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Die phantastischen Abenteuer des Raumschiffes ORION – mit Commander Cliff McLane und seiner Crew – und mit Tama...
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Die phantastischen Abenteuer des Raumschiffes ORION – mit Commander Cliff McLane und seiner Crew – und mit Tamara Jagellovsk, dem Offizier des Galaktischen Sicherheitsdienstes.
Was tut ein Raumfahrer, wenn er von einem Fernsehinterview nach Hause kommt und von vier weißen Leoparden angefallen wird? Er wehrt sich mit allen Mitteln – und schwört dem, der die Bestien auf ihn hetzte, blutige Rache. Genau das tut auch Oberst Cliff McLane. Er weiß, wer für den Mordanschlag verantwortlich ist. Simer, der letzte der Unsterblichen hat erneut den Kampf auf Leben und Tod eröffnet. Zusammen mit seiner ORION-Crew nimmt Cliff McLane den Kampf auf. Er fliegt zu einem Grenzplaneten und bahnt sich einen Weg in die schwarze Mauer. Sie ist das größte Bauwerk der Galaxis – und das Hauptquartier eines Gegners, der auf die Erzeugung von Illusionen spezialisiert ist.
Alle Romane nach der großen Fernsehserie RAUMSCHIFF ORION erscheinen als Taschenbuch im MOEWIG-VERLAG.
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Vom gleichen Autor erschienen bisher die Raumschiff-Orion-Romane: 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 17 18 19 20 21
Angriff aus dem All (T 134) Planet außer Kurs (T 136) Die Hüter des Gesetzes (T 138) Deserteure (T 140) Kampf um die Sonne (T 142) Die Raumfalle (T 144) Invasion (T 146) Die Erde in Gefahr (T 152) Planet der Illusionen (T 154) Wettflug mit dem Tod (T 156) Schneller als das Licht (T 158) Die Mordwespen (T 160) Kosmische Marionetten (O 13) Die tödliche Ebene (O 14) Schiff aus der Zukunft (O 15) Verschollen im All (O 17) Safari im Kosmos (O 18) Die unsichtbaren Herrscher (O 19) Der stählerne Mond (O 20) Staatsfeind Nummer Eins (O 21)
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HANS KNEIFEL
RAUMSCHIFF ORION
DER MANN AUS
DER VERGANGENHEIT
Zukunftsroman
Deutsche Erstveröffentlichung
MOEWIG-VERLAG MÜNCHEN
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Für den Moewig-Verlag nach Ideen zur großen Fernsehserie
»Raumpatrouille«, produziert von der Bavaria-Atelier GmbH,
geschrieben von Hans Kneifel
Copyright © 1969 by Arthur Moewig-Verlag Printed in Germany 1969 Umschlag: Ott + Heidmann design Gesamtherstellung: H. Mühlberger, Augsburg
Der Verkaufspreis dieses Buches enthält die gesetzliche Mehrwertsteuer
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Es war heiß wie mittags am Äquator eines Wüstenplaneten, aber wesentlich weniger angenehm. Der senkrecht abstrahlende Scheinwerfer blendete ihn etwas, außerdem war die abgestandene Luft von mikroskopisch kleinen Staubteilchen geschwängert. Cliff fühlte sich seit Anfang der Life-Sendung unbehaglich, also seit etwa fünf Minuten. Er atmete tief ein; und der Geruch des Fernsehstudios kam in seine Nase. Staub, heiße Scheinwerfer, schmorende Isolationen und der Geruch der Schminke, der ihn ein bißchen an Ishmee erinnerte. Hinter Cliff wölbte sich die farbige, dreidimensionale Projektion der Neunhundert-Parsek-Raumkugel. Vor den flimmernden Lichtern schwebte ein Modell der ORION VIII, hart von seitlichem Licht angestrahlt. Daneben hing an einem unsichtbaren Faden eine LANCET, die jetzt, durch einen unsichtbaren Finger bewegt, um die ORION Kreise zog. »Ihr Beruf ist es, Kommandant Cliff Allistair McLane, fremde Planetensysteme anzufliegen. Sie tun dies seit einigen Jahren mit einer Selbstverständlichkeit, als wären Sie im Raum geboren. Was denken Sie dabei?« Cliff kämpfte gegen den Versuch an, seine Hände in die Hosentasche zu stecken. Er trug seinen teuersten Anzug, der nur noch vage Ähnlichkeit mit einer Uniform hatte. McLane fühlte sich unsicher, sobald er vor einem großen Auditorium sprechen mußte. »Erlauben Sie, daß ich etwas klarstelle«, sagte er und räusperte sich. »Ich bin seit nicht ganz zwei Jahren so etwas wie ein bekannter Mann. Ich werde nicht dafür bezahlt, daß ich denke. Wenn ich trotzdem denke, denke ich in der dienstfreien Zeit.« »Nun, Kommandant«, sagte der Interviewer sarkastisch, »jetzt sind Sie ja außerhalb der Dienstzeit. Bitte, denken Sie.« »Gern«, sagte Cliff. »Ich denke, daß dies alles eine faszinierende Sache ist. Wollten Sie etwas anderes hören?« Millionen Menschen auf der Erde und anderen Planeten, alle seine Vorgesetzten und die Crew sahen diese Direktübertragung. Man hatte darauf vertraut, daß McLane auch wortsicher war und sich vor den Linsen nicht mehr blamierte als jeder andere, der sich den Augen der Öffentlichkeit stellte. »Nicht unbedingt. Was also denken Sie, wenn Sie in der ORION fliegen und in die haarsträubendsten Abenteuer verwickelt werden?« Cliff grinste knapp und erwiderte, direkt in die Linsen blickend: »Daß das Leben eines Raumfahrers wahrhaft aufregend ist. Außerdem ist dies mein Beruf.« Der Fernsehinterviewer schien etwas bekümmert zu sein. »Träumen Sie nachts von der ORION, den Turceed und dem letzten, überlebenden Aashap, der ihr erbitterter Feind ist?« Cliff lachte vieldeutig. »Wenn ich träume, dann bestimmt nicht von Simer, dem Aashap, sondern von viel angenehmeren Dingen.« Der Sprecher deutete auf das Modell der ORION, um das die LANCET schwang wie ein Satellit. »Sie scheinen, Kommandant, mit sich und dem Universum im Einklang zu sein.« Cliff erwiderte ziemlich erheitert: – 6 –
»Und wenn ich es nicht wäre, dann würde ich es sicher nicht an dieser Stelle laut diskutieren.« Die nächste Frage konnte ihn auch nicht in Verlegenheit bringen. »Können Sie von dem, was Sie verdienen, leben? Man spricht davon, daß Sie außer Ihrer gutaussehenden Freundin, die ja etwas extraterrestrische Züge an sich hat, noch einige andere teure Hobbys haben.« »Wenn ich den Ruhm, der sich in derlei Interviews niederschlägt, dazurechne, kann ich blendend auskommen.« »Was sagen Ihre Vorgesetzten dazu, daß Ihr Ruhm innerhalb der Flotte in den letzten zweiundzwanzig Monaten rapide angestiegen ist?« Cliff zuckte die Schultern und antwortete ruhig: »Vermutlich wundern Sie sich etwas darüber, daß trotz meiner Jugend der Erfolg mich heimsucht.« Der Sprecher stieß sofort nach. »Glauben Sie, daß Neid dabei ist, Kommandant?« Cliff schüttelte den Kopf. Niemand wußte, ob er es ironisch oder nicht meinte. »Da es sich bei allen meinen Freunden und Bekannten um ethisch geradezu hervorragende Menschen handelt, kann ich nicht glauben, daß eine so vulgäre Stimmung wie Neid sie heimsuchen kann.« »Also kein Neid? Wie steht es mit der Bewunderung?« Cliff strich am Vorderteil seine Jacke glatt, blickte an sich herunter und schüttelte langsam und nachdenklich den Kopf. »Glauben Sie, daß jemand wie ich Anlaß zur Bewunderung gibt?« Der Interviewer sah ein, daß die Stunde nicht so verlief, wie er sie geplant hatte und richtete sich nach den Antworten des Kommandanten. »Schon möglich. Sie und Ihre Mannschaft haben durch verschiedene Erfolge eine Menge von Prämien eingeheimst. Wie erfolgt die Bezahlung?« Cliff antwortete: »Gerade unter Raumfahrern ist die Hoffnung eine weitverbreitete Tugend.« Der Sprecher grinste kühl und fragte weiter, während die Kamera wie ein Leopard von Borden's Welt um Cliff herumschlich, seinen Kopf, die Hände oder die Füße filmte. »Die ORION ist Ihr liebstes Fahrzeug, Kommandant?« »Ja«, sagte Cliff ironisch, »ich brauche den Diskus zum Angeben.« Seine Laune wurde etwas besser, als er an das Gelächter dachte, das unter der Crew und einigen Freunden, die in seiner Villa vor dem Videophonschirm saßen, ausbrechen würde. Daraufhin lächelte er den Sprecher gewinnend an und fragte seinerseits: »Sie wollen doch sicher fragen, ob sich bei meiner Crew und mir noch immer keine Weltraummüdigkeit breitgemacht hat?« Der Sprecher musterte die Projektion der Raumkugel und nickte kurz. »Das etwa sollte meine nächste Frage werden. Sind Sie weltallmüde, Kommandant?« Cliff antwortete mit einer Gegenfrage. »Erkundigen Sie sich bei einem Fisch, ob er des ewigen Schwimmens müde wird?« »Nein. Dazu kommt, daß Fische nicht sehr gesprächig sind.« –7–
»Etwa so wie Raumfahrer«, konterte Cliff. »Wir sind nicht müde. Dazu kommt, gerade in der letzten Zeit, eine Herausforderung persönlicher Natur. Simer weiß sich von mir gejagt, und der letzte Unsterbliche wird zuschlagen, wo immer er kann. Hier ist ein machtpolitisches Moment in eine private Ebene gehoben worden.« »Zu Ihrer Freude?« »Nicht unbedingt. Ich würde mich lieber mit Tyrannosauriern herumschlagen als mit Fernsehreportern, Vorgesetzten oder Unsterblichen. Arbeit ist jedenfalls alles, Spaß ist auch überall dabei. Man darf nur bei allem einen Punkt nicht übersehen.« Cliffs Kopf erschien groß und plastisch auf dem Videophonschirm.
Auf Millionen Schirmen...
»Welchen Punkt, Kommandant?«
»Man sollte sich bemühen, allen Dingen den nötigen Ernst abzusprechen. Alles ist
eine vergängliche Sache. Eine Fernsehsendung, ein Ministerposten oder ein dahinrasendes Raumschiff sollten stets mit der gleichen Menge von Ironie betrachtet werden.« Der Sprecher wiegte beeindruckt seinen Kopf und sagte:
»Das ist, wie mir scheint, nicht immer ganz einfach.«
»Nein, aber stets sehr heilsam«, sagte Cliff. »Nur verstehen es die wenigsten.
Trotz der kulturellen Leistungen von Shaw, Wilde, Heine und Yask-Mettard. Falls Ihnen die Namen etwas sagen.« »Durchaus«, sagte der Sprecher. »Besonders der letzte.« Dann machte er eine Pause. Cliff wußte, daß hinter diesem anscheinend harmlosen Geplänkel mehr lag. E r war sicher, daß der Gejagte, der allzu leicht zu einem Jäger werden konnte, sein Gesicht auf dem Schirm betrachtete: Simer, der Unsterbliche. Jede Information, die Cliff hier gab, konnte den Gegner zu einer Reaktion zwingen. Er lauerte förmlich auf die nächste Frage des Interviewers, denn er sah das Ende der Sendezeit kommen. »Wie stehen Sie zu Simer, Kommandant?« fragte der Sprecher behutsam. »Ich habe ihn mehrmals getroffen... nein, getroffen ist nicht das richtige Wort dafür. Ich habe ihn mehrmals gesehen. Und jetzt, da Yester Ek Gryffhagn sich freiwillig in psychiatrische Behandlung begeben hat, ist nur noch Simer übrig. E r hat sich zu meinem Gegner gemacht, obwohl ich noch immer verhandlungsbereit bin.« Skeptisch fragte McLanes Gegenüber:
»Überschätzen Sie Ihre Bedeutung nicht etwas, Kommandant?«
»Nein«, sagte Cliff. »Seit mehreren Monaten stoße ich sporadisch immer wieder
auf den letzten Unsterblichen, beziehungsweise seinen durch Freitod geendeten Partner. Ich bin der einzige Mensch, der ihn kennt, der seine Reaktionen besser kennt als viele andere. Und zusammen mit meiner Freundin Ishmee, die schwach telepathisch veranlagt ist, haben nur wir von der ORION VIII die größte Menge von Informationen über Simer. Wir sind leider Gegner geworden.« »Sie wissen, daß die Flotte die HYDRA II sucht, mit der Simer geflohen ist?«
Cliff senkte den Kopf.
»Ja. Aber die Flotte wird ihn nur durch Zufall finden. Ich aber ahne den
Planeten, auf den sich der Unsterbliche geflüchtet hat.« »Captain Borden's World?« –8–
»Nein«, erwiderte Cliff. »Nicht der hohle Berg. Ein anderer Planet.« Der Sprecher stand auf und sah nachdenklich auf die Projektion, vor der sich die beiden kleinen Schiffsmodelle drehten. »Eine abschließende Frage, Cliff McLane. Unsere Sendezeit geht zu Ende. Was, denken Sie, wird Terra gegen seinen hartnäckigsten, gefährlichsten und raffiniertesten Gegner unternehmen?« Cliff zuckte mit den Schultern und erwiderte zögernd: »Das hängt von zwei Faktoren ab.« »Von welchen?« »Einer der beiden Gegner in diesem kosmischen Spiel muß den ersten Zug machen. Die Natur dieser Aktion wird entscheidend sein für den Kampf zwischen Simer und...« Der Sprecher fragte: »Und Ihnen?« »Wahrscheinlich«, schloß Cliff. Die beiden Männer schüttelten sich kurz die Hände, dann blendete die Kamera Cliffs Kopf auf die ORION vor der Kugelprojektion. Einige Takte elektronischer Musik waren zu hören, dann das Thema der Sendung, das Tomas Peter komponiert hatte. Ein anderes Studio übernahm die nächste Sendung, und nebeneinander gingen Cliff und sein Interviewer aus dem kleinen Raum zwischen den Kameras hindurch und hinaus auf einen Korridor. »Sie haben mir einige Pointen verdorben«, sagte der Sprecher. »Aber ich gebe zu, daß meine Fragen etwas impertinent waren.« Cliff grinste und sagte: »Es ist reichlich kompliziert, einem Menschen zu glauben, wenn man genau weiß, daß man an seiner Stelle lügen würde. Das war Ihr Problem, nicht meines. Es freut mich indes, daß wir uns nicht an die Gurgel gefahren sind.« Der Sprecher grinste säuerlich und antwortete: »Wir haben ein Interview gefahren, keinen Kriegsbericht. Sie haben eine Party in Ihrem Bungalow?« »Ja. Möchten Sie nachkommen?« »Wenn ich nicht festgehalten werde, gern. Ihre Adresse habe ich ja.« »Gut, kommen Sie – aber erschrecken Sie nicht. Es sind fast lauter Raumfahrer. Und wenn Sie eine Kamera mitbringen, wird die Crew Sie in den Swimming-pool werfen.« Sie grinsten sich kurz an, und Cliff verließ den Sendekomplex. * Der schwere Turbinenwagen brachte ihn bis vor sein Haus. Er stieg aus, programmierte durch Knopfdruck den Robot um und sah den großen Rücklichtern nach. Dann ging er den schmalen Weg zur Eingangstür entlang, öffnete sie und hörte bereits den Lärm der Gesellschaft. Die Tür stand offen, und Cliff lehnte sich gegen den breiten Metallrahmen. Im Park war ein fremder, ungewohnter Geruch. Cliff zog die Luft lange durch die Nase, schnupperte und kniff mißtrauisch die Augen zusammen. – 9 –
»Was ist das?« fragte er murmelnd. Irgendwoher kannte er diesen Geruch. Stechend etwas und fremd, tierhaft... es war noch nicht lange her, da hatte er diesen Geruch wahrgenommen. Er drehte sich um, als er die Stimme hörte. »Zurück, du ironischer Raumheld?« Es war Ishmee, deren Silhouette sich weich gegen das Licht der Räume abhob. Das Mädchen spürte die unruhigen Gedanken Cliffs und fragte leise, während sie ihn mit sich zog: »Schon wieder unruhig, Cliff, oder noch immer?« Er küßte sie auf die Wange und knurrte: »Schon wieder. Dieser Interviewer hat den gleichen Fehler wie alle seine Berufskollegen. Die Welt sieht stets so aus, wie er sie sieht. Und ich habe einige Dinge gesagt, die einigen Menschen nicht passen werden – aber schließlich ist die Sendung vorbei, und nur noch ein dünnes Echo klingt nach. Nein. Mein Argwohn ist neu. Hier im Garten herrscht ein fremder, aufregender Geruch, und ich weiß nicht, wo ich ihn kennengelernt habe.« Ishmee erwiderte weich: »Du wirst später daraufkommen. Alle unsere heben Freunde sind gekommen und trinken deine Vorräte leer.« Cliff deklamierte, während sich die schwere Tür hinter ihm schloß: »Der Whisky scheint der Sprudel der Raumfahrer zu sein, so wie der Kaviar das Brot von Ministern und Raummarschällen ist. Ich werde von Wamsler Spesen verlangen!« Der riesige Wohnraum hallte wieder von Wamslers dröhnendem Lachen. Cliff legte seinen Arm um Ishmees Schultern und kam fast unbemerkt bis in die Mitte der fröhlichen Runde. Der Videophonschirm war abgeschaltet, die Stimmung war ausgelassen, und der Alkoholverbrauch groß. »Es ist wirklich oft sehr schwer, Ihren ironischen Sprüchen zu folgen«, sagte Wamsler nach dem Händedruck. »Aber grundsätzlich ist richtig, was Sie gesagt haben.« Cliff winkte Atan, Helga, Hasso und Mario zu und fragte zurück: »Haben sich in der Sache des Unsterblichen schon neue Aspekte ergeben, Marschall Wamsler?« »Nein, noch keine. Wir sind eben noch dabei, alles zu katalogisieren, sämtliche Aussagen auf einen Nenner zu bringen, die ganzen Vorgänge um den stählernen Turm zu rekonstruieren. Das war eine Aktion ganz nach meinem Sinn!« Helga Legrelle fragte: »Auch die Flucht Simers mit der HYDRA II?« Wamsler überlegte eine Weile und antwortete laut: »Die natürlich nicht. Das war eine bedauerliche Panne. Schließlich hätte Cliff mit seinen Riesenkräften den Diskus ja anhalten können!« Ishmee sagte in das Schweigen, das dem Gelächter folgte, mit ruhiger Stimme: »Ich ertappe Sie immer wieder bei Lügen, Marschall – Sie wollten sagen, daß Sie trotz der negativen Lage, in die sich die Erde manövriert findet, die Flucht des Aashap bewundern. Ihnen als Militär imponiert die Frechheit, mitten aus einem Sicherheitskordon heraus mit einem der schnellsten und besten Schiffe der Flotte zu starten!« – 10 –
Beschämt senkte der Marschall den Kopf und murmelte: »Heutzutage machen schon drei Lügen und zwei Pointen aus einem Raummarschall eine Witzfigur. Wie soll das enden?« Mario de Monti, der dicht hinter der Chefstewardeß Laahti saß, genauer: auf der Lehne ihres Sessels, meinte laut: »Böse, Marschall... sehr böse!« Cliff wurde wieder an den strengen Geruch erinnert. Er nahm aus den Greifern des Barrobots ein gefülltes Glas, hielt es unter den Stutzen des Eisautomaten und wartete auf das Klicken gegen die Glaswand, dann trank er einen Schluck. Seine unterdrückte Unsicherheit und Furcht schwanden nach wenigen Sekunden, und e r musterte die Versammelten. »Ihr benützt meine Möbel, ihr trinkt aus meinen Vorräten, und durch die Küchentür sehe ich das kalte Büfett, das gerade konstruiert wird. Ihr schleppt eure Freundinnen mit euch, werdet sicher stockbetrunken in den Pool fallen... was bekomme eigentlich ich dafür?« Ingrid Sigbjörnson, Hassos Frau, meinte etwas spitz: »Sie erhalten gratis die Freundschaft aller Ihrer Gäste, Kommandant. Ist das etwa nichts?« Cliff erwiderte ernst: »Das ist sehr viel. Aber ich weiß recht, ob ich im Moment so viele Freunde brauche. Sehen Sie... ich bin nicht mehr der Jüngste; schon über sechsunddreißig und etwas ergraut, dafür aber gereift. Ich brauche viel Schlaf und viel Zeit zum Denken. Und ehe ich mich aufmache, um schnell durch den unendlichen Kosmos zu rasen und den Unsterblichen in der HYDRA aufzuspüren, zusammen mit meiner hervorragenden Mannschaft... also vorher brauche ich viel Ruhe.« Wamsler sagte ungerührt: »Bevor wir Ihnen den Starttermin geben, werden Sie noch genügend Zeit dazu haben, die Spuren dieses Abends zu beseitigen.« Cliff grinste und sagte: »Hoffentlich.« Wamsler hatte prophetische Worte geäußert; aber nicht einmal die kühnste Phantasie hätte den Abschluß des Abends voraussehen können. Zuerst suchte Ishmee ein Musikprogramm aus, das über die Lautsprecher abgestrahlt wurde. Dann verteilten sich die rund zwanzig Gäste in kleinen Gruppen durch die Villa, bewunderten Cliffs moderne Jet-Set-Polstermöbel, seine modernen Skulpturen, darunter ein altes Stück aus den vergangenen 70er Jahren: Andy Warhols: Würfelförmige Galaxis. Getränke flossen reichlich, das kalte Büfett wurde geplündert, niemand fiel in den Swimming-pool, und die Stimmung wurde immer besser. Wamsler erzählte alte Raumfahrerwitze, und Mario de Monti berichtete erstaunliche Dinge aus seiner Jugend; er schien ein merkwürdiges Kind gewesen zu sein. Laahti war hingerissen. Cliff weniger; er hatte die Erstfassungen dieser Geschichte vor rund einem Jahrzehnt gekannt, als sie noch nette, kleine Begebenheiten waren – jetzt verwandelte sie der Erste Offizier in abendfüllende Programme. Schließlich, nachdem auch noch der Fernsehsprecher ein Mädchen, viele Drinks und herzliche Aufnahme gefunden hatte, sah Cliff auf die kleine Digitaluhr. – 11 –
»Es ist spät, Freunde. Vielmehr früh.« Skuard nickte; er war ziemlich nüchtern und schien seine Schwester, die hier die teils angenehmen Pflichten der Gastgeberin übernommen hatte, ehrlich zu bemitleiden. »Wir gehen!« verkündete er laut. Er redete auf eine der Technikerinnen ein; eine äußerst emanzipierte junge Frau, von der er aber nicht wußte, ob diese Selbständigkeit in Denken und Handeln echt oder gespielt war. Schließlich entschloß sie sich, sich von ihm heimbegleiten zu lassen. Das Aufbrechen des ersten Paares wirkte wie ein Signal. Binnen zwanzig Minuten war die Villa geräumt, und nur noch Cliff und Ishmee standen inmitten der Hinterlassenschaften. »Nett haben Sie es hier, McLane!« sagte Ishmee etwas verbittert. Gläser in den verschiedensten Stadien des Gefülltseins standen herum, kleines Gebäck, Reste von Toast, Teller und Bestecke, ein Handschuh, rätselhafterweise eine Gasdruckwaffe, einige Lesewürfel, ein Schal, ein Damenschuh... Cliff schüttelte den Kopf. »Mein Problem ist es nicht, aber was wird die Elektronik eines Reinigungsrobots denken, wenn sie entscheiden soll, was sie mit einem Damenschuh anfangen soll?« Ishmee lächelte ihn schmelzend an. »Auch mein Problem ist anders«, sagte sie. »Ich sehne mich direkt danach, am Rand deines harten Lagers zu sitzen und über Seneca oder einen Quizmaster zu diskutieren.« Cliff küßte sie auf den Mund. »Genau das beabsichtige ich zu tun«, versprach er. Nacheinander gingen die Lichter aus, die Musik verstummte, und ein Raum nach dem anderen lag in Ruhe und Dunkelheit da. Die breiten Türen zum Park, auf der Seite des Pools, waren weit offen; die kühle Nachtluft kam herein. Mit ihr der fremde Geruch. Und genau zehn Minuten später, eben, als Cliff das breite Schloß des magnetischen Gürtels berührte, um es zu öffnen, erinnerte er sich blitzartig. »Dieser Geruch... ich kenne ihn!« murmelte er. Dann schrie er laut. »Ishmee!« Sie antwortete aus dem kleinen Umkleideraum, der neben dem Schlafzimmer lag. »Cliff!« Er brüllte: »Bleib, wo du bist, und besorge dir eine Waffe. Das ist kein Spaß!« Er roch den Raubtiergeruch der mutierten Leoparden von Borden's Welt. E r verließ das Bad im Laufschritt, raste den kurzen Korridor entlang und bog, sich mit einer Hand anklammernd, um die Säule hinein in den Wohnraum. Mondlicht. Dunkelheit. Ein heiseres Röcheln und einige Augenpaare, die in dem schwachen Glanz schimmerten, der durch die runde Öffnung der Decke herunterstrahlte. »Leoparden... wie kommen sie...?« flüsterte Cliff. Für eine lange Sekunde war er wie gelähmt. Wieder schien nicht er, sondern Ishmee das Ziel des Angriffs zu sein. Während Cliff auf den Tisch zuraste, auf dem die Gasdruckwaffe seiner Meinung nach liegen mußte, sprang das erste Tier los. Es federte über den grasähnlichen, – 12 –
tiefen Bodenbelag Cliff entgegen und fauchte heiser. Dann traf den Kommandanten der wuchtige Rammstoß einer Schulter. Cliff stieß sich ab, rollte sich zusammen und kugelte über den Boden. Ein zweiter Leopard sprang aus der Dunkelheit auf ihn zu und blieb dicht über ihm stehen. Cliff atmete flach, dann versuchte er, sich aufzurichten. Das Tier blieb immer in derselben Entfernung von ihm, machte aber keine Anstalten, anzugreifen. Noch nicht. Während Cliff sich mühsam aufrichtete; er bewegte sich nur unmerklich, Millimeter um Millimeter, sah er, daß sich insgesamt vier Leoparden in seinem Wohnraum befanden. Eines der Tiere hielt ihn in Schach, die anderen drei kamen jetzt aus der Richtung der offenen Verbindungstür zum Garten herein. Sie suchten etwas. Sie beachteten ihn nicht, sondern strichen unruhig herum. Cliff spürte, wie sich die feinen Härchen an seinen Oberarmen aufrichteten. Cliff rief. »Ishmee! Sämtliche Türen zu!« Ihre Stimme wurde undeutlich, nachdem sich zwischen ihr und Cliff eine Tür geschlossen hatte. »Verstanden. Ich habe keine Waffe gefunden!!« »Verdammt!« knirschte Cliff. Er stand jetzt fast gerade. Noch immer sah ihn ein Leopard an, mit großen, leuchtenden Augen. Das Tier riß den Rachen auf, ein durchdringender Geruch schlug Cliff entgegen. Das weißgoldene Fell bildete den einzigen hellen Fleck innerhalb des halben Dunkels im Wohnraum. Die drei anderen Leoparden verteilten sich, einer lief in die Küche hinein, der andere in einen Nebenraum, der dritte suchte das Bad heim. Flaschen und Toilettenartikel polterten und fielen. Cliff streckte langsam die Hand aus und versuchte, in die Nähe der liegengelassenen Gasdruckwaffe zu kommen. Jetzt hatten zwei Leoparden die Spur gefunden. Sie liefen durch den Wohnraum zurück, die Nasen am Bodenteppich. Sie rasten durch das erleuchtete Schlafzimmer, und Cliff sah auf dem gelben Lichtviereck am Boden die Silhouetten und Schatten der Tiere. Sie entdeckten die Tür zu dem Umkleidezimmer, hielten kurz an, dann warfen sie sich dagegen. Ein dunkles Knurren wurde laut. Die mutierten Leoparden des Planeten hatten noch immer den unversöhnlichen Haß auf die Turceed in sich. Ishmee war eine Turceed, und sie starb, wenn es Cliff nicht gelang, die Waffe in die Finger zu bekommen. Er mußte sie noch aus der Hülle ziehen und entsichern, und es war fraglich, ob sie überhaupt geladen war. »Ich brauche nur vier Schüsse!« murmelte er und bewegte den Arm. Während der vierte Leopard quer durch den Raum hetzte und sich am Ansturm auf die Tür beteiligte, duckte sich das Tier, das Cliff bewachte. Cliff fuhr mit der flachen Hand suchend über die Tischplatte. Er stieß ein Glas um, es begann zu rollen und fiel dicht vor der Schnauze des Leoparden zu Boden. Der Geruch verschütteten Alkohols schien das Tier zu irritieren. Es schüttelte den Kopf und machte einen Satz, der es an die andere Seite von Cliff brachte. Cliff grinste kühl und stieß mit der Hand gegen das zweite Glas. Es war halbvoll.
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Er umschloß das Glas, nahm seinen Arm zurück und hob ihn an. Dann zielte er sorgfältig, sah dem Leoparden in die großen Augen und holte aus. Mit einer blitzschnellen Bewegung riß er den Arm nach vorn, drehte das Handgelenk und schüttete einen Achter Liter Alkohol in Augen, Nüstern und Rachen des Leoparden. Gleichzeitig schwang er sich auf den Tisch, riß Geschirr, Gläser und Essensreste mit sich und warf sich nach vorn. Seine Hände umklammerten die Gasdruckwaffe. Hinter ihm fauchte der Leopard. Er steckte den Kopf zwischen die Vorderpranken, rieb und nieste. Cliff schlug die Hülle zurück, kontrollierte in der Dunkelheit Magazin und Gasdruck und sah, daß das Magazin noch teilweise gefüllt war. Er stand auf, stand jetzt auf dem Tisch. Der Leopard konnte anscheinend wieder sehen, sprang vorwärts und verschwand unter dem Tisch. Dann fühlte der Kommandant, wie sich der Tisch schaukelnd hob, und das Tier fauchte wütend auf. Cliff balancierte etwas, hörte die Geräusche von rutschenden Gläsern, das Klirren von Scherben und von rechts die dumpfen Stöße, mit denen sich drei Leoparden gegen eine Leichtmetalltür warfen. Dahinter stand Ishmee. Cliff schüttelte den Kopf, sprang mit einem riesigen Satz nach links vom Tisch und duckte sich. Dann feuerte er dreimal unter den Tisch, und der Schrei der Großkatze bewies ihm, daß er getroffen hatte. Der Tisch kippte, die Beine schlugen schwer auf, dann kamen die Geräusche, mit denen die Katze zusammenbrach. Cliff drehte sich wachsam um, stürmte bis zu dem Lichtviereck und blickte in den Schlafraum hinein. Die Tiere waren rasend. Sie schrien nicht, nur hin und wieder kam ein heiseres Grollen aus ihren Kehlen. Cliff versuchte, das Bild der durcheinanderwirbelnden Körper zu entwirren, aber die Bewegungen waren zu schnell. Er legte den Unterarm an den Türrahmen, zielte sorgfältig und schoß. Mitten in einem wütenden Sprung verließ alle Kraft eines der Tiere. Es sackte zusammen und prallte auf die anderen beiden. Die Leoparden schüttelten die Last ab, federten zurück und sprangen erneut vor. Wieder knirschten die Führungsschienen der Tür, wieder knisterte der Schloßmechanismus, wieder bekam die Leichtmetallplatte eine neue, größere Beule. Cliff zielte, schoß. Das dritte Tier wurde bewußtlos geschossen, blieb ausgestreckt dicht vor der Tür liegen, die Vorderläufe in einem merkwürdigen Winkel abgespreizt. »Cliff!« rief Ishmee. Cliff schoß wieder; es gab nur ein langes, fauchendes Geräusch. Das Nadelmagazin war leer. Nur noch die Gasdruckpatrone arbeitete, aber die drei Schüsse unterhalb des Tisches hatten ihn die letzte Chance gekostet. Cliff holte aus und warf die leere Waffe gegen den Leoparden, dann rief er zurück: »Keine Angst. Es ist gleich vorbei. Drei von vier sind bewußtlos!« Schweigen. Was tun? Cliff erkannte, daß das Tier nicht abließ, seinen unbewußten Auftrag zu erfüllen. Es lief einige Meter zurück, duckte sich zum Sprung und warf sich gegen die Tür. – 14 –
Sie knirschte und bebte in allen Verstrebungen. Das Schloß krachte kurz, und die nächsten Sprünge würden die Tür zerstören, die Zuhaltungen aufbrechen. Cliff drehte sich um, lief zurück in den Wohnraum und trat auf Scherben. Ihm war seine Waffensammlung eingefallen. Er sprang hoch und riß eine zweischneidige, antike Kampfaxt aus den Halterungen. Er wußte, daß dies eine äußerst wertvolle und stilechte Nachbildung einer Waffe aus dem terranischen Mittelalter war. Keuchend lief er wieder zurück in den Schlafraum, stieß einen wilden Schrei aus und griff den Leoparden an, der sich umgedreht hatte und zu einem neuen Sprung ansetzte. »Ich bin hier, Ishmee!« rief Cliff. »Was ist los?« »Später!« rief er und schwang die Axt in einem Halbkreis. Der Leopard wurde von einer Schneide an der Schulter getroffen; ein blutender Schnitt zog sich durch das weiße Fell mit den goldenen Mustern. Heiser schrie die Wildkatze auf, warf sich herum und griff Cliff an. Cliff rettete sich auf das Bett, federte mehrmals auf und nieder, wich einem Prankenhieb aus und brachte dem Leoparden eine weitere Wunde bei. Das Krachen, mit denen Möbel umstürzten, Schirme zerbrachen und Beleuchtungskörper aus den Wänden gerissen wurden, vermischte sich mit dem wilden Fauchen und Knurren des Tieres. Der Leopard warf sich über das Bett, die Krallen verkrampften sich in einem Bezugsstoff, und Cliff zielte genau. Wieder bäumte sich der Leopard im letzten Moment auf, und der wuchtige Hieb, der ihm den Schädel hätte zerschmettern können, streifte nur die Schulter. Das Tier war halb besinnungslos vor Wut und Schmerzen und griff an wie ein Rasender. Cliff sprang vom Bett zurück auf den Boden, brachte einen schweren, lederüberzogenen Drehsessel zwischen sich und die Großkatze, holte aus und hob die Axt über den Kopf. Wie ein weißgoldener Blitz sprang der Leopard in einer leicht gekrümmten Flugbahn vom Bett über den Sessel und auf Cliff zu. Cliff ließ die Axt niedersausen. Sie traf mitten in den Schädel des Tieres, spaltete ihn halb. Das Wimmern, mit dem der Leopard zusammenbrach, ließ Cliff das Blut in den Adern stocken. Der schwere Sessel kippte um, und das Blut breitete sich aus. Cliff holte tief Atem, wischte den Schweiß von der Stirn und wußte, daß er nur sehr knapp eine Tragödie verhindert hatte. Die Ruhe, das Schweigen... sie waren betäubend. Die Stimme von Ishmee war unsicher, als sie fragte: »Was ist los, Cliff? Ich fühle, daß du lebst, aber...?« Er sagte mit erzwungener Ruhe: »Ja. Einen Moment. Ich muß erst wieder meine zitternden Knie unter Kontrolle bringen.« Dann, einige Sekunden später, ging er quer durch das verwüstete Schlafzimmer auf die halb zertrümmerte Tür zu, führte einige scharfe Hiebe gegen den Schloßmechanismus und riß schließlich die Leichtmetallplatte zur Seite. Ishmee stand vor ihm, gegen die Wand gelehnt, in einem hastig übergeworfenen Schlafmantel. Sie lief auf ihn zu, sah im letzten Augenblick das blutige Beil und die
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Blutspritzer auf seinem nackten Oberkörper und der hellen Hose und erschrak ein drittesmal. »Was...?« stammelte sie. »Ich habe einen antiken Kampf geliefert. Noch immer ganz gut in Form, junge Frau. Das Schlafzimmer weniger«, sagte er heiser. Er ließ die Axt achtlos fallen, und sie bohrte sich in den wertvollen Holzboden. Dann hielt er Ishmee fest, die jetzt zu zittern begann. Nach einer Weile fragte sie leise: »Was war eigentlich los? Woher kommen diese Tiere?« Cliff führte sie langsam, seinen Arm um ihre Hüften gelegt, in einen anderen Teil des Hauses, der von den Tieren und den Verwüstungen des Kampfes verschont geblieben war und sagte fast ruhig: »Unser spezieller Freund Simer hat zugeschlagen. Ich weiß nicht, wie er es geschafft hat, aber er deponierte in den Park vier Leoparden von Borden's Welt. Sie griffen an, sobald sich die Abendgesellschaft entfernt hatte. Das war – sicher hat Simer das einkalkuliert – ein Zeichen, denn er konnte sich ausrechnen, daß die Tiere zuerst dich angreifen und töten würden, nicht mich. Wir haben ein geradezu unverschämtes Glück gehabt.« Er verschwieg ihr die Geschichte mit der leergeschossenen Gasdruckwaffe und dem Axtkampf absichtlich; sie würde es noch früh genug erfahren. »Was wirst du jetzt unternehmen?« fragte sie leise. Cliff nickte grimmig und erwiderte: »Zuerst einen mächtigen Drink nehmen, dann sehen wir weiter.« Er holte aus seinen verborgenen Vorräten, die sich in seinem Arbeitszimmer befanden, die unwiderruflich letzte Flasche Archer's tears hervor, entkorkte sie und füllte zwei Cognacschwenker damit bis zur Hälfte. Cliff ging zurück ins Wohnzimmer, nachdem er sein Glas geleert hatte. Er blieb vor dem Videophonschirm stehen. Die Vermittlung sagte ihm die Nummer des Fernsehstudios, und Cliff wartete, bis sich der Schirm erhellte. Das Mädchen von der Studiovermittlung war zu sehen, und sie runzelte die Stirn, als sie Cliff sah. Er machte wirklich den Eindruck, als wäre er in einer Drehpause eines Gladiatorenfilms vor die Linsen getreten. »Mein Name ist Cliff McLane«, sagte der Kommandant. »Sie haben doch sicher einen Aufnahmewagen frei, der im Falle plötzlich auftretender Sensationen einsatzbereit ist?« Das Mädchen nickte höflich und antwortete: »Hat es etwas mit Ihrer Aufnahme von heute, Verzeihung, gestern abend zu tun?« Cliff nickte zustimmend. »Ja. Und ferner mit drei bewußtlosen und einem toten Leoparden, einem Axtkampf und einem verwüsteten Haus eines Raumschiffkommandanten. Kommen Sie bitte schnell, bevor ich die Tiere entfernen lasse – nicht ganz das Passende für unseren Haushalt.« Das Mädchen erwiderte, von der Sensation plötzlich alarmiert: »Ich schicke Ihnen das Team ins Haus. Es wird etwa eine Viertelstunde dauern, Kommandant.« »Danke!« sagte Cliff nachdrücklich.
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Dann lehnte er sich unterhalb seiner Waffensammlung an die Wand des Wohnraums und sah lange die Szene der Verwüstung um sich an. Die Gläser, die Scherben, die umgestürzten Sessel und der leblose Leopard waren mehr als nur ein Zeichen, mehr als nur ein Schachzug gewesen. Der erste Zug in dem komischen Spiel zwischen Cliff McLane und dem Mann aus der Vergangenheit, Simer, dem Unsterblichen, hatte sich als ein klarer Versuch des Doppelmordes erwiesen. Dann kam das Fernsehteam.
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Und genau neunzig Minuten später war die Hölle los. Während der lokale Sender sein langweiliges Spätprogramm für Intellektuelle und Nachtarbeiter unterbrach, hatte Cliff Wamsler und Villa alarmiert. Sie waren zwar unausgeschlafen gewesen, kamen aber dennoch mit ihren Teams. Der Wohnraum füllte sich wieder, und Cliff ließ die Tiere von seinen Robotern hinausschaffen. Einer der Fernsehleute, die noch die Ankunft des Raummarschalls und des GSDChefs gefilmt hatten, wandte sich an Cliff. »Wir sind eben vom Studio verständigt worden, Kommandant. Die Herkunft der Leoparden ist geklärt.« Cliff runzelte die Stirn. »Ich höre!« sagte er und winkte Villa und Wamsler. »Wir erhielten einen Anruf vom Zoo der Insel Groote Eylandt. Dort sind heute abend um etwa zehn Uhr... so genau läßt es sich nicht mehr ermitteln... vier Leoparden aus dem riesigen Freigehege entwichen. Wie es geschehen konnte, wird im Moment noch untersucht. Wir sollten eine Such- und Warnmeldung durchgeben.« Wamsler fragte mit rauher, verschlafener Stimme: »Haben Sie?« Ohne besonderen Respekt antwortete der Kameramann: »Nein. Selbst bei uns wird gedacht, auch wenn man das aus unseren Programmen angeblich kaum entnehmen kann. Wir zählten die vier entlaufenen Tiere und die vier hier befindlichen zusammen, und, siehe da, wir konnten herausbekommen, daß die Sache irgendwie zusammenhängt.« Ishmee blieb neben Cliff stehen. Sie trug wieder einen Hosenanzug und stand noch sichtlich unter dem Einfluß des Schreckens. »Kommen die Zoo-Leute?« Der Kameramann hob sein Gerät, aber Cliff drückte die Linsen energisch nach unten. »Meine Intimsphäre«, sagte er hart. »Was ist mit den Zoo-Leuten?« »Wir haben sie gebeten, die drei bewußtlosen und das eine getötete Tier abzuholen. Sie sind schon auf dem Weg.« Oberst Villa meinte: »Was werden sie mit dem Leoparden machen, dem Cliff so gekonnt den Schädel gespalten hat?« Der Kameramann erwiderte: »Verfüttern. An die anderen Leoparden.« Wamsler sagte mit einem makabren Lächeln: »Soll eine Delikatesse sein. Jaguarsteak fand man immerhin einmal auf den Speisekarten terranischer Gastronomiebetriebe. Wir werden Ihnen den Schaden an Ihrer Wohnung natürlich ersetzen, Cliff.« Gedankenlos murmelte der Kommandant: »Das ist nett von Ihnen. Wesentlich wichtiger wäre mir, wenn ich schlafen könnte; vorausgesetzt, es gelingt mir einzuschlafen. Wie Simer die Leoparden hierher geschafft hat, das dürfen Sie herausfinden.« – 18 –
Oberst Villa ließ sich einen Stapel photographischer Abzüge aushändigen und versicherte wütend: »Das werden wir herausfinden, Cliff. Jetzt ist es halb fünf nachts – treffen wir uns alle morgen in meinem Büro? Um fünfzehn Uhr?« Wamsler gähnte. »Das halte ich für eine angemessene Zeit. Ja.« »Einverstanden«, sagte Cliff. Die Leute vom Zoo der Insel kamen und schleppten die drei betäubten Leoparden in den Käfigwagen, verstauten das tote Tier in einem kleineren Fahrzeug und fuhren wieder ab, nicht ohne Cliff versichert zu haben, daß sich das Geschehen nicht wiederholen würde. Das Fernsehen filmte auch noch den Abtransport mit der Handkamera und kleinen, tragbaren Scheinwerfern, dann packten die Männer zusammen, diktierten dem Aufnahmemädchen, das sich ständig sehr dekorativ zwischen den Tieren, im Garten oder in Cliffs Wohnung umhergetrieben hatte, einige Daten und schwangen sich in den schweren Wagen. Das Summen der Doppelturbine entfernte sich. Jetzt standen nur noch die Fahrzeuge von Wamsler und Villa vor der langgestreckten, mattleuchtenden Mauer. »Das war ein deutlicher Hinweis«, sagte Villa bitter und deutete auf die Zerstörung. Mehrere Reinigungsrobots fuhren herum und säuberten den Teppich. Zwei GSD-Männer richteten Stühle und den Tisch auf. »Mehr als das«, knurrte Cliff haßerfüllt. »Eine Kampfansage. Ich nehme den Handschuh auf.« Wamsler versicherte: »Mit unserer Unterstützung, mein Junge. Denken Sie noch immer an Arys IV?« »Ja«, sagte Cliff. »Es ist meiner Meinung nach die letzte Möglichkeit für Simer, nicht gefangen zu werden. Schließlich ist selbst die HYDRA II nicht unzerstörbar.« Wamsler sprach nichts weiter und streckte Cliff seine Pranke entgegen. »Bis morgen, mein Junge!« »Bis morgen«, sagte Cliff. »Verständigen Sie bitte die Crew und Skuard. Und ich möchte diesen jungen Archäologen Rettir dabei haben.« Villa legte seine Hand kurz auf Cliffs Schulter und sagte mit seiner schneidenden, kühlen Stimme: »Ich habe berechtigte Hoffnung, daß diese letzte Drohung noch im Laufe dieses Monats von der Erde genommen werden kann. Wir schreiben heute den Dritten – also noch achtundzwanzig Tage.« Cliff konnte vor Müdigkeit beinahe die Augen nicht mehr offenhalten und murmelte: »Das alles wird morgen besprochen werden. Danke.« Die Männer der Terranischen Raumaufklärungsverbände und des Galaktischen Sicherheitsdienstes verließen das Haus. Ishmee und Cliff waren mit einer Horde brummender und umherfahrender Robots allein, und es stank noch immer nach Raubtieren und nach eintrocknendem Blut. »Ich bin ein Mensch von unfaßbarer Tapferkeit«, murmelte Cliff, »aber ich werde trotzdem nicht im Schlafzimmer schlafen.« Ishmee lehnte sich schwer gegen ihn und seufzte: »Ich auch nicht.« – 19 –
Cliff schleppte eine Liege zu der Schlafgelegenheit seines Arbeitszimmers und schloß dann, bis auf schmale Schlitze in Rolläden und Türen, sämtliche Öffnungen des Hauses. Schließlich, gegen sechs Uhr morgens, fiel er in einen bleiernen Schlaf. Er wälzte sich unruhig von einer Seite auf die andere, träumte wildes Zeug und erwachte gegen Mittag, schweißgebadet und vollkommen erschöpft. Zur Sitzung kamen er und Ishmee zu spät, und auf ihren Gesichtern sah man die Spuren dieser Nacht. Das, wußte Cliff, war nur der Anfang. * »Arys IV, also der vierte Planet der Sonne Arys, liegt in Zehn/Ost 999. Praktisch an der Grenze. Es ist die letzte Möglichkeit.« Wamsler schaltete kurz, und auf dem riesigen Schirm erschien das Bild des Planeten, ein Kreis von knapp zwei Metern Durchmesser. »Sieht verdammt ungemütlich aus«, kommentierte der Astrogator. »Ja. Und warum soll sich der Unsterbliche ausgerechnet auf dieser wilden, unbewohnbaren Welt verbergen?« Mario de Monti lehnte sich im Sessel zurück, legte die Hände und die Unterarme hart auf die Lehnen und blickte argwöhnisch von Cliff zu Wamsler und vom Raummarschall zurück zu Oberst Villa. »Mehrere Gründe«, erklärte Cliff. »Erstens: Sämtliche Raumschiffe, die zur Zeit innerhalb der Raumkugel unterwegs sind, haben Doppelwachen an den Instrumenten der Raumüberwachung. Das dadurch erfaßte Gebiet ist ziemlich groß. Zweitens: Sämtliche Planeten, die über Systeme zur Raumüberwachung verfügen, halten diese pausenlos eingeschaltet und suchen das eigene System ab. Auch hier würde der Aashap bald entdeckt werden. Die Erde und das Große Schiff sind am stärksten bewacht. Jeder, der den Planeten verläßt oder betritt, wird erfaßt und kontrolliert.« Helga Legrelle hob die Hand und fragte eindringlich: »Das klärt aber noch nicht, warum gerade Arys IV im Gespräch ist. Ich muß gestehen, ich habe von diesem Planeten noch nie etwas gehört, weder im positiven noch im negativen Sinn.« Wamsler deutete auf die Projektion des Planeten. Es war ein Film, und alle Versammelten konnten entdecken, wie sich die Turbulenzen innerhalb der Lufthülle bewegten. Die Unterschiede in Minuten betrugen nur Zentimeter, waren aber deutlich zu erkennen. Eine wilde Welt, die nicht für Menschen gemacht war. »Arys ist der letzte Planet entlang der Geraden. Während es sich bei den bisher kontrollierten und betretenen Welten um Planeten handelte, auf denen die Menschen, die aus dem Großen Schiff abgesetzt wurden, gerade noch leben konnten, ist Arys eine Welt, auf der dies nicht der Fall ist.« »Und dort versteckt sich Simer?« Villa nickte und erklärte mit Bestimmtheit: »Wir haben vier verschiedene Beobachtungen von vier verschiedenen Schiffen erhalten. Diese winzigen Hinweise ließen wir von der Zentralen Rechenanlage hochrechnen, und es ergab sich dieses Ziel. Wir wissen nicht, sondern wir vermuten mit großer Sicherheit.« – 20 –
»Was ist mit den bisher bekannten Planeten?« fragte Cliff vorsichtshalber, obwohl er sich die Antwort denken konnte. »Sie sind inzwischen ausnahmslos von Wachkommandos besetzt worden. Auf einigen sind noch immer die Wissenschaftler stationiert. Die dort vorhandenen GSD-Beamten haben schärfste Anweisungen erhalten.« Oberst Villa nickte. »Was ist mit Terra?« fragte Hasso bohrend. »Kommt nicht in Frage. Die HYDRA wurde nicht gesehen. Wir haben inzwischen herausgefunden, daß einer der Zoowächter eine Marionette war. E r befindet sich, wie Gryffhagn, in entsprechender Behandlung. Er hat die Tiere in den Käfigwagen getrieben und in Cliff McLanes Garten abgeladen.« Mario de Monti witzelte voller Grimm: »Panther in Nachbars Garten. Also war es nicht der Aashap selbst. Wie schade. Ich könnte mir vorstellen, daß eine Jagd kreuz und quer über den Erdball auch nicht ohne Reize wäre.« Cliff räusperte sich, dann blieb sein Blick auf der Projektion des Planeten hängen. »Das bedeutet also, daß acht Leute in der ORION nach dem Unsterblichen suchen.« Wamsler antwortete Cliff: »Ja. Die Crew mit Ishmee, Skuard und Rettir. Die beiden Männer haben sich inzwischen das größte Wissen über den Unsichtbaren erworben. Sie werden Ihnen sicher eine wertvolle Hilfe sein, Cliff.« Cliff nickte. »Wann starten wir?« Wamsler sah auf die Uhr und erwiderte leise: »Im Augenblick sind die Techniker noch dabei, das Schiff zu überprüfen und die Ausrüstung durchzusehen. Ich habe als ersten Termin morgen vormittag zehn Uhr angesetzt. Paßt Ihnen das?« »Ausgezeichnet«, sagte Hasso Sigbjörnson. »Aber anschließend hat die Crew einen ausgedehnten Urlaub verdient, Marschall.« Wamsler breitete beide Hände aus, als wolle er die Crew in die Arme schließen. »Anschließend«, sagte er, »anschließend wird die Raumkugel ruhig sein. Friede wird herrschen. Alle Planeten, die einen Koordinator brauchen, werden mit Menschen von VALKYRIE ausgerüstet sein...« Skuard warf hastig ein: »Aber... das bedeutet, daß die Turceed...?« Wamslers Grinsen war breiter denn je. »Wir haben innerhalb kurzer Zeit beste Erfahrungen im Cullbärg-System machen können. Zwei Gründe waren entscheidend, obwohl mehrere Punkte zusammenwirkten, um uns zu überzeugen. Zuerst die Ehrlichkeit. Ab dem Zeitpunkt, da die beiden Turceed die Administration über dieses System übernehmen, geht alles glatt. Nicht die winzigste Unkorrektheit kam vor, keine einzige Schlamperei, es läuft sozusagen mit maschinenhafter Präzision. Zweitens erfassen die Turceed mit ihrer schwach ausgeprägten telepathischen Gabe die Notwendigkeiten, die Reaktionen der Menschen, die feinen, unaussprechlichen Dinge, die in jeder Verwaltung vorkommen, schnell und in der – 21 –
gesamten Breite. Wir hätten niemanden finden können, der diese Aufgabe besser wahrnimmt. Und dabei arbeiten die zwei Turceed freiwillig und gern. Es sind wirklich Freunde der Menschheit geworden.« Und Oberst Villa ließ sich sogar zu der Feststellung hinreißen: »Schade, daß es nur rund fünftausend sind. Es könnten fünfzig Millionen sein. Dann würde ich mich pensionieren lassen.« »Bleiben Sie uns erhalten!« beschwor ihn Cliff. »Wir fänden niemanden, der uns auf nettere Weise ärgert!« Villa begann breit zu lächeln; es war der Tag der seltsamen Geschehnisse. »Gut«, schloß Cliff. »Ich entnehme der langen Rede, daß es vor dem langen Frieden in der Milchstraße noch ein einziges Hindernis gibt. Die ORION VIII soll diese Mauer einreißen.« Wamsler antwortete laut: »Das wollte ich ausdrücken. Fühlen Sie sich der Aufgabe gewachsen, mein Junge?« Immer, wenn Wamsler »mein Junge« zu Cliff, seinem angeblich besten – und bestschikanierten – Mann sagte, wollte er etwas, das er nicht mit einem einzigen Befehl ausdrücken konnte. Er scheute sich auch wohl, in einem solchen Fall Befehle auszuteilen oder Anordnungen herauszubrüllen. Er dachte aber keinen Augenblick daran, daß Cliff genügend eigenes Interesse an einer heilen Welt besaß, um zu versuchen, die gegenwärtigen Zustände ihr anzunähern. Also bettelte er förmlich den Kommandanten an. »Ich fühle mich dieser und anderen Aufgaben gewachsen«, beruhigte ihn Cliff. »Und meine sieben Freunde hier sicher auch.« »Das ist schön. Sie starten morgen nach Arys IV.« Cliff stand auf und ging auf die Stelle des Tisches zu, an der ein kantig aufgeschichteter Block von Unterlagen neben einem großen Lesewürfel und einigen Kassetten lag. »Ich starte«, versicherte er. »Das sind die Unterlagen über diesen Planeten?« Wamsler nickte. »Kommt«, sagte Cliff zu seinen Freunden. »Gehen wir zu mir, dort gehen wir in uns und beratschlagen, wie wir alles anfangen können.« Sie verabschiedeten sich von Wamsler und Villa und verließen dessen kleines Büro. Nachdem sie die Lichtflutbarriere passiert hatten, wandte sich Hasso an den Kommandanten und sagte laut, daß es alle hören mußten: »Selbst heute noch werden sich immer wieder Eskimos finden, die den Bewohnern des Äquators sagen, was sie gegen die Kälte tun müssen. Als ob wir nicht selbst wüßten, welche Gefahr Simer darstellt.« »Ja«, sagte Cliff. »Es ist für hohe Führungskräfte hin und wieder sehr schwer, sich und anderen zu beweisen, daß sie nicht nur der Ruhe wegen auf ihrem Sessel thronen.« Das Lachen der ORION-Mannschaft klang frei und erleichtert, aber wenn sie an die Aufgabe dachten, die noch vor ihnen lag, dann wurden sie schlagartig ruhig und nachdenklich. Denn es würde ein Spiel auf Leben und Tod werden. * – 22 –
Zehn Tage. Zehnmal vierundzwanzig Stunden lang raste die ORION VIII mit acht Personen an Bord, ausgerüstet mit Zusatz-Energiewürfeln und speziellen Raumanzügen, durch das All. Sie waren aus dem gewaltigen Strudel im Carpentariagolf aufgetaucht, hatten die Erde verlassen und waren von der großen Dunkelheit verschluckt worden, als wären sie ein Staubkorn. Sterne umgaben sie, die fünftausend mit bloßem Auge sichtbaren Sonnen des Himmels. Die Instrumente erst enthüllten das wimmelnde Meer der Sterne. Die winzigen Lichtpunkte waren still, wie Plankton in einem uferlosen, unbewegten Meer. Das All war der Ozean der Zukunft, und die Raumschiffe waren darin wie die verlorenen Nußschalen eines Kolumbus, eines Vasco da Gama oder eines Magellan. Zwar stellte die ORION VIII eines der modernsten technischen Bauwerke dar, aber sie war ebenso klein und unbedeutend in dieser Kugel aus Vakuum, Sternen, Planeten und Monden, Planetoiden und Meteoren. Zehn Tage. Von Terra bis in den Raumkubus Zehn/Ost 999. In diesen mehr als zweihundertzwanzig Stunden wälzten die acht Menschen mehr Probleme als sonst in einem Monat. Sie bemühten sich, sämtliche Informationen zu verwerten und einer einzigen Notwendigkeit unterzuordnen. Sie versuchten, sich in die Gedankengänge eines Mannes hineinzudenken, der unter Umständen das Wissen von zehn Jahrtausenden in sich gespeichert hatte – und den Verstand besaß, dieses Wissen auch anzuwenden. Außerdem besaß er ein wohlausgerüstetes Schiff; das Flaggschiff der Schnellen Raumkreuzer – Lydia van Dykes Schiff. Zehn Tage... »Warum versteckt er sich hier? Hier, an der Grenze des terranischen Einflußbereiches?« fragte Atan Shubashi halblaut. Er saß vor seinen Schirmen. Die ORION bewegte sich durch den Hyperraum. »Weil die Nähe der Erde für ihn gefährlich ist«, sagte Mario. »Schau, Kleiner, vorausgesetzt, du wärest in heißer Liebe zu einer Dame entbrannt...« Skuard brummte: »Zu wem sonst?« Mario ließ sich nicht unterbrechen und redete weiter. »... und diese Dame würde dir, sagen wir einmal... einen Heiratsantrag machen. Was würdest du tun?« Cliffs Grinsen war so breit wie das Instrumentenpaneel. »Mich in große Fernen entfernen«, sagte er. »Siehst du, Kleiner«, rief Mario, »genau das tut Simer auch. Er treibt sich an der Grenze herum und wartet, bis aus der kochenden Suppe ein eßbarer Brei geworden ist.« »Was sucht er auf dieser unbewohnbaren Welt?« murmelte Ishmee. »Hier kann er doch nur im Schutz des Schiffes existieren.« Hasso, der neben Helga am Funkgerät lehnte, warf ein: »Aber auf diese Weise hält er es ein Jahr und länger aus. Die HYDRA ist vollgestopft mit Material und Proviant. Und vielleicht hat er irgendwelche Hinterlassenschaften der Dherrani entdeckt und ist somit wieder mit den technischen Möglichkeiten seiner Rasse ausgerüstet.« – 23 –
»Das wäre die einzige Möglichkeit, die ich gelten lasse«, sagte Cliff nachdenklich. »Helga?« »Ja?« fragte die Funkerin. »Abgesehen davon, daß du bisher außer einigen Küchendiensten die passivste Rolle an Bord gespielt hast, wirst du diese auch weiterhin spielen müssen. Kein Funkverkehr, keine Nachrichten. Vielleicht gelingt es uns, ungeortet diesen Planeten zu umfliegen. Atan – lege einen Kurs fest, der uns mit der Sonne im Rücken an Arys IV heranbringt.« Atan versprach:
»Ich werde mein möglichstes tun, Cliff.«
Langsam begann sich zu der allgemeinen Nervosität auch eine unterschwellige
Spannung auszubreiten. Niemand an Bord blieb davon verschont, je mehr sie sich dem Planetensystem näherten, desto stärker wurden die Gefühle der Unsicherheit, der unterdrückten Furcht. Wieder einmal standen sie einer völlig neuen Situation gegenüber. Aber die sechs Männer und die beiden Mädchen spürten, daß sich eine Entscheidung anbahnte. Cliff drehte sich herum.
»Atan, Mario... wieviel Zeit bis zum Landemanöver?«
Mario sah auf die Anzeige seines schweren Digitalrechners.
»Noch vierzehn Stunden.«
Flow Rettir, der junge Archäologe, trug seit einiger Zeit einen sehr
entschlossenen Gesichtsausdruck. Er schien in das Team hineingewachsen und fühlte sich sichtlich wohl. »Dann werde ich diese unwiderruflich letzte Gelegenheit wahrnehmen und mich aufs Ohr legen. Auf das linke, da schlafe ich besser ein. Vorher werde ich noch etwas von einem der wackeren Vorkämpfer der Männeremanzipation lesen.« Sein spöttischer Blick streifte Cliff, Ishmee und Helga Legrelle.
»Von wem?« erkundigte sich die Funkerin.
»Von Fritz Nietzsche. Zusammen mit Alphonse Donatien, dem wackeren
Marquis, einer der führenden Männer auf diesem Gebiet.« Glücklicherweise war die Crew einigermaßen in der antiken Literatur beschlagen, so daß der Witz sein gebührendes Echo fand. Sie lasen schließlich nicht nur Pieter-Paul Ibsen. Nachdem Rettir die Kommandokanzel verlassen hatte, blieb eine etwas düstere Stimmung zurück. »Es geht um die Entscheidung«, sagte Cliff. »Losen wir es aus, wer die nächsten zwölf Stunden Wache hält.« Helga, Atan und Mario blieben übrig. Ishmee sagte plötzlich: »Solltest du, Liebling, nicht noch in deiner Kabine die letzten Arbeiten über den Planeten durchlesen, bevor du dich dem Schlaf widmest?« Cliff stand auf und maß sie mit einem drohenden Blick. »Ein schönes Weib ist das Paradies der Augen, die Hölle der Seele und das Fegefeuer der Brieftasche«, sagte er. »Und du bist auch noch ein Dorn des Verstandes dazu. Natürlich hast du vollkommen recht.« Er verließ sein Steuerpult, sah sich noch einmal um und arbeitete dann zwei Stunden lang in seiner Kabine. Als er den fremden Planeten so gut zu kennen – 24 –
glaubte wie einige andere, auf denen er sich länger aufgehalten hatte, legte er sich schlafen. Als er aufwachte, war die ORION VIII aus dem Hyperraum geglitten. E r duschte sich und ging hinauf in die Kommandokanzel. Das Bild des Planeten war auf dem Zentralschirm. Plastisch, farbig, drohend... Arys IV. * »Wahnsinn!« flüsterte der Erste Offizier. Er stand da und hatte beide Arme am Rand des runden Zentralschirms aufgestützt. Sie alle kannten die Unterlagen, den genauen Text der Beschreibung des Handbuches und die zahlreichen Photos, die ein Karthographenschiff gemacht hatte. Aber der Unterschied zwischen Theorie und Praxis war dennoch immer wieder verblüffend. »Was möchtest du mit diesem Kraftwort ausdrücken, werter Freund?« fragte Cliff leicht gespannt. »Flogen wir doch schon andere, wildere Planeten an.« »Das schon. Aber inmitten tosender Luftmassen, aufgewühlter Seen und gepeitschter Bäume verbirgt sich Simer, der Unsterbliche.« Helga stellte trocken fest: »Er wird lyrisch! Hilfe.« Rettir sagte laut: »Nichts gegen Lyrik. Es gibt Leute, die damit ihr Leben fristen.« »Für welche Fristen?« »Kurze!« knurrte Hasso. Arys IV schwebte vor ihnen, oder unter ihnen. Und da sie mit der Sonne im Rücken direkt auf den Planeten zusteuerten, war die Kugel plastisch und voll ausgeleuchtet. Die hellbraunen Kontinente lagen schemenhaft unter den wirbelnden, turbulenten Strukturen der Atmosphäre. Das Sonnenlicht brach sich in zahlreichen Reflexen; hin und wieder war die Wolkendecke durchlässig, und die spiegelnden Flächen von kleinen Seen schimmerten in einem merkwürdigen, eisigharten Licht. »Ein faszinierendes Bild, und ein gefährlicher Planet«, sagte Hasso bedächtig. E r verströmte wie immer Ruhe und Gelassenheit, und allein schon der Klang seiner tiefen Stimme wirkte beruhigend. »Und dort müssen wir landen!« stöhnte Cliff. »Das wird ein harter Brocken Arbeit. In hundert Minuten, Freunde.« Langsam, mit einem Zehntel der Lichtgeschwindigkeit, schwang sich die ORION durch das All. Fast bedauernd stellte der junge Rettir fest: »Altertümer werden wir kaum finden können. Entweder sind sie von der aggressiven Luft aufgefressen worden, oder der Sturm hat sie weggeweht.« »Irrtum!« sagte Atan nachdrücklich. »Wie das?« fragte Rettir stirnrunzelnd. Langsam wuchs das Bild auf dem Schirm. Der Astrogator hatte die vielfältigen Linsensysteme, sämtliche Antennen und Ortungsanlagen auf die Scheibe gerichtet und hantierte virtuos an seinen Schaltern und Hebeln.
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»Weil es dort, wie überall, verschiedenwertige Materialien gibt. So, wie der Sturm und die Luft gewisse Steine auf der Erde nicht angreifen können, gibt es dort andere Arten von Mineralien, die der Luft widerstehen können.« »Ich bin eben doch noch kein Raumfahrer!« seufzte der Archäologe. »Dafür weiß ich, welche Geräte im hohlen Berg gefunden worden sind.« »Und außerdem gibt es auf diesem Planeten eine Menge von ruhigen Zonen«, stellte der Astrogator eine Weile später fest. Sie schwebten nur noch eine viertel Astronomische Einheit von Arys IV entfernt und kamen immer näher. Atan zeigte auf seinen Schirm. Dort zeichneten sich Linien und Schatten ab, die nur er allein deuten konnte. Es waren die Projektionen von Strömungsverhältnissen in geringer Höhe. Während sich einzelne Linien verschoben und abrissen, blieben andere konstant. Sie gruppierten sich entlang unsichtbarer Rundungen. »Gebirgstäler, lange Wände, kleine Vertiefungen... überall dort ist es fast windstill«, sagte Atan. »Aber das Echo von Metall habe ich bisher noch nicht entdecken können.« »Das hat Zeit«, sagte Cliff. »Landen wir erst einmal.« Dann machte die ORION einen Satz, stürzte sich in die ersten Spuren der Lufthülle hinein, bohrte sich der Oberfläche dieser fremden, unheilvollen Welt entgegen. Der schwarzhaarige Turceed sah das Bild auf dem Zentralschirm an, dann begannen sich seine Lippen zu bewegen. »... und damit werden wir fahren von Insel zu Insel, zwischen den Sternen, und wir werden mannigfach und zahllos Abenteuer erleben. Und allüberall dorten, wo das Große Schiff landet, hinterlassen wir ein Volk, das sich vermehren soll, auf daß wir herrschen über alles...« Er rezitierte aus dem »Buch« der Turceed, der Aashap, das mit den gemeinsamen Ahnen, den Dherrani, zusammenhing. »Dort lebt nichts mehr!« murmelte Hasso düster. Skuard schüttelte den Kopf. »Ich glaube es auch nicht, Hasso. Diese Welt wird sich Kolonisationsversuchen mit Erfolg entgegengestellt haben.« Jetzt kreischte und heulte die Lufthülle, dichter und dichter werdend, um das Schiff, aber die schwere Isolierung verhinderte das Durchschlagen von Geräuschen. Die Turbulenzen aber erfaßten den Diskus und ließen ihn gefährlich schwanken. Von seinem Schirm herunter erkundigte sich Sigbjörnson vorsichtig: »Schwierigkeiten, Kommandant?« Cliff schüttelte langsam den Kopf. »Nein, Hasso. Alles klar im Maschinenraum?« »Alles klar.« »Kommandant an Raumüberwachung«, sagte Cliff. »Irgendwelche Messungen?« »Keine!« Das Schiff sank tiefer und tiefer. Cliff hantierte geschickt mit den Hebeln für die Antigravpolster und die Bremskissen. Wie ein sinkendes Blatt, nur mit wesentlich größerer Fallgeschwindigkeit, näherte sich die ORION VIII dem Erdboden. Dann, plötzlich, brodelten Wolken um das Schiff, und Cliff schaltete auf Infrarotbeobachtung um. Wenige Minuten später wurden die Schirme teilweise blind, und Cliff setzte wieder die normalen optischen Instrumente ein. – 26 –
Die lebendige, farbenprächtige Landschaft lag unter ihnen. »Sagenhaft!« entfuhr es Cliff. Die Wolkenhülle hatte das Licht gefiltert und verändert. Alle Farben waren anders als die gewohnten. Es herrschten ausnahmslos Mischfarben vor. Purpur, Violett, ein fahles, mit Gelb getränktes Grau, ein unechtes Schwarz und ein leichtes Grün. Die Landschaft war flach, aber irgendwo rechts am Horizont erhob sich ein Gebirgszug, der wie eine Mauer wirkte. Der Planet besaß die gleiche Dichte wie die Erde, aber eine eineinhalbfache Masse. Die Oberflächenschwerkraft betrug rund eineinhalb g, und die Lufthülle bestand aus viel Sauerstoff und wenig Stickstoff. Sämtliche bekannten Gase waren in ungleich größerer Menge vorhanden, und jedes annähernd menschliche Wesen würde innerhalb weniger Minuten sterben, wenn es Arys IV ohne Schutz betrat. Die Pflanzen, wenn dieser Ausdruck berechtigt war, bestanden aus gewachsenen, kunststoffähnlichen Polymergewächsen, die sich wie Tiere bewegten, dicht über dem Erdboden. Breite, blaue Blätter speicherten die Hitze des Zentralgestirns und ließen Wasser oder andere Flüssigkeiten verdampfen – von jedem Blatt stieg schräg eine Dampfsäule in die Luft und verteilte sich zu einem Hochnebel. Über allem lag ein gespenstisches Licht, das aussah, als würde es durch riesige Filter verändert. »Selbst für die tüchtige ORION-Crew noch ein neues Bild«, sagte Hasso. »Startest du einmal in die Richtung auf den merkwürdigen Bergzug, Cliff?« Cliff erwiderte laut: »Eben das hatte ich vor, Hasso.« Das diskusförmige Raumschiff schwebte wie ein großer, dunkler Schatten nach Norden. Dort erhob sich über den flachen, nur leicht wellenförmigen Horizont ein dunkler Strich, etwa mehrere hundert Kilometer lang. »Gebirge, Atan?« fragte Cliff schnell. »Ja. Ich stelle gewachsenen Felsen fest.« Helga hob die Hand und sagte laut: »Ich darf zu bedenken geben, daß der Gegner ein Overkillgeschütz hat.« Das Grinsen, mit dem Atan sie bedachte, war unpassend – dachte sie. »Du scheinst dich in deinem Sinn für reichlich makabre Scherze darüber köstlich zu amüsieren, daß wir alle in Lebensgefahr schweben, wie?« fragte sie erbost. »Nein«, sagte Mario de Monti. »Atan hat's mit der Chemie.« »Erkläre!« forderte die Funkerin auf. »Sollte Simer versuchen, den Overkillprojektor auszufahren, bringt er sich damit selbst um. Die aggressive Lufthülle würde sofort die feinen Kontakte abfressen und einen Kurzschluß verursachen. Was bei einem Overkill-Projektor ein solcher Kurzschluß bedeutet, kannst du dir nicht vorstellen.« Cliff atmete erleichtert auf. »Das beruhigt mich wirklich, Atan«, murmelte er und jagte das Raumschiff hundert Meter über dem Boden auf die ferne Mauer aus Stein zu. Unter dem Schiff flog die Landschaft vorbei. Die Farben verwischten sich, wurden undeutlich, und wie die Schatten riesiger Vogelschwingen zogen dunkle Streifen über das Land. Ein winziger See, um den sich wie ein Wall abgestorbene Pflanzen gelegt hatten. Sie wirkten wie die Gebeine von riesigen, längst ausgebleichten Tierriesen. Ein Hügel, bewachsen mit einem unentwirrbaren Teppich sich windender Pseudopflanzen. – 27 –
Wieder ein See, diesmal nicht rund, sondern ein System ineinander übergreifender zerfaserter Flächen. Über die engsten Stellen wölbten sich Brücken, die aussahen, als wären sie von Menschenhand geflochten worden. Kein einziges Tier war zu sehen. Eine Wüstenfläche. Von einem rostigen Gelbs durchsetzt und übersät von tiefblauen, funkelnden Reflexen. Man konnte denken, daß diese Welt mit Edelsteinen dekoriert wäre. Ein Fluß, der sich über eine Treppe aus schwarzem Stein ergoß. Das Wasser – oder welche Flüssigkeit auch immer – schien ständig zu kochen. Es warf Blasen, die sich mindestens eine Sekunde hielten. Dann zerplatzten sie und entließen ein winziges grünes Wölkchen. »Wie eine Traumwelt«, sagte Ishmee. »Sie hatten dies sicher damals gesehen und etwas Ähnliches gedacht, die Dherrani.« »Immer vorausgesetzt, sie sind wirklich hier gelandet. Die Vermessungsteams haben nichts entdecken können.« »Das haben sie auch auf den anderen Planeten, auf denen wir etwas fanden, übersehen«, gab die Funkerin zurück. Cliff veränderte den Winkel der Zentralschirmlinsen und sagte fast ehrfürchtig: »Seht euch das an!« Quer über das Bild zog sich, wie ein monumentales Bauwerk, ein schwarzer Streifen. Er wirkte wie eine langgezogene, von denkenden Wesen errichtete Mauer. Kantig, schwarz und hart, ohne abgerundete Ecken, aber auch ohne erkennbare Oberflächenstruktur. Atan flüsterte: »Die schwarze Mauer. Wir haben auf dem terranischen Mond etwas Ähnliches, die weiße Wand.« »Eine schwarze Mauer in einer Traumwelt.« Ishmee schloß einen Moment überwältigt die Augen. Cliff verlangsamte den Anflug des Schiffes und justierte die Linsen genau ein. Alle Insassen des Schiffs konnten dieses Phänomen erkennen, selbst Hasso von seinem Schirm aus. Er verließ den Maschinenraum und kam mit dem kleinen Lift in die Kanzel gefahren. Die schwarze Mauer. Sie war rund eintausend Kilometer lang und etwa elftausend Meter hoch. Das Bauwerk, das aus dem Innern des Planeten hervorgegangen war, war zu einem Achtelkreis gekrümmt; die konkave Seite lag dem Schiff gegenüber, so daß beide Seiten sich etwas der ORION entgegenschwangen. Die obere Kante war absolut gerade, daher wirkte das gigantische Gebirge perspektivisch klar. Farben und Schatten zogen über die dunkle Oberfläche, und außer dieser riesigen Wand war nichts anderes zu sehen. »Ich fliege an eine der Seiten. Rechts!« sagte Cliff. Die ORION schoß wieder los. Es war faszinierend, zu beobachten, wie sich die Linien und Formen verschoben. Als das Schiff sich der Ecke näherte, es dauerte rund zehn Minuten, veränderten sich die Fluchtlinien, und die Senkrechte tauchte auf. Jetzt sahen sie, was sie vermutet hatten: die schwarze Mauer war unten breiter als oben. Aber die Unterschiede schienen unbeträchtlich zu sein. – 28 –
»Atan... eine Messung!« ordnete Cliff an. Das Schiff schwebte langsam um den Fuß des schwarzen Gebirges herum und blieb stehen, als die volle Breite zu erkennen war. Atan Shubashi richtete seine Instrumente aus und maß nach, dann drehte er sich mit bleichem Gesicht um und sagte zu den anderen, die sich um den Zentralschirm versammelt hatten: »Die Basis des Berges ist dreitausend Meter breit.«
Cliff erwiderte:
»Danke. Wie breit die Wand an ihrer obersten Stelle ist, werden wir nach
wenigen Minuten ebenfalls genau wissen.« Die ORION schwebte senkrecht nach oben, und als das Bild die waagrechte Kante und beide Senkrechten zeigte, hielt Cliff den Diskus an. Hier zerrten bereits die Turbulenzen wieder an dem Raumschiff, und die Kabine schwankte entsprechend. »Schnell, Atan, bitte!« sagte Cliff leise.
Minuten später stand es fest:
»Zweitausend Meter. Genau eintausendneunhundertfünfzig Meter, Cliff. Wenn
nicht alle Instrumente versagt haben.« Die Insassen der ORION sahen sich verblüfft an und schwiegen. Was hatte dieser gewaltige Bergzug zu bedeuten? Denn daß ein Planet ein solches Gebirge zeigte, war alles andere als mit sämtlichen Naturgesetzen zu vereinbaren. Sie wußten es nicht, und je mehr sie darüber nachdachten und diskutierten, desto größer wurde ihre Unsicherheit.
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3
Die vier Gestalten in den schweren Raumanzügen bewegten sich unbeholfen und langsam der schwarzen Mauer entgegen. Während die ORION hundert Meter vom Fuß des riesigen Walles entfernt schwebte und sämtliche Linsen auf die vier Männer richtete, stolperten, keuchten und stampften Cliff, Skuard, Rettir und Mario dahin. Die Funkgeräte verbanden sie akustisch miteinander und mit den Lautsprechern und Mikrophonen der Bordsprechanlage. »Seht ihr schon etwas?« fragte der Astrogator. »Nein«, erwiderte Skuard einsilbig. Die Anzüge waren fast silbern, aber das merkwürdig gefilterte Licht ließ sie stumpfgrau mit einem grünen Schimmer erscheinen. Die einzigen Schwerkraftaggregate in den runden Gelenken absorbierten zwar die halbe Schwerkraft, die über die Norm hinausging, aber die Scharniere waren schwergängig, und die einzelnen Elemente ziemlich starr. Dazu kam, daß jeder von ihnen eine schwere Waffe trug, eine Weiterentwicklung der HM 4, und einige Ausrüstungsgegenstände. Eine Menge von Apparaturen waren in einzelnen kleinen Kammern in die Anzüge starr eingebaut. »Nichts als zähflüssiger Sand!« murmelte Flow Rettir. »Hast du dir Teppiche vorgestellt, Flow?« fragte Mario sarkastisch zurück. »Nein. Parkett.« Zwischen ihnen und dem Fuß der Mauer breitete sich eine waagrechte Fläche aus, die offensichtlich aus Sandkörnern bestand, die von einer zähen, durchsichtigen Flüssigkeit umspült wurden. Der Sand trug die Männer zwar, aber die tiefen Fußeindrücke füllten sich binnen Sekunden wieder und wurden unsichtbar. Die Männer hinterließen keine Spuren. Alles auf dieser Welt war voller Bewegung, einer unausgesetzten, ständigen Reibung sämtlicher Dinge gegeneinander. Die Pflanzen krochen dahin, verschlangen sich ineinander, flochten sich wieder auseinander und flossen zu neuen Ranken und Zöpfen zusammen. Der Sand rieb sich an den festeren Dingen, und nur die Mauer schien konstant und unbeweglich. Noch siebzig Meter. »Was suchen wir eigentlich dort?« fragte sich Cliff grüblerisch. »Aufhellung unserer dunklen Gedanken«, murmelte Mario. Irgendwie stimmte es. Sie waren ratlos, aber ein geheimes Wissen trieb sie in die Nähe dieses steinernen Walles. Als könnte er ihnen Aufschluß darüber geben, ob Simer sich hier verbarg. »Ist das die einzige Mauer dieser Art?« fragte Helga im Schiff. »Keine Ahnung«, erwiderte Atan. »Wir können es aber feststellen, wenn wir wieder gestartet sind.« Cliff meldete sich. »... was wir bald tun werden, denn mir mißfällt diese Gegend sehr.« »Nicht nur dir«, schloß Ishmee. Die vier Männer gingen nebeneinander, durch ein Stahlseil mit Plastiküberzug verbunden. Sie schwiegen und wurden etwas schneller, obwohl der Sand die stählernen Stiefel nicht loslassen wollte. Das Licht, das durch die Helmscheiben fiel, wurde von den winzigen Tröpfchen des Kondensats verfinstert, das sich absetzte.
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Sie schalteten die Scheibenwischer an, und alle fünf Sekunden wischte jetzt ein breites Blatt über die Krümmung. »Ein Gang durch den Nebel soll gut für den Teint sein«, sagte Rettir. Er hatte sich die lockere Auffassungsart der Crew sehr schnell zu eigen gemacht. Fast zu schnell, fand Cliff. Noch vierzig Meter. Die Felswand näherte sich ihnen; sie schien jetzt über ihnen kippen zu wollen wie ein hochkant gestelltes Brett. Sie war von einem fahlen Schwarz, und jetzt konnten die Männer die Oberflächenstruktur sehen. Es war wie eine sehr plastische Maserung, die hier an der Kante begann und sich waagrecht bis an die andere Kante der Mauer hinzog, eintausend Kilometer weit entfernt. Die Formen der perspektivisch verkürzten Mauer verloren sich in der diffusen Unendlichkeit des Horizontes zur Linken der vier Raumfahrer. Das Muster war abwechslungsreich, und zwischen zwei der vielen Streifen, langgezogenen Wirbeln und erhabenen Flächen war jeweils ein Abstand von rund hundert Zentimetern. »Was ist das für ein Berg? Mit einer Maserung, die eine Fläche von elf zu tausend Kilometer bedeckt, ohne Unterbrechung! Wer hat das gebaut, wer bringt einen solchen Alptraum in Stein hervor?« Mario de Monti keuchte fast, als er die Fragen stellte. Sie waren sinnlos, weil niemand sie beantworten konnte. Niemand? »Näher heran, Männer!« sagte Cliff beunruhigt. An dem Kunststoffüberzug des Stahlseiles wuchsen jetzt, wie die Pilze niederer Arten, dünne Fasern, bartähnlich und von tief purpurner Farbe. Sie wurden von dem leichten Wind, der hier gebrochen wurde und nach oben drehte, hin und her gerissen, fielen ab und wurden vom Sand absorbiert. Es war wirklich eine Folge von Szenen wie aus einem Traum. Zehn Meter. Plötzlich löste sich Skuard aus dem Verband und stürzte vor. Er zog die anderen drei Männer mit sich und lief zwanzig Schritte, dann berührte seine Hand in dem Handschuh, dessen Element aus vergütetem Stahlblech bestand, die Felswand. Der Zeigefinger fuhr die Konturen eines Zeichens nach. Wortlos deutete auch Flow Rettir darauf. »Das ist ein Zeichen...«, begann er. »... ein Zeichen der Dherrani. Wir kennen es. Wir verwenden es in unserer wissenschaftlichen Literatur als Symbol für ›Leben‹. Nichts anderes. Also stammt dieser Wall von meinen Ahnen, Cliff!« Er drückte auf den Auslöser der eingebauten Kamera, und drei weiße Blitze blendeten auf. »Das Symbol für Leben«, sagte Cliff nachdenklich. »Eine weitere Überraschung. Können die Dherrani aus dem Großen Schiff diese Mauer errichtet haben? Es waren wenige, wie wir ziemlich genau wissen, und diese Mauer können nur Millionen mit riesigen Maschinen gebaut haben. Woraus?« Grimmig versicherte Mario: »Auch das kann geklärt werden.« Während er das kleine Ultraschallschneidegerät vom Gürtel losklinkte, betrachteten Cliff, Skuard und Rettir das Symbol, das sich genau an der Schnittlinie – 31 –
dreier Geraden befand: sozusagen der Eckstein, einer von vieren, dieser gigantischen Mauer. Das Zeichen war die einzige Unterbrechung der haarscharfen Kante, die aufwärts führte. Eine Fläche von einem Quadratmeter war hier in das Material eingeschnitten worden. Auf dieser glatten, nicht gemaserten Oberfläche befanden sich zwei durchbrochene Wellenlinien. In ihnen war ein Kreis abgebildet, wie ein Ball, der auf dem Wasser schwamm. Ein Pfeil deutete von dem Scheitelpunkt des Kreises nach innen, ein zweiter von dem gleichen Punkt nach außen. Neben der Pfeilspitze gingen nach beiden Seiten je drei verschieden lange Strahlen aus. Das Zeichen des Lebens. Dann störte das Heulen aus dem kleinen Generator den Funkempfang. Mario de Monti bückte sich unbeholfen, spreizte die Arme, und dann führte er das messerscharfe Schneidegerät an das schwarze Material heran. Es fraß sich hindurch wie durch Knetmasse, und dicht neben dem Zeichen sägte Mario einen unregelmäßig geformten Span aus dem Material heraus. Er sah ihn fallen, schaltete die Ultraschallsäge aus und klinkte sie wieder am Gürtel fest. Dann bückte er sich erneut und hob den Span auf, ein Ding, etwa halb so groß wie ein Männeroberschenkel, aber breiter. »Schwer oder leicht?« Cliff hatte gefragt. Er sah hinter der Scheibe von Marios schwerem Raumhelm das überraschte Gesicht des Ersten. Mario stotterte: »Leicht. Wie... wie ein Schwamm.« Skuard nickte und stieß mit der Stirn gegen die Blende. Es gab ein hallendes Geräusch in den kleinen Lautsprechern. »Wie... Kunststoff?« fragte er vorsichtig. »Ja!« erwiderte Mario verdutzt. »Dann sind wir der Lösung schon etwas näher gekommen«, meinte Flow Rettir und drehte sich um, nachdem er die Haken des verbindenden Seiles ausgeklinkt, über das Seil gestiegen war und sich seitlich am Metallgürtel wieder gesichert hatte. Er nickte vorsichtig. »Gehen wir zurück in die ORION«, sagte er. »Ich verstehe etwas von Chemie. Vielleicht kann ich euch alles erklären.« »Hoffentlich«, knurrte Cliff unsicher. »Sonst ist dein Image restlos dahin. Kann ich etwas über deine geschätzten Vermutungen erfahren?« »Aber gern«, sagte Rettir. Sie gingen nebeneinander wieder zurück zum Raumschiff. Während sie vorsichtig gegen den leichten Wind stapften, entwickelte Flow seine Theorie. Sie klang sehr phantastisch, aber schließlich war diese Mauer auch nichts, was man mit normalen Maßstäben in Einklang bringen konnte. »Das ist hirnverbrannt!« sagte Mario, als die Schleusentür des Zentrallifts erreicht war. Er preßte den Sicherheitsschalter hinein, und langsam öffnete sich die Tür. »Was wetten wir?« erkundigte sich Rettir mit merkwürdiger Selbstsicherheit. »Nichts wette ich«, sagte Mario finster. »Mir genügt deine Blamage, Jüngelchen.«
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»Leider bin ich noch nicht so alt wie du, Erster«, sagte Rettir. »Aber das ist einzig und allein das Verdienst deiner Eltern. Oder die Schuld meiner Eltern, wie man es betrachtet.« An dem Metall der Schleuse und des Liftunterteils hatten sich die langen Fäden gebildet, die sie auch an dem Seil zwischen sich kannten. Als sich der metallene Rüssel ins Schiff zog, wurden die Fäden abgestreift, sie fielen in den Sand und verschwanden. In der Strahlungskammer neben der Schleuse zogen sie sich die schweren Anzüge aus, nachdem sie sich von der Reinigungslösung hatten besprühen lassen. Dann kamen sie in den Bordanzügen ins Schiff. Mario trug seinen Kunststoffspan, als wäre es ein Heiligtum aus einem Tempel. »Was jetzt?« erkundigte sich Cliff. Inzwischen waren Ishmee und Helga heruntergekommen und blieben neben den Männern stehen. »Bitte, erlaubt mir, daß ich mit eurer Assistenz in meiner Kabine einige chemische Analysen versuche. Ich glaube, Atan sollte mir helfen. Ich werde sicher nicht beweisen können, woraus das Zeug ist, aber ich glaube beweisen zu können, wie es sich verhält, und warum ausgerechnet das Symbol für Leben auf diese Mauer kommt. Es paßt genau an diese Stelle, glaubt mir.« Cliff entschied sich schnell. »Einverstanden, Flow«, sagte er ruhig. »Lasse dir von Atan helfen. Wir warten auf eure Erkenntnisse.« Ishmee spürte wieder die Beunruhigung und die Aufregung in den Gedanken der Männer. Sie sagte, um die Situation zu entkrampfen: »Und ich werde mich um das Essen kümmern. Ich sehe – die Helden sind hungrig.« Mario brummte: »Aber Hungrige sind meist auch Helden.« »Sicher, Mario«, meinte Ishmee und verschwand in der Kombüse. Die Männer drängten sich in die kleine Kammer, die Flow mit seinen Büchern und Geräten vollgepfercht hatte. Zusammen mit Atan Shubashi machte sich der junge Archäologe an die Arbeit. Es dauerte drei Stunden, dann hatten sie das Ergebnis. »Ich muß euch sagen, daß die Lösung verblüffend einfach ist – oder einfach verblüffend!« sagte Shubashi und schlug Rettir mit aller Kraft auf die Schulter. Der Archäologe ging in die Knie und grinste jungenhaft. »Sprich!« drohte Cliff. »Diese Mauer dort...«, sagte Shubashi, und Rettir beendete: »... ist gewachsen wie ein Polymerisatkristall.« »Wie wer?« Mario kräuselte die Nase und glaubte, nicht richtig verstanden zu haben. »Wie ein winziges Stück eines bestimmten Kunststoffs, das, wenn ein Katalysator dazukommt, wächst und wächst, bis es eine bestimmte Ausdehnung erreicht hat.« Hasso Sigbjörnson rezitierte aus einem Lehrbuch. »Katalysatoren sind Stoffe, die andere Stoffe verändern, sich selbst aber nicht.« »Brav«, meinte Helga. »So etwas wie wir Frauen also, ja?«
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»Richtig«, meinte Rettir. »Schon Nietzsche hat das gesagt. Und Marquis de Sade. Es ist so, wie wir sagen. Die Dherrani der ersten Generation schufen ein Kunststoffmodell, das zu dieser Mauer führte. Die Lufthülle, die Silikate und einige andere Kräfte, die wir noch erst kennenlernen müssen, bauten unablässig weiter, bis der Katalysator entweder seine Funktion gesteuert einstellte oder erschöpft war. Das Ergebnis ist diese Mauer. Vermutlich ist der Urstein, jenes Modell, auf eine gewisse Menge von Kubikmetern angelegt worden.« Mario verbesserte ruhig: »Kubikkilometer, Flow.« »Richtig. Es hätte auch ein Würfel oder ein anders geformtes Stück entstehen können. Etwa ein ziegelförmiges Bauwerk. Das alles ist innerhalb eines Zeitraumes gewachsen, der vermutlich überraschend klein war. Das läßt sich, wenn wir auf Terra die entsprechenden Analysen gemacht haben, spielend leicht errechnen.« Ishmee war mehr als erstaunt. »Die Dherrani bauen eine riesige Mauer auf. Wozu tun sie das?« »Merke«, sagte die Funkerin. »Eine Mauer besitzt nicht nur, sehen wir vom Boden ab, fünf Flächen, sondern auch Masse. Inhalt. Vielleicht ist dieses Ding dort voller ausgesparter Waben, Kammern, Säle oder kugelförmiger Hohlräume!« Cliff schlug mit der flachen Hand gegen die Stahlwand der Kabine. »Das wäre die Lösung. Ein riesiges Wohnhaus. Ähnlich wie der hohle Berg oder der stählerne Turm.« »Oder die gläsernen Kugeln.« »Das sollten wir sobald als möglich nachprüfen. Kunststoffe aller Arten sind hervorragende Isolationen!« sagte Atan. »Und schirmen überdies ab.« Cliff sagte, einer plötzlichen Erkenntnis folgend: »Dann könnte sich, unter vielen anderen, auch ein Raumschiff innerhalb dieser Mauer verbergen, und nicht einmal von hier aus geortet werden?« Ishmee erwiderte nachdenklich, während ihre Hand über das kurze schwarze Haar strich: »Natürlich ist es schwer, in diesem Bauwerk dort ein Schiff zu verbergen. Aber grundsätzlich dürfte es möglich sein. Jedoch – ich kann keine Gedankenströme feststellen, die von Simer stammen.« Und Atan schloß: »Ich habe auch kein Metall orten können. Noch nicht. Schließlich steht die ORION an der rechten Kante der langen Mauer. Wir sollten dieses natürlich gewachsene Stück Kunststoff abfliegen.« Cliff starrte den Schirm an, der die Mauer zeigte, inmitten ihres Sandbetts, und an der Oberkante von Zeit zu Zeit in Wolkenfetzen verschwand. »Einverstanden«, sagte er. »In zwei Stunden.« Er setzte sich in den Kommandosessel, hob die Beine an und legte die Stiefelabsätze auf das Instrumentenbrett. Dann kippte er den Sessel nach hinten und schloß die Augen. Es war die Stellung, in der er am besten nachdenken konnte, wie er behauptete. Die schwarze Mauer. Vor rund zehn Jahrtausenden war hier, aus dem Großen Schiff kommend, eine Gruppe von Dherrani gelandet, um eine neue Kultur zu gründen. Vermutlich war – 34 –
auch dieser Versuch fehlgeschlagen, wie die bisherigen Forschungen bewiesen hatten. Nur die Aashap und die Turceed hatten überlebt; die drei letzten Aashap hatten sich gegen die Erde und gegen ihre Rassegenossen gestellt; zwei von ihnen waren gestorben. Während hier aus einem winzigen Baustein unter dem Einfluß der Atmosphäre, der Hitze und der offen zutage tretenden Mineralien ein rätselhaftes Kunststoffmolekül zu wuchern begonnen hatte, immer mehr gewachsen war, sich einer vorher festgelegten Form unterworfen hatte, also die Masse nach einem detaillierten Bauplan vergrößert hatte, nahm die Zahl der ›Eindringlinge‹ in die Raumkugel konstant ab. Auch die Turceed würden aussterben, wenn sie sich nicht mit den Angehörigen des Homo sapiens vermischten. Wenn er, Cliff, diese These von Atan und Flow akzeptierte – und er sah keinen Grund, dies nicht zu tun –, dann schien dies hier die ehemalige Heimat der Dherrani zu sein. Und Simer der Unsterbliche hatte sich hier versteckt. Also mußten sie einen Eingang in die schwarze Mauer finden. An diesem Punkt der Gedankenkette angekommen, drehte Cliff den Kopf, öffnete die Augen und sah Ishmee an. »Wie kommen wir in dieses kunststoffene Bauwerk hinein?« Ishmee stand vom Funkpult auf, an dem sie sich neben Helga niedergelassen hatte und kam langsam in die Nähe des Kommandanten. Sie setzte sich auf die breite Armlehne des Kommandantensessels und erwiderte halblaut: »Indem wir einen Eingang suchen, Liebling.« »Teufel auch!« sagte Cliff mit falscher Bewunderung. »Du hast nicht nur ein schönes, sondern auch ein kluges Köpfchen. So weit war ich allerdings selbst schon in meinen Überlegungen. Ich brauche Tips! Oder soll ich hier alles immer allein machen?« Von seinem Eingabeelement her kicherte Mario de Monti unterdrückt. Cliff warf ihm einen strafenden Blick zu. »Sagtest du etwas?« Mario nickte. »Ich habe gerade errechnen lassen, daß die Wahrscheinlichkeit eins zu zwanzig beträgt.« Cliff fragte verblüfft: »Welche Wahrscheinlichkeit, Mario?« »Diejenige, daß sich Simer hier in der Mauer verbirgt. Ich habe, während du schliefst, sämtliche Informationen verwendet und eine Wahrscheinlichkeitsrechnung durchgeführt.« Cliff hob die Hand und deutete auf den kugelförmigen Schrank des Eingabeelements. »Das bringt uns auch nicht viel weiter, Mario«, sagte er unschlüssig. »Wir haben noch zu viele Unsicherheiten. Ist das hier das einzige Bauwerk? Wo sonst hätte sich Simer verstecken können? Geistern noch irgendwelche Marionetten herum? Oder solche mit kraftverstärkenden elektromagnetischen Korsetts?« Ishmee entfernte mit spitzen Fingern ein graues Haar von Cliffs Ärmel. »Lauter Sorgen – unser Kommandant ergraut«, sagte sie. »Ich schließe mich der hier allgemein herrschenden Meinung an, nicht deswegen, weil es bequemer ist, sondern weil ich zwei gute Gründe dafür habe.« »Laß hören, Schwester!« sagte Mario. – 35 –
»Erstens belief sich auf sämtlichen Planeten, die wir kennen, die Zahl der abgesetzten Dherrani auf höchstens einige Tausende. Diese haben hier genügend Platz gehabt.« Sie wies auf das Bild, das unverrückbar auf dem runden Zentralschirm zu sehen war: die schwarze Mauer, deren Oberkante jetzt wieder in Wolken verschwand. »Zweitens?« »Wenn Simer diesen Planeten angeflogen hat, ist er sicher nicht anders vorgegangen als wir. Ein tausend Kilometer langes und konstant elftausend Meter hohes Gebirge fällt fast immer dann auf, wenn man eine Hemisphäre überblicken kann. Ich bin fest davon überzeugt, daß es auf Arys IV nur dieses eine Kunststoffbauwerk gibt. Außerdem hatte ich eine Ahnung, nicht mehr als eine Ahnung allerdings, daß sich Simer hier versteckt hält, und uns beobachtet.« Cliff antwortete ohne jeden Spott: »Deine beiden sachlichen Punkte sind mir bekannt – sie treffen mit fünfzigprozentiger Sicherheit zu. Aber auf deine Ahnungen gebe ich viel. Gut, einverstanden... wir suchen Simer in dieser Mauer. Wie aber kommen wir hinein, ohne daß wir mit Lasern oder den HM 4 arbeiten müssen?« Hasso Sigbjörnson schlug vor: »Gehen wir deduktiv vor. Glaubst du, Ishmee, daß die Dherrani oft auf diesem Planeten spazierengegangen sind?« Skuard und Rettir wechselten einen langen Blick, dann sagte der junge Turceed: »Nein. Das glauben wir nicht. Rettir und ich sind vom Gegenteil überzeugt.« Ishmee meinte: »Vermutlich haben sie innerhalb der Mauer eine künstliche Landschaft aufgebaut – oder etwas Ähnliches. Sie waren zweifellos dazu in der Lage.« Rettir sagte: »Dann haben wir mehr Chancen, wenn wir anfangen, aus elftausend Metern Höhe in die Mauer einzudringen.« Helga warf ein: »Das ist auch meine Meinung, Cliff.« Cliff überlegte wieder. Das bedeutete, daß sie sich auf der Mauerkrone, die allerdings zweitausend Meter breit war, vorantasten mußten. Sicher war dieses Bauwerk mit Fallen aller Art ausgestattet – Fallen freilich nur für die Terraner. Statt Leoparden konnte es hier Kunststoffgewächse geben, die der Mentalität der Terraner fremder waren als mutierte Großraubtiere. »Wir gehen so vor, wie ihr vorgeschlagen habt«, entschied Cliff. Sie aßen schnell etwas, sprachen die Art ihres Einsatzes kurz durch, und dann nahmen die Mitglieder des Teams ihre Plätze ein. Die ORION erhob sich wieder, flog einen Halbkreis und setzte sich an der ›Rückseite‹ der schwarzen Mauer in den Windschatten. Der Kommandant leitete einen schnellen, senkrechten Steigflug ein, und kurze Zeit später verschwand das Schiff in den Wolken. »Kommandant an Astrogator. Höhe, Atan?« Nach zwei Sekunden antwortete der kleine, schwarzhaarige Mann: »Zehntausend Meter. Noch tausend Meter. Wir befinden uns vierhundert Meter von der Mauer entfernt. Und wir werden nur noch sechs Stunden Sonnenlicht haben.« »Verstanden.« – 36 –
Der Diskus durchbrach die letzten Schleier der dünnen Wolkendecke und befand sich plötzlich im hellen Licht der Sonne. Hier oben herrschten wieder normale Lichtverhältnisse, die Sonnenstrahlen wurden nicht gefiltert. »Welch ein Anblick!« flüsterte Ishmee ergriffen. Es war ein faszinierender Anblick. Über den weißen, flockigen Wolken, deren Form sich ständig in schnellem Wechsel veränderten, lag das gekrümmte Dreieck – scheinbar ein Dreieck, in Wirklichkeit nur die perspektivisch verzerrte Form der Oberfläche der schwarzen Mauer. Schwarz und weiß, Sonnenlicht, eine offensichtlich glatte Fläche, die wie schwarzes Glas spiegelte, die Wolken... das hatte noch kein Mensch vor ihnen gesehen. »Zweitausend Quadratkilometer«, stöhnte Cliff. »Sollen wir etwa schematisch vorgehen? Das kostet uns Tage!« »Nein«, sagte Atan. »Wenn wir so dicht wie möglich herangehen, kann ich meine Röntgenschirme einsetzen Sie werden zwar nicht gerade überraschende Details offenbaren, aber sie zeigen immerhin das, was wir suchen. Unterbrechungen, Klappen größere Hohlräume oder ein Metallschiff.« »Ich fange an«, erklärte Cliff. Die ORION VIII löste sich aus ihrer Position, schwang sich zurück bis neben die schmale Kante der Mauer, sozusagen ihren Ostrand. Dann flog Cliff vier Meter über der Oberfläche der langgestreckten Mauer dahin, mit nicht mehr als hundert Stundenkilometern. Das bedeutete unter Umständen zehn Stunden Suche. »Zu schnell, Atan?« Der Astrogator, auf dessen Schirmen die Oberfläche der Mauer entlangflog, schüttelte den Kopf. »Du kannst noch fünfzig Kilometer zugeben, mußt aber auf mein Kommando eine Pause einlegen. Das Beobachten ermüdet kolossal.« »Verstanden.« Cliff erhöhte die Geschwindigkeit des Diskus auf hundertfünfzig Stundenkilometer. Eine fast greifbare Spannung hing im Raum und bemächtigte sich der acht Menschen. Sie umstanden jetzt die beiden Arbeitsplätze, den des Kommandanten und den des Astrogators. Die ORION flog geradeaus nach Norden, konstant die Geschwindigkeit einhaltend. Die Sonne stand fast senkrecht über ihnen und machte die Gegensätze zwischen den Wolken und der schwarzen Fläche hart und stechend. Cliff schaltete, ohne eine Sekunde die Steuerung zu vernachlässigen, einen Satz Filter vor die Linsen. Das Raumschiff flog etwas über die Querachse gekippt, so daß die verschiedenen Linsensätze in der Schnittlinie zwischen oberer und unterer Schale die Mauer gut erfassen konnten. Minuten gingen dahin, zehn Minuten, eine halbe Stunde... dann plötzlich sagte der Astrogator kurz: »Halt!« Cliff bremste das Schiff hart ab. »Etwas gefunden?« Atan stand auf, legte den Kopf in den Nacken und massierte sich die Augen. E r murmelte: »Nein. Meine Augen tränen inzwischen. Andererseits kann ich keinen von euch an den Schirm lassen, weil niemand die Bedeutung der verschiedenen Anzeigen erkennt. Fünf Minuten Pause, Cliff.« »Selbstverständlich!« versicherte der Kommandant. – 37 –
Sie alle wußten oder ahnten zumindest, daß sich hier in der Mauer eine Reihe von Geheimnissen verbarg. Außerdem suchten sie Simer, der möglicherweise genau beobachtete, was sie unternahmen. Der einzige Vorteil, den sie hatten, war ihre Zahl. Acht gegen einen. Selbst wenn dieser eine mit sämtlichen Mitteln einer geheimnisvollen Technik und Wissenschaft ausgerüstet war, blieb das Verhältnis relativ günstig. Dreihundert Sekunden später kam Atan wieder in den Kommandoraum; er hatte in der Kombüse eine Tasse Kaffee getrunken und die Augenpartie mit eiskaltem Wasser behandelt. Er setzte sich vor seine Schirme, schaltete sie ein und hob die Hand. »Weiter, Cliff!« Die ORION beschleunigte. Wieder spulte sich das schwarze Band wie eine Schnellstraße unter dem Schiff ab. Wieder starrten die sechzehn Augen im Schiff auf die beiden Schirme; den großen runden und den kleinen rechteckigen, der bisher nichts angezeigt hatte. »Sechzig Kilometer«, sagte Cliff nach einer Weile. Wieder einmal waren sie auf sich selbst zurückgeworfen worden. Die Suche war nervenzermürbend. Zehn Tage reiner Flugzeit von der Erde und von jeder Möglichkeit der Unterstützung entfernt. Acht Menschen, genauer: sechs Menschen und zwei Turceed. Diese beiden spürten mit ihrer schwachen telepathischen Begabung die Nervosität und die Anspannung der Crew und litten darunter. Aber trotzdem versuchten sie, mit ihren Gedanken oder mit jener eigentümlichen Antenne, deren Wirkungsweise ihnen nicht einmal selbst bekannt war, durch die schimmernde glatte Fläche zu stoßen und dort die Gedankenströme des Unsterblichen festzustellen. Bisher vergebens. Der Flug ging weiter, Minute um Minute. Die Wolken bildeten ständig neue Wunderformen, neue Strukturen, neue Anhäufungen. Sie waren wie locker zusammengetragener Schnee, der lebendig wurde. Dazwischen deutete das schwarze Band, dessen seitliche Parallelen sich nicht in der Unendlichkeit, aber unsichtbar in der Gegend des Horizonts trafen, nach Norden. »Nichts?« fragte Cliff leise. »Bisher nichts, Kommandant«, murmelte Atan und starrte zwinkernd auf den Schirm. Cliff wandte kaum den Kopf, als er fragte: »Ishmee?« »Ja?« »Kannst du die Gedanken des Unsterblichen feststellen?« »Nein«, sagte sie leise. »Weißt du wenigstens, ob er sich innerhalb dieses Bauwerks befindet?« »Nein. Ich nehme nichts auf.« »Skuard, wie steht es mit deiner subgedanklichen Wahrnehmung?« Ishmees Bruder, der auf der anderen Seite des Kommandanten auf den optischen Schirm starrte, erwiderte fast tonlos: »Schlecht steht es.« »Nichts?« fragte der Kommandant bohrend. »Auch der geringste Hinweis ist besser als keiner.« – 38 –
Skuard murmelte zögernd: »Einen Sekundenbruchteil lang war mir, als hätte ich eine Ausstrahlung entdeckt, weiter vorn... verschwommen, undeutlich... ich glaubte an eine eigene Störung. Gerade dann, wenn man sich sehr konzentriert, wird man für Fehler besonders anfällig.« »Gut. Warten wir.«
Der nervtötende Flug ging weiter. Wieder verstrichen Minuten, schließlich sah
Cliff auf die Digitaluhr an seinem Finger. »Eine Stunde. Hundertfünfzig Kilometer. Pause!« Er bremste das Schiff ab und lehnte sich zurück, nachdem er die Finger von den Schaltern und Hebeln genommen hatte. Sie alle waren schon von den sechzig Minuten erschöpft. Die beiden Turceed, weil sie sich unaufhörlich auf fremde Gedanken konzentrieren mußten, was voraussetzte, daß sie selbst nichts oder nichts Wesenhaftes dachten. Der Kommandant vom Steuern und der Astrogator vom ermüdenden Anstarren der Schirme. »Das ist ein Irrsinn!« murmelte der Erste Offizier. »Wären wir doch Kadetten geblieben«, meinte Cliff verträumt. »Keine Verantwortung, wenig Arbeit und viel Vergnügen. Jetzt haben wir es umge...« Ishmee hob die Hand, ließ aber ihre Augen geschlossen. Auch Skuards Gesichtsausdruck wechselte. Beide sagten kein Wort, aber sie sahen so aus, als würden sie in sich drinnen etwas flüstern hören. »Sie haben etwas!« wisperte Helga Legrelle.
Mario knurrte wütend:
»Vermutlich Heimweh!«
Dann öffnete Ishmee die Augen und sagte leise:
»Dort unten, etwa hundert Meter schräg vor uns, ist etwas. Ich kann Gedanken
feststellen, aber weder den Besitzer noch deren Eigentümlichkeiten. Es kann, muß aber nicht Simer sein.« »Skuard?« fragte Cliff scharf. Der junge Turceed sah ihn an, als erwache er aus einem lange und tiefen Schlaf, dann nickte er leicht. »Ishmee hat recht. Dort unten innerhalb der Mauer, und zwar in ziemlicher Höhe, lebt jemand oder etwas. Ich weiß nichts Genaues... aber dort benützt jemand seinen Verstand, um zu denken. Diesen Vorgang konnten wir lokalisieren.« Cliff drehte den Sessel herum und nickte Atan Shubashi zu.
»Bereit, Atan?«
»Los, Cliff.«
Cliff wandte sich an die Funkerin und ordnete an:
»Schalte bitte das elektronische Bordbuch ein, damit auf alle Fälle eine
Aufzeichnung vorliegt.« »Funkerin an Kommandant«, kam die Antwort, »Bordbuch läuft.« Wieder setzte sich die ORION VIII in Bewegung. Das Schiff schwebte leicht schräg über die Mauerkrone dahin, und die Linsen tasteten jeden Quadratzentimeter der Oberfläche ab. Die Röntgenaugen des Schiffes drangen tiefer ein, und da der Flug sehr langsam war, konnte Atan besser beobachten. Nach wenigen Minuten sagte er mit rauher Stimme: – 39 –
»Halt.« Cliff schaltete schnell, und die ORION stand. »Kommt bitte alle her, damit ich es euch erklären kann«, bat Atan. »Ich habe hier gewisse Dinge auf meinem Schirm, die sehr sehenswert sind. Wer hätte dies gedacht?« Mario sagte leise: »Ich nicht!« Dann drängten sich sieben Menschen um den Schaltplatz des Astrogators und sahen auf den hochkant stelzenden Schirm. Es war eine schwarze Scheibe mit feinen, hellen Linien darinnen. »Was bedeuten diese Streifen hier?« Atan erklärte atemlos: »Hier, genau unter uns, befindet sich ein Einlaß. Welcher Mechanismus ihn bewegt, ist unklar, aber es ist eine viereckige Platte. Diese Linien hier. Die Trennung zwischen der Platte und dem umgebenden Plastikmaterial ist sehr scharf.« Cliff murmelte im Selbstgespräch: »Vermutlich wird dieser Einstieg nur von innen zu öffnen sein.« Er schob sich zwischen Ishmee und Rettir langsam zurück, stützte sich auf zwei Schultern und nickte Atan zu. »Unter der Platte, und zwar in geringem Abstand, beginnt eine schräge Fläche, die außerdem spiralig gekrümmt ist Wie tief sie hinunterreicht, ist nicht klar – ich kann es nicht erkennen. Jedenfalls sollten wir versuchen, hier einzudringen.« Er schaltete schnell eine Reihe von schweren Schaltern, und eine Hälfte seiner kleinen Testschirme erlosch und stellte ihre Funktionen ein. Cliff lehnte sich gegen die geschwungene Strebe zwischen Decke und Steuerpult, musterte seine Mannschaft intensiv und sagte halblaut: »Ich gehe nach draußen und brauche zwei oder drei Mann. Wer meldet sich freiwillig?« »Du wirst es nicht wagen, ohne mich etwas zu unternehmen!« Mario de Monti trat vor und winkelte seinen Arm, um ungehindert seine Muskeln spielen zu lassen. »Schließlich muß ich mir noch meine Sporen verdienen!« meinte Flow laut und stellte sich neben den Ersten. »Reite zur Seite, Rettir«, sagte Skuard. »Ich habe mit Simer noch eine Rechnung zu begleichen, die seit mehreren Jahrhunderten offen steht.« Cliff winkte ab und sagte grinsend: »Genug des Edelmutes – ich nehme euer Opfer an. Gehen wir nach unten und ziehen wir die Schutzanzüge an. Und eines: die richtige Bewaffnung, die richtigen Geräte. Wir können der entsprechenden Ausrüstung letzten Endes unser Leben verdanken. Ich traue wenigen Dingen, am allerwenigsten einem Aashap.« Während der kleine Lift nach unten sank, blieb Ishmee vor dem Zentralschirm stehen und sah das Bild an. Helga kam auf sie zu und legte ihr einen Arm um die Schultern. »Das mache ich nun schon jahrelang«, sagte sie bitter. »Und trotzdem möchte ich mit keiner anderen Crew fliegen.« Ishmee blickte sie lange an und erwiderte nachdenklich, während sie den Sessel in Drehungen versetzte: – 40 –
»Leider habe ich deine Nerven nicht, Helga.« Unter dem Schiff lag der Eingang in das schwarze Geheimnis dieser Welt. Der Planet Arys IV konnte die Männer umbringen, noch ehe sie die Platte geöffnet hatten; aber sie beide wußten, daß Cliff eher sterben würde, als daß er diesen seinen eigenen Kampf aufgab. Langsam senkte sich die Sonne dem Horizont entgegen.
– 41 –
4
Es sah gefährlich aus... Und es war gefährlicher, als es den Anschein hatte. Aus einer offenen Ladeluke kam ein langes, dünnes Stahlseil, umsponnen mit Kunststoff. Es konnte jederzeit auf einer Winde aufgerollt werden und hing schwer durch. Mit einem schwarzglänzenden Karabinerhaken war dieses Seil im Rücken des Anzugs von Rettir befestigt. Vom Vorderteil des Gürtels spannte sich ein anderes Stahlseil bis zum Rücken von Skuard, und auf diese Weise waren auch McLane und de Monti mit den anderen Freunden und dem Raumschiff verbunden. Die Funkgeräte waren eingeschaltet, verbanden die vier Partner und die Kommandokanzel miteinander. »Alles klar, Partner?« fragte Cliff. »Klar!« Sie standen dicht neben der ausgefahrenen Schleuse des Zentrallifts. Hier oben wehte ein starker Wind, aber die Luft war dünn. Die schweren Anzüge verhinderten zwar, daß die Männer von der spiegelglatten Plastikfläche weggeblasen wurden, sie schützten vor dem hohen Sauerstoffanteil, der die Lungen zerfressen würde, aber sie waren kein Schutz gegen eine Strahlwaffe oder gegen einen Absturz. Elf Kilometer waren eine Distanz, die jeden zerschmettern konnte – und das winzige Flugaggregat war nur für Bewegungen im schwerelosen, luftlosen Vakuum des Alls gedacht. »Mario?« Der Erste drehte sich schwerfällig um. »Ja?« »Hast du die Ultraschallsäge bereit?« »Selbstverständlich, Cliff!« »Gut. Gehen wir los.« Mit Cliff an der Spitze marschierten sie mit kleinen, vorsichtigen Schritten auf den Teil der Oberfläche zu, der eine Klappe enthalten sollte. Sie selbst sahen die Unterbrechungen nicht, aber Atan Shubashi würde sie einweisen. Der Sturm riß die Stahlseile seitlich weg, zerrte an den Anzügen, und dann richtete Skuard den waffenähnlichen Gegenstand aus. Die Explosion verhallte ungehört, der Sturm riß die heißen Gase weg, aber ein Bolzen mit Widerhaken schlug in das Plastikmaterial ein. Von ihm bis zu dem Turceed spannte sich eine Kunststoffleine mit einem Stahlkern. Skuard kappte mit einer angebrachten Zange die Leine, schlang einen Knoten hinein und befestigte einen Stahlring daran. Auf diese Weise verschoß er weitere zehn Bolzen und führte dann ein Tau, das er sich um die Schultern geschlungen hatte, durch die Ringe. Eine provisorische, glatt auf dem Boden anliegende Leiter entstand, und als sich der Astrogator meldete, konnte man sich an dem dicken Tau von der Klappe bis zur Schleuse zurückarbeiten. Cliff sah die Konstruktion an und bemerkte: »Tadellos, Skuard.« Der Turceed nickte hinter seiner Helmscheibe. Hier oben beschlug sie nicht mehr. Er warf mit einer plumpen Bewegung das Bolzenschußgerät auf den Rücken und stapfte weiter, zog Rettir mit sich. Atan Shubashi sagte über Sprechfunk: – 42 –
»Cliff! Stehenbleiben!«
Der schwarze Raumanzug an der Spitze bewegte sich nicht mehr.
»Ja, was ist los?«
»Du stehst mit dem linken Fuß direkt auf der Schnittlinie zwischen der Luke und
dem Boden. Jeweils drei Meter in beide Richtungen geht dieser Einschnitt. Du müßtest ihn eigentlich erkennen!« Cliff bückte sich, kämpfte sekundenlang gegen einen Windstoß und balancierte sich dann aus. Mario stemmte sich zurück, so daß die Stahltrosse gespannt blieb. Cliffs Finger in dem ungefügen Handschuh tasteten über den Boden und blieben in einer Rille hängen, die nicht viel tiefer war als ein Zentimeter. »Ich habe es«, sagte er ruhig.
Atan fragte zurück:
»Wie sieht dieser Einschnitt aus?«
Cliff erwiderte nach einigen Sekunden schweratmend:
»Wie eine abgedichtete Fuge. Das Dichtungsmaterial ist nicht von der Umgebung
zu unterscheiden. Wir werden ausschneiden müssen.« »Das fürchte ich auch. Bitte vergeßt die beiden Angelpunkte nicht. Sie befinden sich an der Längsseite der Mauer. Die Platte ist etwa zwölf Quadratmeter groß.« »Wir achten darauf.« Sie verteilten sich, sicherten sich an einem weiteren Bolzen, den Skuard in das Plastik schoß und fuhren mit den Fingern den feinen Spalt nach. Dann setzte Mario die Ultraschallsäge an und sägte einen drei Meter messenden Schnitt von Osten nach Westen. Er paßte genau auf, wo er anfing und aufhörte; er wollte nur die Klappe öffnen, nicht aber vergrößern. Dann richtete er sich auf und keuchte etwas, bückte sich in dem starren Anzug erneut und zog einen weiteren Schnitt, in nord-südlicher Richtung. »Hier ist der Drehpunkt«, sagte er. Skuard nahm ihm die Maschine aus der Hand, die Männer wechselten die Leinen und die Sicherungspunkte aus, und Skuard öffnete die zweite Seite der Klappe ganz und die dritte zur Hälfte. Dann löste ihn Cliff ab. Fünfzehn Minuten vergingen. Stets dann, wenn die Ultraschallsäge eingesetzt wurde, ertönte ein Heulen in den winzigen, am Rand der kugelförmigen Raumhelme angebrachten Lautsprechern. Endlich waren sie fertig. Deutlich zeichnete sich jetzt ein Viereck ab, das an zwei Stellen an den längeren Seiten unterbrochen war. »Wir können in die Mauer eindringen!« stellte Cliff fest und gab Mario die Ultraschallsäge zurück. Mario befestigte sie wieder am Gürtel und trat prüfend auf den Kunststoff. »Der Hebel, Flow!« sagte Cliff. Rettir griff nach hinten und löste die Halterungen einer hundertdreißig Zentimeter langen Stahlstange, drehte den Arm in den kugeligen Gelenken des gepanzerten Anzugs und setzte die Spitze dieser langen Brechstange in den Spalt dicht vor sich. Er wippte ein wenig, und die Platte bewegte sich. »Kein Widerstand«, sagte er ruhig. Plötzlich war die alarmierende Stimme der Funkerin zu hören. Aus dem Innern des Raumschiffs hörten die vier Männer das harte Schnappen von Schaltern, das Summen eines rasend schnell zurückgespulten Bandes. – 43 –
»Cliff!« rief Helga. Der Kommandant spürte, wie sich Panik seiner bemächtigte. »Was hast du, Helga?« »Einen dringenden Funkspruch von Terra.« Plötzlich hörten die Bewegungen rund um die Einschnitte des Kunststofffleckens auf. Cliff sagte schnell: »Sofort abspielen!« In das gespannte Schweigen der acht Menschen hinein kam die deutliche Stimme des Raummarschalls. Wamsler war offensichtlich von dem, was er zu sagen hatte, auf das Schwerste erschüttert. »T.R.A.V. an ORION VIII... ich bedaure, Ihnen allen mitteilen zu müssen, daß es eine böse Überraschung gegeben hat. Vor genau drei Stunden ertönten mehrere akustische Warnsignale, daraufhin brachten sich die Forschungskommandos in Sicherheit...« In Cliff reifte ein furchtbarer Verdacht. »... in die wartenden Schiffe. Daraufhin beschleunigte das Große Schiff mit unerwarteten Werten. Es entfernte sich mit rasender Geschwindigkeit aus dem Erdorbit und schlug einen Kurs ein, der unter Umständen nach Osten führt. Wir vermuten, daß entweder eine uns bisher nicht zugängliche Schaltung oder eine Marionette das Schiff aktiviert hat. Wir vermuten ferner, daß zwischen dem Großen Schiff und Arys IV ein direkter Zusammenhang besteht. Aber wir haben keine Sicherheiten.« Cliff, Mario und Skuard starrten sich abwechselnd an. Ihre Gesichter hinter den leicht blaugetönten Scheiben waren bleich. »Das kann kein Zufall sein!« stöhnte Rettir. »... es ist weiterhin wahrscheinlich, daß Simer und das Große Schiff zu dem bekannten Zweck in der Nähe von Arys IV oder direkt auf dem Planeten zusammentreffen. Das muß auf alle Fälle verhindert werden. Ich bitte die Crew der ORION, zu tun, was sie kann. Gezeichnet Wamsler. Ende.« Schnurrend lief das Band aus. »Das ist wirklich eine fatale Überraschung«, knurrte Mario de Monti. Er drehte sich langsam um seine eigene Achse, als ob er schon irgendwo in der Lufthülle das riesenhafte silberne Schiff sehen konnte. Cliff räusperte sich unbehaglich, dann sagte er: »Die Dinge nähern sich einem entscheidenden Stadium. Ich weiß nicht, wie lange das Große Schiff braucht, um hierher zu kommen. Aber wir haben noch Zeit, nach Simer zu suchen. Ich weiß auch nicht, ob eine Schaltung oder eine Marionette das Schiff aktiviert hat – jedenfalls bewegt sich die Kugel auf der Bahn, die sie vor zehn Jahrtausenden flog.« »Wir müssen hinein – und zwar schnell!« Der schwarze Arm des Raumanzugs deutete nach links. Ohne hinzusehen, wußten die drei Männer, daß Flow Rettir die untergehende Sonne meinte, die nur noch zwei Handbreit über dem Horizont zu sehen war. Diesen Horizont bildeten allerdings die Wolken, über denen sich die Eindringlinge befanden.
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Mario löste die Strahlwaffe aus dem Futteral, entsicherte sie und steckte sie entschlossen wieder zurück. Dann streckten sich seine Arme nach der stählernen Stange aus. »An mir soll's nicht liegen«, sagte er laut und ergriff die Stange. Er stemmte sich gegen den langen Hebelarm, ließ sich von seinen Freunden sichern und zog mit aller Kraft daran. Er sah befriedigt, daß der nur zwei Zentimeter breite Spalt vor seinen Füßen breiter wurde, und daß sich die Platte leicht anhob. Auf der anderen Seite, jenseits der Angelpunkte, trat Cliff schwer auf die Platte, und sie begann sich zu bewegen. Auf Cliffs Seite schwang sie nach unten, vor Mario drehte sie sich nach oben. Schließlich stand sie hochkant da und bewegte sich nicht mehr. Das letzte, sehr schräge Sonnenlicht fiel auf einen Teil der Schrägfläche, die sich in der Dunkelheit darunterliegender Räume verlor. Sie verschmolz direkt unterhalb der entstandenen Kante mit dem Material der Maueroberfläche. »Letzte, entscheidende Frage«, sagte Cliff laut. »Steigen wir ein?« Rettir schaltete probeweise seinen Handscheinwerfer ein und aus und erwiderte im Brustton der Überzeugung: »Selbstverständlich!« Während Cliff um das entstandene Viereck herumging, wieder mit einem Windstoß zu kämpfen hatte und von Skuard gesichert wurde, glitt Mario in die Öffnung. Die Schwammsohlen der Stiefel fanden ausgezeichneten Halt, und Mario lief fünf Meter weit die Schrägfläche hinunter. »Nur Mut«, sagte er. »Ich habe eben eine ausgesprochen gute Theorie entwickelt.« Hinter ihm setzte sich Cliff, streckte die Beine wieder aus und betrat das glatte, hellgraue Plastikmaterial der geschwungenen Schräge. Mario nickte, schaltete den Scheinwerfer ein und sah, wie Skuard und Rettir folgten. Sie sammelten sich mit Waffen oder Scheinwerfern in den Händen an derjenigen Stelle, an der die Schrägfläche in den samtigen Belag eines langen Korridors überging. Die vier Männer befanden sich jetzt ungefähr zehn Meter unterhalb der Maueroberkante. »Was tun?« fragte Skuard. Cliff musterte die schwach erkennbaren Züge hinter der Helmplatte. »Hast du keine Richtung der Gedanken anmessen können?« »Nein«, kam es aus den Lautsprechern. »Nicht jetzt. Ich weiß nur, daß sich ein denkendes Wesen in einer Entfernung von maximal fünfhundert Metern aufhält. Sonst habe ich nichts zu sagen.« Rettir sagte, als Skuard schwieg: »Mario... du sagtest eben etwas von einer Theorie. Hast du etwas Bestimmtes im Auge?« Sie gingen nebeneinander mit sicheren Schritten den Korridor entlang. Er war etwa fünf Meter hoch und dreißig Meter breit. Von links kam durch unregelmäßig viereckige Flächen letztes Sonnenlicht und schuf eine halbe Dunkelheit. Aber der Staub, der sonst in alten, leeren Gebäuden in den Lichtbalken flimmerte, fehlte hier völlig. »Ja. Etwas Bestimmtes«, erwiderte Mario.
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Ein Handscheinwerfer flammte auf und beleuchtete den schwammartigen, hellgrauen Boden. »Sprich endlich!« sagte Cliff etwas gereizt. »Angenommen, hier landeten fünftausend Dherrani. Sie konstruierten jenen Kunststoff und ließen ihn nach einem genauen Plan wachsen. Ihre Rasse war nicht lebensfähig, und sie starben nacheinander aus. Was ist die topographische Folge eines so langsamen Aussterbens?« Rettir meinte leise: »Ich glaube, ich weiß, worauf du hinauswillst. Die letzten Dherrani scharten sich zusammen.« Cliff setzte den Gedankengang fort: »Und sie nahmen zumindest einen Teil ihrer Gerätschaften mit.« Mario sagte: »Ausgezeichnet. Das bedeutet nichts anderes, als daß hier in dieser tausend Kilometer langen Mauer ein einziger Lebensbereich von vermutlich wenigen hundert Metern in horizontaler und vertikaler Ausdehnung gefunden werden kann.« Sie hatten jetzt etwa hundert Meter zurückgelegt und hielten die Waffen schußbereit in den Händen. Die Männer blickten den Strahlen aus den Scheinwerfern nach; sie tasteten den Boden, die Wände und die Decke ab. Weiter vorn schien eine durchsichtige Schicht den Korridor abzuschließen. »Also der Bereich, in dem die letzten Dherrani lebten und – starben.« »So ist es.« Als sie an die Stelle kamen, merkten sie, daß ein durchsichtiger Film den Korridor von oben nach unten trennte, wie eine Lichtflutbarriere. Cliff stieß mit dem Finger dagegen, und plötzlich erfüllte ein mildes, gelbes Licht einen weiteren Abschnitt des Korridors, der noch weiter vorn eine Biegung zu machen schien. »Und wenn Simer diese Mauer betreten hat, vermutlich mit dem Schiff eingeflogen ist, dann wird er auch diesen Bereich gesucht und gefunden haben. Das bedeutet für uns, daß wir die Suche nicht über tausend Kilometer ausdehnen müssen, statt über mehr als siebenundzwanzigtausend Kilometer.« Als Cliff den durchsichtigen Vorhang mit der Hand berührte, stieß er hindurch. Das Plastikmaterial der Trennwand schloß sich nahtlos an seine Finger an, an das Handgelenk und den Anzug am Unterarm. Sie betraten das dahinterliegende Stück des Verbindungsganges, ohne daß sie den Vorhang zerrissen. Das schmiegsame Material bildete wie das Diaphragma einer Seifenblase einen Film, der über die Anzüge wanderte und sich wieder schloß, sobald etwas durchgestoßen war. Es war wirklich die vollkommene Schleuse. Cliff schaltete sein Prüfgerät ein und blickte auf die helle Skalenscheibe. »Gleichzeitig ist unser Problem, ob Simer und wir den gleichen Bezirk gefunden haben. Unsere Position und seine können Hunderte von Kilometern voneinander entfernt sein.« Cliff blieb stehen und sah Skuard an. »Richtig. Das ist das Problem. Etwas anderes – wir können die Helme öffnen. Hier herrscht atembare Luft.« Er hob seinen Arm und deutete auf die Anzeigen des Prüfgerätes. »Dieselbe Luft, die auch Simer atmet?« erkundigte sich Rettir unsicher. »Mit großer Wahrscheinlichkeit«, meinte Skuard. – 46 –
»Gehen wir weiter. Achtet auf die Wände.« Sie gingen insgesamt fünfhundert Meter in diesem erleuchteten Korridor entlang, ohne daß sie eine Tür oder einen Eingang bemerkten, die sie seitlich in neue Räume geführt hatten. Sie konnten sich hier buchstäblich zu Tode suchen. Aber Cliff wollte nicht daran glauben, daß diese Ereignislosigkeit blieb. Nach einem halben Kilometer kamen sie an die Kugel. »Halt!« war das einzige, das Mario hervorbrachte; er ging an der Spitze der vier Männer und hielt den Helm seines Anzugs unter dem linken Arm. Vor ihnen breitete sich eine Szenerie aus, die sie mit ungläubigem Staunen erfüllte. * »Scheint ein Knotenpunkt zu sein!« Sie standen vor der letzten Stufe einer weißen Treppe. Dieses Plastikmaterial war von einem blendenden, fast kristallinen Weiß, das sich von dem Pflanzengewirr deutlich abhob. In der Mitte der Mauer befand sich ein riesiger, kugelförmiger Hohlraum, dessen Durchmesser sicher nicht viel weniger als einen Kilometer betrug. Er wurde von einem System dieser weißen, gewundenen Treppen ausgefüllt und von einem Meer von Pflanzen. Genauer von einer einzigen Pflanzenart, die wie Efeu wirkte und außer den Treppen und einigen Durchblicken und Hohlräumen die gesamte Kugel ausfüllte. »Ein Superefeu!« murmelte der junge Archäologe. »Und eine Menge von Abzweigungen. Wir können uns aussuchen, in welcher Richtung wir uns verirren möchten.« Sie sahen nicht viel, aber was sie sahen, machte den Versuch einer systematischen Erforschung so gut wie unmöglich. Auf der anderen Seite war es klar, daß sich dieser Raum hier schon seit langer Zeit in diesem Zustand befunden haben mußte, denn der Dschungel war nicht innerhalb dreier Wochen gewachsen. »Das ist toller als der hohle Berg.« Mario grinste breit und deutete nach unten und nach oben. Der Korridor, aus dem sie herausgekommen waren, befand sich dicht unterhalb der Kugelinnenwand. Die weißen Treppen bildeten ein System, das aussah, wie eine Anzahl ineinander verknoteter Spinnenbeine. Auf verschiedenen kleinen Plattformen trafen sich jeweils einige der Treppen. Sie waren nicht gerade, sondern verliefen in Schleifen, in geschwungenen Bögen oder in Spiralen oder aus Mischformen dieser drei Anordnungen. Auch aus den wenigen anderen Korridoreingängen, die sie von hier oben erkennen konnten, fiel gelbes Licht. Und jenes Superefeu wucherte in fast jedem Zwischenraum, schuf Gänge, Nischen und Hohlräume um die Treppen. »Wenn sich Simer dort verbirgt, können wir einzeln abgeschossen werden«, sagte Mario warnend. »Damit kannst du verdammt recht haben«, erwiderte Cliff. »Trotzdem wird uns nichts anderes übrigbleiben, als zumindest einige der Treppen zu benützen. Wenn ich an unsere schweren Anzüge denke...« Er ließ das Ende des Satzes offen. Mario nahm seinen Strahler heraus, zielte kurz, und ein Feuerstoß schmolz in die Treppe ein Zeichen hinein.
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»Da wir keinen Faden der Ariadne haben, müssen wir uns mit Wegmarken behelfen«, knurrte er und schob die Waffe wieder zurück. Dann machten sie sich an den Abstieg. Sie gingen in einer gewaltigen Linkskurve nach unten, verschwanden schon nach wenigen Schritten in den dunkelgrünen Lauben und Nischen. Die Halle war mit dem Geruch wachsender Pflanzen erfüllt, und die kleinen Blätter knirschten und rieben sich aneinander. Einmal streifte Rettir einen Zweig aus dem Weg, und er blieb ruckartig stehen und rief: »Alles nur Plastik, Freunde!« Sie sammelten sich wieder und rissen Blätter ab. Kopfschüttelnd mußten sie erkennen, daß die Ranken und die winzigen spiraligen Ausläufer, mit denen sich das Efeugewirr an den Wänden und an den Unterseiten der Treppen festklammerte, die verschieden großen Blätter und auch die gelben, abgestorben wirkenden Blätter, alle aus Kunststoff bestanden. Das Material war weich und biegsam, wie echte Blätter, und es roch auch so. »Eine merkwürdige Mentalität, die Efeu aus Kunststoff herstellt und eine riesige Kugel damit auskleidet«, murmelte Cliff. Mario hob eine Hand. »Vor Jahrhunderten galt es auf Terra als angemessen, Rosen aus Kunststoff in Vasen zu stellen. Nur keinen geistigen Hochmut, Freund Cliff. Gehen wir in diesen Korridor dort hinein?« Er zeigte schräg nach vorn. Die Treppe, auf der sie sich in unterschiedlicher Höhe befanden, wurde von einer etwa zwanzig Meter durchmessenden Plattform durchbrochen. Unter den Tritten der Männer schaukelte die Konstruktion ein wenig; das Material, das wie dreidimensionale Linien den Raum ausfüllte, schien diese Elastizität zu brauchen. Jenseits der Plattform, auf der sich sechs Treppen trafen, führte ein annähernd gerader Steg in einen anderen, rotausgeleuchteten Korridor hinein. »Ja.« Mario machte wieder ein Zeichen in das Material und sah sich um. Alles, was e r erkennen konnte, waren Treppen, Efeu und Plattformen. Sonst nichts. Keine fremden Bewegungen, keine Gefahren, keine Tiere. »Achtung!« Plötzlich war ein heulendes Geräusch in der Luft. Ein langer, grüner Gegenstand schoß wie ein Pfeil durch einige Hohlräume, traf neben Mario de Monti in das Gewirr der Zweige und Äste und entwickelte dort ein rätselhaftes Leben. »Gefahr!« brüllte Cliff und riß seinen Strahler heraus. Gasdruckwaffen waren hier sinnlos und überdies gefährlich. Das Ding in den Zweigen schickte lange, dünne Fäden von grüner Farbe aus, die mit winzigen kugelförmigen Saugnäpfen ausgerüstet waren. Sie zielten mit äußerster Präzision nach Marios Kopf, verkrallten sich in seinem Haar und an der Schutzblende des Helms. Sie preßten sich gegen die Haut, rissen an den Ohren und schlängelten sich um die Lippen. Cliffs HM 4 summte auf. Ein stechender Lichtstrahl schoß in das Gewirr der Zweige, zerschnitt den grünen Stab und verwandelte einen halben Kubikmeter Efeu in Rauch und Flammen. Winzige Gasmengen explodierten mit hellem Krachen. Rettir setzte sich – 48 –
gerade seinen Helm wieder auf, als ein zweites Geschoß heranfauchte, ein drittes, ein viertes. Die Männer schossen jetzt gezielt, und die dünnen Schlangen verkrümmten sich in kleine Spiralen und fielen vom Gesicht des Ersten ab. »Verdammt!« ächzte Mario. »Das schmerzt höllisch!« Sie liefen, so schnell sie konnten, ein Stück den Steg hinaus und blieben stehen. Mario massierte sein Gesicht, und die anderen schlossen die Helme wieder. »War das Simer?« fragte Cliff. Skuard lehnte sich gegen ihn und schloß die Augen, konzentrierte sich scharf. Dann schüttelte er langsam den Kopf. »Nein. Ich spüre seine Gedanken weit entfernt. Ich kann nicht sagen, in welcher Richtung. Das hier scheint eine Falle des Efeus zu sein.« Als sie den Steg überquerten, um in den rot beleuchteten Korridor zu kommen, prasselte ein Hagel von grünen Stäben aus allen Richtungen auf sie nieder, und die Strahlwaffen traten erneut in Tätigkeit. Auf den weißen Stufen erschienen Brandflächen, und die dünnen Schnüre verwandelten sich in der tödlichen Hitze in eine klebrige, schleimige Masse. Überall brannte und schmorte der Kunststoff, und als Mario seinen Helm schloß, erwischte er eine Wolke der Gase und rang kurz darauf mit einem würgenden Hustenanfall. »Wir gehen noch ein wenig in den Korridor hinein, dann kehren wir wieder um«, ordnete Cliff an. Auf dem Gesicht des Ersten zeichneten sich jetzt die Spuren der Saugnäpfe ab. Es waren kleine, rote Kreise, die aber immer größer wurden. Mario murmelte etwas von Schmerzen und schwieg hartnäckig. Der Schluß dieses ersten Vorstoßes brachte nichts Neues mehr. Sie traten von dem weißen Steg herunter und ließen den Hagel von Kunststoffgeschossen hinter sich auf den Belag prasseln. In dem hellen roten Licht des Korridors sahen sie einzelne Räume hinter undurchsichtigen Filmen, betraten einige von ihnen und fanden Möbelstücke, Einrichtungsgegenstände und Geräte, die hauptsächlich aus Plastik bestanden und sie an die Formen im Turm und im Berg erinnerten. »Keine Spuren von Leben.« »Nichts, nicht einmal vermoderte Mumien«, sagte Flow. Sie durchsuchten die Räume flüchtig und gerieten einmal, nach einem Marsch von mehr als sechshundert Metern, in einen Raum, der an der senkrechten Wand der Mauer lag. Er besaß ein riesiges Fenster, durch das sie die untergehende Sonne sehen konnten, wenn die Wolken kurz aufrissen. Nur einige Sitzgruppen waren hier zu finden und fremdartige Beleuchtungseffekte, die sich einschalteten, wenn man sich den verschiedenen Bezirken des großen Raumes näherte. »Zurück!« sagte Cliff. »Wie fühlst du dich, Mario?« Der Erste sagte leise: »Miserabel. Mein Hals ist offensichtlich etwas verätzt, und die Gesichtshaut brennt wie Feuer.« Cliff ordnete an: »Wir gehen so schnell zurück wie möglich, keinen Aufenthalt. Und wenn sich die grünen Pfeile wieder zeigen – sofort schießen.« Sie gingen schnell aus dem Aussichtsraum hinaus, durchquerten einige kleinere Räume und kamen in den roten Korridor hinaus. Dort bogen sie links ab und gerieten wieder auf den Steg hinaus. Wieder überfielen sie an vier verschiedenen – 49 –
Stellen wahre Hagel von Stäben, die sich entfalteten und versuchten, Beine und Arme der Raumfahrer zu fesseln. Ein Mensch ohne Raumanzug wäre hier verbrannt und erwürgt worden. Sie liefen langsam über die Plattform und machten sich daran, die zweihundert Stufen hinaufzusteigen. Eine Stunde später waren sie bei der noch immer hochkant stehenden Klappe. Sie sicherten sich und tasteten sich bis zum Lift, enterten die Schleuse und fuhren hinauf in die ORION VIII. Hasso Sigbjörnson zog das Seil ein und verschloß die Luke, und das Raumschiff startete von der Mauerkrone hinunter zum Erdboden. Als sie zehn Meter über dem gleitenden, schleimigen Sand schwebten, war die Dunkelheit der planetaren Nacht vollkommen. Cliff schälte sich aus seinem Anzug und dehnte seinen Brustkorb. »Morgen werden wir leichtere Anzüge mitnehmen«, versprach er. »Das ist zu anstrengend!« Ishmee musterte Marios Gesicht, das sich rot gefärbt hatte. Auf der Haut zeigten sich winzige Bläschen. »Morgen wird Mario jedenfalls nicht mit euch gehen«, sagte sie streng. »Ich werde mich sofort um ihn kümmern.« Mario grinste nicht einmal, dazu schmerzte die Gesichtshaut viel zu sehr. E r krächzte nur noch: »Ich bin auch dafür, mich etwas auszuruhen.« Helga Legrelle kam heran und half Flow, den Raumhelm abzunehmen. Der Archäologe brummte nur: »Diese Mauer hat vermutlich noch andere Fallen für uns bereit. Ich verstehe dabei nur eines nicht – ist das Absicht, oder haben sich die Dherrani damals, als sie noch lebten, auch mit solchen Späßen beschäftigt? Sie konnten doch nicht wissen, daß wir in ihrer Wohnung nach Simer suchen werden.« Hasso Sigbjörnson, der sich bisher mit Cliff leise unterhalten hatte, drehte sich um und erwiderte ruhig: »Auch das wird sich aufklären lassen, Flow. Im Augenblick sollten wir uns zusammensetzen und essen und darüber diskutieren, was ihr gefunden oder gesehen habt.« Ishmee und Mario gingen nebeneinander durch den Ringkorridor in die winzige medizinische Station des Schiffes. Als sie später in die Kombüse zurückkamen, war Mario von der Stirn bis zum Hals einbandagiert. Nur seine Augen und der Mund sahen aus den Verbänden heraus. »Verdammter Mist!« knurrte er. Atan Shubashi hatte als einziger eine leidlich gute Laune. »Du verbirgst etwas«, sagte Cliff leise. »Und sicher etwas, das uns weiterbringt, ja?« Der Astrogator nickte. »Ich habe mit sämtlichen Schirmen herumgespielt und einige Schaltungen vorgenommen. Ich bin in der glücklichen Lage, euch mitzuteilen, daß in zweitausend Metern Entfernung eine Metallmasse geortet werden konnte, die etwa der Größe unserer vielgesuchten HYDRA II entspricht.« Sie versammelten sich in der Kombüse, aßen und diskutierten. – 50 –
Dann holte jemand einen Notizblock, und sie zeichneten auf, was sie wußten. Die sechzehn Augen, die das Papier anstarrten, konnten in den Gängen, Zimmern und Korridoren. Schleusen und abzweigenden Nischen keinerlei System erkennen, und alles wurde nicht klarer, je mehr sie sich unterhielten. Außerdem waren sie sehr müde. Cliff stand auf und lehnte sich an die Wand. Er musterte seine Crew genau und sagte dann leise: »Mario bleibt morgen bei euch. Nur Skuard, Flow und ich gehen dort hinunter.« Mario brummte undeutlich. »Wir haben gesehen, daß sich Simer offensichtlich hier wohnlich eingerichtet hat. Das bestätigt keinesfalls, daß er sich gerade in der Nähe der Efeukugel aufhält, aber der Unsterbliche scheint tatsächlich hier auf die Große Kugel zu warten. Mit der HYDRA II kann er das Schiff anfliegen und zurück zu den Planeten seiner Dherrani-Ahnen starten.« »Dagegen ist ja nichts einzuwenden«, sagte Ishmee leise. »Schließlich ist er auch ein Erbe.« »Auch!« sagte Cliff scharf. »Er und wir könnten uns das Schiff teilen, wie auch alle die Erkenntnisse, die es mit sich führt. Wenn ich ihn stellen könnte, ohne daß er dabei stirbt, werde ich auch noch einmal versuchen, mit ihm zu verhandeln – wir sind nämlich ebenso die Erben. Er will uns alles wegnehmen, wir ihm nichts. Aber ich fürchte, sein Haß auf Terra und Turceed ist so groß, daß keine Diskussion etwas ändern wird.« Ishmee meinte: »Das fürchte ich auch.« »Das ist sogar die einzige Reaktion Simers«, sagte Skuard resignierend. »Wir sollten uns morgen sehr vorsehen.« Cliff versprach es ihm. Dann schalteten sie sämtliche Wachsysteme ein, über die das Schiff verfügte, und Hasso erklärte sich bereit, die Wache zu übernehmen. Die Mannschaft ging auseinander, und wenigstens die Teilnehmer an dem ersten Vorstoß in die schwarze Mauer waren derart erschöpft, daß sie sofort einschliefen. * Plötzlich, mitten in der Schlafperiode, wurde Cliff wach. Er wirbelte herum, riß die entsicherte HM 4 aus der Vertiefung neben seinem Kopf hervor und richtete sie auf die Gestalt, die in der fast dunklen Kabine zu sehen war. »Bring mich nicht um, Geliebter«, sagte Ishmee. Cliff schaltete das Licht ein und setzte sich auf. Neben ihm saß Ishmee auf dem Rand der Liege und sah ihn an. Ihr Gesicht wirkte unnatürlich angespannt und bleich. Schweiß stand auf ihrer Stirn, und ihre Finger waren nervös, als Cliff ihre Hand ergriff. »Was ist los?« Ishmee flüsterte tonlos: »Ich bin eben aufgewacht. Ich habe mich auf das Innere der Mauer konzentriert – im Schlaf, unbewußt. Ich habe einen derart deutlichen, scharfen Strom haßerfüllter Gedanken aufnehmen müssen, daß ich erwachte. Als ich wach war, habe ich mich – 51 –
noch schärfer konzentriert und einige Orte förmlich gesehen. Ich habe zum erstenmal in meinem Leben sehen können, was die Augen eines anderen wahrnahmen. Aber auch nur deshalb, weil der Haß so uneingeschränkt, so deutlich war.« Der Türsummer unterbrach sie. »Komm herein, Skuard!« sagte Cliff. Er wurde nicht enttäuscht – es war Ishmees Bruder. »Du bist also auch aufgewacht?« fragte Skuard und ließ sich schwer in Cliffs Sessel fallen, drehte ihn von der Arbeitsplatte weg. »Ja. Haß!« Skuard nickte ernst. »Reiner Haß!« Er griff nach einem Skizzenblock und begann zu zeichnen. Ishmee sah ihm schweigend zu, und Cliff legte den gesicherten Strahler wieder zurück. Auf dem Block erschien eine große Kreisfläche mit einigen breiten Bahnen, die auf den Mittelpunkt zuführten. »Sage mir nur nicht, daß du die Gedanken des Unsterblichen derart deutlich gespürt hast, daß du davon ein Bild machen kannst!« meinte Cliff zweifelnd. Es war ihm noch immer etwas gespenstisch, daß ein Mensch die Gedanken eines anderen feststellen und deuten konnte – alles, was darüber hinausging, erfüllte ihn mit einem dunklen, unklaren Unbehagen. »Doch, genau das will ich behaupten«, flüsterte der Turceed. Dann begann er zu reden und seine Zeichnung zu erklären. Er hatte gesehen... Nicht weit von der Efeukugel entfernt, gab es ein System von ineinandergeschachtelten Gängen und Zimmern, Räumen und Versorgungseinrichtungen. Dort »wohnte« der Unsterbliche. Dort war auch eine Halle, die zur Außenwelt durch eine der bekannten flexiblen Schleusen Verbindung hatte. In dieser Halle – welchem Zweck sie einmal gedient hatte, wußte der Turceed natürlich nicht – schwebte die HYDRA II. Zwischen der Efeukugel und der Halle befanden sich einige tödliche Fallen, an die der Aashap gedacht hatte. Sie würden die eindringenden Terraner töten, das hoffte und wußte der Fremde. Gleichzeitig war die HYDRA von etwas unvorstellbar Grauenhaftem bewacht. Und jetzt befand sich Simer in der Hinterlassenschaft seiner Ahnen, wartete auf das Große Schiff und hoffte, daß die Fallen des Kuststoffbauwerks und seine eigenen Waffen die Terraner vernichten würden. Er kämpfte aus Verstecken heraus, nicht offen. Und... er haßte sie, die Turceed und die Terraner. Dieser Haß war fast tierisch in seiner bedingungslosen Wildheit. Er schien alle anderen Lebensäußerungen des Aashap zu überlagern wie eine Glasur, die über jedem anderen Gedanken lag. »Das hat uns aufgeweckt, Cliff!« sagte Skuard und reichte ihm die Zeichnung. »Und das hält uns noch jetzt in seinem Bann«, schloß Ishmee. Cliff hielt das Blatt in den Händen und nickte schwer. Dann fragte er leise: »Was bedeutet das, Skuard?« »Es ist eine Art Lageplan dessen, was zwischen der HYDRA und unserem Einstieg liegt. Und, sei versichert, es liegt voller tödlicher Fallen. Es sind keine – 52 –
Lebewesen, sondern technische Tricks. Aber ebenso wirksam wie die mutierten Leoparden.« Cliff betrachtete sorgfältig die Zeichnung. Und dann begann er sich zu fürchten.
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»Ich habe eben nachgemessen«, sagte Skuard düster. »Der Durchmesser dieses mit Efeu durchwachsenen Knotenpunktes beträgt etwas weniger als achthundert Meter. Und wir müssen die gesamte Breite der Kugel durchqueren.« Die drei Männer hatten die leichten Raumanzüge benutzt, aber die Helme waren geschlossen. Mario lag mit verätzter Gesichtshaut in seiner Kabine, und Hasso und Atan bewachten die ORION. Es war, nach dem Terrazeitmaß, neun Uhr morgens. Cliff versuchte, mit den Augen den Kunststoffdschungel zu durchdringen, aber er sah nur die erste Kurve der Treppe, die hier herunterführte und einige Plattformen. »Worauf warten wir noch?« fragte er. Flow Rettir, Skuard und Cliff wollten heute den zweiten Vorstoß versuchen. Sie waren hervorragend ausgerüstet, aber die Ausrüstung wog nicht soviel, daß sie davon belastet worden wären. Das Entscheidende war die eineinhalbfache Schwerkraft. Sie gingen langsam, mit den schußbereiten Strahlwaffen in den Händen, die geschwungene Treppe hinunter. In der Mitte der Kurve überfielen sie wieder die grünen Stäbe, die offensichtlich von dem Kunststoffefeu selbst verschossen wurden. Aber die Saugnäpfe glitten von der Oberfläche des Anzugsmaterials ab und wurden mit einigen Schüssen unschädlich gemacht. »Hier ORION, Helga. Alles klar, Cliff?« Nach einem scharfen Knacken meldete sich die Stimme der Funkerin. »Bis jetzt, ja.« »Gut. Ich melde mich wieder. Mario meint, ihr könntet ohne ihn nicht auskommen.« »Aberglaube«, schloß der Kommandant ruhig. »Ende.« Helga schaltete ab. Die drei Männer stiegen zuerst abwärts, änderten dann ihre Richtung und überquerten die erste der Plattformen. Sie gerieten in einen neuerlichen Schwarm der merkwürdigen Geschosse, wehrten sie ab und bestiegen eine andere Treppe. Sie führte aufwärts, aber in einem engen Bogen. Es war wie der Weg durch einen Dschungel – oder besser wie durch sorgfältig angelegte Gärten voller Laubengänge. Der Efeu wuchs um die weißen Treppen herum, aber er bildete lange, gewundene Gänge, in denen nur einzelne Zweige nach unten hingen oder seitlich nach den Füßen der Männer schnappten. Niemand sprach, die kleinen Außenmikrophone übertrugen keinen einzigen Laut. Nur das Geräusch der Schritte auf den Treppen war zu hören und ein Knistern, das irgendwoher aus dem Hintergrund zu kommen schien. Eine merkwürdige Situation. »Skuard?« fragte Cliff leise. »Ich habe wieder nur verschwommene Gedanken«, sagte der Turceed. »Wir sind auf dem richtigen Weg.« »Wenigstens ein Lichtblick«, murmelte Flow. Sie arbeiteten sich weiter vorwärts. Die nachgeahmten Pflanzen, von denen es hier Millionen gab, bildeten einen seltsamen Gegensatz zu einem wirklichen Wald. Gerade das Fehlen von Gerüchen, von Insekten und Bewegungen, von tierischen Lauten oder den anderen Dingen, die einen normalen Wald oder Dschungel kennzeichneten, machten jeden Schritt zu – 54 –
einem kleinen Wagnis. Die Männer fühlten sich in dieser Umgebung unsicher und gefährdet, obwohl sie kaum Gründe dafür erkennen konnten; zwischen der rationellen Überlegung und der Praxis dieses Vordringens gab es gewaltige Unterschiede. Die Treppe führte in einem Bogen aufwärts, endete wieder auf einer Plattform, und jetzt sahen sie auch den geschwungenen Steg. Skuard sagte: »Dort, der blaue Korridor. Ich habe ihn gestern nacht gesehen – in den Gedanken Simers. Wir nähern uns dem Lebensbereich des Mannes.« »Vorwärts«, sagte Cliff und nickte. Nacheinander betraten sie den Steg und gingen langsam weiter. Vor ihnen wurde der rechteckige Einlaß eines weiteren Korridors sichtbar. Ein kühles blaues Licht erfüllte ihn. Noch hundert Meter... dann nur noch fünfzig. Schließlich verließen sie, ohne daß sie von weiteren Efeugeschossen getroffen wurden, den Steg und traten in die blaue Umgebung hinein. Cliff murmelte: »Von hier ab äußerste Vorsicht, Freunde. Wir sind Simer ziemlich nahe. Und vergeßt nicht, daß es weitere Fallen geben kann.« »Ärger und Überraschungen helfen gegen vorzeitiges Altern«, bemerkte Flow respektlos und blieb neben Cliff. Sie drangen in den waagrechten Schacht ein. Nach zehn Metern blieben sie stehen. »Hier. Eine Schleuse.« Links neben ihnen sahen sie, daß sich hinter der Plastikwand ein großer Raum verbarg. Sie betraten ihn nebeneinander durch eine der Flächen, die mit dem dünnen, flexiblen Film gefüllt waren. Kaltes, weißes Licht schlug ihnen entgegen, und sie mußten einen Augenblick geblendet die Augen schließen. »Wieder ein Schritt nach vorn«, meinte der Kommandant und ging fünfundzwanzig Meter weit in den riesigen Raum hinein. Die schwarze Mauer war sicher viel zu groß angelegt worden; sie überstieg die Menge des umbauten Raumes gewaltig, die beim stählernen Turm oder beim hohlen Berg benötigt worden war. Hier schien es keine kleinen, gemütlichen Räume zu geben, sondern nur überdimensionierte Hallen, in denen sich der Mensch verloren vorkommen mußte. War dies ein bewußter Ausdruck des Trotzes – wenige tausend Dherrani wollten dokumentieren, daß sie trotz der schlechten Lebensbedingungen hier Fuß gefaßt hatten? Wahrscheinlich. Jedenfalls schien dieser Raum, etwa zweihundert zu einhundertfünfzig Meter groß, nichts anderes als ein normales Wohnzimmer gewesen zu sein. Die Terraner sahen einige schwere, hochlehnige Plastiksessel, deren Formen überraschend modern waren, einige Tische, die allein die Größe normaler Wohnzimmer hatten, einen leuchtenden Raster, der die Decke bildete und etwa zehn »Inseln« inmitten des Bodens. Sie waren vertieft angelegt, mit Kies gefüllt, und Pflanzen wucherten entlang einer dünnen Säule bis zur Decke. Sie hatten unwahrscheinlich elegante Formen, trugen riesige Blätter und große, weiße Blüten. Flow meinte sarkastisch: »Sie haben wirklich nur in Plastik gedacht, unsere Dherrani hier.« Er lief schnell auf eine der Inseln zu und kauerte sich nieder. Seine Hand wühlte in dem weißen Kies – es war Plastikmaterial. Auch die Ranken, die Blätter und die Blüten waren aus Plastikmaterial verschiedener Dicke und verschiedener Härte. – 55 –
Langsam schritt Cliff einen großen Kreis ab, der ihn in der Nähe der Sitzgruppen, der Videophonschirme und der Tische vorbeibrachte. Irgendwo vor ihm ragte eine Art Regal in die Höhe, bestehend aus Rundformen und angefüllt mit etwa handgroßen Würfeln. Es waren Lesekassetten, und das, was hier stand und später einmal von der terranischen Wissenschaft entschlüsselt werden konnte, war sehr wichtig. Er kam zurück und blieb neben Skuard und Flow stehen. »Wie intensiv sind die Gedankenströme, die du aufnimmst?« fragte er über Funk. Skuard streckte die Hand aus und deutete zur Decke. Sie war rund zehn Meter vom Boden entfernt. »Im Augenblick spüre ich gar nichts. In der Zeit, in der wir hier standen, habe ich nur Ishmee spüren können.« »Gehen wir weiter.« Sie verließen den großen, einsamen Raum. Er war in seinen Proportionen nicht für Menschen gemacht; der Homo sapiens und auch die Dherrani waren zu klein für diese Formen und Abmessungen. Entweder war der Planer von einer gewissen Gigmoomanie befallen gewesen, oder die Trotzhaltung überstieg die Vernunft, wie so oft. Sie betraten wieder den Korridor. »Weiter!« Ohne sich zu überanstrengen, gingen sie schnell geradeaus. Das blaue Licht tat den Augen wohl, der Belag des Bodens war wie Schaum, und die Wände sahen aus, als beständen sie aus lauter kleinen geometrischen Formen, die man nach einem raffinierten Muster nebeneinander gesetzt hatte. Vor allem dominierten Vierecke, Rechtecke und Rundungen, die verschieden tief in das Plastikmaterial eingearbeitet waren. Die gesamte Mauer war ein einziges Stück, aus einem Bauplan entstanden, gewachsen in der Luft dieses Planeten... ein erstaunliches Phänomen. Wenn es gelang, den Zellenbauplan oder die Matrix dieses Kunststoffs nach Terra zu bringen, konnte dies für einen Wirtschaftszweig ungeahnte Folgen haben. Eine Stunde verging... Sie gingen geradeaus, betrachteten rechts und links Zimmer und Hallen, Einrichtungsgegenstände und »kleine« Labors mit interessanten Anordnungen. Einmal glaubten sie, einen Schatten zu sehen, aber als sie ihre Scheinwerfer anschalteten und die Ecke ausleuchteten, erkannten sie, daß sie einer optischen Täuschung zum Opfer gefallen waren. Endlose Räume wechselten miteinander ab. Der Korridor machte eine leichte Biegung, aber da sich diese Biegung über dreihundert Meter erstreckte, veränderte sich kaum etwas in den optischen Eindrücken. Dann, nach fünf weiteren Minuten, war der Korridor zu Ende. Die Männer standen vor einer geraden Querwand, die den blauen Korridor abteilte. In dem Augenblick, als Cliff die Wand berührte, bewegte sich unter ihren Füßen eine große Platte. Skuard sprang mit einem riesigen Satz zurück – dann blieb er stehen. »Keine Aufregung. Nur ein Lift«, sagte Flow. Die gesamte Breite des Korridors senkte sich ab, aber mit geringer Geschwindigkeit. Skuard sprang wieder auf die Platte und richtete seinen Strahler aus. Die drei Männer verteilten sich auf einen Wink des Kommandanten hin über
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die Platte; einer stand in der Mitte, die beiden anderen an den äußersten Punkten rechts und links. »Um drei Männer im Gewicht von dreihundert, beziehungsweise vierhundertfünfzig Kilo zu transportieren, brauchen sie einen halben Korridor. Gleichermaßen haben wir die Erfahrung machen müssen, daß es auch hier schwere Maschinen gibt, die noch intakt sind.« Cliff nickte Skuard über die Breite der Platte zu und erwiderte: »Simer kann sie eingeschaltet haben.« »Vermutlich.« Vor und neben ihnen zogen glatte Wände mit gezähnten Führungsschienen für den großen Lift nach oben. Langsam drehte sich Cliff um; er wollte auch nach hinten gedeckt sein. Minutenlang dauerte die Abwärtsbewegung, dann bremste der Lift ab. Ein summendes, knirschendes Geräusch kam über die Außenmikrophone herein. Eine sanfte Erschütterung ging durch die Platte, dann war alles wieder still. Drei undurchsichtige Wände im Rücken und an beiden Seiten – vor den Männern wieder eine halbtransparente Membran. »Hinein!« sagte Cliff scharf. Sie wußten nicht, was in dem grüngelben Licht vor ihnen wartete, aber sie verspürten instinktive Furcht. Langsam kamen sie über die Platte, und Skuard ging als erster durch den dünnen Film. »Vorsicht!« sagte er laut. Sie standen in einem Garten, der aus phantastischen Bildern zu entstammen schien. Mammutpflanzen wuchsen hier, vermutlich auch aus Kunststoff – aber sie lebten. Sie drehten sich ineinander, verschlangen sich, peitschten mit langen, dornenbewehrten Ranken um sich und erstarrten dann für einen Moment. Die bizarren Staubgefäße und Stempel riesiger Kelche schienen die Eindringlinge zu mustern, dann machte eine grüne, blutrot gesprenkelte Pflanze eine Bewegung. Sie schwang eine Ranke wie ein Lasso, schüttelte sich und schnellte die lange, braune Ranke peitschenartig nach vorn. Es gab ein lautes, knallendes Geräusch, und Rettir duckte sich. »Diese Biester leben!« stellte er fest. Cliff zielte kurz und schoß. Die Ranke wurde mitten in der Bewegung getroffen und zerschmolz rauchend in zwei Teile. Die anderen Pflanzen in diesem hellen, zylindrischen Raum bewegten sich stärker, bogen sich vorwärts und zurück, als ob sie von einem unhörbaren Orkan geschüttelt würden. Von allen Seiten schnellten jetzt die peitschenförmigen Ranken auf die Männer zu, und die Dornen an den braunen Schnüren sahen gefährlich aus. »Das ist das wahre Gesicht dieses Dherrani-Volkes«, keuchte Rettir, der sich ziemlich schnell bewegte, hin und her sprang und pausenlos schoß. Er versuchte, die Wurzeln oder die Hauptstränge der Pflanzen zu erwischen. Obwohl der Raum hoch und zylindrisch war, führte ein schmaler Steg durch ihn hindurch. Der Boden war etwa dreißig Meter entfernt. »Nein. Höchstens das von Simer!« gab Skuard zur Antwort. Sie wichen den Schnüren aus, die von allen Seiten auf die Plattform herunterzuckten, schossen gezielt und versuchten, sich eine Gasse entlang des Steges zu brennen. Rauch kam zwischen den Plastikblättern hervor und zog langsam nach oben; dicke, schwarze Fäden und Wolken wurden von unsichtbaren Schächten oder – 57 –
Exhaustoren abgesaugt. Die Pflanzen schienen geradezu besessen zu sein. Die Lautsprecher übertrugen das Geräusch der Schüsse, das Knistern brennender, verschmorender und tropfender Blätter, das Krachen von Ranken und die hallenden Peitschenknalle der dünnen Schnüre mit den langen Dornen. »Wir müssen durch!« schrie Cliff. Er kauerte am Boden, und seine Strahlwaffe spie lange, weißglühende Strahlen aus. Er verteilte sie gleichmäßig in einem 45-Grad-Winkel, ohne die anderen Männer zu gefährden. Schwarzer Rauch hüllte ihn ein; ein Inferno begann sich anzukündigen. »Es sind nicht mehr als hundert Meter!« schrie Rettir. Aus dem Rauch und den Flammen schossen zwei Ranken heran, wickelten sich wie die Schnüre von Peitschen um Rettirs Beine und rissen ihn vom Boden hoch. E r schaltete den Strahler ab, fühlte, wie er durch die Luft gewirbelt wurde und rief: »Cliff! Sie haben mich!« Er drehte sich, wurde hochgerissen, schlug dann pendelnd hin und her. Die Schnüre lösten sich wieder, und der Archäologe fiel senkrecht zwanzig Meter weit. Bereits im Fallen begann er zu zielen, fiel durch Rauchschwaden hindurch und prallte auf eine runde Blüte, die schwer mit ihm durchfederte. Dann begann sie sich zusammenzufalten, wie eine runde Fläche, die man durch ein enges Loch zog. An ihren Rändern sah Rettir lange, gekrümmte Stacheln. »Hilfe!« brüllte er und schoß. Er brannte ein Loch in die Blüte, und ein Teil der Fläche krümmte sich wieder nach außen. Von unterhalb der Blüte näherten sich jetzt lange Dornen. Sie waren weiß und sahen aus wie die Rippen eines Riesenskeletts, und ihr Zugriff war unerbittlich. Rettir versuchte, zum Rand des Blütenblattes zu kommen und robbte etwa fünfzehn Meter auf beiden Ellbogen. Dann stützte er sich auf und feuerte wieder. Schräg unter sich sah er, wie Skuard und Cliff über die Platte liefen und auf etwas schossen, das er von seinem Standort aus nicht erkennen konnte. Er kappte mit einem Schuß einige zehn der Pflanzenrippen, brannte eine Ecke des Blattes ab und sah nichts mehr. Ein dünner, schwarzer Film legte sich auf den Helm, und der Archäologe wischte ihn mit dem Arm wieder herunter. Rauch, Flammen, knallende Ranken, Schüsse und die eigenen keuchenden Atemzüge. »Schnell!« rief er. Jetzt fürchtete er sich wirklich. Er schoß wütend um sich, zerfetzte den oberen Rand der Blüte, die unter seinen Tritten bebte und zitterte, sich zu verkrampfen schien. Die dicken, beweglichen Schläuche, aus denen eine rote Flüssigkeit tropfte, schmolzen und vergingen in den heißen Strahlen der Waffe. Diese Schläuche bildeten eine Art Adersystem der Blätter und der Blüten. Plötzlich erhielt Rettir einen Schlag gegen den Nacken und kurz bevor er bewußtlos wurde, sah er, wie sich eine weitere Ranke um seinen linken Unterarm wickelte, sich straffte und dann an dem Arm zerrte. Gleichzeitig drückten einige der säbelförmigen weißen Finger den Archäologen gegen den Stengel der Plastikpflanze. Rettir fühlte gerade noch den Schmerz, mit dem sein Arm brach, dann kippte er zur Seite.
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Im gleißenden Licht der schnellen Schüsse, mit denen die beiden Männer die Mordpflanze angingen, sahen sie zwischen dem Rauch und den Flammen, daß sie den Stamm der Plastikblume durchtrennt hatten. Der obere Teil des Gewächses kippte langsam herum, fiel und warf ihnen den bewußtlosen Archäologen vor die Füße. »Er ist tot!« flüsterte Cliff. Skuard packte Rettir unter den Achseln und zerrte ihn zurück an die Wand der runden Halle. Cliff wehrte mit seiner Waffe die Ranken ab, er sah die lassoförmigen Schnüre zucken, schoß nach ihnen, hörte die nachhallenden Peitschenschläge und zielte sorgfältig. »Nein. Nur bewußtlos«, sagte Skuard. »Soll ich das Schiff rufen?« »Ja.« Sie standen jetzt beide mit dem Rücken gegen die Wand. Vor ihnen wogten die Pflanzen, vor ihnen stieg eine Wand dunklen Rauches auf, und der Niederschlag des brennenden Materials verdunkelte die Helmscheiben. Sie wischten und schossen, und dann, als sie etwas Luft hatten, gingen sie systematisch vor. Einige Minuten später hatten sie ein Drittel der Pflanzen genau auf der Höhe, auf der sie sich mit der Liftplattform befanden, einfach gekappt. »Hier Skuard«, sagte der Turceed, nachdem er den richtigen Kanal gewählt hatte. »Ich rufe Atan und Hasso.« Die Antwort kam blitzschnell. »Hasso hier. Was ist los?« Skuard atmete tief ein und aus; er hatte kurzfristig den Sauerstoffanteil der Atemluft erhöht. »Flow ist bewußtlos, und wir brauchen ein Geschütz. Bitte kommt sofort her, holt Rettir ab und bringt zwei schwere Strahler mit, Ersatzmagazine eingeschlossen. Es eilt, Hasso.« Hasso fragte zurück. »Der Weg ist der gleiche, den wir abgesprochen haben?« »Ja. Wir warten auf euch.« »Gut. Ende.« Cliff und Skuard schleppten. Flow zurück auf die Liftplatte. Dann suchte der Kommandant nach einem Schalter und fand ihn auch; verborgen unter einer durchsichtigen Bodenplatte. Er drückte den schweren roten Plastikknopf hinein, und in derselben Geschwindigkeit fuhr die Platte wieder aufwärts, bis sie im blauen Korridor anhielt. Cliff und Skuard öffneten die Helme, sahen sich an und wischten den Schweiß von den Stirnen. Trotz der hervorragenden Absaugeanlagen war auch der Helm innen naß von kondensiertem Dampf. »Der zweite Mann ist ausgefallen«, sagte Cliff. »Ich hoffe nur, ihm ist nichts Ernsthaftes passiert!« Die Luft ist sauber, aber sie roch durchdringend nach brennendem und schmorendem Plastik. Schon allein dieser Geruch erzeugte Panik und Übelkeit. Vorsichtig öffneten sie den Helm des Archäologen, erhöhten auch in seinem Anzug vorher die Sauerstoffzufuhr. Gerade als Skuard seinen Wasservorrat angreifen wollte, öffnete Rettir die Augen, aber er schloß sie sofort wieder und murmelte nur: – 59 –
»Mein Arm...« Er bewegte vorsichtig und ganz langsam seinen linken Arm, aber augenblicklich wurde er bleich; Schweiß erschien auf der Stirn. Als Skuard vorsichtig den Anzug bewegte, stöhnte Flow auf. Cliff sagte ruhig: »Vermutlich gebrochen.« Er zog einen Saum auf, öffnete seinen Schutzanzug auf der Brust, und die Hand kam mit einer kleinen Injektionsspritze wieder hervor. Cliff setzte die Spritze an Rettirs Hals an, drückte den Stift herunter, die Preßluftkapsel fauchte kurz. Zwei Minuten später spürte der Archäologe keine Schmerzen mehr. * Die beiden Wächter des Raumschiffes hatten Flow Rettir zwischen sich zurückgebracht, und nur Cliff und Skuard standen jetzt auf der Plattform. Die Relativ nutzlosen HM 4 steckten wieder in den Schutzhüllen, und die beiden Männer trugen schwere Strahler, die mit beiden Händen zu bedienen waren. Ihre Leistung war ungleich höher als die der vorher verwendeten Waffen. Cliff und Skuard sahen sich schweigend in die Augen, und der Turceed meinte leise: »Sehen wir diese Falle mit anderen Augen an, Cliff. Sie ist, nach meiner Meinung, gestern nacht von Simer aktiviert worden. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß sich die Dherrani mit solchen Scherzen ergötzten.« Cliff versetzte der Injektionsspritze einen wütenden Tritt, der sie dreißig Meter in den Korridor zurückschleuderte, dann schwankte er und gewöhnte sich wieder an die eineinhalbfache Schwerkraft. »Aktiviert oder nicht – wir müssen hindurch. Diesmal aber ohne Rücksicht.« Langsam bewegte sich die Platte abwärts, blieb stehen. Die Männer glitten durch die Schleuse und trennten sich nicht voneinander; zwischen ihnen war nur ein Meter Abstand. Langsam gingen sie in den Raum hinein. Die Flammen waren erstickt, der Rauch war abgezogen. Und die Pflanzen waren fast zur Hälfte zerschmolzen, in sich zusammengesunken, bewegungslos oder geschwärzt. Jetzt richteten sie sich wieder auf, und der erste Knall einer gezielten Ranke war zu hören. »Wir laufen und schießen uns eine Bahn durch das Zeug frei!« sagte Cliff und setzte sich in Bewegung. Wieder begann das Inferno. Die beiden Gestalten in den silbernen Schutzanzügen liefen langsam über den Steg. Rechts und links neben ihnen, vor ihnen und hinter ihnen bewegten sich die riesigen Blumen, schlugen nach den Männern, schnellten ihre Ranken nach den Beinen und Armen, zielten drohend mit langen Dornen oder mit den breiten, fleischigen Blättern. Es war, als würden die Blumen gegeneinander kämpfen und gleichzeitig gegen die fremden Eindringlinge. Aus den Mündungen der schweren Waffen zuckten die Blitze. Dort, wie sie auftrafen, entstanden Temperaturen von mehreren tausend Graden. Die furchtbare Hitze schmolz das Plastik, als sei es Wachs. Flammen brachen aus und sprangen mit dem entweichenden Gas über, erreichten andere Teile, andere Blätter. Dann stieg von den tropfenden, sich verformenden Stellen ein schwarzer, – 60 –
fettiger Qualm hoch und versperrte die Sicht. Die Männer schossen sich rücksichtslos eine Gasse durch das wogende Gewirr der Pflanzen, säuberten den Plastikstreifen des Steges vor ihnen durch gezielte, kurze Schüsse und erreichten Minuten später total erschöpft die andere Seite des Kessels. »Ein Hauch von Gefahr, Kommandant!« sagte Skuard. Er keuchte und schwitzte, doch seine Augen gingen aufmerksam hin und her. »Ein prächtiges Blumenarrangement«, bestätigte Cliff trocken. »Man ist direkt versucht, einige besonders schöne Exemplare für die Schreibtischvasen der Vorgesetzten mitzunehmen.« »Und wie praktisch«, stöhnte Skuard und ging knapp an Cliff vorbei, auf eine Stelle der Wand zu. »Wasser brauchen sie auch keines.« »Das Ergebnis exklusiver Züchtungsanstrengungen«, bemerkte Cliff. »Was hast du hier?« Er deutete auf einen auffälligen, handbreiten Schalter, den Skuard ergriffen hatte. »Vermutlich der Regler, der diesen Blumenangriff ausgelöst hat«, sagte der Turceed. Dann kippte er den Schalter wieder herunter. Es war, als senke sich eine eisige Hand über den zylindrischen Raum. »Ja. Das war er«, sagte Cliff. Nebeneinander gingen sie zu der dünnen Fläche der Schleuse. Hinter ihnen waren nur noch einige Flammen und die zahlreichen Rauchwolken die Zeichen der Bewegung. Von den restlichen Blumen regte sich keine mehr; der tödliche Garten war erstarrt wie in einem grimmigen Frost. »Leider war der Schalter nicht auf der anderen Seite«, sagte Skuard und durchtrat den dünnen Film. Vor ihm lag ein dunkler Korridor. »Aber Simer war hier. Kannst du jetzt noch immer keine Spur entdecken, Skuard?« Cliff kam neben ihm in den Korridor hinein. »Doch. Schwach... irgendwo dort von. Vielleicht zwei Kilometer.« »Also in der Gegend der vermuteten HYDRA?« »Richtig.« Die zweite Falle innerhalb dieser monströsen Plastikmauer hatte sich geschlossen und den zweiten Mann des Kommandos außer Gefecht gesetzt. Da die Bewachung der ORION mindestens ebenso wichtig war wie die Suche nach Simer und der HYDRA, konnten nur Cliff und Skuard weiter eindringen. Da außerdem das Große Schiff im Anflug war und praktisch jede Stunde auftauchen konnte, galt es, schnell zu handeln. Cliff sah auf das durchsichtige Fenster in seinem Raumanzug und erkannte dahinter die Ziffern der Digitaluhr; eine kleine Linse in der Verkleidung des Ringfingers vergrößerte die Zahlen. »Elf Uhr. Wir haben noch genügend Zeit«, sagte er. Sie erreichten einen Raum, der verdunkelt war. Nur von oben fiel etwas Sonnenlicht durch das Plastik. Genügend, um die Ausdehnung dieses gewaltigen Raumes deutlich erkennen zu lassen. Er war rund, mit einem Durchmesser von etwa fünfhundert Metern. In unregelmäßigen Abständen unterbrachen ebenfalls runde Säulen die Fläche, der Abstand bis zur Decke betrug etwa fünfzehn Meter. Eine riesige Scheibe breitete sich aus, und undeutlich erkannten die beiden Männer einige
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der dünnen Schleusenvierecke. Es blieb nichts anderes übrig – sie mußten einen gewaltigen Rundgang unternehmen. »Wir hätten Fahrräder von der Erde mitnehmen sollen«, meinte Skuard und begann schnell zu gehen. Cliff folgte ihm und holte auf. »Krönen wir den Tag mit einem Spaziergang«, sagte er. Sie brauchten eine volle Stunde, bis sie das gegenüberliegende Stück dieses Systems aus Kammern und Sälen, aus Schleusen und Verbindungsgängen, aus Treppen, die in tiefere Ebenen führten, aus Technik und Wohnräumen, erreichten. Alles war leer. Verlassen. Ohne Lebensspuren, ohne die Zeichen, die von denkenden, lebenden Wesen stammten. Irgendwo vor ihnen – oder neben oder unter ihnen, sie wußten es nicht genau – bewegte sich der Unsterbliche. »Zwei zu eins«, sagte Skuard. »Ein gutes Verhältnis«, erwiderte Cliff. Nachdem sie einige Schritte in der runden Halle gegangen waren, hatte ein geheimer Befehlsmechanismus sämtliche Säulen in Leuchtkörper verwandelt. Aus ihnen kam ein gleichmäßiges, gelbes Licht, das den Raum zwischen den Säulen erhellte. Noch immer waren nur die Geräusche der Schritte das einzige, was zu hören war – nichts anderes. Kein Tier, kein lebendes Wesen, auch nicht Simer. Nicht einmal mutierte Leoparden. Schließlich standen sie genau an dem Punkt der Halle, der entgegengesetzt dem war, an dem sie eingedrungen waren. Zwei Dinge waren inzwischen zur Sicherheit geworden. Sie befanden sich unweigerlich in derjenigen Zone, in die sich die immer geringer werdende Anzahl der Dherrani zurückgezogen hatte – vor Jahrhunderten oder Jahrtausenden. Und: Sie waren in der Nähe von Simer. »Ich habe die Ahnung, daß wir wieder vor einer Falle stehen«, sagte Skuard. »Wir sollten eine Pause machen und etwas essen.« Cliff setzte sich in den Winkel zwischen Boden und Wand und löste seinen Helm. »Einverstanden. Der Alltag entflieht für Sekunden.« Skuard grinste ihn bekümmert an. »Und das Glück ist mit dem, der eine Pause mit edler Nahrung zu genießen weiß.« Während Cliff die Rationen auspackte, erwiderte er: »Wir werden es brauchen können, fürchte ich.« Cliff schaltete kurz den anderen Kanal ein und fragte: »Hier McLane. Ich rufe das Schiff. Was habt ihr inzwischen herausgefunden?« Jetzt meldete sich Atan Shubashi. »Mehrere Dinge, Cliff. Zunächst – Rettir hat seinen linken Unterarm gebrochen. Glatter, unkomplizierter Bruch von Elle und Speiche. Wir haben ihn geschient und versorgt, und er macht schon wieder dumme Witze.« Cliff atmete auf. Da seine Lautsprecher entsprechend eingestellt waren, konnte Skuard leicht mithören. »Weiter!« »Von Terra haben wir nichts Neues gehört. Also ist das Große Schiff noch nirgends wieder aufgetaucht. Mario geht es besser; wir haben den Verband
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abgenommen. Ich bin euch inzwischen mit dem Schiff gefolgt – und jetzt kommt das Interessanteste.« Cliff sagte grimmig: »Sprich endlich, Astrogator!« »Herzlich gern: Ihr seid nur noch einen Kilometer von der HYDRA entfernt. Ich habe euch in den letzten Stunden deutlich auf dem Röntgenschirm gehabt, da ihr ja genügend Metall mit euch herumschleppt. Die HYDRA steht oder schwebt in einem riesigen Hohlraum, hundert Meter unter euch, und etwa tausend Meter nach Norden.« »Präzision auf höchster Stufe«, sagte Cliff. »Das ist eine ziemlich erfreuliche Nachricht. Entschuldige meine undeutliche Aussprache, aber wir essen gerade.« Atan kicherte und meinte dann: »Guten Appetit. Über dem Hohlraum, in dem das Schiff ist, befindet sich ein ebensogroßer Raum. Offensichtlich ein Labor oder eine Werkhalle. Dort werden ständig Metalldinge bewegt. Vermutlich ist auch Simer dort zu finden.« Cliff und Skuard hörten aufmerksam zu. »Vor diesen beiden großen Hohlräumen aber liegt noch ein anderer. Er ist etwa so groß wie beide zusammen, leicht quadratisch. Auch dort gibt es ziemlich viel Metall. Ihr kommt nach wenigen hundert Metern in diesen Raum. Der Korridor, bei dem ihr euch jetzt gerade aufhaltet, führt direkt hinein. Mehr kann ich nicht sagen, Freunde!« »Ausgezeichnet, Atan!« sagte Skuard. »Du hast uns wirklich sehr geholfen!« »Das möchte ich hoffen. Wollt ihr noch etwas wissen?« »Nein«, sagte Cliff. »Das war es.« Sie aßen in Ruhe fertig, tranken einige Rationen aus und standen dann auf. Vor ihnen lag eine abschätzbare Entfernung, aber die Schwierigkeiten ließen sich nicht voraussagen. Alles das, was aus Plastik bestand, konnte zwar in der Größe und Ausdehnung auf die Schirme gebracht, aber nicht genau aufgeschlüsselt werden. Nur das Metall wurde sichtbar. Die Fallen, die bisher aus Plastik bestanden, hatte Shubashi nicht orten können. »Suchen wir weiter«, schlug Cliff vor und kontrollierte das Magazin der schweren Waffe. »Ja. Finden wir etwas. Glaubst du, daß uns Simer irgendwie in den Aktionen überrunden kann?« Cliff nickte; sein Gesichtsausdruck war sehr ernst. »Es ist möglich. Aber vorher wird er versuchen, mich umzubringen.« Sie gingen auf die Schleuse zu, durchstießen sie und standen in einem golden ausgeleuchteten Korridor, der etwa sechzig Meter lang und vollkommen gerade war. Nebeneinander gingen die Männer auf die andere Schleuse zu, schlossen die Helme wieder und stellten die Innenversorgung an. Sie waren wachsam und hielten die Waffen schußbereit. »Alles klar?« »Ja.« Nebeneinander durchbrachen sie die letzte Trennwand, drehten sich nach rechts und links und suchten blitzschnell ihre nächste Umgebung ab. Niemand war zu sehen, aber als sie sich wieder umdrehten und geradeaus blickten, stießen sie leise Laute des Schreckens aus. – 63 –
»Was haben sich die Dherrani nur bei dieser Spielerei gedacht, Cliff?« »Ich weiß es nicht, Skuard – sicher nicht viel mehr als eine gigantische Spielerei von ihnen. Was sollten sie auch sonst mit diesem riesigen Raumangebot unternehmen?« Sie standen jetzt auf einem kleinen Vorsprung. Diese halbrunde Plattform war gelb wie Wüstensand. Sie schloß den kleinen Korridor ab und bildete eine Schranke gegen die Szene, die sich vor den Augen der beiden überraschten Terraner ausdehnte. Eine riesige Halle, die derart ausgeleuchtet war, daß man ihre seitliche und obere Ausdehnung nicht erkennen konnte. Sie schien als riesiges Stück Wüste ausgebildet zu sein – eine scheinbar unendliche Fläche, die aus weißgelbem Sand zu bestehen schien. Ein Alptraum, der unter dem stechenden Licht der Sonne lag, so wie sie die Dherrani in der Erinnerung gehabt haben mochten. Die Lichtquelle war nicht zu sehen, denn alle vier Wände und die Decke bildeten, ineinander übergehend, eine einzige kalkweiß glühende Fläche. »So realistisch, daß man sogar zu schwitzen beginnt«, sagte Cliff. »Haben wir genügend Wasservorräte?« Skuard lachte grimmig. »Mach dich nicht lächerlich, Cliff. Abwechslung verschönt das Leben.« »Selbst diese Wüste?« Es war kein Ende der Sandfläche zu sehen, aber Atan hatte gesagt, daß es sich um weniger als einen Kilometer handelte. Aber dafür wuchsen aus dieser Pseudowüste, vermutlich auch aus Plastiksandkörnern, eigentümliche Gewächse. Etwa fünfzig Meter schräg vor beiden Männern stachen gerade aus dem Boden Formen, die entfernt an irdische Kakteen erinnerten, aber diese, selbst die größten Exemplare, an Höhe und Größe übertrafen. Das Kakteenwäldchen auf der rechten Seite war etwa fünfzig Meter hoch. Die nachgeahmten Gewächse hatten eine merkwürdige Form; sie sahen aus wie aneinandergereihte Stäbchen, die ihrerseits aus einer Reihe verschieden großer Kugeln bestanden. Sie wuchsen in rechten Winkeln jeweils vom Stamm und von den stärkeren Mittelästen weg, bildeten also ein Winkelwerk, das dünner und graziler wurde, je größer die Pflanze war. »Wahrscheinlich gab die Unbewohnbarkeit von Arys IV den Anstoß zu diesen Gewächshäusern aus Plastik. Sie schufen sich eine abwechslungsreiche Innen-Natur. Und dabei griffen sie auf Vorbilder von anderen Planeten zurück oder veränderten die Eindrücke, die sie von ihrer Heimat mitgebracht haben.« Cliff machte den ersten Schritt von der gerundeten Plattform in den Sand hinein. Unter den Schwammsohlen knirschten die Sandkörperchen, die aus der Höhe von normalem Wüstensand nicht zu unterscheiden waren. In der Ferne erhoben sich die sichelförmigen Halbkreise von Dünen mit harten Rändern und wellenförmiger Oberfläche. Cliff hinterließ Spuren wie in echtem Sand. »Los«, sagte er. »Beginnen wir mit dem Wüstenmarsch.« Er faßte seine Waffe fester und ging geradeaus. Skuard folgte ihm etwas langsamer und sehr nachdenklich. Plötzlich erlosch das Licht über ihnen. »Sieh an«, murmelte Skuard leise. »Die Wüste lebt.«
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Aber das stechende, harte Licht flammte sofort wieder auf. Dieses Mal aber von einer anderen Stelle aus, und auch eine andere Art der Beleuchtung schlug gnadenlos auf beide Männer nieder. Eine künstliche Sonne. Sie war gerade aufgegangen und brannte, überdimensioniert und heller als die terranische Sonne über einer Wüste des australischen Landesinnern, stechend, hart, weiß und mit langen, schwarzen Schatten von rechts. Ihr Stand entsprach etwa dem späten Morgen. Plötzlich sah die Wüste vor ihnen gefährlich und drohend aus – und unglaublich fremd. »Brauchen Sie noch mehr Gründe, um an ein direktes Eingreifen unseres unsterblichen Freundes zu glauben, Kommandant?« erkundigte sich Skuard. »Nein«, sagte Cliff ruhig. Er fühlte, daß die Entscheidung nahe war. Er wölbte die Schultern etwas nach vorn und ging los. Vor ihm lag die Wüste des Todes – aus Plastik, aber um nichts weniger gefährlich. Schweigend folgte der Turceed, und sein Verstand versuchte, die feinen Schwingungen des Aashap-Gehirns festzustellen. Sie tobten irgendwo vor ihnen. Simer strahlte jetzt heißen, reinen, unversöhnlichen Haß aus. Nichts anderes.
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6
Dreißig Minuten später: Sie gingen schweigend durch den künstlichen Sand. Links neben den beiden Männern wanderten die langen Schatten mit, die von Minute zu Minute kürzer wurden; die künstliche Sonne rechts über ihnen stieg höher und höher. Der Sand war verlassen, nur ab und zu stießen sie auf ein Gerippe aus Kunststoff Ein kleines Gerippe, ein größeres, dann das eines Humanoiden, dem die Schädeldecke gräßlich zerschmettert worden war. Alles aus weißem Plastik. Makaber. Im Hintergrund waren die Dünen, und jetzt schob sich ein Kakteenwald heran. Der Weg wirkte länger, als er wirklich war – ein psychologischer Trick. »Wenn du in die Wüste auf Arys IV gehst, bring Freunde mit«, murmelte Cliff kaum hörbar, »es könnte sonst zu einsam werden.« Skuard tröstete ihn. »Ich bin bei dir, Kommandant!« »Die zwei Fallen kennen wir nun«, meinte Cliff, während sie weiter nebeneinander auf die künstlichen Pflanzen zugingen. »Jetzt brauchen wir nur noch Simer, der vermutlich irgendwo im Sand sitzt, sich sonnt und dabei durch ein Zielfernrohr blickt.« »Warte nur eine kleine Weile.« Zwei Tage lebten sie nun schon unter der Dauerspannung dieser Jagd. Sowohl Cliff als auch Skuard ahnten genau, ohne sagen zu können, auf welche Beobachtungen sie sich dabei stützten, daß der letzte, entscheidende Kampf sich innerhalb dieser langen und in weiten Teilen mit unnützer Spielerei angefüllten Mauer abspielen würde. Zweihundert Schritte. Dreihundert... die eineinhalbfache Schwerkraft machte sich jetzt unangenehm bemerkbar. Sie war nicht schlimm, wenn man nur kurz ihrem Einfluß ausgesetzt war. Aber die langen Stunden, in denen sie ständig gegangen waren, addierten das halbe g auf, und jetzt begannen ganze Muskelverbände zu schmerzen. »Natürliche Wüsten gibt's zur Genüge«, sagte Cliff. »Aber die hier ist anders!« »Stimmt!« sagte Skuard und wies auf die Kakteen. »Gehen wir hindurch?« fragte der Kommandant. Zwischen den einzelnen Stämmen, die etwa einen Meter Durchmesser an der Basis hatten, war genügend Platz, um vier Männer nebeneinander hindurchzulassen. Überall sahen sie nur Sand und einige ausgebleichte Gerippe. Der Kakteenwald war jetzt ein wirres Muster aus Hellgrün, Weißgelb und Schwarz, das den Blick verwirrte. Noch immer rührte sich nichts. Nur diese mörderisch helle Sonne blendete herunter wie auf einen riesigen Spiegel. Skuard sagte erschöpft: »Cliff, ich sehe ein, daß es gefährlicher ist, durch diesen Wald zu gehen. Aber um diesen Wald herumzugehen, dauert auf alle Fälle länger. Ich bin für die gefährliche, bequeme Kürze.« Cliff grinste ihn breit an. »Ich auch!« sagte er leise. Sie folgten seit einigen Minuten einer Spur, die vor ihnen sichtbar geworden war. Es war unverkennbar die Spur eines vierbeinigen Tieres, das etwa die Größe eines – 66 –
terranischen Pferdes hatte und etwa auch dessen Gewicht, denn die Eindrücke waren dank der erhöhten Schwerkraft tiefer. Diese Spur führte genau in die Mitte der Kakteen hinein. Die Männer traten in das Schattenmuster aus lauter rechten Winkeln und gingen schweigend weiter. Aber ihre Köpfe bewegten sich unruhig, und die Läufe der Waffen folgten den Augen. Nichts. Sie gingen weiter. Zehn Schritte. Eine Spannung drohte sie innerlich aufzuzehren, über die sich beide Männer nicht recht im klaren waren. Sie versuchten, diese Spannung durch Bemerkungen herunterzuspielen, die nichts mit den erwarteten Gefahren zu tun hatte. Nach weiteren fünfzehn Schritten, deren Knirschen das einzige Geräusch blieb, sagte Skuard: »Ich erwarte eigentlich eine Karawane. Mit einigen verschleierten jungen Damen, die wir zu einem günstigen Preis kaufen könnten. Nur...« Cliff stieß den Arm nach oben und rief heiser: »Halt!« Skuard sah, wie sich der Kommandant wachsam umblickte. Er sah nichts, obwohl er zwischen den mehr als mannsdicken Stämmen hindurchspähte, aber da waren irgendwo Geräusche. Ein Knistern, als ob jemand unglaublich trockenes Holz mit schnellen Bewegungen brach. Skuard hob langsam den Kopf, legte ihn in den Nacken und stieß gegen das Material der Plastikkugel des Helmes. Dort oben... »Cliff! Vorsicht!« schrie er. Über dem Kommandanten lösten sich einzelne Teile der Riesenkakteen; lange Stücke von mehr als einem Meter Länge und dreißig bis fünfzig Zentimetern Durchmesser. Sie fielen, sich langsam überschlagend, herunter, und Cliff machte einen Satz zur Seite. Er glitt im Sand aus, rutschte herum, und ein Stück Kaktus traf ihn in den Rücken. Ein zweites polterte herunter, drehte sich und hieb mit der stumpfen Seite Cliff ins Genick. Skuard prallte vor, stemmte die Waffe schützend über sich und bückte sich zu dem Kommandanten hinunter. Er packte den Arm Cliffs und stemmte sich gegen den lockeren Sand, riß und zerrte an Cliff. Zusammen zogen sie sich in die Nähe eines der Stämme zurück. Aber unaufhörlich trommelten die zwar nicht besonders schweren, aber dafür zahlreichen Stücke auf sie herunter. Sie trafen die Schultern, die Gelenke und den Helm, schlugen in den Rücken und in den Nacken ein, und Skuard fluchte vor Schmerzen. Er rutschte aus, fiel über einen der runden Kakteenäste und blieb einige Sekunden hilflos auf dem Rücken liegen, Aus der Waffe löste sich ein langer Schuß und brannte eine rauchende Flammenspur durch die Kronen einiger der Kunststoffbäume. Ein erneuter Regen dieser gefährlichen Geschosse war die Folge. Die beiden Männer rutschten durch den Sand, stolperten über die runden Bruchstücke, gerieten in immer neue Hagel der Kunststoffpflanzen und langten endlich neben dem Stamm an. Skuard zog Cliff mühsam hoch und rang nach Luft. Der Schmerz breitete sich jetzt über den gesamten Körper aus, aber kein Stück fiel jetzt mehr. Der Sand war übersät mit Kakteenbruchstücken.
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»Das... war... bequeme Kürze«, stöhnte Cliff. Sein Gesicht hinter der Scheibe war totenbleich. Tiefe Schatten lagen unter den Augen. »Es gibt hier wirklich eine Karawane«, sagte Skuard, stellte seine Waffe an den Stamm und schraubte den Helm auf. »Zumindest haben wir hier Kamele. Zwei Stück. Ein extraterrestrisches ist auch dabei. Mit hundertfünfzig Höckern, wenn wir meine Beulen zählen würden.« Cliff murmelte zwischen den Zähnen: »Simer wird das büßen!« Er löste seinen Helm und öffnete eine Getränkeration. Dann, gerade, als er das belebende Getränk durch den kurzen Helm einsog, weiteten sich seine Augen. E r tastete mit der Hand hinter sich, bis er den Arm des Turceed erwischte und ihn drückte. »Da... sieh dir das an...!« Mit hervortretenden Augen sahen die beiden Männer, wie sich die abgebrochenen Geschosse, die für sie beinahe tödlich gewesen wären, aufrichteten, dann zu schweben begannen. Sie stiegen auf wie gasgefüllte Ballons und setzten sich selbständig zusammen, jedes Bruchstück fand seinen Platz wieder. Nach etwa fünf Minuten war nur noch der Sand eingedrückt, die breiten Schleifspuren blieben sichtbar. Sie waren der Beweis, daß die zwei Männer keiner Illusion erlegen waren. »Verrückt!« Skuard ließ sich in den Sand gleiten und lehnte sich mit dem Rücken gegen den Stamm. Die kleinen Stacheln des Kaktus drückten durch den Stoff des Anzugs, und Skuard lehnte sich wieder nach vorn. Hier war es wirklich betäubend heiß – die Illusion der Wüste war vollkommen. »Das hat ein irrer Dherrani entworfen«, sagte Cliff. »Und ein gemeingefährlicher Aashap in Betrieb gesetzt.« Cliff vergrub die leere Rationspackung im Sand und zog die Handschuhe straff. »Und einen Sandsturm oder Plastiktiger haben wir vermutlich auch noch vor uns.« Sie standen auf, überprüften kurz ihre Ausrüstung und schlossen die Helme wieder. Sie unterlagen dem psychologischen Effekt und drehten die Wärmeregler der Anzüge um einige Teilstriche der Skalen zurück, dann marschierten sie weiter. Aber ihre Fortbewegungsart war anders als bisher. Sie warfen sich vorwärts und sprangen mit langen Sätzen von Stamm zu Stamm. Hinter ihnen krachten wieder die Bruchstücke in den Sand. Zwanzig Minuten später standen sie wieder »draußen« in der Wüste, unerreichbar für die pflanzlichen Mordgeschosse. Die Sonne stand jetzt direkt im Zenit. Beide Männer warfen nur einen kleinen, runden Schatten. »Was nun? Sandsturm oder Plastiktiger?« fragte Skuard laut. Sie gingen weiter. In der Ferne sahen sie undeutlich einen Fleck, der entweder eine nachgeahmte Fata Morgana sein konnte oder eine Plastikoase. Vermutlich war es aber ein Ausgang aus dieser verrückten Umwelt. Sie bewegten sich gerade auf dieses Ziel zu. Cliff deutete mit dem Zeigefinger senkrecht nach oben und sagte kurz: »Sandsturm, Skuard!« Skuard wandte ihm das Gesicht zu; seine Augen waren geschlossen. – 68 –
»Und eine Haßwelle, die ich empfange, Cliff.« »Laufen wir.« Das Sonnenlicht wurde weniger grell, aber dafür wechselte die Farbe der Umgebung und des Himmels. Es wurde dunstig, die Schattenlinien waren nicht mehr so scharf, und weit vor den beiden laufenden, stolpernden und sich gegenseitig stützenden Männern erhoben sich kleine Sandwirbel von den Dünen. Geradeaus lag der Eingang, etwa dreihundert Meter entfernt. * Die Außenmikrophone nahmen das Geräusch auf, das sie umgab. Es war ein hohes, feines Singen, wie der Ton einer silbernen Flöte, nur stärker. Dieser Ton wurde lauter und lauter, und ein knisterndes Rauschen mischte sich hinein. Dann begann der Sand, sich zu bewegen. Er glitt in schrägen Wolken von den Kämmen der sichelförmigen Dünen, hing sekundenlang unbeweglich in der heißen Luft und begann sich dann zu drehen. »Schneller, Skuard!« meinte Cliff und lief weiter. Vor ihnen breiteten sich auf dem Boden die Spuren eines Wirbels aus, der schneller und schneller wurde. Mehr Sand wurde hochgerissen und bildete eine Wand, die in rasende Bewegung geriet. Und eine halbe Minute später waren die beiden Männer mitten im Zentrum eines Wirbelsturms. Die Sandmassen peitschten gegen die Raumanzüge und verursachten dadurch, das sie mit unerhörter Wucht gegen das Material des Raumhelmes geschleudert wurden, ein dauerndes, prasselndes Geräusch. Skuard und Cliff fingen an, sich gegen den Sturm zu stemmen, dessen Stöße schneller aufeinanderfolgten und immer heftiger wurden. Das Sonnenlicht hatte sich verdunkelt und einer trüben Helligkeit Platz gemacht. Jetzt erfüllten ein Brausen und Heulen die Halle der künstlichen Wüste; kreischend bewegten sich Milliarden von Sandkörnern in der Wucht eines Luftstroms, der von riesigen Gebläsen erzeugt wurde. »Wir verlieren die Orientierung!« sagte Skuard laut. Sie tappten weiter, blind und gegen den Sturm gestemmt. Cliff hielt sich an einem Ende der schweren Waffe fest, Skuard am anderen. Sie durften sich jetzt nicht verlieren. »Wenn wir uns hinlegen, kann uns Simer wochenlang im Zentrum des Sturmes halten. Wir müssen den Ausgang erreichen!« Sie bewegten sich weiter. Jetzt retteten sie die Raumanzüge. Während sie mit geöffneten Helmen in diesem Sandsturm umgekommen wären, versorgte sie die Anlage mit Sauerstoff. Sie konnten etwas sehen, was ohne den Schutz der Raumhelme auch nicht möglich gewesen wäre. Sie sahen allerdings nur einen halben Meter weit – und um sie herum war Sand. Sand, der sich mit großer Geschwindigkeit bewegte, hochgerissen wurde, sich in einer riesigen Spirale zwischen dem Ausgang und dem Kakteenwäldchen drehte. »Wir brauchen tatsächlich einen Kompaß!« sagte Cliff laut. »Unsinn!« gab Skuard grob zurück. Wie Marionetten gingen sie, wie sie hofften, geradeaus durch den Sturm. Sie mußten jetzt mehr Energie aufbringen, um sich dagegen zu wehren, umgeworfen zu – 69 –
werden. Ihre Schrittgeschwindigkeit wurde noch geringer. Heulend und wirbelnd, ungeheure Mengen Sand mit sich führend, raste der Wirbelsturm durch die große Halle. Nach weiteren zehn Minuten wich das trübe Licht, wurde heller, und die Männer stießen durch den letzten Sandschleier in das Zentrum des Wirbels vor. Hier, in einem Kreis mit weniger als fünf Metern Durchmesser, war es relativ still. Nur die Wand aus hochgerissenen Sandkörnern zog an ihnen vorbei, schnell und fast massiv in ihrer Struktur. Der Sand unter ihren Stiefeln schien sich zu bewegen, als wäre er lebendig. Das kreischende Heulen hatte etwas abgenommen. »Was jetzt?« Cliff sah Skuard an und zuckte mit den Schultern. Dann, nach einiger Zeit, sagte er zögernd: »Es gäbe eine Möglichkeit...« »Ja?« Sie standen still und ließen den Sand an sich vorüberrasen. Ganz oben, am Ende des zylindrischen Innenraumes, des ›Wirbelsturm-Auges‹, sahen sie das grelle Licht des künstlichen Himmels. Die Sandhose bewegte sich etwas – langsam verschob sich das Zentrum des Sturmes und mit ihm der zylindrische Schacht, in dem sich nur die Luft und der Sand am Boden drehten. »Wir versuchen, so schnell wie möglich durch den gegenüberliegenden Wirbel hindurchzulaufen. Und zwar so, daß wir den Sturm im Rücken haben. Er dürfte uns mit größerer Geschwindigkeit seitlich aus der Windhose hinauswerfen, dann sehen wir sofort, wo wir sind.« Skuard erwiderte: »Ja. Das ist die einzige Möglichkeit, die uns bleibt. Hast du noch ein Seil dabei, Cliff?« Schweigend klinkten sie sich an dem etwa vier Meter langen Seil fest. Dann nickten sie sich zu, und Skuard sagte rauh: »Los!« Sie rannten, so schnell sie konnten, aus dem leeren Innenraum in den Sandwirbel. Sie stellten sich etwas schräg, so daß der Sturm sie mit aller Wucht im Rücken traf. Sie rannten keuchend und drifteten schräg durch den Wirbel, stolperten, rutschten aus und fingen sich wieder, und sie spürten, wie die Schwerkraft an ihnen riß und zerrte. Sand nahm ihnen die Sicht, sie rannten blind in eine Richtung, von der sie nicht mehr wußten, ob es die richtige war. Sie hatten nur einen Wunsch – aus dieser gelben, tobenden und jaulenden Hölle herauszukommen. Und endlich hatten sie es geschafft. Sie merkten fast unbewußt, wie sich der Sand am Rand des Wirbels verdünnte, dann waren sie hindurch. Die letzten Sandschleier umwehten sie, eine Sturmbö ergriff sie und wirbelte sie herum, aber sie liefen zwanzig Meter weit und drehten sich dann um, und hinter ihnen beruhigten sich die aufgewirbelten Massen. Simer hatte gesehen, daß sie sich aus dem Sturm herausgewunden hatten – es gab keinen Grund mehr, den Sturm weiter eingeschaltet zu lassen. »So«, sagte Cliff. »Wir sind draußen. Aber wo sind wir wirklich?« Langsam drehte er sich um. Skuard sagte im gleichen Moment: »Simers Plan ist jedenfalls nicht aufgegangen. Dort ist die Oase.«
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Cliff folgte der Richtung des ausgestreckten Armes und sah die grünen Bäume, die Ähnlichkeit mit den Gewächsen Terras hatten; schlangenförmig gebogene Stämme, glatt und schwarz, und darüber breite, ausladende Wedel von dunkelgrüner Farbe. Die Bäume waren etwa zweihundert Meter weit entfernt, und dahinter glaubten beide Terraner, die Wand dieser mysteriösen Halle zu erkennen. »Es gab, nach allem, was ich gesehen habe, nur eine Oase. Sie lag gegenüber dem Eingang in diese Plastikwüste«, sagte Skuard. Cliff ergänzte: »Schleppen wir uns also dorthin.« Sie lösten das Seil, während sie gingen. Die merkwürdige Wüste hatte sich wieder beruhigt. Die Sandhose war zusammengefallen, der Wind hatte sich gelegt, und die Formen der Dünen hatten sich verändert. Einige Gerippe waren zugeschüttet worden, andere waren aus dem Sand aufgetaucht. Der Kakteenwald, der beinahe zu einer tödlichen Falle geworden war, verschwand langsam in der Ferne, und die Bäume der Oase wurden größer und deutlicher. Eine Viertelstunde später standen Cliff und Skuard unter dem ersten palmenartigen Baum. »Wir halten uns nicht auf«, ordnete der Kommandant an. »Aber wir müssen uns etwas erholen«, warf Skuard ein. »Schließlich kommt die große Schwierigkeit erst.« »Gut. Aber wir versuchen, nicht wieder in eine offene Falle zu rennen!« Skuard grinste müde. »Versuchen wir es wenigstens.« Wieder war die Illusion von einer fast vollkommenen Perfektion. Der Eindruck der Männer, nach einem sehr beschwerlichen Marsch durch eine echte Wüste, nach einem echten Sandsturm, in eine echte Oase einzutreten, war verblüffend echt. Sie kamen in den Schatten hinein, vorbei an einem skurrilen Skelett, das weißgebrannt neben einem verrotteten Stamm lag. Vor ihnen waren Steine, zwischen denen Wasser hervorsprudelte und im Sand versickerte. Cliff glaubte, einen Vogel gesehen zu haben, aber es stellte sich als Irrtum heraus. »Verrückt!« sagte er laut und öffnete den Helm. Er setzte sich auf einen der Steine und klopfte mit dem Kolben der Waffe darauf. Es klang nicht wie Stein, sondern wie Plastik, sah aber aus wie ein wuchtiger Granitblock. Skuard ließ sich seufzend neben ihm nieder und war versucht, die Stiefel von den brennenden Füßen zu reißen und sie ins kühle Wasser zu stellen. Beide Männer waren ziemlich hochgradig erschöpft; sie schwitzten, hatten rasende Kopfschmerzen und atmeten schwer. Die Kühle der Oase hingegen war keine Illusion – ein deutlicher Unterschied von mindestens fünf Grad der Celsiusskala war klar festzustellen. Skuard deutete auf die unechte Umgebung und murmelte verzweifelt: »Das glaubt uns kein Mensch auf Terra, Cliff. Wir hätten noch eine Kamera mitnehmen sollen.« Er nestelte eine der Außentaschen auf, entnahm ihr eine Trinkration und eine in Folie verpackte Tablette gegen die Schmerzen. Er steckte sie in den Mund, spülte sie mit einem Schluck Fruchtsaft hinunter, der mit Nährstoffen und Aufmunterungsmitteln angereichert war und ließ die Folie achtlos zu Boden fallen. Cliff grinste ihn matt an.
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»Wir können mit gutem Gewissen auch von niemandem verlangen, daß er unsere Erzählungen glaubt. Das sind Ausgeburten einer kranken Phantasie.« Cliff schwieg eine Weile, bekämpfte seinen Kopfschmerz ebenfalls mit Medikamenten und sagte nachdenklich: »Ich glaube, wir unterliegen einem Irrtum, Skuard!« »Welchem?« Cliff schwieg eine Weile und betrachtete aufmerksam die nähere Umgebung der Oase, soweit sie zwischen den einzelnen Stämmen zu sehen war. Noch immer gab es nirgends Bewegung – wo war das Tier, dessen Spuren sie im ersten Drittel der merkwürdigen Wüstenwanderung gefolgt waren? »Ich glaube vielmehr«, begann der Kommandant, »daß sich die Dherrani auf diesem unbewohnbaren Planeten so einsam und verlassen gefühlt haben, daß sie zu solchen perfekten Spielereien greifen mußten. Das dürfte sich gesteigert haben, als ihre Anzahl abnahm. Vielleicht ist diese Wüste nichts anderes als der Ausdruck einer grenzenlosen Einsamkeit, einer Verlassenheit des Geistes.« Skuard nickte. »So könnte es sein«, sagte er. »Das trifft wohl auch auf die Psyche des letzten überlebenden Aashap zu.« »Davor fürchte ich mich«, antwortete der Kommandant. »Er ist zweifellos geschädigt. Und wir sind für ihn Vertreter eines Volkes, das sich immer weiter ausdehnt. Sollten wir ihn hier stellen, dürfen wir uns auf einen gnadenlosen Kampf gefaßt machen.« Skuard sagte ohne Betonung: »Diesen Kampf erwarte ich schon seit rund zwei Tagen. Vielleicht hat Simer nur deshalb nicht reagiert, weil er an etwas arbeitet, das ihm helfen soll. Menschliche Helfer hat er keine mehr, also wird er sich mit künstlichen Schöpfungen behelfen müssen. Direkt vor uns liegt die Werkstatt, die Atan erwähnte. Dort erwarte ich die nächste Schwierigkeit.« »Ich auch.« Wieder schwiegen sie einige Minuten lang. Die Medikamente und die Ruhe bekamen ihnen gut; der Kopfschmerz ließ nach, und die Männer erholten sich langsam. Aber die Schmerzen in den Muskeln und unter der Haut blieben. Morgen würden sie mit blauen Flecken übersät sein wie ein Mond mit Kratern. Skuard stand langsam auf, lockerte mit einigen Kniebeugen seine Muskeln, spannte seinen Brustkorb und griff nach dem Raumhelm. »Was tun wir jetzt?« fragte er und hob die Waffe auf. Cliff kontrollierte die Sauerstoffbatterien und die anderen Aggregate des Anzuges und bemerkte zu seiner Erleichterung, daß sie weder gelitten hatten noch daß der Vorrat besonders abgenommen hatte. Er griff nach dem Gürtel seines Freundes, drehte Skuard herum und sah nach der Sauerstoffanzeige dessen Anzugs. Auch Skuards Tanks wiesen genügend Vorrat auf. »Wir suchen Simer. Zuerst aber den Eingang zu dieser rätselhaften Werkstatt.« Der Turceed nickte zustimmend. »Beende den Tag mit einer guten Tat. Es ist inzwischen drei Uhr nachmittags, nach terranischer Zeit. Machst du einen Kontrollanruf?« »Ja.« Cliff schaltete sein Funkgerät auf den Schiffskanal und fragte halblaut: – 72 –
»Hier McLane. Ich rufe die ORION.« Helgas Stimme klang ziemlich alarmiert, aber sie beruhigte sich binnen weniger Sekunden. »Hier Legrelle in der ORION. Wie geht es euch?« Während Skuard mithörte, schilderte Cliff in wenigen Sätzen, was sie bisher erlebt hatten. Dann fragte er drängend: »Etwas Neues?« »Nichts vom Großen Schiff. Noch immer verschollen, beziehungsweise unsichtbar. Wamsler hat eben angerufen. Flow erholt sich gut, Mario ebenfalls, aber Atan hat einen kleinen Ausflug mit dem Schiff unternommen. Er will euch sprechen.« »Gib ihn mir.« »Hier bin ich«, sagte der Astrogator. »Ihr seid in der letzten Zeit sehr langsam und direkt im Zickzack vorgegangen... aber inzwischen kenne ich den Grund. Ihr befindet euch direkt vor dem Ausgang der Halle, aber ich weiß nicht, wie sich dieser Ausgang benehmen wird. Vielleicht wieder eine Falle. Dahinter ist der Korridor, der euch in die Werkhalle bringt. Unter ihr wartet die HYDRA. Noch immer viel Bewegung in dieser Werkhalle. Ich habe eine Menge freiwerdender Energie angemessen.« »Danke«, sagte Cliff. »Haltet euch bitte bereit – vielleicht brauchen wir die Hilfe des Schiffes.« Atan antwortete schnell: »Damit rechnen Hasso und ich ohnehin, Cliff. Viel Glück. Ende.« Das Funkgerät knackte hart, dann schaltete Cliff wieder auf die Verständigung zwischen den Anzuggeräten. »Bereit, Skuard?« »Ja. Machen wir diesem Wahnsinn ein Ende.« Sie schlossen die Helme, nahmen die Waffen in die Hände und gingen wieder hinaus in die Wüste. Jetzt erkannten sie trotz der blendenden Helligkeit, daß sich hier die Wand des Saales nach außen wölbte und sich trichterförmig verkleinerte, bis sie durch einen dieser hauchdünnen Schleusenvorhänge abgeschlossen wurden. Entfernung: etwa dreißig, vierzig Meter. Cliff und Skuard gingen darauf zu, aber sie hielten voneinander einen gewissen Abstand, gingen entlang der weißen Wand. Nur ihre Schritte knirschten in dem unechten Sand. Dann standen sie vor dem Diaphragma, traten hindurch und standen in einem runden Korridor, der nicht viel größer war als die Kommandokanzel des Schiffes. »Halt!« sagte Skuard scharf. Cliff blieb neben ihm stehen und musterte ihn durch die Helmscheibe. »Was gibt's?« Skuard drosselte die Kapazität des kleinen Senders auf den Minimalwert und sagte leise: »Ich wundere mich. Simer weiß doch, daß wir kommen. Warum stellt er sich nicht gegen uns?« »Das ist ein Gesichtspunkt«, antwortete Cliff, der sich wachsam umdrehte und den Korridor zu erforschen versuchte, »an den ich nicht gedacht habe. Warum hat er es bisher noch nicht getan?« Skuard sagte: – 73 –
»Ganz einfach. Wir befinden uns dicht vor einer neuen Falle. Jeder Schritt kann die Überraschung bringen.« Die Männer wichen zurück, bis sie an die Wände des Raumes stießen. »Welche Überraschung?« »Eine unangenehme!« Langsam näherten sie sich dem anderen Ende des Verbindungsstückes zwischen der synthetischen Wüste und der ausgedehnten Werkhalle. Die Wände neben ihnen waren massives Plastik. Kein einziger Eingang zu rechts oder links liegenden Räumen unterbrach die Fläche. Als die Männer sich bis auf drei Meter dem halbdurchsichtigen Film der Schleuse genähert hatten, sahen sie dahinter schattenhaft eine Bewegung. Eine humanoide Gestalt näherte sich ihnen. Die Figur kam immer näher, und Cliff fühlte, wie kalter Schweiß seine Stirn bedeckte... die Gestalt war ihm mehr als nur bekannt. Jetzt... sie durchstieß den Vorhang. Cliff keuchte erschrocken auf. »Ishmee!« stotterte er. Es war das Mädchen. Sie ging langsam, mit vor Entsetzen weit geöffneten Augen an den beiden Männern vorbei und bewegte sich in die Richtung auf die Wüste. Ihre Hände waren mit einem breiten, stählernen Band auf den Rücken gefesselt, und ein breiter Plastikstreifen lag um ihren Mund. Ishmee war in einem leichten Raumanzug ohne Helm. Skuard lief einige Schritte und brüllte: »Ishmee! Stehenbleiben!« Sie ging, als wäre sie in Trance. Cliff, der sich kaum rühren konnte, schaltete das Funkgerät um und rief laut: »Hier Cliff! Ich rufe die ORION!« Aus den Lautsprechern im Raumhelm kam das durchgehende, nervtötende Prasseln einer Störung. Es klang, als ob eine schnellaufende Säge sich durch dünnes Metall fraß. Cliff wußte, daß dies eine Falle war, die schlimmer war als der Sandsturm und die Kakteenstücke. Er rannte hinter Skuard und Ishmee her.
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Nach einer langen Sekunde der Erstarrung begann er zu handeln. Es war so gut wie ausgeschlossen, daß Simer in den wenigen Minuten zwischen dem letzten Kontrollanruf und jetzt die ORION geentert, gelandet und das Mädchen entführt haben konnte. Also war entweder der letzte Anruf bereits ein Gespräch mit Willenlosen oder mit Simer gewesen – oder Ishmee war nicht Ishmee. Cliff erreichte das Mädchen, ergriff sie am Arm und drehte sie herum. Skuard hob mit einem Gesichtsausdruck, der seinen Zwiespalt deutlich zeigte, die Waffe. Sie zielte mitten auf Ishmees Brust. »Halt!« schrie Skuard wieder. Er war sich nicht bewußt, daß er die kleinen Außenlautsprecher nicht eingeschaltet hatte. Als er sah, wie Cliff seine Lippen bewegte, ohne daß in seinen, Skuards Lautsprechern etwas zu hören war, begriff er und schaltete die Außenlautsprecher ein. Cliff stand vor dem Mädchen und versperrte ihr den Weg. »Was ist los, Ishmee?« fragte Skuard unruhig. Seine Stimme hallte durch den kleinen Korridor. Ishmee schüttelte den Kopf. Skuard griff an ihre Wange, ergriff den Plastikstreifen und zog vorsichtig daran, bis er ihn abgelöst hatte. Dann holte er das lange Messer aus dem Stiefelschaft und versuchte, das Metallband aufzuschneiden. Es ging sehr mühsam, aber nach einer Minute hatte er das Band geöffnet. Jetzt hatte auch Cliff seine Außenlautsprecher eingeschaltet. »Was ist los mit dir, Ishmee? Hat dich dieser Unsterbliche...?« fragte Cliff in höchster Besorgnis. Sie sah starr an ihm vorbei. Cliffs Augen funkelten, und Skuard sah, wie ein Verdacht in Cliff deutlich wurde; es war direkt an der Miene abzulesen. Cliff drehte sich halb herum, ergriff einen der Kontakte der magnetischen Säume und zog daran. Von einem Punkt an der Achsel bis zum breiten Gürtel klaffte der Raumanzug auf, und noch ehe Cliff ganz begriffen hatte, was er sah, warf er sich zurück und hob wieder die Waffe. Der rechte Arm des Mädchens hatte blitzschnell ausgeholt und einen Schlag geführt, der Cliff den Helm zertrümmert und ihm selbst den Schädel von den Schultern gerissen hätte. Jetzt schwankte die falsche Ishmee ein wenig, fing sich wieder und schlug mit der anderen Hand nach Skuard. »Schwesterlein!« sagte Skuard vorwurfsvoll und zog den Abzug seiner Waffe voll durch. Cliff feuerte von der anderen Seite. »Plastik!« schrie er wütend. »Ishmee aus Plastik!« Der Roboter verging in den vier kurzen Feuerstößen aus den beiden Waffen. Cliff hatte, als er den Saum aufgezogen hatte, die Gestänge und Hebel gesehen; Simer hatte die Männer nur einen Augenblick lang täuschen können. »Mann!« sagte Skuard aufatmend. »Mir zittern jetzt noch die Knie. Ich dachte bis zu dem Moment, als du den Saum aufgerissen hast, es wäre wirklich Ishmee. Sie kommt vermutlich aus einem der Geräte, mit denen die Dherrani diese Plastikdinge erzeugt haben.«
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»Wahrscheinlich«, knurrte Cliff und fühlte förmlich die Erleichterung, als sie sich von dem Haufen schmelzenden, stinkenden und rauchenden Plastiks fortbewegten. »Wahrscheinlich ist diese Kunststoffturceed nicht die einzige.« »Kaum.« Sie brachten ihre Funkausrüstung wieder in Ordnung, aber noch immer lief auf der Schiffsfrequenz die Störung, so daß jeder Versuch einer Unterhaltung mit der wirklichen Ishmee sinnlos sein würde. Wieder gingen die Männer bis zur Schleuse und blieben davor stehen. Sie sahen sich an, nickten und gingen entschlossen durch die Schleuse. Der erste Eindruck von dem dahinterliegenden Raum war überwältigend – aber auf eine gänzlich andere Art als bisher gewohnt. Sie blickten in eine Halle hinein, deren Grundfläche mindestens einen Quadratkilometer betrug. Diese Halle, rund hundert Meter hoch, war von Maschinen erfüllt und von Bewegung. »Es sind mehrere tausend Plastikpuppen!« stöhnte Skuard. So war es. Dort unten, auf verschiedenen Hängen, auf Plattformen, an Maschinen und zwischen ihnen, überall befanden sich die Puppen. Und sie trugen alle die Züge der ORION-Besatzung. Es waren McLanes aus Kunststoff, die mit schweren geräuschlosen Wagen auf den weißen, genau gekennzeichneten Wegen entlangfuhren und schwere Lasten transportierten. Mario de Montis saßen oder standen vor großen Schaltpulten, führten differenziertere Arbeiten durch. Helga Legrelles schleppten Pläne hin und her und arbeiteten an leblosen Teilen von Skuards. Flow Rettirs bedienten an vielen Plätzen eine riesige Maschine, aus der wie aus einer Tür alle Sekunden ein neuer Typ herausmarschierte, bunt gemischt – aber alle sahen sie unverkennbar aus, als wären sie Insassen der ORION. Acht Typen von Plastikpuppen. Skuard murmelte fast haßerfüllt: »Wenn Simer es gut mit uns meint, indem er uns vervielfältigt, wird es die ORION-Crew besser mit ihm meinen. Immer vorausgesetzt, wir finden Simer zwischen den rund tausend Gestalten dort unten heraus.« Sie standen auf einem Vorsprung, der bis in die genaue Mitte der Halle hineinreichte. Von beiden Seiten gingen schräge Flächen zum Hallenboden nieder; der Mittelsteg befand sich etwa auf fünfzig Metern Höhe. Wie auf ein geheimes Kommando schwangen sich jetzt zwölf McLanes auf die schweren Schlepper, fuhren zwischen den Maschinen hervor und kurvten in die Richtung der beiden Männer. »Wie klug sind sie?« fragte Cliff leise und stürmte los. Sie erreichten nach wenigen Minuten, als bereits die ersten Schlepper auf den Schrägflächen nach oben fuhren, das letzte Viertel des Zentralstegs. »Ohne Sprache, aber vermutlich mit einem guten Elektronenhirn ausgerüstet«, sagte Skuard. Er drehte sich halb herum und schoß einen der ORION-Kommandanten aus dem Steuersitz einer Maschine. Die Puppe kippte brennend und rauchend aus dem Sitz, fiel auf die Schrägfläche, purzelte herunter, und schlug mitten auf einen riesigen Tisch voller Pläne. Etwa eineinhalb Dutzend Helga Legrelles retteten schnell die großen Pläne und einige Zeichenmaschinen. – 76 –
Der Wagen fuhr weiter, kam geringfügig von der Geraden ab und krachte senkrecht herunter. Drei Atan Shubashis wurden unter den brennenden Trümmern begraben. »Los, hinunter!« sagte Skuard. Cliff rannte neben ihm her, die schräge Fläche entlang. Sie mündete in der Nähe eines Kommandoturmes aus Glas oder vollständig transparentem Kunststoff. »Die beste Idee im modernen, extraterrestrischen Kampfstil stammt von meiner Großmutter!« sagte Cliff und feuerte auf zwei seiner Doppelgänger, die mit zwei schweren Transportern auf die Männer zufahren wollten. »Was sagte Oma McLane?« wollte Skuard wissen. »Sie meinte, daß Napoleon niemals ein großer Feldherr geworden wäre, wenn er in der vordersten Linie gekämpft hätte.« Skuard drehte sich einmal tun seine Achse, zielte sorgfältig und schoß zehnmal. An zehn verschiedenen Punkten, sowohl in der Nähe als auch weiter entfernt, brachen die Puppen zusammen, die sich bewaffneten, um gegen die Eindringlinge vorzugehen. »Warum wäre ›Nappy‹ kein großer Champion geworden?« Cliff blieb dicht neben der Treppe stehen, die zu der Kanzel hinaufführte und antwortete grimmig: »Er sah es klar voraus – ein toter Soldat wird selten ein Kaiser.« »Stimmt auffallend«, meinte Skuard. »Was suchst du dort oben?« »Einsichten«, sagte Cliff und enterte die Treppe. Sie führte in vier Abschnitten etwa sechzig Meter hoch, dann endete sie auf einer Plattform. Irgendwo in der Halle saß ein Wesen, das sie genau beobachtete und schickte seine harmlosen Puppen vor. Es ist nicht schwer, eine einzige Ameise zu vernichten aber ein Überfall von vielen Ameisen, die zudem keine Furcht kennen, ist eine Sache, die das Leben kosten konnte. Skuard kam schweratmend neben Cliff an, stützte sich auf das Geländer und sah aufmerksam in die Halle hinunter. »Hast du Einsichten gefunden?« fragte er sarkastisch. »Nein«, sagte Cliff. Skuard visierte das breite Schaltpult der Maschine an, aus der unaufhörlich die Nachahmungen quollen, stützte die schwere Waffe auf das Geländer und drückte ab. Dauerfeuer. Er setzte etwa ein halbes Dutzend der Ersten Offiziere außer Gefecht und verwüstete das Schaltpult. Der nächste Atan Shubashi, der aus dem Auswurftrichter kam, stolperte bereits, die nächste Attrappe flog förmlich in hohem Bogen aus der Öffnung, wie ein betrunkener Raumfahrer aus der Bar, und die nächsten Exemplare kamen in einer merkwürdigen Art und Weise zum Vorschein – es waren Baukastenastrogatoren – Beine, Köpfe, Brustkörbe und Arme flogen hintereinander aus dem Endstück der Maschine. Dann erscholl dreimal ein tiefes, keuchendes Geräusch, und aus der Tür kamen drei dicke, schwarze Rauchwolken. »Der Mechanismus...«, begann Skuard, dann mußte er sich unterbrechen, weil er mit einem Lachanfall rang. »Wie?« »Sieh dorthin!« kicherte Skuard und schoß, indem er seinen Körper mehr aufrichtete und den Lauf der Waffe herumriß, auf zwei fahrende Schlepper. Die
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Kommandanten fielen rauchend über den Steuerpulten zusammen, und die Wagen fuhren krachend gegeneinander. »Die Attrappen-Maschine?« »Ja!« Nach den drei Rauchwolken kam ein McLane aus dem Endstück heraus, drehte sich um und brach dann zusammen. Sein Kopf brach ab und rollte einsam über die glatte Fläche, hinüber zu den Teilen, aus denen man Shubashis zusammensetzen konnte. »Ich werde das Ding reparieren«, versicherte Skuard. »Dann stellen wir lauter kleine Michael Spring-Brauners her. Die kannst du dann als Dekoration in deinem Park aufstellen.« Cliff trat inzwischen die Tür der Kanzel ein und stürmte hinein. »Wo ist denn hier der Ausgang?« brüllte er unbeherrscht. »Gehört dieses Anwesen mir?« fragte Skuard zurück. »Reißen Sie sich zusammen, Kommandant. Im Ernst: Wie kommen wir in den Raum, in dem sich die HYDRA befindet?« Sie standen hier, inmitten der Kommandozentrale dieser fast vollautomatischen Halle, die keinen anderen Zweck hatte, als aus Kunststoff irgendwelche Dinge mit eingebauten Steuermechanismen zu bauen. Sie suchten nach zwei Möglichkeiten – sie mußten die Tausende von Puppen abschalten und den Ausgang finden. Beides war gleich schwer. »Cliff!« Langsam drehte sich der Kommandant um. Er sah so aus wie Sir Arthur vor einer schwierigen technischen Entscheidung: ratlos. Skuard sagte ruhig, obwohl ihm nicht besonders wohl war: »Es sind die kleinen Dinge, die unser Leben reicher machen. Zum Beispiel die Schalter.« Er deutete auf die drei langen Schaltpulte. »Wer sagt dir, daß ich bei diesem Versuch nicht die gesamte schwarze Mauer in die Luft sprenge?« »Nichts ist ohne Risiko«, sagte Skuard. Er musterte die Anordnungen und begann, einzelne Schalter herumzukippen; jeweils die, neben denen Kontrollichter glühten. Durch die Glasscheiben betrachtete er die Halle, um zu sehen, was e r auslöste oder zum Stehen brachte. Zuerst ein Fließband. Dann mehrere Maschinen, die wuchtig und groß dastanden und vermutlich Plastikteile herstellten. Dann öffneten sich an einer Wand mehrere Tore. »Ausgezeichnet!« sagte Cliff. Skuard schaltete weiter. »Ich schalte diese ganze verdammte Halle aus«, sagte er. »Mach weiter!« schrie Cliff heiser, drehte sich um und schoß. Während sie sich hier oben mit der Technik dieses Hallenkomplexes beschäftigten, waren etwa fünfzig Rettirs die Treppe heraufgeklettert und drängten von der Plattform her in die Kanzel hinein. Cliff zielte sorgfältig und gab Dauerfeuer, dann sprang er nach vorn und stieß mehrere Archäologen-Attrappen
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über die Brüstung. Die Puppen waren ungefährlich – nur ihre Zahl hielt die Männer auf... sie hielt auf... sie sollten aufhalten... »Verdammt!« sagte Cliff atemlos. »Skuard!« Der Turceed hatte bereits die Hälfte des Schaltpultes hinter sich gebracht, und jetzt begann sogar das Licht in der Halle zu flackern, aber die Lampen erhellten sich wieder. »Cliff?« »Diese Puppen sollen uns aufhalten. Das bedeutet, daß Simer flüchten will. Wohin flüchtet er?« Wieder klickten die Schalter, als Skuard einen weiteren Bezirk der Halle von der Energieversorgung ausschloß. »In die HYDRA – wenigstens täte ich dies an seiner Stelle.« Cliff stand jetzt auf der Plattform und feuerte die letzte Treppe leer. Seine Opfer fielen qualmend und brennend nach unten, das Material tropfte und klebte an dem anderen Plastik fest, und schließlich versperrte eine rauchende, brennende Masse die Treppe. »Ich auch. Wohin will er mit der HYDRA?«
»Ins Große Schiff.«
Cliff schoß erneut, aber er hatte jetzt zwei Drittel der Treppe frei.
»Und was bedeutet das?«
Nicht ohne Sarkasmus sagte Skuard:
»Daß jetzt oder in ganz kurzer Zeit das Große Schiff auf einer Umlaufbahn um
Arys IV erscheint oder in der Nähe der schwarzen Mauer landet.« »Richtig.« »Das heißt aber für uns noch nicht, daß wir einen Ausgang gefunden haben.« »Doch, das heißt es«, erwiderte Cliff. »Höre mit deinem Schalten auf und komm. Der Aashap hat soeben einen schweren Fehler gemacht.« Der Fehler bestand darin, daß sich an einer bestimmten Stelle der gewaltigen Halle die Puppen versammelten, als wollten sie einen Ausgang schützen und mit ihren eigenen Plastikleibern verbarrikadieren. Die beiden Eindringlinge trampelten die steile Treppe hinunter, schnitten mit einigen Schüssen den Klumpen verschmorter Rettirs heraus und standen kurz darauf auf dem Hallenboden. Cliff entschied:
»Wir fahren!«
Dann schwangen sie sich auf einen der stehengebliebenen Wagen, schalteten den
Vorwärtsgang ein und rasten auf die Versammlung der Puppen los. Die gesamte ORION-Crew, alle in leichten, silbernen Schutzanzügen, erwartete sie – in hundertfacher Ausführung. Skuard sagte leise:
»Ich rufe die ORION. Vermutlich haben sie eben das Große Schiff angemessen.«
Cliff rammte eine Gruppe von Shubashis, die mit schweren Schraubenschlüsseln
auf den Wagen losstürmten und erwiderte hastig: »Gute Idee. Schnell!« Er nahm kurz die Hand von der Steuerung und schaltete den Schiffskanal ein, um mithören zu können. Der Wagen raste der Hallenwand entgegen... und in die Puppen kam Bewegung. * – 79 –
Die Halle lag unter einem hellen, leicht grünlichen Licht. Während die meisten Maschinen stillstanden, da Skuard die Schalter in Ruhestellung gekippt hatte, bewegten sich die rund tausend oder mehr Plastikpuppen immer schneller. Auch der Wagen, mit dem Cliff und Skuard auf die Ansammlung der Puppen zurasten, wurde schneller und schneller. Mit feuerbereiten Waffen saßen die beiden Männer auf den Sitzen, hielten sich an irgendwelchen Verstrebungen fest und sahen, wie sich die zahlreichen nachgeahmten Crew-Mitglieder mit langen Werkzeugen bewaffneten. »Es gibt Augenblicke im Leben eines Mannes«, sagte Skuard halblaut, »in denen er sich alt fühlt, sehr alt. Ich habe die ORION. Schalte um!« »Schon geschehen!« Aus den Lautsprechern kam die Stimme Ishmees; Cliff brauchte diese Gewißheit nun nicht mehr, fühlte sich dennoch etwas erleichtert. »Wir haben vor drei Minuten einen Radarimpuls hereinbekommen. Das Große Schiff ist in einen Orbit um den Planeten eingeschwenkt. Es befindet sich ziemlich genau gerade über uns. Etwas Neues?« Skuard sagte: »Macht euch bereit, eventuell einen Schnellstart auszuführen. Wir sind dicht vor dem Ende. Wir verfolgen gerade Simer. Hoffentlich entkommt er uns nicht.« »Verstanden. Ende.« Skuard und Cliff schalteten ab und wechselten wieder auf die Frequenz der Helmgeräte. Sie rasten jetzt genau auf eine Gruppe von Doppelgängern zu, die mit langen Schraubenschlüsseln auf sie zu warten schienen. Weitere Gruppen kamen von links und rechts, ein vierter Stoßkeil formierte sich im Rücken der beiden Terraner. Cliff steigerte die Geschwindigkeit des Wagens, als er hinter den letzten der Angreifer eine weitere schräge Rampe entdeckte. Sie konnte hinunter, in den Raum hineinführen, in dem die HYDRA II schwebte. »Es sind zu viele, Cliff!« warnte Skuard. »Hilft alles nichts. Los!« Cliff steuerte mit einer Hand und schoß mit der anderen. In der Mauer der Puppen entstand eine schmale Gasse, durch die der Kommandant den schweren Wagen jagte. Nun wandte er einen weiteren Trick an; er bewegte die Steuerung scharf nach links und sofort wieder nach rechts, in ständigem Wechsel. Der Wagen begann zu schlingern und warf jedesmal einige der Angreifer zurück. Heulend arbeitete ein verborgener Elektromotor. Skuard stand jetzt neben Cliff, drehte sich halb herum und feuerte ununterbrochen. Rings um den Wagen breitete sich ein kleiner Wall aus brennenden, rauchenden Plastikleibern aus. Geschleuderte Schraubenschlüssel, Teile von schweren Werkzeugen und große Plastikbauteile schwirrten durch die Luft, trafen den Wagen oder die Männer. »Die Puppen...«, sagte Skuard und schoß einen Mario de Monti vom Heck des Wagens herunter, »... sie sind nicht stark. Außerdem viel weniger zielsicher als ein terranischer Robot!« »Simer hatte zu wenig Zeit!« Der Wagen schlitterte und raste durch die letzte Kette der Verteidiger. Von seinem Führerstand zuckten pausenlos die weißglühenden Blitze der schweren Waffen. Sie schlugen breite Lücken in die Plastikleiber, zerfetzten die Brustkörbe der nachgeahmten Terraner und bahnten dem Fahrzeug einen Weg. Ohne die Geschwindigkeit zu verringern, schoß Cliff mit dem Wagen aus dem Saal hinaus, – 80 –
über die Rampe hinunter. Der Wagen tat einen gewaltigen Satz, brach seitlich aus, und Cliff fing ihn mit einer Reihe schneller Manöver ab. »Muß doch etwas daran sein«, knurrte Skuard, der sich nach rückwärts gewandt hatte und lange Feuerstrahlen aus der Waffe gegen die nachdrängenden Puppen schleuderte. »Woran?« »An der These, daß die Raumfahrer jeden Gegenstand so behandeln wie ihr eigenes Schiff.« Mit eingeschalteten Scheinwerfern raste der Wagen eine DreihundertsechzigGradkurve herunter, eine ziemlich steile Schleife. Dann trat Cliff mit aller Kraft auf die Bremse und riß den Wagen herum. Das schwerbeladene Fahrzeug schleuderte mit dem Heck nach vorn, krachte dumpf gegen die massive Plastikmauer, die diesen Gang versperrte. »Ich Idiot!« brüllte Cliff wütend. Er riß an den Hebeln und versuchte, den Wagen ganz zu wenden. »Was ist los?« Skuard sprang vom Wagen herunter, sah die geringfügigen Beschädigungen am Heck und die hinausgeschleuderten Teile der Ladung und klammerte sich wieder fest, auf dem breiten Trittbrett stehend. Die Waffe ruhte sicher in seiner Armbeuge, und als er das Magazin kontrollierte, sah er, daß es noch halbvoll war. »Wir sind in die Falle hineingerannt, die uns Simer stellte.« »Hineingefahren. Welche Falle?« Cliff warf ihm einen grimmigen Blick zu und sah, daß er sich festhielt. Dann heulten die Maschinen wieder auf und rissen das Fahrzeug nach vorn, die runde Schrägfläche nach oben. Zurück in die Halle. »Er versammelte die Puppen an einem Ort, um uns weiszumachen, dort wäre der Ausgang. Wir fielen darauf herein. Der Ausgang in die andere Halle befindet sich an einer anderen Stelle. Simer hat noch mehr Vorsprung dadurch gewonnen!« Der niedrige, schwere Wagen, der auf breiten Plastikwalzen lief, schoß wie ein brüllendes Ungeheuer aus dem dunklen Stollen wieder hervor, machte einen zweiten Satz und walzte drei Helga Legrelles nieder. Während Cliff steuerte, den einzelnen Gruppen auszuweichen versuchte, kletterte Skuard auf die Ladefläche und richtete sich auf. »Der einzige Korridor mit Beleuchtung ist am anderen Ende der Halle. Ob es der richtige ist...?« »Keine Ahnung. Versuchen wir es. Halt – Atan!« Skuard verstand und hob eine Hand. »Ich erledige das, Cliff. Konzentriere dich aufs Fahren.« Das tat der Kommandant. Inzwischen hatten sich die Puppen zu neuen Gruppen zusammengefunden. Sie blockierten nicht mehr jene Rampe, sondern sie verwendeten sämtliche Waffen, die sie finden konnten, um das Fahrzeug zu blockieren und die beiden Männer aufzuhalten. Andere Transportwagen schossen auf den weißen Straßen der Halle auf den Wagen zu, von Maschinen, auf denen sich die Plastikmarionetten befanden, flogen Schrauben, Werkzeuge und Arme auf die Männer herunter. Aber die Puppen bewegten sich wie ein Mensch, der eben aus einem tiefen Schlaf erwacht war – träge, unsicher und langsam. Vermutlich hatte
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Simer nicht genügend Zeit gehabt, die Steuereinrichtung zu testen und schneller zu machen. »Ich höre!« Skuard sagte zu Atan Shubashi: »Vermutlich hast du uns genau auf dem Schirm. Bitte, versuche festzustellen, aus welcher Richtung sich Simer der HYDRA nähert. Es ist wichtig.« »Einen Moment, Skuard!« erwiderte Atan. Während Cliff steuerte, einem gegen ihn geführten Rammangriff zweier Wagen dadurch auswich, daß er die Antriebswalzen des einen Wagens zerschoß und dem anderen durch ein tollkühnes Manöver auswich, wartete er auf die Antwort von Bord der ORION. Atan sprach wieder. »Ihr bewegt euch von Süden nach Norden. Unter euch rennt jemand von Norden nach Süden. Ziemlich schnell, aber er ist, von euch aus gesehen, noch vor euch. Also nördlicher als ihr. Verstanden?« »Ja«, sagte Skuard. »Das gibt uns eine Chance mehr. Ich lasse die Schiffsfrequenz stehen... rufe mich, wenn etwas Besonderes vorgeht.« Die Männer nickten sich zu, und Cliff fuhr unterhalb des Turmes vorbei, wich dem brennenden Haufen der Marionetten aus und raste die gerade Transportstraße entlang, dem anderen Ende der Halle zu. Dort sahen sie jetzt deutlich einen schmalen, niedrigen Ausgang, der weiß erleuchtet war. Darauf steuerten sie zu. Während Cliff mit schnellen, gestreuten Nahschüssen das Umfeld des Wagens säuberte, schoß Skuard die Angreifer von den Maschinen herunter und setzte die Wagen in Brand, die auf sie zugesteuert wurden. »Das ist wirklich ein Superding!« sagte Skuard. »Wie in einem Gangsterfilm.« »Hoffentlich schnappen wir auch den Gangster«, meinte Cliff. Beide Männer bebten vor Spannung, und ihre Augen hinter den Läufen der Waffen durchforschten den Saal. Aber Simer war ein Gehetzter mit relativ wenigen Möglichkeiten; alles, was er seit seiner Landung hier getan hatte, war nur dazu geeignet gewesen, die Verfolger irrezuführen und aufzuhalten. Jetzt kämpfte er auf den letzten Metern, um die HYDRA II allein zu starten, mit ihr ins Große Schiff zu gelangen und dieses intergalaktische Raumschiff zu starten. Konnte er dieses sein Vorhaben wahrmachen, dann hatte er den Kampf für sich entschieden Cliff zweifelte keine Sekunde lang daran, daß Simer genügend reelle Chancen hatte. »Achtung«, sagte Skuard. »Unterführung!« Das Fahrzeug schoß, von einem geschleuderten Schraubenschlüssel getroffen, durch die Trennungslinie hindurch, hinein in den Verbindungsgang. Auch hier war der Gang schräg und in einen Kreis gekrümmt. Mit unverminderter Geschwindigkeit fuhr der Wagen hinein, schleuderte in den Kurven und wurde etwas abgebremst. Hundert Meter weit ging es abwärts, dann löste sich die Krümmung auf, der Gang wurde gerade. Er führte durch eine Schleuse hindurch – der Wagen fegte durch das hauchdünne Material der Folie. Sie zerriß mit einem harten Krachen. Skuard machte sich zum Absprung bereit und murmelte: »Es war schon immer etwas riskant, der ORION-Crew anzugehören. Hier haben wir eine neue Überraschung.«
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Sie fuhren auf einer selbstleuchtenden Rampe in eine pechschwarze Finsternis hinein. Am Ende des leuchtenden Streifens, der nur wenige Zentimeter breiter war als das Fahrzeug, stand eine Gestalt. Es konnte ein Mensch sein, eine Plastikpuppe oder Simer selbst. Skuard wandte sich an Atan Shubashi. »Hast du einen Reflex oder eine Anzeige, Atan?« »Ich habe euch verfolgt. Zwischen euch und dem Flüchtenden liegt eine Strecke von zweihundert Metern. Er hat sein Tempo verringert.« »Danke. Wie weit von uns zur HYDRA?« Langsam bremste Cliff den Wagen ab. Die Gestalt kam näher, und die Männer sahen, daß es ein gesichtsloser Roboter war, der regungslos auf sie zu warten schien. »Achthundert Meter.« »Danke.« Die Scheinwerfer des Wagens und die beiden Handscheinwerfer der Terraner flammten auf, richteten ihre Lichtkegel auf die Gestalt. Sie war schlank und in einen dunkelroten Anzug gekleidet, der wie Metall flimmerte. In den Händen, die regungslos an den Seiten des Körpers herunterhingen, befanden sich lange, gefährlich aussehende Waffen. Cliff bremste den Wagen drei Meter vor dem Robot ab und kletterte aus dem Fahrersitz. Skuard blieb hinter der vorderen Abdeckung stehen und richtete die Waffe auf die Maschine. »Ehe wir hier eingedrungen sind, hast du gesagt, daß die HYDRA von etwas unvorstellbar Grauenhaftem bewacht wird, Skuard – ist es das hier?« Cliff deutete auf den Robot. »Nein«, sagte Skuard leise. »Simer dachte an etwas anderes. An eine Auflösung des Verstandes.« Cliff grinste kalt. »Und das bei einem Vorsprung von zweihundert Metern. Los, ihm nach. Der Steg ist hier zu Ende.« In den Lautsprechern war plötzlich wieder dieses schnurrende, pfeifende Geräusch, das sie schon einmal gehört hatten. Es schien die Stimme des Robots dicht vor ihnen zu sein. »Ihr... kommt... nicht... weiter... ich... werde... euch... töten...« Skuard begann zu feuern, und Cliff ließ sich seitlich vom Steg fallen und schaltete den Scheinwerfer aus. In dem diffusen Zwielicht über ihm begann einer der seltsamsten Kämpfe, die er je in seinem Leben gesehen hatte.
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Der Robot, anscheinend die letzte Waffe des Unsterblichen, besaß einen energetischen Schutzschild. Ein Projektor irgendwo in seiner Körpermitte schuf ein genau kugelförmiges Feld, das leicht rotglühend in der Dunkelheit leuchtete. Gleichzeitig war dieser Projektor mit den Auslösern der Waffen gekoppelt. Jedesmal, wenn Skuard schoß, wurde die Hitzeenergie der Schüsse kugelförmig abgeleitet. Sie traf auf den Plastikboden und schmolz ihn. Jedesmal aber, wenn der Robot einen Schuß auf Skuard abgab, der fünf Meter entfernt in der Deckung des massiven Plastikfahrzeugs stand und schoß, wurde der Schirm für einen Sekundenbruchteil an der Stelle des Schußfeldes aufgebrochen, floß aber wieder zusammen, als der Spurstrahl diese Lücke passiert hatte. Cliff kam erst nach einem zweiminütigen Schußwechsel auf diese Eigentümlichkeit. »Skuard?« »Ja?« keuchte der Turceed. »Halte ihn in Schach, fahre den Wagen langsam auf ihn zu. Ich arbeite hier unten weiter. Ich habe einen Plan.« »Einverstanden.« Cliff stolperte sechs Meter rückwärts in die Dunkelheit hinein, senkte seine Waffe und brannte ein großes Loch in die Plastikwand der Rampe. Sie war etwa dreißig Zentimeter dick, und das rauchende Plastik floß und flammte auf. Dann schlich er gebückt näher und richtete die Waffe auf die Stelle, an der der Robot stand und um sich schoß. Trotz der rauchenden Frontwand walzte der Wagen ganz langsam auf die Maschine zu, und pausenlos feuerte der Turceed. Plastik begann zu brennen, zu rauchen und zu schmelzen. Das Schmelzen war wichtig – plötzlich gab der Boden unter dem Robot nach, und die Maschine krachte senkrecht hinunter. Sie war jetzt von Plastikwänden umgeben, und genau über ihr neigte sich der Wagen. Cliff schoß weiter und hörte den dumpfen Aufprall, mit dem Skuard neben ihm landete. »Alles klar?« »Hoffentlich. Vielleicht ersäuft er in flüssigem Plastik.« Sie beide waren von dem Kampf in einer derart vollkommenen Ausschließlichkeit gefangengenommen, daß sie alles vergessen hatten; Schmerzen, Schwerkraft und die Zeit, die ihnen davonzulaufen drohte. »Dort!« Während der Robot schoß, schmolz rings um ihn das Material. Der schwere Wagen kippte immer mehr, und je weicher die Platten des Steges wurden, desto stärker wurde die Neigung. Schließlich fiel das Fahrzeug durch das Loch, begrub den Robot unter sich und schmolz ab. Der Schutzschirm wölbte sich wie eine Kugel, über die weiches Material gegossen wurde – dann entstand ein Kurzschluß, und mit einem gewaltigen Donnerschlag explodierte die Maschine. An der Stelle ihres Unterganges sahen die zwei Männer nur Flammen und Rauch, der sich schwarz mit der Finsternis verband. »Weiter. Dort hinten muß die HYDRA schweben, Skuard!« Sie faßten sich an den Händen, um sich nicht zu verlieren, und Skuard schaltete seinen Scheinwerfer ein. Vor ihnen erstreckte sich eine glatte, anscheinend schwarze – 84 –
Fläche. Sie wirkte wie stumpfes Glas, und die Männer kamen schnell und ohne Hindernisse vorwärts. »Noch siebenhundert Meter!« flüsterte Cliff nach einigen Minuten. Plötzlich veränderte sich der Raum vor ihnen. »Sterne!« rief Skuard. Nicht nur vor ihnen veränderte sich der Raum, sondern rings um sie erschienen die Sterne. Sie hatten plötzlich das Gefühl, im All zu sein, in der vollkommenen Schwerelosigkeit. Von links drehte sich ein kleiner runder Mond vorbei, zog mit seinen Narben und Kratern durch das Blickfeld und entfernte sich wieder. »Eine Illusion!« sagte Cliff und rannte weiter. Aber seine Beine gehorchten ihm nicht. Er fühlte, wie sich sein Körper in der charakteristischen Weise bewegte, in der alle Bewegungen im schwerelosen Raum vor sich gingen. Er rannte dennoch weiter, seine Augen fest auf eine Dreierkonstellation von Sternen gerichtet. »Ich kann nicht mehr – ich falle, drehe mich...«, schrie Skuard. Cliff erwiderte grob: »Versuche, die Augen zu schließen!« »Ich kann es nicht!« Cliff faßte die Hand des Freundes und lief weiter. Er schaltete bewußt die Eindrücke rings um sich aus, ignorierte das Raumschiff, das weit vor ihnen schwebte und von einer unsichtbaren Sonne halb ausgeleuchtet wurde. Das Raumschiff... er nahm den Blick von den Sternen und blickte das Schiff an. Es war ein Diskusschiff, unverkennbar die Projektion eines terranischen Flottenschiffes. Es sah aus wie die ORION VIII oder die HYDRA II. Er rannte weiter, lief, ohne es zu wissen, in einem Zickzackkurs durch den Weltraum, der sich jetzt langsam um ihn zu drehen begann. Weit voraus, links unten, von ihm aus gesehen, näherte sich die Spitze einer Dunkelwolke, aus der es fast schwarzblau schimmerte – eine dahinterliegende, unsichtbare Sonne. Eine durchdringende Stimme meldete sich. Sie existierte nicht wirklich – sie war nun deutlich zu hören, aber nur in Gedanken der beiden Männer. »Das Universum wird euch verschlingen... die Sonne verbrennt euch...!« Cliff stolperte weiter, nahm jetzt die Projektion der HYDRA als Ziel. Sie drehte sich mit den Sternen um ihn, und ständig änderte sich der Weg, die Richtung. »Ich werde wahnsinnig!« schrie Skuard. Cliff blieb ruckartig stehen und schaltete seinen Handscheinwerfer wieder an. In den letzten Minuten hatte er ihn unbeabsichtigt ausgeschaltet. Er leuchtete Skuard ins Gesicht. »Das All ist euer größter Feind... es wird euch töten... die Sterne drehen sich zum Totentanz!« heulte die unhörbare Gedankenstimme auf. Cliff blickte Skuard an. »Ich – kann – nicht mehr, Cliff!« wimmerte Skuard. Cliff zog seine Waffe, entsicherte sie und schoß. Er jagte Skuard eine Gasdrucknadel in den Oberarmmuskel, fing den Zusammensinkenden auf. Dann ließ er Skuard auf den Boden gleiten, der sich seltsam weich anfühlte, sich in Wellenlinien zu bewegen schien wie eine elastische Glasplatte zwischen den Sternen. Der Scheinwerfer wurde herumgeschwenkt, Cliff kontrollierte die Anzeigen der Innenversorgung und ließ dann Skuard liegen. Er warf sich die Energiewaffe des – 85 –
Mannes auf die Schulter und rannte weiter, durch den Weltraum, der wie ein Kreisel sich um ihn drehte. »Du wirst wahnsinnig werden zwischen den Sonnen – sie bringen dich um!« Cliff rannte weiter, auf die HYDRA zu, die wieder vor ihm auftauchte. Weiter und weiter... Schneller... Er keuchte und schwitzte. Sein Mund fühlte sich trocken an, ein widerlicher Geschmack nach saurem Metall lag auf der Zunge. Sein Atem ging rasselnd, als ob seine Lunge mit Nadeln gefüllt wäre. Vor ihm, leicht nach links driftend, schwebte die HYDRA. Jetzt veränderte sich etwas in diesem irrationalen Bild. Der Zentrallift wurde ausgefahren. Wie ein Rüssel aus metallenen Gliedern schob er sich hervor, wurde länger und hielt schließlich an. »Die Sterne werden deinen Geist töten, und du wirst als Mumie zwischen den Sonnen umhertreiben bis in alle Ewigkeit.« »Wohl kaum!« murmelte Cliff. Er rannte weiter. Er rannte nicht, etwas in ihm befahl ihm, zu rennen. Jegliche Vernunft war ausgeschaltet. Es galt nur noch, die Schleusentür dieser Projektion zu erreichen. Möglichst bald. Projektion? Er machte noch drei Schritte und brach zusammen. Der scharfe Schmerz in seinem Knöchel brachte ihn wieder zur Besinnung, kaum daß er den schwankenden, sternenübersäten Boden berührt hatte. Die Dunkelwolke war jetzt herangekommen und streckte ihre langen, spitzen Finger nach ihm aus. Projektion? Mit einem verschwindend kleinen Teil seiner Vernunft las er die Schriftzüge auf der Unterseite des Raumschiffes. Projektion? Nein. Es war... »... die HYDRA!« schrie er auf, voller Schmerzen und den Tränen nahe. Er stolperte hinkend weiter, warf sich nach vorn und bekam den Druckschalter in die Hand. Langsam fuhr die Schleusentür vor ihm auf, und er warf sich hinein, mit der letzten Kraft, die er noch hatte. Mitten in der gleitenden Auf-Bewegung wurde die Tür angehalten und fuhr wieder zurück. Gleichzeitig fühlte Cliff, der plötzlich in der 1-g-Zone war, wie der Lift eingezogen wurde. Simer und er waren in der HYDRA. Kaum war der Lift eingerastet, stand Cliff schon auf den Beinen. Er zitterte am ganzen Körper, aber er öffnete die Tür und trat in den Ringkorridor des Schiffes hinein. »Das war knapp«, sagte er zu sich selbst. Das dumpfe Gefühl der Einsicht, in wenigen Momenten wahnsinnig werden zu müssen, war gewichen und hatte, verbunden mit der reduzierten – also für ihn normalen – Schwerkraft, einem Gefühl der Leichtigkeit, der Unbeschwertheit Platz gemacht. An den Geräuschen konnte er hören, daß sich die HYDRA im Flug befand. Langsam zog er den Schutzanzug aus und ging, nachdem er die Waffen an einen sicheren Platz gestellt hatte, in den nächsten Raum hinein. Es war die Kajüte Lydia van Dykes, wie er selbst jetzt in seinem Zustand merkte. Selbst im Raumschiff waren die Schönheitsmittelchen unentbehrlich, die in Spezialhalterungen vor dem – 86 –
breiten Spiegel steckten. Aus der Glasfläche starrte Cliff ein Fremder entgegen – Cliff McLane, zwanzig Jahre gealtert. Cliff badete seinen Kopf in eiskaltem Wasser, wusch sich, so gut er es konnte, und lud dann die Injektionsspritze, die er in einem Fach fand, mit einem Dopingmittel. Dann jagte er sich die Dosis in die Gegend der Ellenbeuge. Er lehnte sich an eine Wand und trocknete sich langsam ab, um die Wirkung der Droge abzuwarten. Dann ging er langsam in die Richtung des kleinen Lifts, der ihn in die Kommandokanzel hinaufbringen sollte. Der letzte Akt fing an. Die schwarze Mauer. In einem Raum, der genau würfelförmig war, lag eine Gestalt in einem silberfarbenen Schutzanzug. Unbeweglich, gelähmt, bewußtlos. Um diese Gestalt herum vollführte die Projektion eines irren Weltraumes einen wilden Reigen. Die Sterne drehten sich in einem Totentanz – die Gestalt merkte nichts davon. Schließlich hüllte die Dunkelwolke, hinter der es blau schimmerte, auch den bewegungslosen Skuard ein. Das Raumschiff begann zu schweben. Es löste sich aus der Eigendrehung der Projektion, glitt auf einer Tangente aus dem Kreis heraus und näherte sich den Sternen. Es verschwand zwischen ihnen und berührte die Wand der Mauer, die ähnlich durchlässig war wie die Folien der kleinen Schleusen, die Korridore und Räume luftdicht trennten. Das Schiff verschwand. »Die Sterne werden dich töten – die Dunkelwolke erwürgt dich!« Skuard hörte die Stimme in seinen Gedanken nicht mehr. Das Schiff wurde kleiner; es war, als verschwände Scheibe um Scheibe von ihm. In Wirklichkeit glitt es aus der riesigen Schleuse, die eine Kantenlänge von einem Kilometer hatte. Schließlich verließ es die schwarze Mauer, schwebte in einer unsicheren Kurve hinunter zum Boden und jagte im Schutz des Bauwerks in die nördliche Richtung. Fünfhundert Kilometer weiter nördlich kippte die HYDRA II. Sie schlug einen Aufwärtskurs ein. Der Unsterbliche beschleunigte mit den höchsten Werten, mit denen er die Maschine belasten konnte. Er hatte die Vergrößerung seines Zieles auf den Schirmen. Auf der großen Scheibe des Zentralschirms stand unbeweglich das Große Schiff. Eine Kugel, die aussah, als bestünde sie aus zerknitterter Silberfolie. Simer hatte seinen Vorsprung ausgebaut. Nur noch Minuten – dann war das Ziel erreicht. * Der Lift hielt an, Cliff schob die Tür zurück und richtete den schweren Zweihandstrahler auf den Aashap. »Simer«, sagte er mit künstlicher Ruhe, »wir sollten diskutieren, ehe wir zu schießen anfangen.«
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Er trat die wenigen Zentimeter hinunter in die Kanzel und ging auf den Mann zu, der ihm den Rücken zuwandte und ihn in der schwarzen, leicht spiegelnden Fläche eines Testschirms anblickte. Cliff ging vorsichtig, mit entsicherter Waffe, auf den Mann zu, bog dann ab und blieb schräg vor Simer stehen. »Wir...«, begann er und – erschrak. Der Unsterbliche blickte ihn schweigend an. »Ja, Kommandant McLane?« fragte er halblaut. Simer wirkte alles andere als unsterblich. Sehr sterblich sogar. Er sah aus, als habe er ein Jahr lang unter Ausgestoßenen, Gesetzlosen und Kranken gelebt. Sein Gesicht war voller tiefer Falten, und um die Augen lagen schwarze Ringe. E r wirkte wie ein Greis, der den Tod vor den Augen hat. »Sie wollen das Große Schiff entern, um damit zu Ihrem Heimatplaneten zurückzufliegen«, stellte Cliff fest. Etwas schnürte ihm die Kehle zu. »Das ist richtig. Und Sie werden mich nicht daran hindern, McLane.« Cliff verzog den Mund. »Ich diskutiere ungern mit vorgehaltenen Waffen, aber in diesem Stadium bleibt mir nichts anderes übrig. Sie übersehen einen Punkt, Simer.« Sie sahen sich schweigend und starr an. Simer wirkte wie jemand, der nicht mehr ganz genau wußte, wofür er handelte und kämpfte. Es war, als ob tief in seinem Innern ein Uhrwerk noch nicht ganz abgelaufen war und einen Körper mitsamt dem Verstand bewegte, obwohl jede Bewegung sinnlos war. Und das war der überlebende Feind von Terra? Ein Greis, der Cliff mit aufmerksamen dunklen Augen betrachtete. Wirr hing ihm das schwarze Haar in die Stirn. »Welchen Punkt?« »Sie und ich, als Vertreter einer Rasse, streiten uns um das Erbe der Dherrani. Wir haben beide Ansprüche darauf, aber Sie wollen uns diese Ansprüche streitig machen. Warum können wir uns nicht einigen wie zwei normale...«, er zögerte, den Ausdruck ›Menschen‹ zu gebrauchen. »Ich habe nichts mit Ihnen gemein, Cliff McLane. Und noch weniger mit den Turceed.« Cliff hatte noch immer die Waffe auf Simer gerichtet. »Was gewinnen Sie, Simer? Sie sind der letzte, unwiderruflich der letzte Ihres Volkes. Was immer Sie unternehmen, sie tun es ganz allein. Sie sind so einsam wie eine Sonne im All. Diese hat unter Umständen noch Planeten – Sie haben nichts als Feinde. Ihre beiden Partner sind gestorben, Yester Ek Gryffhagn hat sich in den Schutz Terras geflüchtet. Warum wollen Sie mordend und sengend durch das All ziehen wie eine ganze Armee von Bestien? Ist das die Art, in der Sie die Überlegenheit einer Jahrtausende alten Rasse dokumentieren wollen?« Simer schien wenig Lust zu einer Diskussion zu haben. »Ja«, sagte er. »Das will ich.« Cliff schüttelte den Kopf. »Wir rasen seit geraumer Zeit hinter Ihnen her, stolpern mit mehr oder weniger Glück durch Fallen, verletzen uns dabei, werden von Ihnen ständig mit komplizierten Mordversuchen bedroht... und aufgrund dieser Anstrengungen könnte ich Sie jetzt und hier, während die HYDRA II dem Großen Schiff – 88 –
entgegenrast, niederschießen. Ich tue es nicht, weil ich mir denken kann, daß wir und Sie gute Freunde werden könnten.« Simer sagte trocken: »Das ist es nicht, was Sie davon zurückhält, mich niederzuschießen.« Er führte eine winzige Kurskorrektur durch; Cliff sah mit Erstaunen, wie schnell und sicher sich die Greisenhände über die Schaltungen bewegten. Das Große Schiff rückte wieder in den Mittelpunkt des Zentralschirmes. »Sondern?« fragte Cliff. »Es ist die Unmöglichkeit, einen Mord zu begehen, McLane. Sie können es nicht übers Herz bringen, so sagt man bei Ihnen, nicht wahr, mich kaltblütig niederzuschießen.« Cliff nickte. »Daran ist etwas Wahres«, sagte er »Aber ich kann etwas anderes tun.« »So? Was?« Der Beschleunigungshebel wurde zurückgezogen, und die HYDRA II verlangsamte ihre Fahrt. Ständig sah Cliff aus dem Augenwinkel, wie die Lampe am Funkgerät aufleuchtete; der Warnsummer war ausgeschaltet worden. Vermutlich versuchte Helga Legrelle ununterbrochen, das Schiff anzufunken, da sich weder Cliff noch Simer meldeten. »Ich kann die Verantwortung abgeben!« Simer sah sich mit ironisch hochgezogenen Augenbrauen in der Kommandokanzel um. »Ich wüßte nicht, an wen, Kommandant.« Cliff blieb ruhig. »An meine Vorgesetzten. Ich könnte Ihnen eine Lähmungsnadel in den Muskel schießen. Auch wenn Ihr Metabolismus damit binnen Minuten fertigwerden kann, was ich nicht bezweifle, kann ich Sie für kurze Zeit außer Gefecht setzen. Wenn Sie sich im Spiegel betrachten, werden Sie sehen, daß Sie im Moment nicht besonders widerstandsfähig sind.« »In der Tat«, erwiderte Simer und brachte die HYDRA nahe an das Schiff heran. Er begann, die Einflugschneise zu suchen, die sich irgendwo außerhalb des Sichtfeldes befand. »Ich sehe etwas derangiert aus.« »Nicht nur das. In dieser kurzen Zeit habe ich Sie in eine der Kälteschlafkammern gebracht und liefere Sie steifgefroren bei Wamsler ab. Dann kann er mit Ihnen den Dialog führen, den er mit Ihrem Partner führte.« »Wie er endete, wissen wir beide, nicht wahr?« »Ja«, sagte der Kommandant. »Er endete mit dem Freitod des vorletzten Unsterblichen.« Nach einer Minute des Überlegens meinte Simer halblaut: »Sie scheinen nicht unrecht zu haben, Kommandant. Was ist Ihr nächster Zug?« Ohne den Auslöser der schweren Waffe loszulassen, zog Cliff die Gasdruckwaffe und entsicherte sie mit einem Daumendruck. »Eine Bitte«, sagte er. »Eine Bitte?« »Klar, was sonst? Ich bitte Sie, das Kommandopult freizugeben. Wir fliegen zusammen zurück nach Terra und überlegen weiter. Sie können von der
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Erdregierung jede Unterstützung haben. Binnen eines Jahres sind Sie der berühmteste Mann in der ganzen Neunhundert-Parsek-Kugel.« Simer schaltete den Autopiloten ein, nachdem er einige Schaltungen vorgenommen hatte. Cliff hätte das Schiff nicht besser bedienen können; der Verstand dieses Mannes stellte wirklich jeden anderen weit in den Schatten. »Und Sie glauben, ich entspreche dieser Bitte?« Simer stand auf und blieb hinter dem Kommandosessel stehen. Cliff beobachtete jede seiner Bewegungen und wußte genau, was er im Fall einer Überraschung zu tun hatte. »Ich hoffe es«, meinte er. »Ich denke nicht daran«, sagte Simer. »Ich befinde mich einen Millimeter von meinem Ziel, und Sie denken, ich gebe nach? Unmöglich!« Cliff stand ebenfalls auf. Die beiden Waffen zeigten auf Simer. »Dann befehle ich Ihnen als Vertreter der Erdregierung, sich jeder weiteren Handlung zu enthalten.« Simer lächelte auf eine eigentümliche Weise. »Nein!« sagte er. Cliff zuckte die Schultern und sah für einen Augenblick hinüber zu der Lampe des Funkpults. »Dann«, sagte er bedauernd, »werde ich tun müssen, was ich...« Er sah die blitzschnelle Bewegung. Gleichzeitig schlug er mit dem Kolben seiner Waffe einen Schalter herum. Die künstliche Schwerkraft der Kommandokanzel wurde aufgehoben, und der Feuerstrahl aus der winzigen Waffe des Unsterblichen fauchte über Cliff hinweg, zerschmolz zwei Schirme, die knallend barsten und drei Beleuchtungskörper. Langsam drehte sich der Körper des Unsterblichen nach hinten, und er versuchte mit rudernden Armen, sein Gleichgewicht wiederzufinden. Cliff hakte seinen Fuß in eine Strebe ein, in der der Stiefel so fest saß, daß der Kommandant einen Halt hatte. Dann zielte er. Eine Nadel verließ den Lauf der Gasdruckwaffe, schlug aber gegen das Metall des Eingabeelements. Schwirrte als Querschläger weiter und blieb irgendwo im Teppich stecken. Ein zweiter Schuß traf, gleichzeitig hatte sich Simer gefangen und schoß wieder auf Cliff. Vor dem Kommandanten zerknallte der Zentralschirm. Einige Apparaturen wurden zerstört, und wieder fauchte die Gasdruckwaffe auf. Simer bewegte sich noch immer. »Geben Sie auf!« sagte Cliff und riß, nachdem er den Strahler fallen gelassen hatte, den Schalter wieder zurück. Die Waffe besaß plötzlich Eigengewicht und krachte zu Boden, und Cliff schoß hintereinander drei Lähmungsnadeln in den Körper des Aashap, der jetzt in der Mitte der Kommandokanzel zusammenbrach. Die Schwerkraft zerrte an seinen Muskeln, aber Cliff blieb stehen und sah den Körper an. »Unsterblich... aber besinnungslos«, sagte er und trat dann vorsichtig näher. E r nahm die Waffe aus der Hand des Besinnungslosen, dann öffnete er dessen Kleidung und begann zu suchen. Er fand etwa zwanzig winzige Gegenstände, von deren Verwendungszweck e r keine Ahnung hatte und stapelte sie säuberlich auf der Sitzfläche des – 90 –
Kommandantensessels. Dann warf er sich den schweren, schlaffen Körper über die Schultern und schleppte ihn hinunter in die Kälteschlafzelle. Zwanzig Minuten später hatte er dem Bewußtlosen die nötigen Medikamente injiziert, schaltete die Anlage ein und verschloß die Schleuse und das Schott der Kammer mit der Zahlenkombination. Simer war gefangen, und der Kampf war für den Unsterblichen zu Ende. Nicht für ihn, Cliff McLane. Er spürte mit Erleichterung, wie die Droge, die er sich selbst eingespritzt hatte, noch immer wirkte. Er sah auf die Uhr – diese Wirkung würde noch fünfundzwanzig Minuten anhalten. Binnen dieser Zeit mußte er tun, was die Situation erforderte. Er setzte sich schwer in den Sessel vor dem Funkpult, sammelte seine Gedanken und betätigte dann die nötigen Schalter. Die Lautsprecher waren übersteuert, und das Krachen, mit dem sie in Betrieb gesetzt wurden, sprengte Cliff fast die Trommelfelle. Er bog das Mikrophon zu sich herunter und sagte müde:
»Hier Kommandant McLane an Bord der HYDRA II. Ich rufe Legrelle in der
ORION.« Helgas Seufzer der Erleichterung war deutlich zu hören. »Hier Legrelle. Cliff! Was ist los? Hast du Simer? Bist du verletzt? Wo ist Skuard?« Cliff grinste ein wenig und sagte: »Eines nach dem anderen. Simer befindet sich in einer Kälteschlafkammer der HYDRA. Die Kommandokanzel ist durch einen kurzen Kampf etwas beschädigt. Das Raumschiff befindet sich in einem Orbit um das Große Schiff. Das Große Schiff befindet sich...« Helga fuhr lachend fort:
»... in einem Orbit um Arys IV. Weiter, Kommandant.«
Cliff fuhr fort:
»Skuard liegt mit einer Lähmungsnadel im Körper in der Halle, in der sich bis
vor dreißig Minuten noch die HYDRA befand. Der östliche Teil dieser Halle scheint aus einem Material zu sein, das man mit einem Schiff durchfliegen kann, ohne daß es reißt. Bitte, startet die ORION, laßt euch von Atan steuern und nehmt Skuard an Bord. Dann kommt hier herauf und schleust beide Schiffe ein. Ich werde nach Beendigung dieses Funkspruches mich in mein Bett legen und drei Tage lang schlafen. Mario vertritt mich. Klar?« Helga fragte in echter Besorgnis:
»Cliff – bist du verletzt?«
Cliff hatte schon die Hand am Regler und schob ihn langsam nach oben.
»Nein«, sagte er. »Ich bin erschöpft und nur noch mit Hilfe von scharfen
Doping-Mitteln auf den Beinen. Bitte, tut schnell, was ich angeordnet habe – Mario weiß, wie das Große Schiff wieder auf Erdkurs gebracht werden kann.« »Selbstverständlich«, erwiderte die Funkerin beflissen. »Ende?« Mit großer Erleichterung antwortete Cliff. »Ja. Ende.« Er schaltete ab.
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Dann stand er auf, jeder Muskel und jeder Knochen begannen zu schmerzen. E r tastete sich zum Lift, fuhr herunter und brachte es gerade noch fertig, die Stiefel von den Füßen zu ziehen und den breiten Gürtel zu lockern. Dann schlief er ein. * Achtundvierzig Stunden später: »Es scheint«, sagte Ishmee langsam, »daß wir unsere Aufgabe restlos und in der besten Art gelöst haben. War das unsere Absicht, einen Mann auszuschalten, nur weil er unsere Freundschaft ausgeschlagen hat?« Cliff blickte etwas überrascht in die klugen Augen seiner Freundin. »Dein Einwand ist gut und teilweise richtig. Wir haben, glaube ich, das Beste aus einer hoffnungslosen Situation gemacht. Wir haben dadurch, daß wir einen einzelnen Mann – ein Wesen aus der Vergangenheit – zwangen, sich irgendwie uns unterzuordnen, das Leben von unzähligen anderen nachweisbar gerettet. Wir haben die Sklaverei der Marionetten beendet... ich meine nicht die Plastikdoppelgänger der ORION-Crew. Wir sind keine Halbgötter, und wir hatten es mit unseren geistigen und technischen Mitteln nicht leicht. Beide waren gering – verglichen mit denen des Aashap.« Skuard, der sich mit einem gefüllten Glas in der Hand sichtlich wohlfühlte, drehte seinen Sessel herum und sagte halblaut: »Eine weitere Antwort, die ich meiner kritischen Schwester zu bedenken gebe: Wir haben Simer nicht gehaßt. Cliff hat ihm bis zur letzten Sekunde faire Mitarbeit angeboten. Er aber hat uns gehaßt. Uns, die Turceed, noch mehr als die Terraner. Und es ist kaum auszudenken, was geschehen wäre, wenn er eines Tages mit dem Großen Schiff in seiner, auch unserer, Heimat aufgetaucht und seine Geschichte berichtet hätte.« Mario de Monti, der vor zwanzig Minuten wieder in die ORION VIII zurückgekommen war, warf einen Stapel Sternkarten und Komputerblätter auf das Programmierpult. Er hatte in der kleinen Steuerkabine des Großen Schiffes den Erdkurs programmiert, und seine Prüfung hatte ergeben, daß der Kurs stimmte. »Die Richtung stimmt«, sagte er voller guter Laune. »Wieder einmal hat der Charme unserer jungen Welt gesiegt. Vielleicht werden wir in die Verlegenheit kommen, mit dem Großen Schiff den Ursprungsplaneten der Dherrani anzufliegen?« Atan Shubashi warf ein: »Jung genug sind wir alle noch dazu. Und eine derart gute Schiffsbesatzung müßte auch diesen Koloß, in dessen Bauch wir der Erde entgegenrasen, souverän steuern können.« »Auch wenn es aus der Neunhundert-Parsek-Kugel hinausgeht?« fragte Cliff mehr als skeptisch. »Auch dann!« Flow Rettir, der inzwischen seinen gebrochenen Arm in einer weißen Kunststoffröhre stecken hatte, hob sie an und deutete auf die sieben Autogramme, die von der Crew stammten. »Ja, auch dann«, sagte er siegesgewiß. »Ich werde jetzt hinüber in die HYDRA – 92 –
gehen, Simer kurz wachschütteln und mir von ihm auch noch ein Autogramm auf den Verband schreiben lassen.« Dann setzte er nachdenklich hinzu: »Ob er schreiben kann?« Helga Legrelle sagte ruhig: »Wir stecken ständig unsere Nasen in die Probleme anderer. Wir haben jetzt schätzungsweise zum zweiundzwanzigstenmal die Erde gerettet. Irgendwann könnten wir uns einmal von Terra, deren Behörden oder Institutionen, oder von unsren lieben Vorgesetzten retten oder verwöhnen lassen. Was denkt ihr darüber: wir treten an Wamsler heran und streiken!« Sigbjörnsons Baß fiel ein. Hasso sagte mit einem breiten Grinsen: »Das sollten wir tun, Helgamädchen. Haben wir eigentlich unsere Überraschungen an Bord?« Rettir kicherte hemmungslos und sagte: »Natürlich. Das wird ein Spaß.« Als das Gelächter sich gelegt hatte, ging Bordingenieur Hasso Sigbjörnson zum Zentralschirm des Raumschiffes und tippte mit dem Fingernagel auf die gekrümmte Fläche. »Hier«, sagte er. »Da ist sie.« Sie standen auf und gruppierten sich um den Zentralschirm. Das Große Schiff hatte seine rasende Zweitagefahrt durch den Raum beendet und befand sich wieder über dem Planeten. Die Vollerde war zu sehen, mit ihren spiraligen Wolkenstrukturen, mit den verschiedenen Blautönen dazwischen und mit dem Braun der Erde – von hellem Ocker bis zu Schwarzbraun. Dahinter waren die Sterne, daneben schwebte der Mond. Der schwerste Auftrag der ORION-Crew war vorbei. Als die Landekommandos der Schnellen Raumverbände in die Einflugschneise eindrangen, um die ORION-Crew an Bord zu nehmen, erschraken die Männer in den Raumanzügen. Sie sahen, wie die acht Menschen, an ihrer Spitze Kommandant Cliff Allistair McLane, aus der Schleuse des Zentrallifts herauskamen und sich im Vakuum des Alls auf die Kommandos zubewegten. Sie waren ohne Schutzanzug, ohne Helme, und die Männer der Raumkreuzer unter Leitung von Lydia van Dyke hörten in den Lautsprechern die Unterhaltung von acht Personen. Es war eine herrliche Schau – bis Lydia endlich merkte, daß Cliff, Ishmee, Skuard, Mario, Helga, Rettir, Atan und Hasso aus Plastik bestanden. »Dieser McLane«, sagte sie, noch immer im Bann des Schreckens. »Immer wieder einen Scherz auf Lager.« »Richtig«, kam die Stimme des Kommandanten aus den Lautsprechern. »Was haben Sie sich dabei gedacht, Cliff? Sie sind schuld, wenn meine Männer vor Schreck tot umfallen.« Cliff erwiderte: »Ein schlechter Scherz von Zeit zu Zeit schafft Ruhe und Gemütlichkeit. Ist von mir, können Sie behalten und zitieren.« Lydia wußte es besser. »Lügen tun Sie auch noch. Ich weiß es besser. Das ist von Graf von YaskMettard!« Cliff gab sich geschlagen.
ENDE