun keine Hebelwirkung mehr auf die Bremsklötze ausüben können. Denn jetzt beginnt eine Höllenfahrt. Dave muss das Gespann laufen lassen. Und das tut er. »Festhalten, Banditenjäger!« So ruft er heiser. Und dann schwingt er die Peitsche, um dem Gespann Beine zu machen, damit es von der Kutsche nicht überrollt wird. »Hiiiieeeehaaaa!«, brüllt Ambrose Baxter wild, und der scharfe Fahrtwind reißt ihm gleich den Hut vom Kopf. Die Kutsche springt und tanzt. Steine spritzen. Die Pferde gehen jetzt vor Angst durch. Dave braucht sie nicht mehr anzutreiben. Die erste Biegung schaffen sie noch recht gut, obwohl die Kutsche auf zwei Rädern herumgeschleudert wird. Dann kommt das steilste Stück, und es ist fast ein Wunder, dass sich Kutsche und Gespann nicht überschlagen. Die zweite Biegung und die Felswand schießen ihnen entgegen. »Hiiieeehaa!«, kreischt Ambrose Baxter schrill und klammert sich an der eisernen Lehne des Fahrersitzes fest. Er schließt die Augen. Und als er sie öffnet, hat Dave Hallaghan das Gespann herumreißen und auf dem Weg halten können. Die rechten Radnaben der Kutsche kratzen und schrammen an der Felswand entlang. Das Fahrzeug legt sich dann auf die linke Seite und hält sich auf den linken Rädern. Dann kommt der lange Hang, der die Geschwindigkeit wieder steigert. Dave Hallaghan
weiß nicht, wie er das schafft. Aber er weiß, dass er und Ambrose bestimmt mehr als zwanzig Yards durch die Luft geschleudert würden, wenn auch nur ein Pferd stolperte, stürzte oder ein Rad bräche. Sie fegen rasselnd und schleudernd auf die Boquilla Springs zu und erkennen daran, dass sie schon viele Meilen hinter sich gebracht haben. Die Achsen der Concordkutsche qualmen, und dann rasselt sie auf dem schmaler werdenden Postweg zwischen die Felsen hinein. Da kommt die Brücke über den kleinen Bach der Quelle, und da sieht es Dave! Einige Planken der Brücke sind entfernt und in den Bach geworfen worden. »Spring, Bruderherz, spring!«, heult er Ambrose zu. Und der gehorcht sofort. Dave springt nach der anderen Seite ab, schlägt schwer auf und rollt sich weiter. Er prallt hart gegen einen Felsen und glaubt, sich das Rückgrat zu brechen. Der Anprall nimmt ihm die Luft. Er kann sich einen Moment überhaupt nicht bewegen, doch bleibt er bei Besinnung. Der Staub wirbelt überall mächtig. Unten bei der Brücke hört Dave das Getöse. Es ist ein Brechen und Krachen. Dazwischen wiehern die Pferde. Dann ist es still. Dave bleibt liegen. Nur seine Rechte bewegt sich und tastet nach dem Colt. Er spürt Schmerzen, aber er glaubt, dass er nichts gebrochen hat und noch aus einem Stück ist. Im wirbelnden Staub taucht Ambrose Baxters Gestalt auf. Dave hört den Wells-Fargo-Mann
mühsam und stöhnend krächzen, »Dave – eh, Dave, wo…?« »Zu Boden! Zu Boden mit dir!«, ruft Dave zurück. »Hinlegen, Amb! Du bist tot, Amb! Du hast dir das Genick gebrochen, Mister!« Ambrose Baxter gehorcht sofort. Er schaltet schnell und begreift. Er verschwindet im wirbelnden Staub. Dave aber wartet. Es dauert lange, und die ganze Zeit hört er zwei oder drei Pferde jämmerlich stöhnen. Dann hört er langsame Hufschläge. Der Reiter kommt von den Quellen her aus den Felsen heraus. Der Staub hat sich nun etwas gelegt. Dave liegt unwirklich verkrümmt am Felsen, aber er liegt so, dass er sehen und beobachten kann. Es ist Alum Cal. Als Dave ihn erkennt, weiß er, dass Jesse Cass diesen Burschen mit einem Mordauftrag ausgeschickt hat. Alum Cal muss in der vergangenen Nacht in Tombstone angekommen sein und im Frachtwagenhof die Bremsen der Kutsche beschädigt haben. Dann ist er vorausgeritten, hat die Brücke beschädigt und zwischen den Felsen gewartet. Sein Pferd ist müde, und auch der Mann wirkt erschöpft. Er starrt auf Dave, der verkrümmt am Felsen liegt, und richtet seinen Blick dann auf Ambrose Baxter, der ein Stück weiter auf der anderen Seite ebenso verkrümmt an einem Felsen liegt. Dann wendet Alum Cal sein Pferd und will zur Kutsche reiten. Als er fünf Schritte an Dave vorbei ist, richtet sich dieser auf und hält seinen Colt
bereit. Er spürt Schmerzen, aber seine Stimme klingt ruhig und kalt. Er sagt: »Das war’s also, Alum Cal!« Der zuckt so sehr zusammen, dass sein Pferd nervös zu tanzen beginnt. Dann wirft er sich aus dem Sattel, aber er schafft es nicht, denn Daves Kugel ist schneller. Alum Cal bleibt mit dem Fuß im Steigbügel hängen, und das durchgehende Tier schleift ihn zwischen die Felsen. Dave will aufspringen und folgen, aber er knickt schon beim ersten Schritt ein. In seinem linken Fuß sind höllische Schmerzen. Er kämpft sich jedoch wieder hoch und hinkt hinüber. Ambrose Baxter taumelt herbei. Auch er ist noch im Besitz seines Colts und will Dave folgen. Aber der sagt bitter: »Die Pferde, Amb! Die armen Pferde! Hörst du sie nicht?« Da taumelt Baxter weiter auf die Brücke zu. Als Dave Alum Cal findet, hört er von der Brücke her Ambrose Baxters Waffe krachen. Er erlöst dort die armen Tiere von ihren Qualen. Dann wird es still. Dave kniet bei Alum Cal nieder, und der öffnet in diesem Moment die Augen. Er starrt Dave eine Weile an und murmelt dann mühsam: »Wie groß ist dein Glück eigentlich?« »Hat Jesse Cass dich geschickt, Cal?« »Wer sonst, Dave? Brack kam zu uns und sagte, dass er dich nicht bekehren konnte. Da schickte Cass mich los. Als ich in River Station ankam, warst du schon mit der Kutsche nach Tombstone abgefahren. Ich verschaffte mir ein neues Pferd und folgte dir.«
Alum Cal schließt nach diesen Worten die Augen und erzittert vor Schmerz am ganzen Körper. Aus seiner Wunde fließt Blut. Dave will ihn auf den Bauch rollen, um ihn besser untersuchen zu können. Aber da reißt Alum Cal wieder die Augen auf. »Rühr mich nur nicht an«, keucht er, und sein Gesicht glänzt nun vor Schweiß. »Ich habe mir den Rücken in zwei Teile gebrochen. Nicht anrühren! Es geht zu Ende mit mir! Lass mich nur liegen! Ich will diese Schmerzen nicht noch einmal spüren. Lass mich liegen! Aaah, was hast du für ein Glück! Du wirst es doch tatsächlich schaffen und überlebst sie alle und wirst ein ehrenwerter Mann. Pass auf, ich kam nach Tombstone und schlich im Frachtwagenhof herum. Ich dachte, du würdest dort mal auftauchen, und da wollte ich dir eine Kugel geben. Aber da hörte ich, wie der Wagenboss einem Helfer sagte, dass eine Kutsche für eine Sonderfahrt morgen bereitgemacht werden müsste. Ich dachte mir sofort, dass du die Kutsche fahren würdest. Da sägte ich die Bremsstangen an, ritt sofort los und wartete hier. Aber du hast Glück, Dave! Ein Mann mit deinem Glück ist nicht zu schlagen.« Er verstummt, und seine Worte waren zuletzt kaum noch verständlich. Er schließt die Augen und macht sie nicht mehr auf. Als Dave nach seinem Puls fühlt, ist er schon tot. Ambrose Baxter kommt herbei, und er ist kreidebleich im Gesicht. »Das war schlimm mit den Pferden«, knirscht er. »Die Kutsche ist auch vollkommen zertrümmert. Wir sind zwischen Tombstone und River Station.
Vielleicht kann ich das Pferd dieses Burschen einfangen. Dann hole ich von Tombstone Hilfe.« Er starrt auf den Toten nieder. »Das ist Alum Cal, nicht wahr?« Dave Hallaghan nickt. Er kauert am Boden und verspürt heftige Schmerzen in seinem Fuß. Doch er achtet noch nicht sehr darauf, obwohl er fühlt, wie der Knöchel immer mehr anschwillt. Er wischt sich übers Gesicht und murmelt dann: »Yeah, das hier war Alum Cal. Jesse Cass schickt ihn aus, um mich zu töten. Cal hat im Wagenhof von Tombstone die Bremsstangen der Kutsche angesägt. Und um ganz sicherzugehen, dass ich mir den Hals breche, zerstörte er dort unten auch noch die kleine Brücke. Nun, er war schon früher ein besonders gemeiner Giftpilz.« Er sagt es bitter und wischt sich abermals über das Gesicht. Dann sagt er hart: »Amb, reite nach Tombstone und hol Hilfe. Sag Wyatt Earp, dass er den Umschlag, den ich ihm gab, jetzt schon öffnen kann. Sag ihm, dass die Cass-Bande mich töten wollte und ich deshalb nicht mehr an mein Wort gebunden bin.« Ambrose Baxter schweigt einige Atemzüge lang. Dann nickt er. »Du bist schon in Ordnung, Dave«, murmelt er und geht davon. Später kommt er im Sattel von Alum Cals Pferd zurück. Dave hat sich inzwischen seinen Stiefel vom Fuß mit dem Messer herunterschneiden müssen. Er blickt bitter zu Ambrose Baxter hinauf.
»Mein Knöchel ist gebrochen«, murmelt er. »Für eine Weile werde ich wohl keine Kutsche mehr fahren können.« Ambrose Baxter schluckt und nickt dann. »Ich beeile mich.« Er macht eine leichte Bewegung mit der Hand und reitet davon. Dave Hallaghan muss viele Stunden warten. Dann trifft der Hilfstrupp aus Tombstone ein. Wyatt Earp ist mitgekommen. *** Dave Hallaghan leidet sehr unter der Untätigkeit, zu der ihn sein gebrochener Fußknöchel einige Wochen zwingt. Er leidet umso mehr darunter, da die Jesse-Cass-Bande immer aktiver wird und es immer wieder Überfälle auf Geldoder Silbertransporte gibt. Den Banditen fällt eine Menge Geld in die Hände. Nur dann, wenn US Marshal Wyatt Earp und sein Bruder Morgan als Begleitschutz mitfahren, erreichen Geld- oder Silbertransporte ihr Ziel. Doch die Earps in Tombstone können sich nicht viel um die Postlinien des Landes kümmern, und das ist ja auch eigentlich die Aufgabe des zuständigen Sheriffs. Die Earps haben in Tombstone jetzt eine Menge anderer Sorgen, und diese Sorgen sind groß. Besser gesagt: Die Earps müssen jetzt in Tombstone kämpfen. Doch das muss wohl genauer erklärt werden: Es ist tatsächlich so, dass die Banditen inzwischen so stark und mächtig geworden sind, dass sie alle Wagenwege und alle Städte kontrollieren.
Ortschaften und kleine Städte wie Galeyville, Charleston, Bisbee und andere sind nichts anderes als Hauptquartiere der einzelnen Banden geworden. Sheriff Johnny Behan spielt eine immer fragwürdigere Rolle. Es gibt im Cochise County keine Gesetzlichkeit mehr. Nur Tombstone allein ist noch eine Insel. In Tombstone allein gibt es noch Recht und Gesetz. Dafür sorgt der Town Marshal Virgil Earp. Aber auch er kann sich nur mit Hilfe seiner Brüder, der US Marshals Wyatt und Morgan Earp, halten. Wäre er allein, so hätten ihn die Banditen, die immer wieder nach Tombstone kommen, längst auf offener Straße getötet. Tombstone soll das Hauptquartier der Banditen werden. Das streben sie an. Tombstone ist die reichste Stadt und für die Banditen gewissermaßen die köstlichste Frucht. Doch die Earps wanken und weichen nicht. Mit Hilfe des Revolvermannes und Spielers Doc Holliday bändigen sie immer wieder die wilden Burschen und halten Recht und Ordnung in Tombstone aufrecht. Deshalb können sie die Silberstadt nur noch selten verlassen. Denn dort spitzt sich der Kampf um die Macht immer mehr zu. Auch kam ein Texaner nach Tombstone, der sich Wego Flint nennt und der jetzt auf der Seite Earps steht. Und bald wird jener große Kampf stattfinden, der in die Geschichte des Wilden Westens eingeht. Bald wird der 26. Oktober 1881 kommen. Und da werden die Earps mit Doc Holliday zum O.K. Corral schreiten, wo die schlimmsten Banditen und
gefährlichsten Revolverhelden des Landes auf sie warten. Bald wird der große Entscheidungskampf im O.K. Corral zu Tombstone stattfinden, der dem Banditentum im Cochise County den Anfang vom Ende bringt. Doch noch ist es nicht so weit. Noch müssen die Earps in Tombstone um die Stadt kämpfen. Sie können die Wagenwege, des Landes nicht mehr freihalten. Tombstone ist eine Insel geworden. Und noch etwas muss erklärt werden. Es betrifft die Banditen des Landes: Der Kummer ist der, dass jeder Mensch im Lande genau weiß, dass die Clantons, die McLowrys, Curly Bill, Johnny Ringo, Billy Claiborne und viele andere Burschen Banditen sind. Aber beweisen kann man es ihnen nicht. Das ist der Kummer! Die Earps können die Burschen nur immer wieder wegen Verletzung verschiedener Stadtgesetze bestrafen. Für eine große Gerichtsverhandlung reichen die Beweise nicht aus. Es geschieht deshalb immer wieder, dass die Banditen nach Tombstone kommen und mit ihnen Dutzende von Burschen, die sich für Cowboys ausgeben und in Wirklichkeit Viehdiebe, Banditen und Straßenräuber sind. Es finden immer wieder Kämpfe statt. Und deshalb können die Earps nur selten aus der Stadt reiten. Während dieser Wochen, da sich alles auf den Entscheidungskampf zuspitzt, sind die Fahrer der vielen Postkutschen auf sich allein gestellt. Und während dieser Wochen arbeitet die JesseCass-Bande mit Erfolg. Sheriff Johnny Behan stellt
zwar einige Male Aufgebote zusammen und veranstaltet eine Jagd, aber stets ohne Erfolg. Jesse Cass und seine Reiter sind die einzigen Banditen im Land, über die es keine Zweifel gibt. Auch das muss man wissen! Gegen Jesse Cass und sein Rudel gibt es genügend Beweise. Aber das ist der einzige Unterschied, der zwischen der CassBande und den anderen Banditen im Land besteht. Die Cass-Bande könnte es nicht wagen, wie zum Beispiel die Clantons, McLowrys, Curly Bill, Johnny Ringo und all die anderen Burschen, nach Tombstone zu reiten. Selbst der sonst so merkwürdig loyale Sheriff Johnny Behan würde dann auf sie losgehen müssen. *** Nach etwa drei Wochen versucht Dave Hallaghan an einem Stock wieder die ersten Schritte. Er hat einen besonderen Grund dazu, denn er will der Abfahrt der Postkutsche zusehen. Er tritt aus dem Hotel und setzt sich sofort in einen der vielen Stühle, die hier längs der Hauswand auf der Veranda stehen. Über die Straße wagt er noch nicht zu gehen. Soeben fährt die Post aus Tombstone vor und wechselt das Gespann. Ambrose Baxter und Pete Murphy klettern vom hohen Bock. Sie winken zu Dave hinüber. Der winkt missmutig mit dem Stock zurück und richtet sein Augenmerk dann auf die plattgedrückten Federn der Kutsche. Daran kann er erkennen, wie schwer die Ladung ist. Er schätzt sie auf tausend Kilo Silber.
Ein Mann kommt von links den Plankengehsteig entlang, ersteigt die etwas erhöhte Veranda des Hotels und geht stumm an Dave Hallaghan vorbei. Es ist der Town Marshal Jos Warrow. Er wirft Dave einen kalten und bösen Blick zu. Dave erwidert diesen Blick. Er weiß, dass die Feindschaft dieses Mannes zu ihm noch größer geworden ist. Jos Warrow geht bis zum Ende der Veranda und verhält dann, um ebenfalls die Abfahrt der Kutsche zu beobachten. Zwei Stallhelfer, ein alter Mann und ein Junge, bringen jetzt das neue Gespann aus dem Hof. Dave Hallaghans graue Augen werden schmal, als er plötzlich Caroline um die wartende Kutsche kommen sieht. Sie verlässt den Gehsteig, hebt etwas ihre Röcke und kommt eilig durch den tiefen Staub der Fahrbahn gelaufen. Ihr Gesicht ist vor Erregung gerötet, und sie atmet sehr heftig, als sie Dave erreicht, der sich erhoben hat und auf einem Bein steht. »Dave«, sagt das Mädchen, »du musst es ihm ausreden! Dad will mit der Kutsche nach Tucson fahren! Aber es sind tausend Kilo Silber in der Kutsche. Bestimmt gibt es wieder einen Überfall.« »Das ist anzunehmen«, murmelt Dave bitter. »Zwei Männer sind nicht viel. Ich kann deinen Vater verstehen, dass er mitfahren will. Er ist verantwortlich für diese Strecke. Wenn er mitfährt, sind sie zu dritt und haben größere Chancen. Simson Scott hat gar keine andere Wahl. Er trägt die Verantwortung und will dabei sein. Es ist seine Pflicht, denn er hat zu wenig Leute und kann denen, die er bekommen könnte, nicht vertrauen.«
Das Mädchen blickt Dave bitter an. »Dad ist ein alter Mann, Dave. Die Banditen erkennen ihn auch ganz bestimmt als den WellsFargo-Agenten von River Station. Sie würden ihn schon deshalb ganz bestimmt erschießen. Dave, du musst jetzt versuchen, mit mir herüberzukommen. Du musst es Dad ausreden…« »Da kommt er selbst«, unterbricht Dave sie. Sie wendet sich um. Ja, da kommt Simson Scott, ein großer und eisgrauer Riese. Er ist alt, aber er ist noch kein Greis. Gewiss kann er noch kämpfen. Er trägt einen Colt im Holster, ein Schrotgewehr in der Rechten. Langsam kommt er auf die Hotelveranda und wirft einen kurzen Blick zu Jos Warrow hin, der vom Ende der Veranda die Szene ausdruckslos und unbeweglich beobachtet. Dann sieht er das Mädchen und Dave an und lächelt ernst. »Sie kann es noch nicht fassen, dass ich wieder auf den Bock klettere und meine Pflicht tue«, sagt er fest. »Aber ich kann es nicht länger hinnehmen, dass die Banditen meine Postkutschen berauben. Die Wells Fargo Company hat ein Recht darauf, dass ihre Männer für die Ladungen ihrer Kutschen kämpfen.« Caroline erwidert nichts. Sie hat ihre Zähne fest auf die volle Unterlippe gebissen und wirkt jetzt blass. Angst und Sorge sind in ihren Augen zu erkennen. Sie wirft einen hilflosen Blick auf Dave, und es ist eine Traurigkeit in diesem Blick. »Er kann nicht anders handeln«, murmelt Dave. »Er hat zu wenig Männer und muss die Fracht schützen. Er ist der Boss auf dieser Teilstrecke und muss jetzt kämpfen oder seine Stellung aufgeben.
Aber ich werde mitfahren! Wenn man mir auf das Dach der Kutsche hilft, habe ich es dort oben ganz bequem.« »Du wirst nicht mitfahren!«, sagt Simson Scott schnell. Das Mädchen aber klammert sich mit beiden Händen an Daves Arm und sieht zu ihm auf. In ihre Wangen schießt eine jähe Röte. »Danke, Dave, danke! Aber du kannst natürlich nicht mitfahren. Dein Knöchel steckt noch im Verband. Du kannst…« »Ich fahre mit«, sagt er kurz und schüttelt ihre Hände ab. Mit Hilfe des Stockes setzt er sich in Bewegung. Simson Scott grollt seltsam und murmelt bitter zu seiner Tochter nieder: »Das hast du nun mit deiner Angst um mich erreicht. Nun fährt auch Dave mit, obwohl er sich nur mühsam bewegen kann. Oh, Mädel, wie konntest du nur glauben, dass er mich allein fahren lassen würde, wenn du ihm so deutlich deine Sorge zeigst. Als die Tochter eines Wells-Fargo-Mannes müsstest du wissen, dass ich jetzt nicht länger in meinem Büro sitzen und zusehen kann, wie meine wenigen Fahrer immer wieder…« Er verstummt, denn der Town Marshal Jos Warrow erregt nun seine Aufmerksamkeit. Jos Warrow setzt sich nämlich plötzlich in Bewegung und verlässt ebenfalls die Hotelveranda. Es sieht so aus, als wollte er Dave Hallaghan folgen, aber mitten auf der Fahrbahn – als er den mühsam hinkenden Dave fast eingeholt hat – ändert er plötzlich seine Richtung und strebt dem Silverbell Saloon zu.
Auch Dave Hallaghan, der fast die gegenüberliegende Straßenseite erreicht hat, hält inne und blickt über die Schulter auf den Town Marshal. Dave ist vielleicht der einzige der Zuschauer, der die Sache, die nun in Gang kommt, sofort erkennt und begreift. Denn vor der Schwingtür des Silverbell Saloon stehen einige Männer, die neugierig aus der Ferne der Abfahrt der Postkutsche beiwohnen. Es ist eine bunt gemischte Männergruppe, Miner, Satteltramps, Spieler und Barkeeper. Doch inmitten dieser Männer befindet sich ein Bursche, der wie ein Cowboy aussieht. Diesen Burschen kennt Dave. Es ist Monk Riley. Er trägt jetzt einen Vollbart und wirkt etwas massiger als vor etwa sechs Jahren. Aber Dave erkennt ihn sofort wieder, denn Monk Riley gehört schon sehr lange zu Jesse Cass’ wilder Horde. Auch auf seinen Kopf sind in einigen Staaten hohe Belohnungen ausgesetzt. Riley war schon immer verwegen und riskierte viel. Gewiss hat ihn Jesse Cass nicht nur als Spion in die Stadt geschickt. Vielleicht hat dieser Monk Riley den gleichen Auftrag, den Alum Cal hatte. Doch wie es auch sein mag, Riley ist hier in River Station. Er steht dort drüben zwischen den Männern und vertraut auf den Schutz seines Vollbartes. Irgendwie hat ihn Jos Warrow jedoch erkannt, und zwar nicht soeben erst. Denn es erweist sich bald, dass Jos Warrow wieder einmal eine seiner Fallen aufgestellt hat.
Er geht schräg über die Fahrbahn und auf den Saloon zu. Dabei lüftet er kurz seinen Colt. Zehn Schritte vor der Männergruppe, die nun leicht unruhig wirkt, hält er inne, spreizt seine stämmigen Beine und hält seine Hände leicht geöffnet hinter den Coltgriff. Das ist eine seiner eindrucksvollen Posen. Sein Blick ist auf Monk Riley gerichtet, und die anderen Männer wissen jetzt Bescheid. Obwohl noch kein Wort geredet wurde, weichen sie auseinander. Auch Monk Riley versucht noch einmal einen jämmerlichen Bluff. Er will ebenfalls zur Seite treten. Aber Jos Warrow beginnt plötzlich scharf zu grinsen und sagt rau: »Du nicht, Monk, du nicht! Dein Bart ist prächtig, aber ich habe dich trotzdem erkannt. Das war vor zwei Stunden, als du dir im Store neue Stiefel kauftest. Als du herauskamst, trafen wir uns vor der Tür. Du schautest mich nicht einmal an, und der Storehalter sagte mir, dass du dir Knabenstiefel gekauft hast. Und weil ich deinen Steckbrief genau kenne, weiß ich auch, dass du die kleinsten Füße hast, die ein Mann jemals besaß. Da war es für mich nicht schwer, mir deinen Vollbart wegzudenken. Nun gut, Monk Riley! Komm her und gib mir deinen Colt!« Er verstummt mit sichtlicher Befriedigung. Da er kein beamteter Sheriff ist, sondern nur ein von dieser Stadt angeworbener Town Marshal, dessen Befugnisse nicht über die Stadtgrenzen reichen, kann er Anspruch auf die auf Monk Riley ausgesetzte Belohnung erheben. Ein Sheriff würde solch eine Belohnung nicht bekommen.
Aber Jos Warrow ist ja kein richtiger Gesetzesvertreter, sondern nur eine Art Stadtwächter. Er unterscheidet sich von einem Saloonrauswerfer nur dadurch, dass er nicht von einem Wirt, sondern von den Stadträten angeworben wurde. Wenn es ihm gelingt, Monk Riley tot oder lebendig nach Tucson zu bringen, kann er dort den ausgesetzten Kopfpreis kassieren. Und deshalb ist er so zufrieden. Zweitausendfünfhundert Dollar sind eine hübsche Summe Geld, selbst wenn er seinen Gehilfen davon einige hundert Dollar abgeben muss. Für zweitausend Dollar muss ein Spitzencowboy mehr als vier Jahre arbeiten. Aber Monk Riley grinst ihn an und macht sich dann breit. Er nimmt die typische Haltung eines Revolvermannes ein, das heißt, er spreizt die Beine, legt seinen Oberkörper leicht vor, senkt den Kopf, sodass die Hutkrempe seine Augen beschattet, und legt seine geöffnete Hand an den Griff seiner Waffe. Er wird kämpfen, das sieht man ihm an. Und damit es auch keinerlei Zweifel gibt, sagt er zu Jos Warrow hinunter: »Warrow, du warst ja schon immer ein schlauer Bursche. Ich hätte wirklich nicht gedacht, dass du mich erkennen würdest, zumal es ja schon mehr als sieben Jahre her ist, dass wir uns einmal in Kansas sahen. Aber ich wette mit dir, Warrow, dass du mich nicht bekommen wirst.« »Diese Wette nehme ich an, mein Guter«, grinst Warrow. »Wenn du gegen mich den Colt ziehst, bist du tot. Komm her zu mir und gib mir die Waffe – mit dem Kolben zuerst!«
Er spricht diese Worte frohlockend und voller Triumph. In seinen Augen leuchtet es voller Hohn. Da wird sich Monk Riley darüber klar, dass Jos Warrow gar nicht mit ihm kämpfen will, sondern ihn fest in der Klemme hat. Monk Riley wendet langsam den Kopf. Und da sieht er, was alle anderen Zuschauer schon vor ihm sahen. Einer von Jos Warrows Gehilfen steht mit der Schrotflinte hinter ihm in der offenen Schwingtür des Saloons. Als Jos Warrow vor dem Hotel wartete, Monk Rileys Aufmerksamkeit auf sich lenkte, die Riley zwischen ihm und der Postkutsche auch noch teilen musste, ging einer von Warrows Gehilfen durch die Hintertür in den Saloon, durchquerte diesen und gelangte so hinter Monk Riley. Und der kennt die fürchterliche Wirkung eines Parker-Schrotgewehres sehr gut. Er atmet zitternd aus und lässt die Schultern sinken. »Komm zu mir, Monk«, knurrt Jos Warrow. Der tut es, als er die Doppelmündung der Schrotflinte ziemlich hart in den Rücken gestoßen bekommt. Warrow nimmt ihm die Waffe ab und holt Handschellen aus der Tasche. Er lässt sie um Monk Rileys Handgelenke schnappen und nickt seinem Gehilfen zu. »Jube«, sagt er, »du vertrittst mich jetzt für zwei Tage, denn ich bringe diesen prächtigen Vollbart sofort nach Tucson. Gib mir die Schrotflinte mit, Jube.« Er nimmt sie und nickt dem Gefangenen zu.
»Das war’s, Monk! Du sitzt schon im Gefängnis von Tucson, und ich habe die Belohnung in der Tasche, bevor deine lieben Freunde überhaupt wissen, dass sie dich in diesem Leben nie wieder zu sehen bekommen. Vorwärts!« Er stößt Monk Riley auf die Kutsche zu und erreicht Simson Scott und Dave Hallaghan, die ihn betrachten. »Ich fahre mit nach Tucson«, sagt er zu ihnen. Aber dabei starrt er Dave an. »Ich bringe einen Banditen der Cass-Bande nach Tucson. Und das sollte euch doch Freude bereiten, nicht wahr?« Dave betrachtet Monk Riley. Der starrt ihn kalt und feindlich an. Daran erkennt Dave, wie sehr ihn die Cass-Bande hasst. Denn früher hat er sich mit Monk Riley stets gut verstanden. Aber das ist jetzt schon fast sieben Jahre her. »Monk, das war dumm von dir«, sagt er. »Einer von uns Jungs wird dich schon erwischen, Dave«, murmelt Monk Riley. »Oha, ich war immer stolz auf meine kleinen Füße. Ich hätte mir keine Stiefel kaufen dürfen. Dieser Warrow hat dir einen großen Gefallen erwiesen, Dave.« Simson Scott hat sich inzwischen entschieden. »Nun gut, Warrow, fahren Sie also mit«, sagt er. »Nur nicht so gönnerhaft, Scott«, knurrt dieser. »Sie können mächtig froh sein, dass ich Ihre Begleitmannschaft verstärke.« Dann öffnet er die Tür der Kutsche und stößt den Gefangenen hinein. Er folgt sofort. »Du auch«, sagt Simson Scott zu Dave. »Mit deinem verletzten Fuß fährst du nicht oben auf dem Dach. In der Kutsche ist auch ein
Schrotgewehr für dich. Und du kannst den Fuß besser schonen.« Dave gehorcht. Wenig später fährt die Kutsche ab. Pete Murphy lenkt das Gespann. Neben ihm hockt Ambrose Baxter auf dem Bock. Simson Scott liegt hinter ihnen auf dem Dach zwischen einigen Gepäckstücken. Drinnen aber sitzen Dave Hallaghan, Jos Warrow und Monk Riley. Sie können ihre Füße nicht auf den Boden stellen, weil der Zwischenraum zwischen den Sitzen mit Silberbarren gefüllt ist. Dave streckt sein krankes Bein aus und untersucht die Schrotflinte. Er und Warrow sitzen auf dem Rücksitz zu beiden Seiten der Fenster. Monk Riley sitzt mit dem Rücken zur Fahrtrichtung. Das letzte Bild, das Dave Hallaghan mitnimmt, ist das des Mädchens. Caroline steht in der Tür des Postbüros und winkt ihm zu. Dann versperren andere Menschen ihm die Sicht. Staub wirbelt auf. Die Kutsche rollt aus der Stadt. Pete Murphys Peitsche knallt. Und manchmal ruft er: »Hoii, ihr dicken Tanten, hoiii! Daisy, du verrückte Schneeziege, wirst du wohl das Beißen sein lassen!« *** Am Blue Skull wechseln sie das Gespann, und dann rollt die Kutsche wieder stetig durch das trockene und fast gänzlich baumlose Tal des San Pedro River.
Die Sonne sinkt. Die Schatten der Nacht kriechen heran. Dann kommt die Nacht. Längst haben sie das San Pedro Valley verlassen und fahren nun nach Westen durch die Santa-CatalinaBerge, durch tiefe Schluchten und an klotzigen Tafelbergen entlang. Manchmal ist es hier zwischen den Felswänden so dunkel wie im Bauch eines Büffels. Pete Murphy, der die Wege so gut kennt wie die Linien seiner Hand, fährt immer vorsichtiger. Und dann, als sie mitten in einem von Felsklippen angefüllten Canyon sind und den Creek durchfurten müssen, da geschieht es! Jesse Cass und seine Reiter haben hier gewartet. Sie haben sich auch genau die richtige Stelle gesucht, und zwar am jenseitigen Ufer des Creeks. Als Pete Murphy nämlich die Kutsche im Wasser anhält, damit die Pferde einige Maul voll nehmen und sich erfrischen können, da ruft eine harte Stimme: »Ihr habt Verspätung, Jungs! Also muss eure Ladung schwer sein! Wie wollt ihr es haben? Heißes Blei oder Freundlichkeit?« Eine Weile ist alles still. Dann fragt Simson Scotts Stimme: »Jesse Cass?« »Sicher, mein Freund!« »Wir haben tausend Kilo Silber.« »Das ist prächtig für uns und schlecht für euch! Zündet eine Laterne an und stellt euch ins Licht, damit wir euch gut sehen können. Ihr werdet doch nicht so dumm sein und euch von uns totschießen lassen?« Wieder wird es still. In der Kutsche flüstert Monk Riley: »Jetzt bekommt ihr die Hölle! Warrow, dein Glück ist zu
Ende! Dave, du hast noch eine Chance, wenn du Jesse Cass und den Jungs jetzt etwas Hilfe gibst.« »Halt nur deinen Mund, Monk«, erwidert Dave. Das Fenster an seiner Seite ist geöffnet. Er schiebt den Doppellauf der Flinte hinaus und spannt die beiden Hähne. Jos Warrow knurrt böse, und es ist eine Warnung für Monk Riley. Simson Scotts Stimme wird wieder hörbar, und sie sagt: »Wir müssen erst aus dem Wasser hinaus. Die Gäule saufen sonst zu viel und bekommen die Kolik.« Pete Murphy fährt auch sofort an, bevor die Banditen etwas erwidern können. Er bringt die Kutsche aus dem Creek und auf den trockenen Weg. Plötzlich befindet sich die Kutsche mitten zwischen fast einem Dutzend Reiter. Man erkennt die Reiter schattenhaft, denn es ist sehr dunkel. Doch dann wird es mit einem Mal anders. Die Dunkelheit wird nun von den beiden Feuerblitzen einer Schrotflinte erhellt. Es ist Simson Scotts Parker-Schrotgewehr. Als es zu krachen beginnt und die Mündungsfeuer die Nacht erhellen, bricht die Hölle los. Denn die Kutsche befindet sich ja nun mitten zwischen den Banditen. Diese aber vermuteten bisher nur zwei Gegner, und zwar den Fahrer und dessen Begleitmann. Bisher haben zahlende Fahrgäste nie für die Wells Fargo Company gekämpft. Aber diesmal sind ja außer dem Fahrer und dessen Begleitmann besondere Fahrgäste in der Kutsche.
Simson Scotts Schrotgewehr ist noch nicht richtig verstummt, als Dave Hallaghan und Jos Warrow insgesamt vier Ladungen groben Schrots durch die Gegend prasseln lassen. Dazu schießt noch Ambrose Baxter seine Schrotspritze ab. Und all das zusammen ist schon eine Wucht, zumal sie ziemlich überraschend kommt und den Banditen sehr eindeutig klar macht, dass sie doch in letzter Zeit etwas zu sorglos wurden, weil die Postfahrer von Simson Scott Anweisung hatten, nicht ihr Leben zu riskieren. Heute ist es anders! Die vielen Schrotlandungen, die die Kutsche sozusagen aus allen Knopflöchern feuert, stiften eine Menge Verwirrung unter den Räubern an. Und da die Pferde durch diesen plötzlichen Ausbruch der Hölle ziemlich erschreckt und verrückt werden, hat Pete Murphy nicht viel Mühe, sie anzutreiben. Indes also die Kutsche wieder in Bewegung kommt, schießen Simson Scott und seine Männer jetzt mit den Colts. Natürlich werden ihre Schüsse von allen Seiten erwidert. Es ist ja klar, dass die Bande ihre Waffen schussbereit in den Händen hielt, als die Kutsche aus dem Creek zwischen sie rollte. Aber gegen Schrotflinten ist kein Kraut gewachsen. Als die Parkergewehre zu krachen begannen, gingen auch die Banditenpferde erschreckt in die Luft. Einige Pferde und einige Reiter wurden getroffen. Es entstand wirklich ein heilloser Wirbel. Von einem tanzenden Pferd aus kann selbst der
tüchtigste Revolverschütze keinen sicheren Schuss anbringen. Die Kutsche kommt also erst einmal ziemlich gut fort. Einige Reiter folgen ihr. Aber weil der Weg schmal ist und auch die Reiter diesen Weg reiten müssen, haben es die Männer der Kutsche leicht. Oben auf dem Dach krachen jetzt Winchestergewehre, und die Verfolger bleiben erst einmal zurück. Die Jesse-Cass-Bande hat sich überraschen lassen und Verluste gehabt. Pete Murphy fährt drei Meilen so schnell, wie er kann. Dann hält er mitten auf einer kleinen Ebene an. Die Männer lauschen auf Hufschlag. Plötzlich aber erklingt Ambrose Baxters Stimme scharf: »Simson, Sie bluten ja! Heiliger Rauch, Simson, warum haben Sie nicht gesagt, dass Sie verwundet sind?« »Es ist nicht schlimm, nicht schlimm«, krächzt Simson Scott heiser. »Fahrt nur weiter, Jungs! Fahrt nur weiter! Ich halte schon noch durch bis Tucson.« »Wir sind in einer Stunde in Benson«, meldet sich Pete Murphy. »Und dort ist ein Doc! Wir lassen den Boss in Benson. He, ist es sehr schlimm mit ihm, Amb?« »Die Schulter ist zerschossen, und das ganze Wagendach ist voller Blut.« Dave Hallaghan hat nun genug gehört. Er beugt sich aus dem Fenster und ruft: »Verbinde ihn, so gut es geht, Amb! Und du sollst jetzt losfahren, Pete! Wenn du nicht schnell genug fahren kannst,
dann werfe ich das Silber aus der Kutsche!« Er hat kaum ausgesprochen, als Pete Murphy auch schon einen scharfen Schrei ausstößt und das Gespann antreibt. Von den Banditen der Cass-Bande aber ist nichts mehr zu sehen oder zu hören. Jesse Cass’ wilde Jungs haben wohl genug für heute. Es erging der Bande wie einem Wolf, der glaubte, ein Kaninchen zu fassen, und zu spät bemerkte, dass er sich geirrt hatte und es sich um einen Igel handelte. Pete Murphy fährt, so schnell er kann. In der Postkutsche aber sagt Jos Warrow nach einer Weile seltsam heiser: »Vielleicht hast du soeben dein Schrot auf deinen eigenen Bruder abgefeuert, Dave Hallaghan. Wie fühlst du dich eigentlich?« »Wie ein Skunk!«, sagt Monk Riley schrill von seinem Sitz. »Ich kann ihn deutlich riechen. Er hat auf seine alten Freunde und seinen eigenen Bruder geschossen! Warrow, du hast mich ziemlich schlimm reingelegt. Ich habe wirklich keine guten Gefühle gegen dich, denn in Tucson habe ich nicht viele Chancen und werde wahrscheinlich hängen müssen. Ich habe also wirklich keine guten Gefühle gegen dich, Warrow. Aber was ich dir auf den Hals wünsche, ist nichts gegen das, was Mr Red Dave Hallaghan von Jesse Cass und den Jungs bekommen wird. Irgendwie werden sie schon erfahren, dass er in der Kutsche saß. Dave, sie werden dir die Haut abziehen und zum Trocknen aufhängen.« Dave gibt keinem der beiden Männer eine Antwort.
In ihm sind zu viele Gedanken und Gefühle. Er verspürt die Bitterkeit der Welt in sich, und er fühlt sich ausgebrannt und leer. Ja, er wird sich erst jetzt darüber klar, dass er ohne jede Hemmungen geschossen hat und keinen Gedanken daran verschwendete, dass sein eigener Bruder wahrscheinlich unter den Banditen war. In jenen Sekunden war alles ganz klar in ihm. Es war ganz einfach. Da war eine Bande von Straßenräubern, die das Silber rauben wollte. Und als Simson Scotts Schrotflinte krachte, drückte auch Dave ab. Er grübelt darüber nach, ob er das tun durfte, ob er ein Recht dazu hatte. Brack und er hatten eine Mutter. Und mit der Cass-Bande ist er mehr als tausend Meilen geritten. Mit all diesen Männern hatte er damals viel Gemeinsames. Jetzt jedoch will er besser sein als sie? Ist er das wirklich? Oder ist er ganz einfach ein Verräter, der zur anderen Seite überlief und sich auf Kosten der einstigen Gefährten und des Bruders eine reine Weste verschaffen möchte? Dave Hallaghan verspürt Zweifel, und das ist nur natürlich. Doch allmählich wird alles in ihm wieder einfach und klar. Nein, er gehört nicht mehr zu den Männern wie Jesse Cass und sein Bruder Brack. Er schlug einen anderen Weg ein und hatte das deutlich genug zu erkennen gegeben. Er fand in Simson Scott einen Freund, und Caroline gab ihm ihr Vertrauen. Er fand somit einen festen Halt und ein Heim. Die Trennung von Jesse Cass und seinem Bruder Brack war deutlich. Er hatte die Bande davor
gewarnt, ihm noch einmal in den Weg zu kommen. Sie taten es und wollten ihn sogar töten. Es ist nur in Ordnung, dass er sie bekämpfte. Er tat seine Pflicht und bezahlte eine Menge Schulden, die aber durch die Gefängnishaft längst nicht abgebüßt waren. Als dann die Post in Benson eintrifft, ist in ihm wieder alles klar und fest. Er bleibt in der Kutsche, als man Simson Scott in das Haus des Arztes trägt und das Gespann auswechselt. Er verflucht seinen Gipsverband am Fuß. Doch er hätte mit Simson Scott ohnehin nicht reden können, weil dieser schon vor der Stadt bewusstlos geworden war. Ambrose Baxter tritt dann an das Fenster und sagt: »Der Doc sagt, dass er Simson schon wieder auf die Beine bekommen wird. Simson muss jedoch zumindest drei Wochen in Benson bleiben. Wir fahren jetzt weiter. Aber du kannst hier aussteigen, wenn du willst.« Dave überlegt. »Nein, Jesse Cass könnte es noch einmal versuchen, und er hat inzwischen genügend Zeit gehabt, um aufzuholen und um die Stadt herumzureiten. Es ist schon möglich, dass er uns nochmals den Weg verlegt. Ich fahre mit.« »All right«, sagt Ambrose Baxter erleichtert. Er klettert auf den Bock. Pete Murphys Stimme ertönt scharf und schrill. Die Postkutsche rollt aus der Stadt. Es wird eine glatte und friedliche Fahrt. Kurz vor Tucson räuspert sich Jos Warrow und knurrt: »Ich hatte also Unrecht, Dave Hallaghan. Du hast wirklich einen anderen Weg eingeschlagen.
Du bist wirklich kein Bandit mehr und hast dich von der Cass-Bande getrennt. Ja, du hast sogar auf die Burschen geschossen.« Er macht eine Pause. Dave erwidert nichts. Da spricht Jos Warrow schärfer weiter: »Aber deshalb ist diese Welt doch zu klein für uns, Mister. Wenn ein guter Mann schlecht wird, so habe ich mich noch immer darüber gefreut und meinen Spaß daran gehabt. Wenn jedoch ein schlechter Mann gut wird, so bereitet mir das wenig Freude. Hallaghan, du hast mich in River Station übel zusammengeschlagen. Das habe ich noch nie von einem Mann hingenommen, ganz gleich, zu welcher Sorte dieser Mann gehört. Und ich sage dir, dass wir miteinander noch nicht fertig sind.« »Halt deinen Mund, Warrow«, spricht Dave kalt. »Du warst dein ganzes Leben lang nichts anderes als ein Kopfjäger und bezahlter Killer. Das macht dir Spaß. Und doch fühlst du dich manchmal nicht wohl und kannst dich selbst nur ertragen, weil du dir immer wieder einredest, dass es noch schlechtere Burschen als dich gibt. Ich weiß genau, Warrow, warum du mich hasst. Aber versuche es nur nicht nochmals mit mir. Halt den Mund, Warrow!« Der knurrt. Aber Monk Riley lacht seltsam. »Schießt euch nur gegenseitig tot«, sagt er. »Warrow hat andere Männer schon immer gerne totgeschossen. Und damit er es ungestraft tun durfte, bewarb er sich in wilden Städten stets um den Stern eines Town Marshals. Aber er wurde überall eines Tages zum Teufel gejagt, weil kein
Stadtrat lange seine Taten verantworten konnte. Als Mensch bist du mir schon lieber, Dave! Doch deine Idee, rechtlich werden und bleiben zu wollen, ist falsch. Du bist ein Verräter aus Überzeugung.« »Halt den Mund, Monk«, brummt Dave nur. Später erreichen sie Tucson. Es ist schon lange nach Mitternacht. Dave kümmert sich um nichts mehr. Er sucht sich im Bunkhouse des Wagenhofes ein freies Bett, streckt sich aus und schläft sofort ein. Die Fahrt hat ihn erschöpft. Das lange Krankenlager hat ihm eine Menge von seiner zähen Härte genommen. Sein Schlaf wird jedoch sehr unruhig, denn sein kaum wieder zusammengewachsener Fußknöchel schmerzt sehr schlimm. Erst nach Stunden schläft er fester und ruhiger. Doch das wirkt nur äußerlich so. Er träumt nämlich einen schlimmen Traum: Jos Warrow will ihn töten, und er, Dave, ist wie gelähmt. Aber da taucht Bruder Brack auf und schießt Warrow nieder. Dave sieht Warrow im Traum deutlich fallen und dann sterben. Er möchte sich bewegen, doch er ist immer noch wie gelähmt. Brack kommt auf ihn zu, und hinter Brack tauchen Jesse Cass und die anderen Reiter der Bande auf. Auch Alum Cal ist wieder bei ihnen. Im Traum hört Dave seinen Bruder Brack sagen: »Dein Weg war falsch, Dave. Wir schenken dir das Leben. Aber nun gehörst du wieder zu uns. Du reitest wieder mit der Cass-Mannschaft.« »Nein! Nein!«, brüllt Dave und erwacht. Er ist schweißgebadet. Ambrose Baxter steht an seinem Bett.
»Du hast etwas Fieber, Freund«, murmelt der Wells-Fargo-Mann ruhig. »Und Träume sind nicht Wahrheit. Pete und ich, wir fahren jetzt mit der Mittagspost zurück.« »Ich auch«, krächzt Dave und will sich erheben. Doch da merkt er, dass er wirklich Fieber hat und sich sehr schwach fühlt. »Du bleibst hier, Dave, denn du bist schwer erkältet. Es war gestern eine kalte Nacht, und du saßest ständig am offenen Fenster in der Zugluft.« »Ich war in meinem ganzen Leben noch nicht erkältet«, krächzt Dave. Aber er weiß, dass er es jetzt ist. Er hatte drei Wochen mit seinem gebrochenen Bein untätig in einem Zimmer verbringen müssen. Das hatte ihn wohl verweichlicht und anfällig gegen Zugluft gemacht. »Bleib nur hier«, sagt Ambrose Baxter. »Und mach dir keine Sorgen.« Er klopft Dave leicht gegen die Wange und geht hinaus. Bald darauf hört Dave, wie die Post nach River Station und Tombstone abfährt. Er denkt an Caroline und weiß, wie sehr sie sich um ihren Vater sorgen wird. Sicherlich wird sie sofort nach Benson fahren. Etwas später kommt ein junger Arzt herein. Er untersucht Dave und stellt dann fest: »Es ist keine Erkältung, Mister. Ich erlebe das immer wieder bei Fahrgästen, die von River Station kommen. Haben Sie vom Brunnen der Station am Blue Skull Wasser getrunken?« »Yeah«, krächzt Dave, denn er erinnert sich daran, dass ihm jemand einen Becher Wasser in die Kutsche reichte.
»Es ist das Wasser aus dem verdammten Brunnen«, erklärt der Arzt. »Sie werden sich zwei Tage ziemlich schlecht fühlen, Fieber haben und sich sogar erbrechen müssen. Es ist das Wasser. Ich gebe Ihnen jetzt ein Pulver.« *** Dave liegt wirklich zwei Tage und erträgt Fieber, Durchfall und Erbrechen. Am dritten Tag geht es ihm besser, aber nur körperlich. Denn einer der Frachtfuhrmänner, die ebenfalls in diesem Schlafhaus übernachten, bringt ihm die Nachricht, dass man Ambrose Baxter getötet und Pete Murphy schwer angeschossen hat. »Es war nichts in der Kutsche, was für die Banditen wertvoll war«, sagt der Frachtfahrer grimmig. »Die Cass-Bande hat die beiden guten Jungs nur aus Rache vom Bock geschossen, aus Rache für die Niederlage vor drei Tagen. Als dann die Kutsche überfällig wurde, schickte man Reiter aus. Diese Reiter konnten wenigstens noch Pete Murphy retten und zu einem Arzt bringen.« Als Dave das hört, verspürt er einen kalten Zorn. Er denkt an Ambrose Baxter, den er sehr gern hatte. Dieser prächtige Wells-Fargo-Mann ist also tot, so tot wie viele andere gute Fahrer, die mutig genug waren, um sich gegen die Banditen und Straßenräuber zur Wehr zu setzen. Pete Murphy aber hat wahrscheinlich nur Glück gehabt. Sicherlich haben ihn die Banditen für tot liegen gelassen.
Ganz abgesehen davon, dass die Wells Fargo in diesem Land jetzt kaum noch gute und zuverlässige Fahrer zur Verfügung hat, wird es wohl kaum noch einer wagen, gegen die Banditen eine Waffe zu ziehen. Es ist nun ganz klar, dass etwas geschehen muss. Denn die Wagenwege in diesem Teil des Territoriums werden nun ganz und gar von den Straßenräubern kontrolliert und beherrscht. Dave Hallaghan denkt darüber nach. Er ist jetzt wieder allein im Schlafhaus, als ein Junge kommt. »Mister«, sagt der Junge eifrig, »Sie sollen zum Chefagenten kommen, wenn Sie sich kräftig genug fühlen.« Dave nickt. »Ich komme«, murmelt er. Und als der Junge geht, blickt Dave an sich nieder. An seiner Hemdtasche steckt immer noch der Stern. Er ist immer noch dritter US Deputy Marshal für das Pima und Cochise County. Wyatt Earp und seine Brüder kämpfen in Tombstone. Und er, Dave, ist hier. Simson Scott und Pete Murphy sind ausgeschaltet. Ambrose Baxter ist tot. Gewiss, Wells Fargo hat auch noch andere Männer zur Verfügung. Und vielleicht sind diese Männer auch recht brave Männer. Aber es fehlt jetzt sicherlich der Kämpfer. Dave Hallaghan ahnt schon, was der Chefagent von ihm will. Dave erhebt sich und blickt auf seinen Fuß nieder. Obwohl er zwei Tage krank war, hat die Ruhe seinem Fuß gut getan.
Er geht leicht hinkend zu einem Regal in der Ecke und findet dort allerlei Werkzeuge. Wenig später hat er sich den unförmigen und plumpen Gipsverband vom Fuß entfernt. Jemand hatte Dave ein Paar Mokassins geliehen, denn er musste ja so oft sein Lager verlassen, weil Durchfall und Erbrechen dies erforderlich machten. Er zieht nun auch den zweiten Mokassin an und probiert aus, ob er gehen kann. Er wird das Bein schonen müssen. Aber er kann nun besser gehen als vor vier Tagen in River Station. Wenig später betritt er das Büro des Chefagenten. Der deutet auf einen Sessel. »Sie sind meine letzte Hoffnung, Dave Hallaghan. Sie haben gewiss schon gehört, dass man…« »Ich weiß, was mit Pete Murphy und Ambrose Baxter geschah«, unterbricht ihn Dave kurz. »Wo fand der Überfall statt?« »Wieder an jenem Creek zwischen der Blue Skull Station und Benson, genau dort, wo die Cass Bande von euch das Silber haben wollte und heißes Blei erhielt.« Der Agent zögert. Er ist ein eisgrauer und ruhiger Mann, der früher selbst als Fahrer auf dem Bock saß und für Wells Fargo auf allen Wegen fuhr. »Es ist noch etwas«, murmelt er zögernd. »In der Kutsche war ein weiblicher Fahrgast. Pete Murphy ist in Benson für eine Minute zur Besinnung gekommen. Man hat mir telegrafisch durchgegeben, dass Simson Scotts Tochter in der Kutsche war. Sie wollte zu ihrem Vater. Das hat Pete Murphy uns sagen können. Aber das Mädel ist verschwunden. Die Cass-Bande hat Menschenraub begangen.
Natürlich haben wir hier in Tucson sofort ein starkes Aufgebot zusammengestellt. Es ist eben aus der Stadt geritten.« Die Nachricht, dass Caroline in die Hände der Banditen gefallen sein soll, trifft Dave Hallaghan wie ein Hammerschlag. Er ist wie gelähmt und schnappt nach Luft. Zugleich aber jagen sich seine Gedanken. Doch der Agent lässt ihm keine Zeit. »Können Sie heute nach Einbruch der Nacht eine Extrakutsche nach Tombstone übernehmen, Dave?«, fragt der Mann. Dave starrt ihn an. »Ich könnte, aber ich werde mich auf ein Pferd setzen und nach der Cass-Bande suchen«, sagt er gepresst. »Simson Scott ist mein väterlicher Freund. Ich verdanke ihm viel. Seine Tochter aber bedeutet mir mehr als alles andere auf dieser Welt. Ich fahre keine Postkutschen mehr, Mister. Ich reite auf Wolfsjagd!« Der Mann schüttelt den Kopf. »Das geht nicht, Dave! Sie können uns nicht im Stich lassen. Überdies sind mehr als nur ein Aufgebot hinter der Cass-Bande her. Die Männer in diesem Land nehmen viel hin, aber nicht die Entführung eines Mädchens. Für Wells Fargo riskierte kein Außenstehender sein Leben. Man sah nur zu und schloss sogar Wetten ab, ob eine Postkutsche durchkommen würde oder nicht. Doch jetzt ist es anders! Die Cass-Bande wird jetzt gejagt. Es ist Unsinn, dass Sie allein auf Jagd gehen, Dave. Ich brauche Sie. Ich habe hundertachtzigtausend Dollar hier. Sechzigtausend müssen nach River Station. Hundertzwanzigtausend werden in
Tombstone erwartet. Fast alle Minen benötigen wieder Lohngelder. Wells Fargo hat sich vertraglich zu diesen Geldtransporten verpflichtet. Wir haben jetzt eine Chance und müssen diese Chance wahrnehmen.« Dave betrachtet den Mann seltsam. »Warum haben wir jetzt eine Chance, Mister?« »Das ist doch ganz klar«, erwidert der Chefagent. »Ich weiß zwar nicht, warum sich die Cass-Bande auf Mädchenraub verlegt hat, aber ich weiß, dass sie jetzt endlich von vielen Aufgeboten gesucht wird, die unser ganzes County durchkämmen. Die Cass-Bande wird also nicht das Risiko eingehen und irgendwo an der Wagenstraße auf eine Postkutsche lauern. Diese Verbrecher haben das Mädchen bestimmt aus Rache für die Niederlage am Creek entführt. Sie haben ja in jeder Stadt ihre Spitzel und Spione und konnten schnell erfahren, wer ihnen die Niederlage beibrachte. Das war Simson Scott! Und damit nicht noch mal ein WellsFargo-Agent…« »Schon gut, die Bande wollte Simson Scott bestrafen, meinen Sie?« »Das denke ich, Dave, obwohl natürlich auch andere Dinge im Spiel sein können.« Dave nickt nachdenklich. Er beherrscht sich jetzt und kann klar und eiskalt denken. Und vor allen Dingen denkt er daran, dass die Cass-Bande in jeder Stadt Spitzel und Spione haben soll. In diesem Zusammenhang denkt er auch an die hundertachtzigtausend Dollar. Es ist bestimmt für die Banditen kein Geheimnis mehr, dass dieses Geld hier in Tucson für den Abtransport bereitliegt.
Es ist fast wieder so wie damals, als Dave zum ersten Mal die Post von River Station nach Tombstone fuhr. Damals gelang es der Wells Fargo, eine hohe Summe von Lohngeldern unbemerkt bis hinter River Station zu bringen. Dave und Ambrose übernahmen es dann von den Frachtfahrern und brachten es das letzte Stück Weg bis nach Tombstone. Doch jetzt soll er einen noch größeren Geldtransport von Tucson aus den langen Weg nach Tombstone fahren. Der Chefagent sagt drängend: »Heute Nacht haben wir eine Chance, Dave Hallaghan. Die Banditen wissen sicherlich, dass Sie krank in unserem Schlafhaus liegen und wir keinen anderen Mann haben, dem wir diese große Geldsumme anvertrauen würden. Sie werden nicht damit rechnen, dass wir das Geld heute Nacht transportieren. Überdies müssen sie sich vor den Aufgeboten hüten. Sie haben das Mädel geraubt, um Simson Scott zu bestrafen. Nun werden sie erst einmal abwarten, bis sich die Aufregung gelegt hat und die Suche nach ihnen abgebrochen wird, weil ja fast alle mit dem Aufgebot gerittenen Männer einen Beruf haben und nicht tagelang nutzlos herumreiten können. Wir haben eine Chance, Dave, wenn wir jetzt sofort handeln.« Der überlegt wieder, und es ist ein sehr sorgfältiges Überlegen. Er denkt dabei an Jesse Cass und seinen Bruder Brack. Er denkt an all die anderen Mitglieder der Bande und ruft sich jeden noch einmal in Erinnerung.
»Vielleicht will Jesse Cass das Mädchen gegen Monk Riley austauschen, der ja hier im Gefängnis sitzt«, murmelt der Chefagent indes. Aber Dave beachtet diese Möglichkeit kaum. Er denkt jetzt zu sehr an Jesse Cass. Oh, er hat ihn gut gekannt. Jesse Cass war für ihn und seinen Bruder Brack damals eine Art Vorbild. Das Denken der Hallaghan-Brüder war ja damals so sehr verzerrt, dass sie ihren Anführer Jesse Cass bewunderten und ihm nachzueifern versuchten. Und weil das so war, kennt Dave Jesse Cass gut und kann sich jetzt in Cass’ Denkungsweise versetzen. Er erinnert sich an viele Dinge. Plötzlich weiß er es genau. Ja, plötzlich ist er sicher, dass Jesse Cass alles genau berechnet hat. Er blickt den Chefagenten ausdruckslos an. Und er könnte dem Mann jetzt drei Dinge sagen: Erstens: Sie irren sich, Mister. Das Mädchen wurde nicht aus Rache an Simson Scott und auch nicht deshalb entführt, um es gegen Monk Riley auszutauschen. Zweitens: Wir haben keine Chance, selbst wenn wir sofort handeln. Denn Jesse Cass wird damit rechnen, dass wir gerade jetzt den Geldtransport durchführen werden. Und er wird damit rechnen, dass ich die Kutsche fahre. Er kennt mich, und wenn er von dem hier liegenden Geld weiß, weiß er auch, dass ich nicht ernstlich krank bin. Drittens: Jesse Cass wird inzwischen auch von seinen Spitzeln und Spionen aus River Station erfahren haben, was mir Simson Scott und seine Tochter bedeuten. Er hat sich alles genau ausgerechnet.
Wenn ich jenen Geldtransport fahre, den er erwartet, dann wird er Caroline Scott nicht gegen Monk Riley, sondern bei mir gegen das Geld eintauschen. Und bei Gott, ich werde es tun! Ich werde ihnen das verdammte Geld geben, wenn ich das Mädel dadurch freibekomme. Ein Mädchen ist mehr wert als das Geld der ganzen Welt. Jesse Cass hat mich klein bekommen. Er hat erreicht, dass ich wieder ehrlos werde. Und er hat sich ausgerechnet, dass ich hier sitze und sein Spiel erkenne und durchschaue und dennoch tue, was er will. Ja, diese drei Dinge könnte Dave Hallaghan dem Chefagenten sagen. Und dann sähe die Sache anders aus, weil er dann ganz bestimmt nicht den Geldtransport fahren würde. Aber das will er jetzt unbedingt. Denn er glaubt plötzlich fest daran, dass er Jesse Cass’ Plan richtig erraten hat und unterwegs das Geld gegen das Mädchen eintauschen können wird. Und so sagt er: »Ich fahre, Mister. Bekomme ich einen Begleiter mit?« »Zwei Stunden vor Mitternacht fährt die Extrapost unbemerkt an«, sagt der Mann und betrachtet ihn fest. »Sie fahren durch das hintere Tor des Wagenhofes und erreichen auf einem Feldweg zwei Meilen hinter der Stadt die Poststraße. Ich weiß noch nicht, wen ich Ihnen mitgeben kann, Dave. Aber es wird ein guter Kämpfer sein. Er wird gut gedeckt in der Kutsche sitzen. Wir dürfen nicht das Risiko eingehen, dass ihr beide vom Bock geschossen werden könnt. Und ihr müsst schnell fahren, höllisch schnell mit
leichter Last und den besten Pferden, die wir haben. Niemand, der eure Abfahrt vielleicht beobachten könnte, darf euch auf einem guten Pferd überholen.« »All right«, murmelt Dave. *** Dave ist pünktlich zur Stelle. Die Postkutsche wartet zwischen zwei Ställen, und das feurige Sechsergespann ist von den beiden Stallhelfern kaum zu halten. Die Nacht ist dunkel. Es regnet. Ein kalter Wind weht. Die Nächte in Arizona können sehr kalt sein. »Es ist alles fertig«, sagt der Chefagent drängend. »Das Tor der hinteren Ausfahrt ist geöffnet. Der Weg führt zwei Meilen hinter der Stadt auf die Poststraße. Viel Glück, Dave Hallaghan! Und denken Sie daran, dass Sie nicht nur als Fahrer, sondern auch als Gesetzesmann auf dem Bock sitzen.« Daran hat Dave die ganze Zeit denken müssen. Aber er beherrscht sich. Als er spricht, klingt seine Stimme ruhig. Er fragt: »Bin ich allein?« »Der Town Marshal von River Station fährt mit, Dave. Oh, ich habe gehört, dass ihr einige Zusammenstöße hattet und euch nicht mögt. Aber Jos Warrow ist ein Kämpfer. Ich konnte keinen besseren Mann für die Fahrt bekommen. Er hat mir auch versprochen, dass…« Aber er kommt nicht weiter, denn aus der Dunkelheit taucht jetzt Jos Warrows bullige Gestalt auf.
»Yeah, ich fahre mit«, knurrt er. »Ich habe hier eine Menge Zeit verschwenden müssen, bis man mir die Belohnung für Monk Rileys Ergreifung auszahlte. Doch nun fahren wir gemeinsam nach River Station zurück. Und vielleicht begleite ich dich sogar bis Tombstone, Dave Hallaghan. Wir können uns nicht ausstehen, nicht wahr? Aber wir haben schon einmal gemeinsam gegen die CassBande gekämpft und wissen wenigstens in dieser Hinsicht, dass wir uns aufeinander verlassen können. Für diese Fahrt will ich vergessen, dass ich dich nicht leiden kann, Dave Hallaghan, und noch nicht mit dir fertig bin. Für diese Fahrt wollen wir Partner sein.« Dave überlegt kurz. Aber er weiß, dass er sich fügen muss. Jos Warrow ist als Banditenfeind zu gut bekannt, als dass der Agent hier auf ihn verzichten möchte. »Nun gut«, brummt Dave, geht zur Kutsche und klettert auf den Bock. Der Wagenschlag klappt zu. Jos Warrow hat also in der Kutsche Platz genommen. »Viel Glück!«, ruft der Agent. Dann fährt Dave los. Die Pferde sind kaum zu halten. Sicherlich hat man sie absichtlich viele Stunden im Stall gehalten. Als er aus der Einfahrt fährt und auf den Weg einbiegt, legt sich die Kutsche auf zwei Rädern in die Kurve. Und nach zwei Meilen, als die Poststraße hinter der Stadt erreicht ist, legen die Pferde erst richtig los. Es regnet, ein scharfer Wind peitscht Dave ins Gesicht, und sein Fuß schmerzt immer mehr, wenn er sich fest gegen das Bodenbrett stemmen muss.
Es ist eine höllische Fahrt ins Ungewisse. Dave richtet sich nur nach dem hellgrauen Band der Straße. Noch nie im Leben hat er ein so feuriges Gespann gelenkt. Man hat ihm wirklich die schnellsten Tiere gegeben. Und vielleicht hat man die Tiere sogar mit einem jener mexikanischen Mittel aufgepulvert. So fährt Red Dave Hallaghan nun durch die Nacht, Meile um Meile. In ihm sind viele Gedanken und Gefühle, vor allen Dingen Bitterkeit. Denn er ist innerlich schon davon überzeugt, dass er seinen Stern und die Wells Fargo Company verraten muss, um das Mädchen retten zu können. Denn er weiß besser als jeder andere Mann im Land, was Caroline bei der Cass-Bande alles zustoßen kann. Diese Bande ist nämlich noch schlimmer und schlechter geworden, als sie damals vor sieben Jahren schon war. Doch das wird jede Bande, die man viele Jahre jagt. *** Es ist eine schnelle und gefährliche Fahrt durch Nacht und Regen. In Benson wird das Gespann in Rekordzeit gewechselt, denn die Poststation hier wurde rechtzeitig telegrafisch verständigt. Dann fährt Dave weiter. Sein Fuß schmerzt immer mehr, wenn er ihn gegen die Bremse stemmen muss. Er kann diese Schmerzen kaum noch aushalten.
Aber er fährt. Denn er fühlt instinktiv, dass Jesse Cass und seine Reiter gewiss am Creek auf ihn warten werden, an jenem Creek, wo die Bande vor vier Tagen eine Niederlage erlitt und vor fast zwei Tagen Ambrose Baxter und Pete Murphy erwischte und das Mädchen raubte. Ja, gerade an dieser Stelle werden sie warten. Denn kein Aufgebot wird der Bande eine solche Frechheit zutrauen und die Banditen an diesem Ort vermuten. Aber das ist ja gerade Jesse Cass’ Stil. So hat er schon immer gehandelt. *** Sie erreichen den Creek kurz vor Morgengrauen. Der Regen hat nachgelassen. Die Sicht ist nun etwas besser geworden, denn im Osten wurde der Himmel klar und zeigt nun den ersten grauen Lichtschimmer des aufziehendes Tages. Dave hält die Kutsche am Creek an. Darauf scheint Jos Warrow gewartet zu haben, denn er kommt aus der Kutsche und hält eine Schrotflinte schussbereit mit dem Kolben fest gegen die Hüfte gedrückt. Mit einer solchen Schrotflinte braucht ein Mann nicht genau zu zielen. Jos Warrow wittert misstrauisch in die Runde. Aber in den dunklen Schatten der Felsen und Büsche bewegt sich nichts. Man hört nur das Schnauben und Keuchen der sechs Pferde. »Warum hältst du hier an?«, fragt Jos Warrow misstrauisch.
Dave erwidert ruhig: »Hast du Angst, Warrow? Keine Sorge, hier versucht es die Cass-Bande bestimmt nicht zum dritten Mal. Aber ich muss die Pferde etwas verschnaufen lassen. Sie sind zu erhitzt. Ich kann sie so nicht in das kalte Wasser jagen. Durch den Regen ist der Creek gestiegen. Selbst wenn die Tiere keinen Herzschlag erleiden, kommen sie auf der anderen Seite bestimmt krank aus dem Wasser. Wir müssen zehn Minuten warten, bis sie abgekühlter sind.« Warrow denkt kurz nach. Er tritt sogar zu den Pferden und legt ihnen die Hand ans Fell. Und er fühlt wirklich, wie sehr sie erhitzt und mit Schweiß bedeckt sind. Er lacht seltsam. »Richtig, dies ist der beste Ort für eine Rast. Hier wird die Cass-Bande wirklich nicht zum dritten Mal einen Überfall versuchen. Ich denke überhaupt, dass sie sich erst einmal in Sicherheit gebracht hat und den Aufgeboten ausgewichen ist. Vielleicht ist sie zu ihrem Camp geritten, dessen Lage bisher noch niemand erkunden konnte.« »Vielleicht«, erwidert Dave sanft und beobachtet Jos Warrows bullige Gestalt. Warrow steht jetzt wieder neben der offenen Tür der Kutsche. Dave kann es nicht genau sehen, aber ihm kommt es so vor, als hielte der Mann die Schrotflinte in seine Richtung. Ganz plötzlich schickt Daves Instinkt scharfe Warnsignale durch seinen Körper. Mit einem Mal spürt er den scharfen Atem einer Gefahr. Und diese Gefahr geht von Jos Warrow aus. Es gibt keinen Irrtum. Dave kann diesen Anprall einer Strömung deutlich spüren.
Er sagt ruhig: »Hast du eine Idee, Warrow?« Der lacht heiser und kurz auf. »Ich habe eine Idee, Rotkopf!« »Schon lange?« »Ich bekam sie unterwegs, mein Junge.« »Und wie sieht diese Idee aus, Warrow?« »Es ist eine Hundertachtzigtausend-Dollar-Idee, Dave! Halt, ich kann dich gut sehen. Wenn du dich bewegst, bekommst du beide Schrotladungen.« »Ich habe immer gewusst, dass du schlechter bist als ich, Warrow.« »Vielleicht stimmt das«, murmelt dieser. »Und sicherlich habe ich mein ganzes Leben lang auf solch eine Chance gewartet, Dave. Du musst nämlich wissen, dass ich ziemlich schlau bin. Ich habe nie den Fehler jener wilden Jungs gemacht, die sich mit dem Colt in der Hand für unbezwingbar hielten und sich daran berauschten, Herr über Leben und Tod zu sein. Ich war oft Herr über Leben und Tod! Ich hatte oft das Leben eines Mannes in meiner Hand. Aber ich trug immer einen Stern und war geschützt. Doch ich sah mehr und mehr ein, dass meine Zeit eines Tages vorbei sein würde. Bald wird es keine wilden Städte mehr geben, deren verängstigte Bürger einen Revolvermann wie mich anwerben. Bald werde ich keinen Job mehr finden können. Und kein Hund wird ein Stück Brot von mir annehmen. Ich war immer zu rau, zu hart und vielleicht auch zu gemein. Man kennt mich schon überall, und viele Menschen wissen ganz genau, warum ich mir immer wieder in einer wilden Stadt einen Stern geben lasse. Sie verachten mich, obwohl ich sie beschütze, aber sie verachten mich, weil ich
ebenfalls ein Schießer bin. Nun gut, das ist jetzt vorbei. Ich kann aufhören, denn ich habe jetzt hundertachtzigtausend Dollar. Damit kann ich nach Mexiko gehen und…« »Du Schuft«, sagt Dave bitter. »Es kommt auf den Standpunkt an«, knurrt Jos Warrow. Dann hört er ein leises Geräusch hinter sich und wendet den Kopf. Er sieht, was Dave schon eine Sekunde vor ihm sah: den Schatten eines Mannes, der barfuß um die Kutsche geglitten kam. Jos Warrow brüllt auf und wirbelt herum. Aber bevor er seine Schrotflinte abdrücken kann, sieht er in ein Mündungsfeuer und sinkt tot zu Boden. Dave hat sich nicht bewegt, nachdem er den Colt zog. Er hält ihn nun schussbereit in der Rechten und steht dicht neben dem rechten Stangenpferd. Es ist etwas heller geworden. Er kann den Mann gut an der Gestalt erkennen. Solch einen mächtigen Oberkörper und solch lange, leicht gekrümmte Beine hat nur Jesse Cass. Langsam steigt Cass über Jos Warrow hinweg und hält dabei seine Waffe schussbereit in der Hand. »Ich habe alles gehört«, sagt er schwer. »Um diesen Warrow war es nicht schade, nicht wahr? Wir sind ehrliche Banditen, aber er war ein Schuft. Warum schießt du nicht, Dave?« Er fragt es leicht spöttisch, denn er kann nun ebenfalls erkennen, dass Dave seinen Colt schussbereit hat. »Ich habe mir ausgerechnet«, sagt dieser, »dass du einen Tausch machen möchtest, Jesse.«
»Muss ich wirklich tauschen, Dave?«, fragt Jesse Cass böse. »Ich habe doch alles, was ich haben wollte. Ich kann dich töten.« »Sicherlich, Jesse, aber bevor ich sterbe, töte ich dich auch.« Da lacht der Bandit seltsam und schiebt mit einer langsamen Bewegung die Waffe zurück ins Holster. Es ist hell genug geworden, sodass sich die beiden Männer besser betrachten können. Jesse Cass hat sich nicht viel verändert. Er wirkt immer noch äußerlich wie ein Indianer. Sein scharfes Gesicht weist dunkle und scharfe Linien auf. In anderer Kleidung hätte er einem Maler für das Bild eines Seepiraten Modell stehen können. Früher, vor langer Zeit, war er nur ein Rebell, der jede Gefahr verachtete und sich durch Kühnheit behauptete. Doch aus einem Rebellen wurde ein Bandit, und ganz gewiss ist es seine eigene Schuld, dass man ihn jagte und hetzte. Für ihn begann damals alles als ein großes und kühnes Abenteuer, aber das konnte nicht so bleiben. Er wurde immer mehr zum Wolf und lebte bald nur noch im beständigen Hass gegen die menschliche Gemeinschaft und deren Gesetze. Sein Leben ist vertan. Er weiß das genau. Er ist ein Verlorener, der zu weit auf einem falschen Weg ritt und nicht mehr umkehren kann. Dave wollte umkehren, und es wäre ihm fast völlig gelungen. »Nun gut, Dave«, sagt er, »wir tauschen. Ja, ich habe das Mädchen geraubt, weil mir klar wurde, was dich mit so großer Stärke auf dem neuen Weg hielt. Ich wusste, dass du meine Absichten erkennen und erraten würdest. Das Mädchen wird
frei sein und kann unbehelligt von hier fort. Es wurde ihr kein Haar gekrümmt. Aber dich bringt diese Sache wieder auf unsere Seite. Ist dir das klar? Als Menschen werden dich viele Leute verachten. Aber das ist nicht ausschlaggebend, denn wenn es um Geld geht, sind die Menschen mitleidlos. Und du tauschst hundertachtzigtausend Dollar ohne Kampf gegen ein Mädel ein.« »So ist es«, murmelt Dave. Jesse Cass grinst und stößt dann einen kurzen Pfiff aus. Hinter Dave kommt ein Mann aus den Büschen. Auf der anderen Seite des Creeks taucht ein Reiter auf, der sein Pferd durch das Wasser treibt. Die Hauptsache aber kommt von der anderen Seite. Es sind zwei Reiter. Einer ist sein Bruder Brack. Und der andere Reiter ist Caroline. Die Banditen haben ihr Männerkleidung gegeben. Dave hält sie im grauen Morgenlicht zuerst für einen Jungen in zu großer Kleidung. Aber es ist Caroline. »Dave!«, ruft sie und will sich aus dem Sattel schwingen. Jesse Cass hindert sie daran. »Bleiben Sie oben, Mädel«, sagt er, und er spricht nicht einmal böse. »Es tut mir Leid«, fügt er hinzu, »dass wir Ihnen diesen Verdruss bereitet haben. Aber es ist Ihnen ja nichts geschehen, nicht wahr? Sagen Sie es Dave!« Caroline blickt zu Dave, schluckt und nickt dann heftig.
»Sie waren nicht schlecht zu mir, Dave, von Kleinigkeiten abgesehen. Dein Bruder Brack und Jesse Cass passten jedoch scharf auf, dass…« »Genug!«, sagt Jesse Cass. »Sie können jetzt heimreiten, Miss! Der Weg nach Benson ist nicht sehr weit. Sie wollten doch nach Benson zu Ihrem Vater? Sicherlich ist er bald gesund. Viel Glück, Miss. Reiten Sie!« Er dreht ihr Pferd herum, tritt dann hinter das Tier und schlägt es auf die Hinterhand. Aber schon nach wenigen Yards hat das Mädchen es wieder unter Kontrolle, hält an und zieht es herum. »Ich reite nicht ohne Dave! Lasst Dave mit mir reiten!« »Das kann er nicht, selbst wenn wir es zuließen«, erklärt Jesse Cass ruhig. »In der Kutsche sind fast zweihunderttausend Dollar. Dave gibt sie uns. Er überlässt sie uns kampflos als Lösegeld für Sie. Dafür wird Wells Fargo ihn verfluchen. Und die rechtmäßigen Empfänger des Geldes werden nach seinem Skalp brüllen. Man würde ihn sicherlich bald einsperren und ihn verdächtigen, mit uns gemeinsame Sache gemacht zu haben. Dave kann nicht mit Ihnen reiten, Mädel!« Man kann erkennen, wie sehr Caroline erschrickt. Und sie begreift nun auch, dass sich besonders viel Geld in der Kutsche befindet und Dave nicht nur allein dieses Geld für sie eintauschen will. Dave selbst gehört mit zu diesem Tausch. Das Mädchen wirft einen kurzen Blick in die Runde. Als sie ihren Blick kurz über Jos Warrows leblose Gestalt am Boden schweifen lässt, erschauert sie.
Aber dann richtet sie sich gerade im Sattel auf. »Ich reite nicht fort ohne Dave. Wenn er mit mir zur Stadt reitet, wird niemand ihm den Vorwurf machen können, dass er ihm anvertrautes Geld für mich als Lösegeld gezahlt hat. So ist es doch gar nicht! Ihr habt wieder einmal die Post angehalten, einen der Fahrer niedergeschossen und das Geld geraubt. Niemand wird es Dave verübeln, dass er sich nicht für eine aussichtslose Sache totschießen ließ. Er hat doch keine Chance gegen euch. Ihr habt ihn in der Klemme. Begnügt euch also mit der Beute und lasst uns beide reiten. Komm, Dave! Wir reiten auf diesem Pferd gemeinsam!« Sie blickt Dave bittend an. Aber der schüttelt den Kopf. »Es geht nicht, Caroline«, murmelt er. »Sie lassen mich nicht fort. Sie dulden nicht, dass ich auf dem anderen Weg bleibe. Sie wollen den Anschein erwecken, ich hätte Ihnen das Geld in die Hände gespielt und wäre mit ihnen geflüchtet.« »Aber ich kann doch das Gegenteil bezeugen, Dave!« »Wer wird es dir glauben? Reite, Mädel, reite!« Er stößt es scharf hervor, denn er hat Sorge, dass es sich die Bande anders überlegt. Doch das Mädchen lässt nicht locker. Sie blickt Brack Hallaghan fest an. »Sie sind sein Bruder, Brack. Hören Sie, ich liebe Dave. Ich will ihn haben. Er ist auf einem guten Weg und wird mich gewiss heiraten. Dann sterben die Hallaghans nicht aus. Brack, warum tun Sie nichts für Ihren Bruder? Warum gönnen Sie ihm nicht, dass er den anderen Weg eingeschlagen hat, nicht mehr verfolgt wird und eines Tages eine
Familie gründen kann? Warum wollen Sie auch Ihren Bruder wieder mit auf den verlorenen Weg nehmen?« Brack Hallaghan denkt drei Sekunden nach. Dann sagt er hart: »Er hat auf uns geschossen. Wir hatten vor vier Tagen große Verluste. Auch ich wurde verwundet. Es hätte ihm nichts ausgemacht, seinen eigenen Bruder zu töten.« Er verstummt hart und abweisend. Jesse Cass aber sagt: »Er wollte besser werden und sich retten. Aber er gehört immer noch zu uns. Wir geben ihn nicht heraus. Keiner von uns reitet ohne unsere Einwilligung eigene Wege. Wir alle gehören zusammen. Und wenn Sie jetzt nicht endlich fortreiten, dann nehmen wir Sie mit!« »Dann nehmt mich doch mit«, sagt sie ruhig. »Ich will bei Dave bleiben!« Aber da bewegt sich Dave. Er tritt schnell zu ihr ans Pferd, hält sich daran fest und sagt zu ihr hinauf: »Verstehst du nicht, dass sie mich töten werden, wenn ich nicht freiwillig mit Ihnen reite? Und wenn du bei mir bleiben würdest, so müsste ich dich bald immer wieder vor ihnen beschützen und würde eines Tages dabei getötet werden.« »So ist es«, meldet sich Brack. »Wenn er wieder mit uns reitet, werden die Jungs mir zuliebe vergessen, dass er abtrünnig wurde und uns großen Schaden zufügte. Wenn er wieder auf unserer Seite ist, ist er mehr wert als jene Burschen, die wir durch ihn verloren haben.« Da begreift sie alles. Es wird ihr klar, dass Dave nur die Wahl hat, jetzt mit der Bande zu reiten oder getötet zu werden. Diese Männer hier lassen einfach nicht zu,
dass er auf dem anderen Weg bleibt. Sie sind Verlorene und dulden nicht, dass einer von ihnen abtrünnig wird und versucht, ein neues Leben zu beginnen. Sie beugt sich nieder, um Dave zu küssen. Denn sie liest in seinen Augen, dass er ihr etwas zuflüstern möchte. Und das tut er nach dem Kuss. »Reite zu Wyatt Earp und sage ihm, dass ich ihn in Rim Hole erwarte.« Mehr kann er nicht sagen. Aber nun weiß sie, dass er noch nicht aufgegeben hat, sondern ein bestimmtes Spiel spielt. Sie richtet sich auf. Bevor sie etwas sagen kann, reißt er den Hut vom Kopf und schlägt ihn auf die Hinterhand des Pferdes. »Hoiii«, ruft er dabei. Das Tier rast erschreckt davon. Caroline kann sich nur mit Mühe im Sattel halten. Dave wendet sich langsam den Männern zu. Es sind nicht mehr viele. Außer Jesse Cass und Bruder Brack sieht er zwei Männer, die er nicht kennt. Ein anderer Mann kommt jetzt mit einigen Sattelpferden herbei. »Wir sind nicht mehr besonders zahlreich«, knurrt Jesse Cass böse. »Die vier Schrotflinten vor vier Tagen waren schlimm. Ich habe vier Männer verloren. Und drei andere liegen krank bei guten Freunden. Vielleicht sind sie sogar schon aufgespürt worden. Brack zuliebe lasse ich dich am Leben, Dave. Brack ist mein bester Mann. Ich möchte ihn wirklich nicht verlieren. Und bald wirst
du ja wieder auf Gedeih und Verderb mit uns verbunden sein und…« Er macht eine lässige Handbewegung und bricht ab. »Holt die Geldsäcke aus der Kutsche! Wir reiten!«, ruft er. Dann wendet er sich wieder Dave zu. »Dreißigtausend Dollar für jeden von uns. Wir schlagen uns jetzt zu unserem Camp durch und warten ab, bis man uns nicht mehr so emsig sucht. Dann reiten wir zweitausend Meilen weiter in ein anderes Land. Vielleicht wirst du noch froh darüber sein, dass du – wenn vorläufig auch gezwungen – wieder bei uns bist. Ein Wolf gehört zu seiner Art, und du warst ein Wolf und bist immer noch einer, auch wenn du ein weißes Schaf werden wolltest. Du bist immer noch ein Wolf. Daran ändert der Stern an deiner Brust nichts. Du hast dich nur auf die falsche Seite verirrt. Die lange Haftstrafe und danach die Bekanntschaft dieses Mädchens haben das wohl bewirkt. Du siehst, Dave, ich bin fair. Ich billige dir eine Menge Beweggründe zu, die deine Handlungsweise entschuldigen. Du sehntest dich nach einem festen Platz, nach einem Heim und all den anderen Dingen, die es für uns nicht gibt. Aber alles war nur eine Selbsttäuschung, mein guter Junge. Du bist ein Wolf und gehörst zu deiner Art. Nimm dir den grauen Wallach als Sattelpferd.« Aber Dave bewegt sich noch nicht. In ihm ist jetzt alles klar und entschieden. Ja, er ist eingekeilt. Jesse Cass und die Bande gönnen ihm kein neues Leben. Sie haben ihn eingekeilt und wollen ihn mit Gewalt auf ihre Seite zurückbringen.
Wenn er mit ihnen reitet, ist er verloren. Aber Dave will nicht! Nicht um den Preis seines Lebens. *** Er hat nun lange genug gewartet. Caroline ist jetzt bestimmt schon zwei Meilen geritten und in Sicherheit. Und nichts anderes wollte er erreichen. Dave will seinen Weg nicht verlassen. Und weil das so ist, verlässt ihn jedes Gefühl für eigene Sicherheit und Rettung seines Lebens. Nein, es ist keinerlei Hoffnung in ihm. Und dennoch wird er sich jetzt treu bleiben und kämpfen. Ruhig sieht er die Männer der Reihe nach an. Jesse Cass steht breitbeinig und selbstsicher neben der Kutsche. Er lächelt hart. In seinen dunklen Augen tanzen helle Funken. Cass ist grausam geworden in diesen Jahren. Ein Mann steht bei den Pferden. Es ist einer von jenen Hartgesottenen, die schon lange von ihren Colts leben, verloren sind und letzten Halt und Zuflucht bei der Cass-Bande fanden. Die beiden anderen Männer schleppen einige große und schwere Segeltuchbeutel aus der Kutsche und hängen diese an die Sattelhörner der Pferde, auch ans Sattelhorn jenes grauen Wallachs, den Dave reiten soll. Auch diese beiden Männer sind gefährlich. Sie sind Dave fremd. Die Cass-Bande hat große Verluste gehabt. Alum Cal ist tot.
Monk Riley sitzt im Gefängnis von Tucson. Das alles zusammen hat die Bande sehr dezimiert. Sicherlich befanden sich unter den Toten und Verwundeten, die jetzt hier nicht mit dabei sind, einige Burschen, die Dave noch aus alter Zeit kennt. Zuletzt richtet Dave seinen Blick auf seinen Bruder, der bewegungslos auf seinem Pferd sitzt. Aber Brack hat das Tier jetzt etwas herumgezogen, sodass er Dave die andere Seite zeigt. Nun kann Dave erkennen, warum Brack nicht aus dem Sattel stieg. Brack ist am linken Bein verwundet. Durch das aufgeschlitzte Hosenbein schimmert ein blutiger Verband. Die Brüder sehen sich an, und Jesse Cass, der sie beobachtet, beginnt etwas zu wittern und saugt heftig den Atem ein. Es ist jedoch Brack, der zu Dave spricht. Er sagt ruhig: »Versuch es nicht, Dave! Sei kein Narr! Ich erkenne es in deinen Augen. Versuch es nicht!« Nun werden auch die drei anderen Männer aufmerksam. Sie stehen noch bei den Pferden und wenden sich schnell um. Dave hebt die Linke und stößt mit dem Daumen gegen seinen Stern. »Es ist nicht nur der Stern«, sagt er ruhig und fest. »Es ist auch nicht nur die Verpflichtung, die ich übernahm. Jeder Mann ist mehr oder weniger sein eigener Hüter und hat ein Recht darauf, sich seinen Weg zu wählen. Ich wollte rechtschaffen werden, so weit es mir möglich war. Ich wollte mir eine bessere Zukunft schaffen, einen festen Platz finden und ein Heim. Und ich habe sogar noch viel
mehr gefunden, als ich zu hoffen wagte. Ich fand ein gutes Mädchen und gute Freunde. Die nächste Generation der Hallaghans wäre nicht mehr auf verlorenen Wegen geritten, Brack. Meine Söhne hätten es besser gehabt als du und ich. Aber ihr wollt mir das alles zerstören. Nun gut, ihr könnt es zerstören! Aber es wird euch etwas kosten. Ihr müsst mich töten, Männer! Hier steht der US Deputy Marshal und Wells-Fargo-Mann Red Dave Hallaghan! Versucht es mal!« Danach ist es still. Brack Hallaghan sitzt zusammengesunken auf seinem Pferd und stößt einen bitteren Seufzer aus. Die drei Männer bei den Pferden beginnen leise zu fluchen. Einer sagt böse: »Zum Teufel mit deinem närrischen Bruder, Brack!« Und dann sagt Jesse Cass schwer: »Er ist wirklich verrückt! Nun gut, Dave, ich will dich deinem Bruder Brack zuliebe reiten lassen. Es fällt mir schwer, denn für mich bist du ein Verräter an uns. Aber Brack ist mein Freund. Wegen Brack lasse ich dich reiten. Fort mit dir!« Dave schüttelt den Kopf, und er wirkt in diesem Moment wirklich sehr eigenwillig und stur. »Du wirst auch das Geld wieder in die Kutsche schaffen lassen, Jesse. Ich fahre mit der Kutsche weiter und bringe das Geld zum Bestimmungsort. Anders geht es nicht!« Jesse Cass atmet langsam aus und seufzt nun ebenfalls. Er sieht Brack Hallaghan an und sagt: »Du siehst doch ein, Brack, dass er es nicht anders haben will? Er nimmt keine Vernunft an. Und ich habe jetzt genug!«
Bei den letzten Worten sieht er wieder Dave an und fügt hinzu: »Dann geh zur Hölle, du Narr!« Dabei zieht er den Colt, und er zieht ihn schnell. Er ist in den letzten Jahren noch schneller geworden. Er schlägt Dave genau um jenen Sekundenbruchteil, auf den es ankommt. Und das ist kein Wunder, denn Dave hat lange Jahre nicht üben können, und die harte Arbeit als Sträfling nahm ihm viel von seiner Geschmeidigkeit. Dave sieht in Jesse Cass’ Mündungsfeuer, und dann stößt ihn die Kugel hart zurück. Dadurch entgeht er der zweiten Kugel und gewinnt dann wieder festen Stand. Er spürt den Rückstoß seiner eigenen Waffe in der Hand und wird von Cass fast im selben Moment getroffen. Aber auch diese Kugel kann ihn nicht von den Beinen werfen. Er schießt jetzt mit einer bitteren Verzweiflung. Dann sieht er Cass fallen, fällt selbst auf die Knie und wartet, dass sich Cass noch einmal erhebt. Aber Cass rollt nur auf den Rücken. Dave keucht schmerzvoll. Ja, jetzt sind die Schmerzen da. Er spürt, wie es ihm unter dem Hemd feucht wird. Er starrt Bruder Brack an, der immer noch bewegungslos auf dem Pferd sitzt. »Jetzt habt ihr mich schon fast in Stücke geschossen, Bruder«, krächzt er. Da setzen sich die drei anderen Männer, die bewegungslos dem Zweikampf zusahen, in Bewegung. Sie ziehen dabei ihre Waffen und brüllen auf. Ihr Anführer liegt bewegungslos am Boden. Doch sie ziehen nicht ihre Waffen, um Jesse Cass zu rächen. Für sie dreht es sich darum, das
Geld behalten zu können, das schon in den Beuteln an den Sattelhörnern ihrer Pferde hängt. Sie wissen, dass Dave Hallaghan sie nicht damit fortlassen wird, solange er noch schießen kann. In dieser Sekunde geht in Brack Hallaghan etwas vor. Er stößt einen scharfen Ruf aus und schnappt nach der Waffe. *** Caroline reitet wie vom Teufel gejagt. Sie befindet sich in wirklicher Panik und begreift dennoch klar, dass sie Dave nicht helfen konnte. Sie denkt immer wieder an die Worte, die er ihr zuflüsterte. Deshalb reitet sie auch wie vom Teufel gejagt. Sie wünscht sich, Marshal Wyatt Earp wäre nur eine halbe Meile entfernt. Doch der Weg nach Tombstone ist weit. Ein Mädchen hält solch einen Ritt nicht aus. Und doch muss Caroline so schnell wie nur möglich zu Wyatt Earp. Daves Worte hatten eine bestimmte Bewandtnis. Für Caroline sieht es so aus, als wäre es Daves Absicht, mit der Bande in deren geheimnisvolles Versteck zu reiten. »Rim Hole« hatte Dave gesagt. Und er würde dort auf Wyatt Earp warten. Das kann für Caroline nur bedeuten, dass Wyatt Earp die Lage des Versteckes kennt und Dave zu Hilfe kommen und ihm Rettung bringen könnte. Und so sehr das Mädchen auch in Not und Sorge ist, freut es sich doch darüber, dass Dave noch nicht aufgegeben hat und nur zum Schein zur Bande zurückgekehrt ist.
Sie kann ja nicht wissen, dass Dave sie nur zum Fortreiten veranlassen wollte. Dennoch hat das Mädchen Glück. Sie trifft nach vier Meilen auf drei Reiter. Es sind Marshal Wyatt Earp, Morgan Earp und Doc Holliday, der Revolvermann, Spieler und einstige Doktor der Zahnmedizin. Er wirkt sehr krank und sitzt jämmerlich im Sattel. Aber das bemerkt Caroline gar nicht. Sie begreift nur, dass Wyatt Earp und sein Bruder Morgan Tombstone verlassen haben und damit sicherlich ein großes Wagnis eingegangen sind, weil die Banditen dies gewiss ausnutzen werden. Doch sie kann nicht wissen, dass der Bürgermeister Clum von Tombstone die Bürgerwehr mobilisiert hat und Virgil Earp Unterstützung geben wird, bis die beiden anderen Earps und Holliday wieder in Tombstone sind. Das kann sie nicht wissen. Sie kann auch nicht wissen, dass Wyatt Earp nach dem Bekanntwerden ihrer Entführung aufbrach, weil er Jesse Cass’ Spiel genauso erkannte und erriet, wie Dave Hallaghan es vermochte. Nun, das Mädchen trifft also auf die drei Reiter. Sie braucht nur zehn Sekunden, um das Nötigste zu sagen. Dann ist sie wieder allein, denn die drei Männer reiten los wie wilde Indianer. Sogar der durch sein ausschweifendes Leben zerrüttete und hinfällige Holliday ist wieder wach und bei Kräften. Das ist wie ein Wunder.
Caroline bleibt nichts anderes übrig, als den Männern so schnell wie möglich zu folgen. Als sie den Creek erreicht, kommt ihr die Postkutsche entgegen. Wyatt Earp sitzt als Fahrer auf dem hohen Bock. Er hält an und sagt zu dem Mädchen nieder: »Dave lebt. Der Doc sitzt mit ihm in der Kutsche. Steigen Sie ein, Mädel. Wir fahren nach Benson zurück.« Caroline weiß nicht, wie sie vom Pferd herunter und in die Kutsche kommt. Sie beginnt erst wieder zu denken, als sie sich in die Ecke des rückwärtigen Sitzes setzt und Daves Kopf in ihren Schoß bettet. Holliday hat Notverbände angelegt. »Ich war nur ein schlechter Zahnarzt«, sagt er. »Aber ich glaube, dass ich von Kugelwunden eine Menge verstehe, Miss. Dieser junge Mann wird wieder auf die Beine kommen.« Kurz vor Benson öffnet Dave für einige Minuten die Augen. Er fühlt Carolines Hände und sieht ihr Gesicht über sich. »Dave«, sagt sie dankbar, »Dave, es wird alles gut. Du bist gerettet, Dave. Gleich sind wir in Benson. Ich werde dich und Vater in einem Zimmer liegen haben und für euch sorgen können. Es wird alles gut werden, Dave.« »Brack half mir«, murmelt er mühsam. »Brack ließ es nicht zu, dass sie mich töteten. Er half mir. Was ist mit Brack? Ich sah ihn vom Pferd fallen, nachdem er seinen Revolver leer geschossen hatte. Ich wollte zu ihm kriechen, aber da verließen mich die Kräfte. Was ist mit meinem guten Bruder Brack?« Doc Holliday räuspert sich.
»Außer dir, mein Junge, lebte keiner mehr«, murmelt er dann. Dave schließt die Augen. Der Schock trifft ihn hart und nimmt ihm wieder die Besinnung. Später spürt er nicht, wie er in Benson aus der Kutsche gehoben wird. Und er hört Wyatt Earp auch nicht zu den Leuten sagen: »Es gibt keine Jesse-Cass-Bande mehr, Leute. Dave Hallaghan ließ sich das Geld nicht abnehmen. Er kämpfte, und sein Bruder Brack half ihm dabei. Brack ist tot, so tot wie die anderen! Aber zuletzt befand er sich mit Dave auf dem gleichen Weg. Zweifelt mir nur nicht mehr an Dave Hallaghan. Er hat für alle Zeiten bewiesen, dass er selbst um den Preis seines Lebens nicht von seinem Weg abweichen wird. Er wollte lieber sterben, als der Bande das Geld zu überlassen und überzulaufen. Wer von euch hätte das an seiner Stelle gekonnt?« ENDE