Design als Rhetorik
Board of International Research in Design, BIRD
Mitglieder: Klaus Thomas Edelmann Michael Erlhof...
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Design als Rhetorik
Board of International Research in Design, BIRD
Mitglieder: Klaus Thomas Edelmann Michael Erlhoff Simon Grand Wolfgang Jonas Ralf Michel Beat Schneider
Advisory Board: Gui Bonsiepe Nigel Cross Alain Findeli Kun-Pyo Lee John Maeda Shutaro Mukai Pieter Jan Stappers Susann Vihma
Gesche Joost Arne Scheuermann (Hg.)
Design als Rhetorik Grundlagen, Positionen, Fallstudien
Birkhäuser Basel . Boston . Berlin
INHALTSVERZEICHNIS
Vorwort Einleitung
Grundlagen
Positionen
Zwischenspiel
Rhetorik und Design – Versuch der wechselseitigen Erörterung BIRD
S. 9
Design als Rhetorik Gesche Joost, Arne Scheuermann
S. 11
1
aus: Die Beziehungen zwischen Musik und Rhetorik im 16.-18. Jahrhundert (1941) Hans-Heinrich Unger
S. 17
2
Visuell-Verbale Rhetorik (1965, 2007) Gui Bonsiepe
S. 27
3
aus: The Figure in Film (1983) N. Roy Clifton
S. 45
4 Declaration by Design: Rhetorik, Argument und Darstellung in der Designpraxis (1985) Richard Buchanan, Kommentar: Klaus Krippendorff 5 Beredsamkeit der Formen – Anmerkungen zu einer Rhetorik des Designs Gert Ueding
S. 49
6
Rhetorisches Gestalten: Zwischen Strategien wählen, sich dem Publikum anzupassen Charles Kostelnick
S. 89
7
Rhetorik – Design – Macht Heiner Mühlmann
S. 101
8
Rhetorik im Kommunikationsdesign Hanno Ehses
S. 107
9
Sichtbare Rhetorik im Alltag – ein Augenschein Christian Jaquet
S. 123
S. 81
Fallstudien
Bibliografie
10
Bildrhetorik der Frühen Neuzeit – Gestaltungstheorie der Antike. Paradigmen zur Vermittlung von Theorie und Praxis im Design Ulrich Heinen
S. 143
11
Architektur und rhetorische Inszenierung Angela Ndalianis
S. 191
12
Affekttechniken des Designs Arne Scheuermann
S. 205
13
Audiovisualistische Rhetorik in zeitbasierten Medien: Über die kognitive Relevanz diagrammatischer Visualisierungen Gui Bonsiepe
S. 213
14
Die rhetorische Pattern-Language des Films Gesche Joost
S. 229
15 Der Reiz des Einfachen. Zur Rhetorik und Ästhetik des Web 2.0 Olaf Kramer 16 Das Design des Rechts. Das globalisierte Immaterialgüterrecht und sein Display Fabian Steinhauer
S. 247
17
Kommentierte Bibliografie zu Design und Rhetorik Gesche Joost/Arne Scheuermann
S. 259
S. 275
Vorwort
BIRD
Rhetorik und Design Versuch der wechselseitigen Erörterung
Designforschung hat – ebenso wie Design selbst – womöglich den schier ungeheuren Vorteil, nicht schon über ein festgefügtes Gebäude von Methoden zu verfügen und keiner spezifischen Disziplin zu entsprechen; vielmehr kann Designforschung ebenso wie Design recht undiszipliniert und somit auch unkonventionell handeln und denken. Begründet ist das in der Jugend von Design und Designforschung. Entgingen doch beide als Entwicklungen des 20. Jahrhunderts jener eigenartigen Verstrickung von Aufklärung und Romantik unter dem Auspiz einer Kapitalisierung von Arbeit, Wahrnehmung und geselligem Verkehr, was in militärischer und industrieller Analogie von Disziplin zur Scheidung von Wissenschaften sowie von Denk- und Erkenntnisformen führte. So geschehen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, dann sehnsüchtig in der Erfindung des Ingenieurs noch einmal und langfristig vergebens unterbrochen und heutzutage in regelrecht skurrilen Spezialisierungen und Diskurs-Unfähigkeiten trostlos verschränkt. Weil aber Design und Designforschung dem noch gar nicht ausgesetzt waren, eben noch nicht als solche existierten, und demgemäß keinem disziplinierten und disziplinierenden Kanon unterliegen, waren und sind beide hinreißend darauf angewiesen, das zu tun, was inzwischen andere avancierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ebenfalls entdecken: Nämlich gebrauchswert-orientiert, fantasievoll und mit großer transformatorischer Kompetenz alles zu erproben, was da als Wissenschaften gebückt durch die Landschaft schreitet. Tentativ greift man hinein in die Methoden-Landschaften und kategorialen Welten; offenbar unbelastet versteht man so das scheinbar Unberechenbare und Unscharfe und werden gerade jene assoziations-kräftigen Wege von Erkenntnis und von Handlungsmöglichkeiten aufgefunden, sich nicht im disziplinierten Korsett einzuzwängen. Wie fruchtbar dieser Prozess sein kann, zeigt die hier vorliegende Arbeit. Denn sie eröffnet neue Perspektiven, Design zu begreifen und Ideologien von Wissenschaft zu entsagen (zumal «Wissenschaft» ja nicht Wissen schafft, sondern zurichtet – eben dem englischen «shape» entspricht). Denn in dieser Arbeit wird durchaus widersprüchlich, aber eben auch wegweisend die Beziehung von Design und Rhetorik im denkenden Handeln reflektiert und ausgelotet. Mehr noch: Gerade diese Negation von Disziplin schaufelt für Mitglieder tradierter Wissenschaften nahezu plötzlich Pfade frei, über ihre Tellerränder zu purzeln und unbefangen die Designforschung zu beflügeln. Was etliche der Beiträge zu diesem Buch in vorzüglicher Weise veranschaulichen. Mithin liegt nun mit diesem Buch eine Studie vor ganz im Sinn der Konzeption von BIRD, die Designforschung nachdrücklich und nachhaltig zu verlebendigen. Board of International Research in Design, BIRD
Einleitung
Gesche Joost, Arne Scheuermann
Design als Rhetorik
Einleitung Dieser Sammelband widmet sich der Rhetorik als Kompetenz zur Beschreibung und zum Verstehen von Design. Solche Versuche wurden in den letzten vierzig Jahren punktuell immer wieder einmal unternommen, ohne dass daraus eine konsistente, rhetorisch informierte Designtheorie abgeleitet worden wäre. Warum also diese Grundlegung zu diesem Zeitpunkt? In jüngerer Zeit wächst im Bewusstsein einer neuen Generation von Designforschern und -forscherinnen das Unbehagen am hermeneutischen Paradigma der meisten derzeitigen Kulturtheorien zum Design. Im Mittelpunkt dieser Modelle stehen oft normative Konzepte des Designs, philosophische Metaphern zur Phänomenologie der Bilder oder aber kunsthistorische Deutungen entlang gängiger Topoi. Kurzum: dem Design nachgeschaltete Überlegungen, die sich auf die fassbaren Artefakte oder historischen Umstände beziehen. Um den Gestaltungsprozess und seine Bedingungen in der Praxis geht es in der Regel nicht. Wir hingegen, selbst als Gestalter praktisch erfahren und deshalb ohne Berührungsängste zur Disziplin, suchen nach Modellen, die der Produktionsästhetik der gestalterischen Praxis Rechnung tragen: Modellen, die unsere gestaltete Welt nicht nur aus der Position der Rezipienten interpretieren, sondern diese Interpretation durch eine Betrachtung der Praxis bereichern und ergänzen. Unsere Suche zielt auf die Regeln und Zusammenhänge des Gestaltungsprozesses selbst, auf die impliziten Annahmen und die expliziten Wirkungen der Gestaltung. Ein möglicher systematischer Zugang zu diesen Fragen, so die These der Herausgeber, liegt in der Betrachtung und Nutzung einer über viele Jahrhunderte erprobten und angewandten Erfahrungswissenschaft: der Rhetorik. Ihre Tauglichkeit für dieses Unterfangen, ihre Stärken wie auch ihre Grenzen sollen deshalb im Folgenden vorgeführt werden. Die erweiterte Fragestellung spiegelt sich auch in der Bandbreite der Beiträge dieses Bandes wider: Während die Anbindung der Rhetorik an das Design noch in den 1960er-Jahren fast ausschließlich über die Analogie zu den rhetorischen Figuren vorgenommen wurde, entwerfen die vorliegenden Beiträge eine differenziertere Perspektive – sie reicht von der Rhetorik als Vorbild für Theorie und Praxis jedweder Kommunikation über die Affektsteuerungen der Unterhaltungsindustrie bis hin zur Befragung der eigenen Gestaltungspraxis vor dem Hintergrund rhetorischen Trainings.
11
Selbstredend haben diese Perspektiven Vorgänger, die ihre Position vorbereitet und angestoßen haben. Diese Vorläufer zur «Rhetorik des Designs» sind über Disziplinen wie Filmphilologie, Allgemeine Rhetorik oder Bildwissenschaft verteilt und leider oft nicht mehr als vereinzelte Versuche und Modelle, die ohne Bezug zueinander und ohne Wissen übereinander entstanden sind. Außerdem liegen einige essenzielle Texte der Debatte nicht in deutscher Sprache vor. Der vorliegende Sammelband möchte diese Lücke schließen. Deswegen eröffnet eine Auswahl zentraler historischer Positionen – zum Teil erstmals in deutscher Übersetzung – den Band. Daran anschließend fassen vier Akteure des Diskurses ihre Positionen zum Gesamtthema pointiert zusammen. Im dritten Teil führen sieben Fallstudien unterschiedliche Bezugspunkte zwischen Rhetorik und Design an ausgewählten Beispielen der Gestaltungspraxis vor. Eine kommentierte Bibliografie schließlich soll das Weiterlesen und -arbeiten ebenso wie die gezielte Replik und Widerrede auf die hier vorgestellten Modelle ermöglichen. Den Anfang macht ein Beitrag zur Verbindung von Rhetorik und Musik von Hans-Heinrich Unger, der in den 40er-Jahren des 20. Jahrhunderts eine umfassende Arbeit zur Figurenlehre der Musik vorlegt, darin aber auch schon Überlegungen zur Affekterregung und Überzeugungskraft vorstellt. Hier wird exemplarisch vorgeführt, wie eine medienübergreifende Rhetoriktheorie genutzt werden kann, um in differenzierter Weise musikalische Stilmittel wie den Rhythmus, die Pause oder die Wiederholung zu beschreiben – und dabei ihr affektrhetorisches und persuasives Potenzial zu fokussieren. Gleichzeitig führt Unger die Grenzen der einfachen Analogie zwischen sprachlich-rhetorischen und musikalisch-rhetorischen Figuren vor, wenn er sie in einer Liste anordnet, die die gemeinsamen und die den Disziplinen eigenen Figuren unterscheidet. Der zweite Text, die «Visuell-verbale Rhetorik» von Gui Bonsiepe (1965), ist ein früher und ganz entscheidender Beitrag zum Verhältnis von Rhetorik und Design, der an der hfg ulm entstanden ist. An dieser Stelle wurden erstmals Designprodukte nach rhetorischer Systematik analysiert und klassifiziert – in diesem Fall nach dem System der rhetorischen Stilmittel. Das klassische Repertoire der Figuren wird hier grundlegend erweitert, indem neue Figuren für Text-Bild-Zeichen in Printanzeigen benannt werden. Dieser Ansatz fand große Beachtung und beeinflusste eine Reihe von Autorinnen und Autoren, diese Herangehensweise unter dem Stichwort der «visuellen Rhetorik» weiterzuentwickeln und als analytisches Instrument anzuwenden. Der Autor selbst entwickelte daraus eine «audiovisualistische Rhetorik», die nun über das visuelle Printmedium hinaus audio-visuelle wie auch interaktive Medien thematisiert. N. Roy Clifton beschäftigt sich zwar auch mit dem System der rhetorischen Figuren, jedoch bezieht er sich ausschließlich auf das Medium Film. Es ist verwunderlich, dass diese umfassende Arbeit aus den 1980er-Jahren im filmtheoretischen Diskurs kaum rezipiert wurde – und auch keinen Eingang in die wenigen filmrhetorischen Arbeiten der Nachfolgezeit fand –, bildet sie doch aus rhetorischer Sicht ein ausgereiftes System der filmrhetorischen Figuren ab. Der hier präsentierte Ausschnitt stammt aus der Einführung von «The Figure in Film».
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Den letzten Beitrag der Quellen liefert Richard Buchanan. Er stellt in seinem berühmten Artikel in den Design Issues 1985 programmatisch eine grundlegende Verbindung zwischen Rhetorik und (Produkt-)Design her, die er aus der argumentativen Funktion von Entwurf und Produkt begründet. Dabei zieht er eine Parallele zu den drei Stilhöhen von Logos, Ethos und Pathos und entwirft eine Theorie des «Design-Arguments», die von Klaus Krippendorf in der folgenden Ausgabe hart kritisiert wird. So entspinnt sich ein Zwiegespräch zwischen Buchanan und Krippendorf, das wir zusammen mit dem Aufsatz von Buchanan in diesem Band erstmals in deutscher Übersetzung vorstellen. Die Positionen Gert Ueding beleuchtet die persuasive Seite jedweder Kunst und Gestaltung unter der Prämisse der sinnlichen Eindrücklichkeit und Wirkung. Ihre Mechanismen zwischen Funktionalität und Wohlgefallen deckt er systematisch auf wie auch deren Notwendigkeit, um im Wettstreit der besten Entwürfe als Sieger hervorzugehen. Charles Kostelnick erweitert das Feld der Untersuchung seinerseits durch die Kontextualisierung von Rhetorik und Design als Formen der Kommunikation. Sein Beitrag führt an Bildbeispielen vor, dass und wie sich Design mit dem Instrumentarium der Rhetorik analysieren und planen lässt. Heiner Mühlmann geht einen anderen Weg. Für ihn ist die Beziehung zwischen Design und Rhetorik nur der Anlass, nach einer die Gesamtkultur tiefer beeinflussenden Kraft zu forschen. Er hat diesen Zusammenhang zu seinem Modell der «Maximal Stress Cooperation» bereits in anderen Texten hergestellt – im vorliegenden Text fasst er ihn noch einmal pointiert zusammen. Hanno Ehses befasst sich seit Ende der 1980er-Jahre mit der Frage nach einer Theorie und Praxis der Bildrhetorik und bewegt sich damit auf den Spuren des Ulmer Ansatzes der visuell-verbalen Rhetorik. In seinem Beitrag zeigt er überzeugend, wie sich eine solche Bildtheorie in der praktischen Gestaltungsarbeit niederschlagen kann. Als Zwischenspiel leitet ein Bild-Essay von Christian Jaquet zu den Fallstudien über. Sein Ansatz ist der des Flaneurs: Selbst als praktischer Konzepter und Gestaltungstheoretiker jahrzehntelang erfahren, geht er visuellen Phänomenen nach, die ihm im Alltag begegnen, und er betrachtet sie durch eine an der Rhetorik geschulten Brille. Die Fallstudien Den Anfang der Fallstudien macht Ulrich Heinen mit einer detaillierten kunst- und kulturhistorischen Untersuchung der Regelästhetik. Hierin legt er dar, dass und wie die Rhetorik der frühen Neuzeit als Anweisungsästhetik neben anderen betrachtet werden muss, und was dies für die hier vorgeschlagene Anwendung auf das Design bedeutet.
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Angela Ndalianis untersucht in ihrer Fallstudie zum Thema «Architektur und rhetorische Inszenierung» die Inszenierungstechniken des Barock, die sich in der Gestaltung von Themenparks wiederfinden. Ab den 1950er-Jahren entstehen mit Disneyland oder auch den majestätischen Filmpalästen «große Welttheater» barocker Prägung, die ihrem Publikum ein faszinierendes und sinnliches Spektakel bieten. Schon Alberti und Vitruv haben auf die Anwendbarkeit rhetorischer Prinzipien in der Architektur hingewiesen, für die die barocke Stilisierung der Vergnügungszentren, wie sie Ndalianis beschreibt, ein weiteres anschauliches Beispiel liefert. Arne Scheuermann schlägt in seinem Beitrag «Affekttechniken des Designs» den Bogen von den historischen Texten und Anweisungsästhetiken der frühen Neuzeit zu den zeitgenössischen Lehrbüchern des Designs im 20. Jahrhundert. Am Beispiel der präsentativen Affekttechniken im Film und in anderen Designdisziplinen geht er Grundregeln der Gestaltung nach und entwirft hierzu den systematischen Rahmen, innerhalb dessen sich die weitere Erforschung dieser rhetorischen Techniken zur Erzeugung von Affekten bewegen könnte. Gui Bonsiepe nimmt den Faden aus seinem früheren Beitrag zur visuell-verbalen Rhetorik an dieser Stelle wieder auf und beschreibt die «Audiovisualistische Rhetorik in zeitbasierten Medien». Dabei geht es nicht nur darum, rhetorisch strukturierte Zeichensysteme in den audio-visuellen und interaktiven Medien systematisch zu analysieren, sondern dafür ebenso eine angemessene und designspezifische Form der Informationsdarstellung zu finden. Dafür schlägt Bonsiepe eine diagrammatische Visualisierung vor, die er anhand von unterschiedlichen Beispielen von Notationssystemen einführt. In den vorgestellten Analysen zeigt sich eine eigene Richtung der angewandten Designforschung, die auf einem erweiterten Theoriebegriff der Rhetorik fußt und gleichzeitig sinnvolle Erkenntnisse für die Gestaltungspraxis des Designs gewinnt. Gesche Joost beschreibt in Anlehnung an diesen Ansatz «Die rhetorische Pattern-Language des Films» und stellt dabei ein eigenes visuelles Notationssystem für audio-visuelle Medien vor. Ziel ihres Beitrags ist es, die Grenzen und Möglichkeiten einer Herangehensweise zu beschreiben, die Film auf der Basis rhetorischer Patterns analysiert und die Pattern-Struktur visualisiert. Hier werden am Beispiel von Werbefilmen rhetorische Strukturen analysiert und deren Wirkung vor einem Testpublikum evaluiert. Olaf Kramers Beitrag zum Thema «Der Reiz des Einfachen» des Web 2.0 beleuchtet die rhetorischen Wurzeln der web usability und die Bedeutung rhetorischer Kommunikationsfähigkeit in Zeiten des user generated content, in denen die Rollen von Sender und Empfänger ständig ausgetauscht werden. In dieser Fallstudie zeigt sich, dass Designerinnen und Designer auf rhetorische Gestaltungsregeln nach dem Prinzip der Angemessenheit zurückgreifen können, um im Medium Internet erfolgreich und am user orientiert kommunizieren zu können. So werden rhetorische Techniken als praxisnahe Gestaltungshilfe präsentiert.
14
Fabian Steinhauer schließlich erweitert noch einmal die Perspektive auf die Disziplin, wenn er in seinem Beitrag «Das Design des Rechts» das Design von Gesetz (gebung) en an die Praxis des Designs rückkoppelt und damit die Rhetorik als tertium comparationis beider Praktiken ins Feld führt. Die abschließende kommentierte Bibliografie kontextualisiert die wichtigsten Beiträge zum Thema durch kurze Kommentare der Herausgeber. Die Herausgeber möchten dem BIRD Herausgeberrat danken, der die Veröffentlichung dieses Bandes in der vorliegenden Reihe angestoßen hat. Die Deutsche Telekom Laboratories, ein An-Institut der Technischen Universität Berlin, und die Hochschule der Künste Bern HKB haben die Publikation dankenswerterweise finanziell unterstützt und damit in dieser Form erst ermöglicht. Annina Schneller und Fabienne Steiner unterstützten die Publikation inhaltlich und logistisch. Ferner sei Robert Steiger und Elke Renz im Birkhäuser Verlag herzlich für die konstruktive und vertrauensvolle Zusammenarbeit gedankt; Daniela Höhmann von Höhmann Kommunikationsdesign Wuppertal hat den hier versammelten Texten das passende und rhetorisch überzeugende Gesicht gegeben; Birte Förster sei für die konstruktive und liebevolle Begleitung gedankt. Wir danken dem GeorgOlms-Verlag, Associated University Presses und den Autoren im Teil «Grundlagen» für die großzügige Erteilung der Abdruckrechte. Wir haben uns um die Auffindung aller Rechteinhaber bemüht; alle Rechtsansprüche bleiben gewahrt. Zum Schluss möchten wir herzlich allen AutorInnen danken, die uns in vielen Fällen über den eigentlichen Beitrag hinaus mit Rat und Tat, Diskussionen und Ideen hilfreich zur Seite standen und wertvolle Impulse zu dieser Publikation gaben. Wir freuen uns auf die weitere Zusammenarbeit zum Thema «Design als Rhetorik». Berlin und Bern im Dezember 2007, Gesche Joost und Arne Scheuermann
15
Grundlagen
Hans-Heinrich Unger
aus: Die Beziehungen zwischen Musik und Rhetorik im 16.–18. Jahrhundert (1941)
[Anmerkung der Herausgeber: Die Wiedergabe des Textes folgt dem Reprint der Erstausgabe von 1941; um eine möglichst getreue Textwiedergabe zu erreichen, wurde auf eine Anpassung der Rechtschreibung und der Zitationsweise der Quellen verzichtet; lediglich die Tabellen sind dem Layout des vorliegenden Bandes angepasst. Die Kapitelverweise in den Fußnoten wurden ebenfalls belassen; sie beziehen sich auf Textstellen der Erstausgabe, die hier nicht mit aufgenommen sind.] II . Kapitel. [S.16–20] a) Die Verbindung zwischen Rhetorik und Musik, wie sie sich aus den Gegebenheiten beider Künste darstellt. «Die Poeterey ist eine stumme Musik, und die Musik ist eine stumme Poeterey». Dieser Ausspruch eines Dichters des 17. Jahrhunderts ist, glaube ich, mehr als eine schöne Antithese; es liegt ihm ein tiefer Sinn zugrunde. Denn hören wir ein Gedicht vortragen, so schweigt die Musik, die in ihm verborgen liegt, hören wir eine Musik, so schweigt die Poesie, die diese wiederum in sich birgt. Erst in der Verbindung beider, im Lied, in der Arie usw. ergänzen und verdeutlichen sie sich gegenseitig, dann spricht die Musik für die Poesie und die Poesie für die Musik. Wenn aber zwei Künste fähig sind, eine solche ideale Ehe einzugehen, dann muß schon jede von sich aus die nötigen Voraussetzungen dazu mitbringen, d.h. es müssen aus ihrem natürlichen Wesen heraus Übereinstimmungen bestehen, deren Zusammenwirken die Grundlage für eine derartige Verbindung darstellen. Und diese Voraussetzungen sind bei der Rhetorik und Poesie auf der einen und der Musik auf der anderen Seite durchaus gegeben. Es lassen sich Beziehungen in großer Anzahl zwischen beiden Künsten herstellen, und ich will im folgenden versuchen, die wichtigsten aufzufinden und kurz zu beleuchten. Ich werde I
Joh. Siegmund v. Birken, s. Markwardt, «Geschichte der deutschen Poetik», Berlin 1937, 1. Band, S. 127.
I
Man denke an die Aussprüche über die leichte Komponierbarkeit Goethescher Gedichte, «da die Musik in ihnen liege».
17
mich dabei absichtlich einer gewissen Kürze bedienen, weil es sich hierbei um eine Materie handelt, deren genaue Darstellung den nächsten Kapiteln vorbehalten bleiben soll; würde ich also schon jetzt auf Einzelheiten eingehen, müßte ich mich später wiederholen. Andererseits erscheint aber gerade diese zunächst etwas allgemein gehaltene Darstellung der Beziehungen zwischen Rhetorik und Musik doch wichtig, weil sie geeignet ist, die Vorurteile zu zerstreuen, die wir heute der Lehre einer musikalischen Rhetorik anfangs entgegenbringen, und im Gegenteil zu zeigen, daß es sich bei dieser Lehre nicht um blutlose Konstruktionen abseits stehender Sonderlinge handelt, sondern um Beziehungen, die sich analog den Gegebenheiten beider Künste ganz natürlich entwickeln konnten. Bemerkt sei, daß bei den folgenden Vergleichungen immer die textlose Instrumentalmusik gemeint ist, die äußerlich durch keine dichterische Vorlage beeinflusst erscheint. Worin bestehen die Gemeinsamkeiten beider Künste? Zunächst haben beide, im Gegensatz zu allen anderen mit Ausnahme des Tanzes, ihren Ablauf in der Zeit; beide bestehen durch die andauernde Veränderung ihrer Elemente (Ton und Sprachlaut), und beide werden auch vom Menschen durch das gleiche Sinnesorgan aufgenommen. Gemeinsam ist ihnen ferner das Anfangen, die logische Fortführung der Gedanken und endlich die Vorbereitung des Schlusses und dieser selbst. Wenn wir uns mit dem Anfang näher beschäftigen, so zeigt sich, daß die Verbindung beider Künste nicht nur bei dem äußerlichen Vorgang des rein zeitlichen Beginnens liegt, sondern beide fähig sind, den Anfang als solchen auch inhaltlich zu kennzeichnen, ihn dem Hörer als Exposition darzubieten, oder aber mit dem Anfang gleich in medias res zu gehen, den Hörer also nicht mehr an der Entwicklung einer Situation teilnehmen zu lassen, sondern ihn sogleich vor eine gegebene Tatsache zu stellen. Als Anfänge der letzten Art könnte der Beginn der Beethovenschen «Eroica» und für die Dichtung Goethes «Erlkönig» als Beispiel gelten; eine musikalische Exposition dagegen wäre der Anfang des Violinkonzerts von Beethoven, während Goethes Ballade «Der Fischer» als Beispiel für eine dichterische Exposition geeignet erscheint. Die Bewegung vom Anfang über die Mitte zum Schluß in der Musik kann entweder eine dauerhafte oder eine durch Episoden unterbrochene Steigerung sein, sie kann ihren Höhepunkt in der Mitte aufweisen und zum Schluß hin wieder abfallen; sie kann auch von einem am Anfang stehenden Höhepunkt allmählich absinken, sie kann mehrere Höhepunkte aufweisen, oder auch in einem grauen Einerlei dahinschleichen. Kurz, dem schöpferischen Geist sind keine Schranken gesetzt, und es wäre müßig, hier eine starre Typisierung durchzuführen. In der Dichtung herrschen die gleichen Gesetze des Aufbaues, auch hier ist das Prinzip der Steigerung, das Erreichen eines Höhepunktes, das Wiederabfallen, die Vorbereitung des Schlusses und dieser selbst der Musik durchaus analog. Genau wie für den Anfang lassen sich auch für das Schließen die verschiedenartigsten Beziehungen zwischen Rhetorik und Musik herstellen. Der Schluß kann in beiden Künsten vorbereitet oder unvorbereitet eintreten, er kann heftig oder verhallend sein, er kann auch, im letzten Augenblick umgebogen, ein dichterisches oder musikalisches Aprosdoketon darstellen. Man könnte sicher ohne allzu große Schwierigkeiten eine ganze Anzahl Dichtungen und Kompo-
I
18
z. B. ist der Schluß des dritten Satzes der V. Sinfonie von Tschaikowsky ein musikalisches Aprosdoketon.
sitionen nebeneinanderstellen, die, wollte man sie nach diesen Gesichtspunkten graphisch darstellen, rein äußerlich betrachtet die gleiche Kurve ergeben würden. Neben diesen vom jeweiligen Inhalt abhängigen Formgesetzen sind es drei Stilelemente, ohne die keine der beiden Künste bestehen könnte, die Pause, die Wiederholung und der Gegensatz. Zunächst sei die Pause betrachtet. Sie ist an sich mit dem gesprochenen und dem gesungenen Wort eng verknüpft, weil sie hier – von ihrer Bedeutung als künstlerisches Ausdrucksmittel abgesehen – schon aus rein physiologischen Gründen (Atemholen) erforderlich ist. Dieser Grund des Pausierens entfällt aber bei der textlosen Instrumentalmusik. Tritt die Pause in diese Sphäre über, so kann sie auch hier sofort ein stark rhetorisches Moment hineinbringen. So wird z. B. ein häufig mit Pausen durchsetztes instrumentales Andante oder Adagio sogleich den Eindruck des sinnvoll Gesprochenen oder Deklamierten hervorrufen, während ein pausenloses Durchmusizieren, besonders bei schnellerem Zeitmaß, auch gleich in eine andere Region verweist. Die gehobene Sprache in Rhetorik und Poesie fordert gebieterisch die Pause, und wir sind mit ihr dort so vertraut, daß sie auch die Musik unter den eben genannten Umständen für uns sofort auf dieser Ebene festlegt. Ähnlich liegen die Dinge bei der Wiederholung; auch sie ist sowohl mit der Sprache als besonders mit der Musik eng verknüpft, ob dabei an die Wiederholung längerer zusammenhängender Teile einer Dichtung oder Komposition gedacht wird oder an die Wiederholung kürzerer Glieder und Worte auf der einen, einzelner Takte oder Akkorde auf der anderen Seite. Beide Künste, Rhetorik und Musik, können ohne dieses Ausdrucksmittel nicht existieren. Ebenso verhält es sich mit dem Gegensatz. Er ist in der Musik genau so zu Hause wie in der Rhetorik und in der Dichtkunst. Alle drei Künste sind fähig, Gegensätze wie düster – freundlich, schroff – lieblich, trotzig– zärtlich usw. auszudrücken; die Musik übertrifft allerdings hier bei weitem ihre Schwesternkünste an Feinheit der Nuancierungsmöglichkeit. Als Beispiel für den Gegensatz in der Musik seien aus der Fülle des sich Darbietenden nur Bruckners Sinfonie herausgegriffen; diese leben ja fröhlich vom Gegensatz. Auch für die Dichtung sind die Beispiele so mit Händen zu greifen, daß sich ein näheres Eingehen darauf erübrigt. Eine enge Verbindung beider Künste zeigt sich ferner in ihren Ein- und Abschnitten, in der Rhetorik dargestellt durch Komma, Kolon, Punkt, in der Musik durch Halbschluß, Ganzschluß und andere harmonische Wendungen, mit anderen Worten, die Periodenbildung ist in Rhetorik und Musik gleich wichtig. Eine Rede «ohne Punkt und Komma» ist ebenso unverständlich wie eine Komposition ohne entsprechende harmonische oder melodische Ruhepunkte. Wie ein rednerischer Satz an Länge das Fassungsvermögen des Zuhörers nicht I
vgl. die Aufstellung, die Arnold Schering in seinem Buch «Beethoven und die Dichtung», 1936, S. 560, gibt. Dort sind Werke aus Musik und Dichtung aufgeführt, bei denen über die äußerliche Übereinstimmung hinaus auch eine inhaltliche nachgewiesen wurde.
I
Etwa in die des Tanzes, denn dieser kennt die Pause nicht; sie wäre auch dort nur darstellbar durch eine ruhende Stellung des Tänzers. Dieses würden wir aber nicht als Unterbrechung (Pause) des Tanzes empfinden, sondern eben nur als die Darstellung von etwas Ruhendem, in der Musik einem lang ausgehaltenen Akkord oder dem Orgelpunkt vergleichbar.
I
Auch die Pause ist zur Darstellung der rhetorischen Einschnitte geeignet. Man vergleiche die peinliche Genauigkeit, mit der Bach in seinen Rezitativen die jeweilige Interpunktion durch Achtel- oder Sechzehntel-Pausen wiedergibt.
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überschreiten darf, so muß sich auch ein melodischer Abschnitt in ähnlichen Grenzen halten; eine Melodie verliert, wie ein rednerischer Satz ihren Sinn, wenn man an ihrem Ende nicht mehr weiß, wo sie eigentlich her kam. Mit dem Periodischen hängt das Rhythmische eng zusammen; der Rhythmus ist der Sprache wie der Musik unentbehrlich. Der Lauf unserer Untersuchungen wird des öfteren zeigen, wie stark gerade der Einfluß des sprachlichen Rhythmus (Versmaß) auf die Musik gewesen ist. Eine weitere Übereinstimmung beider Künste erblicke ich auch in folgendem: es gibt in der Rhetorik ein Gesetz, das Otto Behaghel als das «Gesetz der wachsenden Glieder» bezeichnet; es betrifft die sogenannten «Erweiterungsgruppen», bei denen von zwei Satzgliedern das zweite Glied meistens das umfangreichere ist, erweitert durch Adjektive, Pronomen, Adverbien oder auch einen Nebensatz. Diese Erscheinung, die schon der antiken Rhetorik bekannt war, führt Behaghel auf psychologische Ursachen zurück. Demgegenüber stellt aber Burdach10 fest, «daß mehr und stärker als intellektuelle Momente ästhetische sich geltend machen. Denn die Wurzel des Gesetzes liegt gewiß im Musikalischen. Es handelt sich um ein musikalisch-rhythmisches Bedürfnis». Diese Ansicht ist wohl die richtigere, denn für die Musik läßt sich genau das gleiche Gesetz aufstellen. Auch hier gilt das «Gesetz der wachsenden Glieder». Um zu zeigen, wie das gemeint ist, sei nur ein Beispiel angeführt (Brahms: Rhapsodie h-moll, Op. 79, 1, Takt 30 – 33): Brahms: Rhapsodie h-moll, Op. 79, 1, Takt 30 – 33
Weitere Übereinstimmungen zwischen Rhetorik und Musik ergeben sich zwangsläufig aus der Dynamik; beide Künste kennen ein Leise und Laut, beide kennen ein allmähliches Anschwellen und Abschwellen der Lautstärke, und gerade der gute Redner wird sich diese Ausdrucksmöglichkeiten, ebenso wie der gute Musiker, nicht entgehen lassen. Beide Künste kennen aber auch die Veränderung des Zeitmaßes, kennen die Wirkungen, die sich durch einen Wechsel von Schnell und Langsam erzielen lassen. Mit der Erwähnung der Begriffe Dynamik und Tempo wurde wieder etwas beiden Künsten durchaus gemeinsames gestreift, der Vortrag. Beide bedürfen seiner; denn eine nur gelesene Rede geht ebenso an ihrem eigentlichen Zweck vorbei wie eine nur gelesene Musik.
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Die Darstellung der Beziehungen zwischen dem sprachlichen und musikalischen Rhythmus gehört in eine Vergleichung der Poesie mit der Musik; sie kann daher hier nur gelegentlich gestreift werden.
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Otto Behaghel: «Beziehungen zwischen Umfang und Reihenfolge von Satzgliedern», Indogerm. For- schung, Band 25/1909, S. 139.
I
Ein späthellenischer Demetrios (also nicht der von Phaleron) sagt in seiner Schrift: «Пερἰ ἑρμενείας» § 18: «ἐνδὲταῖς συνδέταιςπεριόδοις ιδ τελευταῖονκῶλον μακρότερον χρὴ είναι».
Burdach: «Vom Mittelaletr zur Reformation», 5. Band
10
I
Beide brauchen den Klang, um an unser Ohr, die «Vorhalle der Seele»11 zu gelangen; das aber ist nur durch den Vortrag möglich. Von seiner künstlerischen Höhe ist es hinwiederum abhängig, ob das erreicht wird, was der eigentliche Zweck der Rhetorik wie der Musik ist, und wohin sich die Verbindung beider Künste auf einer höheren Ebene noch einmal offenbart, nämlich Affekte, Gefühle und Stimmungen zu vermitteln und im Zuhörer rege zu machen, um ihn so zu «überzeugen»; und nicht unberechtigt sprechen wir darum auch heute noch von einer «überzeugenden» Musik. Als lebendiger Beweis für die vielfachen Verbindungen der Musik zu Rhetorik und Poesie können die durch die ganze Musikgeschichte zu verfolgenden Doppelbegabungen gelten. Hier zieht sich eine gerade Linie von Francesco Landino, der in Anwesenheit Petrarcas mit dem Dichterlorbeer gekrönt wurde12, über Hieronymus Parabosco13, A. Krieger, Joh. Herm. Schein14, E. T. A. Hoffmann, Rob. Schumann – um nur die bekanntesten zu nennen – bis zu Richard Wagner. Damit mag die allgemein gehaltene Vergleichung zwischen Rhetorik und Musik abgeschlossen sein. Den folgenden Kapiteln soll es vorbehalten bleiben, das hier nur Angedeutete auf breiterer Grundlage auszubauen durch Heranziehung der musiktheoretischen Lehre und entsprechender Beispiele aus der musikalischen Praxis. Es wird sich dabei zeigen, wie stark die Musik in dem zu untersuchenden Zeitraum von der Rhetorik her beeinflußt wurde, und wie dieser Einfluß bis in die feinsten Regungen des musikalischen Ausdrucks sich erstreckte.
11 I
So nennt Quintilian das Ohr: «Quia nihil intrare potest in adfectus, quod in aure quodam vestibulo statim offendit», «Instit. orator.», IX, 4, 10.
12
I
s. C. v. Winterfeld, «Johannes Gabrieli und sein Zeitalter», Bd. I, S. 23.
13
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s. ebda., S. 31.
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s. unten S. 49, Anmerkung 10 gegen Ende.
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[…] IV. Kapitel. Die musikalische Decoratio. [S.62–67]
Das Figurenwesen des 17. und 18. Jahrh. offenbart am klarsten und eindeutigsten die Zusammenhänge, die zwischen Rhetorik und Musik in jenen Jahrhunderten bestanden haben. Das Material bietet sich hier in solcher Fülle dar, daß es selbst im Rahmen eines umfangreicheren Kapitels schwer ist, den Stoff übersichtlich zu gliedern und möglichst vollständig zu behandeln. Dieser Umstand zwingt dazu, die chronologische Art der Darstellung, die bisher verfolgt wurde, aufzugeben und einer systematisch eingestellten den Vorrang einzuräumen. Wie die Rhetorik, so faßte die Musik unter dem Begriff «musikalische Figur» (Figura musica) die verschiedenartigsten Bildungen zusammen; diese Bezeichnung erhielt dadurch eine so iritierende Bedeutung, daß es nötig erscheint, vor der eigentlichen Darstellung hier etwas Klarheit hineinzubringen. Schon in dem Abschnitt über die «Inventio» mußte kurz auf das musikalische Figurwesen eingegangen werden. Ich zog dort, um den Begriff kurz zu verdeutlichen, einen Vergleich zwischen den musikalischen Figuren einerseits und den griechischen Nomoi oder den indischen Raga andererseits. Jetzt sollen aber die Theoretiker selbst zu Worte kommen. Als erster erklärt Burmeister diesen Begriff: «Figura musica est tractus musicus, tam in harmonia, quam in Melodia certa periodo, quae a Clausula initium sumit et in Clausulam desinit, circumscriptus, qui a simplici compositionis ratione discedit, et cum virtute ornatiorem habitum assumit et induit». Wie die rhetorische Figur hat also auch die musikalische die Eigenschaft, von der einfachen Ausdrucksweise abzuweichen («a simplici compositionis ratione discedit»), und hier die Komposition, wie dort die Rede, zu «schmücken»; ihr Platz ist stets zwischen zwei Klauseln. Bei der Erläuterung, die Kircher später für die musikalische Figur anführt, blickt deutlicher die Anschauung der Rhetorik hindurch, die die Figuren eng mit den Affekten in Zusammenhang bringt: «Figurae in Musurgia nostra idem sunt praestantque, quod colores, tropi atque varie modi dicendi in Rhetorica. Quemadmodum enim Rhetor artificioso troporum contextu Auditorem movet nunc ad risum modo ad planctum; subinde ad misericordiam, nonnumquam ad indignationem et iracundiam, interdum ad amorem, pietatem et iustitiam, aliquando ad constrarios hisce affectus, ita et Musica artificioso clausularum sive periodorum harmonicarum contextu».
22
I
s. o. S. 6 – 9.
I
Daß der Begriff «Figur» im 16. Jahrh. auch die Bedeutung «Notenzeichen» hatte, sei nur nebenbei erwähnt.
I
s. o. S. 36
I
«Musica poetica», Rostock 1606, Cap. VII.
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«Musurgia», Lib. V, Cap. VIII.
Diese Sätze gemahnen schon an Gottsched, der in den rhetorischen Figuren auch mehr sieht als «bloße Zierate». Die Erläuterungen endlich, die Forkel dem Begriff «musikalische Figur» gibt, basieren ganz auf dessen affektuöser Auffassung. Es läßt sich somit von Burmeister ausgehend bis Forkel eine gleichmäßige Linie in der Auffassung der musikalischen Figuren feststellen, die mehr und mehr dem poetisch-leidenschaftlichen Gehalt der Figuren betont. Da die Rhetorik ihrerseits die Figuren hauptsächlich als affektgeboren deutet, wird sich dementsprechend ein immer engerer Zusammenhang zwischen der Musik und der Rhetorik in diesem Punkte feststellen lassen müssen. Es werden jedoch auch, z. B. schon bei Burmeister, musikalische Bildungen zu den Figuren gerechnet, die, allein aus musikalischen Gesetzmäßigkeiten entstanden, keine Beziehungen zur Rhetorik haben können und deren Namen dort infolgedessen auch nicht zu finden sind, so die Fuge, der Fauxbourdon, der Transgressus (Durchgang) usw. Christoph Bernhard nennt in seinen beiden Schriften überhaupt nur rein musikalische Figuren, unter welchem Begriff er «eine gewisse Art» im Gebrauch der Dissonanzen versteht. Vogt zählt ebenfalls derartige rein musikalische Figuren auf, die er zum Unterschied von den eigenen Figuren als «Figurae simplices» bezeichnet. Wurden auf solche, obgleich rein musikalische Bildungen, wie es in einigen Fällen geschah, doch die Namen rhetorischer Figuren übertragen, so mußten diese naturgemäß in ihrer Bedeutung eine mehr oder weniger starke Veränderung erfahren; so wurde z. B. die Hyperbole in der Musik zu etwas völlig anderem, während man bei anderen Figuren einen gewissen Zusammenhang doch zu wahren suchte; so bei der Hypallage, Parembole, Parrhesia u. a. Die Gesamtheit der musikalischen Figuren läßt sich demnach in drei große Gruppen aufteilen, und zwar in:
1) 2) 3)
nur musikalische, in Musik und Rhetorik namensgleiche (wobei bei einigen auch eine Bedeutungsannäherung festzustellen ist), und in Musik und Rhetorik bedeutungsgleiche.
(S. die folgende Figurentabelle.)
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Neu herausgegeben von Müller-Blattau (Leipzig 1926): «Die Kompositionslehre Heinrich Schützens in der Fassung seines Schülers Chr. Bernhard».
«Conclave thesauri ...» (1719).
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In der folgenden Tabelle habe ich der Vollständigkeit halber in einer vierten Spalte noch die nur rhetorischen, nicht in die Musik übertragenen Figuren aufgeführt.
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Figurentabelle I
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Grundlagen
Gui Bonsiepe
Visuell-Verbale Rhetorik (1965, 2007)
[Anmerkung des Autors: Es handelt sich um die überarbeitete und gestraffte Fassung eines zuerst in der Zeitschrift der hfg ulm 14/15/16 (1965) veröffentlichten Artikels, der aus einem Semiotikseminar an der hfg ulm hervorging. Er wurde durch einige neue Beispiele in dem Buch Interface – Design neu begreifen (1996) und in der englischen Version Interface – An approach to design (1998) erweitert. Da der Text ohne Aktualisierung und tiefreichende Revision nach 43 Jahren veröffentlicht wird, kann zu Recht die Frage gestellt werden, ob sein Wiederabdruck über ein rein historisches Interesse hinausreicht. Und dies, obwohl bei dem gegenwärtig vor allem im Netz zu konstatierenden geradezu rabiaten Drang nach Neuigkeiten ein nur wenige Stunden alter Text bereits als Alteisen betrachtet wird, um den sich zu kümmern einer Zeitverschwendung gleichkäme. Dieser Text befriedigt den durchaus nachvollziehbaren, aber letztlich bornierten Aktualitätshunger keineswegs, kann aber als Anregung dazu dienen, über die nach wie vor ungeklärten Beziehungen zwischen Diskursivität und Visualität nachzudenken. Gui Bonsiepe, Villa La Angostura, Lago Nahuel Huapi, Dezember 2007]
Themen Klassische Rhetorik Persuasion Stimmungen und Gefühle Interaktion von Sprache und Bild Semiotischer Ansatz Kognitive Funktion der Rhetorik Rhetorische Figuren Literarische Rhetorik
Die Rhetorik gehört zu den kaum erforschten Gebieten des Designs, wenngleich der Designer in seiner alltäglichen Entwurfsarbeit unausweichlich mit rhetorischen Phänomenen konfrontiert wird. Herstammend aus dem klassischen Altertum, ist die Rhetorik mit der Aura des Traditionellen belastet. Auf den ersten Blick eignet sie sich
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nicht zum Studium moderner Kommunikation, die vielfach auf den visuellen oder retinalen Raum rekurriert, und die ihre Stärke aus dem Zusammenspiel von Sprache und Bild sowie Ton und Musik zieht. Verführung Die Rhetorik kann gekennzeichnet werden als eine Menge seduktiver Heuristiken, die dazu eingesetzt werden, Gefühle und Stimmungen beim Benutzer oder Adressaten der Botschaft zu beeinflussen. Humberto Maturana definiert die Gefühle auf folgende Weise: «Biologisch betrachtet sind die Gefühle körperliche Dispositionen, durch die Handlungsbereiche bestimmt oder gekennzeichnet werden... Die Gefühle sind körperliche Abläufe, durch welche die Handlungsbereiche spezifiziert werden, innerhalb derer wir uns bewegen.»
Gefühle, Stimmungen, Einstellungen
Gefühle sind Phänomene kurzer Dauer, die den Fluss normaler Handlungen unterbrechen, z. B., wenn der Wagen eines Autofahrers plötzlich auf Glatteis ins Schlittern gerät. Der Schreck verfliegt, sobald die gefährliche Situation überstanden ist. Stimmungen dagegen sind in der Regel Phänomene längerer Dauer. Sie haben mit der Einstellung gegenüber zukünftigen Handlungsmöglichkeiten zu tun. Eine Depression zum Beispiel ist eine dadurch gekennzeichnete Grundstimmung, dass die Zukunft verbaut erscheint. Spezialisten der Werbung und der Corporate Identity legen ihre rhetorischen Techniken darauf an, beim Publikum bestimmte Einstellungen – vergleichbar langwährenden Stimmungen – zu bilden, zu verfestigen oder zu zersetzen, je nach der firmenpolitischen Strategie, sich in der Öffentlichkeit darzustellen: Einstellungen als Konglomerate von letztlich sprachlich fundierten automatischen Urteilen. Visuelle Differenzierung Der Designer als Spezialist – unter anderem – für visuelle Distinktionen (Farbe, Kontraste, Formen, Texturen, Bewegung, Rhythmus) und alltagskulturelle Semantik beeinflusst die Gefühle, Stimmungen und Einstellungen der Benutzer, indem er die den verschiedenen formalen und semantischen Kategorien zugeordneten visuellen Mittel als Botschaften einsetzt. Die Praxis ist da erheblich weiter fortgeschritten als die Theorie. Die in der sprachlichen Domäne verankerten rhetorischen Analysen der Phänomene der Massenmedien, der Werbung, der Video-Clips sowie die Rhetorik des Infodesigns (Diagramme, wissenschaftliche Illustrationen, Landkarten, Zeichensysteme, Interfaces von Computerprogrammen) gehen in dem Augenblick am Kern der Sache vorbei, als sie die visuelle Komponente als nebenherlaufendes Element behandeln. Das lässt sich aus dem Fehlen eines analytisch-deskriptiven Instrumentariums erklären, das sich – verglichen mit dem Reifegrad der literarischen Rhetorik – in rudimentären Zustand befindet.
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Maturana, Humberto (1990): Emociones y lenguaje en educación y política. Santiago: La Hachette, S. 15 und 88.
Drei Bereiche der Rhetorik Die Rhetorik als Redekunst war im klassischen Altertum an drei Bereiche gebunden: den politischen Diskurs den juristischen Diskurs den sakralen/religiösen Diskurs.
Ihren Inhalt bildeten:
der Aufbau die stilistische Formulierung die Vortragsweise (Diktion) und die Gestik in öffentlichen Versammlungen, Rechtsverfahren und feierlichen Anlässen.
Politiker, Rechtsspezialisten und Vertreter der Religion gehörten vorzugsweise zu ihren Adepten, insofern, als ihnen daran gelegen war, durch den Einsatz sprachlicher und gestischer Mittel das Publikum zu bestimmten Stimmungen und Entscheidungen zu bewegen. Dazu waren alle Mittel recht. «Die Rhetorik ist der ausgezeichnete Ort des Herumbalgens, der Beleidigung und Brüskierung, des Zanks und des Streits, der Arglist und der Lüge, und zwar der kaschierten Arglist und der geplanten Lüge.» Die Rhetorik ist die Domäne der Logomachie, des Wortkampfes. Sie gliedert sich in zwei Bereiche:
Zum einen beinhaltet sie den Gebrauch persuasiver Mittel (rhetorica utens).
Zum anderen hat sie die Beschreibung und Analyse der persuasiven Mittel zum Gegenstand (rhetorica docens). Zweck der Rhetorik
Definiert wird die Rhetorik allgemein als die Kunst der Überredung oder als das Studium der Überredungsmittel, die für eine gegebene Situation zur Verfügung stehen. Der Zweck der Rhetorik besteht in der effizienten Verwendung sprachlicher Mittel, um bei anderen Menschen Einstellungen zu bilden und ihre Handlungen zu beeinflussen. Wo Zwang herrscht, bedarf es keiner Rhetorik, mehr noch, wo Zwang herrscht, ist Rhetorik nicht möglich. Denn Persuasion setzt Wahlmöglichkeit voraus. «Die Rhetorik ist auf einen Menschen gerichtet, insofern er frei ist … wo Menschen etwas tun müssen, ist die Rhetorik überflüssig.»
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Burke, Kenneth. (1955): A Rhetoric of Motives. New York, S. 19.
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Burke, S. 50.
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Semiotik
Die Katalogisierung der verbalen rhetorischen Verfahren hat einen hohen Reifegrad erreicht. Die Handbücher der Rhetorik bieten eine Fülle subtiler Gliederungen, doch eine am Altgriechischen und Lateinischen orientierte Terminologie erschwert den Umgang mit diesen begrifflichen Distinktionen. Es wäre zu fragen, ob die Rhetorik nicht erneuert werden könnte unter Einbezug der Beiträge der modernen Semiotik. Diese Beiträge ermöglichen es, Phänomene der heutigen Kommunikation zu erfassen, in denen Sprache und Bild gekoppelt sind, also Phänomene, mit denen sich die klassische Rhetorik nicht auseinandersetzen konnte, weil die entsprechende Technologie fehlte. Informationsangst und kognitive Funktion der Rhetorik Industriegesellschaften erzeugen und verteilen eine derartige Masse von verbalen und visuellen Botschaften, dass als Reaktion darauf Informationsangst – ein von Richard S. Wurman geprägter Ausdruck – eingetreten ist. Eine Situation niedriger Informationsdichte ist von einer Situation hoher Informationsdichte abgelöst worden. Angesichts dieser Situation könnte man der Rhetorik eine neue Funktion zuschreiben, und zwar eine kognitive Funktion, insofern rhetorische Mittel dazu eingesetzt werden, Zusammenhänge verstehbar zu machen und kognitive Entropie abzubauen. Fünf Unterscheidungen Die klassische Rhetorik ist in fünf Hauptbereiche geteilt: 1 Heuristiken für das Sammeln von Materialien, besonders für das Aufspüren von Argumenten 2 Heuristiken über die Anordnung des gesammelten Materials 3 Vorschriften und Empfehlungen hinsichtlich der stilistischen Formulierung des strukturierten Materials 4 Heuristiken zum Auswendiglernen des Textes 5 Empfehlungen hinsichtlich der Aussprache und Gestik. Für eine Analyse von Werbebotschaften dienen vor allem die unter Punkt 3 erwähnten Techniken, worunter die Stileigenschaften von Texten fallen. Diese Stileigenschaften äußern sich vornehmlich in Form von rhetorischen Figuren. Sie werden definiert als «… die Kunst, etwas in neuer Form zu sagen» und als «… die Veränderung der Worte hinsichtlich ihrer Bedeutung oder ihrer Anwendung, um der Rede größere Gefälligkeit, Lebendigkeit und Eindringlichkeit zu verleihen».
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Marcus Fabius Quintilianus: Institutio oratoria (Ausbildung des Redners). Zitiert nach Lausberg, K. (1949): Elemente der literarischen Rhetorik. München: Max Huber Verlag.
Lausberg, K. (1949): Elemente der literarischen Rhetorik. München: Max Huber Verlag, S. 12ff.
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Rhetorische Figuren Bestimmendes Merkmal einer rhetorischen Figur ist – nach herkömmlichem Verständnis – die Abweichung vom normalen Sprachgebrauch, um die kommunikative Effektivität zu erhöhen. Die Figuren teilen sich in zwei Klassen:
Wortfiguren, die sich auf die Wortbedeutung oder auf die Stellung der Wörter im Satz beziehen; Gedankenfiguren, die sich auf die Formung und Gliederung der Informationen beziehen.
Die semiotische Terminologie ermöglicht es, die Figuren eindeutiger zu klassifizieren. Ausgehend von dem Sachverhalt, dass man an einem Zeichen zwei Aspekte unterscheiden kann, nämlich die Zeichengestalt und die Zeichenbedeutung, gelangt man zu zwei Typen rhetorischer Figuren. Eine rhetorische Figur kann auf einer Operation mit der Zeichengestalt (syntaktische Figur), oder auf einer Operation mit der Zeichenbedeutung (semantische Figur) basieren. Diese in der Sprache angelegte Möglichkeit hat seit je die Rhetorik in einem Zwielicht erscheinen lassen. In der Sprachphilosophie werden Persuasion gegen Information, Überreden/Beeinflussen gegen Informieren/Belehren, Alltagssprache gegen Wissenschaftssprache ausgespielt. Die Vertreter einer gereinigten Wissenschaftssprache sehen in der Rhetorik nicht mehr als ein Handbuch verbaler Tricks. Die Flexibilität der Sprache, die sich zum Beispiel in der Metapher äußert, erscheint ihnen als ein Defekt, als ein minderrangiges, wenn nicht geradezu kriminöses Attribut. Sie brandmarken die Rhetorik als eine Quelle von Missverständnissen, Schludrigkeiten und Verfälschungen. Rhetorik wäre dieser Auffassung zufolge bloß eine dekorative Zutat, eine Verbrämung der Information. Demgegenüber argumentieren die Verfechter der Rhetorik, dass die systematische Vieldeutigkeit der sprachlichen Zeichen ein unvermeidliches Ergebnis der sprachlichen Dynamik und ein nicht zu missendes Mittel der menschlichen Kommunikation ist. Aus dem 18. Jahrhundert datiert das Theorem, dass rhetorische Figuren bloßer Zierrat oder addierte Verschönerung sind, und dass die einfache, dehydrierte Information allein zählt und etwas sei, das der Empfänger der Informationen ohne den Gebrauch verfälschender rhetorischer Figuren aufnehmen könnte. Dieses Theorem setzt voraus, dass menschliche Kommunikation ohne Rhetorik möglich ist – was zu beweisen ist. Rhetorikfreie, gleichsam aseptische Kommunikation mündet im Abbruch von Kommunikation, in der Nichtkommunikation. Für den Grafikdesigner ist die pure Information ohnehin eine Abstraktion. In dem Augenblick, da er die Information gestaltet, also sinnlich erfahrbar macht, beginnt bereits der Prozess der rhetorischen Infiltration.
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Richards, Ivor Armstrong (1950): The Philosophy of Rhetoric. New York, S. 40.
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Der sprachliche Hintergrund Für das Grafikdesign kann es nützlich sein, eine Brücke zwischen verbaler Rhetorik und visueller Rhetorik zu schlagen; denn bei der Gestaltung der Informationen – ein undefinierter, durchaus problematischer Grundbegriff – treten die verbalen und visuellen Komponenten in Wechselwirkung. Es kann die Hypothese formuliert werden, dass es keine visuelle Kommunikation ohne sprachliches Substrat gibt. Visuelle Kommunikation ist eingebettet in Sprache und geschieht immer vor einem sprachlichen Hintergrund – sei er explizit oder implizit. Seinerseits enthüllt das Grafikdesign, zumal die Typografie, die Sprache im retinalen Raum als Text. Anmerkung zum Katalog visuell/verbaler Figuren Nachfolgend wird eine Reihe visuell/verbaler rhetorischer Figuren aufgelistet, die ursprünglich in einem 1964 an der ehemaligen hfg ulm veranstalteten Seminar definiert worden sind. Diese Arbeit gründete sich ihrerseits auf die semiotischen Beiträge von Tomás Maldonado, die sich an Peirce und Morris orientierten. Unter dem Einfluss der französischen Semiotik, für die alle Beiträge von Peirce und Morris nicht zu existieren scheinen, hat sich die Semiotik versprachlicht und damit einen guten Teil ihres analytischen Potenzials eingebüßt. Diesbezüglich schreibt Maldonado: «Gelegentlich vermitteln bestimmte Geschichten der Semiotik strukturalistischen Zuschnitts den Eindruck, daß es in dem Raum, der Peirce von Barthes und Greimas trennt, nur de Saussure und Hjemslev gegeben hätte. Man läßt damit auf die Beiträge des Neopositivismus für die Semiotik einen Schatten fallen.» Dieser wohl erste Versuch, die begrifflichen Distinktionen der verbalen Rhetorik systematisch auf den Bereich der visuellen Kommunikation anzuwenden und zudem eigens neue Distinktionen zu schaffen, blieb ein isoliertes Unternehmen. Nach wie vor kann ein rhetorischer Ansatz zu einem tieferen Verständnis der Phänomene beitragen, mit denen ein Grafikdesigner sich in seiner täglichen Entwurfsarbeit auseinandersetzt.
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Maldonado, Tomás (1992): Reale e virtuale. Mailand: Feltrinelli, S. 63ff.
Liste der visuell/ verbalen Figuren
Liste der visuell/verbalen Figuren Analogie
Ein verbaler Vergleich wird mit semantisch äquivalenten Zeichen auf den visuellen Bereich übertragen.
Metonymie
Ein verbal angezeigter Inhalt (Bedeutung) wird mit einem in einer direkten Beziehung stehenden Inhalt veranschaulicht, z. B. Ursache statt Wirkung, Instrument anstatt Resultat, Erzeuger statt Erzeugnis.
Synekdoche
Ein Teil zeigt das Ganze an.
Spezifizierung
Ein visuelles Zeichen wird von einem Minimum an Text begleitet, um es verständlich zu machen und semantisch einzuengen. Oftmals wird der Name der Firma des Produkts benutzt.
Verschmelzung (Fusion)
Ein visuelles Zeichen wird auf Grund seiner formalen Eigenschaften in ein Superzeichen eingebunden. Die syntaktische Verknüpfung suggeriert eine semantische Verknüpfung.
Parallelismus
Visuelle und verbale Zeichen beziehen sich auf denselben Gegenstand.
Assoziative Übertragung oder Vermittlung
Aus einer Reihe verbaler Zeichen wird eines herausgegriffen, um die mit ihm verbundenen Vorstellungen (assoziativer Kontext) zu illustrieren.
Metaphorische Umkehrung
Die Spannung zwischen primärer und sekundärer Bedeutung wird so ausgenutzt, dass die visuellen Zeichen die ursprüngliche Bedeutung veranschaulichen, sie gleichsam wörtlich nehmen.
Typogramm (oder illustrative Typografie)
Die Bedeutung einer typografischen Zeichensequenz wird durch die Zeichen selbst illustriert. Der Text wird mit den typografischen Zeichen gleichsam kurzgeschlossen.
Untertreibung
Eine verbal vermittelte Untertreibung wird visuell veranschaulicht.
Übertreibung
Eine Bedeutung wird mittels Zeichen visualisiert, deren Gehalt über das als üblich angesehene Maß hinausgeht.
Visuell-verbale NegatioN
Die Bedeutung einer Wortsequenz wird mit einem visuellen Gegenteil illustriert.
Visuell-verbaler Vergleich
Über sprachliche Vermittlung werden zwei Gehalte (Bedeutungen) visuell miteinander verglichen.
Exemplifizierung
Eine verbal angezeigte Bedeutung wird visuell veranschaulicht.
Visuelle Aufzählung
Durch Reihung von semantisch miteinander verknüpften Bildelementen wird das visuelle Äquivalent einer sprachlichen Liste geschaffen. 33
[Anmerkung der Herausgeber zu den Abbildungen in diesem Beitrag: Die Abbildungen entstammen der Erstveröffentlichung: Gui Bonsiepe: Visuell/verbale Rhetorik, Visual/verbal Rhetoric. In: hfg ulm 14/15/16 (1965), S.23-40. Die Qualität der Bilder ist dieser Vorlage geschuldet. Leider war es nicht möglich, die Vorlagen dieser Werbeanzeigen aus den 1960erJahren im Original zu beschaffen, um die Bildqualität besser reproduzieren zu können.] Abbildung 1 We sell sharp ideas. Analogie. Den «scharfen» Ideen entspricht der gespitzte Bleistift. Der Durchschnitt der Anzeigen wird durch ungespitzte Bleistifte visualisiert. Darüber hinaus ist hier noch eine weitere rhetorische Figur eingebettet, eine Metonymie: die Ideen sind veranschaulicht durch ein Mittel, mit dem sie auf Papier festgehalten werden. Abbildung 2 Announcing the Birth of a New Publication – Environmental Quality Magazine. Analogie und Metapher. Das Erscheinen einer neuen Zeitschrift wird in Analogie gesetzt zu einem Küken, das aus der Eierschale geschlüpft ist. Abbildung 3 After 500 plays our high fidelity tape still delivers high fidelity. Analogie und Übertreibung. Die Qualität der Tonbandkassette wird in Analogie gesetzt zu einem aus dem Lautsprecher kommenden Luftstrom, der so stark ist, dass der Hörer sich am Sessel festklammern muss. Abbildung 4 Guaranteed to make you laugh. Metonymie. Das Ergebnis des Kitzelns – Lachen – wird durch das Objekt visualisiert, mit dem das Kitzeln hervorgerufen wird. Abbildung 5 Are just two shades of opinion enough? Rhetorische Frage und metaphorische Umkehrung (direkte Visualisierung oder «wörtlich» nehmen der Metapher [shades of opinion]). Abbildung 6 Is just the top of the news enough? Metaphorische Umkehrung und rhetorische Frage. Die primäre Bedeutung der Wortsequenz top of the news (Schlagzeile) wird visuell mit deren Primärbedeutung verkoppelt (Oberteile der Buchstaben) Abbildung 7 Are just two sides of the question enough? Synekdoche, metaphorische Umkehrung und rhetorische Frage. Die Frage wird durch die Fragezeichen visualisiert. Die Primärbedeutung der «zwei Seiten der Frage» wird durch die spiegelsymmetrisch angeordneten Fragezeichen direkt umgesetzt.
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Abbildung 1 Sharp ideas
Abbildung 2 Environment Magazine
Abbildung 3 Maxell Tapes
Abbildung 4 CBS Laugh
Abbildung 5 CBS Two shades
Abbildung 6 CBS Top of the News
Abbildung 7 CBS Question
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Abbildung 8 Für Mitmach-Urlauber zählt nicht, was auf dem Kopf, sondern was im Kopf ist. Aufzählung, verbunden mit einer Metonymie. Die Kopfbedeckungen stehen für die Verschiedenheit der Urlaubsideen (Kopfinhalt). Die visuelle Reihung semantisch zu einer Gruppe gehöriger Objekte (Kopfbedeckungen) veranschaulicht die verschiedenen Ferienarten. Abbildung 9 Be precise! Metonymie. Der verbal angezeigte Imperativ, genau zu sein, wird durch ein Präzisionsinstrument visualisiert. Abbildung 10 Have you ever wished you were better informed? Synekdoche, verbunden mit einem Vergleich und einer rhetorischen Frage. Das Fernseh- oder Radiokabel repräsentiert den Informationskanal. Der verbal begonnene Vergleich «besser informiert sein als…» wird visuell geschlossen (Vergleich mit einem Medium, in dem Stecker und Steckdose nicht zueinander passen, das also nicht funktioniert). Abbildung 11 How many reasons do you need to cut out blades? Metonymie, Übertreibung und rhetorische Frage. Schnittwunden werden verbal angezeigt durch das Wort «Klinge» (blades), deren Verzicht das Wort cut suggeriert. Abbildung 12 Contemporary Dutch Masterpiece. Visuell-verbaler Vergleich, verbunden mit einem «Zitat». Das historische Meisterwerk von Vermeer wird verglichen mit einem zeitgenössischen Meisterwerk holländischer Produktion – Gouda Käse. Abbildung 13 For quality colour prints you need the right attitude. Vergleich mit metaphorischer Umkehrung. Die Primärbedeutung des Ausdrucks «Haltung» wird mittels einer Übertreibung visualisiert.
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Abbildung 8 Mitmach Urlauber Abbildung 9 Be precise Esso
Abbildung 10 Better informed Times
Abbildung 11 Norelco shaver
Abbildung 12 Gouda Dutch masterpiece
Abbildung 13 KODAK Right attitude
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Abbildung 14 Where there‘s smoke… Synekdoche. Der Schornstein steht für die Industrie. Darüber hinaus ist hier noch eine andere rhetorische Figur genutzt, und zwar die Verschmelzung: die Zeitschrift, zur Form des Schornsteins gerollt. Abbildung 15 Der Gipfel der Genüsse. Fusion und metaphorische Umkehrung. Die Primärbedeutung des verbal-metaphorischen Ausdrucks «Gipfel» wird durch den Schokoladenriegel illustriert, in dem Verpackungsfolie (= Schnee) mit der Berggipfelform verschmilzt. Abbildung 16 Temptation beyond endurance. Übertreibung und Metonymie. Die Unwiderstehlichkeit der von den Erdnüssen ausgehenden Versuchung wird durch die gebrochene Ladenscheibe visualisiert. Abbildung 17 Viele trinken König-Pilsener. Oder etwas genauso Gutes. Visuell-verbaler Vergleich und Metonymie. Die Qualität des Getränks wird metonymisch (Kapsel der Bierflasche) visualisiert durch den Vergleich mit einem Sektkorken. Abbildung 18 You never run out of air. Parallelismus. Die nie ausgehende Luft wird durch eine homogene, hellgraue Fläche visualisiert. Abbildung 19 voll? – leer? Typogramm und Metonymie. Die typografischen Zeichen illustrieren die Wortbedeutung, in diesem Fall den Übergang von einem vollen Zustand zu einem leeren Zustand von Tankbehältern. Das nicht gezeigte Messgerät wird durch den Messzustand metonymisch veranschaulicht.
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Abbildung 14 Smoke Time
Abbildung 15 Toblerone – Gipfel der Genüsse
Abbildung 16 Planters temptation
Abbildung 17 Bier König-Pilsener
Abbildung 18 VW – Never run out of air
Abbildung 19 leer-voll
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Abbildung 20 Geizkragen. Metaphorische Umkehrung. Die Anzeige handelt von Informatisierung und Lochkarten, deren Form zu einem Kragen transformiert wird, der die Metapher direkt visuell umsetzt und somit veranschaulicht. Abbildung 21 The point of a Screwdriver is Smirnoff. Metaphorische Umkehrung. Die Sekundärbedeutung des Wortes «Schraubenzieher» als Name für einen Cocktail wird durch die Abbildung eines Schraubenziehers, also die primäre Bedeutung, veranschaulicht. Abbildung 22 Our soap has nothing to hide. Exemplifizierung. Die verbal angezeigte Durchsichtigkeit der Seife wird visuell dargestellt. Abbildung 23 Elizabeth Stewart Swimwear. Spezifizierung. Die Strandszene mit zwei Personen wird aus der semantischen Offenheit auf den Produzenten eingeengt. Abbildung 24 It‘s got to be Gordon. Assoziative Verknüpfung zwischen dem Grün der Flasche, dem Grün der Verkehrsampel mit dem Signal «Gehen» und der Anfangssilbe des Gins Gordon. Abbildung 25 Alle Gabelstaplerfahrer sind 1,72 m groß und haben 96 cm lange Arme.Visuell-verbale Verneinung. Die Behauptung, dass anthropometrische Standardwerte existieren, wird durch die Illustration verneint.
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Abbildung 20 Geizkragen
Abbildung 21 Srewdriver Smirnoff
Abbildung 22 Neutrogena soap
Abbildung 23 Swimwear
Abbildung 24 Gordon Gin
Abbildung 25 Gabelstapler
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Abbildung 26 It also sticks handles to teapots.Übertreibung und Spezifizierung. Das «Es» wird als Klebstoff spezifiziert, dessen Stärke visuell durch ein an eine Plakatwand geklebtes Auto veranschaulicht wird. Abbildung 27 Baumann-Leichtmetall-Rolladen, robust und dauerhaft. Verschmelzung. Die Abbildung des Rolladens ist einer Ritterrüstung eingefügt, die als Veranschaulichung des verbal behaupteten Sachverhalts steht. Abbildung 28 Das ist alles, was wir zu verkaufen haben. Untertreibung und Spezifizierung. Die als Konzession formulierte Behauptung wird visuell exemplifiziert. Abbildung 29 Das haben wir Deutschen gemeinsam: wir arbeiten hart und trinken weich – Chantré. Spezifikation, Synekdoche und visueller Vergleich. Das Gemeinsame wird durch das alkoholische Getränk spezifiziert. Der klassenübergreifende Charakter des Getränks wird durch die Hände (und Manschette und Handhaltung) eines Arbeiters und eines Managers veranschaulicht. Abbildung 30 Is this how YOU want to be treated by your first bank? Rhetorische Frage, Vergleich und Übertreibung. Abbildung 31 We just put Jaffa for short. Parallelismus und Verschmelzung. Wort und Bild beziehen sich auf denselben Inhalt. Die typografischen Zeichen sind mit der Oberfläche der Frucht verschmolzen. Abbildung 32 It‘s the most exciting fashion change in liquor industry. Der Modewechsel, in den das Produkt einbezogen ist, wird durch die primären Attribute der Mode – Mannequin, Stoffrollen – illustriert. Offene Fragen Da die rhetorischen Figuren dank der semantischen Elastizität in der Alltagssprache leben, können sie nur bedingt in andere Sprachen übersetzt werden. Was im Englischen eine rhetorische Figur sein kann, muss es nicht im Deutschen sein (und umgekehrt). Zudem wäre der hier grob skizzierte Bereich der statischen visuell/verbalen Rhetorik zu ergänzen durch die dynamische Rhetorik im Bereich der Computergrafik (Animation, Bildsequenzen und ihre Übergänge). Hier bietet sich ein weites Forschungsfeld für Designstudien, mit deren Hilfe Designer nicht nur besser machen können, was sie machen, sondern darüber hinaus verstehen können, was sie tun. Damit käme man einem Ziel nahe, das Donald Schön den reflective practitioner genannt hat.
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Schön, Donald Alan (1983). The Reflective Practitioner New York: Basic Books.
Abbildung 27 Rolladen Baumann
Abbildung 26 Araldit also sticks handles to teapots.
Abbildung 29 Chantre Abbildung 28 Rauch
Abbildung 30 Barkley Bank
Abbildung 31 Jaffa
Abbildung 32 Fashion change
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Grundlagen
N. Roy Clifton
aus: The Figure in Film (1983)
1 Einführung 1 Die Herangehensweise [S. 17f] Ein Tropus wird gemeinhin als ein sprachliches Ausdrucksmittel verstanden, das die übliche Bedeutung der verwendeten Wörter – sozusagen ihre Innerlichkeit – verändert, während in einer Figur die Zusammenstellung der Worte, also ihr äußeres Arrangement, umgewandelt wird. Autoren sind unterschiedlicher Meinung, was die Bedeutung dieser beiden Begriffe angeht. Einige bezweifeln, ob diese Unterscheidung überhaupt angebracht ist oder Sinn macht, denn es wird wohl kaum eine Veränderung in der Wortstellung geben, die überhaupt keine Auswirkung auf die Bedeutung hat. Besonders in dem Begriff rhetorische Figuren bezieht sich das Wort Figur sowohl auf die Tropen als auch auf die Figuren. Dies ist nicht nur praktisch, sondern es vermeidet auch eine Unterscheidung, die im Film von nur geringem Wert ist. In vielen Figuren wird die Art und Weise kopiert und verfeinert, in der Männer und Frauen zu sprechen tendieren, wenn sie in der Gewalt von starken Gefühlen sind: mit Übertreibungen, unvollendeten Sätzen, bildhaften Vergleichen und Wiederholungen. Man nimmt einem Schauspieler oder Redner die vorgetragenen Gefühle ab, wenn deren Nachahmung sowohl angemessen als auch ansprechend in sich selbst ist. Gilt dies auch für den Film? Ich überlasse es den Lesern und Leserinnen, diese Frage aufgrund ihrer eigenen Erfahrung zu beantworten. Dieses Buch, das aus einem Artikel hervorging, den ich vor über dreißig Jahren geschrieben habe, geht der Frage nach, ob es Figuren im Film gibt
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Lanham, Richard A. (1969): Handlist of Rhetorical Terms. Berkeley/Los Angeles: University of California Press, S. 101f.; Macbeth, J. W. V. (1876): The Might and Mirth of Literature: A Treatise on Figurative Language. London: Sampson, Low, Marston, and Searle, S. 157.
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Der Begriff wird dementsprechend benutzt von Lanham, S. 101f.; Macbeth, S. 157 und anderswo. Taylor, Warren (1937): Tudor Figures of Rhetoric. Chicago: University of Chicago Libraries enthält sowohl Tropen als auch Figuren. Vickers betont, dass man, obwohl er bisher alle rhetorischen Mittel als Figuren bezeichnet habe, genau genommen zwei Arten rhetorischer Mittel unterscheiden müsse, nämlich die Tropen und die Figuren, siehe Vickers, Brian (1970): Classical Rhetoric in English Poetry. London: Macmillan, S. 85
Vickers, S. 93–114.
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und wenn ja, was für welche. Wir werden mit bekannten Figuren beginnen und dort, wo wir analoge Formen in Film und Literatur finden, werden wir der Einfachheit halber dieselben Namen verwenden. Andererseits, wenn wir uns einer solchen Untersuchung mit einer Reihe von Begriffen und den damit verbundenen Theorien annähern, dann riskieren wir, dass wir den Film zur Bestätigung bereits bestehender Ideen nutzen, anstatt den Film die Ideen formen zu lassen. Ich habe mich bemüht, nur eine minimale Zahl an technischen Begriffen zu verwenden und nur solche, die am wenigsten theoriebesetzt sind, um diesen Text von Fachjargon frei zu halten, der leider viel zu oft im Stil von Kritikern vorkommt. An den Stellen jedoch, wo ein bestimmter Fachbegriff zur Klarheit beiträgt, werde ich ihn, wenn auch widerwillig, benutzen und erklären, was ich darunter verstehe. Ich schreibe über das, was ich auf der Leinwand sehe und nicht über die technischen Mittel, die dies zustandebringen. Wenn ich mich mit einer Person oder einem Ding befasse, dann ist es mir egal, ob die Kamera, die das Bild geschossen hat, auf einem Wagen, einem Kran, auf Schienen oder auf der Schulter bewegt wurde. Für meine Absichten ist es beispielsweise völlig unwichtig, dass die Aufnahme des Meeres aus Sicht des abstürzenden Flugzeugs in Foreign Correspondent (Alfred Hitchcock; Special Effects William Cameron Menzies) von der Nase eines Flugzeugs aus gemacht wurde und auf eine Papierleinwand im Studio projiziert wurde, und dass im vermeintlichen Moment des Aufschlags auf die Wasseroberfläche eine Tankfüllung Wasser durch die Leinwand und auf die fliehenden Piloten stürzte, die sich in einem Modell-Cockpit im Studio befanden. Für mich als Zuschauer ist es einfach eine Aufnahme der sich nähernden Wasseroberfläche. Ich habe im Titel dieses Buches einen sehr eng gesteckten Bereich der Filmkunst umschrieben. Ich konnte jedoch in meiner Freizeit nur einen geringen Teil der Tausende von Filmen sehen, die bisher gemacht wurden. Von der wesentlich geringeren Zahl an Filmen, die auf mehr als nur gewöhnlicher Vorstellungskraft beruhen, habe ich einen größeren Anteil gesehen, doch basiert dieses Buch bestenfalls auf einer Auswahl. Da diese Auswahl über einen Zeitraum von fünfzig Jahren des Filmeschauens entstand und Filme aus einer Reihe unterschiedlicher Länder beinhaltet, hoffe ich jedoch, dass ich alle wichtigen Figuren im Film und deren Hauptanwendungsmöglichkeiten zumindest angesprochen habe. 2 Kreative Erinnerung […]
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ETC. A Review of General Semantics, 3, No. 2 (Winter 1946), S. 91–105. «If the critic becomes too far removed from the reader of literature… he will tend to develop a technical jargon of his own and to regard himself as a necessary mediator between the creative writer and the ordinary reader. Indeed, in so far as he will be intelligible only to fellow experts, he will not even be a mediator between writer and public, but a barrier indicating the impossibility of non-professional appreciation of good literature.» Daiches, David: Critical Approaches to Literature, S. 287, zitiert nach McTaggart, Andrew, in Screen, 10, No. 6 (1969), S. 69.
3 Intention [S. 18f] Für gewöhnlich können die Zuschauer davon ausgehen, dass das, was sie in einem Film sehen, vom Regisseur beabsichtigt ist. Alles andere wäre Geringschätzung, auch wenn die Zuschauer ihre Zweifel haben mögen. Vanderhof schleudert einen Pfeil durchs Bild. In der nächsten Einstellung, genau dort, wo der Pfeil gelandet wäre, befindet sich eine Zigarre von ungefähr gleicher Größe im Mund von A. P. Kirby. Es wirkte, als ob Vanderhof Kirby mit dem Pfeil den Mund gestopft hätte, und angesichts dessen, was er von Kirby und seinen Ansichten hielt, konnte man dies als intelligenten Übergang ansehen, der Vanderhofs Ärger andeuten sollte. Den Film insgesamt, was sowohl die Kameraführung als auch die schauspielerische Leistung angeht, kann man lediglich als banal und gestelzt bezeichnen (bis hin zu den abgedroschensten Charakter-Stereotypen), und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass diese einzige Eingebung wahrer Filmkunst eher ein Zufall war. Grundsätzlich jedoch müssen wir dies als ein Beispiel der Substitution ansehen, einer Form der Anadiplose, und wir finden sie hier: You Can’t Take It With You, Frank Capra. 4 Theatralisch und Filmisch [S. 19] Was bedeutet filmisch im Gegensatz zu theatralisch? Christian Metz schlägt fünf «Kreise der Spezifität» vor, in deren erstem sich Eigenschaften befinden, die in den meisten Kunstformen anzutreffen sind und in deren fünftem sich die Charakteristiken befinden, die mehr oder weniger ausschließlich im Film anzutreffen sind. Ich habe diese Kreise hier adaptiert, um das Theater vom Film zu unterscheiden: Eigenschaften, die sowohl im Theater als auch im Film vorkommen
i. Es bedarf eines Bildes, das gestaltet werden muss. Dies gilt auch für das Theater, die Malerei, Skulptur, Fotografie, Comicstrips und das Fernsehen. ii. Die Bilder bewegen sich und sind von Geräuschen begleitet, die zu dem passen, was gezeigt wird. Dies gilt auch fürs Theater und Fernsehen. Eigenschaften, die filmspezifisch sind iii. Die Bilder sind mechanische Reproduktionen. Dies gilt auch für das Fernsehen und die Fotografie. Es ermöglicht den Einsatz von Effekten wie zum Beispiel Blickwinkel, Überblendung, Negativbild, Fokus, Dissoziation von Geräusch und Geräuschquelle, mehrere Bilder in einer Einstellung, Kamerabewegung und so weiter. iv. Die mechanisch produzierten Bilder können in beliebiger Reihenfolge bearbeitet werden. Dies gilt auch für das Fernsehen. Hierdurch wird Montage möglich. I
Frye schreibt, dass man ein Kunstwerk nur auf der Basis der Annahme untersuchen kann, dass es in seiner vorliegenden Form die endgültige Intention des Autors oder der Autorin darstellt;siehe Frye, Northrop (1957): Anatomy of Criticism. Princeton: Princeton University Press, S. 87.
Metz, Christian (1974): Language and Cinema. The Hague: Mouton, S. 225–232.
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Aufgrund dieser Aufstellung können wir feststellen, dass das Theater Mittel benutzt wie die Bewegung und Gruppierung von Personen sowie Dialog und natürliche Geräusche; im Film werden diese Mittel ebenso eingesetzt, und darüber hinaus kann der Zuschauer oder die Zuschauerin die verschiedensten Blickpunkte einnehmen (indem die Kamera wechselt), das Bild kann verzerrt werden, es lassen sich Geräusche hinzufügen, die nicht unmittelbar zum Bild gehören, und jedes einzelne Bild kann in eine beliebige Reihenfolge mit anderen Bildern gesetzt werden. 5 Überschneidung [S. 19] Eine Figur kann nicht unabhängig von anderen Figuren betrachtet werden. Die Antithese wird nicht nur im gleichnamigen Kapitel behandelt, sondern auch unter Montage, die oft antithesisch sein kann. Um der Ellipse Genüge zu tun, muss man auch die Anadiplose berücksichtigen, wie auch das Kapitel, das jener gewidmet ist. Das wird die Leser und Leserinnen daran erinnern, dass in einem Bild mehrere Figuren kombiniert werden können oder verschiedene Figuren aus unterschiedlichen Blickwinkeln identifiziert werden können. Um alle Beispiele einer bestimmten Figur zu finden, sollten die Leser und Leserinnen den Index benutzen. 6 Die Unzugänglichkeit des Films […]
7 Inhalt [S. 20-22; hier: S. 22 ] […] In The Do It Yourself Cartoon Kit bringt Keith Learner satirisch auf den Punkt, dass in der filmischen Verfolgungsjagd jeder von jedem und alles von allem gejagt werden kann – es ist die Struktur, die die Spannung erzeugt. Learners Film zeigt Menschen und Autos in einer heißen Verfolgungsjagd, dann eine Meute von Streichhölzern, die einen ihrer entkommenen Artgenossen jagen, wobei einige aus der Masse ausbrechen und umfallen, dann wiederum rennen schwarze Figuren wie wild um eine rote Vase herum, und einige Stückchen Papier versuchen, andere einzufangen. Wenn also ein kluger und kreativer Regisseur unser Interesse unabhängig vom Gegenstand aufrechterhalten kann, warum geht es dann so oft um Mord und Verstümmelung oder Sex ohne Anstand, wenn wir doch wissen, dass es umso mehr davon geben wird, je mehr wir davon sehen? An dem Tag, an dem ich dies schreibe, wird ein Film mit den folgenden Worten beworben: «Vergewaltigen, Verbrennen, Erhängen, Erschießen, Treten, Skalpieren, Auspeitschen». Man kann kaum glauben, dass zweimal im letzten Jahrhundert Menschen bereit waren, für den Erhalt der Kultur zu sterben, die uns diesen Film gab. Form allein ist nicht genug.
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Grundlagen
Richard Buchanan
Declaration by Design: Rhetorik, Argument und Darstellung in der Designpraxis (1985)
Einleitung Wenn es ein zentrales Thema in den Designwissenschaften gibt, dann dürfte dies sicherlich das der Kommunikation sein. Direkt oder indirekt haben die Kommunikation und ihre benachbarten Themen mehr Diskussionen zur Designtheorie und -praxis in Gang gesetzt als jedes andere. Und damit beziehe ich mich nicht nur auf das Grafikdesign, in dem die Kommunikation ganz offensichtlich das zentrale Anliegen ist, und in dem die Konzepte der klassischen Rhetorik mittlerweile mit vielversprechenden Ergebnissen angewandt werden, sondern auch auf Design im weiteren Sinne, das vom Industrie- und Produktdesign bis zur Architektur und Stadtplanung reicht, und für das es keine übergreifende Theorie der Rhetorik gibt. Es mag auf den ersten Blick nicht auffallen, doch nehmen die Kommunikation und die Rhetorik in diesem erweiterten Bereich starken Einfluss darauf, wie wir die für den menschlichen Gebrauch gemachten Dinge verstehen. Denken wir nur an die zahlreichen geschichtswissenschaftlichen, soziologischen, ästhetischen und kulturwissenschaftlichen Studien zum Design in den letzten Jahrzehnten: Sie sind zwar nicht explizit rhetorisch, doch dringen sie in der Behandlung von Themen wie dem Einfluss des Designers und der Wirkung des Designs auf die Konsumentengruppe oder die Gesellschaft weit in den Bereich der Rhetorik vor. Ebenso behandeln diese Studien zentrale Aspekte der I
«Kommunikation» ist ein vieldeutiger Begriff, der oft salopp gebraucht wird, ohne dass seinen zahlreichen sinnvollen und oft widersprüchlichen Bedeutungen genügend Beachtung geschenkt würde. In diesem Text geht es um Kommunikation als Rhetorik, um die Beziehung zwischen Sprecher oder Sprecherin und Publikum, wie sie sich in einer gegebenen kommunikativen Situation hinsichtlich der Aspekte von Invention und Überzeugungskunst darstellt. Dies steht in scharfem Kontrast zu zeitgenössischen Theorien, die sich mit Kommunikation als Semiotik befassen, und bei denen es sich im Wesentlichen um Grammatiksysteme handelt, die natürliche oder konventionelle Zeichen- systeme auf deren Bedeutung hin untersuchen. Es steht ebenso in Kontrast zur marxistischen oder anderen Theorien der Dialektik, die Kommunikation nur hinsichtlich einer ökonomischen oder ideellen Wahrheit als bedeutend verstehen.
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Bonsiepe, Gui (1963): «Persuasive Communication: Towards a Visual Rhetorik». In: Crosby, Theo (Hrsg.), Uppercase 5. London: Whitefriars Press Ltd. Hier handelt es sich um sehr gute frühe Unter- suchungen zu diesem Thema, jedoch sind diese eher von Semiotik als Rhetorik geprägt. Siehe auch Krampen, Martin (1968): «Signs and Symbols in Graphic Communication». In: Design Quarterly, 62, S. 3-33. Eine komplette Ausgabe von Icographic, herausgegeben von Victor Margolin, ist dem Thema «Persuasive Communication» gewidmet. Siehe Icographic II/4, Februar 1984. Siehe auch: Ehses, Hanno H. J. (Frühjahr 1984): «Representing Macbeth: A Case Study in Visual Rhetoric». In: Design Issues, I/1, S. 53-63. Hier handelt es sich um eine Fallstudie von Invention im Kommunikationsdesign, die allerdings auf die Figuren der Rede und den grammatischen Gesichtspunkt von Semiotik beschränkt ist.
Woodham, Jonathan M. (1983): The Industrial Designer and the Public. London: Pembridge Press.
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Rhetorik, wenn sie sich mit dem Designprozess selbst beschäftigen, mit dem Einfluss der persönlichen Haltungen, Werte oder Designphilosophie des jeweiligen Gestalters oder mit der Art und Weise, in der die sozialen Aspekte der Organisation, des Managements und der Firmenkultur ein Design bestimmen. Wenn darüber hinaus Untersuchungen zur Ästhetik des Designs die Form nicht nur als Wert an sich begreifen, sondern eben auch als Mittel zur Unterhaltung, zur Belehrung und zur Informationsweitergabe – oder ganz allgemein als ein Mittel, den Dingen die für jeden gewünschten Effekt nötige Erscheinung zu verleihen –, dann sind diese Studien auch deshalb rhetorisch zu nennen, weil sie das Design als Vermittlungsinstanz zwischen den Designern und dem intendierten Publikum konzipieren. Es liegt eine gewisse Ironie in der Tatsache, dass eine übergreifende Theorie der Rhetorik bislang überraschenderweise ausbleibt, obwohl sie gleichzeitig dringend gebraucht würde im weiteren Feld des Designs, in dem der Kommunikation annähernd die selbe Bedeutung wie im Grafikdesign zukommt. Zunächst einmal ist sie notwendig aufgrund der wachsenden Bedeutung von Technologie im zwanzigsten Jahrhundert und der damit verbundenen zunehmenden Entfremdung zwischen Technologen und Designern. Gemeinhin wird die Technologie als angewandte Naturwissenschaft verstanden und nicht als Teil des Designs. Dieses Verständnis machte für viele die Hoffnung zunichte, dass die Technologie jemals ernsthaft von menschlichen Werten und dem Gedanken des Gemeinwohls beeinflusst und geleitet werden könnte. Eine angemessene Theorie der Rhetorik im Design müsste Technologie als ein fundamental rhetorisches Problem begreifen und sie im Kontext eines umfassenderen Designbegriffs verstehen, auch wenn dies einigen Technologen zu radikal erscheinen mag. Eine solche Theorie müsste Mittel und Wege aufzeigen, eine engere Verbindung zwischen Technologie und Design herzustellen. Es gibt aber auch noch einen weiteren Grund, warum wir heute eine Theorie der Rhetorik in der Designtheorie brauchen. In letzter Zeit haben viele Designer die klassische Auffassung von Design über Bord geworfen, indem sie widerspenstige, antagonistische, bizarre und oft nicht zu erklärende Idee entwickelten, die die Öffentlichkeit, wie auch die Designtheorie, herausfordern und verwirren. Als Beispiele ließen sich hier die Mode des Punk, Memphis Möbel oder die Architektur von Arquitectonica in Miami anführen. In fast jedem Designbereich finden wir Objekte, die von seltsamer und beunruhigender Unvertrautheit sind und die uns provozieren oder sogar abschrecken können. Man könnte diese Reaktionen damit erklären, dass es der Öffentlichkeit an kritischem Bewusstsein in
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Pevsner, Nikolaus (1936): Pioneers of the Modern Movement, from William Morris to Walter Gropius. London: Faber and Faber. Siehe beispielsweise das Kapitel «The Engineers of the Nineteenth Century». Dieses Buch erschien später unter dem Titel Pioneers of Modern Design.
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Pile, John F. (1979): Design: Purpose, Form and Meaning. New York: W. W. Norton and Company; Heskett, John (1980): Industrial Design. London: Thames and Hudson.
Ders., Design. Siehe Kapitel 5, «Communication through Form».
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Pye, David (1978): The Nature and Aesthetics of Design. New York: Van Nostrand Reinhold. Pye definiert Design als die Kunst, die «chooses that the things we use shall look as they do...» (S. 11). Dies ist besonders interessant, wenn man es im Kontext der langen Tradition der Rhetorik als der Kunst des äußeren Erscheinungsbilds betrachtet. Demgemäß fährt Pye fort, rhetorische Kriterien für gute und angemessene Gestaltung zu formulieren, was Geschmack, Stil, Schönheit, Nützlichkeit etc. beinhaltet.
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Die heutige Ausbildung von Designern und Technologen vertieft oft diesen Graben. Wir müssen eine integrierte Philosophie der Designausbildung entwickeln, die der komplexen Rolle des Designs in der modernen Welt gerecht wird. Siehe zum Beispiel Maldonado, Tomás (1965): «Design Education and Social Responsibility». In: Kepes, Gyorgy (Hrsg.), Education of Vision. New York: George Braziller. Siehe auch Frampton, Kenneth (Mai 1974): «Apropos Ulm: Curriculum and Critical Theory». In: Oppositions 3 .
Bezug auf Design fehlt, doch wird hier vor allem auch eine neue Kommunikationsschwäche des Designs deutlich. John Pile behauptet zum Beispiel, dass viele Menschen ein Produkt allein deshalb akzeptieren, weil es als Ergebnis technologischen Fortschritts angepriesen wird, ungeachtet dessen, ob es gut gestaltet ist oder nicht. Nichtsdestotrotz interessieren sich natürlich auch viele Menschen aufrichtig für die Produkte, die sie umgeben, und sie machen sich Gedanken über den positiven oder negativen Einfluss, den diese Objekte auf ihre Lebensqualität nehmen können. Für diese Menschen mag es den Anschein haben, als hätten sich die traditionellen Formen der Designkommunikation aufgelöst oder als bestünde unter Designern kein ernsthaftes Interesse an der Kommunikation mit ihrem Publikum. Eine angemessene Theorie müsste diese verwirrende Vielfalt der Kommunikationsformen im Design, wie sie uns in den alltäglichsten Gegenständen begegnet, verständlicher machen und somit die Grundlage für eine fundiertere öffentliche Kritik und Bewertung von Design schaffen.10 Die Notwendigkeit einer umfassenden Theorie der Rhetorik innerhalb der Designtheorie war weniger dringlich zu einer Zeit, als die Technologie noch unter der Kontrolle der Vernunft zu sein schien und Designer sich an allgemein anerkannte Regeln hielten, wie Design in einer ordentlichen Gesellschaft zu funktionieren habe. Heute jedoch erfährt diese Notwendigkeit eine neue Dringlichkeit, da sich die Technologie zunehmend spezialisiert und von der Designpraxis ablöst; aber auch weil unter den Designschaffenden die verschiedensten widersprüchlichen und verwirrenden Auffassungen über die eigene Praxis im Umlauf sind. Es ist eine Herausforderung, diese Probleme in einer einzigen umfassenden Theorie zu vereinen, doch wird mit ihr auch deutlich, dass die Designtheorie zu einem ernst zu nehmenden Forschungsbereich avanciert ist. Design als Rhetorik Kommunikation wird gemeinhin als die Art und Weise verstanden, in der ein Sprecher Argumente entwickelt und diese in angemessenen Worten und Gesten vorbringt, um ein Publikum zu überzeugen.11 Ziel ist es, im Publikum einen bestimmten Glauben zu erwecken, entweder in Bezug auf die Vergangenheit (zum Beispiel in juristischer Rhetorik), die Gegenwart (wie in der Rhetorik der Lob- und Festrede) oder die Zukunft (wie in der politischen Rhetorik). Der Sprecher liefert dem Publikum Gründe, eine neue Haltung einzunehmen oder auf neue Weise zu handeln. So gesehen, kann man Rhetorik als die Kunst bezeichnen, die Gesellschaft zu gestalten, den Weg von Individuen und Gemeinschaften zu beeinflussen und neue Handlungsmuster zu begründen.12 Mit dem Aufstieg der Technologie im zwanzigsten Jahrhundert entdeckte man, dass auch von Menschenhand geschaffene Dinge die bemerkenswerte Macht besitzen, etwas in dieser Art zu vollbringen: Indem Designschaffende ein Publikum von potenziellen Anwenderinnen und Anwendern mit einem neuen Produkt konfrontierten – sei es nun mit etwas so Schlichtem wie einem Pflug oder
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Pile, John F., Design, S. 2.
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Diese Form der Kritik ist in der Architektur besser entwickelt, fehlt jedoch allzu oft in anderen Designbereichen.
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Grammatische Theorien betrachten Kommunikation oft als die Übertragung einer Geisteshaltung vom Sprecher auf das Publikum – als Weitergabe von Information und Emotion. In der Rhetorik jedoch wird die Kommunikation als die Entwicklung von Argumenten (logisch, ethisch oder emotional) ver- standen, die im Publikum Glauben oder Identifikation hervorrufen. Diese Unterscheidung mag sehr fein sein, doch sind die Konsequenzen der jeweiligen Ansätze grundsätzlich verschieden.
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Der Begriff Rhetorik bezeichnet sowohl die Praxis der Überzeugungskunst in der Kommunikation als auch die formale Analyse dieser Art von Kommunikation, oft anhand charakteristischer Beispiele.
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einer neuen Art hybrider Saatkörner, oder mit etwas so Komplexem wie einer Glühbirne oder einem Computer –, nahmen sie direkten Einfluss auf die Handlungen von Individuen und Gemeinschaften. Sie schafften es, Ansichten und Wertvorstellungen zu verändern und die Gesellschaft in überraschend fundamentaler Weise zu beeinflussen. Hierbei handelt es sich um eine bisher unerkannt gebliebene Form der Überzeugungskunst13, eine Art der Kommunikation, die schon seit langem existiert, die aber nie völlig verstanden oder unter dem Aspekt der menschlichen Kontrolle untersucht wurde, so wie es in der Rhetorik für die Kommunikation im Bereich der Sprache stets der Fall gewesen ist.14 Wir alle verfügen über einen natürlichen Impuls, Dinge für den alltäglichen Gebrauch herzustellen, Objekte zu entwickeln, welche die Natur zu unserem Vorteil nutzen, doch haben Aristoteles’ Bemerkungen über den Aufstieg der Rhetorik als Überzeugungskunst eine besondere Bedeutung für die Designpraxis.15 Dieser betont nämlich, dass alle Menschen rhetorische Mittel anwenden, da wir alle ständig versuchen, die anderen von bestimmten Ideen und Ansichten zu überzeugen. Die einen tun dies eher zufällig, wohingegen andere mit den rhetorischen Mitteln vertraut sind und sie gewohnheitsmäßig und aufgrund ihrer Erfahrung einsetzen. Doch gerade weil wir sowohl auf die eine als auch die andere Art überzeugen können, wird es möglich zu begründen, warum bestimmte Überzeugungsversuche erfolgreicher sind als andere. Somit lässt sich aufdecken, was die Kunst der erfolgreichen Überzeugung ausmacht. Ein ähnliches Prinzip ließe sich auch für die De- signpraxis formulieren. Während einige Designer eher handwerklich orientiert sind und sich darauf spezialisieren, mit verschiedenen Materialien zu arbeiten oder bestimmte Bedürfnisse zu erfüllen, richten sich andere wissenschaftlich aus und sind in der Lage aufzuzeigen, wie sich ihr Wissen praktisch anwenden lässt. Doch gerade weil heutzutage im Design beide Wege begehbar sind, fällt es uns leichter, diejenigen Elemente zu identifizieren, die allen Bereichen der Designpraxis gemein sind. Wir können somit Design als etwas verstehen, das sich von der bloßen Herstellung von Produkten unterscheidet, und den Designbereich von verwandten, aber für die Designpraxis nicht wesentlichen Themen abgrenzen. Einem solchen Verständnis steht hauptsächlich die Überzeugung im Wege, dass die Technologie ihrem Wesen nach Teil der Naturwissenschaften sei und somit den Gesetzen der Natur und des naturwissenschaftlichen Denkens folgen müsse. Wenn dies wahr ist, dann kann die Technologie nicht Teil der Design-Rhetorik sein, es sei denn als vorgefertigte Botschaft zu verstehen, die es zu dekorieren und passiv zu übermitteln gälte. Design wäre dann eine zwar ästhetisch gesehen interessante, aber nebensächliche Kunst-
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Es gibt selbstverständlich zahlreiche soziologische und anthropologische Studien zum Einfluss und den Konsequenzen von Technologie auf soziale Strukturen und Kulturen, doch soweit es dem Autor bekannt ist, hat sich bisher keine dieser Studien mit diesem Thema als Beispiel der Überzeugungs- kunst befasst.
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Bacon, Francis (1960): The New Organon and Related Writing (Hrsg. Fulton H. Anderson). Indianapolis: The Bobbs-Merrill Company Inc. In diesem grundlegenden Werk wird zum ersten Mal die Rhetorik als Hauptaspekt genutzt, unter dem die Beziehung von Wissenschaft und Technik analysiert wird. Ziel dieser neuen Wissenschaft ist es laut Bacon nicht nur, die Natur zu verstehen, sondern «to command nature in action». Diese Arbeit konzentriert sich jedoch auf die Entdeckung von Prinzipien in der Natur. Nachfolgende Studien haben sich lediglich dieses Aspekts angenommen und somit die Technologie als Handlanger der Wissenschaft abgewertet. Niemand hat sich bisher mit den Implikationen von Bacons Arbeit auf eine Rhetorik der Technologie befasst. Nützliche Erkenntnisse finden sich jedoch in McKeon, Richard (1971): «The Uses of Rhetoric in a Technological Age: Architectonic Pro- ductive Arts». In: Bitzer, Lloyd F. und Black, Edwin (Hrsg.), The Prospects of Rhetoric. Englewood Cliffs/New Jersey: Prentice-Hall Inc., S. 44-63.
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Aristotle, The «Art» of Rhetoric, übersetzt von John Henry Freese (1967). Cambridge: Harvard University Press, S. 3.
form, die sich leicht zu einem Marketingwerkzeug der Konsumkultur degradieren ließe.16 Wenn die Technologie jedoch in einem fundamentalen Sinne mit dem Wahrscheinlichen – im Gegensatz zum Notwendigen – befasst ist, also mit den Zufälligkeiten des praktischen Gebrauchs und Handelns anstatt mit den Gewissheiten naturwissenschaftlicher Prinzipien, dann wird sie auf faszinierende Weise rhetorisch.17 Sie wird zu einer Kunst des Nachdenkens über die Problematik konkreter Handlungen, und ihr naturwissenschaftlicher Aspekt wird sozusagen nebensächlich und tritt nur dann in den Vordergrund, wenn er Teil eines Arguments ist, um ein spezifisches praktisches Problem zu lösen.18 Technologen entdecken Wege, die Natur nutzbar zu machen, um solche Probleme zu lösen, und versuchen dann, andere davon zu überzeugen, dass ihre Lösungen nützlich sind und zu wertvollen Ergebnissen führen werden. Ihre Art der Überzeugung vollzieht sich in Argumenten, die mit Hilfe von Dingen anstatt Worten hervorgebracht werden; sie präsentieren Ideen nicht durch die Manipulation von Sprache, sondern von Materialien und natürlichen Prozessen. Da es selten eine einzige, von Naturgesetzen bestimmte, Lösung für menschliche Probleme gibt, bietet die Technologie auch keine zwingenden Lösungen an. Ihre Lösungen sind immer Vorschläge, die jederzeit geändert oder anderen Ideen gegenübergestellt werden können. In diesem Sinne ist die Technologie Teil einer weiter gefassten Designpraxis, einer Kunst des Denkens und Kommunizierens, die in anderen Menschen die verschiedensten Ansichten über das alltägliche Leben von Individuen und Gruppen evozieren kann. Dieser Gedanke mag insbesondere für Technologen schwer zu akzeptieren sein, da sie sich primär, wohl aus Gründen des sozialen Status, als Naturwissenschaftler verstehen. Die Art des Austausches, die zwischen Naturwissenschaft und Technologie besteht, unterscheidet sich nicht wesentlich von derjenigen, die zwischen der traditionellen Rhetorik und den Bereichen der Ethik und Politik bestand.19 Rhetoriker sind Experten in der Kunst der Überzeugung, und nicht in Ethik oder politischer Philosophie, obwohl effektive Überzeugungskraft durchaus von solchem Wissen profitieren kann. Genauso verhält es sich mit den Technologen. Sie sind Experten in einer Form von persuasiver Kommunikation, nicht aber in den Naturwissenschaften, auch wenn sie dieses Wissen bei der Verarbeitung natürlicher Materialien und Prozesse stark in Anspruch nehmen. Natürlich kommt es auch vor, dass Technologen zugleich Naturwissenschaftler sind. Es geht hier allerdings nicht nur darum, die Technologie von der Naturwissenschaft zu unterscheiden. Worauf es ankommt, ist, dass es sich bei der Technologie wesentlich um eine Form der Überzeugungskunst handelt und dass sie – genau wie die klassische Rhetorik – keine spezielle Autorität besitzt, zu beurteilen, was den Alltag lebenswert macht. Sie liefert lediglich die Mittel, um gewisse Argumentationen über das praktische 16 I
Margolin, Victor (1984): «Consumers and Users: Two Publics for Design». In: Ritchie, Christina und Calzolari, Loris (Hrsg.), Phoenix: New Attitudes to Design. Toronto: Phoenix, S. 48-55.
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Bugliarello, George und Doner, Dean B. (Hrsg., 1979): The History and Philosophy of Technology. Urbana und Chicago: University of Illinois Press. Dieses ausgezeichnete Buch entstand aufgrund eines Symposiums, das 1973 in Chicago stattfand. Die Herausgeber schreiben im Vorwort dazu: «Engineering schools continue to train generation after generation of possibly the most powerful agents of change that our planet has ever produced ...» (S. vii).
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Caws, Peter (1979): «Praxis and Techne». In: Bugliarello, George und Doner, Dean B. (Hrsg.), The History and Philosophy of Technology, S. 227-238. «Technology, after all, is not merely the theory of the practical arts; it is the practical arts themselves, regarded as an activity of reason – the logos in the techne, rather than the logos of the techne.» (S. 227).
Aristotle, Rhetoric, S. 19.
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Leben zu unterstützen, welche die verschiedenen Ideen und Ansichten über das soziale Leben reflektieren. Die Technologen selbst haben solche Vorstellungen, und sie haben sie bereits auf mannigfaltige Weise der menschlichen Gemeinschaft aufgezwungen.20 Solange ihre Arbeit nicht als Teil der Designpraxis und als Überzeugungskunst verstanden wird, werden diese Vorstellungen entweder stillschweigend akzeptiert oder auf ahnungslose Weise unerforscht bleiben. Dieser Aspekt der Bedeutsamkeit von Design wird nur langsam erkannt, hat jedoch direkte Auswirkungen darauf, wie das Umfeld postmoderner Designkommunikation verstanden wird. Design ist eine Disziplin des Denkens, die sich die Überzeugungskraft von Objekten zu Nutzen macht, um praktisches Handeln zu beeinflussen. Deshalb geht es im Design stets auch um den lebendigen Ausdruck konkurrierender Vorstellungen über das soziale Leben. Dieser Punkt wird verständlicher, wenn wir ihn von der Perspektive der Rhetorik aus betrachten. Seit Jahrzehnten versuchen Technologen, die Öffentlichkeit von der Zweckdienlichkeit ihrer Erfindungen und Entdeckungen zu überzeugen, indem sie Objekte entwickeln, die den Anschein erwecken, die Bedürfnisse der Menschen zu erfüllen und ihnen zu einem besseren, geordneteren Leben zu verhelfen. Jedoch hat das Leben, das diese Produkte versprachen, sich oft als schädlich erwiesen und den menschlichen Grundwerten widersprochen. Es geht hier nicht so sehr um die Fälle, in denen technologisches Denken vollständig versagt hat, sondern vielmehr um jene, die zu einem unmenschlichen technologischen Ergebnis21 führten oder gar zu frustrierender Unordnung und sozialem Chaos22. Es geht um Beispiele, in denen das Design dazu diente, die Macht politischer oder sozialer Ideologien zu stärken und somit Leiden anstelle von Nutzen schuf, wie es beispielsweise mit Kriegswaffen der Fall ist. Damit sind wir bei der Postmoderne angelangt, einer Periode der Desillusionierung. Sie folgt einer Zeit außergewöhnlichen Vertrauens in die von Wissenschaft und Technologie (und auch von verschiedenen politischen Philosophien und Ideologien) versprochene strahlende Zukunft. Diese Situation entstand teilweise aus der verbreiteten Erkenntnis, dass uns das moderne Design (insofern es Technologie beinhaltet) nicht zu einem wohlgeordneten Leben verholfen hat, und diese Einsicht wiederum führte zu einer erbärmlichen, aber manchmal auch kreativen, Faszination für die instabile Beziehung zwi-
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Dickson, David (1974): The Politics of Alternative Technology. New York: Universe Books. Dieses Buch ist in Großbritannien unter dem Titel Alternative Technology and the Politics of Technological Change erschienen. Siehe unter anderem Kapitel 2, «The Ideology of Industrialization».
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Die Pullman Community in Chicago ist ein Beispiel hierfür. Sie wurde 1893 entworfen und als eine vollkommene, harmonische Siedlung für 14.000 Arbeiter und Manager der Pullman Company realisiert. Hier wurden die neuesten Technologien mit ästhetischem Anspruch verbunden, was Besucher aus aller Welt anzog, die diese fortschrittliche Gestaltung im Vergleich zur gängigen zeitgenössischen Stadtplanung bewunderten. Doch bereits Monate nach der Vollendung beschwerten sich die Arbeiter über die Rigidität und mechanische Regelmäßigkeit, die durch diese Art der Gestaltung gefördert wurden, und man warf George Pullman vor, den Anwohnern seine persönlichen Werte und Vorstel- lungen vom sozialen Leben aufgezwungen zu haben. Der wiederum konnte kaum verstehen, wie man die Anwendung dieser Ideen auf das Alltagsleben in Frage stellen konnte, da sie doch von der Mechanik des Baus von Zugwagons abgeleitet waren. Der Streik von 1894, der durch eine Vielzahl von Faktoren bedingt war, war einer der erbittertsten und gewalttätigsten in der Geschichte der amerikanischen Arbeiterbewegung. Siehe dazu auch Anmerkung 40.
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Der Einfluss westlicher Technologien auf Länder der Dritten Welt liefert einige der offenkundigsten Beispiele hierfür. In unserem Kontext ist es jedoch noch wichtiger, dass diese Beispiele uns einen Eindruck davon vermitteln, was der technologische Wandel für unsere eigene Kulturgeschichte im Einzelnen bedeutet haben mag.
schen Ordnung und Unordnung.23 Tatsächlich geht es im Design der Postmoderne maßgeblich um das Wesen der Ordnung im Alltag. Auf dem Hintergrund dieser Beziehung zwischen Ordnung und Unordnung erforschen Designer mit viel Ideenreichtum neue Möglichkeiten, den praktischen Alltag zu gestalten. Es ist auch diese Beziehung, mittels derer sich die verschiedenen Stimmen im Design der Gegenwart unterscheiden lassen. Viele Designer folgen nach wie vor dem klassischen Ideal einer geordneten Gestaltung,: Sie versuchen, Design und Technologie harmonisch in unsere zweckgerichteten Alltagsaktivitäten zu integrieren, auch wenn die entsprechenden Designprodukte bewusste Neu-Interpretationen alter Ideale darstellen.24 Andere suchen nach neuen Formen der Ordnung, und wiederum andere fokussieren sich ganz bewusst auf die geläufigen Erwartungen nach Ordnung, als wollten sie uns dazu auffordern, die Bedeutung von Ordnung in unserem Leben zu überdenken. All diesen Ansätzen ist jedoch gemein, dass Design eine Debatte zwischen gegensätzlichen Ansichten auslöst – zu Themen wie Technologie, Alltagsleben, der Rolle von Emotion und Expression im Lebensumfeld sowie einer ganzen Reihe weiterer Probleme, die gemeinsam das Gewebe unseres postmodernen, postindustriellen Lebens ausmachen. Die Elemente des Design-Arguments Um diese Situation genauer zu untersuchen, werden wir die folgenden Aspekte betrachten: Erstens die Idee des Designers als Sprecher, der eine Welt entstehen lässt – sie mag noch so klein sein -, und andere dazu auffordert, an dieser Welt teilzunehmen. Zweitens gilt es ein Publikum von Anwendern zu beachten, die davon überzeugt werden sollen, neue Mittel und Wege auszuprobieren, um bestimmte Ziele in ihrem Alltag zu erreichen.25 Und drittens geht es um die Vorstellung vom praktischen Leben als Subjekt der Designkommunikation, unabhängig davon, wie unterschiedlich die Interpretationen desselben sein mögen und ob diese dem Designer bewusst sind oder still und unerforscht in seinem Geist schlummern. Am wichtigsten jedoch ist in diesem Kontext die Idee des Arguments, die alle Elemente des Designs verbindet und zu einer gegenseitigen Einflussnahme zwischen Designer und (potenziellem) Anwender führt. Dieser Text beruht auf der Annahme, dass der Designer nicht nur ein Objekt oder Ding gestaltet, sondern vielmehr ein überzeugendes Argument entwickelt, das immer dann wirksam wird, wenn ein Anwender ein Produkt zu einem bestimmten Zweck nutzt oder dessen Nützlichkeit in Betracht zieht. Es lassen sich drei maßgebliche Elemente des Design-Arguments nennen, nämlich die in Wechselbeziehung stehenden Eigenschaften des technologischen Arguments, des Charakters und der Emotion. Gemeinsam bilden sie die Substanz und Form jeglicher Designkommunikation. In jedem Design-Argument verwenden Designer diese drei
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Kouwenhoven, John A. (1982): Half a Truth Is Better Than None: Some Unsystematic Conjectures about Art, Disorder, and American Experience. Chicago: The University of Chicago Press. Siehe: »Design and Chaos: The American Distrust of Art», S. 231.
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Rams, Dieter (Frühjahr 1984): «Omit the Unimportant». In: Design Issues 1/1, S. 24-26. Dies ist eine ausgezeichnete und auf den Punkt gebrachte Darstellung einer Designphilosophie. (Bemerkenswert ist auch, wie die Rhetorik von Rams’ Erklärung die Rhetorik der Produkte reflektiert, die er mit dem Braun-Design-Team entwickelt hat.).
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Margolin, Victor: «Consumers and Users: Two Publics for Design», S. 49. Margolins Charakterisierung des Anwenders im Gegensatz zum Konsumenten entspricht eher der Art des Publikums, von der wir hier sprechen. Laut Margolin ist es der Anwender, der dazu neigt, «to define the worthwhile life in terms of the actuation of values rather than the ownership of goods.» Selbstverständlich stellen auch die Konsumenten eine Form des Publikums dar, und viele Designer und Designerinnen verstehen ihr Publikum als Konsumenten im engeren Sinne.
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Elemente zu einem gewissen Grad, bei manchen Produkten gar in äußerst feiner Kombination. Doch sollte man diese drei Elemente analytisch unterscheiden, um die verschiedenen verfügbaren Überzeugungsmitel klar zu bestimmen. Das erste Element, das technologische Argument, ist der Logos des Designs. Es ist das Herzstück des Design-Arguments, ähnlich wie das Ineinandergreifen der formalen und informellen Beweisführung den rhetorischen Kern der Sprache ausmacht, Das technologische Argument im Design bezeichnet im Wesentlichen die Art und Weise, wie der Designer Materialien und Prozesse manipuliert, um praktische Probleme menschlichen Tuns zu lösen. In diesem Sinne sind Produkte persuasiv, wenn sie echte Bedürfnisse ansprechen und diese auf vernünftige und sinnvolle Weise befriedigen. Das technologische Argument gründet sich zum Teil auf ein Verständnis natürlicher und naturwissenschaftlicher Prinzipien, die eine Voraussetzung für die Konstruktion nützlicher Dinge sind. Es basiert aber auch auf Bedingungen, die von menschlichen Voraussetzungen abhängen, wie zum Beispiel den Ansichten und Wertvorstellungen potenzieller Nutzer oder den physischen Umständen der Gebrauchssituation. Diese beiden Grundbedingungen sind sogar in den einfachsten Gegenständen sichtbar. Zum Beispiel basieren alle Löffel auf demselben mechanischen Prinzip, nämlich dem Einsatz eines Hebelarms zum Transport einer Substanz in einer mehr oder minder winzigen Schüssel (Abbildung 1). Sie richten sich aber auch nach einigen offensichtlich menschlichen Faktoren, die erklären, warum alle Löffel eine zur menschlichen Hand passende Größe haben, warum sie in der Regel aus preiswerten Materialien hergestellt sind und sich auf die Hand als Antriebsmittel verlassen. Doch beruhen sie auch auf einer Reihe menschlicher Voraussetzungen, die nicht so offensichtlich sind, die aber dennoch die spezifische Form beeinflussen, in der die mechanischen Gegebenheiten präsentiert werden. So stützt sich der Designer beispielsweise auf die Haltung potenzieller Anwender zur Tradition: Zwei der abgebildeten Löffel sind sehr traditionell und konventionell gestaltet – natürlich immer relativ zu ihrem jeweiligen orientalischen respektive amerikanischen kulturellen Kontext, während zwei andere recht unkonventionell wirken. Es lassen sich noch weitere Prämissen in dieser Art beobachten: einige beruhen auf dem Wert, welcher der Dekoration beigemessen wird, andere auf der Eleganz oder Schlichtheit, nach denen der soziale Anlass des Essens gestaltet werden soll. Wieder andere richten sich vielleicht sogar an subtile moralische Werte, die mit diesen Aspekten assoziiert werden, die aber von den meisten Menschen in solch einfachen Objekten kaum bewusst wahrgenommen werden. Diese von menschlichen Voraussetzungen bestimmten Prinzipien sind es, welche das technologische Argument zu einem Element der Rhetorik machen, das der Kommunikation mit einem spezifischen Publikum dient. Denn diese basieren nicht auf einer deduktiven Wissenschaft, die sich ausschließlich mit universellen Prinzipien beschäftigt. Diese Prinzipien dienen zur Unterscheidung verschiedener Zielgruppen und jener Art von Design-Argument, die eine bestimmte Gruppe von Menschen am ehesten überzeugen wird; sie charakterisieren zudem die verschiedenen Herangehensweisen von Designern im Kontext der Postmoderne. Schauen wir uns beispielsweise die Krups Kaffeemühle und das Memphis Bücherregal Ginza von Masanori Umeda an (Abbildungen 2 und 3). Beide Produkte sind im weitesten Sinne funktional (obwohl das Verhältnis von Materialaufwand und
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Abbildung 1 Gebrauchsgegenstände unterscheiden sich in der Art des Charakters, den sie projizieren, obwohl sie denselben mechanischen Prinzipien unterliegen.
Abbildung 2 Diese Krups Kaffeemühle verkörpert traditionelle Designwerte, indem die Funktion betont wird und das Produkt neutral und unaufdringlich wirkt. Charakter und Emotion sind auch hier wichtig, werden jedoch absichtlich dem funktionellen Aspekt untergeordnet.
Abbildung 3 Das Memphis Bücherregal Ginza – ein Roboter aus Holz und Chrom – muss man in Farbe sehen, um dessen Effekt vollumfänglich zu erleben. Die emotionale Spannung und der Humor, die in diesem Produkt verkörpert sind, wirken belebend auf die Umgebung. Design: Masanori Umeda.
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Raum, den das Objekt einnimmt, im Falle von Umedas Regal die Idee von Nützlichkeit und Funktion ziemlich strapaziert – vermutlich nicht unbeabsichtigt). In beiden Fällen hängt jedoch die spezifische Form des technologischen Arguments von völlig unterschiedlichen menschlichen Voraussetzungen ab – eben jenen Faktoren, von denen die Designer selbst überzeugt sind, und von denen sie annehmen, dass sie sich überzeugend auf die Nutzer auswirken werden. In der Tat könnte man Design als die Kunst der Kommunikation auf zwei Ebenen bezeichnen: es versucht nicht nur, ein Zielpublikum davon zu überzeugen, dass ein bestimmtes Designprodukt nützlich ist, sondern es versucht auch zu vermitteln, dass die Annahmen, Ansichten und Wertvorstellungen des Designers in Bezug auf das Alltagsleben oder die angemessene Rolle der Technologie ebenso von Bedeutung sind. Dies lässt sich am besten an einem Produkt selbst demonstrieren. Die Kaffeemühle reflektiert klassische Designwerte, die auf einen modernen Lebensstil übertragen wurden. Sie wirkt sanft und unaufdringlich und stellt ihre mechanischen Aspekte und andere Eigenschaften in den Hintergrund, während die Nutzung in den Vordergrund rückt. Dieses Objekt ist neutral und zurückhaltend und passt daher zu den unterschiedlichsten Lebensstilen. Es beweist, dass Technologie dienlich sein kann, ohne zu dominieren, und dass sie es somit den Anwendern ermöglicht, ein Produkt in verschiedenen Situationen ihrer Wahl einzusetzen. Im Gegensatz dazu reflektiert das Regal Ginza Werte wie Neuartigkeit, Überraschung und Emotion. Umedas Design führt das mechanische Argument spielerisch vor und spricht geradezu zu uns, als würde es sich selbst ironisch oder satirisch kommentieren – ein Roboter, der Bücher trägt, die dem gänzlich unmechanischen menschlichen Geist entsprungen sind? Es intensiviert die Umgebung, und zwar nicht, um die Nutzer zu dominieren, sondern um etwa ein Beispiel an Vitalität und Spontaneität zu geben, das Unabhängigkeit und Selbstausdruck begünstigt; Eigenschaften, die vielen Menschen im Zeitalter der Postmoderne wichtig sind. Es versinnbildlicht einen lebhaften Geist, der die Technologie kontrolliert und nicht umgekehrt.26 Es wurden zwei wichtige Richtungen im Design der Postmoderne vorgestellt, die eindringlich vorführen, dass das Design-Argument mehr ist als die bloße Dekoration des technologischen Gedankens. Die Argumentation wird in beiden Beispielen nur zum Teil von mechanischen Prämissen bestimmt. Wenn der Logos oder die Beweisführung des Designs allein auf die Mechanik reduziert wird, dann geht das eigentliche DesignArgument, nämlich die einzigartige Kombination von mechanischen und menschlichen Prämissen, verloren. Die im Logos formulierten menschlichen Voraussetzungen – so unterschiedlich diese auch je nach Publikum oder Designer sein mögen – sind die Urquellen der Überzeugungskraft in allen Design-Argumenten. Sie verleihen einem Design Sinn, das ansonsten als überflüssiger Luxus abgetan werden könnte. Designer mögen angesichts der Aufgabe, Produkte für die Amischen zu entwickeln, die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, denn für diese Menschen werden lediglich die rudimentärsten Formen modernen
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Radice, Barbara (1984): Memphis: Research, Experiences, Results, Failures, and Successes of New Design. New York: Rizzoli International Publications Inc. Gewissermaßen ein Manifest der Memphis- Designphilosophie, geschrieben in einem relativ schillernden und verschmitzten Stil, der der Memphis- Idee entspricht. Wenn man diesen Schreibstil mit der effizienten und knappen Prosa von Dieter Rams’ Darstellung der Braun Designphilosophie vergleicht, kommt man zu ähnlichen Ergebnissen wie im Vergleich der Braun- und Memphis-Produkte.
technologischen Denkens überzeugend sein. Doch stellt dies nur einen graduellen Unterschied zu den Problemen dar, mit denen sich der Designer in jedem anderen Fall technologischer Argumentation konfrontiert sieht. Alle Produkte beruhen auf Überzeugungen und Wertvorstellungen, ob diese nun explizit formuliert sind, implizit angenommen oder völlig ignoriert werden. Das technologische Argument kann auf zwei verschiedene Weisen überzeugen, die sich auf die zwei Arten von Prämissen beziehen, auf denen es basiert. Es kann sowohl im Prozess als auch in der Erfüllung einer nützlichen Aufgabe überzeugen. Im ersten Fall wird ein Publikum überzeugt, wenn die Argumentation klar ist und eine wahrscheinliche Lösung zu einem Problem anbietet. Dies erfordert eine aktive Auseinandersetzung mit dem Produkt vor und während des Gebrauchs. Um ein simples Beispiel zu geben, schauen wir uns die Zirkel in Abbildung 4 an, die dazu dienen, Entfernungen einer bestimmten Größenordnung zu messen, etwa auf einer Landkarte. Das technologische Argument des größeren Instruments aus Messing und Eisen ist auf einen Blick zu erfassen. Es beruht erstens auf einem Drehgelenk, das eine anhaltende Verbindung der beiden Arme gewährleistet, während es zu einem bestimmten Grad auch Bewegung erlaubt. Zweitens ist eine gebogene Querstange mit einer Schraube an einem der beiden Arme fixiert und wird durch einen Schlitz in dem anderen Arm geführt, um die Bewegung der beiden Arme relativ zueinander zu stabilisieren. Drittens soll durch das zusätzliche Anbringen einer Feder verhindert werden, dass in der Querstange Spiel entsteht, etwa durch eine Lockerung der Schraube. Und schließlich gibt es noch eine Flügelschraube, mit welcher der Abstand zwischen den beiden Armen an beliebiger Stelle fixiert werden kann. Im Gegensatz dazu ist die Logik des kleineren Zirkels nicht so offensichtlich. Die Arme scheinen sich um einen Stab mit Drehgelenk zu bewegen, doch der Mechanismus, der die Spannung zwischen den Armen erzeugt und somit ihre Beziehung zueinander an einem gegebenen Punkt fixiert, ist nicht auf einen Blick zu erkennen, da er durch eine Metallverkleidung verdeckt wird. Wenn solche Aspekte verborgen sind, dann spricht die Argumentation nur ein relativ kleines Publikum von Fachleuten an, vielleicht lediglich die Ingenieure der Herstellerfirma, während sie ein breiteres Publikum nur durch den effektiven Gebrauch erreicht. In komplexen modernen Systemen richtet sich der Design-Logos an zwei klar verschiedene Zielgruppen: an Spezialisten, die das Argument als Prozess nachvollziehen und beurteilen können, und an die breite Masse der Anwender, denen es nur um das Resultat geht. Somit zeigt sich ein fundamentales Problem in der Designpraxis: die Frage ob, und wenn ja, bis zu welchem Grad, das allgemeine Publikum der Anwender in den Prozess des technologischen Arguments einbezogen werden soll. Die Fähigkeiten des Publikums, komplexen technologischen Gedankengängen zu folgen, sind offensichtlich begrenzt, doch können Designer sich einer Vielzahl von Methoden bedienen, um dieses Denken suggestiv – anstatt direkt – zu vermitteln. In komplexen Systemen beispielsweise könnte man die logische Verbindung zwischen größeren Einheiten andeuten, anstatt die Details jedes einzelnen Segments zu vermitteln. Dies kann durch die Artikulation funktionaler Einheiten erreicht werden, wie es zum
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Beispiel im neuen klassischen Design des Braun Hi-Fi-Systems der Fall ist (Abbildung 5).27 Designer können zudem die Bedienungselemente eines komplexen Systems so sorgfältig und deutlich präsentieren, dass die Anwender das technologische Argument erfassen, ohne dessen Details sehen zu müssen. Dies ist im Grunde eine metaphorische Beziehung, in der Bedienelemente wie Tasten, Knöpfe und Hebel als abstrakte, jedoch visuell verständliche, Symbole der realen Prozesse innerhalb einer komplexen Maschine fungieren. Das neue Gebiet der Produktsemantik ist mit ähnlichen Aspekten der Überzeugungskunst befasst, da auch hier versucht wird, das Publikum zum Denken zu bringen und diesem die Funktionsweise eines Produkts einfacher zugänglich zu machen.28 Produktsemantik und verwandte Ansätze funktionieren innerhalb einer allgemeineren Design-Argumentation, was die Beziehung zwischen Anwender und Objekt angeht, aber es gibt noch weitere Herangehensweisen, die wiederum andere Argumente bedienen. Zum Beispiel stellt die Memphis Tischlampe Ashoka von Ettore Sottsass nicht nur direkt das Kräfteverhältnis zur Schau, in dem die Glühbirnen gehalten werden – eine spielerische Balance, die einen wichtigen Teil des Design-Logos darstellt –, sondern sie deutet auch das Fließen des elektrischen Stroms metaphorisch an (Abbildung 6). Die auffällige Zurschaustellung der technologischen Aspekte (oder Pseudo-Aspekte, wie zum Beispiel bei funktionslosen Elementen, die an Maschinen erinnern, wie zum Beispiel einfache geometrische Formen, Rohre, Verstrebungen etc.) ist ein signifikantes Merkmal vieler postmoderner Produkte. Die Tischlampe von Sottsass oder der Sessel Bel Air von Peter Shire für Memphis (Abbildung 6 und 7) sind Beispiele hierfür. Diese Zurschaustellung allerdings ist nicht bloße Dekoration, sie ist Teil des Logos. Das Publikum wird dazu aufgefordert, sich die mechanischen Aspekte des Alltags zu vergegenwärtigen, wenn es ein solches Produkt benutzt. Im Fall der Tischlampe Ashoka oder des Sessels Bel Air wird das Publikum dazu angeregt, sich aktiv an der Design-Argumentation zu beteiligen, mechanische und geometrische Beziehungen zu erkennen und zu reflektieren anstatt über diese hinwegzusehen oder sie als gegeben hinzunehmen. Schauen wir uns nun die Deckenlampe Quisisana von Ettore Sottsass aus der Memphis Kollektion an (Abbildung 8). Auch hier wird mit dem Mittel der Metapher gearbeitet, um das Fließen des Stroms anzudeuten, und die Mechanik wird ebenfalls deutlich zur Schau gestellt. Doch wird hier andererseits das Publikum in ein umfassenderes Argument eingebunden, das die Idee von Funktionalität im Alltag erweitert: Nicht nur Produkte, sondern auch Menschen funktionieren. Dieses komplexe Design-Argument erfüllt einerseits minimale Anforderungen an Nützlichkeit, befreit uns aber gleichzeitig von reiner Zweckrationalität; es regt bei uns komplexere Imaginationsprozesse an, fordert unsere emotionalen und intellektuellen Fähigkeiten, frei von jeglichen konkreten Denkaufgaben. Es erinnert uns vielleicht daran, dass die Vorstellungskraft die Quelle der technologischen Erfindung ist und dass das freie Spiel der Imagination ein fester Bestandteil unseres Alltags sein sollte.
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Rams, Dieter: «Omit the Unimportant», S. 25: «... items should be designed in such a way that their function and attributes are directly understood ... Of course, getting products to ‹talk› by means of design is a demanding task.»
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Krippendorf, Klaus und Butter, Reinhart (Frühjahr 1984): «Product Semantics: Explaining the Symbolic Qualities of Form». In: Innovations 3/2. Die gesamte Ausgabe ist dem Thema «Semantics of Form» gewidmet.
Abbildung 4 Bei diesen beiden Zirkeln werden trotz ähnlicher Funktion sehr unterschiedliche Überzeugungsstrategien eingesetzt
Abbildung 5 In diesem Braun Hi-Fi-System wird technologisches Denken auf eine Weise ausgedrückt, die dem Nutzer leicht zugänglich ist. Auch zeigt sich darin eine wohlüberlegte Kontrolle von Charakter und Emotion. Design: Peter Hartwein.
Abbildung 6 Tischleuchte Ashoka von Memphis. Design: Ettore Sottsass. Abbildung 7 Der Sessel Bel Air von Memphis aus Holz mit Polsterbezügen in kontrastierenden, leuchtenden Farben. Design: Peter Shire. Abbildung 8 Deckenleuchte Quisisana von Memphis mit zwei Lichtquellen: eine rote Glühbirne und eine zur Decke gerichtete Halogenleuchte. Design: Ettore Sottsass.
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All die genannten Beispiele sind jedoch eher mit der Erscheinung und der Zugänglichkeit des technologischen Arguments befasst und nicht so sehr mit dessen Wahrheitsgehalt oder Gültigkeit, was im Design heißt, ob ein Produkt tatsächlich funktionieren wird. Das Publikum wird zwar ein hohes Maß an Unbequemlichkeit und sogar Leid in Kauf nehmen, wenn ein Produkt auch nur eine nützliche Aufgabe erfüllt. Dies wird in der frühen Geschichte des Automobils oder der Entwicklung der Medizinaltechnik deutlich, wo das breite Publikum wenig interessiert war an einem detaillierten Verständnis der Produkte, sondern allein auf deren Nützlichkeit bedacht war. Wenn aber die Praktikabilität die Wahrheit des Design-Arguments ist, und wenn dieses Argument von so vielen Nutzungsfaktoren abhängig ist, dass wir seine Effektivität unmöglich getrennt von diesen einschätzen können, dann bleibt uns lediglich das Abschätzen eines wahrscheinlichen Erfolgs, der Rat von Experten und die Bereitschaft, Risiken einzugehen. Zu all dem gesellt sich noch das ständige Bewusstsein, dass mangelhaftes technologisches Denken oft verdeckt wird, ähnlich wie ein Politiker einen Mangel an Ideen und rationalen Argumenten mit angenehm klingenden Floskeln und einer imposanten Persönlichkeit überspielt. Dies führt uns zu den anderen Elementen des Design-Arguments – Elementen, die über eine mangelhafte Argumentation hinwegtäuschen oder aber effektives Denken ergänzen und somit die Überzeugungskraft eines Produkts stärken und zur Zufriedenheit des Anwenders beitragen können. Das zweite Element ist der Charakter oder das Ethos. Produkte haben einen Charakter, da sie in besonderer Weise ihre Erschaffer reflektieren. Von daher besteht ein Teil der professionellen Designarbeit in der bewussten Kontrolle dieses Charakters, um potenzielle Anwender davon zu überzeugen, dass ein Produkt Glaubwürdigkeit besitzt. Im Wesentlichen geht es darum, wie Designschaffende sich selbst in ihren Produkten darstellen, und zwar nicht so, wie sie wirklich sind, sondern wie sie gerne gesehen werden möchten. Designer geben Objekten eine Stimme und verleihen ihnen persönliche Eigenschaften, von denen sie annehmen, dass sie bei den Nutzern Vertrauen wecken, und zwar ganz unabhängig davon, ob das technologische Argument stichhaltig ist oder nicht. Dies mag gegebenenfalls etwas so Simples und Designfremdes wie ein Designer-Etikett sein, doch eigentlich geht es hier um Charaktereigenschaften, die in allen Beispielen effektiver Kommunikation persuasiv sind, nämlich gesunder Menschenverstand, offenkundige Tugendhaftigkeit und Goodwill gegenüber dem Publikum. Charakter mag eine subtile Form der Überzeugung sein, doch ist er im Design außerordentlich wichtig. Halten wir uns einmal die verschiedenen Charaktereigenschaften vor Augen, die von den bereits besprochenen Objekten ausgestrahlt werden. Die beiden Zirkel (Abbildung 4) zum Beispiel sprechen eine sehr unterschiedliche Sprache. Der große Zirkel wirkt sowohl intelligent als auch effizient hinsichtlich der Erfüllung eines bestimmten Zwecks, da er seine Logik klipp und klar demonstriert. Er spricht mit der Stimme der Vernunft und weist die Eigenschaften eines praktischen, handfesten und schlichten Charakters auf. Im Gegensatz dazu wirkt der Charakter des kleineren Zirkels ein wenig mysteriöser oder unnahbarer und oberflächlich gesehen vielleicht eleganter. Bei diesem ist die Verbindung zwischen dem technologischen Gedanken des Design-Arguments und dessen ethischen Aspekten weniger direkt. Dieses Werkzeug spricht ebenfalls mit einer vernünftigen und intelligenten Stimme, doch rührt diese Eigenschaft hier eher daher, dass das Objekt als Instrument wahrgenommen wird, da es ja seine Funktionsweise nicht unmit-
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telbar zur Schau stellt. Hinsichtlich seines Charakters überzeugt dieses Instrument durch Autorität, eine Eigenschaft, die für viele wichtiger ist als gesunder Menschenverstand oder Intelligenz. Die Frage des Produktcharakters ist ein fundamentales Thema in der Designpraxis und -theorie der Postmoderne, weshalb es von Designschaffenden wie Designkritikern genauer unter die Lupe genommen werden müsste. Denn die schärfsten Konflikte und Differenzen zeigen sich nicht in der technologischen Argumentation oder Ästhetik, sondern im Ethos eines Produkts. Denken wir beispielsweise an die endlose Auswahl an Massenprodukten, welche die Warenwelt überfluten und von vielen als Kitsch angesehen werden (Abbildung 9).29 Solche Objekte überzeugen uns nicht, weil sie schön sind, sondern weil sie ein Interesse an Schönheit demonstrieren. Sie sprechen eine vertraute, glaubwürdige Sprache, in der ästhetische Empfindsamkeit als Vorzug verstanden wird, egal, ob die Realität diesem Anspruch gerecht wird oder nicht. Vielleicht sind die meisten Objekte der Massenkultur in ähnlicher Weise überzeugend, nicht weil sie aus einem besonderen Material gefertigt wären oder sogar einen cleveren emotionalen Appell besitzen, sondern weil sie eine vertraute Sprache sprechen, sich um die alltäglichen Tugenden kümmern und somit Autorität verkörpern. Ironischerweise besitzen genau jene Designerinnen und Designer, welche glauben, die Kultur voranzutreiben oder die Vorstellungskraft in konstruktiver Weise herauszufordern, recht wenig Autorität in der breiten Öffentlichkeit. Ihre Produkte wirken oft irgendwie feindselig und beängstigend oder sie sind so subtil, dass sie kaum wahrgenommen werden. Dies gilt insbesondere für die Avantgarde, deren Arbeiten oft ein Ethos der Lebendigkeit, Widerspenstigkeit und manchmal auch der intelligenten Imagination versprühen, denen es jedoch in den Augen der breiten Öffentlichkeit, die sich eher verschaukelt vorkommt, an Verbindlichkeit und Glaubwürdigkeit fehlt. Ähnliches gilt aber auch für die Designer von Krups oder Braun, deren Arbeiten oft so bescheiden und unaufdringlich daherkommen, dass sie nahezu unbemerkt bleiben. Diese Designer versuchen dieses Defizit zu kompensieren, indem sie die Anwenderfreundlichkeit ihrer Produkte betonen und Wohlwollen gegenüber den Anwendern als ethischen Überzeugungsfaktor einsetzen. So bescheiden die Krups Kaffeemühle auch wirken mag, sie ist erfreulich einfach zu benutzen. Avantgarde-Designer ignorieren dieses Problem für gewöhnlich, oder sie setzen ihm das Ethos der Exzentrik entgegen, wobei sie sich an ein kleines Publikum so genannter Trendsetter wenden. Die Avantgarde war schon immer ein Charaktertyp, der romantisch, tugendhaft (gemäß eigenen Standards) und heroisch in den Kampf gegen den konventionellen Geschmack zog, ob dieser nun kultiviert war oder nicht. Beide erwähnten Gruppen von Designern hadern immer wieder mit dem Problem des Ethos und der Glaubwürdigkeit, und im kulturellen Dialog mit dem Massenpublikum sprechen sie oft die weniger überzeugende Sprache. Es kann vorkommen, dass ein Publikum, das für gewöhnlich einem anspruchsvollen Design zugeneigt ist, aus Frustration eine Vorliebe für Kitsch entwickelt.30 Für dieses Publikum gilt die Ironie als die überzeugendste Eigenschaft, und einige Designer spielen heutzutage absichtlich damit, indem sie Objekte der Massenkultur imitieren. Doch sind diese Design-Argumente nur oberflächlich gesehen amüsant; sie sind nämlich Indizien einer aufkeimenden
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Selle, Gert (Frühjahr 1984): «There is no Kitsch, There is Only Design». In: Design Issues 1/1.
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Sontag, Susan (1966): «Notes on Camp». In: Against Interpretation. New York: Noonday Press.
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Bitterkeit im postmodernen Umfeld. Ein ehrliches und direktes Statement erreichen sie allenfalls im Punk, dessen Design-Argument im Wesentlichen aus Protest besteht.31 Das technologische Argument ist in der Punk-Bewegung entweder völlig zerstört oder wird nur widerwillig präsentiert, wie zum Beispiel in der Kleidung mit den typischen Löchern und Rissen, die als metaphorischer Ausdruck für die moralische Konsequenz des heutigen Lebens zu sehen ist. Das dritte Element eines Design-Arguments, nämlich die Emotion oder das Pathos, wird gelegentlich als die wahre Heimat des Designs angesehen, was ihm den Status von Kunst verleihen würde. Natürlich gibt es Designer, die sich in erster Linie als Künstler verstehen. Dies erklärt vielleicht auch, warum sie stillschweigend die zweifelhafte Rolle akzeptieren, die ihnen von Kunsthistorikern zugewiesen wird, denen zufolge Design nur eine mindere Kunst ist, die sich um Dekoration kümmert. Doch ist die Emotion lediglich eine Brücke des Austauschs mit Ästhetik und Kunst, im selben Sinne, wie das technologische Argument nur eine Brücke zu den Natur- und Sozialwissenschaften bildet, oder wie auch der Charakter den Brückenschlag zur Ethik und Politik macht. Wenn Emotion ins Design einfließt, so geschieht dies nicht aus Selbstzweck, sondern im Sinne der persuasiven Kommunikation und im Dienste eines weiter greifenden Arguments. Die Aufgabe für den Designer besteht darin, das Publikum in eine bestimmte Stimmung zu versetzen, sodass es – wenn es ein Produkt benutzt – davon überzeugt ist, etwas Begehrenswertes und den Alltag Bereicherndes vor sich zu haben. Ein Design beeinflusst die Art und Weise, wie wir uns in der direkten Begegnung mit unserem Umfeld fühlen; es bietet uns Momente der Klärung und Erfüllung, die uns an Begegnungen mit der Kunst erinnern mögen, obwohl hier der Zweck ganz praktisch und vermutlich sogar profan ist.32 Die Mittel der emotionalen Überzeugung sind für alle Design-Argumente gleich; sie beruhen auf dem physischen Kontakt mit einem Objekt oder auf der aktiven Betrachtung des Gegenstands vor, während oder nach dem Gebrauch. Durch das Erfahren von Bewegung entstehen starke Gefühle, ob es sich dabei um die Handbewegungen handelt, die wir ausführen, wenn wir einen Gegenstand benutzen oder um die Bewegungen unseres Blicks, wenn er dessen Umrisse, Farbe und Muster verfolgt. Gerade diese Fähigkeit ist es, die das emotionale Argument eines Designobjekts so kraftvoll und überzeugend macht: sie hebt die Entfernung zwischen dem Objekt und dem Geist des Nutzers auf, was dazu führt, dass jene sich mit der expressiven Dynamik des Objekts identifizieren und ihm gestatten, sie mitzureißen, wohin auch immer die Reise gehen wird. Wir können verschiedene Design-Argumente unterscheiden, indem wir fragen, wohin uns die Dynamik eines Objekts führt. Sehen wir uns einmal den hier abgebildeten Schraubenschlüssel an (Abbildung 10). Was auch immer der technologische Grund für diese Konfiguration sein mag, die schlichte Biegung ist so ansprechend, dass man – selbst wenn man keine Verwendung für ein solches Werkzeug hat – den emotionalen Appell dieses Objekts nachempfinden kann. Es scheint die Fantasie des Betrachters auf einer dynamischen Achse hin und her pendeln zu lassen, die sowohl visuell als auch physisch
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Hebdige, Dick (1979): Subculture: The Meaning of Style. London: Methuen and Co. Ltd. Dewey, John (1958): Art As Experience. New York: Capricorn Books, S. 35. In diesem bedeutenden Werk zur Philosophie der Ästhetik versucht Dewey eine Wiederherstellung der Kontinuität zwischen Kunstobjekten, die von den Bedingungen ihres Ursprungs getrennt wurden, und den ästhetischen Eigenschaften des Alltagslebens, die wir in der Begegnung mit unserer Umgebung vorfinden.
Abbildung 9 Schale und Zuckerbehälter in Form eines Vogels, die auf das intendierte Zielpublikum überzeugend wirken mögen.
Abbildung 10 Die auffällige Biegung dieses Schraubenschlüssels übt eine subtile emotionale Anziehungskraft aus.
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angenehm ist, wenn das Werkzeug in der Hand gehalten wird. Wie auch im klassischen Design steht die Emotion im Dienst des Gebrauchs und bereichert ihn, aber sie definiert zugleich auch das Objekt als ein unabhängiges Ganzes. Die Krups Kaffeemühle (Abbildung 2) und die Braun Hi-Fi-Anlage (Abbildung 5) scheinen autark und selbstgenügsam zu sein. Sie stehen im Kontrast zur eher angespannten Erscheinung der Tischlampe Ashoka (Abbildung 6). Obwohl sie symmetrisch ist, scheint sie in alle Richtungen auszustrahlen. Auf ähnliche Weise reichen Shires Sessel Bel Air (Abbildung 7) und Sottsass’ Deckenleuchte (Abbildung 8) über sich selbst hinaus und akzentuieren die Umgebung und vielleicht sogar den sozialen Kontext, in dem sie genutzt werden. Hier intensiviert die Emotion die Umgebung, indem sie beispielsweise den sozialen Anlass des Essens einfängt, auch wenn die Objekte dabei stets auch ihre ganz simplen Funktionen erfüllen. Anstatt selbstgenügsam zu sein, scheinen diese Objekte eine Verbindung und Beziehung mit anderen Objekten und Personen in ihrer Umgebung zu suchen, da ihre emotionale Energie nach außen gerichtet ist. Vergleichen wir nun diese beiden Weisen, in denen Emotion eingesetzt werden kann, mit den schwungvollen, spielerischen Linien auf dem Becher in Abbildung 11. Die Form des Bechers selbst scheint sanft, doch die Dynamik des Musters hält unsere Aufmerksamkeit mit überraschender Intensität gefangen; man kann eine schwer fassbare Ordnung oder Symmetrie spüren, doch ist man zu sehr in der Vitalität des Musters gefangen, als dass man sich um Balance kümmern würde. Der Becher scheint uns entgegenzukommen, und wir sind versucht, nach ihm zu greifen. Die Emotion ist hier weder von klassischer Ruhe noch von herausdrängender Nervosität geprägt, vielmehr haben wir es mit einem leisen und feinen Spiel zu tun, das sich subtil an uns herantastet und die Imagination beflügelt. Es ist überraschend, wie rasch wir uns im Bereich der figurativen Sprache bewegen, sobald wir die Überzeugungskraft von Linien beschreiben wollen. Dies ist ein Zeichen der starken Identität zwischen Objekt und Betrachter, die durch den emotionalen Aspekt des Designs hergestellt wurde. Wie bereits der Kunstgeschichtler Joshua Taylor bemerkte: «To say that a line in a painting twists and turns is, of course, a highly figurative statement. It does nothing of the sort. It is we who twist and turn looking at it.»33 Wie weit eine solche Identifizierung im Design gehen kann, wird deutlich, wenn wir uns vor Augen halten, dass der emotionale Appell so kraftvoll sein kann, dass ein Gebrauchsgegenstand sich in ein Objekt der reinen Kontemplation verwandelt, das für den Betrachter einen Wert an sich erhält und nicht nur Mittel zum Zweck ist. Die hier abgebildete Vase und der Becher (aus Japan beziehungsweise aus Marokko) und andere bereits besprochene Objekte könnten auch als Kunstobjekte verstanden werden, die unabhängig von ihrem Nutzen einen Wert besitzen. Dies gilt auch für die handgefertigte Maske in Abbildung 12. Sie wurde für einen praktischen Zweck geschaffen – unter offensichtlicher Beherrschung des technologischen und ethischen Elements, was sie für die Verwendung bei Ritualen und Festen tauglich macht, die im Alltagsleben einer sogenannten «primitiven» Kultur wichtig sind. Darüber hinaus wurde ein emotionales Argument verwendet, das tief in die menschliche Seele hineinreicht und kulturübergreifend ist: es veranlasst uns zu einer völlig anderen Art der Kontemplation – nicht zur Betrachtung der Schönheit, sondern des Grotesken und Beängstigenden.
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Taylor, Joshua C. (1975): To See Is To Think: Looking At American Art. Washington DC: Smithsonian Institution Press, S. 85. Dieses Zitat stammt aus einem Essay mit dem Titel «Persuasion». Siehe auch: «The Pure and the Impure» bezüglich Theorien zur Ästhetik, die auch für das Design von Bedeutung sind.
Abbildung 11 Der handgefertigte marokkanische Becher und die industriell hergestellte japanische Vase kommunizieren unterschiedliche Eigenschaften von Räumlichkeit und Bewegung.
Abbildung 12 Diese handgearbeitete Maske aus Bali stellt ein überzeugendes emotionales Argument dar, das über den rhetorischen Zweck, für den die Maske geschaffen wurde, hinausreicht. Die Maske wird so zur Skulptur, die ein allgemeines Publikum anspricht.
Abbildung 13 Man vergleiche dieses Memphis Tischservice mit der Schale und dem Zuckerbehälter in Abbildung 9. Bei den hier abgebildeten Objekten handelt es sich um (von links nach rechts): Pfefferstreuer Ontario, Behälter für Zahnstocher Erie, Schälchen für Knabberzeug Superior und Salzstreuer Michigan.
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Der emotionale Appell von Produkten reicht vom Trivialen bis zum Tiefgründigen, und in der Postmoderne finden wir das gesamte Spektrum vor. Einige De- signer setzen Emotionen auf oberflächliche und nötigende Weise ein. Mit trivialen Tricks, die wenig mit dem technologischen Argument oder Charakter zu tun haben, versuchen sie, die Leidenschaften potenzieller Kunden zu wecken. Die Argumente solcher Designer kann man kaum als Argumente bezeichnen, sondern vielmehr als Versuche, einem passiven und ausgelieferten Publikum unreflektierte Ansichten und Marketing-Sprüche aufzuzwingen, ohne sich darum zu kümmern, ob das Produkt überhaupt den Zweck erfüllt, für den es geschaffen wurde. Wiederum andere Designer, die für viele Produkte unserer Warenwelt verantwortlich sind, verlassen sich auf schwache und oft sentimentale Emotionen, die sich am vorherrschenden Geschmack des Publikums orientieren wie auch an populären Ansichten darüber, was kunstvoll oder schön sei (vergleiche beispielsweise die Objekte in Abbildung 9 mit dem unkonventionellen Memphis Tischservice von Matteo Thun in Abbildung 13). Die stärksten Designer, das heißt jene, die mit der deutlichsten Stimme sprechen und so gut wie immer überzeugen, sind stets auf der Suche nach neuen Möglichkeiten, die emotionale Ausdruckskraft im Alltag nutzbar zu machen. Ihre Produkte wirken attraktiv und können das Publikum auf überraschend neue Weise in ihren Bann ziehen. Aus diesen Fähigkeiten lässt sich die Bedeutung der Emotion als Überzeugungsmittel ableiten. Sie liefert zwar keine eindeutigen Hinweise auf die Ansichten des Designers zur Technologie oder über das soziale Leben, doch hilft sie dem Publikum, neue Möglichkeiten des Alltagslebens zu erwägen und offen zu bleiben gegenüber den technologischen und ethischen Merkmalen eines Produkts. Der Zweck des Design-Arguments Nachdem wir die Elemente eines Design-Arguments identifiziert und deren Wechselbeziehung anhand verschiedener Produkte erläutert haben, stellt sich nun die Frage, was durch solche Argumente eigentlich erreicht wird. Erfüllen Design-Argumente denselben Zweck wie rhetorische Argumente in der Sprache? Um diese Frage zu beantworten, möchte ich zunächst kurz zur Diskussion der Beziehung zwischen Rhetorik und Design zurückkehren. Dort habe ich die Behauptung aufgestellt, dass unser Verständnis von Rhetorik bisher auf die Sprache beschränkt war, dass jedoch aus all den heute verfügbaren, von Menschenhand geschaffenen Gegenständen eine weitere, bisher unerkannte Form der Rhetorik entsteht, nämlich die Rhetorik der Dinge. Es kann wohl kaum bezweifelt werden, dass gestalteten Objekten eine Form der Kommunikation innewohnt. Dies zeigt sich nicht nur im Einfluss, den rhetorische Themen auf die Formulierung von Methoden in Designgeschichte, -theorie und -kritik genommen haben, sondern auch in den immer genauer werdenden Angaben darüber, wie rhetorische Überlegungen die Designpraxis anleiten. Die wichtigste Frage allerdings ist jene nach dem Wesen dieser Kommunikation. Kommuniziert ein gestaltetes Objekt bloß in dem Sinne, dass es ein Zeichen (oder eine Zeichenmenge) seiner Produktionsbedingungen ist, so wie Rauch ein Zeichen für Feuer ist? Kommuniziert ein Objekt auch durch die Art seiner Gestaltung, die Ausdruck von Emotionen und ästhetischen Eigenschaften ist? Oder ist mit der Idee von Design
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gar eine Form der Kommunikation verknüpft, die alle Aspekte der Schaffung und Gestaltung von Gebrauchsgegenständen umfasst, und ist somit die Designpraxis selbst – unabhängig von der Art des produzierten Gegenstands – keine Kunst der Dekoration, sondern eine Form der Rhetorik, welche Objekte hervorbringt, die in jeder Hinsicht persuasiv sind? Was uns hauptsächlich daran hindert, die zuletzt genannte Auffassung zu vertreten, ist unser Verständnis vom Wesen der Technologie. Solange die Technologie oder das technologische Denken als bloße Ableitung naturwissenschaftlicher Prinzipien verstanden wird, gibt es keinen sinnvollen Weg, sie als persuasiv zu interpretieren. Die technologische Entwicklung wäre dann ein unausweichlicher Prozess, angetrieben vom wissenschaftlichen Fortschritt. Dagegen wären Fragen des Werts und sozialer Konsequenzen für die Designpraxis irrelevant und sollten besser der Politik und der Öffentlichkeit überlassen werden, anstatt die Designer zu beschäftigen. Doch wie wichtig die Naturwissenschaften für die Entwicklung der Technologie auch sein mögen, so basiert der Prozess des technologischen Denkens dennoch wesentlich auf einer bewussten oder unbewussten Auswahl von Werten. Diese Werte fungieren bei der Designarbeit als wichtige Prämissen, die sich unmittelbar auswirken auf die essenziellen Eigenschaften des gestalteten Objekts, und nicht nur auf dessen oberflächliche Erscheinung. Ist diese Annahme richtig, dann rückt die Möglichkeit einer eigentlichen Rhetorik des Designs in Reichweite, auch wenn deren exakte Natur und Eigenschaften erst noch identifiziert und definiert werden müssen. Eine Rhetorik des Designs wird möglich, weil das technologische Denken – als einer der Hauptaspekte im Design, der zugleich objektiv und frei von menschlichen Werten und Meinungen zu sein scheint – sich in Tat und Wahrheit immer in Bezug auf ein Publikum entwickelt. Der Erfolg der Designarbeit wird nicht theoretisch durch eine kleine Gruppe von Experten bestimmt, sondern ganz praktisch und konkret durch das Appellieren an die Interessen, Ansichten, Meinungen und Wertvorstellungen der Anwender. Auf dieser Basis habe ich versucht, in dieser Abhandlung aufzuzeigen, dass es möglich ist, gestaltete Objekte vom Gesichtspunkt der Rhetorik aus zu untersuchen und dabei die rhetorischen Methoden anzuwenden, die traditionell für das Studium verbaler Kommunikation genutzt werden. Das Ergebnis ist eine konkrete Darstellung der Weisen, in denen Objekte überzeugend sein können und in denen Designer die drei Elemente der Argumentation bewusst einsetzen können, um Dinge zu gestalten und ihnen Überzeugungskraft zu verleihen. Doch um welche Form der Überzeugung geht es hier? Es wäre natürlich gedankenlos anzunehmen, dass wir mit Objekten in derselben Weise interagieren wie mit Worten. Wenn dies der Fall wäre, müsste man sich fragen, welcher Wert denn noch in den Wörtern liegt, und warum die Menschheit instinktiv oder bewusst über solch einen langen Zeitraum das System der Sprache entwickelt hat. Überzeugungskraft in der Sprache kann sich in drei verschiedene Richtungen orientieren. Sie kann sich auf die Vergangenheit beziehen, wie beispielsweise in einer Gerichtsverhandlung, in der wir davon überzeugt werden sollen, ein bestimmtes Urteil über einen Sachverhalt zu treffen. Sie kann sich aber auch auf die Zukunft beziehen, wie zum Beispiel in einer politischen Diskussion, die uns überzeugen soll, uns für eine gewisse Handlung zu entscheiden. Und zu guter Letzt kann sie sich auch an die Gegenwart richten, wie es in einer Reihe sozialer Zeremonien der Fall ist, in denen wir davon überzeugt
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werden sollen, dass eine Sache wertvoll oder nutzlos, lobens- oder tadelnswert ist. Die letztere Form ist auch als Epideiktik oder demonstrative Rhetorik bekannt und ist vielleicht die rätselhafteste aller rhetorischen Formen, da sie auf Elementen der Vergangenheit basiert und zukünftige Möglichkeiten andeutet, sich jedoch hauptsächlich mit den Ansichten der Gegenwart beschäftigt.34 Von diesen drei Richtungen entsprechen das Design-Argument und die Rhetorik der Dinge am ehesten der demonstrativen Rhetorik. Sie sind Dar- oder Ausstellungen, die auf der Vergangenheit beruhen (im Sinne traditioneller Formen und Figuren oder bereits bekannter wissenschaftlicher Prinzipien, die als Voraussetzung für die Konstruktion dienen) und Möglichkeiten für die Zukunft vorschlagen (wie zum Beispiel zukünftige Aktivitäten, die durch ein bestimmtes Objekt möglich gemacht werden), doch existieren sie in erster Linie in der Gegenwart, im Sinne von Statements. Produkte erhalten ihre Bedeutung für uns im Gebrauch, weshalb sie bezeichnenderweise in einer Art Omnipräsenz existieren. Im Gegensatz zu Worten, die Menschen zu bestimmten Urteilen über die Vergangenheit oder Zukunft veranlassen können, und welche Ansichten, Ideen und Wertvorstellungen vorbringen, die in der Gegenwart anerkannt werden können, verkünden gestaltete Objekte primär ihre eigene Existenz und, durch diese Existenz, jene Ansichten, die ein integraler Bestandteil ihres gegenwärtigen Seins sind. In dieser Hinsicht haben Designprodukte einen ähnlichen rhetorischen Status wie Kunstwerke. Der Kritiker Harold Rosenberg sagte über das Kunstobjekt: «Its nature is contingent upon recognition by the current communion of the knowing. Art does not exist. It declares itself.»35 Er meint damit, dass die Existenz einer Arbeit und ihr Status als Kunstwerk nicht selbstverständlich sind. Eine Arbeit in der gegenwärtigen Kultur muss sich selbst als Kunstwerk deklarieren und das Publikum davon überzeugen, diesen Status anzuerkennen. Sonst ist es unmöglich, ein Kunstwerk von anderen künstlich hergestellten Objekten zu unterscheiden. Übertragen wir Rosenbergs Idee auf Designobjekte, so müssen sich diese anders deklarieren als Kunstwerke, da sie ganz andere Haltungen und Werte vorbringen: Während das Kunstwerk seine Freiheit von jeglicher Nützlichkeit verkündet, preist sich das Designobjekt als gebrauchsbereit an – die rhetorische Form jedoch ist in beiden Fällen dieselbe.36 Wenn Produkte also Einstellungen beeinflussen und formen, dann tun sie dies einzig durch ihre persuasive Kraft, die entweder erkannt wird oder nicht. Letztendlich müssen die Anwender jedoch ihre eigenen Überlegungen anstellen, ob oder wie sie diese Produkte in Zukunft nutzen wollen. Die Krups Kaffeemühle (Abbildung 2) zum Beispiel stellt ein unaufdringliches Statement oder eine Demonstration dar, wie man auf effektive Weise Kaffeebohnen mahlen kann. Sie ist ein durchaus überzeugend wirkendes Objekt, und ihre Überzeugungskraft beruht sowohl auf dem Charakter und der Emotion als auch auf der technologischen Argumentation, welche gemeinsam das Design-Argument ausmachen. Doch ist dies ledig-
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Perelman, Chaim und Olbrechts-Tyteca, L. (1969): The New Rhetoric: A Treatise on Argument. Notre Dame: University of Notre Dame Press, S. 47-51. Perelman argumentiert, dass die Epideiktik ein zentrales Mittel der Überzeugungskunst ist, da sie das Festhalten an Wertvorstellungen verstärkt und somit eine Disposition zur Handlung begünstigt. Der Sprecher oder die Sprecherin etabliert ein Gemeinschaftsgefühl auf der Grundlage von Werten, die vom Publikum geteilt werden.
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Rosenberg, Harold (1964): The Anxious Object: Art Today and Its Audience. New York: The New Ameri- can Library, S. 20. Diese wichtige Studie zur Kunst steht in der rhetorischen Tradition, in der Malerei, Poesie und andere Kunstformen als epideiktische Rhetorik verstanden werden.
Ders., The Anxious Object, S. 21.
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lich ein Statement; es ist Sache der Nutzer, zu entscheiden, ob sie dieses Objekt kaufen und wie sie es in ihrem Alltag nutzen wollen. In diesem Fall ist das Objekt so zurückhaltend in seinem Anspruch und seiner Darstellung, dass man sich leicht vorstellen kann, wie es mit anderen Gegenständen zu Hause kombiniert werden könnte. Die Tatsache, dass sich die Kaffeemühle mit andersartigen Objekten und Stilen gut kombinieren lässt, ist in der Tat einer ihrer Vorzüge. Und tatsächlich haben Menschen ihre alltäglichen Gewohnheiten geändert aufgrund dessen, was dieses Produkt für sie zu tun behauptet. So trivial dieses Beispiel auch sein mag, die Situation sieht kaum anders aus, wenn es um komplexere Produkte oder Technologien geht: die Erklärungs-Rhetorik eines Produkts wird dann einfach in die allgemeinere verbale Rhetorik integriert, mit der ja auch möglich ist, über die Zukunft nachzudenken oder die Vergangenheit zu beurteilen.37 Das Produkt verlangt also mit allen Mitteln der Argumentation, wie sie hier diskutiert wurden, nach Anerkennung, aber es bleibt uns überlassen – oder wir sind vielmehr dazu aufgefordert –, es in einen weiteren sozialen Kontext zu stellen, in dem die verbale Rhetorik ganz entscheidenden Einfluss auf die praktische Anwendung des Produkts nimmt. Rhetorik und Design als architektonische Kunst Eine wichtige Schlussfolgerung betrifft das Wesen der architektonischen Künste in unserer heutigen Kultur. Architektonische Disziplinen sind dadurch charakterisiert, dass sie die Arbeiten anderer Künstler und Handwerker organisieren und somit Ordnung und Zweckgerichtetheit in die Produktion bringen.38 Die Architektur zum Beispiel war immer schon eine architektonische Tätigkeit, da es in der Konstruktion von Gebäuden zahlreiche spezialisierte Disziplinen zu orchestrieren gilt, deren Produkte zu einem Gesamtwerk zusammenfügt werden müssen. Kurz gesagt, liefert die Architektur das Denken und die Ideen, welche die Seele der Produktion ausmachen. Es gibt allerdings einige Hinweise darauf, dass die Architektur selbst nur eine Form innerhalb einer noch weiter gespannten architektonischen Disziplin ist, die aus unserem modernen Leben hervorgegangen ist. So wird der Ausdruck «Architektur» heutzutage als Metapher genutzt, um die Struktur und Organisation von zahlreichen Dingen zu bezeichnen, und nicht mehr nur von Gebäuden: Hier wäre zum Beispiel die Architektur von Computersystemen zu nennen oder auch die Architektur der drei größten miteinander verwobenen technologischen Systeme unserer Zeit, nämlich des Elektrizitätsnetzes, des Transportsystems und des Kommunikationssystems. Die naheliegendste Bezeichnung für diese neue, moderne architektonische Disziplin ist zweifellos «Design». Design findet sich in allen Formen der Produktion, die für den Gebrauch bestimmt sind. Es liefert die Intelligenz, das Denken oder die Idee – eine der Bedeutungen des Wortes
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Man bedenke beispielsweise die Rolle der Enstehung politischer Strategien – ein klassisches Beispiel verbaler Rhetorik in Bezug auf die Entwicklung und Einführung technologischer Systeme. Siehe auch Baker, Robert F., Michaels, Richard M. und Preston, Everett S. (1975): Public Policy Development: Linking the Technical and Political Processes. New York: John Wiley & Sons.
McKeon, Richard: «The Uses of Rhetoric in a Technological Age», S. 45.
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«Design» im angelsächsischen Sprachgebrauch ist «Konzept» oder «Plan» –, welche alle Ebenen der Produktion organisieren, sei es im Grafikdesign, Ingenieurwesen, Industriedesign, in der Architektur oder in den größten integrierten Systemen der Stadtplanung.39 Wenn jedoch Design eine architektonische Disziplin in Bezug auf die Welt der Dinge ist, dann müssen seine Arbeiten und Produkte wiederum von einer anderen architektonischen Disziplin geleitet werden, welche die Objekte in soziale Aktivitäten integriert und die Designpraxis in jedem Schritt anleitet. Diese architektonische Disziplin ist die Rhetorik – jedoch nicht einfach die herkömmliche verbale Rhetorik, sondern Rhetorik als eine Kunst des Denkens. Die Rhetorik ist architektonisch in Bezug auf das Denken, insofern sie es für ein Publikum formuliert und in Worten, Dingen oder Handlungen präsentiert.40 In dieser Abhandlung sind einige Aspekte der Rhetorik als architektonischer Kunst, wie sie sich aus der verbalen Rhetorik ableiten lässt, kurz angedeutet worden. Doch können wir dieses Konzept noch ein wenig deutlicher anhand der Designpraxis illustrieren, wenn wir uns John Piles Definition von Design als Verb (also «to design») ansehen: «We do not have an ideal word for the processes of choice and decision-making that determine how things are to be made. Design will have to serve us, although its many meanings – from decorative pattern, to the selection of sizes for plumbing pipes – can be a source of confusion. The word is used here to mean the making of decisions about size, shape, arrangement, material, fabrication technique, color and finish that establish how an object is to be made. The object can be a city or town, a building, a vehicle, a tool or any other object, a book, an advertisement or a stage set. Designers are people who make such decisions, although they will, most often, have some other name describing their specialized concern: architect, engineer, town planner or, possibly, craftsman.»41 In diesem Zitat wird deutlich, wie Design mittels wohlbedachter Entscheidungen architektonisch in der Herstellung von Dingen wirkt, aber es lässt sich auch die Rolle der Rhetorik bei der Anleitung dieses Entscheidungsprozesses ablesen. Wenn wir nach den Grundsätzen fragen, auf denen die Entscheidungen in all den von Pile genannten Bereichen beruhen, dann sind wir wieder bei dem Netz menschlicher Faktoren, Ansichten und Wertvorstellungen angelangt, die in der Rhetorik von zentraler Bedeutung sind. Eine fachkundige und kluge Designpraxis erfordert eine ebenso fachkundige und kluge Praxis
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Nicht von ungefähr weist diese Auflistung Ähnlichkeiten mit dem aus dem Mittelalter stammenden «Quadrivium» auf. Dies bezeichnet die vier freien Künste oder Fakultäten, die sich mit sukzessive größer werdenden integrativen Problemen befassten. Die Entdeckung eines modernen Quadriviums durch die Rhetorik der Dinge ist einer der interessantesten Aspekte hinsichtlich eines rhetorischen Ansatzes im Design und legt wiederum nahe, dass das Design eine primär architektonische Disziplin in unserer Kultur darstellt.
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Die Erweiterung der Rhetorik zur architektonischen Kunst im zwanzigsten Jahrhundert ist als Folge einer zunehmenden Erkenntnis zu sehen, dass das Vorhandensein signifikanter rhetorischer Ansätze in vielen Bereichen nachgewiesen werden kann, die bisher vernachlässigt wurden. Wir entdecken zum Beispiel gerade, dass der wissenschaftliche Diskurs diverse signifikante rhetorische Elemente enthält. Siehe zum Beispiel Edmonson, Ricca (1984): The Rhetoric of Sociology. London: The MacMil- lan Press Ltd. Hinweise auf eine Rhetorik der Dinge sind im hier vorliegenden Text dargestellt. Die Rhetorik der Handlung kann anhand von Phänomenen wie zum Beispiel Demonstrationen der Bürgerrechtsbewegung oder anderen Protestmärschen belegt werden, die Ausdruck von Missstän- den oder Ungerechtigkeiten sind. Hinsichtlich des Einsatzes von Aktionen zur Kommunikation von Protest siehe beispielsweise Alinsky, Saul (1971): Rules for Radicals. New York: Random House. In diesem Kontext wäre es interessant, George Pullmans Aussage, die in den Gebäuden der Pullman Community formuliert ist, mit der der Arbeiter in deren Streikaktion zu vergleichen (siehe Fußnote 20).
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Pile, John F.: Design, S. 6.
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der Rhetorik. Dies nicht nur bei der Formulierung eines Produktkonzepts, bei der sich Designer, Manager und andere Involvierte in verbalem Erfindungsreichtum und in Überzeugungskunst übertreffen, sondern vielmehr auch in der überzeugenden Präsentation und Deklaration dieses Konzepts in den Produkten selbst. Ob es sich um das kleinste, nebensächlichste Objekt oder das größte integrierte technologische System handelt, stets bewirken Designer eine Verstärkung von Ideen durch die gestalteten Dinge.42 Deshalb sollten wir die Geschichte und heutige Praxis des Designs nicht als zwangsläufiges Ergebnis dialektischer Notwendigkeit verstehen, die aus den ökonomischen Bedingungen oder dem technologischen Fortschritt ableitbar ist. Vielmehr würden wir gut daran tun, die offensichtliche Verwirrung unserer Produktkultur als den pluralistischen Ausdruck der verschiedensten, oft widersprüchlichen Ideen zu begreifen und dazu überzugehen, die Vielfalt und Implikationen dieser Ideen genauer zu untersuchen. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass die architektonische Kunst der Rhetorik derzeit besser verstanden würde als das sich ebenfalls architektonisch entwickelnde Design. Die Rhetorik erfährt im zwanzigsten Jahrhundert eine Weiterentwicklung, an der unter anderem auch Designer mitarbeiten, um gewisse aktuelle Probleme zu lösen. Wenn Designer von der detaillierten Diskussion rhetorischer Themen profitieren, dann dürften umgekehrt diejenigen, die an Rhetorik interessiert sind, umso größeren Nutzen ziehen aus der Untersuchung der Frage, wie im Design mittels persuasiver Statements kontinuierlich die Gesellschaft beeinflusst und gestaltet wird. Wir können uns dem Gedanken nicht entziehen, dass Designer dabei sind, einen völlig neuen Aspekt der demonstrativen Rhetorik zu entdecken, der unser Verständnis von Rhetorik als einer modernen architektonischen Kunst ganz entscheidend bestimmen wird.
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Amplifikation ist ein gebräuchliches Mittel in der Rhetorik und bedeutet heute zumeist die kunstvolle Erweiterung einer einfachen Aussage. Aristoteles jedoch bezieht sich auf die Amplifikation als eines der Themen der Invention und auch als eine Form der Argumentation, die sich besonders für die epideiktische (demonstrative) Rhetorik eignet. Darüber hinaus betrachtet er Amplifikation nicht nur als verbales Werkzeug, sondern vielmehr auch als eine Form der kunstvollen Aufbereitung der Eigen- schaften eines Themas. Siehe hierzu Aristotle, Rhetoric, S. 105 und 343. In dem hier vorliegenden Text wird Amplifikation als eine Form der kunstvollen Aufbereitung unseres Alltags verstanden, mit dem Ziel der Verbesserung der Lebensqualität.
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Kommentar von Klaus Krippendorff Richard Buchanan beginnt seinen Text «Declaration by Design», Design Issues, Bd.2 Nr.1, mit der Erkenntnis, dass sich das Instrumentarium zur Analyse der menschlichen Ausdrucksfähigkeit bisher hauptsächlich auf das Verständnis von Sprache konzentriert hat. Dies ist nicht verwunderlich, da der verbale Diskurs in der Tat die vielseitigste und informationsreichste Form der Kommunikation darstellt, wie sie wohl nur bei Menschen vorkommt. Doch wie Buchanan feststellt, repräsentiert die enorme Zahl der von Menschenhand geschaffenen Objekte einen weiteren, bisher größtenteils unerkannt gebliebenen, Modus der Kommunikation, der dringend unserer Aufmerksamkeit bedarf. In diesem Kontext schlägt er vor, die Rhetorik – also die Theorie der Überzeugung mittels verbaler Argumente – auf das Design auszuweiten. Und nicht nur auf das Grafikdesign, in dem der kommunikative Aspekt nur allzu offensichtlich ist, sondern vielmehr auf Objekte, angefangen von Konsumprodukten bis hin zu architektonischen Räumen. Was jedoch sind die Erfolgsbedingungen und Grenzen eines solchen Vorhabens? Die Sprecher einer Sprache machen Aussagen und entwickeln Argumente mit dem Ziel, (a) Beobachtungen, Gefühle oder Ideen zu vermitteln und Tatsachen zu beurteilen; (b) die Zuhörer davon zu überzeugen, ihre Ansichten oder Einstellungen zu ändern oder sich anders zu verhalten; (c) angemessene persönliche Beziehungen zu entwickeln; oder (d) an den Ritualen einer Gemeinschaft teilzunehmen, der sie angehören oder angehören wollen. Designer entwickeln ebenfalls etwas, und die daraus resultierenden Objekte könnte man als Analogien zu Argumenten verstehen, da sie aus identifizierbaren Elementen bestehen, deren Einheit erschaffen oder wiedererschaffen wird, wenn der Anwender deren Gebrauchslogik entdeckt. Eine Gebrauchslogik, die jedem Element eines Gegenstands eine Funktion zuweist und anzeigt, wie diese zusammenwirken, lässt sich mit der Funktion, die die Syntax im Satzbau erfüllt, vergleichen. Sie ist lediglich mehr dem physikalischen Wissen verhaftet, das durch das Experimentieren mit der materiellen Welt zustande kommt, als bloßen kulturellen Konventionen. Buchanan erkennt dies an, indem er das ‹technologische Argument› als eine der drei Eigenschaften der Design-Kommunikation einführt. Mit der technologischen Beweisführung, die erforderlich ist, um Design als Argument zu verstehen, hört die Analogie zur verbalen Kommunikation aber schon fast auf. Designobjekte berichten typischerweise nicht über Tatsachen außerhalb ihrer selbst. Sie sind vielmehr sichtbare Manifestationen ihres eigenen Ursprungs, ihrer Familienangehörigkeit und ihres praktischen Nutzens. Somit ist es schwierig zu sehen, wie ein Objekt einen Nutzer zu überzeugen vermag, es sei denn, indem es seine Sinne anspricht und in ihm den Wunsch nach Besitz, Gebrauch oder Spiel erweckt – und folglich gar seine Vorstellung davon verändern dürfte, was dieses Objekt ist oder kann. Sicherlich können Designer erheblichen Einfluss darauf nehmen, ob und wie ein Objekt genutzt wird und auch auf die Bedürfnisse – insbesondere die sozialpsychologischen –, die durch die Nutzung eines bestimmten Objekts befriedigt werden können. Diese Art von Beeinflussung ist jedoch nicht gleichzusetzen mit der Weise, in der ein politisches Argument überzeugt oder ein persönlicher Aufruf zum Handeln wirksam wird. Schon das bloße Hören eines Arguments unterscheidet sich vom Gebrauch eines Gegenstands. Vielleicht ist Design eher mit der Poesie zu vergleichen, insofern es in der Anwendung Anerkennung sucht, anstatt von etwas anderem überzeugen zu wollen.
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Als zweite Eigenschaft der Design-Kommunikation identifiziert Buchanan «Charakter» oder «Ethos». Auf der Ebene des Charakters erhalten die Objekte Überzeugungskraft, indem sie die Wertvorstellungen, Integrität und Kompetenz ihrer Erschaffer reflektieren. Historisch gesehen etablierten Designer – oder in diesem Kontext eher Handwerker – diese Art von Beziehung mit ihren Klienten, indem sie auf deren individuelle Bedürfnisse eingingen, doch in unserer industrialisierten Gesellschaft ist dies immer seltener der Fall. Die Designer sind ebenso anonym geworden wie die Masse der Anwender ihrer Produkte, und sie bleiben hinter der Fassade der Unternehmenswerbung verborgen. Design-Labels stehen nicht mehr für einen bewunderten Künstler, sondern werden hinter den Kulissen gehandelt. Bekannte Markenprodukte werden in Taiwan hergestellt, und der Colonel hat wahrscheinlich das Kentucky Fried Chicken, das in seinem Namen verkauft wird, niemals selbst gesehen. Der Designer hinter einem Produkt mag immer noch wichtig sein, jedoch nur insofern er Teil einer Werbekampagne werden kann, die für gewöhnlich eher mit Verkaufen als mit Gebrauchen zu tun hat und die verbal-visuelle Appelle nutzt, anstatt die Produkte für sich selbst sprechen zu lassen. Es mag sein, dass die Designer bei Braun und Krups versuchen, diese Art von «Charakter» zu verleugnen, indem sie den Ethos einer nahezu unsichtbaren Nützlichkeit kultivieren, aber ist dies nicht eher dem Ritual der Gemeinschaft, der sie angehören möchten, geschuldet als ihrer herausragenden Reputation als individuelle Gestalter? «Emotion» oder «Pathos» ist die dritte und letzte Eigenschaft der von Buchanan vorgeschlagenen Rhetorik des Designs. Dieses Merkmal bezieht sich auf die Überzeugungskraft eines Objekts, die diesem als Wert innewohnt, unabhängig davon, was jemand mit ihm zu tun beabsichtigt. Man könnte dies mit purer Ästhetik gleichsetzen. Es ist offensichtlich reizvoll, die Rhetorik auf die Welt der Designobjekte auszuweiten. Doch was muss getan werden, damit dieser Versuch gelingt? Sehen wir uns zunächst einmal die Rhetorik selbst an. Eine ihrer Funktionen ist die Bildung; sie soll den Sprechern bewusst machen, was sie tun und welche Formen der Argumentation sie verwenden oder verwenden könnten, und somit zur Erweiterung des Horizonts dienen. In diesem Sinn könnten die Designschaffenden von einer Rhetorik des Designs profitieren, sofern diese eine reichhaltigere Sprache entwickelt als jene, die zurzeit Anwendung findet, wenn über Objekte, deren Wahrnehmung und Gebrauch gesprochen wird. Eine zweite Funktion der traditionellen Rhetorik ist normativ. Das Wissenschaftsverständnis im antiken Griechenland bezog sich auf die – wohl durch Konsens erreichte – Regelung dessen, was akzeptierbar war und was nicht. Auch Designer akzeptieren häufig normative Restriktionen, indem sie sich einer bestimmten Schule oder Bewegung anschließen, oder sie begegnen ihnen im Konflikt mit anderen Designphilosophien. Ich persönlich würde es vorziehen, wenn eine Rhetorik des Designs nicht implizit, und vielleicht sogar gar nicht, von solchen Normen geprägt wäre und stattdessen Möglichkeiten eröffnen würde, die bisher noch nicht vorstellbar waren. Obwohl sie nicht ausdrücklich dazu geschaffen wurde, hat die Rhetorik in letzter Zeit auch noch eine dritte Funktion erfüllt: sie hat Möglichkeiten der wissenschaftlichen Forschung im Bereich der verbalen Kommunikation aufgezeigt. Eine zunehmende Anzahl empirischer Studien darüber, welche rhetorischen Mittel welche Effekte hervorrufen, haben allmählich einen Korpus an psycho- und soziolinguistischem Wissen entstehen lassen, haben den Bereich der Sprachpathologie hervorgebracht und die Lehrtätigkeit in verbaler Kommunikation
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gefördert. Designer müssen dringendst einen vergleichbaren Wissenskorpus für den Bereich der Designobjekte entwickeln. Eine Rhetorik des Designs muss die Einschränkungen, die eine Gesellschaft dem Gebrauch von Objekten auferlegt, berücksichtigen oder glaubhaft repräsentieren. Allzu oft werden diese Einschränkungen nur als Marktbedingungen verstanden, die sowohl die Werte unserer konsumorientierten Gesellschaft reflektieren als auch die strukturellen Grenzen eines rhetorischen Paradigmas, das allein auf die Überzeugungskraft beschränkt bleibt. Bei der Gestaltung von Objekten sind wir jedoch nicht nur an bestimmte Auflagen psychologischer, sozialer oder politischer Natur gebunden, die heutige Gesellschaft hat außerdem eine Reihe neuer Beschränkungen hervorgebracht, zum Beispiel im Bereich der Ökologie. Ja, wir befinden uns im Übergang zu dem, was von anderen Autoren als Informationsgesellschaft bezeichnet worden ist, in der wir mit Werten und Einstellungen gegenüber den Dingen konfrontiert sind, die sich deutlich von denen einer Gesellschaft unterscheiden, die durch Produktion, Dienstleistung und Konsum bestimmt wird. Um diese Aspekte einzufangen, müssen die von Buchanan aufgestellten Kategorien erheblich erweitert werden. Damit die wissenschaftliche Forschung profitieren kann, darf eine Rhetorik des Designs nicht dort aufhören, wo die Analogie zur verbalen Rhetorik versagt. Sie muss sich vielmehr selbst transformieren, eine eigene Dynamik entwickeln und Ideen, Kategorien, Instrumente der Darstellung sowie Erklärungsmodelle entwickeln, die (a) zeigen, wie die (rhetorischen) Formen des Designs (als Argument) die Effekte auf Wahrnehmung und Motivation, die sozialpsychologischen Rollen und politisch-ökonomischen Implikationen von Objekten beeinflussen; (b) die Beschreibung des Ursprungs und der Entwicklung dieser Beziehungen (zwischen Form und Nutzen, wie sie sich in den Objekten manifestieren) mit dem gleichzeitig stattfindenden technologischen, politisch-ökonomischen und kulturellen Wandel korrelieren; und (c) zeigen, wie sie die Funktion gestalteter Objekte innerhalb der Gesellschaft (in Bezug auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft) transparent machen, um so Entscheidungsmöglichkeiten anzubieten. Diese Ziele gehen weit über jene der traditionellen Rhetorik hinaus, und ich frage mich, ob nicht auch andere Ansätze im Design dieses Unternehmen vorantreiben könnten. Da wäre beispielsweise die Kommunikationswissenschaft zu nennen, die die Rhetorik transzendiert hat, indem sie umfassendere Theorien über die Interaktion von Menschen miteinander und mittels technologischer Systeme entwickelt hat. Oder die Semantik, die nach der Bedeutung fragt und in letzter Zeit auch in den Bereich der Bedeutung von Gegenständen vorgedrungen ist (Produktsemantik). Zu erwähnen ist auch die Kulturanthropologie, die schon immer an den funktionalen oder konstitutionellen Rollen interessiert war, die Objekte in einer Kultur einnehmen. Des Weiteren wäre die politische Ökonomie anzuführen, die sich auf die politischen Implikationen von Produktion und Konsum konzentriert (wer ist in der Lage, was zu welchem Preis und Zweck zu benutzen?). Und nicht zuletzt haben die Kybernetik und die Systemtheorie dazu beigetragen, die Komplexität des Beschreibbaren zu erweitern. Buchanans Abhandlung ist aufschlussreich und stellt einen Schritt in die richtige Richtung dar. Der darin angedeutete Weg sollte von all jenen beschritten werden, die Design als verantwortungsvolles Unterfangen ernstnehmen. Klaus Krippendorff University of Pennsylvania, Philadelphia
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Buchanans Antwort auf Klaus Krippendorffs Kommentar Klaus Krippendorffs Kommentar zu «Declaration by Design» habe ich mit einem lachenden und einem weinenden Auge gelesen. Er hat meinen Text großzügig und wohlwollend beurteilt, doch glaube ich, dass seine Zusammenfassung meines Arguments eher seinen eigenen Ansatz reflektiert und nicht so sehr die Methode, die ich in diesem Text vorgestellt habe. Aus diesem Grund verlieren viele der zentralen Gedanken einer rhetorischen Analyse, wie ich sie in die Designforschung einzubringen versucht habe, ihre Bedeutung und bieten sich leicht als Zielscheibe an. Die Worte sind da, aber die Idee ging verloren. Anstatt mit einer detaillierten Analyse zu antworten, die jeden missverstandenen Punkt aufgreift (zum Beispiel den Begriff des Arguments oder die Rolle von Emotion im Design, die Professor Krippendorff genau als das Gegenteil dessen widergibt, was ich explizit gesagt habe), möchte ich vorschlagen, dass wir einen Schritt zurücktreten und uns nochmals die grundsätzlichen Methoden, die uns in der Designforschung zur Verfügung stehen, vor Augen halten. Jede dieser Methoden basiert auf einem anderen Verständnis von Design und richtet unsere Aufmerksamkeit auf einen anderen Aspekt von Produkten oder Designpraxis. Dies führt zu einem Pluralismus in der Designforschung, der sowohl unvermeidbar als auch äußerst wertvoll ist, da er zu einer Vielfalt an Erkenntnissen führt; in diesem Punkt scheinen Krippendorff und ich völlig einer Meinung zu sein. Doch bedeutet dies auch, dass wir sehr genau sein müssen, wenn es um das Verstehen des zentralen Gedankens jeder einzelnen Methode geht, und wir dürfen nicht die Ergebnisse einer Methode mit den Kriterien einer anderen beurteilen. Kurz gesagt, müssen wir uns fragen, welche Methode zu welcher Art von Erkenntnis befähigt und wie sich einzelne Methoden die Erkenntnisse, die durch andere erzielt werden, zunutze machen können. Es war meine Absicht, mit «Declaration by Design» eine neue Methode in die Designforschung einzubringen und die Designpraxis von einer neuen Perspektive zu betrachten, die für Designer von praktischem Nutzen sein soll. Ich sehe die Designschaffenden als einflussreiche Agenten des Wandels in unserer Welt; dennoch hat sich in den heute vorherrschenden Methoden und Theorien der Designforschung noch niemand präzise mit der Art des Wandels befasst, um die es hier geht. John Kouwenhoven und andere, die dialektische Methoden anwenden, sprechen von Wandel im Kontext allgemeiner kultureller Ideen, des Zeitgeistes und der Dynamik historischer Kräfte, aber sie konzentrieren sich dabei nicht auf die ganz spezifischen Eigenschaften der Designpraxis, vermittels derer sie eine Veränderung bewusst hervorzubringen vermag. Sie betrachten die generellen Auswirkungen des Wandels, aber nicht, wie dieser im Detail vor sich geht. Ebensowenig gelingt es ihnen, dem Facettenreichtum dieses Wandels gerecht zu werden, ohne ihn in pauschale Konzepte zu zwängen, wie beispielsweise den Kapitalismus oder den Modernismus, wodurch die reiche Textur unseres zeitgenössischen Lebens verloren geht, das sich nicht so leicht auf einen «ismus» reduzieren lässt. Ich habe das Prinzip solchen Wandels in dem häufig falsch verwendeten Wort «Überzeugung» gefunden und habe versucht, dieses Wort von seinem degradierten Gebrauch in Marketing und Werbung, wo es oft die trickreiche Manipulation eines passiven Publikums bezeichnet, zu dem ursprünglichen Konzept von Invention und Dispo-
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sition zurückzuführen. Es gibt nämlich eine wichtige Art der Überzeugung, die auf der Entdeckung und Ausarbeitung vernünftiger Alternativen im Design beruht. Im Wesentlichen ging es mir darum, die Designpraxis als eine besondere Art des Denkens zu betrachten, in der technologische, ethische und emotionale Faktoren in die Entwicklung effektiver neuer Produkte eingebunden werden können, und dies oft auch werden. Diese Produkte sind die Argumente, die Designer vorbringen, um die Anwender aktiv zu verpflichten, und wofür hier argumentiert wird, ist Akzeptanz. Die Effektivität von Produkten wird nicht allein daran gemessen, was sie zu tun vermögen, sondern auch daran, was ein Publikum akzeptieren wird. Diese Bedingung beeinflusst jede Art von Designpraxis, doch hilft sie uns, den Bereich abzustecken, aus dem originelles Denken im Design entspringt. Somit ging es mir um die Ursprünge der Invention im Design, um diejenigen Bereiche im gestalterischen Denken, in denen originelle Entscheidungen präzise lokalisierbar sind und die sich in verschiedener Weise einflussreich auf ein Publikum von Anwendern gezeigt haben. Mein Vorschlag ist kein Programm für eine bestimmte Designphilosophie, sondern, wie ich glaube, die Basis einer Designpraxis, wie sie von vielen, teilweise konkurrierenden Designphilosophien geteilt wird. Obwohl meine Abhandlung ein vorsichtiger Erkundungsversuch war, steht er doch in scharfem Kontrast zu grammatischen Designtheorien, die mittlerweile in der Designforschung gut repräsentiert sind. (Ich würde darunter auch Klaus Krippendorffs Arbeit einordnen, da sie Sprache, Semantik, Elemente, Syntax und so weiter betont.) Diese Theorien sind ebenfalls an Design als Kommunikation interessiert, doch sie fokussieren auf die Kommunikation selbst, auf das, was durch Produkte kommuniziert wird, und nicht auf die Prozesse der Invention und Disposition, die in deren Entstehung involviert sind. Diejenigen, die einer grammatischen Methode verpflichtet sind, sehen Design insgesamt als eine Konstruktionspraxis, in der das Wesen der Designsprache und der Designer selbst (sowie auch die Art der Bedingungen und Umstände der Designsprache) sowohl das Thema als auch die konditionierende Form der Kommunikation liefern. Genau wie der Dialektiker nach Ideen sucht, die in einer Kultur breit verwurzelt sind und über ein bestimmtes Design oder einen bestimmten Designer hinausreichen, so sucht der Grammatiker nach Grundeinheiten und elementaren Formen, die jedem Design zugrunde liegen. Auch er sucht nach Universalität, findet diese jedoch nicht in Ideen, sondern in einer allgemeinen Theorie der Natur – einer Theorie des menschlichen Verhaltens, der Weise, wie Menschen miteinander umgehen und wie sie sich durch gestaltete Objekte und durch Sprache ausdrücken. Somit also konzentriert sich der Grammatiker eben gerade nicht auf die Prozesse und Ursprünge des Wandels im direkten Zusammenspiel zwischen Designer und Anwender, sondern er befasst sich mit Wirkungen und Ergebnissen, indem er versucht, den Wandel auf universelle Basiselemente und Syntaxregeln zur Kombination derselben zu reduzieren – hier also auf die Konstruktion von Produkten. Dies ist ein durchaus wertvolles Forschungsvorhaben, doch bringt es uns ganz andere Aspekte des Designs näher als der rhetorische Ansatz. Mit einem theoretischen Zugang akzeptiert man implizit, dass es Elemente und Regeln der Syntax gibt – eine Grammatik, die wir vielleicht irgendwann genau beschreiben können werden –, doch man fährt dann fort, sich praktische Gedanken darüber zu machen, welche technologischen, ethischen und emotionalen Argumente ein Publikum überzeugen könnten. An dieser Stelle
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geht es um einen anderen Aspekt des Designdenkens, dessen Natur genauso wenig durch Grammatik erhellt werden kann, wie man den Erfindungsreichtum einer Rede Churchills allein durch die Regeln der englischen Syntax erklären kann. Ja, in der Kommunikationspraxis sind wir gar mit einer Art des Denkens befasst, die uns erlaubt, die Regeln der Syntax effektiv und auf vernünftige Weise zu brechen, um die Überzeugungskraft zu stärken. Es gibt aber auch noch einen anderen Ansatz im Design, der unter praktizierenden Designern wesentlich weiter verbreitet und der vielleicht dem rhetorischen Ansatz näher ist, da er sich auf die direkten Prozesse des Wandels im Designdenken bezieht. Diese Methode steht ebenfalls in krassem Gegensatz zum grammatischen Ansatz Krippendorffs und den dialektischen Methoden von Theoretikern wie Kouwenhoven. Sie befasst sich nicht mit der erfindungsreichen Interaktion, die zwischen Designern und Anwendern stattfindet, sondern sie konzentriert sich auf Design als eine Art problemlösende Tätigkeit. Diesen durchaus vernünftigen Ansatz findet man in den Texten vieler Designer und Gestalter, die zu Designtheoretikern wurden. Brillant beschrieben wurde er von Herbert Simon in The Sciences of the Artificial, einer Vorlesungsreihe, die er 1968 am M.I.T. hielt, und in der er eine virtuelle Logik der artifiziellen, gestalteten Objekte präsentiert. Hier wird Design nicht als Kunst, sondern als Wissenschaft verstanden. Es geht jedoch nicht um die Art von Wissenschaft, auf die sich Krippendorff bezieht, sondern vielmehr um die Wissenschaft des Artifiziellen selbst. Indem er Funktionen und Systeme analysiert, konzentriert sich Simon auf die Logik des Entwickelns alternativer Designlösungen und somit auf das Erschaffen einer Umgebung, die die Menschen auf subtile und tiefgreifende Weise transformieren kann. Falls es eine alternative Methode zum rhetorischen Ansatz gibt, den ich in «Declaration by Design» vorgeschlagen habe, so wäre dieser eher hier zu finden als in Krippendorffs grammatischem Ansatz. Selbstverständlich müssen die Fragen, Themen und Probleme, die die Rhetorik der Designobjekte von der Wissenschaft des Artifiziellen unterscheiden, sehr sorgfältig auseinandergehalten werden, doch könnte der Versuch zu interessanten Ergebnissen hinsichtlich unseres Verständnisses von Design führen. Beide Ansätze befassen sich mit der Beziehung von Technologie und Design und beide sprechen das Paradoxon an, das den klassischen Ursprüngen des Wortes Technologie – aber auch dem Konzept von Design – innewohnt. Ist Design eine Wissenschaft der Kunst oder eine Kunst der Wissenschaft? Es gibt bisher noch kein Programm für einen rhetorischen Ansatz im Design; von daher scheint es verfrüht, bereits über die Grenzen eines solchen Unterfangens zu sprechen, insbesondere dann, wenn die angeführten Einschränkungen im Wesentlichen Ausdruck eines völlig anderen Programms innerhalb der Designforschung zu sein scheinen. Ich möchte stattdessen vorschlagen, dass wir den Pluralismus in der Designforschung aufrechterhalten und versuchen, ein besseres Verständnis darüber zu erlangen, wie unsere alternativen Methoden zueinander in Beziehung stehen. Aus dem Zusammenspiel kontrastierender Theorien können wir vielleicht neue Themen und Fragen entdecken, die unsere Disziplin über deren gegenwärtige Grenzen hinaus vorantreiben und uns zu einem tieferen Verständnis von Design in der modernen Welt führen. Richard Buchanan University of Illinois at Chicago
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Positionen
Gert Ueding
Beredsamkeit der Formen – Anmerkung zu einer Rhetorik des Designs
1. Das Empfundene wirkt stärker als das Gedachte: diese Erfahrung finden wir schon in den frühen antiken Erkenntnislehren formuliert. Dass nur Gleiches durch Gleiches wahrgenommen werden kann, war die eine Theorie (Empedokles); dass nur Entgegengesetztes das Entgegengesetzte empfinden könne, behauptete eine andere (Anaxagoras). Einig waren sich alle über die Eindrucksmacht der Sinnlichkeit; selbst für Platon stand fest, dass Empfindungen die Gedanken erwecken, sie hervorziehen. Die Bewertungen, die solche Urteile unweigerlich hervorrufen, wechseln freilich von Fall zu Fall. Für die Sensualisten versteht sich die Qualifizierung von selber. Doch auch Kant betont, dass Begriffe, denen wir Realität geben wollen, ohne die Anschauung nicht auskommen; Husserl wird später noch ergänzen, dass «einsichtige Gedanken» Sinnlichkeit benötigen. Die Rhetorik, die sich in viel engerer Verknüpfung als oft behauptet, und zwar in Zustimmung und Widerspruch, zur Philosophie entwickelt hat, machte sich von Anfang an das durchdringend Wirkungsvolle des sinnlichen Eindrucks zunutze: seit Gorgias und Aristoteles ist die Stärke der Sinnlichkeit die Geburtsstätte der Stil-Lehre und der Theorie von den emotionalen Überzeugungsgründen, den Gefühlsgründen. Das geschah durch Übertragung (eines der grundsätzlichen Verfahren der Rhetorik) der Formen sinnlicher Erfahrung in eine affektische Topik und in die Figuren der Rede. Möglich war das nur, weil die Empfindungen sich nicht allein in Formen zeigen, die aus dem Augenblick geboren sind und sich nicht wiederholen – ja, dies zum wenigsten. Vielmehr äußern sie sich und wirken mit der gleichen Intensität und Kraft auf einen Formenschatz hin, der dauerhaft ist. Denn Festigkeit und Haltbarkeit müssen hinzukommen. Für sich genommen, löst das anschaulich Gegebene einen Wirrwarr unklarer Empfindungen aus; erst zur Gestalt verfestigt, wird die Eindrucksstärke der Empfindung gezielt gefördert, was sich in Angst oder Hoffnung, Hass oder Liebe niederschlägt. Dies wirkt also so, wie Quintilian, die antike Diskussion zusammenfassend, feststellt: dass «ein Gemälde, ein Werk, das schweigt und immer die gleiche Haltung zeigt, so tief in unsere innersten Gefühle eindringen kann, dass es ist, als überträfe es selbst
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Blumenberg, Hans (1981): Anthropologische Annäherung an die Aktualität der Rhetorik. In: Ders.: Wirklichkeiten, in denen wir leben, Stuttgart: Reclam, vgl. S. 110 ff.
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die Macht des gesprochenen Wortes». Die sinnliche Figur als Wirkungsschema triumphiert in der Architektur ebenso wie in Gebärdensprache und Physiognomik, in der Wirkungsgeometrie der Ornamente wie in den durch historisch-kulturellen Gebrauch aufgeladenen Grundformen Kreis, Kugel, Dreieck, Quadrat usw. Die Kunst bedient sich seit den Anfängen der empfindungsintensiven Wirkung der sinnlichen Figur, ob sie als Tanzfigur, als Totembild oder Ritualgegenstand zum Bestandteil einer lesbaren Formensprache geworden ist. Niemals freilich erschöpfen sich die Intentionen dieser Formensprache, sobald sie eine bewusst aufgegriffene und verwendete ist, in der l’art-pour-l’art-haften Affekterregung an sich. Die Gebärdensprache des Schamanen, die Tanzschritte des Medizinmannes sind persuasive Formen – nicht weniger als der Handkuss, die Umarmung, der Priestersegen. 2. Formen, ob als Bild oder dreidimensionales Gebilde, haben eine sinnlich-intensive Wirkung; werden sie bewusst hergestellt und eingesetzt, tragen sie eine Wirkungsintention, die einen Adressaten erreichen und ihn beeinflussen soll, sei es im Sinne religiöser Werte, politischer Ideologien oder sozialen Verhaltens. Es gibt auch keine Kunst, die nicht persuasiv wäre, selbst Mondrian wollte mit seinen abstrakt-geometrischen Kompositionen auf die Lebensordnung seiner Adressaten Einfluss nehmen. Wie viel mehr gilt das für die Figurationen unserer Lebenswelt, die ja nicht ein gestaltloses Kontinuum darstellt, sondern in ihren Formen und Figuren immer schon da ist und unser Bewusstsein – als durch die Sinnlichkeit untrennbar mit ihr verbunden – vielfältig beeinflusst. Die Bestrebungen, die man heute unter Design zusammenfasst, bedienen sich auf unterschiedliche Weise dieser Ursprungssphäre der Wirkform. Um das Persuasive, Absichtsvolle der Zweckfigur hervorzuheben, hat man einmal von Kunsthandwerk gesprochen – als ob es eine rein ästhetische, zwecklose und interessefreie Kunst wirklich gäbe. Der einzige belangvolle Unterschied besteht darin, dass der Gegenstand der Formproduktion in dem einen Fall vorgegeben ist, im anderen Fall aus und in der Produktion selber erwächst. Bei näherem Betrachten erweist sich allerdings auch diese Trennung als künstlich und nur aus heuristischen Gründen zu rechtfertigen. Denn ein vierrädriges Gefährt ist schon eine Figur in der technischen Zeichnung oder Skizze, die ihm vorausgeht. Doch ist dieser Grundriss wesentlich an den technischen Erfordernissen ausgerichtet, seine Figur ist rein pragmatisch, und er überzeugt vor allem mit seiner mathematischen, physikalischen Richtigkeit. Jedenfalls ist das die dominante Wirkungsintention. Dass selbst ihre Dimension der Sachlichkeit, Funktionalität und Redenhaftigkeit von Nebenwirkungen begleitet wird, macht jede technische Zeichnung evident. Die Klarheit geometrischer Formen erweckt Wohlgefallen, weil Reinheit, Offensichtlichkeit, Wahrheit damit verbunden sind. Hinzu kommen symbolische Bedeutungen mit oftmals affektischen Zusatzwirkungen. Das Rechteck vermittelt Stabilität, Sicherheit, Dauer; der Pfeil Bewegung, Zielgerichtetheit, Augenblicklichkeit. Wenn also der pragmatische Gehalt eines Gegenstandes seine Wirkung niemals total bestimmt, kann man ihn doch als einen idealtypischen Extrempol auf der Skala der möglichen Überzeugungsmittel definieren. Für den Designer gibt demnach das Pragma seines Gegenstandes auch das Programm ab, dem er bei seiner Formproduktion
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Marcus Fabius Quintilianus: Institutio oratoria (Ausbildung des Redners). (Herausgegeben und übersetzt von Helmut Rahn, 1998.) Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Buch 11, Kap. 3. 67.
folgen sollte – bei Strafe der «Themaverfehlung». Aus der pragmatischen Bestimmung eines Autos, sich auf der Erde, auf Straßen, Wegen, Plätzen zu bewegen, ergeben sich schon die Grundzüge eines Formprogramms, in dem zum Beispiel die Räder nicht fehlen dürfen. Doch der Spielraum, der durch technische Zwecksetzung, Funktionalität definiert wird, ist groß, wie ein Blick zum Beispiel in die Formgeschichte des Automobils verrät. Dieser Spielraum gewinnt in dem Augenblick eine besondere Bedeutung, in dem ein Produkt gegen ein anderes antritt, gar mehrere Produkte miteinander um denselben Adressaten konkurrieren, in dem sich also, rhetorisch gesprochen, eine agonale Situation herstellt. Die rein pragmatische Argumentation reicht nicht mehr aus, um den Streit zu den eigenen Gunsten zu entscheiden. Mag es zunächst noch genügen, durch technische Fortschritte einen Vorsprung zu gewinnen, so verfangen diese doch umso weniger, je vollkommener technisch ausgereift der Gegenstand in allen Varianten ist und/oder je nachrangiger und unbeträchtlicher die neuen Errungenschaften sind. Sofort gewinnen jene Überzeugungsmittel an Gewicht, die bislang die pragmatischen nur begleiteten, bloß auf übertragene Weise mit ihnen zusammenhängen (wie die ausgestellten «Heckflossen» eines Straßenkreuzers) oder sie gar in der Empfindung ersetzen (wie ein Kleid, das nicht mehr die Blöße des Körpers bedeckt und schützt, sondern sie gerade der sexuellen Wirkung wegen ausstellt). 3. Es sind die Gefühlsgründe, die der Designer jetzt ins Kampf-Feld um die Gunst seiner Adressaten führt, und die er aus den emotionalen Wirkungsfunktionen der Formen – und Farben – gewinnt. Tatsächlich ist die Farbe in den meisten Fällen ein Zusatz, pragmatisch aus der Funktionalität nicht begründet, sondern auf die reine Gefühlsresonanz berechnet: sie soll gefallen. Die Skala der emotionalen Wirkungsintentionen reicht von Vertrauen und Erfreuen bis zum Hinreißenden, zur Entzückung und Aufreizung. Doch worauf gründet sich ihre Überzeugungskraft, da doch die Gefühlsreaktion aus dem Augenblick geboren und individuell höchst unterschiedlich ist? Die pragmatische Dimension visueller Beredsamkeit eines Gebrauchsgegenstandes ergibt sich aus der Funktionalität der Form: sie stellt Vor- und Nachteile heraus, wendet sich an die Urteilskraft des Adressaten, an seine Verständigkeit und Vernünftigkeit, an das Vermögen also, das uns mit allen Menschen verbindet und das nach allgemein gültigen Regeln verfährt. Auch die Gefühlsgründe bedürfen einer solchen überindividuellen Referenz, sollen sie allgemein überzeugend sein. Tatsächlich bedient sich der Designer (wie jeder bildende, visuelle Künstler, auch wie jeder Theater- und Filmregisseur) nicht der individuellen, sondern der kollektiven Gefühlsprägungen: sie sind die psychosozialen Determinanten unseres individuellen Gefühlslebens, gleichsam die Resultanten der emotionalen Verhaltensweisen in einer Gesellschaft und damit natürlich von deren geschichtlichem Stand und ihrer kulturellen Eigenart abhängig. Diese Gefühlsprägungen haben sich formal verfestigt. Eine auf Mobilität eingestellte Gesellschaft erzeugt Formen, deren gefühlsbewegende Kraft sie ständig anreizt und bestätigt. Der Designer, der sich ihrer bedient, überzeugt; er greift auf sie als auf Leitformen zurück, indem er seine Produktfigur von ihnen ableitet. Intercity und Sportcoupé rekurrieren derart auf dieselben Leitformen von Pfeil oder Keil, die auch in ganz anderen Sektoren, zum Beispiel in Küchengeräten, wiederkehren. Ähnlich verkörpert das Bauhaus-Design immer und immer wieder, ob in der Gebäude- oder Innenarchitektur oder in der Formgebung eines Schachspiels, die Leitformen von Würfel, Rechteck, Kristall, deren emotionale Wirkung als Gerad-
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linigkeit, Ehrlichkeit, Ungeziertheit umschrieben werden können: ein Ethos-Wohlgefallen also. Leitformen sind Ergebnis eines Gefühls-Konsenses, der von ökonomischen, sozialen, kulturellen Bedingungen abhängt und sich zum Ausdruck der Formen bedient, die im visuellen Gedächtnis einer Gesellschaft (oder eines Teils dieser Gesellschaft, eben der vom Designer als die eigenen identifizierten Adressaten) aufbewahrt sind. Doch darf der Designer es dabei nicht bewenden lassen. Die Formproduktion durchläuft die Stadien, die wir aus der Rede kennen. Nachdem er den Gegenstand nach den Grundsätzen der Zweckmäßigkeit und Funktionalität erfasst hat, wird der Designer die Leitformen ermitteln. In der Regel kann er sie von der Gestalt der Produkte abziehen, die immer schon kursieren, und sie in der allgemeinen Bestimmung einer Anschauung, in einem Schema, abstrahieren. Der inventive Vorgang wird sich in der Reproduktion aber nicht erschöpfen: Finden und Erfinden sind die beiden Teilaufgaben in dieser Phase, das heißt, die gezielte Abweichung vom Schema, die Kombination mit anderen Schemata vergleichbarer Produkte und ihre Verschmelzung oder die Weiterentwicklung des Schemas müssen zur Orientierung am sachlich und formal Vorgegebenen hinzukommen. Wie die Plausibilität der Rede leidet oder ganz verschwindet, wenn der Redner nur immer wieder die altbekannten Argumente anbringt, so erfährt der Designer einen Nachteil, der stets nur die hergebrachten Form-Schemata wiederholt. 4. Die bloße Reproduktion widerspricht dem situativen Prinzip der Rhetorik, nach dem sich auch die Auswahl und Neuentwicklung von Begründungen zu richten hat: nicht jedes Argument verfängt zu jeder Zeit vor jedem Publikum unter allen äußeren und inneren Bedingungen. Das gilt für die allgemeinen Versinnlichungen von Produktionen, unter welche das jeweils zu bearbeitende Produkt zu subsumieren wäre, gleichfalls: die Subsumption hat sich an den aktuellen Bedürfnissen zu orientieren, welche nach Variation verlangen. Es gilt, anders gefasst, neue Spielregeln im Umgang des Adressaten mit dem Gegenstand, dem Produkt zu etablieren. Aristoteles hat sie in der «Rhetorik», natürlich bezogen auf Redegegenstand und Rede, bedacht. «Die Menschen erleben ja hinsichtlich des sprachlichen Ausdrucks dasselbe wie im Umgang mit Freunden und Mitbürgern. Daher ist es nötig, der Sprache einen fremden Ton zu geben.» Das geschieht in der Rede nun vornehmlich durch Bildlichkeit, die «Abwechslung ins Gewohnte [bringt] und den Ausdruck [verfremdet]». Der ständige Gebrauch, die dauernde Wiederholung, die stereotype Referenz auf das Allgemeine in dem Besonderen ist einerseits Voraussetzung für die Plausibilität, verringert sie aber andererseits oder hebt sie sogar auf. Da die Verfallszeit der Leitformen in der visuellen Beredsamkeit immer kürzer wird (vulgus: die Moden immer schneller wechseln), sieht sich der Designer nicht anders als der aristotelische Redner auf die Verfahren verwiesen, die die Rhetorik als Änderungskategorien begrifflich gefasst hat: Sie betreffen den Schmuck, die Gefälligkeit und Schönheit, aber auch Tastreiz und Geschmack. Fassen wir sie alle unter dem überlieferten Begriff des Ornatus zusammen, so muss sogleich einem Vorurteil begegnet werden: er, der Ornatus, ist entgegen der populären (und durch die Bauhaus-Ästhetik hoffähig gewordenen) Ansicht keine bloß äußerliche Zutat, wenn er aus den
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Aristoteles: Rhetorica (Rhetorik). (Übersetzt und herausgegeben von Gernot Krapinger, 1999.) Stuttgart: Reclam, Buch 3, Kap. 2.2-2.3.
erprobten Bestandteilen des Produkts und mit Referenz auf seine anerkannte Funktion, seinen üblichen Gebrauch, entwickelt wurde, also der Objektsprache nicht widerspricht. Die Schmuckform wird dann den sozialen Kontext, die Bezugsgruppen und Charakterstereotypen berücksichtigen, aber auch Normen und Regeln, die das Produkt erfüllen muss (Umweltstandards zum Beispiel), Bedeutungszuschreibungen und Interpretationen (das Auto als Ausdruck des Lebensgefühls und Indikator eines sozialen Ranges), Traditionen und Werte. Das sind neben der Objektsprache die wichtigsten Parameter für den Bezugsrahmen des Ornatus; sie verkünden, dass die von den Änderungskategorien anvisierten rhetorischen Operationen zur Überwucherung und letztlich zur Verunklärung der Funktion führen, die die Kernbotschaft bleibt. Das Wesen des Gegenstands ergibt sich als seine Funktionale: «Eine Geburtszange muss glatt sein, eine Zuckerzange mitnichten», pointierte Ernst Bloch die Regel einer Formproduktion, die nicht auf die Fülle emotional-sinnlicher Wirkungsmöglichkeiten verzichten will. 5. Es lohnt sich, unter dem Gesichtspunkt der Formproduktion die vier klassischen Änderungskategorien auch für die Designtheorie fruchtbar zu machen, gibt doch die Funktion des Gegenstandes die Ebene an, von der alle figuralen Prozesse ausgehen und die sie überschreiten. Das kann zunächst auf erweiternde Weise geschehen. Konstitutive Elemente erscheinen farblich oder figural hervorgehoben, wiederholen sich in rhythmischen Folgen: die Beine eines Sessels erweitern sich zu glänzenden Kufen; der Ebenholzgriff einer Teeschale wird verdoppelt, sodass man sie mit beiden Händen zum Munde führen kann; die Schaukelbretter einer Wiege werden zu großen Reifen ergänzt und an Kopf und Fußende montiert. In diesen Fällen wird die pragmatische Funktion zu einer Figur erweitert, ohne dadurch behindert zu werden. In vielen Fällen erhöht die figurale Erweiterung (wie in den hier gewählten Bauhaus-Beispielen) sogar die Funktionalität. Anders in Fällen der Hinzufügung. Der Mercedes-Stern am Autokühler hat für den Gebrauch des Wagens keine Bedeutung, er ist reine Zutat, wenngleich nicht funktionslos, wenn man seinen Signalcharakter bedenkt. Nur Hinzufügungen, die die Funktion beeinträchtigen, sind überflüssig oder schädlich. Ein Kurzzeitwecker in Form eines Mickymaus-Kopfes verunklärt möglicherweise seine Bestimmung, verhindert sie aber nicht: die Ohren dienen als Aufziehhilfen, und die übrigen Applikationen reihen den Gegenstand in populärkulturelle Kontexte ein, die Identifikation ermöglichen, werbewirksam sind und belustigend wirken mögen. Durch Einsparung und Auslassung erhalten wir weitere Möglichkeiten der Objektfigurierung: das Flachdach, türlose Durchgänge, selbsttragende Treppenkonstruktionen gehören in diese Figurenklasse, auch Speichenfelgen, zeiger- und ziffernlose Uhren. Eine dritte Klasse ergibt sich durch Vertauschung und Umstellung der Elemente: das Bullauge als Fenster des Wohnhauses, die gläserne Blüte als Parfum-Flakon, Uniformknöpfe am Regenmantel. Das vierte Verfahren schließlich besteht im Austausch ganzer Figuren-
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Bloch, Ernst (1977): Geist der Utopie, Zweite Fassung. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, Gesamtausgabe, Band. 3. 1977, S. 22.
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ensembles: das Uhrarmband ist eine Kette, die Lampe ist ein Springbrunnen, das CD-Regal eine Metallspirale. Bei diesen Operationen geschieht allerdings mehr als die isolierte Änderung der durch die Funktion bestimmten Grundformen: Die Durchbrechung der geschlossenen Radfolge zur Speichenform verändert den ganzen Kontext – der Gegenstand wird aus der Sphäre bloß pragmatischen Gebrauchs in die des sportlichen Vergnügens gerückt und signalisiert auch ein Selbstbild, das sich von demjenigen des üblichen Fahrers abheben soll. Der Stilzug der Bauhaus-Architektur signalisierte Modernität und sicherte dem Hausbesitzer eine entsprechende Imago. In der wirkungsvollen Form kristallisieren sich, wie das letzte Beispiel zeigt, also nicht immer nur allgemein geteilte Haltungen und Gefühlseinstellungen heraus; die Ausgangsbasis für sie können auch prominente Anschauungsweisen sein, die nur von einer Minderheit getragen werden, sich aber, wenn diese Minderheit als soziale Elite Vorbildgeltung hat, auch mehrheitlich durchsetzen. Doch können sich Geschmacksmaßstäbe auch von unten nach oben durchsetzen. Wenn Modedesign sich der Punk-Requisiten bemächtigt, so reflektiert sich darin ein komplexes Geflecht von Motiven und Wirkungsabsichten, das den Designern oftmals nur teilweise bewusst ist. Der inventive Aspekt (Mode sei die ewige Wiederkehr des Neuen, hat Walter Benjamin – ihre Hauptintention zum Paradox zuspitzend – gesagt) ist dabei nur der offensichtlichste. Hinzu kommen beim Adressaten verdrängte Wünsche und Ängste, zudem Integrationsabsichten. Als irritierend empfundene Randgruppenphänomene werden durch ihre ästhetisch-rhetorische Hypostasierung ins Gewohnte eingemeindet. 6. Auch wenn das auf den ersten Blick merkwürdig erscheint, so hat die Rhetorik diese Wirkungsdimension besonders in der Ethos-Instanz der Rede berücksichtigt. In ihr wird die Gesamtheit aller sinnlich-anschaulichen Gegebenheiten einer Gesellschaft auf den Punkt gebracht. Denn der Redner, der diese Kollektiverfahrung in seinem eigenen Ethos zur Geltung zu bringen vermag, besitzt schon für Aristoteles einen kaum noch einholbaren Vorteil. Die in diesem Sinne (nämlich Sitten, Gebräuche, moralische und ästhetische Wertvorstellungen, emotionale Gewissheiten und Trieborientierung umfassende) ethische Überzeugungskraft ist deshalb so stark, weil ihr Substrat, die Ethos-Einstellungen, der ständigen Kontrolle der Menschen unterliegt, die sie in ihrer Erfahrung prüfen, sodass ihnen eine intersubjektive Garantie zugemessen werden kann. Die Beredsamkeit der Formen entwickelt spätestens in dieser Hinsicht identitätsstiftende Wirksamkeit, deren Macht gerade darin liegt, dass sie vorbegrifflich sind und in der sinnlich-anschaulichen Gestalt ein Maximum an Wirkung entfalten. 7. Wurden bisher Bild und Figur ihrer Überzeugungsfunktion nach bedacht, so enthalten die sich aus den Änderungskategorien ergebenden Figurationsklassen noch mehr: nämlich Produktionsmethoden des Neuen. Die Abweichung betrifft nicht nur die Sache selber und ihre Bestimmung (als Kochlöffel oder Ohrring zu fungieren), sondern ist auch eine Abweichung von der kollektiven psychischen Realität, von dem, wie man
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sagen könnte, im kulturellen Formenuniversum einer Gesellschaft reflektierten «Gemeinsinn» (sensus communis). Dieser ist ein für die Rhetorik zentraler und signifikanter Begriff, der das sinnlich-anschauliche Wesen des von ihm Gemeinten ausdrücklich mit einschließt. Deviation ist dafür eine unzureichende Bezeichnung, weil sie zugleich den Weg des Üblichen, Gewohnten als Hauptweg suggeriert. Dabei eröffnet gerade für die Produktion das Hinwegführende, ja sogar die Umkehr den Königsweg: nur wenn man ihm folgt, wird das Abgedroschene, das Klischee vermieden. Eine Erkenntnis, die den antiken Rhetorikern durchaus geläufig war. So auch Cicero: «Denn es ist schwer, den Grund anzugeben, warum wir gerade gegen diejenigen Dinge, die unsere Sinne am meisten entzücken … durch Ekel und Überdruss am schnellsten eine Abneigung empfinden.» Das Bild nimmt den Raum ein, und seine stete Präsenz vermindert schließlich die Empfindung, stumpft ab, wie man sagt, während die Rede als ein in der Zeit sich entfaltendes Kunstwerk gegen diese Art des Wirkungsverlusts besser geschützt ist. Derart Abweichendes stiftet schon der Vergleich, also etwa (um wieder ein Bauhaus-Beispiel zu bemühen) jener einer Teetasse mit einer Kugel oder aber des Autohecks mit einem Hüftschwung. Allegorische, metonymische, metaphorische Verfahren gehören, auch wenn sie als solche nicht bewusst werden, zum Alltag des Modedesigners, sodass ein Jagdrock zum Abendanzug mutiert, eine Bondage-Reminiszenz in der ledernen Verschnürung einer Sandale aufscheint. Die populäre Werbemaxime «Sex sells» hat solcherart äußerst wirkungsvolle Figuren hervorgebracht, metaphorisch in Entstehung und Wirkung. Das Übertragen von Bedeutungen darf dabei nie unverständlich werden, also nicht zu stark vom «Hauptweg» der Vorstellungen und Figuren abweichen, die aus der Kooperation der Vielen entstanden sind. Designideen, die sich zu weit, und das heißt für die Adressaten unvermittelbar vom Gemeinsinn, entfernen, scheitern – freilich nicht notwendigerweise auf Dauer. Wenn es gelingt, den Vorstoß ins Unbekannte, Unvertraute, Anstößige nachträglich durch Zwischenformen zu vermitteln, so kann das in der unvermittelten Präsentation erfolglose Figuren-Konzept noch zum Erfolg führen. Allgemein gilt die rhetorische Devise, dass der kontrollierte Verstoß, das gut ausgesteuerte Befremden, die Überraschung eine Wirkung verstärken und dauerhafter machen. Sie wirken dem Überdruss am Abgegriffenen, Verschlissenen entgegen. Auch kein Kunstwerk ist gegen diesen Effekt gefeit. Wer sieht noch wirklich den Blick der Putten in Raffaels «Sixtinischer Madonna», das Lächeln der Mona Lisa oder der Venus von Botticelli – man kann sie eben im übertragenen wie im buchstäblichen Sinne «nicht mehr sehen», weil die massenhafte Reproduktion, die stereotype Übertragung auf Wäsche, Bekleidung, Plakatwände sie um ihre sinnliche Überzeugungskraft gebracht hat. Sie sind trivial geworden, unfähig, unsere Sinne zu affizieren. Visuelle als an die sinnliche Vor- stellung und Empfindung adressierte Phänomene sind der Trivialisierung stärker ausgesetzt als ihre sprachlichen Pendants, insofern auch die geronnene Metapher – ja gerade sie – intellektuelle Wirksamkeit (also auf argumentative Weise) entfalten kann. Die zum Klischee erstarrte Figur erweckt nichts anderes als Überdruss und kann neue Bedeutsamkeit nur durch einen anderen, zum Beispiel einen kritisch-analytischen, Zugriff erfahren.
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Cicero, Marcus Tullius: De oratore (Über den Redner). (Übersetzt und herausgegeben von Harald Merklin, 2003.) Stuttgart: Philipp Reclam Jun., Buch 3, Kap. 98.
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8. Ohne diese uns allen geläufige Erfahrung zu vertiefen, bleibt zu resümieren, dass die Designtheorie die besondere Verschleißanfälligkeit des Bildes schon immer in ihre Konzepte aufzunehmen hatte. Die Fruchtbarkeit rhetorischer Erbschaft erweist sich auch von dieser Seite, insofern Wirkungsintentionalität für die Rhetorik nicht eine Forderung unter anderen, sondern das Basisprinzip ist – und zwar produktionstheoretisch wie hermeneutisch –, die Wirkung also durch Gewohnheit abgeschwächt, sogar verhindert werden kann. Denn Rhetorik bewirkt nicht nur die Sicherung des Konsenses, sondern ebenso und mit ihm vermittelt auch die Sicherung des Widerspruchs, der Verfremdung, des Neuen. Ihr Wesen ist dialektisch: Affirmation und Negation in einem. Formen, die aus dieser Spannung leben, können zwar veralten, besitzen aber immer das Potenzial zu neuer Wirksamkeit.
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Positionen
Charles Kostelnick
Rhetorisches Gestalten: Zwischen Strategien wählen, sich dem Publikum anzupassen
Abstract Die Rhetorik bietet mit ihrer eindeutigen Fokussierung auf das Publikum Designern und Designerinnen verschiedene Möglichkeiten, die Bedürfnisse und Erwartungen von Anwendern und Anwenderinnen zu antizipieren und jene sogar direkt in den Designprozess miteinzubeziehen. Zu den verschiedenen rhetorischen Ansätzen, die dem Design zur Verfügung stehen, gehören die klassische Rhetorik, die Situations-Analyse, Nutzer-zentriertes Feedback, die Postmoderne sowie die sozialen Aspekte von Konvention und Ästhetik. Es geht nicht darum, ob die Rhetorik dem Design nützlich sein kann, sondern vielmehr, welcher Ansatz der jeweiligen Designaufgabe mit Hinblick auf ein spezifisches Publikum in einer gegebenen Situation am besten gerecht wird. Die Fähigkeit, sich in ein Zielpublikum hineinversetzen zu können, zählt zu den bedeutendsten Grundlagen der Rhetorik. Auch in zahlreichen Designdisziplinen, wie zum Beispiel im Informations-, Grafik- und Produktdesign sowie der Architektur, ist es überaus wichtig geworden, die Bedürfnisse und Erwartungen des Publikums zu antizipieren. Dies ist Ausdruck einer veränderten Haltung gegenüber den Nutzern und Nutzerinnen und bedeutet eine Neudefinition von Design als kommunikativer Akt, im Gegensatz zu einer vorrangig expressiven oder instrumentalen Tätigkeit. Diese Verlagerung wurde durch die Postmoderne gefördert, die im Bereich der Architektur das Design als Kommunikation neu definiert hat. Auch wird dabei ein größerer kultureller Wandel hin zu einer Demokratisierung des Designs deutlich. Gunther Kress argumentiert, dass die «Fragmentierung und Individuation» unserer heutigen Welt im Gegensatz zu den «stabilen Strukturen» des 19. und 20. Jahrhunderts nach flexiblen Antworten seitens des Designs verlangt: «The question of rhetoric – how to make my communication most effective in relation to this audience, here and now – has moved newly, urgently into the center.» Wenn es also Aufgabe des Designs ist, die jeweilige Form den Bedürfnissen spezifischer Zielgruppen anzupassen, dann bietet die Rhetorik kompetente Methoden, mit denen sich diese kommunikativen Akte analysieren und gestalten lassen.
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Siehe hierzu auch Jencks 2002, Venturi und Brown 2004.
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Kress 2004, S. 118f.
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Mit dem wachsenden Verständnis von Design als Kommunikation, das die Nutzerperspektive in den Mittelpunkt stellt, scheint die Frage, ob Designer und Designerinnen sich die Mittel der Rhetorik zunutze machen sollten, obsolet. Es geht nicht mehr darum «ob», sondern vielmehr darum, «wie» die Rhetorik im Design angewandt werden soll. Dies ist ein komplexes Thema, da sich die Rhetorik über Tausende von Jahren entwickelt hat – von Aristoteles’ Überzeugungskunst und den klassischen Regeln, den Figuren und Tropen der Renaissance über die schmucklose Sprache der Aufklärung zu den zeitgenössischen Theorien zu Genre, Publikums-Adaption, sozialer Konstruktion, Postmoderne, Semiotik und Hermeneutik. Wenn wir also über Rhetorik reden, dann müssen wir uns zunächst fragen, über welche Art von Rhetorik, über welche Methoden und Theorien. In dieser kurzen Abhandlung ist es unmöglich, alle rhetorischen Ansätze, die im Design Verwendung finden könnten, zu erörtern. Von daher werde ich lediglich einige Schlüsselmethoden skizzieren, insofern sie für die gegenwärtige Praxis – und hier insbesondere für das Informationsdesign – relevant sind. Design als interpretativer Akt: Traditionelle Rhetorik Eine der wichtigsten Entwicklungen in der zeitgenössischen Designtheorie ist die Erkenntnis, dass man die Interpretation eines Gegenstands durch die Anwender beschreiben, analysieren und sogar antizipieren kann, indem man verbale Konzepte in visuelle Rhetorik überträgt. Beispielsweise bietet die Klassische Rhetorik mit den traditionellen Appellen des Pathos, Logos und Ethos eine Perspektive, von der aus man die Reaktion eines Publikums auf visuelle Sprache begreifen kann: Logos: der Appell an die Vernunft – zum Beispiel durch formelle Anordnung, die die Nutzerinnen und Nutzer davon überzeugt, dass ein Designprodukt funktional und zugänglich ist. Pathos: der Appell an die Emotion – zum Beispiel durch Ornament, Farbe und andere expressive Mittel, die das Interesse der Anwender wecken oder Empathie hervorrufen. Ethos: der Appell an das Vertrauen – zum Beispiel durch Formen, die es den Nutzerinnen und Nutzern erlauben, sich mit dem Gegenstand zu identifizieren, und die sie davon überzeugen, dass sowohl das Produkt als auch der Designer glaubwürdig sind. In seinem Text Declaration by Design analysiert Richard Buchanan, wie Logos, Pathos und Ethos von Designern und Designerinnen bei der Gestaltung von Produkten wie Stereoanlagen, Kaffeemaschinen, Leuchten und Möbeln eingesetzt werden. Indem er diese klassischen Appelle auf das Design überträgt, demonstriert Buchanan, wie
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Siehe auch Corbett 1965 und Buchanan 1985.
Abbildung 1: Campanile / Glockenturm
Designer und Designerinnen die «Kunst der Überzeugung» sogar in äußerst alltäglichen Gegenständen zum Ausdruck bringen können. Auf diese Art ermöglichen es uns die Konzepte der Klassischen Rhetorik, die Reaktion von Nutzern und Nutzerinnen einzuschätzen, egal, ob es um neue oder lang etablierte Formen geht. Abbildung 1 zeigt einen Glockenturm auf dem Campus der Iowa State University, ein hiesiges Wahrzeichen, genannt «Campanile», das sowohl Studenten als auch Professoren, Angestellten und Alumni bestens bekannt ist. Der Campanile wurde im neugotischen Stil des 19. Jahrhunderts mit den für diesen Stil typischen Strebepfeilern, Kreuzblumen und Spitzbögen erbaut. Obwohl diese stilistischen Elemente ihre eigenen Appelle besitzen – besonders Pathos-Appelle, die mit Romantik und Mittelalterlichkeit assoziiert sind –, werden die meisten Passanten nur eine vage Vorstellung vom historischen und intellektuellen Ursprung dieser Formen haben. Für das Publikum hat der Campanile starke Ethos-Appelle, da er die traditionelle Campus-Architektur repräsentiert sowie die sozialen und kulturellen Fundamente, auf denen die Institution selbst beruht. Er hat Pathos-Appell, da er unter Studenten und Studentinnen als mitternächtlicher Ort für romantische Treffen beliebt ist, woher auch der Ausdruck «to campanile» stammt, was so viel heißt wie den Liebsten oder die Liebste zu küssen. Der Ethos-Appell drückt sich darin aus, dass er der Universität ein «Markenzeichen» verleiht, das durch ein Symbol repräsentiert wird, mit dem sich das Publikum – und insbesondere die Alumni – identifizieren können. Die Logos-Appelle sind weniger stark ausgeprägt, werden jedoch in der Tatsache deutlich, dass das Gebäude auf nahezu stoische Weise die riesigen Glocken trägt, und das nun schon seit über einem Jahrhundert. Man kann also sozusagen die Rhetorik des Glockenturms immer noch nachhallen hören und zwar auf Arten und Weisen, die seine Gestalter nur schwerlich hätten vorhersehen können.
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Die Klassische Rhetorik bietet tiefgreifende und effiziente interpretative Methoden, die Designer und Designerinnen heute im Kontext verschiedenster Aufgabenstellungen praktisch anwenden können. Beispielsweise würde es eine Architektin sicherlich vermeiden, in einer Kirche eine Wandverkleidung aus Plastik anzubringen, um den Ethos-Appell nicht für diejenigen Nutzer zu unterminieren, die hier Ziegel und Holz erwarten. Andererseits, falls man auf eine ökologische Bauweise bedacht wäre und recycelte Materialien verwenden würde, dann würde diese rhetorische Strategie sicherlich den EthosAppell des Gebäudes stärken und somit bei Nutzern und Nutzerinnen auf mehr Verständnis für den Ersatz traditioneller Materialien stoßen. Dasselbe rhetorische Prinzip lässt sich auf Informationsdesign anwenden: Der Designer, der den Jahresbericht eines Konzerns zu gestalten hat, wird dafür sicherlich keine gotische Schrift verwenden, und die Designerin, die eine Broschüre für eine gemeinnützige Organisation entwirft, wird ebenso gewiss kein Hochglanzpapier einsetzen. Der Ethos-, Pathos- und Logos-Appell sind von interpretativen Variablen abhängig, und oft dominiert einer der Appelle: Beispielsweise überzeugt der Logos-Appell bei der Gestaltung von Werkzeugen, während sich der Pathos-Appell beim Design eines Sportwagens anbietet. In der traditionellen Rhetorik finden sich noch weitere Methoden, die den Designprozess beeinflussen können. Hanno Ehses zeigt zum Beispiel, wie Grafikdesigner und -designerinnen rhetorische Figuren wie Metapher, Personifizierung und Hyperbole anwenden können, um ihren Entwürfen mehr Präsenz und Überzeugungskraft zu verleihen. Design als rhetorischer Prozess: inventio als Situationsanalyse Die Rhetorik ist im Design auch deshalb nützlich, weil sie Werkzeuge zur Definition und Analyse spezifischer Situationen – die bei Kress als «Hier und Jetzt» bezeichnet werden – zur Verfügung stellt. Dies schließt nicht nur das Zielpublikum ein, sondern auch den Zweck des Designprodukts sowie den Kontext, in dem die Interaktion mit Nutzern und Nutzerinnen stattfindet. Die Zielgruppen-Analyse ist im Design nichts Neues. In der Spätphase der modernen Architektur, die auch als «Design Methods Movement» bekannt ist, wurde Intuition abgelehnt, stattdessen erforschte man sorgfältig die Bedürfnisse der Nutzer und Nutzerinnen, die dann geplant und in den Designprozess integriert wurden.
Diese Prozesse waren jedoch steril, unflexibel und ausschließlich auf die Nutzer und Nutzerinnen beschränkt – anstatt vielschichtig, dynamisch und holistisch zu sein, wie es der Fall sein sollte, wenn man rhetorisch überzeugen will. Alle drei Situationsvariablen – also Zielpublikum, Zweck und Kontext – sind entscheidend. Wenn ein Designprodukt nur einer dieser Variablen gerecht wird, ohne die beiden anderen zu berücksichtigen, dann kann der Erfolg eines Projekts ernsthaft gefährdet werden. Rhetorisch gesehen ist Design ein Prozess, in dem situationsvariable Vorgaben kontinuierlich definiert werden müssen, damit das Design entsprechend ausgerichtet werden kann. Wenden wir uns der Zeichnung in Abbildung 2 zu: Wenn diese im Kontext eines Handbuchs eingesetzt würde, um das nächste Thema vorzustellen (zum Beispiel das Schlichten eines Disputs oder das Verhandeln einer geschäftlichen Transaktion), dann könnte die abstrakte
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Kostelnick und Roberts 1998, S. 4-13.
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Alexander 1964.
Abbildung 2: Zeichnung
Abbildung 3: Datenvisualisierung
Darstellung für diesen Zweck angemessen sein, da sie als visuelle Metapher fungierte, die andeutete, dass es um Dinge, nicht um Menschen geht. Wenn die Zeichnung andererseits Herstellern bei der Produktion der abgebildeten Möbel helfen oder Endverbrauchern als Montageanleitung dienen sollte, dann wäre sie völlig nutzlos. Die Stühle und der Tisch sind viel zu abstrakt, um auch nur irgendeine Information über Material, Maße, Farbe oder Montage zu kommunizieren. Falls also das Zielpublikum in diesem Falle Ingenieure, Hersteller oder Endverbraucher wären, dann wäre die Abbildung unbrauchbar. Die schlichte, moderne Anmutung des Bildes könnte jedoch auf ein Publikum von Managern mittleren Alters zeitgemäß wirken; Studentinnen hingegen würden dieselbe Abbildung als altmodisch und langweilig ansehen im Vergleich zur visuellen Web-Welt, die sie gewohnt sind. Designer und Designerinnen müssen die Flexibilität ihrer Formensprache den unterschiedlichen rhetorischen Situationen anpassen. Die gleiche Form der Situationsanalyse kann als Anleitung für andere Designdisziplinen – einschließlich der Datenvisualisierung – dienen. Nehmen wir einmal an, dass das Diagramm in Abbildung 3 die Zahl der Bäume pro Quadratkilometer in den Naturschutzgebieten dreier verschiedener Regionen darstellt. Falls die Darstellung
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dazu dienen sollte, einen präzisen Vergleich anzustellen, so wäre dies nicht möglich, da die Grafik weder Gitternetzlinien noch Datenbezeichnungen enthält. Falls es jedoch darum ginge, Laien einen generellen Eindruck von der Zu- oder Abnahme des Baumbestands zu vermitteln, dann wäre dies wohl gelungen, da die visuelle Anmutung (die Beschaffenheit des Schaubildes) auch solche Leser ansprechen würde, die nicht unbedingt die Details des Datensets untersuchen wollten. Andererseits würden gerade diese Eigenschaften bei technisch versierten Lesern den Ethos der Abbildung in Frage stellen, da dieses Publikum präzise und detaillierte Darstellungen erwartet.
Eine weitere Variable, nämlich kairos oder «der richtige Zeitpunkt», hat ebenfalls Auswirkungen auf den direkten situativen Kontext eines kommunikativen Akts, besonders dann, wenn es um Überzeugungskraft geht, da die Wahl des richtigen Augenblicks dazu beitragen kann, dass das Publikum einem Argument gegenüber aufgeschlossener ist. Dem kairos ist am einfachsten mit schnell zu produzierenden und anpassungsfähigen Formen – wie zum Beispiel einem Dokument, einer Datenvisualisierung oder einer Webseite – zu entsprechen. In der Zeit nach 9/11 beispielsweise beschworen viele Organisationen patriotische Themen durch die Integration der amerikanischen Flagge in ihren Werbeprospekten und Websites. Was langlebige Objekte wie beispielsweise Gebäude angeht, so ist es unmöglich, all die Situtionen und historischen Momente zu antizipieren, in denen sich deren Nutzung entwickeln und verändern wird (von der Bank zum Restaurant zum Beispiel). Und man kann ebenfalls nicht voraussehen, wie sich die visuelle Landschaft in der Nachbarschaft wandeln wird (zum Beispiel könnte plötzlich auf der gegenüberliegenden Seite ein Einkaufszentrum entstehen). In einem Sanierungsprojekt jedoch kann der kairos Designern helfen zu verstehen, wann das Publikum einer bestimmten Gestaltung aufgeschlossener gegenüberstehen wird. Nutzerzentriertes Design: Der Wert des Feedback Wie können Designerinnen und Designer diese Publikumsreaktionen antizipieren? Ein Design, das auf den bisher besprochenen rhetorischen Ansätzen basiert, wird einen konzeptuellen Rahmen zur Entscheidungsfindung liefern, der theoretisch begründet, pragmatisch und bewährt ist, der jedoch immer auch einen Aspekt des Mutmaßens enthält, wenn es um spezifische Situationen geht. Wie gehen nun Designer mit dieser Unsicherheit im rhetorischen Prozess um? Richard Buchanan sagt dazu: «Despite the continuing role of mass-production in many societies, the task is to design for the individual placed in his or her immediate context.» Man kann Buchanans Anweisung umsetzen, indem man zum Beispiel vom Leser ein direktes Feedback einholt. Solche von Feedback bestimmte Prozesse erfreuen sich zumindest im Dokumentdesign zunehmender Beliebtheit; hier wäre Karen A. Schriver als eine der maßgeblichen Vertreterinnen zu nennen. Durch das Einholen von Anwender-Feedback durch Tests, Fokus-Gruppen, Interviews, Protokolle und andere Methoden können Designer wertvolle Informationen zur Verbesserung eines Designprodukts sammeln. Dies geschieht in der Regel in mehreren Schritten, in denen ein Zyklus von Feedback und Re-Design mehrmals durchlaufen wird.
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Buchanan 1998, S. 20, Betonung im Original.
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Schriver 1997.
Falls Designerinnen und Designer beispielsweise bestimmen wollten, wie eine Zielgruppe auf die Zeichnung in Abbildung 2 reagieren wird, so stünden ihnen eine Reihe von Methoden zur Verfügung, um Anwender-Feedback einzuholen und in den Designprozess zu integrieren. Wenn die Abbildung Teil eines Verfahrens-Handbuchs in einem großen Unternehmen wäre, dann könnte man beispielsweise zwölf Angestellte dieses Unternehmens bitten, das Design in zwei Fokus-Gruppen zu untersuchen (Manager in einer Gruppe, andere Angestellte in der anderen). Dort könnte man den Teilnehmern und Teilnehmerinnen zusätzlich weitere Bilder mit ähnlichem Informationsgehalt zeigen und sie bitten, ihre Präferenzen zu erläutern. Die Designerinnen und Designer könnten dieses Feedback dann in eine revidierte Form der Broschüre einarbeiten und die neue Fassung wiederum in anschließenden Fokus-Gruppen, Umfragen oder Interviews beurteilen lassen. Dieses erneute Feedback könnte dann zur Feinabstimmung der Abbildungen und des Handbuchs insgesamt genutzt werden. Diese radikale Form der Zielgruppen-Analyse eröffnet auch die Möglichkeit eines wirklich demokratischen Designprozesses, indem hier die Gestaltung erfolgreich auf alle Nutzer und Nutzerinnen abgestimmt wird und auch diejenigen einschließt, die für gewöhnlich im Markt nicht berücksichtigt werden. Dieser Ansatz würde sicherlich Victor und Sylvia Margolins Vision einer Designpraxis begünstigen, in der die verschiedensten Bevölkerungsschichten in einem «process of social service intervention» berücksichtigt werden – ältere und arme Menschen, Lernbehinderte und Wohnungslose und nicht nur die etablierte gesellschaftliche Mitte. Im Informationsdesign wird dieser radikale Ansatz durch Michael Floreaks Fallstudie über die Entwicklung von Materialien zur Förderung von Kindern in Familien mit geringem Einkommen vertreten.10 In diesem Projekt analysierten die Dokumentdesigner die Bedürfnisse der Eltern, indem sie diese zuhause aufsuchten. Vielen Designerinnen und Designern mag diese Form, ein Feedback einzuholen, zu kostspielig und zeitaufwendig, und somit unrealistisch, erscheinen. Die Firma oder der zahlende Kunde würde einen solchen Aufwand nicht finanzieren. Doch angesichts der denkbaren Vorteile dieser Methode muss man sich fragen, wie Designer es versäumen können, sich diese Art von Zielgruppen-Feedback zunutze zu machen, besonders dann, wenn es um gefährdete oder naive Populationen geht, deren Lebensweise, Lebensunterhalt oder sogar Leben selbst auf dem Spiel stehen. Außerdem muss diese Art von Feedback nicht zwangsläufig teuer oder zeitraubend sein, denn bereits mit dem ersten befragten Anwender wird der Designer über doppelt so viele Zielgruppen-Daten verfügen wie zuvor. Doch auch die aufwendigste Anwender-Feedback-Studie kann nicht garantieren, dass ein Designprodukt in exakt der intendierten Weise genutzt wird. Die Rhetorik kann diese Art der Gewissheit nicht liefern, da kommunikative Interaktionen voller Unwägbarkeiten und unvorhersehbarer Wendungen stecken. Vom Standpunkt des Designers mag die Farbe Grün um die Weihnachtszeit eine gute Wahl darstellen, jedoch können die einen Grün nicht leiden, andere mögen farbenblind sein und wieder andere sind gerade vom Weihnachtseinkauf überhaupt frustriert. Wie schon Thomas Kent mit seiner «paralo-
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Siehe Bonsiepe 2006.
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Margolin 2002, S. 25.
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Floreak 1989.
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gischen Rhetorik» zeigte11, können Kommunikatoren in einer sich entfaltenden Interaktion durchaus ableiten, wie ihr Publikum wahrscheinlich reagieren wird, doch ist eine präzise Berechnung des Ergebnisses so gut wie unmöglich. Die Tatsache, dass Designer so wenig Kontrolle über den Moment der Interpretation haben und kaum in der Lage sind, dessen Ergebnis vorherzusagen, mag eine beängstigende Erkenntnis sein. Die Rhetorik ist ihrem Wesen nach ein durchaus bescheidenes Unterfangen, in dem Rhetoren oft darauf verweisen müssen, dass ein Publikum nicht perfekt verstanden oder berücksichtigt werden kann. Die Soziologie der visuellen Rhetorik Die Rhetorik ist aber auch eine wahrhaft soziale Aktivität, und diese Erkenntnis mag ebenso der Designpraxis förderlich sein. Die Vorstellung, dass ein einziger Sprecher mit einem einzigen Publikum interagiert, ist falsch, da Sprecher selten in Isolation agieren, sondern sich vielmehr in einem wesentlich weiter gespannten Netzwerk von Kommunikationen bewegen, die sowohl in der Gegenwart stattfinden als auch der Vergangenheit angehören und die sich gegenseitig beeinflussen. Dieses Gewebe von Kommunikationen liefert die Struktur und den Zusammenhalt, die für die visuelle Sprache notwendig sind und die das Publikum (und die Designerinnen und Designer) für alle interpretativen Momente wappnen. Wie also gehen Designer mit dieser sozialen Rhetorik um? Zunächst einmal geschieht Design immer in einem Kontext, der weit über die eigentliche Gestaltungsaufgabe hinausreicht und diese gewissermaßen umspült. Robert Venturi vertrat diesen Gesichtspunkt schon früh in Complexity and Contradiction in Architecture12, indem er betonte, dass Design sich immer auf den ästhetischen, sozialen und milieubedingten Kontext bezieht, in dem es entsteht. Ein Prinzip, das die postmoderne Agenda für die folgenden Jahrzehnte bestimmen sollte. Die postmoderne Maxime, dass das Design den Kontext, in dem es wirkt, zu respektieren hat – insbesondere in Bezug auf die kollektiven Bedürfnisse und Empfindlichkeiten der Nutzer und Nutzerinnen –, ist ein grundsätzlich rhetorischer Ansatz. Wenn wir diese soziale Ausrichtung auf andere Formen des Designs übertragen, dann können wir darüber im Sinne von visuellen Konventionen nachdenken: Designformen, die die Menschen durch Erfahrung oder Ausbildung kennengelernt haben, und die sie mit anderen teilen, mit denen sie gemeinsam an einem visuellen Diskurs teilnehmen. Definiert werden diese Diskurse beispielsweise durch professionelle Disziplinen (Medizin, Maschinenbau und andere) oder Organisationen (Firmen, Regierungsbehörden usw.), in denen Menschen miteinander arbeiten oder durch die Kulturen (z. B. Lateinamerika, Skandinavien), in denen sie aufwachsen oder leben. Wenden wir uns nochmals der visuellen Sprache des Campanile in Abbildung 1 zu. Seine hohen Spitzbögen, das steile Dach mit den Kreuzblumen und die feine Steinmetzarbeit des Glockenturms sprechen alle die Sprache der neugotischen Romantik, und – was die amerikanische Kultur angeht – die des universitären Lebens und der institutionellen Architektur des späten neunzehnten Jahrhunderts; in anderen Worten, eine konventionelle Sprache, die sich in Schulen, Bibliotheken, Krankenhäusern, Gerichtsgebäuden und anderen öffentlichen Bauten wiederfindet. Diese
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Kent 1993.
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Venturi 1966.
konventionellen Elemente verbinden die Nutzer und Nutzerinnen mit einem kontinuierlichen Designdiskurs – über Jahre, Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte. Auch das Dokumentdesign ist von Konventionen bestimmt: Newsletters mit Firmenlogos im oberen Bereich des Deckblatts, Organigramme, in denen die Führungspositionen oben platziert sind, Stromkreis-Diagramme mit symbolischen Kodierungen, die Navigationsleisten von Websites, Gitternetzlinien in Diagrammen – sie alle sprechen eine Sprache, die denjenigen geläufig ist, die mit diesen Formen vertraut sind. Durch die Anwendung visueller Konventionen werden die kollektiven Erwartungen des Publikums erfüllt. Konventionen stabilisieren ein Design und mindern den interpretativen Aufwand für das Publikum, indem sie ihm rhetorische Anhaltspunkte in einem Meer hermeneutischer Möglichkeiten und Unsicherheiten bieten. Selbstverständlich können Designer und Designerinnen nicht einfach bereits existierende Formen kopieren, sie müssen vielmehr bestimmte Konventionen auswählen, kombinieren und dem jeweiligen situativen Kontext anpassen. Und manchmal müssen sie sich auch einfach über Konventionen hinwegsetzen, um dem Kontext gerecht zu werden.13
Design als soziale Rhetorik wird auch von Ästhetik bestimmt, die wir als kulturelles Wissen verstehen können, das die Interpretation einer visuellen Sprache formt. Ästhetische Stile und die dazugehörigen Ideologien sind durchaus rhetorisch im sozialen und kulturellen Sinne, wie bereits Robin Kinross in seiner Analyse der Moderne und der «Rhetorik der Sachlichkeit» gezeigt hat.14 In der Moderne waren etwa stark kontrastierende geometrische Formen beliebt, die ein breites kulturübergreifendes Publikum ansprachen, zum Beispiel Otto Neuraths Isotype15. Diese Formen anzuwenden, bedeutete, dem Publikum die Möglichkeit zu geben, sich mit diesem ästhetischen und ideologischen Rahmen – und somit mit dem zu jener Zeit vorherrschenden Paradigma – zu identifizieren. Ein Firmenlogo in den späten sechziger und siebziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts bestand beispielsweise in der Regel aus einem schwarzen Bild auf weißem Hintergrund mit starkem Kontrast zwischen Figur und Hintergrund – eine reine, klare Form, die für Kunden in aller Welt Ethos projizieren sollte. Heute jedoch würden diese sachlichen geometrischen Formen nicht mehr denselben Ethos-Effekt hervorrufen, da die Moderne vorüber ist und wir diese Bilder nunmehr von der Perspektive der postmodernen Ästhetik aus interpretieren. Rhetorisches Design: Die Wahl der Mittel Die Rhetorik kann Anhaltspunkte für effektives Design liefern, und sie fordert Designer und Designerinnen dazu heraus, sich auf unterschiedliche Weisen an ihrem Publikum zu orientieren und somit in ihrer Arbeit dem «Hier und Jetzt», wie Kress es nennt, gerecht zu werden. Designer und Designerinnen müssen in Hinblick auf ein spezifisches Problem ihr jeweiliges Publikum respektieren und erkennen, dass die Anwender und Anwenderinnen bei der Interpretation von Gestaltung und Formensprache eine aktive
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Kostelnick und Hassett 2003, S. 31-32, 215-17.
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Kinross 1985; siehe auch Lupton 1986.
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Neurath 1936.
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Rolle spielen. Auf dieser Basis steht dem Design eine Vielzahl rhetorischer Werkzeuge zur Verfügung. Deren Auswahl hängt von dem Zweck des jeweiligen Designprodukts ab, sowie dem wahrnehmungsbedingten, sozialen und historischen Kontext, in dem es von einem bestimmten Publikum genutzt wird. Wie also soll ein Designer oder eine Designerin entscheiden, welches rhetorische Konzept der jeweiligen Situation am ehesten gerecht wird, und wie lassen sich die spezifischen Stärken und Limitationen am besten abwägen? Auf die Gefahr hin, hier sehr allgemein bleiben zu müssen, lassen sich folgende Punkte nennen: Die traditionelle Rhetorik kann als effektives Werkzeug zur Ideenfindung genutzt werden, indem sie den Designer dazu veranlasst, sich auf bestimmte Formen des Appells – wie etwa den Logos-Appell – zu konzentrieren. Diese Appelle zu verwenden, kann jedoch nicht garantieren, dass die Nutzer und Nutzerinnen sich auch motiviert fühlen werden, das entsprechende Designprodukt näher zu erforschen. Umfangreiches Nutzer-Feedback kann ein Design verbessern oder auch ein Design-Desaster verhindern, jedoch kann es nicht als Inspiration zu einem originellen oder effektiven Design dienen, da das Publikum nur auf die vom Design bereits vorgegebenen Formen reagieren kann. Die Verwendung visueller Konventionen kann ein sozial angemessenes Design garantieren, das die Erwartungen der Anwender und Anwenderinnen erfüllt und somit die notwendige Interpretationsarbeit verringert, doch kann die jeweilige rhetorische Situation mehr erfordern, als die bloße Erfüllung von Konventionen zu leisten vermag.
Die Ästhetik kann die expressiven Elemente eines Designprodukts hervorheben und sowohl den Ethos als auch den kairos unterstützen, doch kann sie den Designer auch von den funktionalen, handhabbaren Elementen ablenken, die die Anwender brauchen, um das Designprodukt nutzen zu können.
Die Rhetorik kann also Designern und Designerinnen helfen, sich ihr Publikum auf verschiedene Arten und Weisen zu vergegenwärtigen, doch kann eine Methode allein unmöglich die Komplexität der verschiedenen rhetorischen Probleme und kontextuellen Variablen einer bestimmten Situation erfassen und behandeln. Designer und Designerinnen müssen angesichts einer spezifischen Designaufgabe in ihrem rhetorischen Denken flexibel und eklektisch bleiben und sollten die Debatten über Validität oder intellektuelle Tiefe bestimmter Methoden den Akademikern und Akademikerinnen überlassen.
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Fazit Dass heutiges Design nicht nur Rhetorik erzeugt, sondern diese auch erfordert, lässt sich im Zeitalter der Demokratie, in dem Empathie für das Publikum zu den Grundwerten zählt, wohl kaum bestreiten. Die Rhetorik kann eine effektive Designpraxis begünstigen, indem sie Designern und Designerinnen eine Vielzahl von Möglichkeiten bietet, sich ihr Publikum zu vergegenwärtigen, und zwar jeweils ein bestimmtes Publikum in einer bestimmten Situation. Worauf es ankommt, ist die Wahl der Methoden und Ansätze, die einer bestimmten Designaufgabe am ehesten gerecht werden und die die Designer und Designerinnen in die Lage versetzen, die Bedürfnisse und Erwartungen des Publikums in den Designprozess zu integrieren.
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Bibliografie
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Positionen
Heiner Mühlmann
Rhetorik – Design – Macht
Der Begriff «Design-Rhetorik» ist so abstrus wie der Begriff «KochRhetorik». Zugegeben: Köche wollen bewirken, dass ihre Speisen von den Gästen bevorzugt werden. Aber sind ihre «Canards à l’orange», ihre «Tournedos Rossini» und ihre «Choucroutes» deshalb rhetorisch? Design ist der Prozess, in dem die Serienfertigung von Warenartefakten geplant wird. Dieser Prozess umfasst sowohl die technologische als auch die gestalterische Planung. Die so erzeugten Artefakte sollen dem Markt zugeführt werden und dort das Verhalten «Kaufpräferenz» auslösen. Doch ist die Fähigkeit, Präferenzverhalten zu bewirken, eine rhetorische Fähigkeit? Die Antwort lautet: Nein! Rhetorik ist eine Diskurstechnik. Und Rhetorik ist im Unterschied zur Malerei, zu Architektur, Theater, Design und Musik ein Echtzeitmedium. Alle anderen Medien arbeiten mit einer geteilten Zeitstruktur, nämlich einer Planungszeit und einer Präsentationszeit. Die Trainingstechniken der rhetorischen inventio dagegen versuchen, näherungsweise eine Diskurskompetenz zu erzeugen, die keine Vorbereitungszeit braucht. Es ist irreführend, wenn man von einer Rhetorik der Architektur, von einer Rhetorik der Malerei und von einer Rhetorik des Designs spricht. Theater-Rhetorik gibt es nur, weil im Theater geredet wird. Musik-Rhetorik gibt es nur, weil in der Musik Texte deklamiert werden. Dabei reicht die Musik-Rhetorik nur so weit, wie rhetorische Figuren Musik und Sprache gleichermaßen strukturieren. Ein Beispiel dafür: die Aposiopesis (das Verstummen). Sie funktioniert in der Musik genauso wie in der Sprache. Sobald aber eine Figur eine reine Melodiefigur ist, ohne Analogie in der Sprache, macht der Begriff MusikRhetorik keinen Sinn. Auch dafür ein Beispiel: die Figur der fuga. «Game-Rhetorik» ist nur vorstellbar, sofern in multiplayer-onlineSpielen geredet oder mit rhetorischen Strukturen gechattet wird. In den Dialogen der multiplayer-online-Spiele hat die Echtzeitkompetenz der Rhetorik eine Chance. Sie tritt an die Stelle der geteilten Zeitstruktur, von der die rhetorischen Dialoge des Theaters abhängen. Denn die Theaterdialoge müssen im Voraus geschrieben werden.
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Der Vollständigkeit halber muss erwähnt werden, dass es einige genau definierbare Bereiche gibt, in denen sich Bilder und Rhetorik miteinander vermischen. Im sogenannten Kommunikationsdesign beispielsweise gibt es rhetorische Figuren, die zu einem Teil aus einem kurzen Text, zum anderen Teil aus einem Bild bestehen. Beispiel: Das Bild eines Tigers mit dem Text «Pack den Tiger in den Tank». Der Tiger fungiert hier als Metapher für Benzin. Diese Bild-Textmetapher ist allerdings redundant. Mir ist ansonsten nur eine Eigenschaft bekannt, die man sowohl in der Rhetorik als auch im Design antrifft. Es handelt sich um die ranking-Erkennung. Dabei ist ranking-Erkennung keineswegs eine spezifisch rhetorische Eigenschaft. Sie ist vielmehr ein modulartiger kognitiver Prozess, der für kulturelle Organisation unverzichtbar ist. Modulartige Kognitionsprozesse werden von Generation zu Generation und zwar genetisch oder durch kulturelle Imitation übertragen. Ein Kognitives Modul funktioniert wie ein kognitives Fertigteil. Gestützt auf Module erkennt das Individuum schnell, meistens sogar übereilt. Diese Form der Erkenntnis ist nur möglich, wenn ein vorfabriziertes, im Erkenntnisapparat vorhandenes Negativ von dem Stimulus getroffen wird, auf den es ausgerichtet ist. Der Stimulus fungiert dabei als Positiv. Wenn die Positive nicht genau den modularen Vorurteilen des Negativs entsprechen, geht der Kognitionsprozess ins Leere. Kognitive Module sind erfolgreich, weil sie meistens das Richtige treffen. Die vielen zwangsläufig erzeugten Fehlurteile werden in Kauf genommen. Ranking-Erkennung beziehungsweise ranking inference wurde von der Evolutionsbiologie außer bei Menschen bei nichthumanen Primaten, bei Caniden und bei Corviden beobachtet. Ranking-Erkennung wird nicht erst durch rhetorische Techniken erzeugt. Als allgemeines kulturelles Organisationsprinzip reguliert sie alle Medien, Artefakte und kulturellen Verhaltensformen. Deshalb sind Medien und kulturelles Verhalten dem Gesetz der 2 channel communication unterworfen. Das bedeutet: Jedes kulturelle Objekt und jeder kulturelle Verhaltensakt müssen außer einem Sachkanal einen display-Kanal hervorbringen. Denn der display-Kanal wird benötigt, um Marker der ranking-Erkennung aufzunehmen. Den Begriff display habe ich von der Verhaltenszoologie ausgeliehen. Er bedeutet dort: «Von der Evolution verändertes Verhalten, das Information überträgt.»
Ranking-Marker sind immer tribalistisch.
Auch in der Rhetorik gibt es den Unterschied zwischen Sach- und display-Kanal. Die beiden Bereiche werden in den Texten von Cicero und Quintilian mit dem Ausdruck «res et verba» voneinander unterschieden. Im rhetorischen Sachkanal geht es um das «Was» der Rede, das heißt um semantische und kategoriale Richtigkeit. Im display-Kanal geht es um das «Wie». Das «Wie» wird durch verschiedene Stillagen von Redeornamenten wie
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Zum Funktionieren von Kognitiven Modulen siehe: Mühlmann, Heiner (2007): Jesus überlistet Darwin, TRACE, Springer, Wien-New York.
Siehe: Wilson, Edward O. (1975): Sociobiology, Harvard Univ. Press, Cambridge, Mass.
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rhetorische Figuren, Sprichwörter, Zitate und andere wiedererkennbare Ausdrücke erzeugt. Der lateinische Originalbegriff für Redeornament lautet ornamentum. Das «Wie» muss passen: Erstens zum ranking des Redners, zweitens zum ranking des Redeinhalts und drittens zum ranking des Redeanlasses. Dieser Passeffekt wurde während der ganzen Vormoderne decorum genannt. Decorum ist gleichbedeutend mit ranking-Erkennung oder ranking inference. In der Architektur wird die 2 channel-Struktur durch die Unterscheidung von building codes und design codes ausgedrückt. Was wir heute design code nennen, wurde in der vormodernen Architekturtheorie ornamentum oder decorum genannt. Die Architekturtheorie verwendet in diesem Zusammenhang Begriffe, die mit der Terminologie der Rhetorik vollkommen übereinstimmen. In der Musik erscheint das 2 channel-System in der Struktur, die Johann Sebastian Bach «numerus et affectus» nannte. In der Malerei erscheint es in der binären Struktur, erstens als «Proportionslehre für das disegno der abgebildeten Körper» und zweitens als «Emotionsdarstellung der Historienkomposition». Im Theater gibt es die Unterscheidung von mimesis und rhetorischer Gestenlehre. Die Gestaltung des display-Kanals wurde während der Vormoderne von Regelsystemen kontrolliert. Das decorum-Prinzip – mit anderen Worten: das ranking-inference-Prinzip – war die Hauptregel eines Regeleinstellungssystems. Regeleinstellungssysteme bzw. rule adjustment systems sind von der Evolutionsbiologie erforscht worden. Ranking-Erkennung ist ein dominantes kulturelles Organisationsmodul. Sie befindet sich in den Herzen und Köpfen der Menschen. Sie funktioniert auch, wenn sie nicht von expliziten Regeln thematisiert wird. Ranking-Erkennung fungiert immer und überall als kulturelles Negativ. Dieses Negativ ist imstande, künstliche Positive zu erzeugen. Auch wenn die Designer von kulturellen Artefakten ranking und decorum ablehnen, fügt sich unweigerlich jedes Designprodukt im Moment der Übertragung an einen Nutzer in ein System der ranking-Erkennung ein. Die ranking-Sensibilität ist in den Populationen, die mit der größten Macht ausgestattet sind, am stärksten ausgeprägt. In allen Chefetagen ist es wichtig, wer welche Automarke fährt, ob man Maßanzüge trägt oder Anzüge aus einer Designerkollektion, welchen Sport man treibt, wen man ins Restaurant und wen man in sein Haus einlädt, und wie luxuriös das Haus eingerichtet ist. Ranking ist hier die Konflikt verhindernde ingroup-Organisation einer Firmenkultur, die auf der outgroup-Seite Konfliktrisiken eingeht.
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Siehe: Trüby, Stephan (2008): Exit Architektur, TRACE, Springer, Wien-New York.
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Siehe: Mühlmann, Heiner (2005): Aesthetische Theorie der Renaissance, 2. Aufl. Dolega, Bochum.
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Siehe: Scheibe, JA (1773): Ueber die musikalische Komposition, Leipzig.
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Siehe: Mühlmann, op.cit.
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Siehe: Holland, John v. (1992): Adaption in Natural and Artificial Systems, Cambridge Mass., London.
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Es ist auch ganz leicht, einer Designschule, die ranking-Gestaltung ablehnt, das kulturelle Negativ ranking-Erkennung überzustülpen. Die Designer des Bau«gut» hauses beispielsweise glaubten an die Möglichkeit, dass Design «gut» sein könne. Das Wort hatte dabei nicht nur eine technische Bedeutung, etwa im Sinne von «gutes Werkzeug». Es hatte für die Bauhausmitglieder auch eine ethische Bedeutung. Die ethische Qualität des Designprodukts resultierte aus der Wahrheitsliebe der Designer. Das Zusammenfügen von Material, Funktion und Form war für die Bauhauspädagogen eine Frage der Wahrheit. Ranking-Imponiergehabe wäre für sie etwas Unanständiges gewesen. Trotzdem war es für Albert Speer ein Leichtes, das ganze Bauhaus einem decorum-System zu unterwerfen. Er erklärte kurzerhand die pathetische Repräsentationsarchitektur, die von ihm selbst und von Adolf Hitler entworfen wurde, zur «hohen» Staatsbaukunst und die Bauhausarchitektur zur niedrigen Industriebaukunst. Wie ranking-Ordnungen als Resultate von kulturellen Transmissionsprozessen entstehen, soll mit Hilfe des nun folgenden Beispiels erklärt werden. Dabei ist vorauszuschicken, dass kulturelle Transmissionsprozesse vertikal sein müssen. Das heißt sie müssen sich über mehrere Generationen erstrecken, um kulturelle Relevanz zu erzeugen. Als Beispiel sei das kontrovers diskutierte «Heinsohn-Modell» gewählt. Gunnar Heinsohn ist Genozid-Forscher an der Universität Bremen. Er hat dargelegt, dass Geburtenüberschüsse von Söhnen mit beschreibbarer Gesetzmäßigkeit zu Konflikten führen. Überschuss bedeutet in diesem Zusammenhang: Söhne, für die keine gesellschaftlichen Stellungen vorhanden sind. Dabei kann es sich um nicht erbberechtigte Söhne in vormodernen aristokratischen Familien ebenso handeln wie um die jungen Männer, die ohne Zukunftsperspektive in Palästina und im Jemen leben. Laut Heinsohn ist dieses Problem nicht zu lösen durch Zuwendungen von Geld, Lebensmitteln, Wohnraum und Kleidung. Es geht vielmehr um gesellschaftliche Anerkennung. Die orientierungslosen Söhne drängen ins ranking. Dabei wählen sie als Ausscheidungswettbewerb nicht den ingroup-Kampf unter Individuen. Sie formieren sich in Gruppen, organisieren sich in einem ranking-System und suchen den outgroupKampf. Nach jedem Kampf werden die ranking-Positionen neu gemischt. Dabei sind die jungen Leute von Natur aus der Meinung, für eine gute Sache zu kämpfen. Die aristokratischen zweiten, dritten und vierten Söhne freuten sich auf Kriege, denn sie hofften, durch ihre Bewährung im Kampf Ruhm und Ehre zu gewinnen. Auf diese Weise wollten sie ihre Positionen im ranking der Militärhierarchie verbessern. Nach jedem outgroup-Konflikt werden die ranking-Abstufungen neu aufgeteilt. Mit den ranking-Skalierungen entstehen Kleidercodes, Ausstattungscodes und Schmuckcodes. Bei Codes dieser Art handelt es sich immer um tribalistische Marker. Heinsohns Theorie enthält ansatzweise die transgenerationale Perspektive. So erklärt sie die Überschuss erzeugende Geburtsentwicklung durch eine politisch gesteuerte Verhinderung der Geburtenkontrolle. Als Beispiel erwähnt Heinsohn die syste-
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Siehe: Michaud, Eric (1998): Un art pour l’éternité, Gallimard, Paris.
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Siehe: Heinsohn, Gunnar (2006): Söhne und Weltmacht, Orell Füssli, Zürich.
matische Tötung der «Hexen» während der frühen Neuzeit. Denn Hexen verfügten außer über Hebammenwissen auch über Kontrazeptionswissen. In diesem Beispiel erscheint die Geburtendynamik als erzwungenes Resultat einer bewussten Politik, die aus militärstrategischen Gründen an der Geburt von möglichst vielen Knaben interessiert ist. Dieselbe Geburtendynamik kann auch ohne Zwang aus kulturellen Leitvorstellungen resultieren, bei denen keine Verbindung zur Militärstrategie der nächsten Generation erkennbar ist. Sie kann etwa aus dem Ideal der Keuschheit resultieren. Keuschheitssexualität wäre dabei das Gegenteil von hedonistischer Sexualität. In einer Kultur der Keuschheitssexualität gilt eine Frau, die kontrazeptive Medikamente einnimmt, als ehrlos. Kulturell kann Keuschheitssexualität nur erfolgreich sein, wenn sie imstande ist, die Menschen auf ihre eigene Weise zu faszinieren. Das kann zum Beispiel durch die Ideale von unsterblicher, schicksalhafter Liebe geschehen oder durch den Traum vom unerreichbaren Geliebten, oder durch den Verlust des Geliebten im Krieg und den damit verbundenen lebenslangen Verzicht auf sexuelle Aktivität. Die ranking inference wird als kulturelles Transmissionsphänomen nur dann beschreibbar, wenn der Generationenübergang berücksichtigt wird. Wenn Geburtenreichtum an Keuschheitssexualität gekoppelt ist, und wenn Geburtenreichtum zu ranking-Aufmischungen, das heißt zu outgroup-Konflikten führt, dann wäre die Keuschheitssexualität transgenerational an die Auslösung von outgroup-Konflikten gekoppelt. Eine derartige Verkopplung ist eine evolutionstheoretische Struktur. Sie enthält das Moment der evolutionären Blindheit. Denn das keuschheitssexuelle Individuum mit seinen notwendigerweise romantischen Vorstellungen von der Liebe erträumt eine Welt, die gerade nicht von Konflikten und Kriegen heimgesucht wird. Es ist gefangen in transgenerationaler Blindheit, denn es will «die Liebe». Doch durch die verschlungenen Wege der Evolutionsdynamik erzeugt sie den Krieg. Diese paradoxale Struktur der Kulturevolution spiegelt sich im vormodernen decorum. Alle kulturellen Medien der Vormoderne stellen den Militärkonflikt als heroisch und erhaben dar, die Liebe als Idylle und als imaginäres Arkadien. Liebe und Krieg erscheinen in der teuflischen Evolutionsdynamik als Funktionszusammenhang, der eine Vorher-Nachher-Zeitstruktur hat. Im decorum erscheinen sie als gleichzeitige Polarisierung des Niedrigen und des Erhabenen. Idylle und Krieg verhalten sich zueinander wie Niedrig und Erhaben. Damit erfüllen sie das Gesetz der ranking-Erkennung. Doch zurück zum Design und zur ranking-Erkennung in den Herzen und Köpfen! Ich habe Design definiert als Planungsprozess der Serienfertigung von Warenartefakten. Dieser Planungsprozess umfasst auch, so die Definition, die Entscheidungen, die der technologischen Entwicklung von Produkten vorangehen. Ziel der Planung ist das Erzeugen von Kaufpräferenz. Demnach wäre die Entscheidung, die von der naturwissenschaftlichen Möglichkeit zur technologischen Entwicklung führt, eine beliebige Entscheidung, die nur dem Zweck des ökonomischen Präferenzverhaltens dient. Ganz so ist es nicht. Hier begegnet uns das Motiv Konflikt/Krieg zum zweiten Mal. Die meisten technologischen Entscheidungen werden unter dem Druck
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von paranoiden militärstrategischen Erwägungen getroffen. Es geht dabei um die alte Angst vor dem «zu spät», von der alle Militärstrategen besessen sind. Sie fürchten sich davor, eine neue Militärtechnologie später zu besitzen als die Feinde. So war es bei der Erfindung des Zaumzeugs und des Steigbügels, bei der Erfindung der Eisenmetallurgie, des Verbundbogens und der Feuerwaffen. Ein gutes Beispiel für die Umsetzung naturwissenschaftlicher Möglichkeit in die Militärtechnologie bietet die Quantentheorie. Sie beschreibt die Materie auf eine Weise, die den gesunden Menschenverstand und das normale philosophische Vorstellungsvermögen übersteigt. Denn die Unbestimmtheit von Teilchen- und Wellenbeschaffenheit wird mit Hilfe von komplexen Zahlen dargestellt. Komplexe Zahlen setzten sich zusammen aus reellen Zahlen und imaginären Zahlen. Eine imaginäre Zahl ist die Wurzel aus minus Eins. Man versuche, sich eine Realität vorzustellen, in der man Objekte mit der Wurzel aus minus Eins zählen kann. So sieht die chimärische Welt der Quantentheorie aus. Da ist es verständlich, dass sie niemand gewollt hat. Man sagt, selbst ihr Erfinder, Max Planck, habe sie nicht gewollt. Und trotzdem beschreibt die Quantentheorie die Natur auf höchst erfolgreiche Weise. Diese Erfolgsgeschichte ist eine Geschichte der militärtechnologischen Innovationen, aus denen dann in zweiten Schritten Innovationen des nicht militärischen Designs wurden. Die erfolgreiche Entwicklungsarbeit des Manhattan-Projekts in Los Alamos war eine Umsetzung der Quantentheorie. Das Resultat war die funktionsfähige Atombombe. John v. Neumann erfand den Computer in seiner jetzigen Architektur, um die Reaktionszeiten der Kernspaltung mit hoher Geschwindigkeit berechnen zu können. John v. Neumann war Mitglied des Manhattan-Teams. In den Bell-Laboratorien wurde der Halbleiter erfunden (Umsetzung der Quantentheorie), um Raum sparende Rechner für Raketen zu entwickeln. Der Halbleiter fand dann seinen Weg zum John v. Neumann-Computer. Die DARPA entwickelte das Arpanet, den Vorläufer des Internet, um die Unzerstörbarkeit der Kommandostruktur der amerikanischen Armee zu gewährleisten. Die DARPA ist die Technologieabteilung des Pentagon. Dies ist das Technologiedesign, von dem alles Design des späten 20. und des 21. Jahrhunderts abstammt. Was wären die multiplayer-online-Spiele ohne John v. Neumann, ohne die Halbleiter der Raketentechnik und ohne die Bemühungen der Entwicklungsabteilung des Pentagon? Es wird erkennbar, dass im Design das Negativ eines ranking der Macht enthalten ist. Es ist in ihm enthalten als Anamnese der Militärtechnologie und als kulturelles Negativ der ranking inference. Dieses Negativ wird immer seine kulturellen Positive schaffen. Die Designtheorie hat die späte Chance, die ranking-Erkennung der Herzen und Köpfe zum Gegenstand von Regelwissen zu machen. Vielleicht können dann eines Tages die «dunklen Kräfte» des ranking einer regulierenden Kontrolle unterworfen werden. 106
Positionen
Hanno Ehses
Rhetorik im Kommunikationsdesign
Abstract Designer und Designerinnen verwenden Farben, Schriften, Bilder und andere grafische Elemente, um greifbare, visuelle Gegenstände zu entwickeln, die der Kommunikation mit einem bestimmten Publikum dienen sollen. Dieser Prozess beinhaltet in der Regel den Versuch, dieses Publikum zu beeinflussen oder gar zu überreden. Also muss das, was durch das visuelle Material ausgedrückt wird, glaubhaft und überzeugend sein. Es bietet sich von daher an, das Kommunikationsdesign als rhetorische Praxis zu betrachten. Um den heutigen Herausforderungen in Gesellschaft, Technologie und multimedialen Kommunikationsbereichen gerecht werden zu können und um die Komplexitäten und Limitierungen zu meistern, die der Gestaltung des Kommunikationsprozesses und den daraus resultierenden Produkten zu eigen sind – so die Argumentation einiger Designschaffender –, bedarf das Design nicht nur eines Könnens, sondern auch eines Wissens im Sinne einer wissenschaftlichen Grundlage. Die Weiterentwicklung der Designpraxis hängt von der Schaffung eines Wissenskörpers und der Erweiterung des kritischen Designs ab. Es wird immer noch nach Modellen oder Methoden gesucht, woran sich die Designpraxis orientieren könnte, und die ihr sowohl als analytische wie auch als generative Werkzeuge zur Verfügung stehen könnten. In diesem Kontext schlage ich vor, die multimodale Theorie der klassischen Rhetorik genauer zu betrachten. Sie befasst sich mit der Art und Weise, in der Menschen durch Sprache beeinflusst werden können, und verfügt über einen Wissensfundus, der Prinzipien, Methoden und Instrumente beinhaltet, die sich in andere Medien übertragen lassen. In dem vorliegenden Text wird gezeigt, wie die Grundelemente der Rhetorik, also Logos, Pathos, Tropus und Schema, im Designprozess eingesetzt und visuell umgesetzt werden können, um alternative und effektive Designlösungen zu entwickeln. Einführung Designer und Designerinnen verfügen über einen extrem ausgeprägten visuellen Wahrnehmungssinn und ein höchst verfeinertes handwerkliches Verständnis. Obwohl das Streben nach handwerklicher Perfektion in jeder Hinsicht zu begrüßen ist, sollte es nicht den Blick auf das verstellen, was man als die grundlegende Aufgabe
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des visuellen Kommunikationsdesigns verstehen sollte, nämlich die Gestaltung kommunikativer Situationen. Zur Veranschaulichung dieser Aufgabe sollen zwei Projekte dienen, an denen unser Fachbereich beteiligt war: Projekt 1 Halifax ist eine von drei Städten Kanadas, die sich um die Ausrichtung der 20. Commonwealth Spiele im Jahr 2014 beworben haben – eine Veranstaltung, die Menschen aus 71 Ländern über elf Tage hinweg zusammenbringen wird. Das Planungskomitee beauftragte uns mit einer Untersuchung zu den Grundelementen eines visuellen Systems, das zum Funktionieren einer solchen Veranstaltung notwendig sein wird. In einer Ausstellung präsentierten wir Vorschläge zu Logo, Farben und Typografie sowie mögliche Umsetzungen für ein Informations- und Wegeleitsystem im Transport- und Stadtbereich. Projekt 2 Um dem überdurchschnittlich hohen Prozentanteil an Risikoschwangerschaften im ländlichen Nova Scotia, Kanada, entgegenzuwirken, trat der Direktor des Reproductive Care Programs an unseren Fachbereich heran mit der Bitte, ein Poster zu gestalten, das die Hebamme am Ende eines Hausbesuchs bei einer Schwangeren zurücklassen könnte. Dieses Poster sollte die werdenden Mütter daran erinnern, sich um ihre Gesundheit zu kümmern, sich gesund zu ernähren und ausreichend zu bewegen. Nach einer gründlichen Analyse der Aufgabenstellung schlugen wir anstelle des Posters ein grafisches Produkt vor, das sowohl als Orientierungshilfe wie auch als Gedächtnisstütze dienen könnte. Wir stellten uns ein interaktives Objekt vor, das Vertrauen schaffen und emotional ansprechend sein sollte. Auch wollten wir den Gedanken verdeutlichen, dass man mit einem gesunden Lebensstil und ein wenig Unterstützung eine komplikationsfreie Schwangerschaft und ein gesundes Baby haben kann. Wir schlugen schließlich einen 10-monatigen Kalender vor, dessen obere Hälfte alle notwendigen Informationen auflisten sollte, während sich in der unteren Hälfte undatierte Felder für jeden Tag des Monats befänden, in denen die Nutzerin eigene Eintragungen vornehmen könnte. Der obere Kalenderteil sollte Informationen zum eigenen Körper, zum Baby und zu allgemeinen gesundheitlichen Themen enthalten und auch nützliche Tipps geben, wie zum Beispiel zu Medikamenten, morgendlichem Unwohlsein, Schwangerschaftsturnen und ähnlichem. Wir empfahlen außerdem, so weit wie möglich medizinische Fachbegriffe zu vermeiden und einen informellen, umgangssprachlichen Tonfall für den Text sowie eine comicstripartige Bildsprache für die visuelle Umsetzung zu nutzen (Abbildung 1).
Diese Beispiele sollen verdeutlichen, dass Design eine soziale Aktivität ist, die als Antwort auf Probleme, Möglichkeiten oder andere Umstände in unserem Alltag zum Wirken kommt. Jedes Design-Produkt entsteht aus dem Bedürfnis, eine bestimmte Botschaft zu kommunizieren und im Gegenzug eine gewünschte Antwort zu erhalten. Deshalb ist es unmöglich, die Qualität eines solchen Produkts allein auf der Basis seiner visuellen Erscheinung zu beurteilen. Obwohl die Sorge um Originalität und Schönheit durchaus zu der Entwicklung visueller Intelligenz und kultureller Werte beitragen kann, hat sie Designer und Designerinnen oft
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Abbildung 1
daran gehindert, visuelle Materialien zu gestalten, die das Wissen, die Ansichten oder das Verhalten der Menschen verändern oder beeinflussen. Designer und Designerinnen entwickeln visuelle Produkte, die eine Verbindung zwischen Auftraggeber, Gegenstand und Zielpublikum herstellen sollen. Während dieses Prozesses versuchen sie, das Zielpublikum zu beeinflussen (zum Beispiel dazu, Informationen entweder anzunehmen oder abzulehnen), es zu überreden (zum Beispiel zu einer bestimmten Handlung) oder auch sich mit dem Publikum zu identifizieren, indem ein bestimmtes Erlebnis angeboten wird. Anders formuliert: Die Implikationen des visuellen Materials müssen die intendierten Adressaten überzeugen. Es ist die Aufgabe des Kommunikationsdesigners, unter Berücksichtigung der Zielvorgaben und Einschränkungen eines Projekts eine angemessene und effektive visuelle Lösung zu entwickeln. Diese entsteht in der Regel aus der Verschmelzung einer rationalen und durchdachten Problemanalyse mit einer kreativ-intuitiven Phase. Designer und Designerinnen sind innerhalb sozialer Kontexte in einer vermittelnden Rolle in die Gestaltung kommunikativer Prozesse und deren Produkte involviert und nehmen somit Einfluss auf alltägliche Gegenstände, Handlungen und Ereignisse. Da Designer und Designerinnen visuelle Objekte entwickeln, die dazu dienen, mit einem bestimmten Publikum zweckbestimmt zu kommunizieren, und da sie somit Objekte schaffen, die Teil der kompetitiven Landschaft unserer alltäglichen Kommunikationserlebnisse und den darin enthaltenen Formulierungen und Argumenten werden, ist die Designpraxis eine ihrem Wesen nach rhetorische Praxis.
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Rhetorik, also die antike Kunst, durch Rede zu überzeugen, beinhaltet von Menschen geschaffene Zeichen und Symbole, die der Kommunikation dienen. Heutzutage steht das grafische Kommunikationsdesign für eine wichtige Form der alltäglichen visuellen Rhetorik, die oft von Aspekten wie Ästhetik, Nutzen, Vertrautheit und kulturellem Kontext überlagert wird und somit die rhetorische Dimension und Gestaltung ihrer Objekte in den Hintergrund treten lässt. Richard Buchanan identifiziert die rhetorische Eigenschaft von Design folgendermaßen: «…when designers are concerned with the process of conceiving designs; the influence of the designer‘s personal attitudes, values, or design philosophy; or the way the social world of design organizations, management, corporate policy shapes a design… when studies of the esthetics of design treat form not only as a quality valuable in itself, but also as a means of pleasing, instructing, and passing information, or, indeed, as a means of shaping the appearance of objects for whatever intended effect». Die in diesem Zitat aufgeführten Aspekte enthalten alle eine bedeutende rhetorische Komponente. Daraus folgt, dass dem Designprozess unter anderem eine rhetorische Perspektive zugrunde liegt und zwar nicht nur bei der tatsächlichen Gestaltung des physischen Materials, sondern von dem Moment an, wo sich Designer und Klient zum ersten Mal treffen, um ein Problem, einen Auftrag oder eine Strategie zu besprechen, bis hin zu den Skizzen und Modellen, die der schlussendlichen Herstellung des visuellen Objekts vorausgehen. Design und klassische Rhetorik Um das grafische Kommunikationsdesign voranzutreiben, bedarf es eines Wissenskörpers und einer ausgeprägten Designkritik. Seit langem schon hat man nach einer Theorie gesucht, auf die sich die Praxis stützen ließe. Wie viele junge Disziplinen hat sich das Kommunikationsdesign Ideen von etablierteren Lehren geborgt, um sich somit ein besseres Selbstverständnis zu schaffen. Es befasst sich mit einer solch weit gefächerten Palette von Formen, Funktionen und Zielgruppen, dass es schwerfallen mag, eine grundlegende Kohärenz oder Struktur zu erkennen. Angesichts dieser Sachlage bietet es sich an, das noch softe intellektuelle Fundament der Disziplin dahingehend zu stärken, dass wir unsere Aufmerksamkeit auf die Methoden und Strategien der antiken Rhetoriker richten. Das erweiterbare und anpassungsfähige Rahmenwerk der klassischen Rhetorik bietet sich zur Identifikation eines Wissensfundus an, der Prinzipien, Methoden und Instrumente beinhaltet, die sich potenziell zur Übertragung in andere Medien eignen. Die elementaren Bestandteile der klassischen Rhetorik
A. Die Situation Kontext (Ort und Zeit) Anlass (Problem, Thema oder Ereignis) Publikum (Profil, Stärken und Schwächen)
B. Der Redner/Die Rednerin Persönlicher Hintergrund (Qualifikationen, Erfahrung, Ruf) Absicht (Ziel und Zweck)
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Buchanan, Richard (1985): Declaration by Design: Rhetoric, Argument, and Demonstration in Design Practice. Nachdruck in: Margolin, Victor (Hrsg.): Design Discourse. History, Theory, Criticism. Chicago 1989, S. 91.
C. Die Rede Inventio/Stoffsammlung: thematische Zusammenstellung (Logos, Ethos, Pathos) Dispositio/Gliederung: Ordnen des Stoffes Elocutio/Stil: stilistische Ausgestaltung Memoria/Einprägen: das Auswendiglernen der Rede (Heutzutage verlassen wir uns auf Notizen und Technologie) Actio/Vortrag: schauspielerische Darstellung des Diskurses (Heute beinhaltet dies die Gestaltung verschiedenster Kommunikationsmaterialien, das Inszenieren von Ereignissen und Produkten sowie Präsentationstechniken)
Obwohl die klassische Rhetorik hauptsächlich mit Kommunikationstechniken zum Zweck der Überzeugung in mündlicher und später auch schriftlicher Form assoziiert ist, was sich noch später zur Kombination von Text und Bild weiterentwickeln sollte, ließe sich argumentieren, dass sie bereits in ihren Anfängen eine multimodale Strategie verfolgte. Dieses Argument stützt sich darauf, dass sich die Rhetorik seit jeher mit der schauspielerischen Darstellung der Rede beschäftigt hat, in der Zeichen, wie zum Beispiel Stimme, Gestik, Haltung, Gesichtsausdruck und sogar Inszenierung, behandelt wurden. Aristoteles beschrieb die Rhetorik als «die Kunst, bei jedem Gegenstand die möglichen Überzeugungsmittel» zu finden. Seit Aristoteles diese Worte niederschrieb, haben sich unsere «möglichen Überzeugungsmittel» beachtlich erweitert.
Heute sind die Formen der Argumentation als auch ihr Ausdruck nicht mehr auf Debatten, Prosa oder Abhandlungen beschränkt, sondern umfassen das gesamte Arsenal moderner Kommunikationstechnologien sowie visuelle Identitäten, Navigationssysteme, Werbung, Architektur, Ausstellungen, Messen, Internet-Auftritte, Blogs, Film, Musik, Mode und vieles mehr. In jüngeren Rhetorikstudien, wie zum Beispiel bei Schriver (1997), Hill und Helmers (2004), Handa (2004) sowie Lunford und Ruszkiewicz (2004), werden die traditionellen Grenzen der Rhetorik in Frage gestellt und in den visuellen Bereich ausgeweitet. Gemeinsam zeichnen diese Autoren ein umfassendes Bild unserer zeitgenössischen «Überzeugungsmittel», die die Medienlandschaft bevölkern und unseren Alltag kennzeichnen. Die klassische Rhetorik beruht auf der Annahme, dass der Kommunikationsprozess analysiert werden kann, dass seine Prinzipien abstrahiert und seine Methoden formuliert werden können, sodass sie allgemein zur Verfügung stehen. Für den Großteil ihrer Geschichte hat sich die Rhetorik als eine Disziplin verstanden, die sich mit der Wahrnehmung von Sprachoperationen befasst und die ihre Schüler darin trainiert, die Werkzeuge der Sprache kompetent einzusetzen. Man könnte auch sagen, dass die Rhetorik die Kunst des Aufbauens oder Komponierens beschreibt und gleichzeitig die Kunst, das Komponierte wiederum in seine Einzelteile zu zerlegen. Ein Bewusstsein für das Wirken von Sprache in der eigenen Kommunikation und der anderer zu entwickeln, bedeutete auch, dass man sich ebenso darum kümmerte, was man sagen könnte, wie auch darum, wie man
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es in einer bestimmten Situation sagen könnte. Diese essentielle und reziproke Beziehung zwischen Mittel und Bedeutung wurde als Grundvoraussetzung verstanden, da man glaubte, dass die Art und Weise, wie man etwas sagte (Ausdrucksform), genauso viel Bedeutung beförderte wie das, was man sagte (inhaltliche oder argumentative Form). Die Anwendungsmöglichkeiten rhetorischer Grundsätze außerhalb des Bereichs der Sprache wurden unter anderem bereits im 15. Jahrhundert von L. B. Alberti erkannt. Basierend auf Albertis Arbeit, entwickelte sich eine Tradition der Anwendung rhetorischer Prinzipien in Bereichen wie zum Beispiel Architektur, Malerei und Musik. Aufgrund der Tatsache, dass sich die Rhetorik dem Aspekt der Form widmet, ist sie gelegentlich in Verruf geraten, sich hauptsächlich um den äußeren Schein zu kümmern und nicht so sehr um die Qualität der Argumentation. Folglich wurde sie oft als oberflächlich und trügerisch oder als bloßes Styling abgetan. Durch Übertragung der klassischen Theorie auf die Rhetorik des Visuellen möchte ich im Folgenden zeigen, wie traditionelle Elemente wie Logos, Pathos, Tropus und Schema im Designprozess eingesetzt und visuell umgesetzt werden können, um alternative und effektive Designlösungen zu entwickeln. Der Logos-, Ethos- und Pathos-Appell Gestaltete Produkte und Systeme – von Handelsmarken und Katalogen über Wegeleitsysteme und Webseiten – wirken auf uns ein und fordern zur Interaktion auf. Die Art der Präsentation von Informationen beeinflusst unsere Wahrnehmung derselben. Jedes Projekt stellt den Designer/die Designerin vor eine neue Herausforderung und erfordert die Entwicklung einer angemessenen Argumentation. Um jedoch effektiv zu sein, müssen die visuellen Eigenschaften dieser Argumentation die Denkweise und Interessen des intendierten Publikums ansprechen. Buchanan schreibt dazu: «It is the idea of argument which connects all the elements of design» und weiter «the designer, instead of simply making an object or thing, is actually creating a persuasive argument that comes to life, whenever a user considers a product as a means to some end». Man unterscheidet drei in Wechselbeziehung stehende Formen des Appells in der gestalterischen Argumentation, die die Qualitäten des logischen Denkens, des Gefühls und des Charakters umfassen und auch als Logos, Pathos und Ethos bekannt sind. Der Logos-Appell richtet sich an die Nützlichkeit eines Designobjekts (is it useful?); der Pathos-Appell befasst sich mit der Gebrauchsfähigkeit (is it useable?), und der Ethos-Appell fragt danach, ob wir ein Objekt überhaupt zu einem bestimmten Zweck benutzen wollen (is it desirable?). Ein Designobjekt gilt dann als überzeugend, wenn es durch die Ausgewogenheit dieser drei Elemente besticht. Um diese drei Formen des Appells besser zu verstehen, werde ich als Nächstes einige der üblicherweise im Kommunikationsdesign angewandten Überzeugungsmittel oder «affordances» skizzieren. Logos beschreibt den Appell an die Vernunft oder Logik. Der Logos- Appell konzentriert sich auf den Gegenstand und überzeugt das Publikum durch die Kraft der Beweisführung. Im Logos-Kontext sind Kommunikationsdesigner vorwiegend mit der Anwendung von Schriften in verschiedenen Größen und Strichstärken beschäftigt, sowie
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Ebd. S. 95.
mit anderen grafischen Mitteln zur visuellen Organisation von Informationen, wie zum Beispiel dem Einrichten von Hierarchien. Auch die Platzierung von Diagrammen, Listen und Bildern in einem Layout und eine leicht verständliche Gliederung sind Ausdrucksformen des Logos-Appells. Akademische Schriften, Gebrauchsanweisungen und Wegeleitsysteme sind in der Regel vom Logos bestimmt. Pathos beschreibt den Appell an die Emotion. Der Pathos-Appell versucht zu überzeugen, indem er mit den Gefühlen des Publikums arbeitet. Emotionen können sowohl persönlich empfunden als auch mit anderen geteilt werden. Im Pathos-Kontext geht es um die Auswahl von Bildern und Farben – Elemente, die eine unmittelbare Reaktion und starke Emotionen hervorrufen können. Visueller Symbolismus in materieller, technologischer oder künstlerischer Form, aber auch der Gebrauch rhetorischer Figuren und Schemata zur Entwicklung von Konzepten und Bildsprache sind weitere wichtige Instrumente zur Erzeugung von Emotionen. Produktwerbung und Versicherungsbroschüren sind Beispiele des pathosbestimmten Designs. Ethos beschreibt den Appell, der auf den implizierten Charakter des Sprechers oder der Sprecherin baut. Der Ethos-Appell setzt auf Glaubwürdigkeit, Mitgefühl und Verlässlichkeit, um ein Publikum zu überzeugen. Im Ethos-Kontext geht es um konzeptuellen Ansatz, ästhetische Bearbeitung und visuelle Kompetenz. Zusammen mit nahezu allen zur Anwendung kommenden Gestaltungselementen finden sich hier kraftvolle Zeichen, die auf Integrität, persönliche Ansichten, Vorlieben und Empfindlichkeiten des Designers hinweisen. Poster und Medienkampagnen, die soziale, politische oder gesundheitliche Themen ansprechen, sind oft ethosbestimmt. Wir können die verborgenen Eigenschaften gestalterischer Argumentation durch die folgenden Fragestellungen beleuchten: Was ist der Zweck des Designobjekts? Was ist das zentrale Argument? Welches sind die damit verbundenen Logos-, Pathos- und Ethos-Elemente? Um dies zu veranschaulichen, wenden wir uns nochmals dem Schwangerschafts-Kalender zu: Zweck Reduzierung des hohen Prozentsatzes an untergewichtigen Babys und Totgeburten in ländlichen Gebieten der Provinz Nova Scotia; Unterstützung werdender Mütter während der Schwangerschaft Zentrales Argument Wir möchten, dass Sie eine angenehme und risikolose Schwangerschaft haben und ein gesundes Kind zur Welt bringen. Logos Zum Logos gehören unter anderem die Wahl des Kalenderformats als Anleitung und Gedächtnisstütze, der narrative Aufbau in Text und Bild, die Auswahl, Abfolge und Anordnung der Sachinformation, das 10-Monats-Format mit Wochentagen ohne Datum, die ausklappbare Lasche an der Kalenderrückseite zur Notierung wichtiger Kontakte und Telefonnummern sowie Aspekte der Materialauswahl und des Druckverfahrens. 113
Pathos Pathos drückt sich beispielsweise darin aus, dass der Kalender als nützliches und attraktives Geschenk angesehen werden kann: in dem Rat und der Rückversicherung, die er vermittelt, in seinem Potenzial, zu einem kostbaren Erinnerungsstück zu werden, in der Stimmung, die durch seine farbenfrohe und unprätentiöse Gestaltung hervorgerufen wird und auch in Illustrationen wie zum Beispiel dem »Samen-Sprössling-Pflanze«Banner, das sich über den Zeitraum von 10 Monaten entfaltet. Ethos Ethos ließe sich als die »Stimme« des Designers beschreiben, wie sie in diesem Produkt verkörpert wird. Im Ethos reflektieren sich die persönlichen Wert-, Glaubens- und Ästhetik-Vorstellungen des Designers. Dies umfasst das Verständnis, das dem Reproductive Care Program und schwangeren Frauen in ländlichen Gebieten entgegengebracht wird, die Bereitschaft, vorgefasste Designideen zu ignorieren, um sich in den Alltag der Zielgruppe zu versetzen und ihre Gewohnheiten zu verstehen, das proportionale Verhältnis zwischen verbaler oder visueller Ausrichtung des Kalenders und seine interaktive Natur, die Art und Weise der Ausführung und die vertraute, comicstripartige grafische Gestaltung. Diese Untersuchung verdeutlicht die argumentative Basis des Kalenders. Sie kann als Vorlage zur kritischen Analyse verwendet werden und die rhetorischen Eigenschaften von Designprodukten beleuchten. Effektive Kommunikation hängt entscheidend vom Finden der richtigen Balance zwischen dem thematischen Gegenstand selbst, den Interessen und Besonderheiten des Publikums und der implizierten «Stimme» des Designers ab. Diese Balance entscheidet darüber, ob es sich bei einem Design um effektive Kommunikation oder schlicht um vergebliche Bemühung handelt. Zur Förderung der visuellen Kompetenz und um zu sehen, wie diese drei Überzeugungsmittel auf ein Designobjekt einwirken und dieses modifizieren, werden wir uns nun eine Folge von Werbeanzeigen ansehen, die von Julie Warnock gestaltet wurden. Die vier Bilder sind als Set zu verstehen, in dem jedes einzelne Bild sowohl im Text als auch in der grafischen Gestaltung eine der drei Appell-Formen hervorhebt, während die zwei anderen, die ebenfalls in jedem Bild vorhanden sind, in den Hintergrund treten (Abbildung 2 – 5). Der Zweck dieser Werbeanzeigen war es, High-School-Schüler dazu zu animieren, sich um einen Studienplatz an der NSCAD University zu bewerben. Das zentrale Argument der Kampagne war: «Wenn Du Dich dazu berufen fühlst, kreativ zu arbeiten, dann solltest Du erwägen, an der NSCAD University zu studieren.» Die erste Anzeige basiert auf dem Logos-Appell. Sie ist sachlich gehalten und konzentriert sich darauf, was die Universität zu bieten hat und welche Art von Studenten sie ansprechen möchte. Sie ist hierarchisch strukturiert und verwendet Einrückungen und Fettdruck, um die unterschiedlichen Informationsebenen voneinander abzusetzen. Der Logos kann durch die Frage «was ist das Thema dieser Anzeige?» bestimmt werden. Die zweite Anzeige folgt dem Pathos-Appell. Durch Verwendung von Personalpronomen und Fotos, die Studioatmosphäre, Designentwürfe und Gebäudedetails zeigen, werden die Emotionen des Zielpublikums angesprochen,
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Abbildung 2-5
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da die potenziellen Studenten sich hier auf ihr Verständnis von dem, was das Kunst- und Designstudium ausmacht, berufen müssen. Pathos bestimmt, welche Elemente verwendet werden, und wie sie durch grafische Mittel dargestellt werden. Die dritte und vierte Anzeige demonstrieren den Ethos-Appell. Im ersten Beispiel stellt der «Tonfall» der Anzeige die NSCAD University als eine ehrwürdige Institution mit einer langen Geschichte dar, die in einigen der ältesten Gebäude des Landes untergebracht ist, und an der kreative und innovative Arbeit stattfindet. Die zweite Anzeige konzentriert sich darauf, die NSCAD University von anderen Institutionen abzuheben. Dieses Image wird durch den Text und eine Reihe lateinischer Sprüche unterstrichen, die im Kontrast zu dem unkonventionellen Motto der Universität stehen, das in Schreibschrift gesetzt ist, um den künstlerischen Ausdruck zu unterstreichen. Das Ethos oder die «Stimme» dieser beiden Anzeigen will uns sagen, dass diese Universität der beste Platz ist, um Kunst und Design zu studieren. Rhetorische Figuren Die klassische Rhetorik lehrt, dass es eine grundlegende und untrennbare Beziehung zwischen Materie und Form gibt, zwischen dem, was gesagt wird, und wie es gesagt wird. Die Idee dieser grundsätzlichen Beziehung wurde als Basis für das Verständnis der rhetorischen Funktion von Stil und den «Redefiguren» angesehen. Diese Figuren stellen ein weiteres «Überzeugungsmittel» dar, indem sie dem Ausdruck von Gedanken Klarheit und Lebendigkeit verleihen. Dazu sagt Corbett: «Quintilian looked upon the figures as another means of lending ‹credibility to our arguments›, of ‹exciting the emotions›, and of winning ‹approval for our character as pleaders›». Rhetorische Figuren können unsere Gedanken anschaulich und konkret machen. Durch die ihnen eigene «happy balance between the ‹obvious and obscure›, so that our audience could grasp our ideas promptly and thereby be disposed to accept our arguments» helfen sie uns, mit unserem Publikum klar und effektiv zu kommunizieren. Der Begriff «Redefiguren» dient als allgemeine Bezeichnung für jegliche bewusste Abweichung vom normalen Modus in Rede, Schrift oder Bildsprache. Sie sind für gewöhnlich in zwei Hauptgruppen unterteilt: Tropen und Schemata. Tropen bezeichnen eine Abweichung von der gebräuchlichen Bedeutung von Zeichen und Symbolen, wie zum Beispiel in «das Schiff pflügt durch das Wasser» im Vergleich zu «das Schiff bewegt sich durch das Wasser». Schemata stehen für eine Veränderung der gängigen Anordnung von Zeichen und Symbolen, wie zum Beispiel in «one letter does not a word make» im Vergleich zu «one letter does not make a word.» Der Sinn des Tropus ist es, einen Gedanken auf neue Weise zu präsentieren, sodass das Publikum die Möglichkeit erhält, ein vertrautes Thema von einer neuen Perspektive aus zu betrachten. Die Verwendung von Tropen soll gewohnheitsmäßige Wahrnehmung, Skeptizismus oder Langeweile aufbrechen. Die Funktion des Schemas hingegen ist es, einem Gedanken mehr Gewicht und Attraktivität zu verleihen; dies wird erreicht durch die Hinzufügung, Auslassung oder Umkehrung von Elementen in einer Sequenz. Beide Formen der Redefigur verändern die Bedeutung des Gesagten, da in beiden Fällen eine Wirkung erzielt wird, die von der zu erwartenden Ausdrucksform abweicht. Kommunikationsdesigner nutzen bereits einige Redefiguren in ihrer alltäglichen Arbeit, doch sind sich die meisten dessen nicht bewusst. Zumindest ermöglicht das Wissen um die Figuren der klas-
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Corbett, Edward (1971): Classical Rhetoric for the Modern Student. Oxford. S. 378.
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Ebd. S. 377.
sischen Rhetorik den Designern/Designerinnen die bewusste Wahl der Mittel in einer kommunikativen Situation, insbesondere während der Ideenfindung und der Umsetzung dieser Ideen in visueller Form. Beispiele von Tropen
Diagramm
In der Metapher werden zwei ungleiche Dinge miteinander ver- glichen, um das eine durch die Vertrautheit des anderen zu erklären, wie zum Beispiel in der Formulierung «mir sind die Hände gebun- den», in der bürokratische Hilflosigkeit mit einer physischen Fessel verglichen wird.
Unter Metonymie versteht man die Repräsentation eines Begriffs durch einen anderen, der dem Ursprungsbegriff nicht eigentlich ähnlich ist, sondern ihm temporal, räumlich oder kausal nahe steht, wie zum Beispiel in dem Ausdruck «Ringfinger».
Bei der Synekdoche steht ein Teil für das Ganze, wie in dem Ausdruck «helfende Hand».
Die Ironie verwendet Symbole, um das Gegenteil zu bezeichnen, wie in «Mann beißt Hund».
Im Wortspiel wird mit zwei oder mehr Worten gearbeitet, die in Klang oder Form ähnlich sind, aber unterschiedliche Bedeutung ha- ben, wie in «Toulouse a little time in France».
Die Amplifikation erweitert ein Thema durch Auflistung von Details; beispielsweise werden die einzelnen Bestandteile eines Arguments aufgezählt, wie in «Du brauchst einen Schuhkarton, Packpapier, Klebeband, Schere und einen Stift, um ein Paket zu versenden.»
Schritt 1 Konzept
Schritt 2 grafische umsetzung
Ausdrucksform: Wachstum Inhaltliche Form: Umschlaggestaltung für ein Baby-Buch
Metapher: Vergleich zwischen Baby-Buch und Wachstum
Ausdrucksform: ?
Ausdrucksform: Chronologisches Tagebuch Inhaltliche Form: Umschlaggestaltung für ein Baby-Buch
Metonymie: das Baby-Buch repräsentiert ein chronologisches Register
Ausdrucksform: ?
Metapher oder Amplifikation
Inhaltliche Form: Wachstum
Wortspiel oder Metonymie
Inhaltliche Form: Tagebuch
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Rhetorische Figuren in der Werbung und anderen visuellen Bereichen und Medien sind bereits von einigen Autoren besprochen worden, wie zum Beispiel von R. Barthes (1964), G. Bonsiepe (1965), G. Dyer (1982), J. Durand (1987) und L. Scott (1993). Jedoch richtet sich das gegenwärtige Interesse an «visueller Rhetorik» hauptsächlich auf die Analyse von Bildern und anderem visuellen Material, das bereits existiert. Hier möchte ich nun zeigen, wie Kommunikationsdesigner mit rhetorischen Figuren arbeiten können, um Konzepte zu entwickeln und visuell umzusetzen. Wir werden uns zunächst einige Beispiele von Tropen anschauen, bevor wir uns den Schemata zuwenden. Der Signifikationsprozess im Kommunikationsdesign besteht haupt- sächlich aus zwei Arbeitssträngen: der Entwicklung eines Konzepts und dessen grafischer Umsetzung. Während es bei Ersterem darum geht, eine Idee zu entwickeln, in der der zu behandelnde Gegenstand ausgedrückt werden kann, beschäftigt sich Letztere mit der visuellen Umsetzung dieser Idee. Da das Kommunikationsdesign sowohl eine praktische als auch eine intellektuelle Aktivität ist, sind beide Prozesse gleich wichtig. Um diese Prozesse näher zu erklären, werden wir vier Umschlagbilder für ein Baby-Buch betrachten, die von Nora A. Morales Zaragoza gestaltet wurden. In diesem Beispiel entwickelte die Designerin zunächst zwei Konzeptideen – eine, die auf der Anwendung einer Metapher basierte (Wachstum), die andere nutzte die Figur der Metonymie (chronologisches Register). In einem zweiten Schritt entwickelte die Designerin zwei verschiedene grafische Umsetzungen für jedes Konzept. Dieser Prozess lässt sich in dem folgenden Diagramm ausdrücken: Das Konzept »Wachstum« wurde durch die Figuren der Metapher und der Amplifikation ausgedrückt (Abbildung 6 und 7): Das Baby wird mit einem Küken verglichen (Metapher); eine Reihe von Fotos und Objekten zeigt die verschiedenen Entwicklungsstufen, wie zum Beispiel Ultraschallbilder, Namensarmband, Krabbeln, Stehen, Messen (Amplifikation, aber auch Synekdoche). Das Konzept «Chronologisches Register» wurde durch die Figuren des Wortspiels und der Metonymie bestimmt (Abbildung 8 und 9): Ein Spiel mit der Gestaltung einzelner Buchstaben, da sich jedes Bild auf eine Babyaktivität bezieht (Wortspiel); die Struktur des Bildes steht in kausaler Nähe zu einem Wochenkalender und zeigt eine große Anzahl von Details, die zum Leben eines Babys gehören (Metonymie, aber auch Amplifikation).
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Abbildung 6 Metapher
Abbildung 7 Amplifikation
Abbildung 8 Wortspiel
Abbildung 9 Metonymie und Amplifikation
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Beispiele von Schemata
In der Alliteration werden die Anfangselemente einer Sequenz wiederholt, wie in «Fischers Fritze fischt frische Fische.»
Bei der Anaphora werden einzelne oder mehrere Elemente einer Reihe am Anfang einer Sequenz wiederholt wie in «Worte, ja Worte, beflügeln die Vorstellung.»
Die Anastrophe kehrt die normale Ordnung einer Sequenz um, wie in dem Ausdruck «Zweifelsohne».
Bei der Ellipsis werden absichtlich bestimmte Elemente weggelas- sen, wie in «Ende gut, alles gut.» Der Parallelismus bezeichnet eine strukturelle Ähnlichkeit in einer Reihe verwandter Elemente, wie in «Sie versuchte Worte zu finden, die exakt und präzise, klar und angemessen waren.»
Im Gegensatz zu Tropen sind Schemata «Überzeugungsmittel», die von einem Grundmuster abweichen, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und einer Aussage mehr Gewicht zu verleihen. Auch hier kommt es – wie bei allen rhetorischen Figuren – entscheidend darauf an, dass die Abweichung immer im Verhältnis zu einem existierenden Muster oder einer bestehenden Konvention gesehen wird. Wenn ich beispielsweise eine Präsentation über unseren Fachbereich für ein Publikum in einem anderen Land zusammenstelle, mag meine Rohversion zunächst nur aus Abbildungen von Arbeitsbeispielen bestehen. Es kann jedoch sein, dass ich für die verfeinerte Version eine Landkarte, Fotos von der Umgebung, von Straßen und von den Studios hinzufüge und diese den Arbeitsbeispielen voranstelle oder dass ich die Sequenz der Beispiele dadurch unterbreche, dass ich gelegentlich Fotos von Studenten und Studentinnen in verschiedenen Arbeitssituationen einschiebe. Gleichermaßen können wir bei der Entwicklung eines Storyboards die Abfolge der einzelnen Frames verändern, indem wir Bildfolgen hinzufügen, auslassen oder umkehren, um unsere Geschichte auf die effektivste und angemessenste Weise zu erzählen. Es ist sogar möglich, diese Methoden bei der Gestaltung einer Wortmarke anzuwenden. Zu diesem Zweck nehmen wir das Wort «Advance» in Futura, fett und in Versalien als unser Grundmuster. Indem wir dem Wort grafische Elemente hinzufügen oder durch Auslassen von Teilen der Buchstaben – jedoch ohne die Lesbarkeit zu beeinträchtigen – können Kommunikationsdesigner und -designerinnen dem Wort mehr Ausprägung verleihen und gleichzeitig dessen Attraktivitäts- und Wiedererkennungsfaktor erhöhen (Abbildung 10). Es scheint also, dass alle von Kommunikationsdesignern gestalteten Objekte neben der Verwendung anderer rhetorischer Elemente auch von Schemata oder nicht klassifizierten visuellen «Rhythmen» geprägt sein können.
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Abbildung 10
Alliteration
Anaphora
Parallelismus
Ellipsis
In einer Zeit, in der digitale Technologien jedem die Möglichkeit geben, seine eigenen Broschüren, Poster und Webseiten zu gestalten, reicht es nicht mehr aus, sich auf technische Versiertheit und Handwerklichkeit zu berufen. Mehr denn je sind wir dazu aufgefordert zu demonstrieren, welche zusätzlichen Werte wir als Designer und Designerinnen einbringen können. Den rhetorischen Ansatz im Kommunikationsdesign zu vernachlässigen, und damit die Idee des Designobjekts als visuelles Argument zu negieren, würde bedeuten, auf jeglichen Fortschritt innerhalb der Disziplin zu verzichten. Die Rhetorik stellt nicht nur einen Rahmen zum tieferen Verständnis von Kommunikationsdesign zur Verfügung, sie kann vielmehr auch als Anleitung zur Praxis dienen, indem sie die Schlüsselelemente aus deren grundlegender Struktur erörtert. Besonders wichtig sind in diesem Zusammenhang die drei Appelle und die rhetorischen Figuren. Sie stellen gedankliche Muster zur Verfügung, die analysiert und bewusst eingesetzt werden können, um ein Design zu bestimmen, zu kontrollieren und zu verbessern; oder, anders formuliert: um als Kommunikationsdesigner oder -designerin über bloße Mode- oder Stilerscheinungen hinaus eigene innovative und strategische Entscheidungen darüber treffen zu können, welches Design in einer bestimmten Situation angemessen und effektiv ist.
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Bibliografie
Barthes, Roland (1964): «Rhetoric of the Image», Image-Music-Text, Stephen Heath (Hrsg.). New York: Hill and Wang, S. 32-51 Bonsiepe, Gui (1965): «Visual/Verbal Rhetoric», Ulm: hfg ulm 14/15/16. Buchanan, Richard (1989): «Declaration by Design: Rhetoric, Argument, and Demonstration in Design Practice», Design Discourse, Victor Margolin (Hrsg.). Chicago: The University of Chicago Press, S. 91-109 Corbett, Edward (1971): Classical Rhetoric for the Modern Student, 2. Auflage. London: Oxford Durand, Jacques (1987): «Rhetorical Figures in the Advertising Message», Marketing and Semiotic, Jean-Umiker Sebeok (Hrsg.). Berlin: Mouton de Gruyter Dyer, Gillian (1982): Advertising as Communication. London: Methuen Ehses, Hanno (1989): «Representing Macbeth: A Case Study in Visual Rhetoric», Design Discourse, Victor Margolin (Hrsg.). Chicago: The University of Chicago Press, S. 187-198 Ehses, Hanno und Lupton, Ellen (1988): «Rhetorical Handbook», Design Papers 5. Halifax: NSCAD University Handa, Carolyn (2004): Visual Rhetoric in a Digital World: A Critical Sourcebook. Boston: Bedford/St. Martin‘s Hill, Charles A. und Helmers, Marguerite (2004): Defining Visual Rhetorics. London: Erlbaum Lunsford, Andrea A. und Ruszkiewicz, John J. (2004): Everything‘s an Argument, 3. Auflage. Boston: Bedford/St. Martin‘s Scott, Linda M. (1994): «Images in Advertising: The need for a Theory of Visual Rhetoric», Journal of Consumer Research, Vol.21, September 1994, S. 252-273 Schriver, Karin A. (1997): Dynamics in Document Design. New York: Wiley
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Zwischenspiel
Christian Jaquet
Sichtbare Rhetorik im Alltag – ein Augenschein
«Man geht einen ansteigenden Waldweg hinauf und sieht um sich, um einen Ast zu finden, den man als Stock verwenden kann. Der Augenblick, in dem man den Entschluss gefasst hat, sich solcherart umzusehen, hat nicht allein zur Folge, dass sich das bisherige Ausblicken auf den Wald vollkommen verändert, sondern dass sich das Aussehen des Waldes ebenso vollkommen verändert.» Selbstverständlich möchte man weiterspazieren und erfahren, wie der Autor des Zitats, Vilém Flusser, fündig wird auf der Suche nach Stöcken im Wald voller Äste. Hier darf es beim Einstieg bleiben, der sich für meine Betrachtungen als schöne Metapher anbietet. Ich setze hier also den ganzen Wald mit der gesamten Kommunikation mit jeder Form von menschlicher Verständigung gleich. Im Gegensatz dazu verkörpert die Masse der verstreuten Äste nur Äußerungen und Produkte der visuellen Kommunikation. Gesucht sind schließlich Äste, die sich mit einer geraden Gestalt und einer gewissen Robustheit als Stöcke eignen. Diese gesuchten Äste vergleiche ich mit Botschaften, welche mit Mitteln der Überzeugungskraft visualisiert worden sind. Nicht zu den Stöcken zählen demnach Produkte der Gebrauchsgrafik, die zwar gefallen wollen, aber eigentlich niemanden bewegen oder überzeugen müssen oder beides gar nicht können. Wer sich an Menschen richtet, welche die gleichen Ideale und Meinungen vertreten wie er selbst, will ja bestehende Ansichten und Standpunkte bestätigen und nicht verändern. In diesem Fall kann ein Orator auf persuasive Mittel verzichten und trotzdem erfolgreich kommunizieren, weil es genügt, wenn er Gleichgesinnte mit einer stilistischen Bestätigung ihrer Zugehörigkeit erfreut. Rhetorisch gesehen, geht es ihm um das delectare. Mit dieser Attitüde wird ein Großteil von Flyern und Postern für die politische und kulturelle Subkultur gestaltet. Und weil dort konservative Beurteilungskriterien kaum eine Rolle spielen, gehören viele Werke der Szene-Grafik zur kreativen Avantgarde und erreichen vielerorts sogar Kultstatus. Das mag erklären, warum man dieses freiere Genre der Gestaltung in weiten Kreisen höher einschätzt als kreative Leistungen der erfolgsorientierten Gebrauchsgrafik. Diese oftmals unkritische und eben auch wertende Unterscheidung, wie sie
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Flusser, Vilém (1993): Dinge und Undinge. München: Hanser.
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gerne an Hochschulen der Gestaltung vertreten wird, ist, wie ich weiß, ein Wespennest, das im Flusserschen Wald zwar nicht vorkommt, in das ich aber stechen wollte, bevor wir uns gute Stöcke anschauen. Und dabei kommt mir gleich ein Kernsatz von Bill Bernbach, dem amerikanischen Pionier des schöpferischen Advertising der 1960er-Jahre, in den Sinn: «An important idea not communicated persuasively is like having no idea at all.» Diese Erkenntnis beschränkt sich ja nicht auf werbliche Durchsagen, sie ist vielmehr die conditio sine qua non für jede Form visueller Kommunikation, welche Menschen in ihren Gefühlen berühren oder in ihren Ansichten verändern oder bestärken will. Um ganz verschiedenartige «Stöcke» und ihre Wirkung geht es mir auch bei den folgenden Beispielen. Ich habe sie nicht in Büchern gesucht, sondern in der allernächsten Umgebung aufgelesen oder in meinen Archiven gefunden. Die genannten Beispiele werfen sicher auch die grundsätzliche Frage auf, wie bewusst sich Gestaltende eigentlich rhetorischer Instrumente bedienen oder ob sie Menschen eher aus dem Bauch heraus überzeugen und bewegen.
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Eine Fassade Wie hat wohl der junge Bauer reagiert, als ihm sein Baumeister im Wirtshaus den Plan für einen neuen Speicher zeigte und vorschlug, der Fassade zur Landstraße hin ein menschliches Gesicht zu geben? «Herrgott noch einmal, Du bist völlig übergeschnappt», entfuhr es ihm; er musste tief schnaufen und beruhigte sich nur langsam. Doch dann rief er das Änneli, bestellte einen halben Liter Weißwein und stieß mit dem Baumeister an, «auf Deine verrückte Idee». Und weil es nicht bei der einen Bestellung blieb, malten sie sich schon die Reaktionen der Dorfbewohner auf das steinerne Antlitz aus. «Freude soll ihnen mein neuer Speicher machen in diesen traurigen Zeiten», rief der Bauer. Und der Baumeister wünschte sich, dass alle, die zu Ross oder mit dem Wagen vorbeikommen, vom Häuschen begrüßt werden. Und wer wolle, möge jederzeit darüber nachdenken können, was Fassaden und was Gesichter sind, und was dahinter steckt. Da nahm der Bauer den Plan nochmals zur Hand und fragte den Baumeister, ob das Gesicht dafür nicht fröhlicher dreinschauen müsste. «Freundlich genügt», meinte dieser trocken, «Dein Speicher soll jedermann ansprechen – auch Leute, denen es nicht ums Lachen ist.» Und das tut er seit bald dreihundert Jahren.
Eine Fassade
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Räudig «Baa, baa, black sheep, have you any whool? Yes, sir, yes sir, three bags full...», so reimt sich ein bekanntes englisches Wiegenlied aus dem 18. Jahrhundert. Offenbar gab es damals noch anständige schwarze Schafe. Nur weil ihre Wolle nicht so einfach zu färben ist wie die der hellen Schafe, konnten die Schwarzen ja kaum die ungeliebten Außenseiter und Versager werden. Der Ursprung des Schimpfwortes geht denn auch eher auf die räudigen Schafe zurück, also auf die mit Räude oder Krätze behafteten Tiere. Und weil das eine ansteckende Krankheit ist, wurde «räudig» im übertragenen Sinn zum Ausdruck für das «Herausfallen aus der Gesellschaft», aber auch für rüpelhaftes Benehmen. Im Vorfeld der Wahlen ins Schweizer Parlament im Herbst 2007 ist ein Plakat der rechts stehenden Schweizer Volkspartei SVP in die Schlagzeilen der in- und ausländischen Presse geraten. Diese Partei wehrt sich seit Jahren gegen einen Eintritt der Schweiz in die EU, gibt sich überaus patriotisch und vertritt eine fremdenfeindliche Haltung. Vor diesem ideologischen Hintergrund kann es nicht verwundern, wenn der Plakatgestalter die Wahlkampfparole «mehr Sicherheit» auf besonders suggestive Weise umsetzt. Mit der unmissverständlichen Szene an der Landesgrenze gelang ihm ein nahezu selbstredendes Bild. Und mit dem Tritt in den Hintern steigert der Gestalter den Aktivismus bis zur Aufforderung zum Rauswurf. Ungewöhnlich heftig reagierte denn auch die Gegnerschaft mit verbalen und farblichen Interventionen auf den Plakatwänden. Dieses in seiner Gesinnung verwerfliche Plakat zeigt trotz allem eine Qualität – und zwar die bewusste Anwendung rhetorischer Mittel in Form einer unmissverständlichen Analogie für eine hohe plakative Wirkung. Der Gestalter soll für seine Schafe Figuren aus einem beliebten Video-Game übernommen haben. Viele Menschen könnten sie darum erst recht sympathisch finden und keine Spur von Rassismus spüren.
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Räudig
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Watching words Reformierte Kirchen können, wenn sie leer sind, schmucklos und zum Frösteln ungemütlich wirken. Auch in der uralten kleinen Dorfkirche von Gsteig bei Gstaad im Berner Oberland gibt es außer zwei kleinen Lilien kein einziges Bild. Aber ihr gemütliches Schiff unter der schönen Holzleistendecke nimmt einen sofort auf. Und schon wird man in Bann gezogen von den großen Bibelsprüchen auf den weißen Wänden. Neun sind es im Schiff, und zwei sind im Chor zu lesen. Sie sollen um 1720 gemalt worden sein, wobei man weder den Auftraggeber noch den Maler kennt. Bibelsprüche zieren neben Bildern die Wände auch vieler anderer Kirchen. In Gsteig geht es jedoch um die ausschließliche Präsenz von Texten, die zum Teil sogar funktional angeordnet sind, so etwa links und rechts von Altartisch und Taufbecken, wo die Sprüche Abendmahl und Taufe thematisieren. Gottes Wort in dieser Größe und Schönheit sichtbar zu machen und auf jeglichen Bilderschmuck zu verzichten, muss einem erzreformatorischen Anliegen entsprochen haben. Die Auftraggeber von damals müssen aber auch von der Wirkung überzeugt gewesen sein, die von groß geschriebenen Sprüchen auf die Kirchgemeinde ausgeht – besonders wenn sie auch schön anzusehen sind. Die kalligrafische Anmut der reich verzierten Frakturschrift nimmt ihnen nämlich jeden Anschein gottesfürchtiger Belehrung, was einer rhetorischen Zurückhaltung gleichkommt. Ein amerikanischer Grafikdesigner hat mich vor Jahren auf die veränderte Rezipienz von Typografie am Bildschirm hingewiesen und gemeint, am Computer lese man nicht mehr alle Wörter, «you don’t read them anymore but you watch them.» Man muss nicht gläubig sein, um in der Gsteiger Kirche Wörter und Sprüche genussvoll zu beobachten. Aber wie lange wird man Fraktur überhaupt noch lesen können?
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Alma Mater Unabhängig vom wirklichen Alter strahlen die Logos der meisten Universitäten eine historisch anmutende Tradition aus. Sie gleichen Siegeln oder Wappen und schmücken sich gerne mit lateinischen Devisen. Das Image einer altehrwürdigen Stätte des Wissens haben viele Universitäten erst im vergangenen Jahrzehnt abgestreift und aufgefrischt. Der über lange Zeit vertretene Alleinanspruch auf Bildung und Forschung hat einer offeneren Sicht auf Wissenschaft und Gesellschaft Platz gemacht. Im Zuge dieser Neuorientierung begannen viele Universitäten und Akademien, ihre bisher unangezweifelten inneren Werte und deren Attraktivität für Dozierende und Studierende zu hinterfragen. Die Universität Bern hat sich im Jahr 2002 ein neues Leitbild gegeben und den Relaunch ihres Erscheinungsbildes für gedruckte und elektronische Auftritte in die Wege geleitet. Damit durfte auch das bisherige Siegel in Gestalt eines Baumes mit sieben Ästen (für die Fakultäten) durch ein neues Zeichen ersetzt werden. Das neue, längst eingeführte Logo besticht mit einem eigenwilligen, aber durchaus universitären Schriftzeichen. Da dominiert ein fettes «u» für Universität, das mit einem mageren «b» wie Bern in die Potenz erhoben wird. Diese mathematische Interpretation ist aber nur eine der erwünschten Deutungen. Denn die grafische Anordnung des ganzen Logos folgt eigentlich der wissenschaftlich üblichen Handhabe der FußnotenGestaltung. Bei dieser werden Zahlen für Berichte und für Formeln und Tabellen Kleinbuchstaben hochgestellt. Dieser Regelung folgt auch die Platzierung der «Universität Bern» hinter dem kleinen «b» unter der typischen Fußzeile. Mit einer subtilen Schriftwahl haben die Gestalter für das dominante «u» den fetten Kleinbuchstaben einer klassischen Antiqua (Bodoni) genommen, dies auch in Anlehnung an die humanistische Minuskel. Wogegen das hochgestellte «b» in einer nüchternen Groteskschrift (Gill) und «Universität Bern» in einer vom Berner Adrian Frutiger gestalteten Schrift (Frutiger) abgesetzt sind. Dieser bewusste Einsatz typografischer Nuancen hilft mit, das Logo als eine doppelte Anspielung verstehen zu können – sowohl auf die exakten Wissenschaften wie auch auf die Geisteswissenschaften. Die Allusion war schon in der klassischen Rhetorik eine wirkungsvolle Figur und lässt sich, wie figura zeigt, auch heute noch aussagestark visualisieren. Eine völlig andere Interpretation des Zeichens propagierten eher konservativ denkende Studierende, die lautstark und elektronisch gegen seine Einführung opponierten: «Unsinn hoch Blödsinn».
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Image Builder Mit der schweizerdeutschen Redewendung «Die hett Holz vor em Huus» meint man auf dem Lande heute noch eine Frau mit üppigem Busen. In urbanen Regionen, wo Holzstapel nicht zum Stadtbild gehören, bedient man sich längst anderer Bilder. Auf dem Lande kommt dem Holz vor dem Haus immer noch große Bedeutung zu. Die Menge des aufgestapelten Holzvorrats ist nicht nur ein Zeichen guter Vorsorge für einen langen Winter, sie sagt auch etwas über die Behäbigkeit des Haushalts aus. Das hat mit Reichtum zu tun. Wie man diesen zeigt, kann ganz verschiedene Formen annehmen. Die praktisch Veranlagten stellen Türme auf, indem sie das gespaltene Brennholz in ein aufgestelltes Rund aus Armierungsgitter schütten. Andere stapeln ihre Scheite möglichst ordentlich vor dem Hause auf. Und schließlich gibt es Bauern und Landbewohner, die ihren Vorrat mit Geschick und Liebe zu einem wahren Schmuckstück aufbauen. Diese Ambition kann ansteckend sein und das Niveau von Volkskunst erreichen. Was die visuelle Rhetorik betrifft, so muss erstaunen, wie viel man mit einem nichtssagenden Material kommunizieren kann. Oder professioneller ausgedrückt: Brennholz ist ein Image Builder.
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Benutzeroberfläche Dieser Ring an der Haustüre eines Altstadthauses will kein Zierstück, sondern ein Türklopfer sein. Damit man ihm das auch ansieht, hält ihn eine Hand entgegen. Sie lädt zum Klopfen ein. Von einer Bedienungsanleitung kann nicht die Rede sein. Man könnte die kunsthandwerkliche Gestaltung von Klopfer und Klinke aber als Willkommensgruß oder als frühe Form eines Interface-Intros verstehen.
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Camouflage Camouflage ist das englische und französische Wort für Tarnung, was nichts anderes als Verbergen bedeutet. Demnach ist der Krieg der Vater aller Tarnung. Mit ihr schützen sich Soldaten seit Menschengedenken vor dem Blick des Feindes. Durch die Entwicklung immer wirkungsvollerer Waffen- und Beobachtungssysteme ist Tarnen noch wichtiger geworden. Gleich geblieben ist aber das Grundprinzip, Truppen und Kriegsgerät ihrem Hintergrund so gut anzugleichen, dass sie möglichst unsichtbar werden. Es gab und gibt schon immer Leute, die sich in Surplus-Geschäften im Military-Look einkleiden, um abenteuerlich zu wirken. Nahezu reglementarisch uniformieren sich paramilitärische Fanatiker, die in ihrer Freizeit Kriegsspiele inszenieren. Auch faschistische Organisationen treten gerne in kämpferischer Montur auf. Allen nicht friedliebenden Elementen steht die martialische Ästhetik sehr gut an. Aber wie erklärt man sich die neu erwachte Beliebtheit des CamouflageLooks in der Mode der Jugend? Vielleicht ist er nur die bösere Variante der fast salonfähigen Battle-dress-Hosen mit ihren vielen praktischen Taschen. Am Ende sind die Tarnmuster gar nicht aggressiv zu verstehen, weil sich ihre Beliebtheit nicht mit dem Blick auf die aktuellen Kriegsschauplätze, sondern auf das trendige Outfit von MTV-Idolen erklären lässt. Was auch immer die modische Camouflage alles ausdrücken will, das eigentlich Erstaunliche ist doch die völlige Außerkraftsetzung der optischen Funktion von Tarnung. Denn die camouflierten Jugendlichen wollen ja nicht in ihrem Hintergrund aufgehen, sondern auffallen und gefallen. Darum dürfen sie sich auf die aktuelle Skimode freuen, denn im Schnee heben sich die Wüsten-Dessins noch besser ab.
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Auslassen Der Künstler dachte länger nach, dann hat er kurzen Prozess gemacht. Am Portikus der angesehenen Berner Kunsthalle ließ er bei der Anschrift drei entscheidende Buchstaben entfernen. Das war alles, aber gerade genug, um etwas sehr Vielsagendes auszusprechen. Vielleicht hat Ueli Berger, der Autor dieses Eingriffs, an den Beuysschen Künstler gedacht, der in uns allen stecken soll. Oder er meinte einfach, Kunst gehe alle etwas an und Vernissagen gehörten nun mal zum Lifestyle. Die möglichen Interpretationen sprechen für die rhetorische Qualität des Eingriffs, die am Eingang eines angesehenen Kunstinstituts noch viel stärker wirkt als etwa in einer Anzeige der Tageszeitung.
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High Fidelity 1898 kaufte die neu gegründete englische Firma Grammophone Company dem Kunstmaler Francis Barraud das Gemälde seines Foxterriers Nipper beim Lauschen eines Edison-Phonographen für wenig Geld ab und verwendete es erstmals in Zeitungsanzeigen. Der Hund, der die Stimme seines verstorbenen Herrn hört und erkennt, erzählt eine so starke Geschichte, dass sie neben der Bildmarke auch gleich den Markennamen His Masters Voice geboren hat. Gleichzeitig wirbt die Story von der Stimme seines Herrn für die äußerst hohe Wiedergabequalität des Apparats. Diese narrative trade mark blieb mit kurzen Unterbrechungen bei HMV/EMI bis heute auf dem Markt und gehört zu den weltweit wichtigsten Kreationen der Markengeschichte. Man stelle sich vor, heute würde eine Werbeagentur dem Advertising Management von Sony für die Lancierung eines neuen Geräts der Unterhaltungselektronik eine Liebesgeschichte zweier Nachtigallen oder von singenden Walen vorschlagen. Es müsste ein Wunder geschehen, wenn die Werber nicht ausgelacht und des mangelnden Ernstes bei der Sache bezichtigt würden. Warum in unserer Zeit lebendige Bildmarken an Beliebtheit verloren haben und anonymen Schriftzeichen weichen mussten, ist nicht einfach zu beantworten. Zumal ja besonders in der jungen Musik- und Comicszene kein Mangel an fantasievollen Bildwelten herrscht. Auf dem Niveau der etablierten Märkte hat das Krokodil von Lacoste mit dem Red Bull wenigstens noch einen quicklebendigen Zeitgenossen gefunden.
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Grand Cru David Ogilvy, der verstorbene Doyen des gehobenen amerikanischen Advertising, macht sich in einem seiner Bücher Gedanken über die drei bevorzugten Marken von Bourbon Whiskey. Und es bringt ihn zum Lachen, wenn er daran glauben sollte, dass markentreue Trinker alle drei bekannten brands versucht, verglichen und sich dann für eine entschieden haben. «The reality is that these three brands have three different images which appeal to different kind of people. It isn’t the whiskey they choose, it’s the image.» Diese Aussage trifft auf unzählige Konsumgüter, Mode- und Sportartikel zu. Die Image-These überrascht hingegen, wenn es um Genussmittel geht, die eigentlich dem individuellen Geschmack entsprechen sollten. Es mag sein, dass Ogilvy die amerikanischen Whiskeys in Kenntnis bestimmter Trinkgewohnheiten zu den Massenkonsumgütern zählt. Über Grand Cru-Weine aus dem Bordeaux hätte er bestimmt andere Erkenntnisse vermittelt, auch wenn zahllose Weinkenner in Blindtests, ohne Flaschen vor Augen, immer wieder kläglich versagen. Mich interessiert schon lange, wie die Etiketten von renommierten Weinen aus dem Bordeaux auf die Käuferschaft wirken. Im Vergleich mit dem zeitgenössischen Etiketten-Design italienischer, österreichischer oder kalifornischer Weine, das von nüchternen Schriftlösungen und einer eher unterkühlten Eleganz geprägt wird, bleiben die bekannten Schlossabfüllungen ihrem traditionellen und prestigeträchtigen Erscheinungsbild treu. Den Etiketten verleiht eine meist kupferstichähnliche Abbildung des Schlosses oder des Wappens seiner Besitzer bereits eine vornehme Note. Der häufig in Antiqua-Großbuchstaben oder in Schreibschrift gesetzte Name des Châteaus oder des Erzeugers verstärkt den Eindruck einer edlen Herkunft. Auf den Etiketten vieler Château-Weine werden die wichtigen Angaben wie Abfüller, offizielle Klassierung, Jahrgang und Flascheninhalt in einem typografischen Potpourri von verschiedenen Schriften und Schriftgraden nebst diagonal verlaufenden Überdrucken angegeben. Für zusätzliches Prestige sorgen auch Goldund Prägedruck. Selbst typografisch verwegene Etiketten sprechen Kenner und Käufer von «Grand Crus» seit bald hundert Jahren an und bestätigen sie in ihren eher teuren Vorlieben. Vor den Weinregalen unterliegen aber auch ganz normale LiebhaberInnen dem Reiz dieser grafischen Noblesse. Man weiß, dass antiquiert wirkendes Design den Wert und die Attraktivität bestimmter Genussmittel und Gebrauchsgüter steigern kann. Vielleicht haben Bordeaux-Etiketten genau diese Art von Anziehungskraft oder aber sie lösen, wie kostbare Antiquitäten, Gefühle von Ehrfurcht oder stiller Bewunderung aus. Das wäre dann eine besondere Form von visueller Rhetorik – eine, die blinden Glauben schaffen kann.
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Ogilvy, David (1983): On Advertising. New York: Random House.
Grand Cru
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Natürliche Werbung Es gibt Stadtparks, in denen Uhren aus Blumen die Zeit anzeigen. Und mit Buchenhecken schreiben Kurorte immer wieder ihren Namen auf die grüne Wiese. In Südengland haben Steinzeitmenschen kreideweiße, von weitem sichtbare Riesenfiguren in grasige Hänge gekratzt. In Mexiko gehen Touristen sogar in die Luft, um kilometerlange prähistorische Erdzeichnungen zu bestaunen. Daraus kann man doch etwas lernen, wenn ein Auftraggeber wie die Weltmarke Bally sich nach ungewöhnlicher Außenwerbung sehnt und dabei an möglichst zentral gelegene Gebäude in den großen Städten denkt. Als damaliger Betreuer der Bally-Werbung – das war in den 1990er-Jahren – erinnere ich mich an unsere Strategie, anstelle von unerschwinglichen und kurzfristig gar nicht verfügbaren Plakatstellen einen Ort zu finden, wo Kundschaft und potenzielle Käuferschaft der Schuhmarke unterwegs sind. Erstmals1994 boten wir den Fluggästen bei der Landung in Genf das seltene Vergnügen, mitten in einem Kornfeld einen riesigen Fußabdruck zu erkennen und zu lesen, von wem er ist. Die gleiche optische Überraschung bot sich beim Anflug nach Zürich in einem Maisfeld an. Einige Flugkapitäne machten die Passagiere damals sogar über Lautsprecher auf die neue Sehenswürdigkeit aufmerksam. Die Realisation dieser fast 150 Meter langen Zeichen gelang uns in enger Zusammenarbeit mit landwirtschaftlichen Experten und dank dem Entgegenkommen der örtlichen Bauern und Behörden. Ihre starke Wirkung erklärt sich rhetorisch gesehen nicht allein mit der Verwendung einer verständlichen Metonymie – dem Fußabdruck für Schuhe –, sondern vor allem mit der eigenartigen elocutio, die eine wirkliche Verlebendigung des Bildes vollbracht hat. Weniger theoretisch betrachtet, handelt es sich bei dieser Lokalität neben Landepisten um natürliche Werbung, die wuchs und verging, und gerade dadurch unvergesslich werden konnte.
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Natürliche Werbung
Bildangaben
Christian Jaquet, Muri Holzbeige (Image Builder) Schopf (Eine Fassade) SVP-Plakat (räudig) Haustüre (Benutzeroberfläche) Tarnpulli (Camouflage) Uni Bern-Logo (Alma Mater) Weinetikette (Grand Cru) Ueli Berger, Ersigen Kunsthalle (Auslassen) Atelier Jaquet/Seiler DDB Bally (natürliche Werbung) Hans Bettler, Gsteig Kirche Gsteig (Watching words) Jürg Bernhard, Bern His Masters Voice Email-Schild (High Fidelity)
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Fallstudien
Ulrich Heinen
Bildrhetorik der Frühen Neuzeit – Gestaltungstheorie der Antike. Paradigmen zur Vermittlung von Theorie und Praxis im Design
Der Graben zwischen Theorie und Praxis des Designs In mancher Hinsicht findet sich die Designpraxis heute in derselben Lage wie die bildenden Künste um 1400. Das gestalterische Tun steht derzeit sogar noch unvermittelter neben den geistes- und sozialwissenschaftlichen Metasystemen, die der epistemologischen Chimäre Designwissenschaft ihre Theoriebezüge leihen und ihre wechselnden Aufgaben diktieren möchten, als die Praxis der visuellen, plastischen und gebauten Medien am Ende des Mittelalters neben den theologischen und philosophischen Gebäuden der scholastischen Ästhetik stand, die ihr höchstens ikonographische Stichworte liefern konnten. Praxisorientierte Schriften von und für Designer – fundierte Arbeitsanleitungen oder Orientierungshilfen für alle Bereiche der professionellen Gestaltung, persönliche Standort-
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Der Beitrag schließt an Gespräche mit Bazon Brock, Roland Krischel, Tönis Käo, Heiner Mühlmann und Arne Scheuermann an. Für Hinweise und Kritik danke ich auch Björn Blankenheim und Henning Krauspe. Umfassende Literaturhinweise zu einzelnen Fußnoten finden sich in den Elektronischen Publikationen der Bibliothek der Bergischen Universität Wuppertal, FB F, Gestaltungstechnik (http:/el- pub.bib.uni-wuppertal.de/edocs/dokumente/fbf/gestaltungstechnik/Lit2008/Literaturergaenzung_ Designrhetorik/)
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Versuche, die Theorie-Praxis-Differenz im Design zu analysieren und zu überbrücken, etwa bei Siegfried Maser: «Theorie ohne Praxis ist leer. Praxis ohne Theorie ist blind! Grundsätzliches über die Notwendigkeit einer Designtheorie. In: form 73, 1976, S. 40-42; ds.: «Design-Philosophie oder über die Grundsätze, die Designer als vernünftig erachten». In: form 100, 1982, S. 8-10; Gui Bonsiepe: «Design – the blind spot of theory. Or Visuality – Discursivity. Or Theory – the blind spot of design, Conference text for a semi-public event of the Jan van Eyck Academy», gehalten in Maastricht, 21.4.1997 (http://www.guibonsiepe.com/pdffiles/visudisc.pdf, 20.12.2007); Thomas Friedrich: «Wer hat Angst vor Theorie? Der Kommunikationspraktiker muß sein Tun begründen können». In: Komma. Kommunikationsdesign aus Mannheim 0, 2007, S. 42-47; Simon Möller: «In der Adoleszenzkrise? Rezension der zweiten Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Designtheorie und -forschung (DGTF), Wie viel Theorie braucht/verträgt die Profession?. In: Design Report 2004, Heft 4 (http://www.design-report.de/sixcms/detail.php?id=156931, 20.12.2007). Weitere Literaturangaben hierzu finden sich an der in Anm. 1 angegebenen Stelle. Zur heterogenen Struktur der aus Bezugsdisziplinen gefügten Designtheorie vgl. Siegfried Maser: Einige Ansätze zum Problem einer Theorie des Designs, Braunschweig 1972.
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Zur Annahme, es habe zumindest eine an der Theologie orientierte mittelalterliche Architektursymbolik gegeben, vgl. etwa Erwin Panofsky: Gotische Architektur und Scholastik. Zur Analogie von Kunst, Philosophie und Theologie im Mittelalter, Köln 1989. Weitere Literaturangaben hierzu finden sich an der in Anm. 1 angegebenen Stelle. Literatur s. Link in Anm. 1.
Literatur s. Link in Anm. 1.
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bestimmungen, designorientierte Programmschulungen oder Bildarchive – kommen mit pragmatischen Derivaten von Theorie aus. Zwischen ihnen und den Bezugsdisziplinen, die zur Begründung von Designwissenschaften herangezogen werden – philosophische Ästhetik, Linguistik, Semiotik, Kommunikationswissenschaft, Psychologie oder Soziologie –, gibt es einen ebenso tiefen Graben, wie er sich seit der Spätantike zwischen einerseits der rezeptbuchartigen Dokumentation handwerklicher Verfahren der visuell gestaltenden Künste etwa durch Theophilus Presbyter (12. Jh.) oder den ikonographischen Musterbüchern und den etwa bei Thomas von Aquin (1224/1225-1274) theologisch und andererseits philosophisch begründeten Theorien des Schönen aufgetan hatte. Während es den Humanisten um 1400 allerdings innerhalb weniger Jahrzehnte gelang, die Theorie-Praxis-Differenz für Malerei, Skulptur, Architektur und die anderen angewandten Künste nachhaltig zu überbrücken, ist heute die Akzeptanz für Designwissenschaften – sieht man von erfolgreicheren Kooperationen mit explizit anwendungsorientierten Wissenschaftsdisziplinen ab – bei Designpraktikern sichtlich gering. Dies ist umso bemerkenswerter, als «Designtheorie» und deren konkurrierende Geschwister «Designgeschichte» und «Designforschung»10 bereits auf eine fast fünfzig Jahre alte Geschichte von Versuchen zurückblicken können, sich in der Theorie-Praxis-Lücke als akademische Disziplinen zu etablieren.11 Die historische Analogie legt nahe, den Ursachen für diese Theorie-Praxis-Differenz eingehender nachzuspüren und die aktuelle Relevanz der humanistischen Rhetorik und sogenannten «Bildrhetorik» zu prüfen, die in der damaligen Schließung des Theorie-Praxis-Grabens eine bedeutende Rolle gespielt haben. Aus ihrer Zwischenstellung zwischen begleitwissenschaftlicher Theorie und designerischer Praxis generieren Designwissenschaftler bisher ein zwiespältiges Legitimationspotenzial. Zum einen partizipieren sie an der Prosperität, den Omnipotenzkonjunkturen und der fast mythischen Aura der praktischen Designbranchen, wenn sie
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Literatur s. Link in Anm. 1.
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Literatur s. Link in Anm. 1.
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Vgl. den Überblick bei Dieter Brinzer: Fotoagenturen und Bildarchive, Sinzheim/Baden-Baden 2006. Zur Praxis der Bildarchive: Benjamin Drechsel: Politik im Bild. Wie politische Bilder entstehen und wie digitale Bildarchive arbeiten, Frankfurt/M. u.a. 2005. Vgl. auch Matthias Bruhn: «Visualization Sevices. Stock Photography and the Picture Industry». In: Genre 36, 2003, S. 3-4.
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Zu Theophilus Presbyter und verwandten Werken vgl. Julius von Schlosser: Die Kunstliteratur. Ein Handbuch zur Quellenkunde der neueren Kunstgeschichte, Wien 1985 (unveränd. Nachdr. der Ausg. von 1924), S. 22-25; Erhard Brepohl (Hrsg., Übers. u. Komm.): Theophilus Presbyter und das mittelalterliche Kunsthandwerk. Gesamtausgabe der Schrift ‹De diversis artibus›, 2 Bde., Köln u.a. 1999. Zu den theologisch und philosophisch begründeten Theorien des Schönen im Mittelalter vgl. Rosario Assunto: Die Theorie des Schönen im Mittelalter, Köln 1962. Zu mittelalterlichen Musterbüchern zuletzt Friedrich Simader: «Vorlagen. Vorstudien. Musterbücher». In: Geschichte der Buchkultur. Bd. 4. Andreas Fingernagel (Hrsg.): Romanik, Graz 2007, S. 335-354. Literatur s. Link in Anm. 1.
Vgl. S. 174 in diesem Beitrag.
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Zur Inhomogenität von Designforschung, Designtheorie und Designgeschichte vgl. John A. Walker: Design-Geschichte. Perspektiven einer wissenschaftlichen Disziplin, München 1992, S. 11-12; Petra Eisele: «Designforschung als transdisziplinäres Konzept», Vortrag gehalten bei der Tagung der Deut- schen Gesellschaft für Designtheorie und -forschung im «Stilwerk» Hamburg, 31.1.2004, S. 1-9 (Deut- sche Gesellschaft für Designtheorie und -forschung e.V. http://www.dgtf.de/fileadmin/TheorieUnd Design/EiseleDGTF.pdf, 20.12.2007), hier S. 6.
Vgl. den Überblick bei François Burkhardt: «Tendencies of German Design Theories in the Past Fifteen Years». In: Design Issues 3.2, S. 31-36 (auch in: Victor Margolin (Hrsg.): Design discourse. History, theory, criticism, Chicago und London 1989, S. 49-54); Cordula Meier: «Design-Theorie. Grundlagen einer Disziplin». In: Ds. (Hrsg.): Designtheorie. Beiträge zu einer Disziplin, Frankfurt/M. 2001, S. 16-37, hier S. 21-23; Bernhard E. Bürdek: Design. Geschichte, Theorie und Praxis der Produktgestaltung, 3. Aufl. Basel u.a. 2005, S. 273-342; Walker 1992 (Anm. 10), S. 28-33.
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gegenüber ihren akademischen Herkunftsfächern ihre neue disziplinäre Eigenständigkeit im akademischen Kanon auf eine Besonderheit und Nobilität ihres Forschungsgegenstandes gründen wollen. Zum anderen stützen sie ihren Anspruch, Wissenschaft zu sein, auf die akademische Anerkennung ihrer jeweiligen wissenschaftlichen Herkunftsdisziplinen und richten ihre Themen nach deren aktuellen Diskursen. An der Entwicklung der epistemischen Grundlagen, Methoden und Erkenntnisse ihrer Bezugswissenschaften werden sie jedoch meist nicht beteiligt. Designwissenschaften gründen den Anspruch auf eine eigenständige wissenschaftliche Disziplin durch den Bezug auf Design. Daher gehört es zu ihrem Selbstverständnis, den Graben zwischen Theorie und Praxis zu beklagen und dessen Schließung zu proklamieren. Grundsätzlich gehen sie dabei allerdings meist davon aus, Praxis sei von Theorie abhängig. Ihre Forschungsthemen und -methoden entwickeln sie daher nicht aus der Designpraxis. Stattdessen wollen sie den Graben zwischen Theorie und Praxis überwinden, indem sie die Bezugswissenschaften befragen, was Designpraxis sein solle. Den Hinweis der Designpraktiker, solche Designwissenschaft sei für sie grundsätzlich irrelevant, nimmt gerade der Anspruch der Designtheorie nicht ernst, den Graben zur Praxis von der Theorie aus schließen zu können oder schon geschlossen zu haben. Als akademische Veranstaltung enden solche Bemühungen vor allem darin, die Förderungswürdigkeit designwissenschaftlicher Forschung zu behaupten.12 Eher als die 2001 ausgesprochene apodiktische Forderung von Norbert Bolz (*1953), «Design ist theoriepflichtig»13, findet in der Designpraxis sicherlich die von Thomas Friedrich 2007 vorgetragene Erwartung Akzeptanz, «Design ist begründungspflichtig».14 Sichtlich lassen sich die von Friedrich vorgestellten designspezifischen Begründungen aber nicht unter dem allgemeinen Designtheoriebegriff von Bolz subsumieren oder aus diesem ableiten. Friedrichs Beispiele zur Begründung des Einsatzes bestimmter Schriften in konkreten Anwendungszusammenhängen entsprechen vielmehr konkreten Entscheidungs- und Präsentationskontexten der Designpraxis.15 Darüber hinaus sind aber auch weitere wesentliche Entscheidungen der Designpraxis noch nicht einmal begründungsfähig. Sie können nur außerhalb des begrifflichen Denkens erfolgen, wie etwa Rainer Baginski 2001 mit Verweis auf Jan Tschicholds (1902-1974) Urteil über das erforderliche Gleichmaß einer Schrift überzeugend dargelegt hat.16 Selbst mit Mitteln etwa der Wahrnehmungspsychologie wird man das bei erfahrenen Designpraktikern vorhandene Können und Wissen in den meisten designspezifischen Fragen weder deskriptiv
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Signifikant ist, wie Designwissenschaftler mit rein geisteswissenschaftlichem Hintergrund zur Etablierung förderungsfähiger Designforschung zunächst für eine «noch engere Zusammenarbeit zwischen Theorie und Praxis in der Grundlagenforschung» in Form von gemeinsamen «Forschungs- projekten mit regelmäßigen Workshops zu einzelnen Themen und Fragestellungen» plädieren, um dann doch über eine Ablehnung eines «oberflächlichen formalästhetischen Anspruchs» zur Stärkung der «eigenen Disziplin» und zu der Forderung überzugehen, vorab «systematische Untersuchungen zur Designtheorie und -geschichte als Grundlagenforschung» zu etablieren und auszubauen, um letztlich auf einen «innerdisziplinären Prozess [...], der die eigene Disziplin stärkt» zu zielen. Vgl. Eisele 2004 (Anm. 10), S. 8-9.
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Norbert Bolz: «Die Funktion des Designs». In: design report 4/2001, S. 66-69, hier S. 67.
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Friedrich 2007 (Anm. 2), S. 46-47.
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Zur Episteme der Interpretationen und Urteile, die für typographisches Gestalten erforderlich sind, vgl. auch Jean-Francois Lyotard: «Das Paradox des Grafikers». In: Ds.: Postmoderne Moralitäten, Wien 1998, S. 38.
Rainer Baginski: «Old Design, New Design». In: Meier 2001 (Anm. 11), S. 242-262, hier S. 243.
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noch präskriptiv fassen können. Die Designpraxis beinhaltet in wesentlichen Teilen auch Urteile, die per se nicht vollständig theoretisiert werden können. Anders als Designwissenschaftler können Designpraktiker daher durchaus an einer Vertiefung des Abstandes zur derzeitigen Designtheorie interessiert sein. Gerade bei gestalterischen Tätigkeiten darf man nicht ignorieren, dass es in der Praxis auch auf erfahrungsgesättigte Intuition außerhalb theoretisierbarer Regeln ankommt. Bereits Aristoteles (384-322 v. Chr.) ordnete das nicht zu verwissenschaftlichende Vermögen von Praktikern (phrónesis) weder dem praktischen Können und Wissen (téchne, seinerseits unterscheidbar in die hervorbringende poíesis und die in der Ausübung an ihr Ziel kommende práxis), noch dem theoretischen Wissen (theoría) zu, sonderen erkannte seine Selbständigkeit.17 Die Theorien, Methoden und Themen der Bezugsdisziplinen von Designwissenschaften, die ohne medienspezifische Berücksichtigung visueller, plastischer und gebauter Medien, der zu deren Gestaltung entwickelten Verfahren und der in dieser Gestaltung geübten Intuition konstruiert wurden, lassen sich höchstens um den Preis der Banalisierung und ohne wesentliche Strategie-, Systematisierungs- oder Struktureffekte auf die Designpraxis übertragen. Obwohl die Designwissenschaften die Vermittlung der bezugswissenschaftlichen Theorien an die Praxis des Designs übernommen haben, dienen der Designpraxis daher insbesondere die geistes- und sozialwissenschaftlichen Bezugsdisziplinen meist nur als Stichwortgeber, die den designspezifischen Form-, Kreativ-, Konzept- und Entscheidungsprozessen als Stimulans zur inhaltlichen Auffächerung von Aufgabenstellungen in der begrifflich dominierten Konzeptentwicklung vorgeschaltet werden oder zur Ausschmückung von Präsentationen nachträglich ins Spiel kommen. Die spezifisch de- signerischen Gestaltungsprozesse erfolgen dazwischen meist weitgehend theoriefrei. Da designpraktische Erfahrung und Intuition in diesen Designwissenschaften nicht vorkommen, bleiben solche Adaptionen von Designtheorie dabei in der Praxis meist bloß äußerlich. Den Designpraktikern bleibt nichts anderes übrig, als die Geltungsansprüche der designwissenschaftlichen Bezugsdisziplinen entweder zu ignorieren oder deren Theorieversatzstücke bloß äußerlich und auf Gemeinplätze reduziert zu applizieren. Sofern sie sich nicht über eine allgemeine «Vertrautheit» mit Erkenntnissen diverser Wissenschaften hinaus18 zugleich in einer der Bezugswissenschaften als Experten ausgewiesen haben und in deren Diskursen ernst genommen werden, wird man Designpraktikern in den Designwissenschaften nicht zugestehen, sich am wissenschaftlichen Diskurs über die aus den Bezugsdisziplinen importierten Vorgaben zu beteiligen. Die von den Makrosystemen der Bezugsdisziplinen fragmentiert abgesonderten und assoziativ übernommenen Gemeinplätze entmündigen die Designpraktiker gerade in dem, was sich als die für sie zuständige Theorie ausgibt. Von einer auch für die Designpraxis nachhaltig fruchtbaren Synergie kann bisher aber höchstens in der Projektkooperation mit praxisorientierten Wissenschaften wie der Ergonomie, Teilbereichen der Ingenieurwissenschaften, der ökonomischen Organisationslehre oder dem Marketing gesprochen werden, durch die sich die Effizienz konkreter Designprozesse und -ergebnisse unmittelbar steigern lässt. Produktdesigner tun sich hierbei erfahrungs-
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Aristoteles, Nikomachische Ethik, 1142a. Auf diese Minimalforderung wird das hoch angesetzte Konzept des «denkenden Designers» reduziert bei Felicidad Romero-Tejedor: Der denkende Designer, Hildesheim 2007, S. 52.
gemäß leichter als visuelle Designer, blicken sie doch auf eine lange geübte Partnerschaft mit Ergonomie-, Material-, Konstruktions- und anderen Ingenieurwissenschaften und eine enge Einbindung in ökonomische Kontexte zurück. Obwohl die systematisierten Designprozesse des Produktdesigns19 der wissenschaftlichen Beschreibung und Modulation leichter zugänglich sind als die eher individualisierten Entwurfsprozesse des visuellen Designs20, bezieht sich jedoch selbst dort der konkretisierbare Nutzen einer Befassung mit Designtheorie im Wesentlichen auf die Ausbildung allgemeiner Recherche-, Planungs-, Integrations- und Schnittstellenkompetenzen. Selbst die wissenschaftlichen Modelle der Kreativitäts-, Entscheidungs- und Planungstheorie, die unter der Devise, «Designtheorie ist Dienstleistung für Designpraxis!», gerade mit Blick auf das Produktdesign in die Designtheorie aufgenommen wurden, konnten in ihrer Abstraktheit und Komplexität kaum Bedeutung für die routinierten Arbeitsprozesse gewinnen, sofern sie nicht unmittelbar anhand designerischer Praxis entwickelt wurden.21 In einer um 1960 sich verstärkenden, insbesondere semiotisch und sozialwissenschaftlich intendierten Verwissenschaftlichung der Gesellschaft22 haben zeichentheoretisch und sozialwissenschaftlich orientientierte Designwissenschaftler insbesondere in Deutschland die Designtheorie weitgehend auf Kommunikations- und Gesellschaftstheorie reduziert und die Designpraktiker im Diskurs über Design an den Rand gedrängt.23 Doppelt abgesichert durch den akademischen Status und die ungebrochene Aura von Design, liquidieren De- signwissenschaftler mit dem erprobten Argumentationsschema der Ideologiekritik seither unter dem Anspruch der Diskurshegemonie die eigenständigen Erfahrungen der gestalterischen Praxis besonders in den technischen, materiellen, formalen und kreativen Grundlagen der Gestaltung. Historisch relativierend, identifizieren sie etwa die Ergebnisse der Formgestaltung in der «Guten Form» neuerdings als nicht mehr zeitgemäße «Symbolform» einer durch Massenproduktion angestrebten «Angleichung der Schichten in der nivellierten Mit-
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Vgl. den Literaturverweis in Anm. 4. Vgl. auch Heinrich Spies: Integriertes Designmanagement (= Seminar für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Beschaffung und Produktpolitik der Universität zu Köln, Bd. 23), Köln 1993; Brigitte Wolf (Hrsg.): Design-Management in der Industrie, Giessen 1994. Zum Verhältnis von Design und Ingenieurwissenschaften vgl. Jens Reese: Der Ingenieur und seine Designer. Entwurf technischer Produkte im Spannungsfeld zwischen Konstruktion und Design, Berlin 2005.
Zum Designprozess im visuellen Design vgl. den Literaturverweis in Anm. 4.
20
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21 I Vgl. etwa Siegfried Maser: Zur Planung gestalterischer Projekte (Beiträge zur Designtheorie 2), 4. Aufl., Wuppertal 2001 (http://elpub.bib.uni-wuppertal.de/edocs/dokumente/fb05/vorlesung/ maser/v050202.pdf, 20.12.2007), besonders, S. 27-50; das Zitat ebd. S. 9, 219. Vgl. auch Bernhard E. Bürdek: Design-Theorie. Problemlösungsverfahren, Planungsmethoden, Strukturierungsprozesse, 4., unveränd. Aufl., Stuttgart 1971; Bernhard E. Bürdek: Einführung in die Designmethodologie, Ham- burg 1975; Bernd Löbach: Industrial Design, Grundlagen der Industrieproduktgestaltung, München 1976; Wilkhahn: «Konzeption und Gestaltung. Ablauf einer Wilkhahn-Produktentwicklung». In: Gestalten, Gebrauchen, Verbrauchen, Deutscher Designertag 1980, Ausst. im Landesgewerbeamt, Karlsruhe 1980, S. 129-133; zur Problematik vgl. Romero-Tejedor 2007 (Anm. 18), S. 100-104. Zur epistemologischen Begründung, Entwicklung und Auflösung der hierbei als epistemologische Grund- lage von Designtheorie herangezogenen Kybernetik vgl. Martin Kaufmann: Der Baum der Kybernetik. Die Entwicklungslinien der Kybernetik von den historischen Grundlagen bis zu ihren aktuellen Ausformungen, Dornbirn 2007; Michael Hagner (Hrsg.): Die Transformation des Humanen. Beiträge zur Kulturgeschichte der Kybernetik, Frankfurt/M. 2008. 22 I
Zur Verwissenschaftlichung der Gesellschaft vgl. Gotthard Bechmann und Horst Folkers (Hrsg.): Politikberatung und Großforschung. Zum Problem der Verwissenschaftlichung der Gesellschaft, Erlangen 1977; Peter Weingart: «Verwissenschaftlichung der Gesellschaft – Politisierung der Wissenschaft». In: Zeitschrift für Soziologie 12.3,1983, S. 225-241; Christoph Lau und Ulrich Beck: Defini- tionsmacht und Grenzen angewandter Sozialwissenschaft. Eine Untersuchung am Beispiel der Bildungs- und Arbeitsmarktforschung, Opladen 1989; Peter Weingart: Die Stunde der Wahrheit? Zum Verhältnis der Wissenschaft zu Politik, Wirtschaft und Medien in der Wissensgesellschaft, Weilerswist 2001. Zur Verwissenschaftlichung der Designtheorie vgl. Wolf Reuter: «Rationalitätskonzepte im Design». In: Meier 2001 (Anm. 11), S. 92-110.
23 I
Vgl. Bernhard E. Bürdek: «Theorie und Praxis im Design». In: Design report 6/2002. Überdeutlich ist der Ansatz etwa bei Max Bense: Zeichen und Design, Baden-Baden 1971; Max Bense: Semiotische Pro- zesse und Systeme in Wissenschaftstheorie und Design, Ästhetik und Mathematik, Baden-Baden1975.
147
telstandsgesellschaft» und verweisen sie so zurück in eine vergangene Epoche.24Losgelöst von der spezifischen, quellen- und objektgestützten Erforschung der konzeptionellen und gestalterischen Kernkompetenzen, die in der Designpraxis weiterhin dominieren, erheben Soziologen, Semiotiker und Kommunikationswissenschaftler, die in die Designwissenschaften eindiffundiert sind, den Anspruch, der nächsten Designergeneration ihre Gegenwarts- und Zukunftsaufgaben diktieren und ihnen gleichzeitig eine umgreifende Leitfunktion für die Zukunftsgestaltung der Menschheit zuschreiben zu können: «Als Entwurf einer universellen Zivilisation» soll sich Design nun seiner «überragenden Bedeutung (…) für die Zukunft von Wirtschaft und Kultur im 21. Jahrhundert» bewusst werden, «für die Universität des 21. Jahrhunderts eine Rolle spielen (...), wie sie heute die Mathematik für die Wissenschaften einnimmt», indem sie den «Hochschulen der Zukunft (...) den integrierenden Diskurs» bietet, «zu der lange vermißten Vermittlungsinstanz zwischen den zwei Kulturen Naturwissenschaft/Ingenieurwissenschaft einerseits und Geisteswissenschaft/Kulturwissenschaft andererseits» werden, sein «immenses Entwicklungs- und Zunkunftspotential in der anbrechenden Ideenwirtschaft als Chance begreifen», in den miteinander verschmelzenden Feldern von «Bits, Atomen, Neuronen und Genen» die «vier Menschheitsträume – Verständigung, Schöpfung, Unsterblichkeit und Sicherheit» als Designaufgabe annehmen, etwa begleitend zur Privatisierung der Alters- und Krankenfürsorge «Orientierungshilfen» geben, den «scheinbar unbegrenzten Gestaltungsraum zur Eroberung, Veränderung und sorgenfreien Gestaltung des Alltags» öffnen, auf die ökonomischen und demografischen Veränderungen der Städte reagieren, «soziale und kulturelle Innovationen gestalten», «einem neuen Bedürfnis nach Distinktion und eigener kultureller Identität» nachkommen, sich in der «zunehmenden Vermischung der Kulturen und den neu entstehenden Post-Systemen bzw. Hybridkulturen» mit der «spezifischen Geschichte der Kulturen auseinandersetzen», Moscheen zu «Orten der Begegnung und Integration» machen und – ganz allgemein – «Orientierung geben», «Wissensräume gestalten», «Kompetenz erweitern», «Bildung vermitteln», «Nutzung verbessern» oder: «einfach Freude verbreiten».25 Popularisierend folgen solche Anweisungen den als politisch korrekt, aktuell oder förderungswürdig geltenden Forschungs- und Aktionsfeldern der normativ-soziologischen Herkunftsdisziplinen ihrer Autoren und dekorieren diese durch hybride Machtverheißungen an das Design, die in zynischem Kontrast zum «bread and butter»-Design der industriellen Massenproduktionsprozesse und -kommunikation stehen.26 Solche Listen mögen politisch gewollt oder als sozialpädagogische Maßnahme zur Integration der De- signpraxis in gesellschaftliche Veränderung gut gemeint sein. Sie mögen auch als Steinbruch
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24 I
Gerda Breuer: «Nach dem Ende der guten Form». In: Werkundzeit 2007, S. 8-14, hier S. 10. Für die ver- wendete Argumentationsfigur vgl. Jürgen Habermas: Technik und Wissenschaft als «Ideologie», Frankfurt/M. 1968. Zur Kritik des Designs der Moderne vgl. auch Andreas Dorschel: Gestaltung. Zur Ästhetik des Brauchbaren, Heidelberg 2002.
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Diese und verwandte Bemerkungen u.a. bei Norbert Bolz: Bang design. Design-Manifest des 21. Jahrhunderts, Köln 2006. Weitere Quellenangaben hierzu finden sich an der in Anm. 1 angegebenen Stelle.
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Susanne Schade: Auswirkungen globaler Wertschöpfung auf deutsches Industrie- und Produktdesign unter besonderer Betrachtung der Schnittstelle Design und Konstruktion/Entwicklung, Diss. Duisburg-Essen 2007. Vgl. auch die Kritik an der nach der Postmoderne wiedereinsetzenden Re- Ideologisierung des Designs bei Beat Schneider: Design – Eine Einführung. Entwurf im Sozialen, Kulturellen und Wirtschaftlichen Kontext, Basel 2005, S. 263-264: «Das Design konnte nicht zu einer die Gesellschaft prägenden Kraft entwickelt werden.» «Nach allen Erfahrungen der Vergangenheit wird es einmal mehr überfordert sein.» Vgl. auch ebd., S. 268-269. Vgl. dagegen aber die Forderung nach einer Designtheorie, «bei der die gesellschaftliche Praxis das entscheidende Kritierium ist, an dem sie [die Designtheorie] sich zu bewähren hat», ebd., S. 267.
zur Formulierung von Konzeptdarstellungen in der Designausbildung oder Forschungsanträgen herhalten können. Apodiktisch vorgetragen, als seien sie aus wissenschaftlichen Erkenntnissen verbindlich deduziert und somit jeder differenzierten Kritik enthoben, sind sie aber weder das Ergebnis einer grundlegenden wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Design, noch sind sie geeignet, eine allgemeine Theorie des Designs zu begründen oder das Erlernen designerischer Praxis konkret zu unterstützen. Zwischen solchen Instruktionen und den hieran geeichten Bewertungen von Design bleiben die designerische Arbeit und deren konkrete Verflechtung in Wirtschaftsprozesse unreflektiert. Ohne Wertschätzung, Verständnis oder Interesse für die medien- und prozessspezifischen Bedingungen und Leistungen der designerischen Praxis überschätzen solche Instruktionen die Bedeutung verbalsprachlicher Diskurse sowohl gegenüber der formgestalterischen als auch gegenüber der industriellen und ökonomischen Praxis. Die oben bereits angesprochenen planungs- und entscheidungswissenschaftlichen Instrumente sollen die Wirkung von Designtheorie auf Designpraxis seit den 1950er-Jahren auch theoretisch absichern. Durch die Formalisierung von Regelkreisen der normativen Instruktion und Evaluation meint man die Anpassung der Designpraxis an bezugswissenschaftliche Vorgaben bewirken zu können.27 Wie Designer in den jeweiligen Kontexten tatsächlich arbeiten, erfassen solche Theorien – anders als die neueren Forschungen zum «Designmanagement», die sich von den Ideologien der etablierten Designtheorie pragmatisch gelöst haben und auf die Integration von Design in unternehmerische Prozesse konzentrieren –28 meist aber nicht. Von den Designtheoretikern der Moderne, die meist vor allem erfolgreiche Designpraktiker waren29, haben praxisferne Designwissenschaften zwar nicht das praktische Wissen und Können, wohl aber in solchen Skizzen neben der Fokussierung auf die gesellschaftliche Funktion von Design das avantgardistische Bewusstsein und die «paternalistische»30 Attitüde übernommen, mit denen sich diese einst unter den Bedingungen der industrialisierten Gesellschaft ihrer Zielsetzungen vergewissern und – auch im Rekurs auf Bezugswissenschaften – in einer umfangreichen Manifest- und Programmliteratur den Anspruch des Designs auf gesellschaftliche Anerkennung formulieren mussten.31Über die erste akademische Designwissenschaftlergeneration, die vor über 30 Jahren die funktio
27
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Siehe die in Anm. 21 genannte Literatur.
28 I
Vgl. etwa Brigitte Borja de Mozota: Design management. Using design to build brand value and corporate innovation, New York 2003; Kathryn Best: Design management. Managing design strategy, process and implementation, Lausanne 2006, S. 90-145; Brigitte Wolf: Design Management. Reality and Future Perspectives (http://kisd.de/fileadmin/kisd/pdf/publication_wolf_01.pdf, 31.1.2007).
29 I
Vgl. etwa die zahlreichen Beispiele bei Volker Fischer (Hrsg.): Theorien der Gestaltung. Grundlagen- texte zum Design, Frankfurt/M. 1999.
Dieses Urteil über die Nachkriegsideologie der «Guten Form» bei Breuer 2007 (Anm. 24), S. 10.
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Ohne Unterscheidung von vorakademischer und akademischer Designtheorie skizziert die Geschichte der Designtheorie als in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurückgehendes Kontinuum B. Schneider 2005 (Anm. 26), S. 258-259. Hannes Meyer (1889-1954) forderte bereits 1928 in einer Ansprache an die Studierendenvertreter des Dessauer Bauhauses eine «Verbindung von Werkstattarbeit, freier Kunst und Wissenschaft» (zitiert bei Hans M. Wingler: Das Bauhaus. 1919-1933. Weimar, Dessau, Berlin und die Nachfolge in Chicago seit 1937, 4. Aufl. Köln 2002, S. 148; vgl. auch Magdalene Droste: Bauhaus. 1919-1933, Köln 1990, S. 166-173, 193, 196). Die Durchsetzung der sozial- und geisteswissenschaftlichen Theoretisierung der Designerausbildung markiert dann etwa, dass Charles Morris’ Foundations of the theory of signs (Chicago 1938) eines der ersten Bücher war, die Otl Aicher (1922-1991) für die Bibliothek der 1953 gegründeten Hochschule für Gestaltung in Ulm anschaffen ließ (referiert bei Markus Rathgeb: Otl Aicher, London 2006, S. 114). Für die Verwissenschaftlichungstendenzen und die besondere Be- deutung der Sozialwissenschaften an der Hochschule für Gestaltung Ulm vgl. auch Meier 2001 (Anm. 11), S. 13-14; Martin Krampen und Günther Hörmann: Die Hochschule für Gestaltung Ulm. Anfänge eines Projektes der unnachgiebigen Moderne, Berlin 2003, S. 84-93, 100.
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nalen Imperative zur Erschließung des Designs als Praxisfeld designtheoretischer Pädagogik installierte, führt von dort zu den aktuellen designtheoretischen Anweisungen eine ununterbrochene Linie. Die Brücke bildet etwa Siegfried Masers (*1938) Diktum von 1976: «Eine Designtheorie hat zu erfüllen: eine wertsetzende Funktion, eine begründende Funktion, eine politische Funktion, eine kritische Funktion, eine aufklärende Funktion, eine pädagogische Funktion.»32 Solche selbstbewussten Stellungnahmen verschmolzen die avantgardistische Geste mit den utopischen Restpotenzialen der akademischen Bezugsdisziplinen von Designwissenschaften – insbesondere der normativen Soziologie. Unter dem in die Breite gehenden Blick einer an den Bezugswissenschaften zum Globalisieren geschulten Designwissenschaftlergeneration hypertrophieren solche Utopien seither, diffundieren in alle Diskurse und werden zugleich epistemisch diffus. Da Designpraktiker solche Designwissenschaft meist als unkritisierbares Herrschaftswissen erfahren, von dessen Erstellung und Kritik sie mangels eigener bezugswissenschaftlicher Expertise letztlich ausgeschlossen bleiben, darf es nicht verwundern, dass Designpraktiker die Geste der Belehrung – auch der aufklärerischen, kritischen oder politisch korrekten – als Entmündigung der eigenen gestalterischen Praxis und Erfahrung erleben.33 Diskursnormierende Designtheorie ist weder eine Theorie der Designpraxis, noch eine Theorie für die Designpraxis. Das spezifische Können und Wissen von Designpraktikern wird hierin bloß instrumentell dem apodiktischen Lenkungswillen der Designtheorie verfügbar gemacht. Design wird in ein populäres Anwendungsfeld bezugswissenschaftlicher Diskurse und Themen umgedeutet. Der Diskurs der Designtheorie formt den Designer vom Kenner und Könner visuellen, plastischen und bauenden Gestaltens zum avantgardistischen Generalisten sozialer Praxen um, der bereit sein soll, die von den Designwissenschaftlern wissenschaftsautoritär aus den Bezugsdisziplinen extrahierten Aufgaben tagesaktuell zu erfüllen. So erklären Designtheoretiker wie Bolz – in Ermangelung eines praktischen Zugangs zur Designpraxis – die Designer zur Avantgarde des zukünftigen Menschen, der ganz allgemein Gestalter seiner eigenen Natur und Umwelt sein werde: «Hirte des Seins, Wise Stewart of the Planet».34 Denkt man diese epistemologische Geste fort, so wird der dem Design noch anhaftende Innovations-, Praxisrelevanz- und Erfolgsnimbus durch die doppelt legitimierte Designtheorie sicherlich noch für eine Übergangsphase gebraucht, um die aktuellen Instruktionen unkritisierbar durchzusetzen. Dann aber würde der Designpraktiker über kein medienspezifisches gestaltungspraktisches Wissen oder Können mehr verfügen. Sein Tun
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32 I
Maser 1976 (Anm. 2). Solche Forderungskataloge waren durch den sozialen Anspruch der Design-Avantgarde der 1910er und 20er-Jahre in Deutschland vorbereitet (vgl. hierzu Ralf Rummel: Die Transformation sozialreflexiver Momente in der modernen Gestaltung alltäglicher Dinge und Räume. Ein kritischer Beitrag zur Diskursgeschichte des Design, Diss. Bremen 2001, S. 234-240) sowie durch die daran anbindende zentrale Installation von Psychologie, Soziologie und Politik im demokratiepädagogisch orientierten Lehrprogramm der Hochschule für Gestaltung in Ulm (vgl. etwa Wolfgang Ruppert: «Ulm ist tot! Es lebe Ulm! Rückblick auf die Hochschule für Gestaltung». In: Kursbuch 106, 1991, S. 119-138, hier S. 121, 131; René Michael Spitz: Die politische Geschichte der Hochschule für Gestaltung Ulm. 1953 – 1968. Ein Beispiel für Bildungs- und Kulturpolitik in der Bundesrepublik Deutschland, Diss. Köln 1997, u.a. S. 17-18, 65-73; jetzt auch als: Ds.: Hfg ulm. Der Blick hinter den Vordergrund. Die politische Geschichte der Hochschule für Gestaltung Ulm. 1953 – 1968, Stuttgart und London 2002).
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Vgl. etwa die Hinweise bei Möller 2004 (Anm. 2); Romero-Tejedor 2007 (Anm. 18), S. 51-52. Kritische Einwände gegen die «Theorieferne des Designs» bei B. Schneider 2005 (Anm. 26), S. 260.
Vgl. Bolz 2006 (Anm. 25), S. 207.
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würde in einer allgemeinen sozialen Praxis aufgehen. Die eigentlichen Gestalter des Feldes Design würden dann die neuen, in Bezugsdisziplinen verankerten Designwissenschaftler sein, die sich aufgrund ihrer bezugswissenschaftlichen Herkunft Autorität zuschreiben zur normativen Extraktion der designrelevanten Aufgaben aus den aktuell als sozial relevant geltenden Themen der Bezugswissenschaften. Designtheorie hat damit den operativen Teil einer utopischen Überwindung der «Ideologie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft» zu ihrem Programm gemacht, die 1969 der Soziologe Herbert Marcuse (1898-1979) so formulierte: «Das ästhetische Universum ist die Lebenswelt, von der die Bedürfnisse und Fähigkeiten zur Freiheit abhängen; es bedarf ihrer, damit es zu ihrer Befreiung kommt. (...) Sie [die Bedürfnisse und Fähigkeiten zur Freiheit] können lediglich aus der kollektiven Praxis der Produktion von Umwelt hervorgehen; aus der materiellen und geistigen Produktion einer Umgebung, in der die nicht-aggressiven, erotischen und rezeptiven Anlagen des Menschen im Einklang mit dem Bewußtsein der Freiheit die Befriedung von Mensch und Natur anstreben. Beim Neubau der Gesellschaft, der dieses Ziel erreichen soll, nähme die Wirklichkeit insgesamt eine Form an, die das neue Ziel ausdrückt. Die wesentlich ästhetische Qualität dieser Form würde aus ihr ein Kunstwerk machen; insoweit aber die Form aus dem gesellschaftlichen Produktionsprozeß hervorginge, hätte Kunst ihren traditionellen Ort und ihre Funktion in der Gesellschaft geändert; sie wäre zur Produktivkraft der materiellen wie der kulturellen Umgestaltung geworden. (...) Dies würde die Aufhebung von Kunst bedeuten: das Ende der Trennung des Ästhetischen vom Wirklichen, aber ebenso das Ende der kommerziellen Vereinigung von Geschäft und Schönheit, Ausbeutung und Freude. Die Kunst gewönne einige ihrer ursprünglicheren ‹technischen› Nebenbedeutungen zurück: als Kunst der Zubereitung, der Kultivierung der Dinge, die ihnen eine Form verleiht, die weder ihre Materie noch die Sinnlichkeit verletzt – der Sieg der Form als eine der Notwendigkeiten des Seins, das Allgemeine jenseits aller subjektiven Spielarten von Geschmack, Affinität und so fort.»35 Da er eine außerhalb seiner eigenen Disziplin liegende eigenständige Praxis ablehnt, entwirft Marcuse hier das Überwinden der Ohnmacht seiner eigenen Disziplin, die in ihrer Praxisferne beruht, als entgrenzende dialektische Aufhebung soziologischer Theorie in Praxisfeldern, die außerhalb der disziplinären Kompetenz liegen, und zugleich als Aufhebung aller Praxis in theoriegeleiteter soziologischer Praxis. In dieser Tradition definiert und formt die Designwissenschaft die Praxis des Designs in ein Praxisfeld von Derivaten normativer Soziologie um. Nach einer symbiotischen Übergangsphase, in der die Praktiker des De- signs vorübergehend werden meinen können, an der proklamierten Omnipotenz normativer Soziologie als deren Praxisfeld teilzuhaben, soll Soziologie als Designtheorie die bisherige Designpraxis ersetzt und sich selbst als neue universelle Leitwissenschaft und -praxis installieren. Da in den jeweiligen Bezugsdisziplinen bereits Forschungstraditionen zu den hierbei relevanten Themen bestehen, geht auch der Designwissenschaft in einer solchen Entwicklung zugleich mit ihrem spezifischen Gegenstand ihre disziplinäre Selbständigkeit verloren. Bald schon würden sich die jungen Designwissenschaften hierbei in ihre Bezugsdisziplinen bzw. deren Praxen auflösen. Wurden die Geltungsansprüche der vorakademischen Designtheorie noch durch die Mühen der vordigitalen Konzept-, Form- und Realisierungsprozesse
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Herbert Marcuse: Versuch über die Befreiung, Frankfurt/M. 1969, S. 53-54.
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moderiert, so wird nun die Verachtung der aktuellen Designtheorie für die designpraktische Integration von konzeptioneller und formender Arbeit an Objekt, Material und Gestalt durch die neuere technische Entwicklung begünstigt. Die Digitalisierung der Gestaltung scheint die Erstellung von kreativem Konzept und Form mühelos gemacht und von jeder Medienspezifik gelöst zu haben. Die designtheoretisch konzipierte Auflösung von Design in Fragmente von Bezugsdisziplinen, digitale Technik und eine diffuse, aber intensive Erfahrung sozialer Praxen als neuer Königsweg zum Erfolg als Designer scheint in der Digitalisierung eine praktische Grundlage zu haben. Gui Bonsiepe (*1934), der diesen Prozess in den 1960er-Jahren noch selbst mitangestoßen hat, beschrieb diese Vision 2006 euphorisch: Am Beispiel des Absolventen eines Sozialwissenschaftsstudiums, der in einem von ihm durchgeführten Entwurfseminar eine außergewöhnlich hohe Designqualität erreichte, identifizierte er einen «vielversprechenden Wechsel im Profil der Designstudenten».36 Exemplarisch für den Erfolg und die Nachhaltigkeit dieser Entwicklung lässt sich auch anführen, dass David Carson (*1957), der nach einem erfolgreich absolvierten Soziologiestudium und fünf Jahren Anstellung als Highschool-Lehrer für Soziologie, Psychologie, Wirtschaft und Geschichte an einem nur dreiwöchigen Grafiklehrgang teilgenommen hatte37, seit Ende der 1980er-Jahre der vielleicht innovativste, sicherlich aber einer der erfolgreichsten Designer visueller Kommunikation werden konnte. Ob sich die Designpraxis aber tatsächlich in eine Praxis der Soziologie auflösen wird, bleibt abzuwarten. Denn bezeichnenderweise beruft sich ausgerechnet David Carson auf seine künstlerische Intuition und nicht auf sein Soziologiestudium als Kern seines designpraktischen Erfolgs.38 Zudem haben Ausnahmekarrieren von ausschließlich oder überwiegend bezugswissenschaftlich gebildeten Quereinsteigern – die es in der Designgeschichte zudem immer schon geben konnte – mit der gängigen beruflichen Realität der Designpraxis wenig zu tun. Selbst die Handreichungen für die Designpraxis, in denen bezugswissenschaftliche Imperative in eine praxisnahe Methodik integriert werden sollen, sind so stark mit dem herkömmlichen Erfahrungswissen der Designpraxis durchsetzt, dass zumindest ein vollständiger Erfolg der bezugswissenschaftlichen Imperative ausgeschlossen ist.39 Die designtheoretische Ableitung von Designdoktrinen aus praxisfernen Bezugsdisziplinen werden also wohl auch in Zukunft für die Designpraxis keine größere Bedeutung haben als die weiterhin entstehenden praxisnahen Schriften, die aus der Designpraxis heraus und für diese verfasst werden.40 Angesichts der neuen Komplexität, in der die Digitalisierung der Gestaltungsmedien Technologie und Gestaltung miteinander verschränkt, darf man sogar noch ein Anwachsen der Bedeutung designpraktischer Anleitungen vorhersagen, in denen auch zunehmend die Interdependenz von Technologie, Arbeitsprozess und Gestaltung fokussierend wirken wird.
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Vgl. Gui Bonsiepe: «Design and Democracy». In: Design Issues 22.2, 2006, S. 27-34.
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Vgl. Lewis Blackwell: «Biografie». In: Ds.: David Carson. The End of Print, Bd. 2, München 1997.
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Vgl. Lewis Blackwell: «Gespräch in Venedig zwischen David Carson und Lewis Blackwell». In: Ebd., Bd. 1, München 1995.
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Vgl. etwa Holger van den Boom und Felicidad Romero-Tejedor: Design. Zur Praxis des Entwerfens. Eine Einführung, Hildesheim u.a. 2000; zur Problematik auch Romero-Tejedor 2007 (Anm. 18).
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S.o. den Literaturverweis in Anm. 4.
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Designwissenschaft aus der Praxis und für die Praxis Die von theoretischen Bezugswissenschaften ausgehende Forderung nach einer Aufhebung der Theorie-Praxis-Differenz ist offensichtlich ähnlich wie die Forderungen der mittelalterlichen Scholastik darauf angelegt, utopisch zu bleiben. Sie begründet wie diese aus sich heraus zwar die Vorgabe der Aufgaben und Themen, beschreibt die Prozesse und Verfahren zu deren Umsetzung aber so abstrakt, dass sich daneben eine von ihr unabhängige Selbsttheoretisierung der Praxis weiter ausprägt und eine exklusive Zuständigkeit von Designtheorie für die Praxis grundlegend in Frage stellt. So tragen die insbesondere soziologisch orientierten Designwissenschaften letztlich nichts zur epistemischen Emanzipation der Designpraxis bei und bieten keine Ansätze zu einer einheitlichen Theorie des Designs. Dass in der Designpraxis jedoch ein nicht ins Utopische zu verweisendes Interesse an einer Theoretisierung der eigenen Sache besteht, belegten um 1400 wie heute nicht zuletzt die praxisorientierten Schriften, die von und für die Praxis visueller Medien verfasst wurden.41 Designtheorie kann die eigenständigen Erfahrungen der gestalterischen Praxis in theoretischen Regeln nicht liquidieren, sondern kann nur Wege beschreiben, die solche untheoretisierbaren Erfahrungen ermöglichen. Eine neue Designwissenschaft, die der Praxis dient, wird daher das umfangreiche Material einer Selbsttheoretisierung der Designpraxis sowie die reflektierten oder intuitiv angewandten Regeln und Regelbrüche, die in der Erfahrung und Beobachtung designerischer Praxis in Geschichte und Gegenwart festzustellen sind, deutlicher aufnehmen, als dies bisher geschehen ist. Nicht das Diktum von Designtheoretikern, Design sei begründungs- oder theoriepflichtig, sondern das Interesse der Designpraxis selbst an einer Speicherung und Strukturierung der Praxiserfahrung sowie deren lehrender Weitergabe hat bei Designpraktikern immer schon die Bereitschaft erkennen lassen, an der Überwindung der Theorie-Praxis-Differenz um der Praxis willen mitzuwirken. Nicht uneinlösbare Universalermächtigungen eines vermeintlich omnipotenten Designs, sondern eine neue Bescheidenheit in der Besinnung auf die praktische Erfahrung, nicht im Diskurs durchgesetzte Instruktionen, sondern aus der Erfahrung entwickelte und in der Erfahrung geprüfte Regeln sind Gegenstand und Ziel einer praxisrelevanten Designwissenschaft. Die explizierten oder impliziten Wissensbestände und stillschweigenden Annahmen der Designpraxis einschließlich der Wirkungen designpraktischer Erfahrung und Intuition muss eine neue Designwissenschaft erfassen und systematisieren.42 Ziel ist neben vielen Einzelerkenntnissen die induktive Gewinnung einer strukturierten Darstellung von praxisleitenden Grundsätzen, die dann in einer theoriegestützten systematischen Praxislehre systematisiert werden können. Weder Praxis noch Theorie werden vor «Bauchentscheidungen» von Designern sprachlos bleiben müssen. Intuitive Designprozesse lassen sich einschließlich der von Praktikern hierbei geäußerten Erfahrungen etwa in «Gestaltungslehren» bzw. der
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Ebd. Die Forderung – allerdings ohne klare methodische Differenzierung – bei B. Schneider 2005 (Anm. 26), S. 267.
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Lehre von «Gestaltungsgrundlagen» lehr- und lernbar systematisieren43, zumindest von außen beschreiben und in ihrem Wechselspiel mit praxisleitenden vortheoretischen Regeln und Erfahrungen begrifflich und vor allem visuell und materiell erfassen. Zudem haben sich bereits für viele intuitive Designentscheidungen jenseits aller individuellen Herangehensweisen lehr- und lernbare Routinen entwickelt, die teils auch versprachlicht wurden – man denke etwa an das erfolgreiche Wechselspiel von Kreativitätsforschung und Designpraxis.44 Auf der Grundlage des Respekts vor dem intuitiven Kern der Designpraxis sowie unter Hinweis auf Rahmentheorien, in denen die Leistungsfähigkeit intuitiver Entscheidungsverfahren wissenschaftlich erschlossen wird45, kann eine aus der Designpraxis entwickelte neue Designwissenschaft schließlich die entmündigenden Theoretisierungsansprüche mit wissenschaftlichen Argumenten zurückweisen, die aus den Bezugsdisziplinen gegen den erforderlichen Autonomieraum der Designpraxis vorgetragen werden. Die Designpraxis ist in der fortlaufenden designpraktischen Entwicklung neuer Erfahrungen sowie bei der Überprüfung der Relevanz systematisierter designwissenschaftlicher Erkenntnisse grundlegender Bestandteil einer neuen Designwissenschaft.46 Designpraktiker sind schon immer Experten ihrer eigenen Disziplin. Eine Designwissenschaft, die dies anerkennt, wird Designpraktiker darin unterstützen, nicht nur wissenschaftsorientierten Recherchemethoden zu folgen, sondern die methodische Arbeit an ihrer eigenen Sache und deren Offenlegung in einer aus der Praxis gewonnenen Sprache als Beitrag zu Wissenschaft zu begreifen und zu formulieren, anstatt genötigt zu werden, im Jargon designtheoretischer Surrogate zu parlieren. Nur so wird sich die Designpraxis von den entmündigenden Ansprüchen der vermeintlichen Bezugswissenschaften emanzipieren. Forschend und lehrend kann eine neue Designwissenschaft tatsächlich die arbeitsteilige «Dienstleistung für Designpraxis» erbringen, die schon so lange eingefordert wird.47 Die
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Zu deren Geschichte vgl. etwa Hans Ronge: Kunstlehre früher und heute, Ratingen 1965; Till Neu: Von der Gestaltungsgrundlehre zu den Grundlagen der Gestaltung. Von Ittens Vorkurs am Bauhaus zu wissenschaftsorientierten Grundlagenstudien. Eine lehr- und wahrnehmungstheoretische Analyse, Ravensburg 1978; Alain Findeli: «Die pädagogische Ästhetik von Làszlò Moholy-Nagy und seine Rolle bei der Umsiedlung des Bauhauses nach Chicago». In: Peter Hahn (Hrsg.): 50 Jahre new bauhaus. Bauhausnachfolge in Chicago, Berlin 1987, S. 33-50; ds.: «The Methodological and Philosophical Foundations of Moholy-Nagy’s Design Pedagogy in Chicago (1937-1946)». In: Design Issues 7.1, 1990, S. 4-19; ds.: «Design Education and Industry. The Laborious Beginnings of the Institute of Design in Chicago in 1944». In: Journal of Design History 4.2, 1991, S. 97-113; ds.: «Bauhaus Education and After. Some Critical Reflections. In: The Structurist 31/32, 1991/1992, S. 32-43; Thomas Schriefers: Collage in der Grundlehre, Bramsche 1996; Rainer K. Wick: Bauhaus. Kunstschule der Moderne, Ostfildern-Ruit 2000; Petra Liebl-Osborne: Gestaltungslehren in der Architektenausbildung an technischen Universitäten und Hochschulen in Westdeutschland 1945-1995, Frankfurt/M. u.a. 2001.
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Vgl. etwa Mario Pricken: Kribbeln im Kopf. Kreativitätstechniken und Brain-Tools für Werbung und Design, Mainz 2001; ds.: Visuelle Kreativität. Kreativitätstechniken für neue Bildwelten in Werbung, 3-D-Animation und Computergames, Mainz 2003; W. Ernst Eder und Stanislav Hosnedl: Design engineering. A manual for enhanced creativity, Boca Raton/Fla. u.a. 2008. Ein Forschungsüberblick zur Kreativitätsforschung bei Hans Pimmer: Kreativitätsliteratur in Titeln und Bibliographien. Eine Ausle- se, München 1995; Robert J. Sternberg (Hrsg.): Handbook of creativity, 10. Aufl., Cambridge u.a. 2007. Für die jüngere Forschung vgl. Kenneth M. Heilman u.a.: «Creative Innovation. Possible Brain Mechanisms». In: Neurocase 9.5, 2003, S. 369-379; Alice W. Flaherty: «Frontotemporal and dopamin ergic control of idea generation and creative drive». In: Journal of Comparative Neurology 493.1, 2005, S. 147-153; L. Vandervert u.a.: «How working memory and the cerebellum collaborate to produce creativity and innovation». In: Creativity Research Journal 19.1, 2007, S. 1-19.
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Vgl. etwa Gerd Gigerenzer: Bauchentscheidungen. Die Intelligenz des Unbewußten und die Macht der Intuition, München 2007.
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Zu einem solchen Prozess vgl. die Hinweise auf konkrete Erfahrungen bei Joachim Schirrmacher: «Nutzen und Positionen», Vortrag gehalten bei der zweiten Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Designtheorie und -forschung (DGTF), im «Stilwerk» Hamburg, 30.-31.1.2004 (http://www.dgtf. de/38.html, 20.12.2007). Zu Ansätzen zur Entwicklung von Designtheorie aus Designpraxis vgl. Stuart Walker: Sustainable by design. Explorations in theory and practice, London u.a. 2006.
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Diese – bisher kaum eingelöste – Forderung bei Maser 2001 (Anm. 21), S. 9, 219.
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meist als alternativ angesehenen Konzepte der Beziehung zwischen Designforschung und Designpraxis werden hierbei zu integrieren sein: Ausgangspunkt eines «research about design» ist ein immer schon als wissenschaftsanaloger, nicht aber unbedingt wissenschaftsbasierter «research through design» zu begreifendes innovatives Arbeiten der Designpraktiker, das von den Ergebnissen einer als «research for design» wirkenden Forschung profitieren wird.48 Eine neue Designwissenschaft übernimmt die Aufgabe der Dokumentation, der systematisierenden Relationierung und Revision der historischen und aktuellen Erfahrungen, ihres Abgleichs mit bezugswissenschaftlichen Erkenntnissen, der Systematisierung, der Erarbeitung von Anregungen zu ihrer systematischen Ergänzung sowie der Publikation dieser gebündelten und systematisierten Erfahrungen und Reflexionen.49 Ihre Legitimität bindet eine neue Designwissenschaft nicht an bezugswissenschaftliche Makrosysteme, sondern an eine in der Designpraxis zu bewährende Akzeptanz der erarbeiteten Strukturen und Erkenntnisse. Marketing als Designwissenschaft? Da sich eine Systematisierung der Praxiserfahrung nicht vollständig aus der Selbstreflexion der Praxis ergibt50 , muss eine neue Designwissenschaft Systematisierungskonzepte suchen, die sich an ihrer Kongruenz zur Designpraxis messen lassen. Gibt es in anderen Disziplinen bereits kompatible Strukturen, Systeme und Erkenntnisse, an die man hierbei anknüpfen kann? Wo findet eine neue Designwissenschaft hierbei ihren Platz im Gefüge der akademischen Disziplinen? Bei der Suche nach einer designnahen akademischen Disziplin, die selbst aus einer Praxis und für eine Praxis entwickelt wurde, so dass an sie eine praxisbezogene Designwissenschaft anbinden könnte, fällt der Blick zunächst auf die betriebswirtschaftliche Disziplin des Marketings. Schon um 1400 hatte die ökonomische Praxis immerhin einige partikulare Aspekte der visuellen Gestaltung beeinflussen können. So folgte beispielsweise in der italienischen Kunst des 15. Jahrhunderts der Wertausdruck von Farbwirkungen der Kostenkalkulation für Mal- und Darstellungsmaterialien, und das gestei-
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Zu dieser Begrifflichkeit vgl. Christopher Frayling: Research in Art and Design, Royal College of Art Research, Paper 1, London 1993/1994; Alain Findeli: «La recherche en design. Une genèse épistémo- logique erratique». In: Françoise Jollant-Kneebone (Hrsg.): La critique en design. Contribution à une anthologie, Nîmes 2003, S. 159-172; Wolfgang Jonas: «Forschung durch Design», Vortrag gehalten bei der Tagung des swissdesignnetwork, Basel, Schweiz, 13./14. Mai 2004 (http://www.conspect.de/ jonas/PDF/Jonas_SDN_Basel_05_04_final.pdf, 20.12.2007), S. 5-6; B. Schneider 2005 (Anm. 26), S. 273-276; ds.: «Design as Practice, Science and Research». In: Ralf Michel (Hrsg.): Design Research now. Essays and Selected Projects, Basel u.a. 2007, S. 207-217.
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Ob ein solches Projekt Erfahrungen der Berufsfeldforschung nutzen kann, wird zu prüfen sein. Zur Berufsfeldforschung vgl. etwa Donald A. Schön: The reflective practitioner. How professionals think in action, New York 1983; Jörg-Peter Pahl und Felix Rauner (Hrsg.): Betrifft: Berufsfeldwissenschaften. Beiträge zur Forschung und Lehre in den gewerblich-technischen Fachrichtungen, Bremen1998; Jörg-Peter Pahl u.a. (Hrsg.): Berufliches Arbeitsprozesswissen. Ein Forschungsgegenstand der Berufs- feldwissenschaften. 10. HGTB-Fachtagung in Flensburg 1999, Baden-Baden 2000; Matthias Becker und Georg Spöttl: «Berufswissenschaftliche Kristallisationspunkte zur Erschließung von Arbeitspro- zessen. Basis für die Berufsbildgestaltung». In: Andreas Seeber (Hrsg.): Arbeitsgestaltung, Flexibili- sierung, Kompetenzentwicklung. 14.-16. März 2001, Universität Kassel, Dortmund 2001, S. 399-404.
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Vgl. zum Grundproblem Bourdieu, Pierre: «Die Kodifizierung (1986)». In: Ders: Rede und Antwort, Frankfurt/M. 1992, S. 99-110., S. 102-103; Georg Hans Neuweg: «Implizites Wissen als Forschungs- gegenstand». In: Felix Rauner (Hrsg.): Handbuch der Berufsbildungsforschung, Bielefeld 2005, S. 581- 588; ds.: Das Schweigen der Könner. Strukturen und Grenzen des Erfahrungswissens, Linz 2006.
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gerte Auftreten perspektivisch exakt konstruierter Darstellungen komplexer Raumkörper verdankte sich der Übung in der Bestimmung der Rauminhalte solcher Körper, die zum Alltagsrüstzeug der kaufmännischen Praxis gehörten.51 Damals noch nicht verwissenschaft- licht, konnte die Ökonomie um 1400 jedoch weit weniger zur Theoretisierung der visuellen Medienpraxis beitragen, als dies heute für das Marketing zu vermuten ist. Als wissenschaftliche Disziplin wurde das Marketing innerhalb einer praktischen Wissenschaft, der Wirtschaftswissenschaft, speziell der Betriebswirtschaftslehre, aus einer Praxis und für eine Praxis entwickelt. Anders als die Praxis und die Theorie des Designs sind Praxis und Theorie des Marketings dabei per se eng miteinander verwoben. Es gehört nicht nur zum Selbstverständnis der wirtschaftswissenschaftlichen Disziplin Marketing, sondern auch zu ihrer dauernden Übung, den Graben zwischen akademischer Theorie und praktischem Nutzen zu schließen. 52 Die große inhaltliche Schnittmenge zwischen Marketing- und Designpraxis wird in der Marketing-Forschung, aber auch im Design-Management immer wieder betont und zur Grundlage der Erwartung genommen, Marketing sei als leitende Bezugsdisziplin der Designpraxis zu akzeptieren. 53 Insbesondere seine Theorien zur Werbewirkung exemplifiziert das Marketing mit Bezug auf Ergebnisse der Designpraxis. Entscheidungen, die in der Herstellung von Werbung zu treffen sind, sollen auf der Grundlage empirischer Marktforschung erfolgen und Werbewirkungsforschung soll die Gestaltungsergebnisse validieren. Wie den geistes- und sozialwissenschaftlichen Bezugsdisziplinen der derzeitigen Designwissenschaften fehlt dem in der Wirtschaftswissenschaft verankerten Marketing aber der originäre und medienspezifische Zugang zum visuellen, audiovisuellen, plastischen und bauenden Gestalten selbst. Der Form-, Kreativ-, Konzept- und Entscheidungsprozess des Designs ist aus den Erkenntnissen des Marketings weder medienspezifisch beschreibbar, noch generierbar oder vollständig planbar, und der Erfolg visueller Werbung ist letztlich nicht vollständig planbar. Trotz mancher Projektkooperationen 54 kritisieren Designpraktiker daher oft die Unhandlichkeit, die Vieldeutigkeit, die Unverständlichkeit, den zweifelhaften Erkenntnisgewinn und die Irrelevanz von Werbewirkungsforschung für die Werbegestaltung. Sie lehnen es ab, ihre Praxis völlig in den Produktions- und Evaluationsprozess des Marketings einzugliedern, und betonen dagegen die grundlegende Eigen-
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Vgl. Michael Baxandall: Die Wirklichkeit der Bilder. Malerei und Erfahrung im Italien des 15. Jahrhunderts, Frankfurt/M. 1987, S. 20-28, 101-113.
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Vgl. etwa Gary L. Lilien u.a.: «Bridging the marketing theory-practice gap with marketing engineering». In: Journal of Business Research 55, 2002 , S. 111-121.
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Vgl. etwa Borja de Mozota 2003 (Anm. 28), S. 81-113; Georg Felser: Werbe- und Konsumentenpsycho- logie, 3. Aufl., Heidelberg u.a. 2007, S. 442.
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Vgl. den Hinweis auf Lola Güldenberg (Ldesigns, Berlin): «Demonstration zur Entwicklung eines kom- munizierbaren Modells für eine konsistente Design-Beratung durch Design-Marktforschung», bei: Möller 2004 (Anm. 2). Grundsätzliches für eine erfolgreiche Projektkooperation bei Jean-Remy von Matt: «Erfolg ist Kreation». In: Axel Mattenklott und Alexander Schimansky (Hrsg.): Werbung. Strate- gien und Konzepte für die Zukunft, München 2002, S. 186-195. Zur Verdichtung der Kooperation von Produktdesign und Marketing vgl. etwa Regina Otte: Industrie- design und qualitative Trendforschung, München 1993.
ständigkeit der designerischen Praxis.55 Auch in Studien zur Werbewirkungsforschung wird immer wieder herausgestellt, dass Marktforschung zwar Hinweise zu Stärken und Schwächen marketingorientierter Gestaltung und sozialtechnische Empfehlungen geben sowie Strategien zur Einbindung der Designpraxis in den ökonomischen Prozess darstellen kann, die Autonomie der Designpraxis aber respektieren sollte, da nur dann kreative und erfolgreiche Lösungen erreichbar seien. 56 In jüngerer Zeit gibt es daher Versuche, die Lücke zur Designpraxis durch Integration spezifisch designerischer Methoden in Marketinganalysen zu schließen. So hat sich insbesondere die Imagemessung dem Design durch nonverbale Verfahren methodisch anzunähern versucht, um die in der bisherigen empirischen Erstellung von Polaritätsprofilen störende doppelte Übersetzung zwischen Verbalem und Visuellem aufzuheben.57 Und in der «Consumer-Insight-Forschung» wurde zur Erforschung der emotionalen Kommunikation in der Werbung neuerdings methodisch begründet, «daß die Consumer-Insight-Findung eine Sache der Intuition ist» und außerhalb dieser Einsicht «keine AllroundMethode zur Erlangung von Konsumentenkenntnis existiert». Um im Prozess der «Consumer-Insight-Findung» die Trennung von Strategie- und Kreationsentwicklung aufzuheben, habe die «wissenschaftliche Klärung und Systematisierung der Consumer-Insight-Findung» daher «das intuitive Moment nicht zu zerstören, sondern zu unterstützen». 58 Versuchen die bisher soziologisch orientierten Designwissenschaften die Designpraxis zur soziologischen Praxis umzudefinieren, so gipfelt der Versuch einer Verwissenschaftlichung der Designpraxis über das Marketing in einer methodischen Auflösung der Marktforschung also in Rechercheverfahren, die von designtypischer Intuition geleitet sein sollen. Sosehr der Respekt zu begrüßen ist, den die Marktforschung hier für eine designtypische Methode zeigt, so deutlich ist doch der Zirkelschluss, wenn man Designtheorie epistemisch am Marketing ausrichten will. Nur wenig früher als die Designwissenschaften akademisiert, ist das Marketing zudem selbst epistemologisch eher schwach konturiert.59 Gerade in seinen für die Designpraxis relevanten Teilen assembliert das Marketing seine Theorien und
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Die Kluft zwischen Werbeforschung und -praxis beschreiben etwa Joan Meyers-Levy und Prashant Malaviya: «Consumers‘ Processing of Persuasive Advertisements. An Integrative Framework of Persu- asion Theories». In: Journal of Marketing Special Issues 63, 1999, S. 45-60, hier S. 56-57; Stefan A. Jenzowsky und Alexander Schimansky: «Werbeerfolg durch Praxis und Wissenschaft. Blicke in die Glaskugel für einen Zaubertrank der Erkenntnis». In: Mattenklott/Schimansky 2002 (Anm. 54), S. 562-603, hier S. 594-596; Felser 2007 (Anm. 53), S. 442-444. Vgl. auch die Polemik gegen marke- tinggeleitete Werbung bei Oliviero Toscani: Die Werbung ist ein lächelndes Aas, Paris 1995. Für eine Fundamentalkritik der naiven Grundannahmen sowohl der Marketing- als auch der werblichen Designpraxis siehe Eva Heller: Wie Werbung wirkt. Theorien und Tatsachen, Frankfurt/M. 1984. Zur Problematik einer marketingsorientierten Gestaltung im Produktdesign vgl. Jan Walter Parr: Aesthetic Intentions in Product Design. Market driven or alternative form (http://www.ivt.ntnu.no/ipd/fag/PD9/ 2003/artikkel/Parr.pdf, 30.12.2007).
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Werner Kroeber-Riel und Franz-Rudolf Esch: Strategie und Technik der Werbung. Verhaltenswissen- schaftliche Ansätze, 6., überarb. Aufl., Stuttgart 2004, S. 295.
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Vgl. Jenzowsky/Schimansky 2002 (Anm. 55), S. 584-586; Günter Schweiger und Gertraud Schratten- ecker: Werbung. Eine Einführung, 6. Aufl., Stuttgart 2005, S. 343-344.
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Kerstin Föll: Consumer Insight. Emotionspsychologische Fundierung und praktische Anleitung zur Kommunikationsentwicklung, Wiesbaden 2007, S. 139, 240.
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Zur Episteme des Marketings zuletzt Hartmut Berghoff (Hrsg.): Marketinggeschichte. Die Genese einer modernen Sozialtechnik, Frankfurt/M. 2007. Zur Problematik der wissenschafttheoretischen Grundlagen des Marketings vgl. Elisabeth C. Hirschman: «Humanistic Inquiry in Marketing Research: Philosophy, Method, and Criteria». In: Journal of Marketing Research 23, 1986, S. 237-249.
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Methoden aus denselben Versatzstücken der Geistes- und Sozialwissenschaften – insbesondere Soziologie, Psychologie, Semiotik und Kommunikationswissenschaft –, die in der bisherigen Designtheorie immer wieder adaptiert wurden. Letztlich unterscheidet sich Marketing als Bezugsdisziplin einer Designwissenschaft also nur darin von anderen sozialwissenschaftlichen Bezugsdisziplinen von Designwissenschaften, dass es sich auf den Markt als spezifisches Praxisfeld konzentriert. Im epistemischen Rekurs auf Marketing würde sich Designwissenschaft daher in dieselben Aporien begeben wie bei einer unmittelbaren Fundierung auf diverse geistes- und sozialwissenschaftliche Disziplinen. Zum anderen würde sie eine antiutopische Vorentscheidung im Ideologiestreit zwischen Markt- und Utopie- orientierung treffen, die ebenso fragwürdig wäre wie ihr kritisches Pendant. Zumal sich die Bedeutung des Marketings für die Designpraxis auf den zwar ökonomisch bedeutendsten, nicht aber ausschließlichen Bereich des Designs – nämlich das im Rahmen der Public Relations marktbezogene Design – begrenzt, kann Marketing die Designpraxis somit zwar methodisch begleiten, nicht aber eine Theorie des Designs begründen. Rhetorik in der Kunstliteratur der Frühen Neuzeit Nachdem eine epistemologische Verortung einer aus und für die Praxis zu entwickelnden neuen Designwissenschaft zwischen den derzeit hauptsächlich genannten Bezugsdisziplinen ergebnislos bleibt, soll nun untersucht werden, aus welchen epistemologischen Bezügen die Lösung der Theorie-Praxis-Differenz für die visuellen, plastischen und gebauten Medien um 1400 gelang. Sind hier ein übertragbares Paradigma und aktuelle Anknüpfungspunkte erkennbar? Ausgehend von Francesco Petrarcas (1304-1374) Bemerkungen zu Malerei und Skulptur hatten Humanisten und Künstler seit Mitte des 14. Jahrhunderts Kunstliteratur als eigenständige literarische Gattung begründet 60, der es rasch gelang, die Lücke zwischen Theorie und Praxis der Medienproduktion und -rezeption zu schließen. Wie seit Rensselaer W. Lees (1898-1984) wegweisender Studie (1940) in der Kunstgeschichte beachtet, bezog sich dieses Schreiben über die Produktion und Rezeption visueller, plastischer und gebauter Medien sowie die Medienproduktion und -rezeption dabei immer
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Vgl. den Überblick bei von Schlosser 1985 (Anm. 8); Karl Borinski: Die Antike in Poetik und Kunsttheorie. Vom Ausgang des klassischen Altertums bis auf Goethe und Wilhelm von Humboldt, 2 Bde., Darmstadt 1965 (unveränd. reprogr. Nachdr. der Ausg. von 1914-1924). Zu Francesco Petrarcas ‹De remediis utriusque fortunae› (verfasst zwischen 1354 und 1366) als Startpunkt der humanistischen Kunstliteratur vgl. Michael Baxandall: Giotto and the orators. Huma- nist observers of painting in Italy and the discovery of pictorial composition. 1350-1450, Oxford 1971, S. 51-65, 140-144.
wieder auf die überlieferten Texte der antiken Rhetorik. 61 Anders als im Westen wurde in Byzanz schon zuvor die Praxis der Künste und das Nachdenken über diese vielfach mit der rhetorisch fundierten Predigttradition verbunden, oft auf einzelne Kunstwerke bezogen und – im Kontext einer elaborierten Bildtheologie – auf die Produktion und Wirkung von Kunstwerken gerichtet. Mit der Plünderung Konstantinopels durch die Venezianer 1204 und dem Exodus der orthodoxen Intellektualität aus dem von den Mohammedanern im 14. Jahrhundert zunehmend bedrängten und 1453 schließlich ausgelöschten byzantinischen Reich gelangten Kunstwerke und Schriften der byzantinischen Tradition nach Italien. Bedeutende griechische Gelehrte fanden sich dort als Diplomaten oder Flüchtlinge ein.
61 I Zur Rhetorik in der frühneuzeitlichen Kunsttheorie und -praxis vgl. Rensselaer W. Lee: «‹Ut pictura poesis›. The humanistic theory of painting». In: The Art Bulletin 22, 1940, S. 197-269 (allerdings mit einem Akzent auf der Poetik); Creighton E. Gilbert: «Antique frameworks for Renaissance art theory: Alberti and Pino». In: Marsyas 3, 1943, S. 87-106; Heiner Mühlmann: «Über den humanistischen Sinn einiger Kerngedanken der Kunsttheorie seit Alberti». In: Zeitschrift für Kunstgeschichte 33,1970, S. 127-142; Baxandall 1971 (Anm. 60); Gerard LeCoat: The rhetoric of the arts. 1550-1650, Frankfurt/ M. 1975; Ursula Mildner-Flesch: Das Decorum. Herkunft, Wesen und Wirkung des Sujetstils am Beispiel Nicolas Poussins, Sankt Augustin 1983; Carsten-Peter Warncke: Sprechende Bilder – sicht bare Worte. Das Bildverständnis in der frühen Neuzeit. Wiesbaden 1987, besonders S. 217-323; Charles Hope: «Aspects of criticism in art and literature in sixteenth century Italy». In: Word and Image 4, 1988, S. 1-10; Norbert Michels: Bewegung zwischen Ethos und Pathos. Die Wirkungsästhetik itali enischer Kunsttheorie des 15. und 16. Jahrhunderts, Münster 1988; Frank Büttner: «Rhetorik und barocke Deckenmalerei. Überlegungen am Beispiel der Fresken Johann Zicks in Bruchsal». In: Zeitschrift des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft 43, 1989, S. 49-72; Francis Ames-Lewis und Anka Bednarek (Hrsg.): Decorum in Renaissance Narrative Art. Papers delivered at the annual conference of the Association of Art Historians, London 1992; Joachim Knape: «Rhetorizität und Semiotik. Kategorientransfer zwischen Rhetorik und Kunsttheorie in der Frühen Neuzeit». In: Wilhelm Kühlmann (Hrsg.): Intertextualität in der frühen Neuzeit. Studien zu ihren theoretischen und praktischen Perspektiven, Frankfurt/M. u.a. 1994, S. 507-532 (eher skeptisch gegenüber der Annah me einer frühen Übertragung aus der Rhetorik auf die Malerei); Leo H. Hoek und Kees Meerhoff (Hrsg.): Rhétorique et image. Textes en hommage à A. Kibédi Varga, Amsterdam und Atlanta 1995; Carsten-Peter Warncke: «Rhetorik der Architektur in der frühen Neuzeit». In: Klaus Bußmann (Hrsg.), Johann Conrad Schlaun, 1695-1773. Architektur des Spätbarock in Europa, Stuttgart 1995, S. 612 621; Ulrich Heinen: Rubens zwischen Predigt und Kunst, Weimar 1996 (mit der älteren Literatur zu Rhetorik und frühneuzeitlicher Kunst); Gerhart Schröder u.a. (Hrsg.): Anamorphosen der Rhetorik. Die Wahrheitsspiele der Renaissance, München 1997; Markus Hundemer: Rhetorische Kunsttheorie und barocke Deckenmalerei. Zur Theorie der sinnlichen Erkenntnis im Barock, Regensburg 1997; Sible de Blaauw u.a. (Hrsg.): Docere Delectare Movere. Affetti, Devozione e Retorica nel Linguaggio artistico del primo Barocco Romano. Atti del Convegno organizzato dall´ Istituto Olandese a Roma e dalla Bibliotheca Hertziana (Max-Planck-Institut) in collaborazione con l‘Università Cattolica di Nijmegen. Rom, 19.-20.1.1996, Rom 1998; Christine Göttler u.a. (Hrsg.): Diletto e Maraviglia. Ausdruck und Wirkung in der Kunst von der Renaissance bis zum Barock. Rudolf Preimesberger zum 60. Geburtstag, Emsdetten 1998; ds.: «‹Actio› in Peter Paul Rubens’ Hochaltarbildern für die Jesuitenkirche in Antwerpen». In: Joseph Imorde u.a. (Hrsg.), Barocke Inszenierung, Emsdetten und Zürich 1999, S. 10-31; Isabelle Frank und Freia Hartung (Hrsg.): Die Rhetorik des Ornaments, München 2001; Ulrich Rehm: Stumme Sprache der Bilder. Gestik als Mittel neuzeitlicher Bilder zählung, München u.a. 2002; Wolfgang Brassat: Das Historienbild im Zeitalter der Eloquenz. Von Raffael bis Le Brun, Berlin 2003; Gottfried Boehm: «Der Topos des Anfangs. Geometrie und Rhetorik in der Malerei der Renaissance». In: Ulrich Pfisterer und Max Seidel (Hrsg.): Topoi. Erfindung und tra diertes Wissen in den Künsten der italienischen Renaissance, München und Berlin 2003, S. 49-59; Pfisterer/Seidel 2003 (Anm. 61); Jeanne Boerkey: Fotorhetorik. Schlüssel zur Botschaft des fotografischen Bildes, Düsseldorf 2004, S. 33-40; Sebastian Schütze (Hrsg.): Estetica barocca, Rom 2004; Ulrich Heinen: «Emotionales Bild-Erleben in der Frühen Neuzeit. Ein neurobiologischer Systematisierungsversuch». In: Rüdiger Zymner und Manfred Engel (Hrsg.), Anthropologie der Litera tur. Poetogene Strukturen und ästhetisch-soziale Handlungsfelder, Paderborn 2004, S. 356-382; Wolfgang Brassat (Hrsg.), Bild-Rhetorik, Tübingen 2005; Joachim Knape: «Rhetorik». In: Klaus Sachs- Hombach (Hrsg.): Bildwissenschaft. Disziplinen, Themen, Methoden, Frankfurt/M. 2005, S. 134-148; Ulrich Heinen: «Der Schrei Isaaks im Land des Sehens. Perspektive als Predigt – Exegese als Medien impuls. Abrahams Opfer bei Brunelleschi und Ghiberti (1401/1402)». In: Ulrich Heinen und Johann Anselm Steiger (Hrsg.), Isaaks Opferung (Genesis 22) in den Konfessionen und Medien der Frühen Neuzeit, Berlin und New York 2006, S. 23-152; ds.: «Die bildrhetorische Wirkungsästhetik im Barock. Ein Systematisierungsversuch nach neurobiologischen Modellen». In: Joachim Knape (Hrsg.): Bild rhetorik, Baden-Baden 2007, S. 113-158. Literatur s. Link in Anm. 1.
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Dieser intellektuelle und kulturelle Aderlass Konstantinopels bildete auch die Initialzündung für die neue Kunstliteratur des lateinischen Europa. 62 Systematische antike Produktionstheorien haben sich – außer in Vitruvs Architekturtheorie (1. Jh. n. Chr.) – 63 nur in den Schriften der Rhetorik und – mit dieser subtil verbunden – der Dichtkunst erhalten. Form und Inhalt der Rede in ihrer verbalsprachlichen und performativen Gestalt begreift die Rhetorik gleichermaßen und untrennbar als ihren eigentlichen Reflexionsgegenstand und zugleich als Experimentierfeld der Geltung ihrer Erkenntnisse. Regeln und die Qualität ihrer Anwendung entwickelt die Rhetorik in engem Wechselspiel mit der Praxis der Rede. So bezieht sich die Redekunst originär auf Form-, Kreativ-, Konzeptund Entscheidungsprozesse der Rede als einer spezifischen Praxis medialen Gestaltens. Mit der Rhetorisierung der visuellen, plastischen und bauenden Künste wurden deren Formen, Inhalte und Gestaltungsprozesse zum Thema der Anleitung und Reflexion von Kunst, die in enger Wechselwirkung entfaltet wurden. Um analog zu den Leitprinzipien der Rhetorik die Theorie-Praxis-Lücke der bildenden Künste schließen zu können, eigneten sich seit Beginn des 15. Jahrhunderts auch Künstler gründliche humanistische Bildung an. Schon um 1400 waren sie nicht nur in der Lage, Aspekte der Rhetorik in ihrer Arbeit zu berücksichtigen oder die Kunst- und Bildtheorie in ihrer künstlerischen Praxis metareflexiv zu thematisieren und medienspezifisch weiterzuentwickeln64, sondern auch selbst mit bedeutenden Schriften zur frühneuzeitlichen Kunstliteratur beizutragen. Beginnend mit den ‹Commentarii› Lorenzo Ghibertis (1378-1455) schufen Künstler auf dieser Grundlage eine lange Liste bedeutender Kunsttraktate. So sind als Künstlerautoren zwischen 1400 und 1800 etwa zu nennen: Leonardo da Vinci (14521519); Albrecht Dürer (1471-1528), Giorgio Vasari (1511-1574), Paolo Pino (1534-1565), Giovanni Paolo Lomazzo (1538-1600), Federico Zuccaro (1540/1542-1609), Karel van Mander (1548-1606), Francisco Pacheco (1564-1644), Giovanni Baglione (1566-1644), Peter Paul Ru-
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Zur rhetorischen Tradition der byzantinischen Kunsttheorie und -praxis siehe Henry Maguire: Art and eloquence in Byzantium, Princeton N.J. 1981; Henry Maguire: «Byzantine rhetoric, Latin drama and the portrayal of the New Testament». In: Elizabeth Jeffreys (Hrsg.): Rhetoric in Byzantium. Papers from the thirty-fifth Spring Symposium of Byzantine Studies, Exeter College, University of Oxford, March 2001, Aldershot u.a. 2003, S. 215-234. Von einer «Bildrhetorik» des unter byzantinischem Bezug im Westen sich fortentwickelnden Passionsbildes des 13. und 14. Jahrhunderts spricht Hans Belting. Die Entwicklung einer rhetorischen Bildfunktion war jedoch nicht durch eine explizit an der Rhetorik orientierte Theoriebildung begleitet; vgl. Hans Belting: Das Bild und sein Publikum im Mittel- alter. Form und Funtkion früher Bildtafeln der Passion, Berlin 1981, S. 105-141, 288-295.
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Vitruv: De architectura libri decem. Zehn Bücher über Architektur, hrsg. u. übers. von Curt Fenster- busch, 5. Aufl., Darmstadt 1996.
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Vgl. Heinen 2006 (Anm. 61). Für die weitere Entwicklung vgl. etwa Georges Didi-Huberman: Devant l’image, Paris 1990; Heinen 1996 (Anm. 61), S. 80-99; Victor I. Stoichita: Das selbstbewußte Bild. Vom Ursprung der Metamalerei. München 1998; Klaus Krüger und Alessandro Nova: Imagination und Wirklichkeit. Zum Verhältnis von mentalen und realen Bildern in der Kunst der frühen Neuzeit, Mainz 2000; Klaus Krüger: Das Bild als Schleier des Unsichtbaren. Ästhetische Illusion in der Kunst der frühen Neuzeit in Italien, München 2001; Gerhard Wolf: Schleier und Spiegel. Traditionen des Christusbildes und die Bildkonzepte der Renaissance, München 2002; Valeska von Rosen u.a. (Hrsg.) Der stumme Diskurs der Bilder. Reflexionsformen des Ästhetischen in der Kunst der Frühen Neuzeit, München und Berlin 2003; Ulrich Pfisterer: «Visio und veritas. Augentäuschung als Erkenntnisweg in der nordalpinen Malerei am Übergang vom Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit». In: Frank Büttner und Gabriele Wimböck (Hrsg.): Das Bild als Autorität. Die normierende Kraft der Bilder, Münster 2004, S. 157-204; Eveliina Juntunen: Peter Paul Rubens’ bildimplizite Kunsttheorie in ausgewählten mytho- logischen Historien (1611-1618), Petersberg 2005. Vgl. auch die Überlegungen zu einer medienspezifischen Metareflexion in der nordalpinen Sakralkunst des 15. Jahrhunderts bei Rudolf Rudolf Preimesberger: «Zu Jan van Eycks Diptychon der Sammlung Thyssen-Bornemisza». In: Zeitschrift für Kunstgeschichte 54, 1991, S. 459-489. Für die theologischen Impulse dieser nordalpinen Metareflexionen vgl. Heike Schlie: Bilder des Corpus Chris- ti. Sakramentaler Realismus von Jan van Eyck bis Hieronymus Bosch, Berlin 2002.
bens (1577-1640), Nicolas Poussin (1594-1665), Pietro da Cortona (1596-1669), Joachim von Sandrart (1606-1688), Charles Le Brun (1619-1690), Samuel van Hoogstraten (1627-1678), Marco Boschini (1605-1681), Carlo Cesare Malvasia (1616-1693), Luigi Pellegrino Scaramuccia (1616-1680), Charles-Alphonse Dufresnoy (1611-1668), Sébastien Bourdon (16161671), Antonio Palomino (1655-1726); William Hogarth (1697-1764); Joshua Reynolds (17231792).65 Spiegelbildlich hierzu lieferten humanistische Gelehrte wie etwa Leon Battista Alberti (1404-1472), Verfasser von Abhandlungen über Malerei, Skulptur und Architektur (De pictura, 1435; Della pittura, 1436; De re aedificatoria, 1452; De statua, 1464) Entwürfe und Konzepte etwa für Kirchen und Palastbauten und zeigten in ihren kunsttheoretischen Abhandlungen eingehende Vertrautheit mit der gestalterischen Praxis. 66 Grundlage für die im 14. Jahrhundert begründete, historisch einmalige Brücke zwischen Theorie und Praxis visueller, plastischer und gebauter Medien war der Bezug auf die antiken Schriften zur Redekunst. Besonders die Gesamtdarstellung der Redekunst (De oratore), die der Staatsmann, Anwalt und Redner Marcus Tullius Cicero (106 v. bis 43 v. Chr.) verfasst hatte, sowie dessen Abhandlungen zur Rhetorikgeschichte (Brutus), zur Konzeption des Inhalts einer Rede (De inventione) und zum Idealbild des Redners (Orator), aber auch die Cicero fälschlich zugeschriebene ‹Rhetorica ad Herrenium› sowie die ‹Unterweisung des Redners› (Institutio Oratoria) des Marcus Fabius Quintilianus (35 bis 96 n. Chr.)67 boten reichen Anlass zur Anleitung und Reflexion von Malerei, Skulptur und Architektur. Die Anbindung des Schreibens über bildende Künste an die Rhetorik ergab sich zwanglos, da die Humanisten ihre an antiken Schriften geschulte Bildung an alle Gegenstände jedweder Theorie und Praxis herantrugen. Für die visuellen, plastischen und gebauten Medien entwickelten gelehrte Kunstkenner und Künstler Analogien zu den Grundsätzen und Beispielen der Rhetorik und schufen ein komplexes und zugleich flexibles Regelwerk, an dem sich weite Bereiche der Kunstproduktion und des Kunsturteils gleichermaßen ausrichten konnten. Da sich die antike Rhetorik an einer Praxis, für eine Praxis und als eine Praxis von Kommunikation entwickelt hatte, konnte sie tragfähige Anregungen auch für die komplexen Konventionen einer zwischen Praxis und Theorie der Bildkommunikation vermittelnden Kunstliteratur liefern, nach denen sich Auftraggeber, Künstler und Betrachter über die jeweiligen Interessen verständigten und ihren eigenen Umgang mit Kunst strukturierten. Gerade wegen der unüberbrückbaren Differenz zwischen der Scholastik und der handwerklichen Praxis der Künstler konnte damals der Rekurs auf die antiken Schriften der Rhetorik durch Analogisierung und Systemadaptionen in allen Feldern der Kommunikation ihren vier Jahrhunderte dauernden globalen Erfolg antreten. Nicht nur
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Eine Liste von Editionen der genannten Titel findet sich an der in Anm. 1 angegebenen Stelle.
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Hubert Janitschek (Hrsg.): Leon Battista Alberti‘s kleinere kunsttheoretische Schriften, Wien 1877; Leon Battista Alberti: Zehn Bücher über die Baukunst, hrsg. von Max Theuer, Wien und Leipzig 1912; zu Leon Battista Alberti vgl. Heiner Mühlmann: Ästhetische Theorie der Renaissance. Leon Battista Alberti, phil. Diss. München 1968 (Bonn 1981; 2., überarb. Aufl., Bochum 2005); Franco Borsi: Leon Battista Alberti. Das Gesamtwerk, Stuttgart u.a. 1982; Kurt W. Forster und Hubert Locher (Hrsg.): Theorie der Praxis. Leon Battista Alberti als Humanist und Theoretiker der bildenden Künste, Berlin 1999; Michel Paoli: Leon Battista Alberti 1404-1472, Paris 2004.
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Zu Systematik und Geschichte der Rhetorik siehe Heinrich Lausberg: Handbuch der literarischen Rhetorik. Eine Grundlegung der Literaturwissenschaft, 3. Aufl., Stuttgart 1990; Karl-Heinz Göttert: Einführung in die Rhetorik. Grundbegriffe – Geschichte – Rezeption, München 1991; Clemens Ottmers: Rhetorik, Stuttgart und Weimar 1996; George A. Kennedy: Classical Rhetoric and its Christian and Secular Tradition from Ancient to Modern Times, 2. rev. u. erw. Aufl., Chapel Hill/London 1999; Gert Ueding und Bernd Steinbrink: Grundriß der Rhetorik. Geschichte. Technik. Methode, 4. Aufl., Stuttgart und Weimar 2005.
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verdrängte dieser Rekurs in Rechtswesen und Politik die tradierten Lehrsysteme, sondern absorbierte, transformierte und überformte in Dichtung, Musik sowie visuellen, plastischen und gebauten Medien auch die tradierten Handwerksregeln, das bis dahin implizite oder schriftlich explizierte Wissen der Gestaltungspraktiker. 68 Der Erfolg der humanistischen Rhetorik wurde dabei durch einen explosionsartig gestiegenen Bedarf an multimedialer und multimodaler Kommunikation gespeist – ähnlich wie wir ihn heute in neuen Dimensionen beobachten. Insbesondere die im 15. Jahrhundert einsetzende Protoglobalisierung 69 und die neue technologische, logistische, ökonomische, militärische, soziale, politische und religiöse Dynamik schürten diesen Bedarf und wurden durch dessen Erfüllung zugleich verstärkt. Auch die hiermit einhergehende Erschütterung der Identität der Gesellschaften Europas verbesserte den Nährboden der Rhetorik. In diesen Umbrüchen bewährten sich die Redekunst sowie deren kunsttheoretische und -praktische Adaption an die visuellen, plastischen und gebauten Medien als Instrument der individuellen und kollektiven Entscheidungsfindung und damit der individuellen und kollektiven Selbstbehauptung.70 Im Vergleich zu den tradierten Lehr- und Lernsystemen der Scholastik ließen sich die Regeln und Beispiele der Redekunst mit geringen Mühen und in relativ kurzer Zeit erlernen. Die Rhetorik versprach ihren Schülern, ohne langwierige Studien der Dinge selbst einen Zugang zu allen Lebens-, Wissens- und Diskursbereichen zu öffnen. Rasch dominierte sie daher das Bildungswesen und die tradierten Diskurse und erlaubte es, laufend neue zu eröffnen.71 Selbst für die religiösen Diskurse im Zeitalter der Konfessionalisierung, in deren erfahrener Heterogenität Glaubenskonflikte immer weniger aufgrund von Logik und offenbarer Wahrheit zu entscheiden waren, wurde Rhetorik, die in der Predigtlehre seit St. Augustinus (354-430) immer lebendiger Bestandteil der katholischen Homiletik geblieben war, in Predigtlehre, Bildtraktaten und Katechese zu einer neuen Leitdisziplin. 72 Erst mit der kritischen Entrhetorisierung der Bildung seit Mitte des 18. Jahrhunderts, die in Deutschland besonders rigide geriet, wurden unter dem gemeinsamen Diktat von eigentümlich gegen- und nebeneinander agierenden Strömungen – ide-
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Vgl. Hope 1988 (Anm. 61), S. 2; Heinen 1996 (Anm. 61), S. 20-21. Für die Musik vgl. George J. Bülow: «Rhetoric and Music. Baroque». In: Stanley Sadie und John Tyrrell (Hrsg.): The New Grove Dictionary of Music and Musicians, 2. Aufl., London 2001 (mit Bibliographie); vgl. auch Hans-Heinrich Unger: Die Beziehungen zwischen Musik und Rhetorik im 16.-18. Jahrhundert, Würzburg 1941; Rolf Dam- mann: Der Musikbegriff im deutschen Barock, Köln 1967; Klaus Wolfgang Niemöller: «Die musikalische Rhetorik und ihre Genese in Musik und Musikanschauung der Renaissance». In: Heinrich F. Plett (Hrsg.): Renaissance-Rhetorik. Renaissance Rhetoric. Papers presented at an International Colloquium, Universität Essen, 27.-29.6.1990, Berlin und New York 1993, S. 285-315. Helga de la Motte-Haber: «Die Musik als Affektlaut. Musikalische Emotionen im 18. Jahrhundert». In: Die Welt auf tönernen Füßen. Die Töne und das Hören, hrsg. Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland 1994, S. 222-233.
Vgl. Peter E. Fäßler: Globalisierung. Ein historisches Kompendium, Köln u.a. 2007, S. 52-73.
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Vgl. die Überlegungen am Schluss von Ulrich Heinen: «Argument – Kunst – Affekt. Bildverständnisse einer Kunstgeschichte der Frühen Neuzeit». In: Helmut Neuhaus (Hrsg.): Argument – Kunst – Affekt. Bildverständnisse einer Kunstgeschichte der Frühen Neuzeit (Beiheft der Historischen Zeitschrift) (erscheint 2008).
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Vgl. Gerrit Walther: «Funktionen des Humanismus. Fragen und Thesen». In: Thomas Maissen und Gerrit Walther (Hrsg.): Funktionen des Humanismus. Studien zum Nutzen des Neuen in der humanis- tischen Kultur, Göttingen 2006, S. 9-17, besonders S. 12-16.
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Ein Forschungsüberblick bei Heinen 1996 (Anm. 61), S. 25-29; Christian Hecht: Katholische Bilderthe- ologie im Zeitalter von Gegenreformation und Barock. Studien zu Traktaten von Johannes Molanus, Gabriele Paleotti und anderen Autoren, Berlin 1997, besonders S. 33-43, 404-410; David Ganz: «Tra paura e fascino. La funzione comunicativa delle immagini visive nel Discorso di Gabriele Paleotti». In: John Casey u.a. (Hrsg.): Imaging Humanity. Immagini dell’umanità, Lafayette 1999, S. 57-68.
enphilosophisch getragener Aufklärung, Formal-, Autonomie- und Genieästhetik, politisch motiviertem Geschmacksdiskurs und nüchterner Dokumentation handwerklicher Technologie (ausdifferenziert bei Denis Diderot [1713-1784]) – die komplexen Einsichten in die Wirkungsstrukturen und -funktionen der bildenden Künste systematisch verdrängt, welche die praxisnahe Kunstliteratur der Frühen Neuzeit erarbeitet und überliefert hatte.73 Nur fragmentarisch, unreflektiert und ohne systematischen Zusammenhang blieb dieses Wissen nach der Ausdifferenzierung, Autonomisierung und Entmedialisierung der Kunst als gesunkenes Kulturgut in einer aus dem Kontext von Kunst ausgegrenzten Bildkommunikation in Werbung, Film, Architektur und Produktdesign bis heute unübersehbar in Anwendung. Rhetorik und Design Rhetorik war in der griechischen und römischen Antike aus der Praxis des Redens und für diese Praxis entwickelt worden und blieb in ihrer Weiterentwicklung mit dieser verbunden. Dass Rhetorik aufgrund dieser Bindung an eine Gestaltungspraxis als komplexes Modell gestalterischer Praxis insgesamt dazu anleiten kann, Design «zu einer regelbasierten Kunstfertigkeit (ars), (...) wirkungsgeleitet und erfolgreich zu gestalten», zu entwickeln, hat jetzt Gesche Joost (*1974) projektiert: So entstehe für Design «ein zusammenhängendes Lehrgebäude. (...) Theorie und Praxis greifen in diesem Gebäude ineinander, da die Theorie aus der Praxis abgeleitet wird und diese wiederum beeinflussen kann.» 74 Als Bolz 2001 in einer anthropologischen Begründung der Funktion von Design grundlegende Ansatzpunkte einer Rhetorik des Designs zu skizzieren versuchte, beschränkte er sich noch auf das gängige Verständnis von Rhetorik als zweckdienliches Mittel kommmunikativer Manipulation: Die «Undurchdringlichkeit unserer technischen Welt», die «Komplexität und Unübersichtlichkeit der modernen Gesellschaft», die Überlastung mit Optionen und insbesondere die «posthumane Technologie des Digitalen» steigere die «Unsicherheit» des modernen Menschen unermesslich. Dies begründe Design als Mittel zur «Un-
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Zu Ausdifferenzierung und Antirhetorik bei Diderot vgl. Guido Morpurgo Tagliabue: «Rhetorik und Gegenrhetorik im 18. Jahrhundert. Diderot». In: Stil und Überlieferung in der Kunst des Abendlandes. Akten des 21. Internationalen Kongresses für Kunstgeschichte in Bonn 1964, Berlin, Bd. 3, Theorien und Probleme, 1967, S. 214-217; Hubertus Kohle: Ut pictura poesis non erit. Denis Diderots Kunst- begriff, Hildesheim u.a. 1989; John R. Pannabecker: «Representing mechanical arts in Diderot‘s En- cyclopédie. In Search of the Heritage of Technology Education». In: Technology and culture, 39.2, 1998, S. 33-73; Klaus Semsch: Abstand von der Rhetorik. Strukturen und Funktionen ästhetischer Distanznahme von der «ars rhetorica» bei den französischen Enzyklopädisten, Hamburg 1999. Zur Stellung der Rhetorik in Aufklärung und Idealismus vgl. auch Heinz Paetzold: «Rhetorik-Kritik und Theorie der Künste in der philosophischen Ästhetik von Baumgarten bis Kant». In: Burghart Schmidt (Hrsg.): Kritische Theorie des Ornaments, Wien u.a. 1993, S. 29-44; Tobia Bezzola: Die Rhetorik bei Kant, Fichte und Hegel. Ein Beitrag zur Philosophiegeschichte der Rhetorik, Tübingen 1993. Zur medienhistorischen Epochengrenze der Frühen Neuzeit um 1800 vgl. auch Warncke 1987 (Anm. 61), S. 9-16; Gérard Raulet: «Ornament und Geschichte. Strukturwandel der repräsentativen Öffentlichkeit und Statuswandel des Ornaments in der Ästhetik des 18. Jahrhunderts». In: Ursula Franke und Heinz Paetzold (Hrsg.): Ornament und Geschichte, Bonn 1996, S. 19-43; Harvey James Jensen: Signs and meaning in eighteenth century art. Epistemology, rhetoric, painting, poesy, music, dramatic performance, and G. F. Händel, New York u.a. 1997; Frank Büttner: «Abschied von Pracht und Rhetorik. Überlegungen zu den geistesgeschichtlichen Voraussetzungen des Stilwandels in der Sakraldekoration des ausgehenden 18. Jahrhunderts in Süddeutschland». In: Andreas Tacke (Hrsg.): Herbst des Barock. Studien zum Stilwandel, München u.a. 1998, S. 165-173; Gérard Raulet: «Zur Entstehung der modernen politischen Problematik des Ornaments im 18. Jahrhundert». In: Frank/ Hartung 2001 (Anm. 61), S. 147-161; Christian Scholl: Romantische Malerei als neue Sinnbildkunst. Studien zur Bedeutungsgebung bei Philipp Otto Runge, Caspar David Friedrich und den Nazarenern, München und Berlin 2007, S. 341-344. Vgl. aber auch den Nachweis von «Bildrhetorik» um 1800 bei Bernard Vouilloux: Le tableau vivant. Phryné, l‘orateur et le peintre, Paris 2002.
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Gesche Joost: «Rhetorik». In: Michael Erlhoff und Tim Marshall (Hrsg.): Wörterbuch Design. Begriffliche Perspektiven des Design, Basel u.a. 2008, S. 350-352, hier S. 352.
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sicherheitsabsorption» und zur Abschirmung. So ergebe sich etwa im Medien- und Produktdesign Benutzerfreundlichkeit und Interfacedesign als «Rhetorik der Technik, die unsere Ignoranz heiligt» und als «Sinn-design» Orientierung sei und verschaffe.75 Hieran anbindend will auch die ontohistorische Funktionsbestimmung des Designs, die Peter Sloterdijk (*1947) 2007 in einer nihilistischen Kritik des De- signs vorgelegt hat, die strukturellen Parallelen zwischen Design und einer als zweckdienliches Täuschungsmittel verstandenen Rhetorik aufdecken. Indem Design «jedermann das Zubehör für fortlaufende Souveränitäts-Simulationen» liefere, habe es die Rolle übernommen, die in der Antike die Rhetorik eingenommen habe. Wie die Rhetorik in sprachliche und körperliche Haltungen eingeübt habe, «die den Individuen auch in bodenlosen Situationen den Absturz in Sprach- und Haltlosigkeit ersparten», so wiederhole das Design nun «diese Ausstattung mit Souveränitätsmitteln im Horizont einer technologischen Zivilisation; es liefert das technische Zeug zur Macht für Menschen, die versuchen, in der ungeheuren Machtsteigerungsspirale der Gegenwart nicht nur als ohnmächtige Kompetenz-Marionetten vorgeführt zu werden.» Denn unter den Bedingungen der modernen Welt stürze das Paradox der zugleich steigenden und in Relation zur gesamten «Kompetenzmasse» der modernen Welt sinkenden Individualkompetenz den modernen Menschen in die Ambivalenz einer zwischen Euphorie und Depression tobenden «psychopolitischen Titanenschlacht». Als «Simulation von Souveränität» und «gekonnte Abwicklung des Nichtgekonnten» sichere Design «die Kompetenzgrenzen der einzelnen, indem es dem Subjekt Verfahren und Gesten an die Hand gibt, im Ozean seiner Inkompetenz als Könner zu navigieren». Zudem schaffe es Simulationsmittel zur psychischen Stablisierung und wirke gegen eine Ambivalenz zwischen Hoffen und Verzweifeln, die mit der derzeitigen grenzenlosen Steigerung von Macht und der immerwährenden Intensivierung des Lebens einhergehe.76 Damit deckt Sloterdijk in dem, was die akademische Designtheorie als «Orientierungsfunktion» und «Komplexitätsreduktion» für die zentrale Bestimmung von Design hält77, en passant den ontischen Grund der gängigen Analogisierungen von Design und dem üblichen Manipulationsverständnis von Rhetorik sowie die ontohistorische Abfolge einer so verstandenen Rhetorik und Design auf. Die übliche Fixierung auf die psychosozialen Funktionen von Rhetorik und Design reduziert beide aber auf persuasive Qualitäten. In diesem Sinne erscheint Rhetorik zumal in ihrer medienumgreifenden Ausweitung ganz allgemein als lehr- und lernbares Kommunikationssystem zur Änderung von Haltungen und Handlungsdispositionen, das ohne Anwendung physischer Gewalt auskommt. Zumindest wenn man dieser auf das Persuasive konzentrierten allgemeinen Definition von Rhetorik folgt, die sich etwa aus Überlegungen George Alexander Kennedys (*1928) ergibt78, lassen sich offenbar viele Bereiche des Designs als potenzielle Analogiefelder persuasiver Rhetorik begreifen.
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Peter Sloterdijk: «Das Zeug zur Macht. Bemerkungen zum Design als Modernisierung von Kompetenz». In: Peter Weibel (Hrsg.): Der ästhetische Imperativ. Schriften zur Kunst, Hamburg 2007, S. 138-161. Die Bemerkung zu Rhetorik und Design ebd., S. 150.
Bolz 2001 (Anm. 13), S. 69; Meier 2001 (Anm. 11), S. 13-14; B. Schneider 2005 (Anm. 26), S. 269-271.
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Bolz 2001 (Anm. 13), S. 66-69; ds. 2006 (Anm. 25), S. 27, 59-75.
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George A. Kennedy: The Art of Rhetoric in Ancient Roman World. 300 B.C.-A.D. 300, Princeton/NJ 1972, S. 3-4; ds.: Comparative rhetoric. An historical and cross-cultural introduction, New York u.a. 1998, besonders S. 215-219. Vgl. auch Jens E. Kjeldsen: «Talking to the eye. Visuality in ancient rhetoric». In: Word and Image 19.3, 2003, S. 133-137.
Rhetorik entfaltet sich in diesem Sinne als Methode, Gedanken und deren sprachliche Formen für die Bereiche des Privaten oder Öffentlichen pragmatisch aufzubereiten, in denen gemeinsam oder individuell Entscheidungen ohne rational-logische Entscheidungsgrundlagen getroffen oder zumindest Haltungen eingenommen werden müssen.79 Anders als Theologie und Philosophie, die sich an die Frage nach Wahrheit binden, oder etwa eine kritische Soziologie, die dem Diskurs selbst wahrheitserschließende Bedeutung zuschreibt80, bezieht sich Rhetorik bei dem Versuch, «die Möglichkeiten zu erforschen und die Mittel bereitzustellen, die nötig sind, die subjektive Überzeugung von einer Sache allgemein zu machen», wie es Gert Ueding (*1942) ausdrückt81, ausdrücklich weder auf Wahrheit noch auf logisch zwingende Folgerichtigkeit. Nicht Wahrheitsbehauptung oder Logik verdankt die Rhetorik ihre Überzeugungskraft, sondern der Topik, der Verortung dessen, was von den jeweiligen Rezipienten für wahr gehalten wird, im Gemeinsinn.82 Dem rhetorischen Rekurs der Rhetorik auf Topoi und Wahrscheinlichkeit entspricht in der bisherigen semiotisch orientierten Designtheorie etwa der Hinweis, dass der Kommunikationspraktiker vor allem die konnotativen Bedeutungen berücksichtigen müsse, die stärkeren semantischen Verschiebungen ausgesetzt sind als die denotativen Bedeutungen83; oder die Feststellung von Bolz, dass Design auf «Wirkung statt Wahrheit» gerichtet sei, sowie seine Forderung nach einer «historischen Semantik der Gesten und Interfaces» als Grundlage von Designpraxis84, die von ihm beschriebene Filterung relevanter, aufgabenspezifischer Information für Entscheidungen unter den Bedingungen von Zeitknappheit und Unsicherheit als Aufgabe von Kommunikationsdesign85 oder der konstruktivistische Hinweis auf die Rolle des Designs bei der sozialen Bedeutungskonstruktion.86 Unter verschiedenen bezugswissenschaftlichen Perspektiven sind also systematische Analogien zwischen Design und zumindest dem populären Vorverständnis von Rhetorik als Persuasionstechnik festzustellen. Wenngleich Design seine Produktivität zunächst ohne expliziten Rekurs auf Rhetorik oder zumindest ohne explizierte rhetorische Reflexion entfaltet hat, nehmen Designtheorie- und praxis doch seit fast einem halben Jahrhundert auch direkt Bezug auf Rhetorik. So sah Gui Bonsiepe (*1934) schon 1961 – ausgehend von der Rezeption der Rhetorik in der Semiotik – die visuelle Kommunikation in ihrer «persuasiven Funktion» auf dem Weg zur «visuellen Rhetorik» und identifizierte Mittel der verbal-visuellen Komposition als Übertragungen rhetorischer Figuren. Martin Krampen (*1928) hat diese semiotische Sicht auf rhetorische Aspekte der visuellen Kommunikation 1968 aufgegriffen.
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Vgl. Ueding/Steinbrink 2005 (Anm. 67), besonders S. 278-280.
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Vgl. Jürgen Habermas: «Wahrheitstheorien». In: Helmut Fahrenbach (Hrsg.): Wirklichkeit und Reflexi- on. Walter Schulz zum 60. Geburtstag, Pfullingen 1973, S. 211-265; ds.: Wahrheit und Rechtfertigung, Frankfurt/M. 1999; Markus Enders und Jan Szaif (Hrsg.): Die Geschichte des philosophischen Begriffs der Wahrheit, Berlin 2006.
Diese Definition von Rhetorik gibt Ueding/Steinbrink 2005 (Anm. 67), S. 1.
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Vgl. Manfred Kraus: «Enthymem». In: Gert Ueding (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. 2, Darmstadt 1994, Sp. 1197-1222.
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Friedrich 2007 (Anm. 2), S. 46-47.
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Bolz 2001 (Anm. 13), S. 66-69, hier S. 69.
85
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Ds. 2006 (Anm. 25), S. 125.
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Thomas Sieber, referiert bei Möller 2004 (Anm. 2).
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Werner Kroeber-Riel (1934-1995) verweist in seiner vielgelesenen Theorie und Anleitung zur werblichen ‹Bildkommunikation› (1993) auf Quintilians ‹Unterweisung des Redners›, um die Präsenz- und Affektwirkung visuell präsentierter Gegenstände zu beschreiben. Dieter Urban erklärt Werbeelemente, die über die Präsentation des Produktes hinausgehen, 1995 als «visuelle Rhetorik». Beat Schneider fordert 2007 eine Designtheorie, «die zum Beispiel Aussagen über Gesetzmäßigkeiten der Visualisierung im Sinne einer visuellen Rhetorik macht».87 Spiegelbildlich zu diesen Anleitungen zur Produktion visueller Werberhetorik legte Roland Barthes (1915-1980) 1965 unte dem Titel ‹rhétorique de‘l image› die semiotische Analyse eines Werbeplakats vor. Im selben Jahr erkannte Luc Boltanski (*1944) die Geltung rhetorischer Regeln in der Text-Bild-Reportage und Jean-Claude Camberodon (*1930) entwarf aus Teilaspekten der Rhetorik die Theorie einer «rhétorique de la photographie». Umberto Eco (*1932) schlos 1968 mit einer Kritik der Werberhetorik an, und Jacques Durand analysierte 1968 und 1970 Struktur und manipulative Funktion von ‹Figures de rhétorique› in Werbung und Grafikdesign. In dieser Tradition bildete sich besonders in Deutschland seit den 1970er-Jahren eine Tradition der Analyse visueller Werbe- und Medienrhetorik, oft mit gesellschaftskritischem Anspruch.88 In diesem Zusammenhang ist auch die postum zusammengestellte Kritik einer Rhetorik der Typografie bei Otl Aicher (1922-1991)89 zu nennen sowie die semiotisch gestützte Kritik der politischen und werblichen ‹Fotorhetorik›, die Jeanne Boerkey 2004 vorgelegt hat.90 Auch für andere Bereiche des Designs wird Rhetorik in jüngerer Zeit verstärkt als Bezugsdisziplin für Analyse und Produktion herangezogen. Für die audiovisu-
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87 I
Vgl. Gui Bonsiepe: «Persuasive communication. Towards a visual rhetoric». In: Uppercase 5, 1961, S. 19-34; ds.: «Erziehung zur visuellen Gestaltung». In: ulm. Zeitschrift der Hochschule für Gestaltung 12/13, 1965, S. 17-24 (vgl. Boerkey 2004 [Anm. 61], S. 41-44); Gui Bonsiepe: «Visuell-verbale Rheto- rik/visual-verbal rhetoric». In: ulm. Zeitschrift der Hochschule für Gestaltung 14/15/16, 1965, S. 23-40 (Überarb. in: Gui Bonsiepe: «Visuell-verbale Rhetorik. Einige Techniken der persuasiven Kommunikation». In: Format 17.4, 1968, S. 11-18; weitere Überarb. Gui Bonsiepe: Interface. Design neu begreifen, Mannheim 1996, S. 85-103); Martin Krampen: «Signs and symbols in graphic communication». In: Design Quarterly 62, 1968, S. 3-31; Werner Kroeber-Riel: Bildkommunikation. Image- rystrategien für die Werbung, München 1993, S. 166; Dieter Urban: Kauf mich! Visuelle Rhetorik in der Werbung, Stuttgart 1995; B. Schneider 2005 (Anm. 26), S. 267; Renske van Enschot-van Dijk: Retoriek in reclame. Waardering voor schema‘s en tropen in tekst en beeld, Diss. Nijmegen 2006. Zu Kroeber-Riels Ansatz vgl. auch Werner Kroeber-Riel: Konsumentenverhalten. 5., überarbeitete und ergänzte Auflage, München 1992; Kroeber-Riel/Esch 2004 (Anm. 56); Jutta Maas: Visuelle Schemata in der Werbung. Grundlagen und Anwendungen in einem computergestützten Suchsystem zur Bildideenfindung, Aachen 1996; Stephane Müller: Bildkommunikation als Erfolgsfaktor bei Markenerweiterungen, Wiesbaden 2002. Einen Überblick über die bisherigen Studien zur Rhetorik im Design geben Arne Scheuermann: Film als rhetorisches Design. Grundzüge einer Theorie des Filmemachens. Mit einer Fallstudie zu den präsentativen Affekttechniken im Action-Adventure, Diss. Wuppertal 2006, S. 19-24; Arne Scheuermann und Gesche Joost: Design und Rhetorik. Neue theoretische Bezüge, Vortrag auf der Tagung der Gesellschaft für Designtheorie und -forschung in Mannheim, 29. Januar 2005 (http://www.dgtf. de/fileadmin/ForschRechResearch/doku/009_scheuermann_joost.mp3); Gesche Joost und Arne Scheuermann: Audiovisual Rhetoric. A metatheoretical approach to Design, Design Research Society. International Conference in Lisbon. IADE 2006 (http://www.iade.pt/drs2006/wonderground/proceedings/fullpapers/DRS2006_0031.pdf, 6.1.2008), Kap. 2, S. 2; Gesche Joost: «Audio-visuelle Rhetorik und Informationsdesign». In: Maximilian Eibl (Hrsg.): Knowledge Media Design. Grundlagen und Perspektiven einer neuen Gestaltungsdisziplin, München 2006, S. 211-224; Joost 2008 (Anm. 74).
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Roland Barthes: «Rhetorik des Bildes». In: Ds.: Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn (Kritische Essays 3), Frankfurt/M. 1990, S. 28-46 (frz. Orig. 1965) (hierzu Boerkey 2004 [Anm. 61], S. 28-32; Ueding/Steinbrink 2005 [Anm. 67], besonders S. 169); Luc Boltanski: «Le rhétorique de la figure». In: Pierre Bourdieu (Hrsg.): Un art moyen. Essais sur les usages sociaux de la photographie, Paris 1965, S. 173-198; Jean-Claude Camberodon: «Art méchanique, art sauvage». In: ebd., S. 219- 244; Jacques Durand: «Rhétorique et publicité». In: Bulletin des Recherches de Publicis 4, 1968, S. 19-23; Umberto Eco: Einführung in die Semiotik, München 1972 (ital. Orig. 1968). Literatur s. Link in Anm. 1.
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Otl Aicher: «Rhetorik». In: Typografie. Mit einem Beitr. von Josef Rommen, Mainz 2005 (Reprint der 2., durchges. Aufl., Berlin 1989), S. 93-107.
Boerkey 2004 (Anm. 61).
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ellen Medien erweist sich Rhetorik dabei offenbar als besonders fruchtbar.91 Mit Blick auf das editorial design hat Marcel Dolega 2004 eine Orientierung an Mnemotechnik als Teil der Rhetorik für die Gestaltung von Büchern erörtert.92 Für Gamedesign hat Ian Bogost 2007 den Begriff der «procedural rhetoric» geprägt.93 In der Architektur bereitete Charles Jencks (*1939) seine Implementierung des literaturwissenschaftlich begründeten Theorems «Postmoderne» schon 1972 durch einen Beitrag zu ‹Rhetorik und Architektur› vor.94 Für Produktund Interfacedesign fehlen explizite Verbindungen zur Rhetorik zwar offenbar noch – abgesehen von kurzen Bemerkungen wie Richard Buchanans Überlegungen zu Kategorien der persuasiven Rhetorik im Entwurfsprozess des Produktdesigns von 2001.95 Unter Donald A. Normans (*1935) Stichwort ‹emotional design› (2004)96 ist die systematische Verknüpfung zwischen dem für die Kommunikationsaspekte des Produktdesigns einflussreichen Konzept der «Produktsprache», das seit den 1960er-Jahren in Anlehnung an die damals epistemisch dominanten Disziplinen Semiotik, Psychologie und Soziologie von Klaus Krippendorff (*1932) und Jochen Gros zur epistemologischen Begründung von Designwissenschaft konstruiert wurde97, und einer noch zu konstituierenden «Rhetorik der Dinge» aber bereits vorbereitet. Während die europäischen Anleitungen und Analysen von Rhetorik im Design Rhetorik meist auf eine bloße Persuasionstechnik verkürzen, hat sich in den USA, wo sich in enger Verbindung mit den «Departments of Speech», die dort an den meisten Universitäten nicht zuletzt die Vermittlung von Rhetorik als «softskill» bieten98, seit Jahrzehnten eine umfangreiche Literatur zur «visual rhetoric» bilden können, die auch in der Anleitung visuellen Designs auf eine gewisse Vertrautheit mit der historischen und systematischen
91
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Literaturangaben hierzu finden sich an der in Anm. 1 angegebenen Stelle.
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Marcel Dolega: Gedächtnis: Architektur: Eine Kulturgeschichte der Mnemotektur, Bochum 2004, S. 28-30.
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Ian Bogost: Persuasive games. The expressive power of videogames, Cambridge/Mass. u.a. 2007, u.a. S. 1-64. Literatur s. Link in Anm. 1.
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Charles Jencks: «Rhetorik und Architektur». In: Archithese 2, 1972, S. 19-29. Dieser Diktion folgen etwa Andri Gerber: «Die Rhetorik der Architektur. Peter Eisenman und das architektonische Ornament». In: Archithese 34.2, 2004, S. 50-55; Themenheft «Rhetorik/Rhetoric», Daidalos 64, 1997; Wolfgang Ullrich: «Die Bilder der Architekten. Überlegungen zur Rhetorik imaginierter Architektur». In: Werk, Bauen + Wohnen. Schweizer Ausgabe, 2004, No. 9, S. 14-21. Zur Kritik an diesem Konzept vgl. Juhani Pallasmaa: «Six Themes for Next Millennium». In: Architectural Review 106.1169, 1994, S. 74-79 (Übers. in: Fritz Neumeyer: Quellentexte zur Architekturtheorie, München u.a. 2002, S. 565-573, hier S. 567).
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Richard Buchanan: «Strategies of Design Research. Productive Science and Rhetorical Inquiry». In: Michel 2007 (Anm. 48), S. 55-66, besonders S. 63-65.
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Siehe besonders Donald A. Norman: Emotional design. Why we love (or hate) everyday things, New York 2004. Weitere Literaturangaben hierzu finden sich an der in Anm. 1 angegebenen Stelle.
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Siehe etwa Klaus Krippendorff: Über den Zeichen- und Symbolcharakter von Gegenständen. Versuch zu einer Zeichentheorie für die Programmierung von Produktformen in sozialen Kommunikationsstrukturen, Diplomarbeit, Hochschule für Gestaltung, Ulm 1961; Jochen Gros: Dialektik der Gestaltung (= Diskussionspapier 3), hrsg. IUP Ulm, Institut für Umweltplanung an der Universität Stuttgart 1971; Jochen Gros: Erweiterter Funktionalismus und Empirische Ästhetik, Diplomarbeit Staatliche Hochschule für Bildende Künste Braunschweig, Abteilung Experimentelle Umweltgestaltung, 1973; Jochen Gros: Grundlagen einer Theorie der Produktsprache 1. Einführung, Offenbach 1983. Literatur hierzu siehe an der in Anm. 1 angeführten Stelle.
Vgl. Ueding/Steinbrink 2005 (Anm. 67), besonders S. 159, 198.
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Rhetoriklehre gründet.99 Mit größerer Selbstverständlichkeit als in europäischen Studien, in denen Rhetorik meist als Vorstufe oder Teil von Semiotik gilt, wird dort die Rhetorik neben, vor oder unabhängig von Semiotik zur Analyse und Anleitung visuellen Designs genutzt. Insbesondere anhand von Gestaltungskriterien wie arrangement, emphasis, clarity, conciseness, tone oder ethos macht diese Literatur deutlich, wie mühelos das Theoriegerüst der antiken Rhetorik eine heutige systematische Lehre der Produktion und Analyse visueller Kommunikation leiten kann. Anhand der klassischen Rhetorik, die ganz unproblematisch um tradierte und aktuelle Erkenntnisse anderer Disziplinen wie der Dramentheorie, der Erzähltheorie, der Gestaltpsychologie oder der Neurophysiologie ergänzt wird, werden dort etwa Grundsatzfragen und Fallbeispiele der öffentlichen visuellen Kommunikation analysiert.100 In den angelsächsischen Demokratien lebt in der immer lebendig gebliebenen Rhetorik noch der Anspruch antiker Rhetorik auf Erziehung zur aktiven Teilnahme an der Öffentlichkeit fort.101 Aus einer gewissen Vertrautheit mit der antiken Tradition versteht man es dort, die den rhetorischen Prinzipien immanente Ethik zu politischer Kritik einzusetzen, während man insbesondere in Deutschland Ende des 19. Jahrhunderts ohne diese erzieherische und ethische Dimension von Rhetorik eine nationale politische Rhetorik herausgebildet hat102 und in Antithese dazu Kritik nicht aus der Rhetorik selbst, sondern meist als Kritik an einer mit Propaganda gleichgesetzten Rhetorik im Umweg über Semiotik, Psychologie oder normative Soziologie zu entwickeln gewohnt ist. So wundert es auch nicht, dass «visual rhetoric» in den USA anders als in Europa nicht nur ein Synonym
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99 I
Einen Überblick gibt Keith Kenney und Linda M. Scott: «A Review of Visual Rhetoric Literature». In: Linda M. Scott und Rajeev Batra (Hrsg.): Persuasive imagery. A consumer response perspective, Mahwah/N.J. 2002, S. 17-55. Literatur s. Link in Anm. 1. Methodische Grundsatzüberlegungen, oft mit einem kritischen Ansatz, u.a. bei: Kenneth Burke: A rhetoric of motives, New York 1950; Victor Margolin (Hrsg.): Persuasive Communication (= Incographic 2.4, März 1984); Richard Buchanan: «Declaration by Design. Rhetoric, Argument, and Demonstration in Design Practice». In: Design Issues 2.1, 1985, S. 4-22; Rosemary E. Hampton: «The Rhetorical and Metaphorical Nature of Graphics and Visual Schemata». In: Rhetoric Society Quarterly 20, 1990, S. 347-356; Victor Kennedy und John Kennedy: Metaphor and visual rhetoric (=special issue of Metaphor and Symbolic Activity 8, 1993), S. 149-151; Chales A. Hill und Marguerite Helmers (Hrsg.): Defining visual rhetorics, Mahwah/N.J. 2004; Sonja K. Foss: «Theory of Visual Rhetoric». In: Ken Smith u.a. (Hrsg.): Handbook of Visual Communication. Theory, Methods and Media, Mahwah/NJ u.a, 2005, S. 141-152; Buchanan 2007 (Anm. 95), S. 55-66. Literatur s. Link in Anm. 1. Zur visual rhetoric im Marketing vgl. etwa Linda M. Scott: «Images in Advertising. The Need for a Theory of Visual Rhetoric». In: The Journal of Consumer Research 21, 1994, S. 252-273; Stuart Kaplan: «Visual Metaphors in Print Advertising for Fashion Products». In: Smith u.a. (Hrsg.) (Anm. 99), S. 141- 191. Literatur s. Link in Anm. 1. Für Studien zur visual rhetoric mit direktem Bezug zum Graphik Design siehe Robin Kinross: «The Rhetoric of Neutrality». In: Design Issues 2.2, 1984, S. 18-30; Hanno Ehses: «Representing Macbeth. A case study in visual rhetoric». In: Design Issues 1.1, 1984, S. 53-63; Robin Kinross: «Semiotics and designing». In: Information Design Journal 4.3, 1986, S. 190-198; Hanno Ehses: Design and rhetoric. An analysis of theatre posters, Design papers 1. Halifax, Nova Scotia College of Art and Design 1986; ds. & Ellen Lupton: Rhetorical handbook: An illustrated manual for graphic designers (= Design papers 5), Halifax, Nova Scotia College of Art and Design 1988; Charles Kostelnick: Visual rhetoric. A reader- oriented approach to graphics and designs, Carbondale 1989; ds. und David D. Roberts: Designing visual language. Strategies for Professional Communicators, Boston 1998; Hugues Boekraad: «Gra- phic Design as Visual Rhetoric». In: Edith Gruson und Gert Staal (Hrsg.): Copy proof. A new method for design and education, Rotterdam 2000, S. 4-14; Charles Kostelnick und Michael Hassett: Shaping information. The rhetoric of visual conventions, Carbondale 2003. Literatur s. Link in Anm. 1. Zur visual rhetoric in der Gestaltung digitaler Medien vgl. etwa Laura J. Gurak: «Evaluating the Use of Metaphor in Software Interface Design. A Rhetorical Approach». In: Proceedings of the International Professional Communication Conference, New York 1991, S. 267-271. Literatur s. Link in Anm. 1
100 I
Grundlegend: Victor Margolin: «The Visual Rhetoric of Propaganda». In: Information Design Journal 1, 1979, S. 107-122; Sonja K. Foss: «The construction of appeal in visual images. A hypothesis». In: David Zarefsky (Hrsg.): Rhetorical Movement. Essays in Honor of Leland M. Griffin, Evanston/Ill., 1993, S. 210-227. Umfassende Literaturangaben – insbesondere zu den zahlreichen medienanalytischen Fallstudien zur visual rhetoric –finden sich an der in Anm. 1 angegebenen Stelle.
101 I
Zur ethischen Dimension der tradierten Rhetorik vgl. Ueding/Steinbrink 2005 (Anm. 67), besonders S. 4, 88-91, 142, 167, 180-181.
Vgl. ebd., besonders S. 144-147, 180-182.
102 I
für das gesamte lehr- und lernbare System der visuellen Kommunikationspraxis ist, sondern dass ihr dort auch die Aufgabe der Bildkritik zukommt, die in der europäischen Designtheorie vor allem der Semiotik zugetraut wird. Seit 2006 haben nun Gesche Joost und Arne Scheuermann (*1973) Studien vorgelegt, die über eine Reduktion von Rhetorik auf eine Persuasionstechnik hinausgehen, auch die amerikanische Entwicklung der visual rhetoric reflektieren und eine vollständige Analogisierung aller Sparten und Kategorien des Designs mit der Rhetorik als epistemisches Fundament einer Designtheorie postulieren, die Produktion und Analyse von Design gleichermaßen leiten könne. 2008 ist das Thema «Rhetorik» Michael Erlhoffs und Tim Marshalls ‹Wörterbuch Design› bereits einen dreiseitigen Eintrag wert, verfasst von Gesche Joost.103 Rhetorik, frühneuzeitliche «Bildrhetorik» und Design Tatsächlich bewährt sich der originäre Praxisbezug der Rhetorik darin, dass sich anhand ihrer Strukturen und Erkenntnisse die Praxis des Designs weit über die reduzierte Teiladaption ihrer persuasionstechnischen Aspekte hinaus strukturieren und reflektieren lässt. Ganz gleich, ob Einzelerkenntnisse der Rhetorik oder deren Systematik an Design herangetragen werden, es findet sich meist eine unmittelbar einleuchtende Analogie. Um dies zu illustrieren, empfiehlt sich zunächst eine Orientierung an der antiken Systemrhetorik, die am komplexesten bei Quintilian überliefert ist.104 Denn «theoretische Differenziertheit, Problembewußtsein, methodischer und technischer Rang» der antiken Systemrhetorik sind, wie Ueding darlegt, bislang unerreicht geblieben, und «gerade ihre Ausrichtung auf Praxis und Produktion der Rede» gibt ihr einen Vorzug vor modernen, oft zweckentfremdeten Theoriemodellen, «welche ihre Bedeutung in den Institutionalisierungen des modernen Wissenschaftsbetriebs erschöpfen».105 Abgesehen von einigen amerikanischen Publikationen beziehen die meisten designtheoretischen Bemerkungen zur Rhetorik das jeweilige rhetorische Wissen aber meist aus Einführungen, Handbüchern oder bezugswissenschaftlich dominierten Darstellungen – etwa über die eher praxisferne Adaption von Rhetorik in der analytisch intendierten Semiotik. Ohne Kenntnis der Primärquellen der Rhetorik aber droht Rhetorik zur Stichwortgeberin einer neuen Designdoktrin zu werden, und die Differenziertheit, Komplexität und Diskursivität, die der rhetorischen Literatur jahrtausendelang eigen waren, könnten zugunsten einer wiederum praxisfernen Übersystematisierung verlorengehen. Designtheorie und -praxis werden, wie gezeigt, seit längerem auf die antike Systemrhetorik bezogen, die in der Tradition jahrhundertelanger didaktischer Aufbereitung – trotz ihrer über 200 Jahre andauernden Verbannung aus dem offiziellen Bildungskanon Europas und insbesondere Deutschlands – bis heute durch historische und systematische Darstellungen, Handbücher, Lehrbücher, populäre Anleitungsliteratur und alltägliche Praxis für viele
103 I
S.o. die in Anm. 87 genannte Literatur.
104 I
Vgl. für das Folgende die systematischen Darstellungen der antiken Systemrhetorik bei Karl-Göttert 1991 (Anm. 67), S. 15-74; Ottmers 1996 (Anm. 67); Ueding/Steinbrink 2005 (Anm. 67), S. 109-333.
Ebd., S. 209.
105 I
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Lebensbereiche leicht zugänglich geblieben ist.106 Es fehlt dabei aber bisher jedes Bewusstsein dafür, dass die heutige Designpraxis historisch über die Bildtheorie und -praxis der Frühen Neuzeit mit den antiken Schriften zur Rhetorik medienspezifisch verbunden ist. Hier kann die systematische Begründung einer neuen, praxisorientierten Designwissenschaft an kunsthistorische Forschungen anschließen. Denn die Rekonstruktion des unübersehbaren Rhetorisierungserfolges in der frühneuzeitlichen Kunstliteratur hat die kunsthistorische Forschung seit mehr als einem halben Jahrhundert dazu gebracht, Rhetorik von ihrer ursprünglichen Bindung an das Medium des öffentlich gesprochenen Wortes zu lösen, in der sogenannten «Bildrhetorik» als Paradigma der Künste in der Frühen Neuzeit anzusehen107 und sogar zu einer Metatheorie frühneuzeitlicher Medialität und Kultur insgesamt weiterzuentwickeln.108 Diese umfangreiche Forschung wird bisher in der Designtheorie und -praxis nicht rezipiert. Dass die Frage nach einer bis heute wirksamen kulturellen Kontinuierung impliziten Rhetorikwissens in den visuellen, plastischen und bauenden Künsten noch nicht systematisch gestellt wurde, liegt dabei sicher auch daran, dass sich die rhetorischen Aspekte der frühneuzeitlichen Medienpraxis einer strengen Systematisierung eher verweigern als die antike Systemrhetorik, so dass es bisher keine handbuchartig zusammenfassenden Darstellungen zu diesem reichhaltigen Untersuchungsfeld gibt.109 Dass sich die Lücke zwischen antiker Rhetorik und heutigem Design durch die frühneuzeitliche Bildtheorie und -praxis schließen lässt, kann daher im Folgenden nur exemplarisch skizziert werden. Bei der Analogisierung von antiker Systemrhetorik, frühneuzeitlicher sogenannter «Bildrhetorik» und Design lassen sich etwa die Routinen von Designprozessen für Produktdesign wie visuelles Design analog zu den Produktionsstadien einer Rede (opera oratoris) beschreiben.110 Schon die frühneuzeitliche Bildtheorie und -praxis haben in diesem Sinne die in der Rhetorik entwickelte idealtypische Abfolge einer Klärung des Gegenstandes (intellectio), des Findens und Erfindens des Stoffes (inventio), der Ordnung des Stoffes (dispositio), des Ausdrucks (elocutio), des Einprägens (memoria) und des Vortrags (actio) zur Beschreibung der Gestaltungsarbeit visueller, plastischer und gebauter Medien heran-
170
106 I
Ebd., S. 159-206.
107 I
S.o. Anm. 61 einschließlich der Literatur, auf die dort verwiesen wird.
108 I
Rhetorik als Schlüssel zu einer Metatheorie der gesamten frühneuzeitlichen Kultur bei: Mühlmann 1981 (Anm. 66); Heinen 2008 (Anm. 70). Parallel zur Integration der Rhetorik in die kunsthistorische Methodik entwickelte sich seit den 1960er-Jahren eine medienübergreifende methodische Ausrichtung auf Rhetorik in der allgemeinen Semiotik: Jaques Dubois u.a. (groupe μ): Rhétorique générale, Paris 1970; Francis Edeline u.a. (groupe μ): Traité du signe visuel. Pour une rhétorique de l‘image, Paris 1992 (vgl. Boerkey 2004 [Anm. 61], S. 56-82).
109 I
Ansätze bei Luigi Grassi und Mario Pepe (Hrsg.): Dizionario della critica d‘arte, 2 Bde., Turin 1978. Ein Versuch zur Übertragung der gesamten Systemrhetorik auf die frühneuzeitliche Bildtheorie und -sprache auch bei Heinen 1996 (Anm. 61).
110 I
Vgl. Richard Buchanan: «A Response to Klaus Krippendorff». In: Design Issues 2.2, 1985, S. 71-75; Kurt Spang: Grundlagen der Literatur- und Werberhetorik (=Problemata Semiotica), Kassel 1987, S. 74-79; Buchanan 2007 (Anm. 95), S. 55-66, besonders S. 63-65 (für das Produktdesign); Scheuermann 2006 (Anm. 87), S. 23-24; Joost/Scheuermann 2006 (Anm. 87), Kap. 4.1-4.2, S. 4-5; Joost 2008 (Anm. 74), S. 352. Zu den Produktionsstadien des Designprozesses vgl. die o.a. Literatur in Anm. 5. Vgl. auch B. Schnei- der 2005 (Anm. 26), S. 286-287. Zu den Produktionsstadien der Rede vgl. Ueding/Steinbrink 2005 (Anm. 67), S. 211-237. Zu einer hiermit kompatiblen Beschreibung von Designprozessen vgl. etwa John Sherry: «Design Education. Process versus System». In: Studies in Design Education Craft and Technology 8.2, 1976, S. 129-138. Zur Analogie zwischen den in der frühneuzeitlichen «Bildrhetorik» ausgeprägten Arbeitsschritten mit den aktuellen Arbeitschritten digitaler Bildgestaltung vgl. Ulrich Heinen: «Konstruktives Zeichnen in systematischen Bildprozessen». In: Kunst und Unterricht 302/303, 2006, S. 20-22; Ulrich Heinen: «Bildprozesse lernen: Zeichnen als aktuelle Kulturtechnik». In: BDK-Mitteilungen 2006, Nr. 4, S. 13-14.
gezogen, diese allerdings für die medienspezifischen Bedingungen der visuellen, plastischen und gebauten Medien signifikant transformiert.111 Auch im Design kann in einem Anfangsstadium die Recherche als klärende Analyse des aus der Aufgabe sich ergebenden Gegenstandes (intellectio) dem Finden und Erfinden des Stoffes, der sprachlichen und visuellen Argumente und Motive, der Strategien der zielgruppenorientierten Adressierung oder der polyvalenten, auf multiperspektivische Wahrnehmung zielenden Adressatendifferenzierung usw. in der inventio vorangehen.112 In der Topik hat die Rhetorik für die Phase der inventio eine Struktur von Suchkategorien angelegt, die sich sowohl auf den Gegenstand als auch auf das Verhältnis der jeweiligen Adressaten zu diesem beziehen.113 Zwanglos lassen sich diese Recherchekriterien in allen Sparten des Designs wiederfinden.114 Als Elemente einer Designtopik lassen sich die Fragen der Werbewirkungsforschung und die dabei insbesondere mit den Mitteln der empirischen Psychologie erreichten Erkenntnisse115 ebenso wie die für Produktdesign entwickelten Recherchemethoden des emphatic oder customization design116 in eine «De- signrhetorik» integrieren, die analog zur antiken Systemrhetorik zu konstruieren wäre. Denn wie die Rhetorik ist Marketing auf Entscheidungen gerichtet, die nicht nach Wahrheitskriterien, sondern entsprechend den Gemeinplätzen (loci communes), also gemäß der bloßen Wahr-Scheinlichkeit, zu treffen sind. Eng damit zusammenhängend, lässt sich für die unterschiedlichen Annahmen des Marketings über differenzierte Verhaltensdispositionen von
111 I
Zur frühneuzeitlichen Einteilung des Werkprozesses visueller Gestaltung in inventio, dispositio (oder konkreter, etwa bei Lodovico Dolce, disegno) und expressio (etwa bei Dolce konkretisiert als colore) als Anlehnung an die Produktionsstadien der Rede vgl. Lee 1940 (Anm. 61), S. 264-265 (speziell zu Dolce); Gilbert 1943 (Anm. 61), S. 94-96; LeCoat 1975 (Anm. 61), S. 30-31; Martin Kemp: «From Mimesis to Fantasia. The quattrocento vocabulary of creation, inspiration and genius in the visual art». In: Viator 8, 1977, S. 347-398, hier S. 356.
112 I
Vgl. Spang 1987 (Anm. 110), S. 74-76; Joost/Scheuermann 2006 (Anm. 87), Kap. 4.2, S. 5. Für Überlegungen zur Adressatendifferenzierung in der antiken Rhetorik siehe Quintilian inst. or. 3.4.6; zur Bedeutung dieses Prinzips in der patristischen Predigtlehre, in der katholischen Bildtheorie und in der frühneuzeitlichen Kunsttheorie vgl. Heinen 1996 (Anm. 61), u.a. S. 31-44, mit der älteren Literatur; Ganz 1999 (Anm. 72), S. 57-68; Valeska von Rosen, «Multiperspektivität und Pluralität der Meinungen im Dialog. Zu einer vernachlässigten kunsttheoretischen Gattung». In: von Rosen u.a. 2003 (Anm. 64), S. 317-336); beispielhaft entfaltet eine multiperspektivische Bildanalyse schon Erasmus Weddigen: Des Vulkan paralleles Wesen. Dialog über einen Ehebruch mit einem Glossar zu Tintorettos Vulkan überrascht Venus und Mars, München 1994.
Vgl. etwa Göttert 1991 (Anm. 67), S. 32; Ueding/Steinbrink 2005 (Anm. 67), S. 211-214.
113 I
114 I
Vgl. Cynthia R. Haller: «Rhetorical Invention in Design: Constructing a System and Spec». In: Written Communication 17.3, 2000, S. 353-389; Joost 2008 (Anm. 74). Zu intellectio und Topik vgl. Ueding/Steinbrink 2005 (Anm. 67), S. 211-214, 239-258. Für empirische Recherchemethoden im Design, die sich in der Topik abbilden lassen, vgl. etwa Brenda Laurel (Hrsg.): Design Research. Methods and Perspectives, Cambridge und London 2003. Für systematische kreative Findemethoden im visuellen Design, die sich ebenfalls auf die rhetorische Topik rückführen lassen, vgl. Werner Gaede: Vom Wort zum Bild. Kreativ-Methoden der Visualisierung, München 1981 (2. Aufl. 1992); Pricken 2001 (Anm. 44).
115 I Vgl. etwa Helene Karmasin: Produkte als Botschaften. Konsumenten, Marken und Produktstrategien, 4. Aufl. Landsberg am Lech 2007; explizit zur Rhetorik ebd., S. 413-428. Auch die Prinzipien eines marketinggeleiteten Produktdesigns lassen sich rhetorisch interpretieren. Für solche Prinzipien vgl. etwa Thomas C. Kohler: Wirkungen des Produktdesigns, Wiesbaden 2003; Andreas Herrmann und René Befurt: «Mit einem Lächeln zum wirtschaftlichen Erfolg? Ein Beitrag zur Designwahrnehmung von Produktgesichtern». In: Thesis 24.2, 2007, S. 8-12. 116 I
Vgl. etwa Henry Petroski: The Evolution of Useful Things. How Everyday Artifacts – From Forks and Pins to Paper Clips and Zippers – Came to Be as They Are, New York 1993, S. 220-236; Dorothy Leonard und Jeffrey F. Rayport: «Spark Innovation through Empathic Design». In: Harvard Business Review 75.6, 1997, S. 102-113; Jochen Gros: «Customization-Design und Art-Customization, Produkt- gestaltung im Zeichen der Mass- Customization». In: design report 10/2001; Ilpo Koskinen u.a.: Empathic Design, Edita/Finland 2003.
171
Konsumenten 117 sowie für die Methoden zu deren Ermittlung118 ein systematischer Platz in der durchgehenden Publikumsorientierung der Rhetorik aufzeigen. Auch die soziologisch orientierten Bestandteile der bisherigen Designwissenschaften haben als Beiträge zur Topik einen systemischen Platz in einer «Rhetorik des Designs». Mehr oder weniger eng mit der Recherche verwoben – neuere Methoden der Werbewirkungsforschung lassen durch visualisierte Tests ja auch im Marketing die Grenzen zur Design-Recherche zunehmend verschwimmen119 –, folgt im Design etwa anhand der hierzu hergestellten Bildarchive,120 dem Zusammentragen von Mood-Boards121 oder im Scribblen elementarer Funktions- und Strukturelemente122 das Sammeln des Stoffes und seiner Elemente. Dieses Produktionsstadium lässt sich einschließlich der hierzu in der Rhetorik bestehenden Empfehlungen mit der rhetorischen inventio analogisieren.123 In der Frühen Neuzeit lässt sich dieses Stadium etwa in der rhetorischen Anlage von Studienbüchern, in der Verwendung ikonographischer Druckgraphiksammlungen während des Entwurfsprozesses oder im ikonographischen Kern vieler prima-idea-Skizzen aufzeigen.124 In den Phasenabfolgen der oft kritisierten, aber immer noch präskriptiv genutzten Stufenmodelle der Werbewirkung und deren Modifikationen – von der AIDA-Formel, die 1898 E. St. Elmo Lewis (1872-1948) entwickelt hat, bis zum 1968 publizierten Kaufentscheidungsmodell von John A. Howard und Jagdish N. Sheth125 – spiegeln sich die rhetorischen Überlegungen zur «natürlichen» Phasenfolge einer wirksamen Rede (partes orationis) 126, die ebenso wie die
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117 I
Vgl. etwa Annette Schüppenhauer: Multioptionales Konsumentenverhalten und Marketing. Erklärungen und Empfehlungen auf Basis der Autopoiesetheorie, Wiesbaden 1998.
118 I
Vgl. etwa Edward Tauber: «HIT. Heuristic Ideation Technique». In: Journal of Marketing, 1972, S. 58-70; John R. Hauser und Don Clausing: «The House of Quality». In: Harvard Business Review, 1988, S. 63-73; Glen L. Urban und Eric von Hippel: «Lead User Analyses for the Development of New Industrial Products». In: Management Science 34, 1988, S. 569-82; Gerald Zaltman und Robin Higie Coulter: «Seeing the Voice of the Customer. Metaphor-based Advertising Research». In: Journal of Advertising Research 35, 1995, S. 35-51; W. Chan Kim und Renee Mauborgne: «Creating New Market Space». In: Harvard Business Review, 1999, S. 83-93; Jacob Goldenberg u.a.: «Toward identifying the inventive templates of new products. A channeled ideation approach». In: Journal of Marketing Research 36, 1999, S. 200-210; Föll 2007 (Anm. 58). Speziell für Produktdesign vgl. Peter H. Bloch: «Seeking the Ideal Form. Product Design and Consumer Response». In: Journal of Marketing 59, July 1995, S. 16-29.
119 I
Vgl. Jenzowsky/Schimansky 2002 (Anm. 55), S. 584-586; Schweiger/Schrattenecker 2005 (Anm. 57), S. 343-344.
120 I
S.o. Anm. 7; vgl. auch etwa die Analogisierung von Clipart-Sammlungen mit rhetorischen Gestenmanualen bei George L. Dillon: «Clipart images as commonsense categories». In: Visual Communication 5.3, 2006, S. 287-306.
121 I
Für solche Instrumente vgl. etwa Erich Küthe und Matteo Thun: Marketing mit Bildern. Management mit Trend-Tableaus, Mood-Charts, Storyboards, Köln 1995; Gerhard Heufler: Design-Basics. Von der Idee zum Produkt, Zürich 2004, S. 56, 82; Bürdek 2005 (Anm. 11), S. 264-265.
122 I
Vgl. etwa Heufler 2004 (Anm. 121), S. 85-89.
123 I
Zur inventio vgl. Ueding/Steinbrink 2005 (Anm. 67), S. 214-215.
124 I
Zu solchen vgl. etwa Heinen 1996 (Anm. 61), S. 100-118.
125 I
Vgl. John A. Howard und Jagdish N. Sheth: «A theory of buyer behavior». In: Perspectives in consumer behavior, Glenview/Ill. 1968, S. 467-487; Klaus Moser: «Werbewirkung. Modelle und Perspektiven». In: Mattenklott/Schimansky 2002 (Anm. 54), S. 464-479; Jenzowsky/Schimansky 2002 (Anm. 55), S. 568-571; Kroeber-Riel/Esch 2004 (Anm. 56), S. 164-289; Felser 2007 (Anm. 53), S. 13-16. Zur Kritik und Relativierung der Stufenmodelle vgl. Demetrios Vakratsas und Tim Ambler: «How Ad- vertising Works: What Do We Really Know?». In: Journal of Marketing, 63.1, 1999, S. 26-43; Thomas Schierl: Text und Bild in der Werbung. Bedingungen, Wirkungen und Anwendungen bei Anzeigen und Plakaten, Köln 2001; Dieter Reigber: «Werbung wirkt – Print wirkt. Aber wie?». In: Sven Dierks und Michael Hallemann (Hrsg.): Die Bild-Sprache der Werbung – und wie sie wirkt. Projektion aus dem Blickwinkel dreier Analysemethoden, Hamburg 2005, S. 9-15, hier S. 10.
Ueding/Steinbrink 2005 (Anm. 67), S. 216-217.
126 I
hiermit spielenden «künstlichen» Phasenfolgen schon auf die Wahrnehmung von Bildern und Bildensembles der Frühen Neuzeit übertragbar sind.127 Die Festlegung der jeweiligen Phasenabfolge geschieht in der Rhetorik im Übergang zwischen inventio und dispositio. Der Einleitung (exordium) schreibt die Systemrhetorik dabei die Aufgabe zu, Aufmerksamkeit zu wecken (attentum parare) und aufnahmebereit zu machen (docilem parare). Die Erzählung (narratio) soll den Sachverhalt darlegen; die Beweisführung (argumentatio) die Beweisgründe (argumenta) vortragen und diese durch Beispiele (exempla), Sinnsprüche (sententia) und Steigerung (amplificatio) untermauern; der Schluss (peroratio) soll zusammenfassen und einen bleibenden Affekt erregen. Unschwer lassen sich in dem rhetorischen Stufenmodell noch wesentliche Teile etwa des zwölfstufigen Modells der persuasiven Kommunikation von William J. McGuire (19252007) abbilden, das die Werbewahrnehmung von Aufmerksamkeit und Interesse über inhaltliches Verstehen und Verknüpfen bis zur Einstellungsänderung beschreibt.128 Auch Detailaspekte wie etwa der Gebrauch von Beispielen (exempla), Sinnsprüchen (sententia), Steigerungsstrategien (amplificatio) oder der Affekterregung (affectus) am Schluss der Rede129 haben für die Bildpraxis der Frühen Neuzeit etwa im haltungsleitenden Vorbildanspruch frühneuzeitlicher Historienmalerei130, der sentenzhaften Verdichtung visueller Argumentationen in symbolischen Bildelementen131 und in emblematischen Bildstrukturen132 oder in Kompositionsstrategien der ausschmückenden Steigerung Entsprechungen gefunden. Bruchlos lassen sich diese Prinzipien der inhaltlichen Ausgestaltung der Rede auch zu medialen Mitteln in der insbesondere werblichen verbal/visuellen Kommunikation aktueller Medien analogisieren wie etwa zu Strategien der visuellen Argumentation, zur sentenzhaften Formulierungen von Werbeslogans, zur Aktivierung von Archetypen oder zur Konzentration von Markenbildern auf konventionalisierbare Codes.133
127 I
Vgl. Norbert Huse: Studien zu Giovanni Bellini, Berlin und New York 1972, u.a. S. 33-45; F. Büttner 1989 (Anm. 61), insbesondere S. 52, 63, 69, 71; Alfons Reckermann: Amor mutuus. Annibale Carraccis Galleria-Farnese-Fresken und das Bild-Denken der Renaissance, Köln und Wien 1991, S. 61, 154- 155; Heinen 1996 (Anm. 61), S. 45-73; vgl. auch Hundemer 1997 (Anm. 61), S. 31-55.
128 I
Vgl. William J. McGuire: «The nature of attitude and attitude change». In: Lindzey Gardner und Elliot Aronson (Hrsg.): Handbook of social psychology, 3. Aufl. New York 1985, S. 233-346.
Ueding/Steinbrink 2005 (Anm. 67), S. 268-277.
129 I
130 I
Zum frühneuzeitlichen Lernen durch visuell präsentierte vorbildliche Exempel vgl. etwa Ann Sutherland Harris: «Artemisia Gentileschi. The literate illiterate or learning from example». In: de Blaauw u.a. 1998 (Anm. 61), S. 105-120; Susanne Tauss: Dulce et decorum? Der Decius-Mus-Zyklus von Peter Paul Rubens, Osnabrück 2000, S. 28-62, 211-220.
131 I
Vgl. etwa Heinen 1996 (Anm. 61), S. 49, 64, 66, 239, Anm. 47; etwa Tauss 2000 (Anm. 130), S. 150-151; Ulrich Heinen: «Rubens‘s Pictorial Diplomacy at War (1637/1638)». In: Jan de Jong u.a. (Hrsg.): Rubens and the Netherlands, Zwolle 2006 (=Nederlands Kunsthistorisch Jaarboek 55, 2004), S. 196- 225, hier S. 206.
Warncke 1987 (Anm. 61), S. 161-192.
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133 I
Zur visuellen Argumentation in aktuellen Medien vgl. Kroeber-Riel 1993 (Anm. 87), passim; Martin Scholz: Technologische Bilder. Aspekte visueller Argumentation, Weimar 2000. Zur Codierung starker Marken vgl. etwa Christian Scheier und Dirk Held: Wie Werbung wirkt. Erkenntnisse des Neuromarketing, Freiburg/Br. u.a. 2006, S. 90-95; Ralf Zimmermann: Neuromarketing und Markenwirkung. Was das Marketing von der modernen Hirnforschung lernen kann, Saarbrücken 2006, u.a. S. 52-54. Vgl. auch Kroeber-Riel 1993 (Anm. 87), u.a. S. 174-177, 193-219; ds./Esch 2004 (Anm. 56), u.a.S. 229-230. Die rhetorischen Strategien der mentalen und realen Aktivierung des Rezipienten lassen sich verknüpfen mit der Theorie der affordance, die neuerdings im Produkt- und Interfacedesign fruchtbar gemacht wird (zu dieser vgl. Donald A. Norman: The Psychology of Everyday Things, New York 1988; ds.: «Affordances, Conventions and Design». In: Interactions 6.3, 1999, S. 38-43; Bernhard Waldenfels: Findigkeit des Körpers, Dortmund 2004; Hsiao-chen You und Kuohsiang Chen: «Applications of affordance and semantics in product design». In: Design Studies 28.1, 2007, S. 23-38).
173
Im Übergang von der inventio zur dispositio verdient der Aufbau visueller, plastischer und gebauter Argumente Aufmerksamkeit, die in besonderer Weise sowohl die Wahrnehmung und Einprägung des dargestellten Sachverhalts als auch die damit verbundene Emotionalisierung steigern können.134 Wie in der figurierenden, allegorischen und emblematischen Bildpraxis der Frühen Neuzeit135 können die im Design entwickelten visuellen Strategien in diesem Sinne etwa durch affektsteigernde Interaktion der Bild- elemente in der visuellen Gestaltung von Werbung die Einprägsamkeit des dargestellten Sachverhalts verstärken.136 Hierin kann das visuelle Design auf einen Ratschlag der früher Cicero zugeschriebenen ‹Rhetorica ad Herrenium› (ca. 86 v. Chr.) zurückgreifen: Zur Steigerung der Behaltensleistung sollen Vorstellungselemente kombiniert und dadurch neue verblüffende, ungewöhnliche, schöne oder grässliche, komische oder obszöne komplexe Vorstellungsbilder entwickelt werden, die starke Affekte bewirken.137 Das hierzu erforderliche Wechselspiel zwischen den Prinzipien Nachahmung (imitatio) und Fantasie (fantasia) reflektiert auf der Grundlage der antiken Quellen schon die frühneuzeitliche Kunsttheorie ausführlich.138 In dieses Stadium des Übergangs von der inventio zur dispositio lässt sich auch die integrierte Formentwicklung in Architektur und Produktdesign einpassen, deren Ausgangspunkt jeweils eine Analyse von Funktion und Thema bildet, die in enger Verbindung mit der Konstruktionslehre topologischen Entwurfsmethoden folgt und zugleich gestalttheoretische Kriterien der Formfindung berücksichtigen kann.139 Unter Berücksichtigung der Medienspezifität der zeitlichen Wahrnehmung statischer Medien lassen sich die Prinzipien der Anordnung (dispositio) des Stoffes, der in der inventio gefunden wurde, grundsätzlich nicht nur auf dynamische Medien wie den Film, sondern auch auf statische Medien wie Bild oder Produktdesign übertragen. Die Bedeutung der Anordnung von Form- und Bildelementen zur schrittweisen Wahrnehmung der zunächst simultan erscheinenden statischen Medien wurde hierzu schon in der Frühen Neuzeit für die non-verbalen Medien ausführlich erörtert. Die damals erarbeiteten Mittel zur Erzeugung von Wahrnehmungsfolgen in statischen visuellen Medien – Figurenkonstellation, deiktische Einrichtung, Prinzipien der Lichtführung und des Hell-Dunkels, Form- und Farbkontraste, illusionistische Raumdispositionen etc. –140 lassen sich grundsätzlich auch an heutigen Medienerzeugnissen fortschreiben und ausbauen. Sowohl die simultane Anordnung visueller, plastischer und gebauter Elemente in Fläche und Raum als auch die auf sukzessive Wahrnehmung zielenden Verweisungsbezüge lassen sich daher mit 134 I
Vgl. etwa Kroeber-Riel 1993 (Anm. 87); J. Anthony Blair: «The Rhetoric of Visual Arguments». In: Hill/Helmers (Hrsg.) 2004 (Anm. 99), S. 41-61
135 I
Vgl. etwa die Hinweise auf solche Zusammenstellungen bei Warncke 1987 (Anm. 61), S. 39, 193-199, 218-221.
Vgl. etwa Kroeber-Riel 1993 (Anm. 87), S. 77-81, 219; Pricken 2003 (Anm. 44), S. 42-48, 112-142.
136 I
137 I
174
138 I
Rhetorica ad Herrenium 3.22; vgl. Frances A. Yates: Gedächtnis und Erinnern. Mnemonik von Aristoteles bis Shakespeare, Weinheim 1990, S. 17-22. Vgl. M. Kemp 1977 (Anm. 111).
139 I
Für topologische Konstruktions- und Gestaltungsmethoden vgl. etwa Christopher Alexander: Notes On The Synthesis Of Form. Oxford University Press, New York 1964; van den Boom/Romero-Tejedor 2000 (Anm. 39). Für gestaltpsychologische Aspekte des Formfindungsprozesses vgl. Otl Aicher und Robert Kuhn: Greifen und Griff, Köln 1987; Tönis Käo und Julius Lengert: Edwin Schricker (Hrsg.): Produktgestalt, 2 Teile, o. O. o. J., (Siemens Design); Axel Seyler: Wahrnehmen und Falschnehmen. Praxis der Gestaltpsychologie – Formkriterien für Architekten, Designer und Kunstpädagogen/Hilfen für den Umgang mit Kunst, Frankfurt/M. 2003.
140 I
Vgl. etwa Leonardo da Vinci: Das Buch von der Malerei. Nach dem Codex Vaticanus (Urbinas) 1270, hrsg. von Heinrich Ludwig, 3 Bde., Wien 1882 (Nachdr. Osnabrück 1970), Bd. 1, S. 105. Grundsätzlich zu dieser Frage: Warncke 1987 (Anm. 61), S. 31-32, 34, 116, 133-136; Heinen 1996 (Anm. 61), S. 17 u.a.
der in der Rhetorik entwickelten «natürlichen» Phasenfolge wie mit den dort ausgebreiteten Ordnungsschemata einschließlich den daran geknüpften Empfehlungen etwa zur Anordnung der Elemente zueinander, zur Platzierung von Wichtigem und Unwichtigem oder zur Störung der «natürlichen» Phasenfolge etwa durch das Mittel des «in medias res» 141 analogisieren. Da die Rhetorik die Erarbeitung des verbalsprachlichen Ausdrucks der Rede (elocutio)142 ganz medienspezifisch analysiert, hat die frühneuzeitliche Bildtheorie das Ausarbeitungsstadium unter dem allgemeineren, medienübergreifenden Begriff der expressio behandelt.143 In diesem Stadium empfiehlt die Rhetorik dem Redner die Beachtung einiger grundlegender Prinzipien (virtutes) und zahllose Gestaltungsaspekte. Gerade zu diesen Prinzipien und Aspekten des Ausarbeitungsstadiums hat die frühneuzeitliche Bildtheorie einleuchtende Analogien hergestellt, die sich auch auf Fragen des Designs übertragen lassen: Ausführlich hat man sich in der Frühen Neuzeit etwa mit der Frage der Rhetorik nach der Angemessenheit (aptum/decorum) aller in Gestaltungen verwendeten Inhalte, Prinzipien, Mittel und Formen zueinander (inneres aptum) sowie zu dem jeweiligen Gegenstand, Ort, Zeitpunkt, Publikum und Zweck (äußeres aptum) befasst und auch die Zuordnung des schlichten, des mittleren und des erhabenen Stils (genus humile, genus medium, genus grande) zu diesen aufgegriffen.144 Sichtlich können diese fundamentalen Prinzipien allen Gestaltens auch den formalen und den kommunikativen Aspekten des Designs zugrundegelegt werden.145 Eng hiermit zusammenhängend, kann man das rhetorische Prinzip der Sprachrichtigkeit (puritas)146 nicht nur etwa mit der Forderung nach der «Guten Form» im Design der Nachkriegsjahrzehnte147, sondern mit jeder in sich konzeptionell und stilistisch konsistenten Gestaltung verbinden. Die Empfehlung der antiken Rhetorik, Anschaulichkeit und Klarheit (perspicuitas) anzustreben148, wird oft für werbliche visuelle Kommunikation angeführt, wobei etwa Kroeber-Riel in diesem Zusammenhang den Begriff der «Lebendigkeit» synonym
141 I
Vgl. Lausberg 1990 (Anm. 67), S. 241-247; Göttert 1991 (Anm. 67), S. 38; Ueding/Steinbrink 2005 (Anm. 67), S. 216-218.
Ebd., S. 218-234.
142 I
143 I
Vgl. Warncke 1987 (Anm. 61), S. 25; F. Büttner 1989 (Anm. 61), S. 50; Heinen 1996 (Anm. 61), S. 298- 299, Anm. 1.
144 I
Für die Rhetorik vgl. Lausberg 1990 (Anm. 67), S. 144-145; Ueding/Steinbrink 2005 (Anm. 67), S. 221- 226, 231-234. Für die Bildrhetorik der Frühen Neuzeit vgl. Lee 1940 (Anm. 61), S. 228-231, 236-237; Mühlmann 1981 (Anm. 66), u.a. S. 69-71; Mildner-Flesch 1983 (Anm. 61), S. 190, 193; Willibald Sauerländer: «From stilus to style: Reflections on the fate of a notion». In: Art History 6, 1983, 253-270; Michels 1988 (Anm. 61), S. 11-15, 29-32; Ames-Lewis/Bednarek 1992 (Anm. 61); Jennifer Montagu: «The theory of the musical modes in the Académie Royale de peinture et de sculpture». In: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 55, 1992, 233-248; Heinen 1996 (Anm. 61), S. 18.
145 I
Vgl. für die Rhetorik der Werbung Spang 1987 (Anm. 110), S. 77. Die Differenzierung von innerem und äußerem aptum sowie die Stillehre der Rhetorik übertragen auf das Design bei: Joost/Scheuermann 2006 (Anm. 87), Kap. 4.3, S. 6. Zur Frage der Produktion innerer Kohärenz im Designprozess vgl. etwa die Überlegungen zu «patterns which connects» bei Romero-Tejedor 2007 (Anm. 18), S. 162-170, 193-194.
Für die Rhetorik vgl. Ueding/Steinbrink 2005 (Anm. 67), S. 226-229.
146 I
147 I
Zu dieser vgl. Christopher Oestereich: «Gute Form» im Wiederaufbau. Zur Geschichte der Produktgestaltung in Westdeutschland nach 1945, Berlin 2000.
Vgl. Ueding/Steinbrink 2005 (Anm. 67), S. 229-231, 262.
148 I
175
gebraucht.149 Diese Gleichsetzung von Klarheit und Anschaulichkeit mit Lebendigkeit im Sinne von Lebensnähe findet sich schon in der frühneuzeitlichen Bildtheorie.150 Mit der Empfehlung von perspicuitas hängen die Empfehlungen zu Deutlichkeit und Präsenzwirkung (evidentia) zusammen. An diese wiederum schließen in der Rhetorik Grundsatzfragen zur Affektwirkung an. Wie die antike Rhetorik herausgestellt hat, lassen sich solche Wirkungen nicht nur durch visuelle Eindeutigkeit, sondern ebenso durch imaginationsanregende Undeutlichkeit hervorrufen.151 Besonders die in der Rhetorik selbst angelegte Reflexion der Affektwirkung von medial hervorgerufenen Vorstellungsbildern hat der frühneuzeitlichen Bildtheorie reichen Anlass zur Umsetzung von Überlegungen der Rhetorik in die visuellen, plastischen und gebauten Medien gegeben.152 Mit der Einsicht der Rhetorik und der frühneuzeitlichen Bildtheorie in die doppelte Quelle visuell ausgelöster Affektwirkungen korrelieren präsentative Affekttechniken im Design.153 Es hat allerdings lange gedauert, bis die werbliche visuelle Kommunikation entdeckt hat, dass auch kalkulierte Undeutlichkeit – erreichbar auch durch das paradoxe Aufeinandertreffen widersprüchlicher Bild- und Textinformationen – durchaus ein starkes Wirkungsmittel sein kann.154 Besonders reichhaltigen Raum zur Analogiebildung bieten für das Stadium der Ausarbeitung die Darlegungen der Rhetorik zum Redeschmuck (ornatus) und insbesondere zur Figurenlehre.155 Gerade hier haben Produktion und Analyse von Design
176
149 I
Kroeber-Riel 1993 (Anm. 87), S. 43, 233-234. Vgl. auch Joost 2008 (Anm. 74), S. 352, allerdings nur mit Bezug auf Entwurf und Präsentation.
150 I
Zur vivacità als Kategorie der frühneuzeitlichen Kunsttheorie vgl. Heinen 1996 (Anm. 61), S. 196, Anm. 101 (mit der älteren Literatur); Frank Fehrenbach: «Calor nativus – Color vitale. Prologomena zu einer Ästhetik des ‹Lebendigen Bildes ›». In: Pfisterer/Seidel 2003 (Anm. 61), S. 151-170; ds., «Lebendigkeit». In: Ulrich Pfisterer (Hrsg.): Metzler Lexikon Kunstwissenschaft, Stuttgart und Weimar 2003, S. 222-227. Weitere Literaturangaben hierzu finden sich an der in Anm. 1 angegebenen Stelle.
Vgl. Lausberg 1990 (Anm. 67), S. 399-401; Ueding/Steinbrink 2005 (Anm. 67), S. 285.
151 I
152 I
Vgl. Michels 1988 (Anm. 61), S. 60-62; Heinen 1996 (Anm. 61), S. 19, 186-188, Anm. 57-63 (mit der älteren Literatur); Christine Göttler: «‹Nomen mirificum›. Rubens‘ ‹Beschneidung Jesu› für den Hochaltar der Jesuitenkirche in Genua». In: Victoria von Flemming (Hrsg.): Aspekte der Gegenreformation (=Zeitsprünge. Forschungen zur Frühen Neuzeit, Sonderheft 1, 3/4), Frankfurt/M. 1997, S. 796-844, besonders S. 818-819; ds.: «‹Barocke› Inszenierung eines Renaissance-Stücks. Peter Paul Rubens‘ ‹Transfiguration› für Santissima Trinità in Mantua». In: Ds. u.a. (Hrsg.) 1998 (Anm. 61), S. 167-189, besonders S. 167-171; Valeska von Rosen: «Die Enargeia des Gemäldes. Zu einem vergessenen Inhalt des Ut-pictura-poesis und seiner Relevanz für das cinquecenteske Bildkonzept». In: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft 27, 2000, S. 171-208; Heinen 2007 (Anm. 61), S. 132-138, mit der älteren Literatur. Weitere Literaturangaben hierzu finden sich an der in Anm. 1 angegebenen Stelle.
Vgl. Scheuermann 2006 (Anm. 87), S. 64-103.
153 I
154 I
Zu gegenseitiger Bestätigung und Widerspruch zwischen visueller und verbaler Gestaltung als antagonistische Strategien visuell-verbaler Argumentation vgl. Blair 2004 (Anm. 134), S. 41-61, hier S. 47; Craig Stroupe: «Rhetoric of Irritation». In: Hill/Helmers (Hrsg.) 2004 (Anm. 99), S. 243-258, hier S. 245. Vgl. dagegen die Forderung nach Bild-Text-Redundanz bei Kroeber-Riel 1993 (Anm. 87), S. 185.
Zum ornatus in der Rhetorik vgl. Ueding/Steinbrink 2005 (Anm. 67), S. 284-328.
155 I
immer wieder reiche Nahrung gefunden156, wobei die rhetorischen und «bildrhetorischen» Figuren aber oft losgelöst von ihrer Wirkungssystematik betrachtet wurden. Auch viele Versuche, die Fülle bildrhetorischer Figuren aus der Werbung ohne unmittelbaren Bezug auf Rhetorik zu ordnen und hieraus Beispielsammlungen zur Bildgestaltung zu entwickeln157, sind mit der rhetorischen Figurenlehre bestens kompatibel.158 Die letzten beiden Produktionsstadien der Rede, die der Einprägung des Redetextes (memoria)159 und dem Vortrag der Rede selbst (actio)160 gelten, lassen sich zwar nicht direkt zu speziellen Phasen des Designprozesses parallelisieren, mögen Designern wohl aber wichtige Hinweise für ein erfolgreiches Präsentieren ihrer Entwürfe geben.161 Zudem lassen sich die Hinweise, welche die Rhetorik in diesem Zusammenhang zur Mnemotechnik und insbesondere zu bildlichen Gedächtnishilfen gibt und die auch in die mnemotechnische Tradition der abendländischen Bildkultur eingeflossen sind162, unschwer in Empfehlungen der Werbewirkungsforschung zu prägnanter, bildhafter, emotionalisierender, interaktiver, lebendiger, aktivierender, konditionierender und dafür auch redundanter Gestaltung wiederfinden.163 Anders als Redner erreichen Designer ihr Publikum nur vermittelt. Den Darlegungen der Rhetorik zum Vortrag (actio) wird man daher für Design zunächst nur den ganz allgemeinen Appell entnehmen können, bei der Gestaltung den Präsentationskontext zu bedenken, sowie einige Analogien etwa für die Gestaltung interaktiver Medien
156 I
Vgl. den Überblick bei Scheuermann 2006 (Anm. 87), 1.3, S. 20-21. Vgl. auch Bonsiepe 1965 (Anm. 87); Ehses 1984 (Anm. 99); Spang 1987 (Anm. 110), S. 77-246; Ehses 1986 (Anm. 99); Ehses/Lupton 1988 (Anm. 99), u.a. S. 9-11, 16-22; Kostelnick/Roberts 1998 (Anm. 99); Kostelnick/Hassett 2003 (Anm. 99); Joost/Scheuermann 2006 (Anm. 87), Kap. 5-6, S. 6-7; Christian Doelker: «Figuren der visuellen Rhetorik in werblichen Gesamttexten». In: Knape 2007 (Anm. 61), S. 71-112, S. 71-112; Joost 2008 (Anm. 74), S. 352. Besondere Beachtung findet dabei die rhetorische Figur der Metapher. Vgl. u.a. Hampton 1990 (Anm. 99); Gurak 1991 (Anm. 99); V. Kennedy/J. Kennedy 1993 (Anm. 99); Charles Forceville: Pictorial metaphor in advertising, London u.a. 1996; Janis Edwards und Carol K. Winkler: «Representative Form and the Visual Ideograph. The Iwo Jima Image in Editorial Cartoons». In: Quarterly Journal of Speech 83, 1997, S. 289-310; Kaplan 2005 (Anm. 99); Salome Schmid-Isler: Ästhetik im Design digitaler Produkte, s.d., s.p. (http://en.scientificcommons.org/3941, 20.12.2007; auch in: W. Wunderlich und S. Spoun (Hrsg.): Medienkultur digital, Bern u.a. 2002), Kap. 2.4, S. 13; Stuart J. Kaplan: «Visualizing Absence. The Function of Visual Metaphors in the Effort to Make a Fitting Response to 9/11». In: Garth S. Jowett und Victoria O‘Donnell (Hrsg.): Readings in Propaganda and Persuasion. New and Classic Essays, Thousand Oaks/Calif. u.a. 2006, S. 243-258.
157 I Vgl. etwa Gaede 1981 (Anm. 114); ds.: Abweichen von der Norm, München 2002; Pricken 2003 (Anm. 44); Uwe Stoklossa: Blicktricks. Eine Entdeckungsreise in die alltägliche Welt der Wahrnehmung, mit nicht alltäglichen Beispielen aus Werbung und Grafikdesign, Mainz 2005; Edward R. Tufte: Visual explanations. Images and quantities, evidence and narrative, 7. Aufl., Cheshire/Conn. 2005 (1. Aufl. 1997). 158 I
Vgl. Joost/Scheuermann 2006 (Anm. 87), Kap. 5, S. 7; mit Hinweis auf Jan Borchers: A pattern approach to interaction design, Chichester u.a. 2001; Jennifer Tidwell: Designing User Interfaces. Patterns for effective interaction design, Beijing u.a. 2006.
159 I
Vgl. Ueding/Steinbrink 2005 (Anm. 67), S. 235.
160 I
Vgl. ebd., S. 236-237.
161 I
Vgl. Joost/Scheuermann 2006 (Anm. 87), Kap. 4.2, S. 5.
162 I
Vgl. etwa Sven Georg Mieth: Giotto. Das mnemotechnische Programm der Arenakapelle in Padua, Tübingen 1991; Lina Bolzoni: «Gedächtniskunst und allegorische Bilder. Theorie und Praxis der ars memorativa in Literatur und Bildender Kunst Italiens zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert». In: Aleida Assmann (Hrsg.): Mnemosyne. Formen u. Funktionen der kulturellen Erinnerung, Frankfurt/M. 1993; Wolfgang Neuber: «Imago und Pictura. Zur Topik des Sinn-Bilds im Spannungsfeld von Ars Memorativa und Emblematik». In: Text und Bild, Bild und Text, Stuttgart 1990, S. 245-261, Abb. 101-111; Mary Carruthers: The Book of Memory. A Study of Memory in Medieval Culture, Cambridge 1990; ds.: The Craft of Thought. Meditation, Rhetoric, and the Making of Images, 400-1200, Camridge 1998; Yates 1990 (Anm. 137); Jörg Jochen Berns: Film vor dem Film. Bewegende und bewegliche Bilder als Mittel der Imaginationssteuerung in Mittelalter und Früher Neuzeit, Marburg 2000.
Vgl. etwa Kroeber-Riel 1993 (Anm. 87), u.a. S. 77-81; ds./Esch 2004 (Anm. 56), S. 258-289.
163 I
177
und den ein oder anderen Hinweis, der sich in der Mediaplanung etwa von Printmedien anwenden lässt.164 Schon die Bildtheorie der Frühen Neuzeit hat aber die Überlegungen gerade dieser Teile der Systemrhetorik zudem in der rezipientenbezogenen Präsentation virtueller anthropomorpher Akteure in Bild, Skulptur und Architektur fruchtbar zu machen verstanden. Die differenzierten Empfehlungen der Rhetorik, durch welche Darstellungsmittel der Eindruck von Glaubwürdigkeit (ethos) übermittelt wird und durch welche heftige Affekte zu rhetorischen Zielen erregt werden können (pathos), wurden in Renaissance und Barock ebenso für die Medien Bild und Skulptur reflektiert und in den Aufbau visueller, plastischer und gebauter Erzählungen, Argumente und Allegorien umgesetzt165 wie die differenzierten Anleitungen etwa Quintilians zu wirkungsvollen Mitteln der Verstärkung körperlicher Präsenz, zu Kleidung, Körperhaltung, Gestik und Mimik des Redners, zur Präsentation von Gegenständen während der Rede oder zu implizitem oder explizitem Mitwirkenlassen der realen Umgebung einer Rede.166 Auch für diese Prinzipien ließen sich in allen Sparten des Designs – nicht nur für figürliche Darstellungen etwa in der Werbegrafik, sondern auch für anthropomorph wahrnehmbares Produktdesign – unschwer Analogien finden. Neben den Produktionsstadien (partes artis) und den Phasen der Rede (partes orationis) wurden in der frühneuzeitlichen Bildtheorie und -praxis auch die Wirkungsfunktionen der Rede (officia oratoris) – das Erfreuen, Belehren und emotionale Bewegen (delectare, docere, movere) aufgenommen. Mit dieser Gliederung der Wirkungsfunktionen wurden zugleich auch die funktionale Unterscheidung von erschütternden (pathos) und sanften Gefühlsregungen (ethos), die daran orientierte Skalierung von Stilstufen sowie deren Einsatz entsprechend dem inneren und äußeren aptum übertragen.167 Unschwer lassen sich diese Prinzipien auch im Design aufzeigen – etwa in der Konzentration von highinvolvement-Werbung auf argumentierendes Belehren (docere); beziehungsweise von lowinvolvement-Werbung auf unterhaltsames Erfreuen (delectare) oder emotionalisierendes Bewegen (movere).168 Wenn heute die Homepage einer großen US-amerikanischen Design- agentur unter anderen Klassikerzitaten auch Quintilians Diktum zitiert, dass die Vollendung der Kunst darin bestehe, die Kunst zu verbergen, wird deutlich, dass sich selbst spezifisch scheinende Designideologien wie etwa Lucius Burckhardts (1925-2003) Sentenz von
178
164 I
Zur Mediaplanung vgl. Schweiger/Schrattenecker 2005 (Anm. 57), S. 279-317. Das Grundproblem des Transfers von der für die unmittelbare Kommunikation des Redners konzipierten Rhetorik auf Medienkommunikation erörtert im Kapitel «Medialrhetorik» Joachim Knape: Was ist Rhetorik?, Stuttgart 2000, besonders S. 90-106.
Vgl. etwa Michels 1988 (Anm. 61).
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Zur Bedeutung der Rhetorik für die Gestik in frühneuzeitlichen Bildern vgl. etwa Rehm 2002 (Anm. 61).Überlegungen zur grundsätzlichen Bedeutung der Berücksichtigung visueller Elemente in der actio für die Begründung einer «Bildrhetorik» schon in der Antike vgl. Kjeldsen 2003 (Anm. 78).
167 I
Zu diesen Prinzipien in der antiken Systemrhetorik vgl. Ueding/Steinbrink 2005 (Anm. 67), S. 278- 283. Für die Rezeption in der frühneuzeitlichen Kunstpraxis und -theorie vgl. Michels 1988 (Anm. 61); Heinen 1996 (Anm. 61), S. 15-16, und passim, S. 177, Anm. 3-4 (mit der älteren Literatur); de Blaauw u.a. 1998 (Anm. 61).
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Zur Übertragbarkeit dieser rhetorischen Prinzipien auf die Werbung vgl. Spang 1987 (Anm. 110), S. 7677. Zur unterschiedlichen Strategie von high- und low-involvement-Adressierungen vgl. etwa Kroeber-Riel 1993 (Anm. 87), hier S. 221-228.
1980, «Design ist unsichtbar», mit einzelnen Aspekten der antiken Rhetorik – hier der Aufforderung, die Gestaltung immer natürlich und ungekünstelt erscheinen zu lassen – verknüpfen lassen, die schon in der frühneuzeitlichen Bildtheorie und -praxis eine bedeutende Rolle spielten.169 Ethik in Rhetorik und Design Spätestens seit der römischen Antike bot Rhetorik über die Regeln zur Gestaltung einer Rede hinaus auch eine Ethik. Unter dem Leitbild des tugendhaften Menschen (vir bonus) ist die Anleitungen zur Rhetorik stets auch Anleitung zu Erziehung und Selbsterziehung. Die Verwirklichung der Rede bedeutet für die Rhetorik zunächst die Verwirklichung des Guten im Redner. Die Gestaltung der Rede und die charakterliche Bildung des Redners sieht die Rhetorik dabei in direkter Wechselwirkung. Mit dem Medium wird der Charakter des Redners geformt und umgekehrt. Die für die Wirkung einer Rede erforderliche Glaubwürdigkeit lässt sich nachhaltig nicht simulieren. Sie muss auf dem vorbildhaften Charakter des Redners und seiner Verantwortlichkeit beruhen. Nur wenn die innere und die äußere Haltung des Redners einander entsprechen, lässt sie sich nach Einsicht der antiken Rhetorik also begründen. Denn anders als der Schauspieler ist der Redner Darsteller des wirklichen Lebens und nicht dessen Nachahmer, spielt einen Charakter nicht vor, sondern formt seinen eigenen Charakter aus und bringt ihn durch die Redekunst öffentlich zur Geltung. Er handelt redend in der Wirklichkeit, in der er mit seiner Rede soziale Bindungen erzeugt, und ist für das, was er in der Wirklichkeit sagt, und für dessen Folgen in der Wirklichkeit verantwortlich. Um dieser Verantwortung gerecht zu werden, beruht die Erziehung des perfectus orator auf umfassender Bildung in allen Gebieten menschlichen Wissens.170 Dieses Ideal lebte in der frühneuzeitlichen Kunsttheorie fort, die dem Künstler empfahl, sich in allen Wissenschaften zu bilden (pictor doctus) und durch einen tugendhaften Lebenswandel auch als Person glaubwürdig zu bleiben.171 So kann die Bildung des Redners als Modell dafür dienen, wie die jüngsten designtheoretischen Forderungen nach «Designethik» oder dem «denkenden Designer»,
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LukeW Interface Designs: http://www.lukew.com/resources/quotes.asp (aufgerufen am 1.12.2007). Lucius Burckhardt: Design ist unsichtbar, Wien 1980; Helmuth Gsöllpointner u.a.: Design ist unsichtbar, Wien 1981. Zum rhetorischen Topos des «ars celare artem» und seiner Rezeption in der frühneuzeitlichen Kunsttheorie und -praxis vgl. Wolfgang Brassat: «Tragik, versteckte Kompositionskunst und Katharsis im Werk von Peter Paul Rubens». In: Ulrich Heinen und Andreas Thielemann (Hrsg.): Rubens Passioni. Kultur der Leidenschaften im Barock, Göttingen 2001, S. 41-69, hier S. 45-47; Valeska von Rosen: «Celare artem. Die Ästhetisierung eines rhetorischen Topos in der Malerei mit sichtbarer Pinselschrift». In: Pfisterer/Seidel 2003 (Anm. 61), S. 313-350.
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Vgl. zu diesem Zusammenhang Heinen 1996 (Anm. 61), S. 218, Anm. 236; Ueding/Steinbrink 2005 (Anm. 67), S. 4-6, 43-47, 54, 73, 88-91, 117-120, 142, 167, 180-181, 236; Hans Jürgen Apel und Lutz Koch (Hrsg).: Überzeugende Rede und pädagogische Wirkung. Zur Bedeutung traditioneller Rhetorik für pädagogische Theorie und Praxis, Weinheim und München 1997; Knape 2000 (Anm. 164), besonders S. 78-86. Zur Erzeugung sozialer Bindung durch Rhetorik vgl. Burke 1950 (Anm. 99), S. 22-23, 43, 211-212; Marc Fumaroli: «Rhetoric, Politics, and Society: From Italian Ciceronianism to French Classicism». In: James J. Murphy (Hrsg.): Renaissance Eloquence, London 1983, S. 268-69, hier S. 253-254; Jim Hanson: «Sociality in the Rhetorics of Kenneth Burke and Chaïm Perelman:Toward a Convergence of their Theories». In: National Communication Association Conference de Chicago en novembre 1997 (http://www.cla.purdue.edu/people/engl/dblakesley/burke/hanson.html, 28.12.2007); Knape 2000 (Anm. 164), besonders S. 84-86.
171 I
Zu diesem Zusammenhang Heinen 1996 (Anm. 61), S. 30, 217-218, Anm. 236 (mit der älteren Literatur). Hinweise auf dieses Ideal auch bei Giorgio Vasari; vgl. hierzu Wolfgang Brassat und Hubertus Kohle: Methoden-Reader Kunstgeschichte, Texte zur Methodik und Geschichte der Kunstwissenschaft, Köln 2003, S. 11 (mit weiterer Literatur).
179
der mit allerlei Bezugswissenschaften von Designtheorie vertraut sein soll172, systematisch in eine praxisorientierte Ausbildung von Designern eingebunden werden kann. Die Auseinandersetzung des Designers mit anderen Wissenschaften kann dabei allerdings nur fruchtbar werden, wenn die Erschließung dieser Wissensbestände in die formende Arbeit am jeweiligen Gestaltungsprodukt wie an der charakterlichen Selbstgestaltung integriert wird. Unter dem Leitbild der Ethik der Rhetorik wird die Designpraxis nicht in praxisferne sozialwissenschaftliche Diskurse und deren Direktiven aufgelöst, sondern integriert diese souverän in die eigene Arbeit an der Form. Eine an der Rhetorik und deren Ethik orientierte Bildung des Gestalters verbindet als charakterlicher Formungsprozess die Selbstformung des Gestalters unmittelbar mit der Formpraxis des Gestaltens. Nicht durch die Übernahme von normativen Vorschriften und Utopien irgendwelcher Bezugsdisziplinen, sondern in der gestalterischen Arbeit an der auf Kommunikation und Gebrauch gerichteten Form selbst und der mit der Erarbeitung kommunikativer Form-Inhaltsrelationen sich unmittelbar entfaltenden gestalterischen und zugleich charakterlichen Bildung kann sich eine spezifische Ethik des Designs bilden. In dem hierhin führenden Bildungsprozess wird eine analog zur Ethik der Rhetorik noch zu entwickelnde Designbildung auch begleitwissenschaftliche Forschungen zu den Sphären des Sozialen und deren Utopien einbeziehen. Sie wird diese aber nicht als normative Maßstäbe übernehmen, sondern sie in die medienspezifischen Form-, Kreativ- und Entscheidungsprozesse von Design einbinden und aus dieser Arbeit heraus fortentwickeln. Das Ziel einer analog zur Ethik der Rhetorik entwickelten Designethik ist es gerade nicht, wie Bolz es in seinem verkürzten Rhetorik- und Designverständnis ausdrückte, als «post-credible-design ... den Kunden vor allem Vertrauen, Glaubwürdigkeit und Wert» zu signalisieren, also «Glaubwürdigkeit in Form zu übersetzen».173 Es besteht vielmehr genau umgekehrt darin, in der Arbeit an der wahrnehmbaren Form die gemeinsame Quelle von Kommunikation und ethischer Bildung zu erschließen sowie in und aus diesem Formprozess soziale Bindungskräfte zu entfalten.174 téchne und Designtheorie Bei allen Analogien, die sich zwischen den Form-, Kreativ-, Konzeptund Entscheidungsprozessen verbaler, performativer und visueller Gestaltung in Rhetorik und Design zeigen, darf selbst im Zeitalter der digitalen Egalisierung aller Medien nicht übersehen werden, dass Medien-Produktion und -Rezeption stets medienspezifisch oder zumindest sinnesmodal spezifisch erfolgen. Gerade da Rhetorik eine für die Rede entwickelte Gestaltungstheorie und -praxis integriert, gerade da die Einheit von Form und Inhalt bis in die Ethik den innersten Kern der Rhetorik ausmacht und diese somit vielfältige Analogien zu Form- und Inhaltsfragen des Designs anregen kann, bleibt die Anwendung von Rhetorik auf 172 I
Vgl. Romero-Tejedor 2007 (Anm. 18), S. 52. Zur Designethik vgl. etwa Alain Findeli: «Ethics, Aesthetics, and Design. Educational issues». In: Design Issues 10.2, 1994, S. 49-68; Horst Oehlke (Hrsg.): Ethik & Design. 15. Designwissenschaftliches Kolloquium, Burg Giebichenstein, Hochschule für Kunst und Design, Halle/Saale, 1993/1994, Halle 1994; Philippe d‘Anjou: «Theoretical and methodological elements for integrating ethics as a foundation into the education of professional and design disciplines». In: Science and Engineering Ethics 10.2, 2004 , S. 211-218; David W. Orr: The nature of design : ecology, culture, and human intention, Oxford u.a. 2004. Hier hat auch die Literatur ihren Platz, auf die in Anm. 25 verwiesen wird.
Bolz 2006 (Anm. 25), S. 53.
173 I
174 I
180
Bisher fehlt eine solche «rhetorische Ethik» in der Designerbildung. Ansätze hierzu könnten sich beziehen auf den Entwurf einer aus der wahrnehmenden und produzierenden Gestaltungsarbeit selbst sich entwickelnden Ethik bei Jochen Krautz: Vom Sinn des Sichtbaren. John Bergers Ästhetik und Ethik als Impuls für die Kunstpädagogik am Beispiel der Fotografie, Hamburg 2004; vgl. auch die Rezension von Ulrich Heinen in: BDK-Mitteilungen, 4/2005, S.40-41.
die non-verbalen oder verbal/visuellen Medien des Designs grundsätzlich problematisch. Nur wenn Rhetorik popularisierend als Systematik allgemeiner persuasiver Strategien und Techniken missverstanden und Designtheorie und -praxis ebenfalls auf ihre persuasiven Aspekte reduziert werden, fällt das Analogisieren zwischen beiden leicht. Rhetorik dagegen insgesamt als epistemologische Grundlage einer praxisorientierten Designwissenschaft zu etablieren, muss letztlich an der Mediendifferenz zwischen der gesprochenen Sprache, auf die sich Rhetorik zunächst richtet und an der sie ihr Begriffsrepertoire sowie ihr System ausrichtet, und der Medienvielfalt des Designs scheitern. Da Designtheorie Begrifflichkeiten bisher aus medienunspezifischen Bezugswissenschaften wie der Psychologie, der normativen Soziologie oder dem Marketing zu übernehmen gewohnt ist, ohne Mediendifferenzen zu beachten, ist ihre Empfindlichkeit für Medienspezifität gering. Daher wird auch das epistemisch fundamentale Problem des Medientransfers rhetorischer Regeln auf non-verbale oder verbal/visuelle Medien bisher in der Designtheorie kaum thematisiert oder mittels «Medienabstraktion» für leicht lösbar gehalten.175 Die Fülle der Analogien zwischen Design und Rhetorik darf aber nicht verdecken, dass dies eben nur Analogien sind, die eine aus der Praxis und für die Praxis zu entwickelnde Designwissenschaft zwar vielfältig anregen, nicht aber eine neue Designwissenschaft wissenschaftssystematisch begründen können, die an und für eine medienspezifisch formende Praxis entwickelt werden soll. Zur Lösung dieses Problems lohnt wieder ein Blick auf die Forschung zur medienspezifischen «Bildrhetorik» der Frühen Neuzeit. Denn wie gezeigt wurde bereits in der frühneuzeitlichen Theorie und -praxis der visuellen, plastischen und bauenden Künste all das ausgeführt und reflektiert, was Designtheorie und -praxis heute unmittelbar aus der Rhetorik adaptieren möchten. Die für das Design erst jetzt theoretisch eingeholte Analogisierung von Rhetorik und visueller, plastischer sowie bauender Gestaltung war bereits in der Frühen Neuzeit geleistet. Weniger eng als die neuere Designtheorie Scheuermanns und Joosts, die bei der Suche nach historischen und systematischen Wurzeln ganz auf die antike Systemrhetorik fokussieren, kannte die frühneuzeitliche Kunsttheorie und -praxis die Vielfalt und Diskursivität der antiken Überlegungen zu Medienproduktion und -rezeption von der Poetik über die philosophische Begründung des Erhabenen bis zu antirhetorischen Wirkungstheorien. Und auch Regelsysteme, die nicht unmittelbar antiken Ursprungs waren, wurden in die lebendige Entwicklung der frühneuzeitlichen Kunsttheorie und -praxis eingebunden. Exemplarisch wird zumindest für einige dieser Felder skizziert, dass sich auch zu solchen Systemen und ihrer Bedeutung für die frühneuzeitliche Medientheorie und -praxis fruchtbare Analogien in der Designpraxis auffinden lassen. So lässt sich etwa die antike Poetik, die in der frühneuzeitlichen Kunsttheorie immer präsent war – insbesondere in ihrer Grundannahme eines imaginativ gesteigerten, vom innerlichen, alle Sinne aktivierenden Mitvollzug der Bildhandlung geprägten Bilderleben und von einem nicht topischen, sondern durch individuelles ingenium und poetischen furor geleiteten Inspirationsprozess, 175 I
Vgl. etwa Joost 2008 (Anm. 74), S. 350. Dasselbe Phänomen findet sich in der Rezeption der Rhetorik in der Kunstpädagogik (vgl. etwa Franz Billmayer: «‹ Bitte setzen› – Anregungen aus der Rhetorik für den Bildunterricht». In: bdk-Mitteilungen 2007, 4, S. 4-7.
181
der die Imagination in Gang setzt –, als Kreativmotor frühneuzeitlicher Bilderfindung identifizieren.176 In der aktuellen Designpraxis leben diese Prinzipien der Dichtkunst nicht nur im vielgescholtenen, doch unausrottbaren Mythos vom Künstlergenie fort177, sondern können durchaus konstruktiv auch das Verständnis für die designerische Kreativität und für manche Arbeits- und Persönlichkeitsstrategien begründen, die zu deren Entfaltung weiterhin nützlich sind.178 Stoisch oder dramentheoretisch begründete Strategien zur Erhabenheitserfahrung als Weg zu seelischer Entspannung – auch jenseits des bekannten rhetorisch intendierten Erhabenheitskonzepts des sogenannten Pseudo-Longinus – lassen sich sowohl in der um 1600 zu beobachtenden Darstellung erschütternder Szenen179 als auch etwa im aktuellen Gamedesign aufzeigen.180 Wie Andreas Thielemann (*1955) erkannte, wurden neben der Regelrhetorik Quintilians in einem eigentümlichen «stoischen Stil» der Malerei um 1600 zudem auch die Wirkungsmöglichkeiten einer in der stoischen Erkenntnislehre begründeten und von den Rhetorikern oftmals angegriffenen Anti-Rhetorik ausgelotet, die in der unverstellten nüchternen Präsentation der Sache selbst nicht nur eine täuschungsfreie Darstellung, sondern auch die prägnanteste und letztlich überzeugendste Wirkungsmöglichkeit entdeckte.181 Unschwer lassen sich unter dieser Prämisse auch Authentisierungsstrategien im Design wie etwa die Forderung nach «haptischen Bildern» in der Werbung, das «Pathos der Sachlichkeit» in der modernen Gestaltung, die Beschreibung einer ‹Rhetoric of Neutrality› im Informationsdesign oder sogar die neuere Interdependenz von trash und Design182 verstehen und möglicherweise – vermittelt über die frühen Naturwissenschaften und
182
176 I
Vgl. Heinen 1996 (Anm. 61), passim, besonders S. 54, 100-105; Ulrich Heinen: «Komponieren im Affekt. Vergil – Monteverdi – Rubens». In: Klaus Herding und Antje Krause-Wahl (Hrsg.): Wie sich Gefühle Ausdruck verschaffen. Emotionen in Nahsicht, Taunusstein 2007, S. 161-188. Zur Bedeutung der Poetik für die Malerei des 16. Jahrhunderts vgl. auch Brassat 2003 (Anm. 61), passim; Thomas Puttfarken: Titian and tragic painting. Aristotle‘s poetics and the rise of the modern artist, New Haven/ Conn. u.a. 2005. Auch die Systemrhetorik kommt nicht ohne Würdigung des ingensiums für die inventio aus (vgl. Lausberg 1990 [Anm. 67], S. 146).
177 I
Vgl. etwa die Selbstreflexion einer Kommunikationsdesignerin, die einen Einblick in die Selbstinszenierung als Kern des Selbstverständnisses des Agenturmilieus gibt: Judith Mair: Schluss mit lustig! Warum Leistung und Disziplin mehr bringen als emotionale Intelligenz, Teamgeist und Soft Skills, Frankfurt/M. 2002. Zum Mythos vom Designer als Künstlergenie vgl. auch B. Schneider 2005 (Anm. 26), S. 260-261. Indirekt ist diese Erwartung als Leitbild zumindest vieler Ausbildungsgänge für visuelles Design auch zu erschließen aus Volker Pecher und Uli Böckmann: Mythos Eignungsprüfung, Essen 2003.
178 I
Vgl. etwa Maxine Naylor und Ralph Ball: Form Follows Idea. An Introduction to Design Poetics, London 2005.
Vgl. Heinen 2004 (Anm. 61), S. 374-376.
179 I
180 I
Vgl. etwa Randi Gunzenhäuser: «Raum, Zeit und Körper in Actionspielen: Max Payne». In: Dichtung digital, März 2002, http://www.dichtung-digital.de, 31.12.2007.
181 I
Zur Verbindung von stoischem Stil und der neostoischen kontextualisierten Bildkultur um 1600, seinem langjährigen Forschungsprojekt, hat Andreas Thielemann öffentlich vorgetragen in: «Der stoische Modus: mentalstilistische Aspekte des Rubensschen Klassizismus», gehalten beim Symposium «Rubens – battaglie, naufragi, giuochi, amori ed altre Passioni», 11.-12.6.1999, Kunst- historisches Institut der Universität zu Köln und Wallraf-Richartz-Museum; referiert bei Ulrich Heinen. In: Ds. und Nils Büttner: Peter Paul Rubens. Barocke Leidenschaften, Braunschweig, Herzog Anton Ulrich-Museum, 8.8.-31.10.2004, Nr. 49-51, S. 234-243. Literaturangaben hierzu finden sich an der in Anm. 1 angegebenen Stelle.
182 I
Vgl. Karin Hirdina: Pathos der Sachlichkeit. Tendenzen materialistischer Ästhetik in den zwanziger Jahren, Berlin 1981; Kinross 1984 (Anm. 99). Zur Integration «haptischer Bilder» in ein – allerdings auf Manipulation zielendes – Werbekonzept sowie zu informierender Werbung vgl. Kroeber-Riel 1993 (Anm. 87), S. 47-48, 122-135; Michael G. von Dufving u.a. (Hrsg.): Trash (Ästhetik & Kommunikation 138.38), Berlin 2007.
die Direktiven der Aufklärung – gewiss auch Wertekontinuitäten bis zu einer Designethik aufzeigen, die auf Authentizität dringt. Durchaus im Einklang mit der frühneuzeitlichen Rhetorisierung der bildenden und bauenden Künste – wuchs seit etwa 1400 zudem der von Mathematik und Messtechnik geleiteten Optik und deren technischen Umsetzungen zunehmende Bedeutung für die mediale Naturnachahmung und die daraus entwickelten Strategien des Betrachterbezugs zu.183 Zeitverzögert schufen die Mathematisierung und Autonomisierung für Konstruktion und Entwurf in Baukunst und Kunstgewerbe neue Her- und Darstellungsmöglichkeiten184, die stets auch die Möglichkeiten zur Rhetorisierung der Medien steigerten. Diese Traditionslinien laufen zum einen etwa in virtual reality und image science fort, an der Schnittstelle bildgebender Verfahren zwischen naturwissenschaftlichen Messverfahren und Modellbildungen, digitaler Modellierung, Wahrnehmungspsychologie und visueller Gestaltung.185 Zum anderen verlängern sich diese Linien im technischen Produktdesign zu den Schnittstellen zwischen Konstruktionslehre, Materialwissenschaften, Ergonomie und Produktsprache.186 Vom information design bis zu digitalen Entwurfsprozessen dreidimensionalen, audiovisuellen oder interaktiven Designs gewinnen sie auf vielen Feldern des Designs immer größere Bedeutung. Bei einer epistemischen Refundierung des Designs auf der Grundlage einer umfassenden Geschichte der Gestaltung wird man daher diese unrhetorischen Traditionslinien der Gestaltung mit der Rhetorisierung der Medien sowie ihrer partiellen Autonomisierung unbedingt verbinden müssen. Neben antiken Medien- und Gestaltungstheorien wurden in der Frühen Neuzeit in Theorie und Praxis der visuellen, plastischen und bauenden Künste auch viele Bezugsfelder einbezogen, die keinen unmittelbaren antiken Bezugspunkt haben. Auch für sie lassen sich parallele Prinzipien im Design benennen: Unmittelbar aus der Praxis entwickelte Atelier- und Handwerksregeln leben in Arbeitsanleitungen für unterschiedliche
183 I
Zur Orientierung der frühneuzeitlichen Bildpraxis an der mathematisch und ingenieurwissenschaftlich fundierten Optik vgl. Frank Büttner: «Rationalisierung der Mimesis. Anfänge der konstruierten Perspektive bei Brunelleschi und Alberti». In: Andreas Kablitz und Gerhard Neumann (Hrsg.): Mimesis und Simulation, Freiburg/Br. 1998, S. 55-88. Einsichten zur fundamentalen Bedeutung der Linearperspektive für die Rhetorisierung des Mediums Bild zuletzt auch bei Heinen 2006 (Anm. 61). Weitere Literatur hierzu findet sich an der in Anm. 1 angegebenen Stelle.
184 I
Zur frühneuzeitlichen Entwicklung der konstruktiven Aspekte der Künste vgl. Joachim Kuns: Betrachtungen zur Geschichte der technischen Zeichnung, Diss. Aachen 1980; Antonio Becchi u.a. (Hrsg.): Towards a History of Construction. Dedicated to Edoardo Benvenuto, Basel u.a. 2002; ds. u.a. (Hrsg.): Essays on the history of mechanics, Basel u.a. 2003; ds. u.a. (Hrsg.): Construction History. Research Perspectives in Europe, Florenz 2004; Hermann Schlimme (Hrsg.): Practice and Science in Early Modern Italian Building. Towards an Epistemic History of Architecture, Mailand 2006; Antonio Becchi: «‹Taccia dunque la turba de gli Architetti pratici...›. Henry Wotton und der Abt von Guastalla». In: Werner Oechslin (Hrsg.): Wissensformen, Zürich 2008 (im Druck).
185 I
Vgl. etwa Sabry el Hakim (Hrsg.): Imaging and modeling for virtual reality, Amsterdam 1998 (= ISPRS Journal of Photogrammetry and Remote Sensing 53.6); Andreas Dress u.a. (Hrsg.): Visualisierung in Mathematik, Technik und Kunst. Grundlagen und Anwendungen, Braunschweig u.a. 1999; Harrison H. Barrett und Kyle J. Myers: Foundations of image science, Hoboken/NJ 2004; Jochen Schneider u.a. (Hrsg.): Computational visualistics, media informatics, and virtual communities, Wiesbaden 2003; Jörg R. J. Schirra: Foundation of computational visualistics, Wiesbaden 2005; ds.: «Computervisualistik. Die Bildwissenschaft der Informatik». In: Sachs-Hombach 2005 (Anm. 61), S. 268-280. Zur Vorgeschichte der image science u.a. in der Frühen Neuzeit vgl. auch Anna Eusterschulte: «Nachahmung der Natur. Zum Verhältnis ästhetischer und wissenschaftlicher Naturwahrnehmung in der Renaissance». In: Olaf Breidbach (Hrsg.): Natur der Äshetik – Ästhetik der Natur, Wien u.a. 1997, S. 19-53; Wolfgang Lefèvre u.a. (Hrsg.): The Power of Images in Early Modern Science, Basel 2003; Horst Bredekamp und Pablo Schneider (Hrsg.): Visuelle Argumentationen. Die Mysterien der Repräsentation und die Berechenbarkeit der Welt, München 2006.
Vgl. die oben in Anm. 19 angegebene Literatur.
186 I
183
Sparten des Designs fort. Die tradierten Konventionen des liturgischen und sonstigen religiösen Bildgebrauchs187 spiegeln sich nicht nur in manchen Ikonographien der werblichen visuellen Kommunikation188, sondern verknüpfen sich auch in vielfältiger Weise mit einem neuen Designverständnis, das Design in der technischen Epoche in seiner psychischen Entlastungsfunktion systematisch an die Stelle der Religion treten sieht.189 Und in vielen Aspekten der werblichen Kommunikation190 wirkt unverkennbar die Kultur der gewitzten Spitzfindigkeit (agutezza) fort, die sich außerhalb der Systemrhetorik sowohl an Baldassare Castigliones (1478-1529) Ideal des Hofmannes (cortegiano) als auch an der Intellektualität des Humanismus und der bürgerlichen Konversation entzündete und welche die Sinnbildkultur der Frühen Neuzeit insbesondere in Allegorie und Emblem prägte.191 Ein Bewusstsein für die Vielfalt designrelevanter Mediendiskurse, in denen sich die frühneuzeitliche Theorie und Praxis der visuellen, plastischen und bauenden Künste ausbildete, wird eine aus der Praxis und für die Praxis zu entwickelnde neue Designwissenschaft gewiss nicht auf eine an der antiken Systemrhetorik orientierte «Designrhetorik» verengen lassen. Ein neuer doktrinärer Systemzwang, der etwa das Prinzip der poetischen Inspiration ausschalten würde, nur weil sich dieses nicht auf antike Systemrhetorik zurückführen lasse192, wird nicht entstehen können, wenn man die Vielfalt der tradierten Orientierungssysteme in ihrem systematischen und historischen Zusammenhang aufsucht. Als beispielhaft kann hier neben der zwar systematischen, durchaus aber für die Vielfalt der Methoden offenen frühneuzeitlichen Bildtheorie wieder die amerikanische «visual rhetoric» gelten, die von der Gestaltpsychologie bis zu Analogien zur Dramentheorie, Erzähltheorie, Linguistik oder anderen sprach- und literaturwissenschaftlichen Konzepten für Methodenvielfalt offen ist, um die vielfältigen Phänomene visueller Kommunikation in einem weiten Verständis von «visual rhetoric» pragmatisch integrieren und systematisch verknüpfen zu können.193
187 I
Vgl. etwa Christine Göttler: Die Kunst des Fegefeuers nach der Reformation. Kirchliche Schenkungen und Almosen in Antwerpen und Bologna um 1600, Mainz 1996; Heinen 1996 (Anm. 61); Victor I. Stoichita: Das mystische Auge. Vision und Malerei im Spanien des Goldenen Zeitalters, München 1997; Ilse von zur Mühlen: Bild und Vision. Peter Paul Rubens und der Pinsel Gottes, Frankfurt/M. 1998; Luise Leinweber: Bologna nach dem Tridentinum. Private Stiftungen und Kunstaufträge im Kontext der katholischen Konfessionalisierung. Das Beispiel San Giacomo Maggiore, Hildesheim u.a. 2000; Jeffrey Chipps Smith: Sensuous Worship. Jesuits and the Art of the early Catholic Reformation in Germany, Princeton/NJ u.a. 2002; Michael Viktor Schwarz: Visuelle Medien im christlichen Kult. Fallstudien aus dem 13. bis 16. Jahrhundert, Wien u.a. 2002; David Ganz und Georg Henkel (Hrsg.): Rahmen-Diskurse. Kultbilder im konfessionellen Zeitalter Münster 2004; Joseph Imorde: Affekt- übertragung, Berlin 2004; ds.: «Fest und Verehrung der Eucharistie». In: Oliver Seiffert (Hrsg.), Panis angelorum. Das Brot der Engel. Kulturgeschichte der Hostie, Ostfildern 2004, S. 77-98; David Ganz und Thomas Lentes (Hrsg.): Die Ästhetik des Unsichtbaren. Bildtheorie und Bildgebrauch in der Vormoderne, Berlin 2004 (mehrere Beiträge zur Frühen Neuzeit); Nadja Horsch: «Sixtus V. als Kunst- betrachter? Zur Rezeption von Niccolò Circignanis Märtyrerfresken in S. Stefano Rotondo». In: Sebas- tian Schütze (Hrsg.): Kunst und ihre Betrachter in der Frühen Neuzeit. Ansichten, Standpunkte, Perspektiven, Berlin 2005, S. 65-92.
188 I
Vgl. etwa Thomas Bickelhaupt und Gerd Buschmann: «Religion in der Werbung: Verzückung und Ekstase – Kontinuität und Diskontinuität religiöser Symbolik im Vergleich einer Kraftstoff-Werbung des 20. Jhdts mit G. L. Berninis ‹Verzückung der Hl. Theresa von Avila› (17. Jhdt.)». In: Das Münster. Zeitschrift für christliche Kunst und Kunstwissenschaft 53, 2000, S. 162-170.
189 I
S.o. die in Anm. 76 genannte Literatur.
190 I
Vgl. etwa die zahlreichen Beispiele in Pricken 2001 (Anm. 44); Stoklossa 2005 (Anm. 157).
191 I
Vgl. Carsten-Peter Warncke: Symbol, Emblem, Allegorie. Die zweite Sprache der Bilder, Köln 2005.
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Joost 2008 (Anm. 74), S. 352.
193 I
184
Vgl. M. Karen Walker: «Visual Rhetoric and Major Moves in Contemporary Rhetorical Theory». In: RhetoricaLens. Literature reviews, http://www.rhetoricalens.info/index.cfm?fuseaction=category. display&category_id=55, 31.12.2007.
Bei der Adaption verbalsprachorientierter antiker Produktions- und Rezeptionstheorien hat die frühneuzeitliche Kunsttheorie nicht nur die Gemeinsamkeiten, sondern auch die Differenzen ausgelotet. Gerade weil die frühneuzeitliche Bildtheorie die elementare Medienspezifität und -differenz zwischen verbalen und non-verbalen Medien sowie den jeweils aktivierten Sinnesmodalitäten reflektierte194 und weil die Medienpraxis diese ausdrücklich thematisierte195, konnten Rhetorik und andere an der Verbalsprache ausgerichtete Produktions- und Rezeptionstheorien in der Frühen Neuzeit hohe Bedeutung für non-verbale Medien gewinnen. Denn auf sorgfältiger philologischer Grundlage hatte die humanistische Bildtheorie der Frühen Neuzeit natürlich bemerkt, dass die Rhetorik zwar eine für das Medium Wort entwickelte Anleitung und Reflexion der gesprochenen Rede bot, ihrerseits aber Beispiele, Grundprinzipien und Strukturen aus der seit dem 5. Jahrhundert v. Chr. in Griechenland entwickelten und in Hellenismus und Kaiserzeit kanonisch gewordenen Produktions- und Rezeptionstheorie und -praxis non-verbaler Medien aufgriff und fortführte. Grundlage für die Anlehnung der antiken Rhetorik an die alte griechische Kunsttheorie war die schon bei Gorgias (480-380 v. Chr.) festgestellte grundsätzliche Verwandtschaft verbalsprachlicher und visueller Medien hinsichtlich ihrer unwiderstehlichen Wirkung auf Emotionen, Urteile und Handlungen.196 Offenbar wegen der unmittelbaren Evidenz ihrer Gegenstände bot gerade die Begriffsbildung der frühen griechischen Malereitheorie der antiken Rhetorik immer wieder Bezugspunkte zur Demonstration rhetorischer Prinzipien. So konnten sich die antiken Schriften zur Rhetorik für die an visuellen, plastischen und gebauten Medien interessierten Künstler und Humanisten nicht nur als Anregung erweisen, die Systemrhetorik analogisierend auf non-verbale Medien zu übertragen, sondern vor allem als unerschöpflicher Speicher der medienspezifischen antiken Kunsttheorie und -praxis dienen. Verfasst von Philosophen sowie von Malern und Bildhauern – etwa die Abhandlung des Malers Agatharchos (Ende 5. – 1. H. 4. Jh. v. Chr.) über Bühnenmalerei, der ‹Kanon› des Polyklet (um 480 – Ende 5. Jh. v. Chr.), die Schrift Demokrits (460-371 v. Chr.) ‹Über die Farben›, die Traktate des Bildhauers und Malers Euphranor (4. Jh. v. Chr.) ‹Über die Farben› und ‹Über die Symmetria›, die von Pamphilos von Sikyon (390-350 v. Chr.) verfasste methodische Fundierung der Kunstliteratur, die Schrift des Malers Apelles (um 375 bis Ende 4. Jh. v. Chr.) über die Virtuosität, die Kunstschriften der Maler-Bildhauer Asklepiodoros (2. H. 4. Jh.), Nikias (2. H. 4. Jh.) und Xenokrates (1. V. 3. Jh. v. Chr.), der Traktat des Malers Protogenes (um 300 v. Chr.) über die Typisierung der Bildfiguren (schemata) –, waren die einst
194 I
Hierzu vgl. etwa Heinen 1996 (Anm. 61), S. 17, 182, Anm. 26.
195 I
Vgl. etwa Ernst Michalski: Die Bedeutung der ästhetischen Grenze für die Methode der Kunstgeschichte, Berlin 1932; Hans Belting: Giovanni Bellini. Pietà. Ikone und Bilderzählung in der venezianischen Malerei, Frankfurt/M. 1985; ds.: «Vom Altarbild zum autonomen Tafelbild». In: Werner Busch (Hrsg.): Funkkolleg Kunst. Eine Geschichte der Kunst im Wandel ihrer Funtionen, München und Zürich 1987, S. 155-181, hier 176-180; Didi-Huberman 1990 (Anm. 64); Hans Belting: Bild und Kult. Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst, (1. Aufl. 1990) 2. Aufl. München 1991, besonders S. 525-526, 531-532; Gerhard Wolf: «Gestörte Kreise. Zum Wahrheitsanspruch des Bildes im Zeitalter des Disegno». In: Hans-Jörg Rheinberger (Hrsg.): Räume des Wissens. Repräsentation, Codierung, Spur, Berlin 1997, S. 39-62, hier S. 35-62; Stoichita 1998 (Anm. 64); Krüger/Nova 2000 (Anm. 64); Krüger 2001 (Anm. 64); Wolf 2002 (Anm. 64); von Rosen u.a. (Hrsg.) 2003 (Anm. 64); Pfisterer 2004 (Anm. 64); Juntunen 2005 (Anm. 64). Neuerdings wird diese Fragestellung auch an spätmittelalterliche Sakralkunst herangeführt: vgl. etwa Schlie 2002 (Anm. 64).
196 I
Gorgias: Enkomion auf Helena, Vers 17-18 (Thomas Schirren und Thomas Zinsmaier: Die Sophisten. Ausgewählte Texte. Griechisch und Deutsch, Stuttgart 2003, S. 79-89, hier S. 87-89). Die fundamentale Bedeutung visueller Aspekte für die gesamte antike Systemrhetorik erfasst, ohne den Ursprung der Rhetorik in der vorsokratischen Theorie der téchnai und die starken Anleihen der Rhetorik bei der älteren Bildtheorie zu bemerken, Kjeldsen 2003 (Anm. 78).
185
zahlreichen, noch vor der Systemrhetorik entwickelten Schriften zur Kunsttheorie – abgesehen von dem bereits erwähnten Architekturtraktat Vitruvs – nämlich nur noch in den Fragmenten greifbar, die der ältere Plinius (23-79 n. Chr.) in seiner ‹Naturkunde› (um 79 n. Chr.) kompendienhaft überliefert oder die in den zahlreichen Zitaten und Hinweisen überlebt haben, die sich in den antiken Schriften zur Rhetorik finden.197 Wenn sie bei der Entwicklung der frühneuzeitlichen Kunsttheorie und -praxis die rhetorischen Schriften Ciceros oder Quintilians zur Hand nahmen, waren Künstler und Humanisten offensichtlich weniger an der Systemrhetorik als vielmehr an den mit dieser strukturgleichen Elementen oder mit dieser überlieferten Fragmenten der verlorenen medienspezifischen antiken Produktions- und Rezeptionstheorien interessiert. So spielten die antiken Schriften zur Rhetorik bezeichnenderweise kaum eine Rolle, wenn man in der frühneuzeitlichen Architekturtheorie mit Vitruvs Traktat auf eine erhaltene Ganzschrift zurückgreifen konnte.198 Noch der neueren Designtheorie insbesondere des Produktdesigns geben in dieser Tradition etwa Vitruvs Differenzierung zwischen drei Grundprinzipien der Architektur – Konstruktion (firmitas), Funktionalität (utilitas) und Schönheit (venustas) – Orientierung zur Entwicklung systematischer Planungsinstrumente zur integralen Produktentwicklung.199 Hubert Locher hat 1999 zeigen können, dass sogar die für Albertis Bildtheorie zentrale compositio-Lehre nicht etwa – wie bis dahin angenommen – aus der Rhetorik entlehnt ist, sondern dem architekturtheoretischen System Vitruvs nahesteht.200 Ähnlich hat Nadia J. Koch an einem einleuchtenden Beipiel demonstriert, dass Alberti für seinen Malereitraktat an der antiken Rhetorik eigentlich deren Rekurs auf die verlorene antike Bildtheorie interessiert: So verweisen Albertis Überlegungen zum Umriss einer Zeichnung zwar auf Ciceros Verständis der circumscriptio im Sinne von «Definition». Doch erklärt eben Cicero selbst durch den Terminus circumscriptio das Prinzip verbalsprachlicher Definition wiederum im Rekurs auf den aus der älteren Bildtheorie stammenden Begriff von circumscriptio im Sinne von «Umriss», wie er bei Plinius und in anderen antiken Quellen erhalten ist.201 Weitere Beispiele lassen sich anfügen. So liegt etwa der Ursprung des oben angesprochenen rhetorischen Topos, die Kunst – also das Hergestelltsein – solle dem Kunstwerk nicht anzu-
186
197 I
Vgl. Nadia J. Koch: Techne und Erfindung in der klassischen Malerei. Eine terminologische Untersuchung, München 2000, besonders S. 2-3.
198 I
Vgl. etwa Frank Zöllner: Kunsttheoretische Anschauungen des Quattrocento am Beispiel der Vitruv- Rezeption, Hamburg, Univ., Mag.-Schr. 1983; Stefan Schuler: Vitruv im Mittelalter. Die Rezeption von ‹De architectura› von der Antike bis in die frühe Neuzeit, Köln u.a. 1999; Hartmut Wulfram: Literarische Vitruvrezeption in Leon Battista Albertis ‹De re aedificatoria ›, München und Leipzig 2001.
199 I
Vgl. etwa: Wilkhahn 1980 (Anm. 21), S. 129-133; Schmid-Isler 2002 (Anm. 156); Siegfried Maser: Zur Philosophie gestalterischer Probleme (Beiträge zur Designtheorie 1), 4. Aufl. Wuppertal 2001 (http:// elpub.bib.uni-wuppertal.de/edocs/dokumente/fb05/vorlesung/maser/v050201.pdf, 20.12.2007), S. 38; Maser 2001 (Anm. 21), S. 170; ds.: Zur Ästhetik gestalteter Produkte (Beiträge zur Designtheorie 4), 7. Aufl. Wuppertal 2003 (http://elpub.bib.uni-wuppertal.de/edocs/dokumente/fb05/vorlesung/ maser/v050301.pdf, 20.12.2007), S. 76-77; Tönis Käo und Viktor Otte: Integrale Produktentwicklung. Konzept, Wuppertal 2007 (ungedruckt). Ohne direkten Bezug auf Vitruv entwickelt eine klare Differenzierung zwischen den ästhetischen und den funktionalen bzw. technischen Faktoren der Formentwicklung im Produktdesign bereits Herbert Edward Read: Art and Industry. Principles of industrial design, London 1934.
200 I
Hubert Locher: «Anmerkungen zur Aktualität des Theoretikers Leon Battista Alberti». In: Kurt W. Forster und Hubert Locher (Hrsg.): Theorie der Praxis. Leon Battista Alberti als Humanist und Theoretiker der bildenden Künste, Berlin 1999, S. 75-107, S. 95; vgl. Nadia J. Koch: «Die Werkstatt des Humanisten. Zur Produktionstheoretischen Betrachtungsweise der Künste in Antike und Früher Neuzeit». In: Knape 2007 (Anm. 61), S. 161-179, hier S. 165.
Vgl. ebd., S. 165-166.
201 I
sehen sein, sondern müsse kunstvoll verborgen werden, offenbar in der Aufforderung der antiken Bildtheorie, die Bildwirkung nicht durch übergroße Akribie zu beeinträchtigen.202 Sichtlich wurde dieser Topos in der Frühen Neuzeit über die antike Rhetorik in die Kunsttheorie und -praxis bloß reimportiert. Seit 2000 hat Nadia J. Koch in mehreren Studien eine aus den fragmentarischen Quellen erarbeitete komplexe Rekonstruktion der antiken Kunsttheorie begonnen203 und gezeigt, dass Poetik, Rhetorik und Malereitheorie als Ausprägungen desselben antiken produktionstheoretischen Konzeptes gemeinsam im selben sophistischen Konzept der téchne wurzeln.204 Für Werke der Kunst weist die antike Kunsttheorie entsprechend dem allgemeinen Begriff der téchne grundlegende Prinzipien auf: Wie die anderen auf praktisches Können und Wissen gerichteten téchnai ist Kunst nützlich, erbringt eine spezifische Leistung, ist in sich gegliedert und daher durch einen Sachverständigen lehrbar.205 Poetik, Rhetorik und Kunsttheorie der visuellen, plastischen und bauenden Künste ist, wie Koch betont, zudem gemein, dass sie an ihren jeweiligen Produkten Elemente identifizieren. Für die Art des Zusammenfügens dieser Elemente wird dabei jeweils zunächst eine gleichsam natürliche Ordnung identifiziert, die nach dem Prinzip der Nachahmung (imitatio naturae) erlernt werden kann. Durch regelgeleitete Veränderung und Neukombination der Elemente kann diese natürliche Ordnung (ordo naturalis) dann zugunsten einer künstlichen Ordnung (ordo artificialis) gestört werden, um gezielt Wirkungen zu erzeugen. Die dabei medienspezifisch angewandten Regeln können durch die Nachahmung von Kunstmustern (imitatio artis) erlernt werden. Mit Koch wird die frühneuzeitliche Bildtheorie und -praxis weithin wieder als Rekonstruktion der antiken Produktions- und Rezeptionstheorie aus den antiken Quellen – insbesondere Vitruv sowie die Fragmente bei Plinius und in den Schriften der Rhetorik – greifbar. Wie die antike Kunsttheorie diese Grundbestimmungen aller téchnai mit großer Praxisnähe auffächert, hat Koch in wesentlichen Grundzügen und an zahlreichen Beispielen dargelegt. Hieran anschließend hat sie demonstriert, dass die frühneuzeitliche Kunsttheorie großenteils als Rekonstruktion des nur fragmentarisch überlieferten antiken Kunstsystems aus den antiken Quellen zu lesen ist206, bei der allerdings auch andere Medienkonzepte der Antike an die Stelle der originären Konzepte der antiken Kunsttheorie treten können – etwa bei Alberti das idea-Konzept Platos an die Stelle des vorsokratischen schema-Begriffs.207
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Zu dieser Aufforderung in der antiken Kunsttheorie vgl. Koch 2000: Techne (Anm. 197), S. 61-62, 162-166.
Ebd.
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204 I
Vgl. ds.: «Schema. Zur Interferenz technischer Begriffe in Rhetorik und Kunstschriftstellerei». In: International journal of the classical tradition 6.4, 2000, S. 503-515; ds.: 2000: Techne (Anm. 197), S. 2-3, 20-21, 57-62; ds.: «Bildrhetorische Aspekte der antiken Kunsttheorie». In: Brassat 2005 (Anm. 61), S. 1-13, hier besonders S. 8-9; ds. 2007 (Anm. 200), S. 167.
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Ds. 2000: Techne (Anm. 197), S. 57-58. In diesem Sinne sind noch die Heilkunst, die Landwirtschaft und die Kriegskunst in der Liste der téchnai zu ergänzen, für die eine spezifische antike Literatur überliefert ist (vgl. ebd. S. 57).
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Ebd., u.a. S. 4-5; besonders S. 51-52, 54, 57; ds. 2000: Schema (Anm. 204); ds.: «Die Commentarii de sculptura et pictura antiquorum des Ludovicus Demntiosius». In: Scholion 4, 2006, S. 49-68; ds.: «Zur Bedeutung der Phantasia für die Rekonstruktion der klassischen Tafelmalerei». In: Ralf Biering u.a. (Hrsg.): Maiandros. Festschrift für Volkmar von Graeve, München 2006, S. 165-178; Koch 2007 (Anm. 200); angekündigt ist: Nadia J. Koch: Paradeigma. Die antike Kunstschriftstellerei und ihre Wieder- entdeckung durch Alberti und Junius.
Vgl. Koch 2000: Schema (Anm. 204).
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Von der Prozessstrukturierung über gestaltpsychologische Feststellungen bezüglich Figuren und Farben als den wirkungsbestimmenden Grundeinheiten und Elementen von bildender Kunst, über Kompositionsregeln oder Überlegungen zu medialer Präsenzwirkung, Stimmigkeit, die Berücksichtigung des Kunsturteils des Publikums im Produktionsprozess und komplexe Strategien zur Erzeugung von ästhetischen Imaginationsund Affektwirkungen bis hin zur Warnung vor zu großer Akribie und zu enger Befolgung theoretisch formulierter Gestaltungsregeln lassen sich aus den erhaltenen Fragmenten der antiken Kunsttheorie, auch ohne Zuflucht zur Systemrhetorik nehmen zu müssen, Grundzüge einer in der europäischen Geschichte der Medien verankerten systematischen Lehre der Gestaltung non-verbaler Medien ausmachen208, in deren Kontinuität noch das aktuelle globalisierte Design steht. Mit der originären, aus der Praxis der visuellen, plastischen und bauenden Gestaltung für die Praxis non-verbaler Medien formulierten antiken Gestaltungstheorie, die bisher in der Kunstgeschichte noch kaum und – abgesehen von gelegentlichen Hinweisen auf die Bedeutung der Gestaltungskategorien Nützlichkeit, Konstruktion und Schönheit (utilitas, firmitas, venustas) und der Produktionsschritte in Vitruvs Architekturtraktat209 – in der Designwissenschaft noch gar nicht wahrgenommenen wurde, erschließen sich aber nicht nur die historischen Quellen des Designs, sondern mit diesen zugleich erstmals wieder eine epistemisch in der Philosophie des zielgerichteten und regelgeleiteten menschlichen Handelns, der Technik im weitesten Sinne (téchne), begründete systematische Fundierung praxisgesättigter und praxisrelevanter Designtheorie. Auf der Grundlage einer historischen und systematischen Gestaltungstechnik (téchne) als des praxisnahen und praxisorientierten Ursprungs aller Gestaltungstheorie wird sich die Rahmenstruktur einer umfassenden medienspezifischen De- signtheorie entwickeln lassen, in deren System dann auch die vielfältigen Erfahrungen der Designpraxis und die daran anbindende praxisnahe Anleitungsliteratur ebenso wie die Einzelerkenntnisse der bisherigen designtheoretischen Ansätze – einschließlich der sogenannten «Designrhetorik» – als Anwendungs- und Experimentalfeld strukturiert eingebunden werden können. Anders als eine praxis-, gestaltungs- und medienunspezifische Orientierung an Semiotik, Psychologie oder normativer Soziologie bieten die antike Kunsttheorie und -praxis sowie deren Rekonstruktion in der frühneuzeitlichen Theorie und Praxis der visuellen, plastischen und bauenden Künste ein epistemisch gut begründetes systematisches Fundament, auf dem eine neue Designwissenschaft von der Praxis und für die Praxis historisch und kulturell reflektiert begründet werden kann. Auf diesem Weg wird Design jenseits aller designtheoretischen Allmachtsvisionen ein in der Praxis und deren kultureller Bindung gegründetes Selbstbewusstsein entwickeln können. Die neue Aufmerksamkeit für «Designrhetorik» zumindest macht Hoffnung, dass jetzt wie um 1400 ein komplexer «Designhumanismus» die Kluft zwischen Theorie und Praxis zu schließen beginnen könnte. Schlüssig wird diese Bewegung aber erst, wenn sich auch ein Rekurs auf das antike téchne-Konzept entwickelt, noch bevor sich unter der Leitung der bisherigen Designtheorie die Praxis des Designs in einer diffusen utopischen
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Vgl. u.a. dies 2000: Techne (Anm. 197), passim; zur Prozessstrukturierung vgl. ds. 2005 (Anm. 204), S. 1-13, hier S. 10; Zur Berücksichtigung der Affektwirkung vgl. ds. 2000: Techne (Anm. 197), passim 207-225; zur Warnung vor zu großer Akribie ebd. S. 162-168; zur Wirkungstheorie insgesamt vgl. ds. 2005 (Anm. 204), S. 1-13, hier S. 8-13.
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Zur grundlegenden Bedeutung Vitruvs für eine Strukturierung der Gestaltungsprinzipien im Design s.o. Anm. 199.
Anwendung normativer Soziologie auflösen soll. Um einschlägige GrundlagenforschungsLücken zu schließen und die Zukunft einer epistemisch begründeten selbständigen Praxis des Designs zu sichern, muss Designwissenschaft die nachhaltige Tragweite der in Antike und Früher Neuzeit grundgelegten differenzierten Einsichten in die epistemische und historisch-genetische Begründung des Designs entdecken. Nur wenn hierbei auch und besonders Forschungen der Archäologie, Altphilologie und Kunstgeschichte weit über nur oberflächlich vernetztes Allgemein- und Handbuchwissen hinaus210 eingebunden und gegebenenfalls auch aus den Designwissenschaften heraus vorangetrieben werden, wird dieses Projekt zugunsten einer Akademisierung des Designs und einer Pragmatisierung von Designwissenschaft gelingen können. Ob Designpraxis und -wissenschaft hierzu die Kraft haben, bleibt abzuwarten.
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Die Fluchtbewegung einer bisher epistemisch nur schwach begründeten Designtheorie in ein als «rhizomatisch» bezeichnetes, breit vernetztes, aber nur oberflächlich bleibendes Wissenschaftsverständnis kündigte sich bereits an mit der Aufnahme von Gilles Deleuze und Félix Guattari: Rhizom (1. Aufl. Berlin 1977), in: Design hören! 21 Texte zur Theorie der Gestaltung von Platon bis heute, gelesen von Peter Schweiger, Regie Buschi Luginbühl, hrsg. von Hochparterre und Institut für Theorie der Gestaltung und Kunst HGK Zürich, 2 CDs, Zürich 2004, CD 2
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Fallstudien
Angela Ndalianis
Architektur und rhetorische Inszenierung
In seinem 1934 erschienenen Werk The Life of Forms in Art (Originaltitel: «La vie des formes«) beschreibt Henri Focillon die Form in der Kunst als nicht notwendigerweise an eine bestimmte Zeit oder historische Periode gebunden. Mit Bezug auf ein politisches Traktat von Balzac definiert er: «Everything is form and life itself is form.» Für Focillon befinden sich formale Muster in der Kunst in einem kontinuierlichen Stadium der Bewegung; sie sind Ausdruck ihrer Zeit und reichen gleichzeitig darüber hinaus. Er schreibt weiter: «Form may, it is true, become formula and canon; in other words, it may be abruptly frozen into a normative type. But form is primarily a mobile life in a changing world. Its metamorphoses endlessly begin anew...» Während man das Zeitalter des Barock hauptsächlich auf das 17. Jahrhundert beziehen wird, lassen sich barocke Formen kontinuierlich, dynamisch und in unterschiedlich intensiver Präsenz über die Jahrhunderte hinweg verfolgen. Es sind diese Perioden der Intensität, die hier von besonderem Interesse sind. Im vorliegenden Text geht es um die Metamorphosen, die die barocke Form – insbesondere in der Gestaltung von Orten der Unterhaltung oder «Entertainment Destinations» – von 1920 bis 1930 und von 1990 bis zum Jahr 2000 durchlief. Dabei wird vorwiegend ein Thema im Vordergrund stehen, das oft mit der Barockkultur des 17. Jahrhunderts assoziiert wird, nämlich die Idee des teatrum mundi oder des Welttheaters. Mitte des 20. Jahrhunderts werden durch die Eröffnung von Disneyland im Jahr 1955 mit dem Themenpark erstaunliche «Trompe l’œil»-Effekte geschaffen, die die Grenze zwischen fiktiver Welt und der des Besuchers in ähnlicher Weise aufheben, wie es beispielsweise bereits im späten 17. Jahrhundert in den illusionistischen Welten der Fall war, die Andrea Pozzo für die Kuppel der Sankt Ignatius Kirche in Rom schuf. Im Themenpark betrachten wir einen «Trompe l’œil»-Effekt jedoch nicht nur aus der Ferne, sondern hier treten wir selbst in das Spektakel hinein und werden somit Teil desselben. Die Grenzen der eingesetzten Medien lösen sich auf, und wir interagieren mit ihnen: Kunst, Architektur, Malerei, Skulptur, Hydraulik, Robotik, Maschinen, Pyrotechnik und Musik. Dies reflektiert, was Deleuze als «die Einheit der Künste» bezeichnet hat: Die verschiedenen Medien kooperieren
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Focillon 1992, S. 33.
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Focillon 1992, S. 32.
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Focillon 1992, S. 44.
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und interagieren, um eine vernetzte Umgebung zu erschaffen, in der wundersame Räume entstehen, die sowohl für das Publikum als Inszenierung funktionieren, in denen aber die Besucher selbst auch zu Darstellern werden. Der Themenpark präsentiert sich als mikrokosmisches Universum, angelehnt an das barocke Konzept des «großen Welttheaters», in dem die Grenzen zwischen Welt und Theater, Wirklichkeit und Performance verwischen. Das Barock des 17. Jahrhunderts wurde wohl am intensivsten im Theater selbst umgesetzt. Mythologisch oder historisch anmutende Themen wurden zum Anlass genommen, um großartige Darbietungen interaktiver und alle Sinne ansprechender Spektakel zu inszenieren, in denen Theater und Leben durch die Verschmelzung von Inszenierung und Realität aufeinanderprallten. Bernini zum Beispiel befasste sich mit dem Thema der Aufhebung des «Unterschieds zwischen Leben und Theater». Neben inszenierten Multimedia-Spektakeln wie Die Verzückung der Heiligen Teresa schuf er Produktionen wie beispielsweise Mars und Merkur (1628 zur Einweihung des Teatro Farnese in Parma aufgeführt), die über die Grenze der Bühne hinaus in den Zuschauerraum hineinreichten. Die Aufführung endete damit, dass der Bühnenvorraum gänzlich geflutet wurde, während Soldaten nicht nur auf der Bühne, sondern auch auf den Zuschauerrängen miteinander kämpften und somit das Publikum in die Vorstellung einbezogen. Das barocke Vergnügen am inszenierten Spektakel ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass das Theater in den sozialen Raum vordrang. Öffentliche Plätze, wie die Piazza del Popolo mit ihren Zwillingskirchen Santa Maria dei Miracoli (1681) und Santa Maria in Montesanto (1679), deren Bau von Carlo Rainaldi begonnen und von Bernini und Carlo Fontana vollendet wurde, definieren nicht nur den Punkt, von dem die drei Straßen – Via del Corso, Via del Babuino und Via di Ripetta – abzweigen, vielmehr ist diese Abzweigung ganz bewusst theatralisch gestaltet und transformiert somit die Stadtarchitektur zum Bühnenbild. Hier wird die Piazza zum Zuschauerraum, von dem aus das Publikum das sich vor ihm entfaltende Schauspiel betrachten kann; sie wird also zum Raum, der zur Aufhebung der Grenzen zwischen jenen beiden Bereichen auffordert. Bühne und Zuschauerraum werden eins, sie fließen ineinander, Inszenierung und Realität verschmelzen und schaffen so Event-Räume, die von Spektakel und Performance geprägt sind. Die berühmten Paläste, Kirchen und Plätze des Barock waren als Monumente der Größe ihrer aristokratischen Schirmherren errichtet worden. Im 20. und 21. Jahrhundert sind es die Unterhaltungspaläste, die zu Denkmälern internationaler Großkonzerne wie Universal Studios, Warner Brothers und Disney Corporation werden. Die Filmund Unterhaltungsindustrie hat sich die Metaphern und Methoden zur Publikumseinbindung angeeignet, die bereits vor dem 20. Jahrhundert zur Blütezeit architektonischer Kultur in Kirche und Aristokratie Anwendung fanden. Anstatt beim Themenpark selbst zu verweilen, möchte ich mich nun einer Form zuwenden, die den Themenpark beeinflusst hat, nämlich dem Filmpalast, und darüber hinaus einem im Entstehen begriffenen urbanen Raum, den ich durch allgemein bekannte architektonische Entwürfe und urbane Entertainment Destinations umreißen werde. Er hat den Themenpark und dessen Interpretation von Performance und Theater in einen weiter gesteckten sozialen Raum hineingetragen. Das frühe Kino von 1890 bis zur
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Molinari 1968, S. 149.
Mitte der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts baute ganz wesentlich auf diese reiche visuelle Kultur, was sich unter anderem in seiner barocken und durchaus ambivalenten Faszination an der technologischen Leistung ausdrückte. Der Film konnte fantastische Welten zum Leben erwecken (wie zum Beispiel die Filme von Georges Méliès), jedoch war jene Wundertechnik ganz eindeutig ein Kind der Wissenschaft und des Verstandes. Bis zu diesem Punkt in der Filmgeschichte – und im Gegensatz zu Berninis Heiliger Teresa oder Pozzos Sankt Ignatius – hatte dem Film jeglicher barocke, räumliche Kontext von Kirche, Palast oder Piazza gefehlt. Die Show beginnt auf der Straße In den USA war es dann die junge Filmindustrie, die mit barockem Flair und Monumentalität liebäugelte und diese in den öffentlichen Raum stellte. Dafür stehen die Inszenierungen großer Hollywood-Epen wie Griffiths Intolerance (1926), von Stroheims «Queen Kelly» (1928) und Cecil B. De Milles «Ben Hur» und «Die Zehn Gebote», die die spektakuläre Herrlichkeit des barocken Stils rezitierten, dafür stehen aber auch die FilmSets und Produktionen, die sich zunehmend in den Stadtbereich verlagerten. Um 1920 holten der «visuelle Reichtum der Filmkultur» und der Erfolg des Star-Systems den Glamour und die Fantasiewelt des Films von der Leinwand in das Privatleben der Stars und den öffentlichen Raum, den diese besetzten. Die Filmkultur begünstigte eine Atmosphäre, in der barocke Formen im städtischen Raum Einzug halten konnten. Es entfaltete sich eine barocke Opulenz, wie man sie seit dem 17. und 18. Jahrhundert nicht mehr gesehen hatte, und der sogenannte «Hollywood-Stil» war geboren. Neben den neuen Hollywood-Villen der Filmmogule und Stars, die sich ausdrücklich am Stil europäischer Adelspaläste im 17. Jahrhundert orientierten, brachten die neuen Filmpaläste eine wahrhaft barocke Ästhetik in das Stadtleben der westlichen Welt. Die Filmstars und Filmmogule waren die neuen Monarchen, sie versicherten sich ihrer Macht und überirdisch anmutenden Aura durch eine barocke visuelle Pracht, die nicht nur in ihren palastartigen Behausungen zum Ausdruck kam, sondern vor allem auch in den öffentlichen Huldigungsräumen, die für ihr Publikum geschaffen wurden. Um es mit den Worten von S. Charles Lee zu sagen, der über 400 Filmpaläste gestaltete: «Die Show startete jetzt schon auf der Straße.» Ins Kino zu gehen bedeutete, sich auf eine alle Sinne einnehmende Erfahrung einzulassen. Hier war die neue Religion – Räume, die alternative und fantastische Realitäten heraufbeschworen und sowohl durch die Filmtechnologie als auch durch deren neue Volkspaläste erst ermöglicht wurden. Dies waren Plätze der Verzückung und der Intensität, in denen das Publikum den Alltag hinter sich lassen konnte. Die barocken Theater, Piazzas, Kirchen und Paläste, gestaltet als üppige Inszenierungsräume, die dem Vergnügen der Aristokratie, des Klerus und der bürgerlichen Elite dienen sollten und die visuelle Effekte einsetzten, um das Publikum zu entzücken, wurden zu Anfang des 20. Jahrhunderts zu Palästen und Kirchen für das Volk. Auch die von Religion und Ermächtigung besetzten Themen, die im 17. Jahrhundert so beliebt
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Calloway 1994, S. 52-59.
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Calloway 1994, S. 56.
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Das Originalzitat von Lee lautet: «Die Show beginnt auf der Straße.» Siehe Silverman 1997, S. 10.
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waren, kehrten wieder zurück. Gekrönt von riesigen elektrischen Anzeigetafeln, die die Titel der Filme wie gigantische Signalfeuer erstrahlen ließen, wurden diese Paläste zu Symbolen der Kultiviertheit und eines neuen kosmopolitischen Selbstbewusstseins. Zu den wichtigsten Architekten, die sich auf die Gestaltung von Filmpalästen für die großen Studios (wie Paramount, Loews, Fox) spezialisiert hatten, gehörten unter anderen John Eberson, Rapp & Rapp, Thomas Lamb und Charles Lee. Der Architekt John Eberson entwarf «atmosphärische Theater», zu denen auch das Tampa Theater in Florida gehörte. Mitte der zwanziger Jahre entwickelte er das «Stars and Clouds»-Schema, eines der Mittel, die er in seinen atmosphärischen Theatern einsetzte. Durch die Simulierung von Außenszenarien schien sich der Zuschauerraum in einen «Himmel» zu öffnen, der von punktförmigem Sternenlicht angestrahlt wurde – ein Effekt, der zeitgenössischen Las-Vegas-Designs in nichts nachstand. Viele behaupteten damals, demokratische Freizeiträume zu schaffen, was John Eberson folgendermaßen ausdrückte: «Here we find ourselves today creating and building super-cinemas of enormous capacities excelling in splendor, in luxury, and in furnishings of the most palatial homes of princes and crowned kings for and on behalf of His Excellency – the American Citizen.» Aus Anlass der Eröffnung des Fox Theaters in San Francisco (das 1963 zerstört wurde), fand sich folgende Proklamation in einer Werbeanzeige: «Was haben Sie über das neue Fox Theater gehört? ... Was immer es auch sein mag – es hat tausendmal mehr zu bieten. Wenn Sie durch das große Portal ins riesige Pracht-Foyer treten, werden Sie ausrufen: ‹Ist das ein Theater oder ein Königspalast?› Alle Sorgen schwinden, und das Leben wird zu einem Traum von atemberaubender Schönheit, wunderbaren Farben, betäubender Musik und bewegten Bildern, die die Zeit wie im Flug vergehen lassen. Spazieren Sie durch die geräumigen Flure und schönen Hallen. Lauschen Sie der Musik im großen Saal, in dem ihre Füße auf luxuriösen Teppichen ruhen, die so wunderbar sind wie seltene Museumsstücke. König Ludwig XVI. hatte es nicht besser. Genießen Sie es heute, morgen, nächste Woche. Seien Sie König für einen Tag!»10 Der Unternehmer Samuel L. Rothapfel, besser bekannt unter dem Namen «Roxy», sollte einen tiefgreifenden Einfluss auf die Gestaltung von Filmtheatern haben. Zur Zeit seiner Eröffnung im Jahr 1927 wurde das New Yorker Roxy (das 6000 Menschen fasste, 12 Millionen Dollar kostete und von Walter Ahlschlager entworfen wurde) in einer Werbeanzeige in der Weekly Review als «Cathedral of Motion Pictures» (Abbildung 1) gepriesen.11 Die sakrale und wundersame Terminologie und Symbolik des Barock waren zurückgekehrt. Ob Paläste oder Kathedralen – hier waren die neuen Tempel der Unterhaltung. Im barocken Spektakel wird der Betrachter direkt angesprochen durch das, was Deleuze als «die Verführung der Sinne» bezeichnet. Dies traf insbesondere auch auf die Ära der großen Filmpaläste zu. Mit den Illusionen, die in diesen Räumen produziert wurden, versuchte man, so viele Sinne wie nur möglich zu verpflichten, um das
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Siehe Naylor 1987, S. 23.
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Zitiert in Jones 2003, S. 20.
10
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In Kaufmann 1979, S. 97.
11
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Nachdruck, Hall 1961.
Abbildung 1 Titelblatt des Magazins Weekly Review von 1927, in dem das New Yorker Roxy Theater als «Die Kathedrale des Films« vorgestellt wird.
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Publikum zu faszinieren. Das von Roxy 1918 in New York errichtete Rivoli, das mit Douglas Fairbanks’ A Modern Musketeer eröffnete, sollte die Filmindustrie revolutionieren. Neben einem 50 Mann starken Orchester, das vor und während der Vorstellung spielte, gab es Farbsinfonien, die jeden Winkel des Innenraums vom Boden bis zur Kuppel ausleuchteten, und versteckte Leuchten, die den Zuschauerraum mit einer Flut von Farben erfüllen konnten. Doch wurde das Publikum nicht nur mit visuellen und akustischen Eindrücken bombardiert, neben Speisen und Getränken führte Roxy auch Düfte ein. Er entwickelte einen neuen Kompressor, der mit einem komplexen System von Zerstäubern arbeitete. Die Motion Picture News von 1918 schrieb dazu: «Delicate odor can be wafted to any part of the house, such as incense for oriental scenes, clover and new mown hay when the setting reveals a country landscape at dusk, or any of the myriads of other combinations that may be suggested by the pictures being shown. Tentative experiments with perfume at the Rialto led to the installation of the fine new plant which promises a permanent innovation in pictures.»12 Das Los Angeles Filmtheater (Abbildung 2) war S. Charles Lees Miniatur-Versailles. Es wurde am 30. Januar 1931 mit der Premiere von Charlie Chaplins City Lights eröffnet. Das Theater verfügte über 2200 Sitzplätze und zählte zu Lees «barocker Filmtheater-Periode»13. Es enthielt unter anderem elektrische Indikatoren zur Anzeige freier Sitzplätze, Bodenbeleuchtung zur Orientierung, schallgedämmte «crying rooms» für Babys, die Besucher vor Belästigungen dieser Art schützen sollten, und eine Damentoilette mit 16 Einzelkabinen und einem periskopähnlichen Prisma, das den Film auf eine zweite Leinwand in der Toilette projizierte. Was den Effekt angeht, so bewirkten die auf diese Weise gestalteten Erlebnisräume Staunen, Vergnügen, Genuss und einen Angriff auf die Sinne von nahe-zu spiritueller Dimension, vergleichbar mit dem Gefühl beim Betrachten der Kuppel des Petersdoms zu Rom. Das Publikum bewunderte die fachliche Kompetenz, die zur Umsetzung dieser architektonischen Visionen gehörte. Obwohl in den Filmpalästen historische Architekturstile ganz bewusst zitiert wurden, galten diese Bauten gleichzeitig als Beispiele innovativer Technologie und neuester Konstruktionsverfahren, worin sie wiederum den barocken Theatern ähnelten. Die Filmpaläste stellten nicht nur gigantische Stahlkonstruktionen dar, sie führten gleichzeitig die neuesten Möglichkeiten der Elektrizität vor. Ihre Fassaden wurden von Tausenden von Lichtern erleuchtet, die den Gebäuden eine nahezu magische, überirdische Qualität verliehen und die Besucher aus dem Alltag in eine andere Welt entführten. Im Inneren sorgten weitere Tausende Leuchten für ausgeklügelte Effekte und Stimmungen (in einem der Warner Brothers Kinos befanden sich zum Beispiel über 25.000 elektrische Kontakte). Mit Elektrizität wurden auch die neuartigen Aufzüge betrieben sowie die gigantischen Kühlsysteme, die die Innovation des Air-Conditioning in die Kinos brachten.14 Durch die bald darauf einsetzende Weltwirtschaftskrise wurden diese riesigen Unterhaltungspaläste und -kathedralen jedoch unrentabel; die meisten wurden geschlossen und in den 60erund 70er-Jahren abgerissen, um Platz zu schaffen für Parkplätze und Einkaufszentren. Doch
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Siehe «Rivoli Opening Sets New Mark», Motion Picture News, Vol.XVII, Nr.1, 5 Jan.1918, S. 65. In einer Werbeanzeige für das Rivoli in derselben Ausgabe heißt es: «The Grandest, the Most Magnificent Temple Ever Erected to the Cinema GOD.»
Hierbei handelt es sich um eine Kopie des legendären «verlorenen» Fox Theaters in San Francisco.
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Für weitere Informationen zu den Filmpalästen und dem Los Angeles Theater siehe: Silverman 1997, S. 12-13.
Abbildung 2 Die Lobby des Los Angeles Theatre, entworfen von S. Charles Lee and Samuel Tilden Norton als «Miniatur-Versailles»
solange sie existierten, gelang es diesen Volkskathedralen, ihr Publikum – wenn auch nur für kurze Zeit – in ihre magischen Welten einzubinden. Das Kino hat sich oft einer barocken Bildsprache bedient, um wundersame Spektakel durch technologische Mittel zu erschaffen. In den 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts zum Beispiel gab es mit den neuen Widescreen-3D-Surround-Sound-Systemen und anderen invasiven Filmtechnologien und Unterhaltungsräumen einen erneuten Versuch, diese Leidenschaft wiederzubeleben, indem die Grenzen durch noch intensivere Inszenierungen aufgehoben werden sollten. Jedoch war dies durch die ökonomische Situation der Zeit zum Scheitern verurteilt.15 In diesem Fall war es nicht so sehr die Architektur, sondern vielmehr die Technologie, die erstaunliche Spektakel hervorbrachte. Eine noch nachdrücklichere Explosion des Barocken – noch durchdringender und noch kanonisierter als die der Filmpaläste – findet jedoch, so glaube ich, in unserer Gegenwart statt. Unsere Unterhaltungsmedien und -räume haben unser Erleben des Barocken auf eine nachhaltige Art und Weise erweitert, die durch eine ökonomische und kulturelle Infrastruktur gestützt wird. Heutzutage finden wir die neo-barocke Inszenierung des Raums in zahlreichen Beispielen aus der Unterhaltungskultur wieder – in SpecialEffects-Filmen, Computerspielen, Themenparks und den darin enthaltenen Attraktionen. Doch vom Gesichtspunkt der urbanen und architektonischen Entwicklung aus konnte man die Entstehung dieses Trends bereits Mitte der 90er-Jahre beobachten. Einer seiner wichtigsten Vertreter ist der in Los Angeles ansässige Architekt Jon Jerde. Er versteht sich als Dirigent, der, wie er es ausdrückt, die Komposition des urbanen Raums orchestriert. Er wird als der Wegbereiter des «Entertainment Designs» oder des Designs von urbanen Entertainment Destinations verstanden. Die kreativen und technologischen Errungenschaften der Unterhaltungskultur sind nicht mehr allein im Kino und auf der Straße vor dem Filmpalast
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Für eine tiefgreifende Analyse der in den 50er-Jahren herrschenden Faszination mit invasiven cinema- tischen Erlebnissen siehe: Belton 1992.
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zu finden, sondern sie sind nunmehr tief in den städtischen Raum eingedrungen. Architektur, Medientechnologie und Dramaturgie vereinen sich zur «Erlebnis»-Architektur und erschaffen, was Jerde als «event-places» bezeichnet. In diesen Projekten wird fortgesetzt, was damals in Hollywood begann, nämlich die Gestaltung von Orten, die zur Inszenierung von Erlebnissen dienen und uns den Alltag vergessen lassen sollen, indem sie unsere Emotionen ansprechen. Jerde beschäftigt sich insbesondere damit, wie Menschen durch die moderne Stadtplanung und -gestaltung von der Stadt als Ganzes abgetrennt werden. Er sieht die Stadt als zerklüftetes urbanes Gefilde, umringt von Vorstadtbezirken, in dem jegliches Gemeinschaftserlebnis verloren gegangen ist. Jedoch versteht Jerde dieses Gemeinschaftserlebnis als gestaltbar.16 Die Entstehung von Städten wie Rom oder Tokio mag Hunderte oder gar Tausende von Jahren gebraucht haben, doch glaubt Jerde, dass dieser Prozess beschleunigt werden kann, indem man ein «Film-Set» kreiert, in welchem man dann eine Gesellschaft – oder in Jerdes Worten «instant worlds» – entstehen lässt. Für Jerde (wie auch zuvor für Disney) bedeutet Architektur, eine urbane Inszenierung als bewusste Erschaffung kommunaler Urbanität zu gestalten. Die Grenzen des Disney-Parks lösen sich auf, und der Architekt wird zum Filmdirektor. In Anlehnung an die bel composto oder Einheit der Künste im Barock des 17. Jahrhunderts17 fungiert Jerde als Regisseur, wobei die eigentliche Produktion von spezialisierten Teams abhängt und – ähnlich wie bei der Produktion eines Blockbusters – eine Reihe anderer Firmen und Professionen beschäftigen kann (Ingenieure, Designer, Landschaftsgestalter, Einzelhandelsfirmen, Special Effects und dergleichen). Die Architektur als Film-Set inszeniert einen Raum, in dem Gemeinschaftsmitglieder als Darsteller verstanden werden. Darüber hinaus ist der gesamte urbane Raum mit Monitoren jeglicher Größe übersät: von riesigen Anzeigetafeln an Gebäudefassaden über Monitore in Geschäften und Kinos bis hin zu den portablen Formen von Handy und PDA, die wir mit uns herumtragen. Nun wird Sozialität selbst zur Performance. Dazu sagt Jerde: «We realized that the shopping center was the last place left where American communal life existed»18, und somit begann er, das Einkaufscenter in einen neo-barocken Raum umzugestalten. Das Horton Plaza im Zentrum von San Diego (1985) war das erste städtische Einkaufs- und Unterhaltungszentrum, das die gängige Typologie eines solchen Ortes revolutionierte, indem hier ein Raum geschaffen wurde, der ein alterndes und unbeliebtes Stadtzentrum wieder zum Leben erweckte.19 Das Horton Plaza umfasst 4,5 Millionen Quadratmeter. Das aus sechs Gebäudekomplexen bestehende Areal beherbergt Fachgeschäfte und Restaurants, einen Kinokomplex, ein Hotel sowie Büros und ein Freiluft-Theater. In seiner ausgesprochen theatralischen Gestaltung erfährt hier die Inszenierung des Konsumerlebnisses ein zuvor noch nicht dagewesenes Maß an Fantasie und Üppigkeit. Jerde bezeichnet das Horton Plaza als einen urbanen Themenpark, und er verdichtet hier – wie im Themenpark selbst –Repräsentationen von Urbanität aus unterschiedlichen Zeiten und Welten und stellt diese einander gegenüber. Im Horton Plaza wird Jerdes Vorliebe für Zitate früherer architektonischer Formen deutlich, insbesondere für die der italienischen
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Mehr zum Thema zeitgenössischer barocker Unterhaltungsformen findet sich in Ndalianis 2004.
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Jerde 1998, S. 9.
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Jerde, 1998, S. 9.
Jerde 1998, S. 7.
Gebirgsstadt und für venezianische, toskanische und orientalische Motive und Bauweisen. Durch die virtuose Darbietung intertextueller Revision, die die Arbeit des Architekten als Gestalter betont, schuf Jerde in der Tat ein Welttheater, indem er Teile der Welt (Toskana, Venedig etc.) in den Mikrokosmos dieser Entertainment Destination holte. Diese Orte, die Versatzstücke aus allen Teilen der Welt zusammenbringen, werden zu Plätzen der sensorischen Überflutung: von Bild- und Klanglandschaften, Werbedisplays, Film- und Musikveranstaltungen bis hin zu den Gerüchen der Lebensmittelabteilungen und Restaurants sowie der Haptik und der Textur von Nahrungsmitteln, Skulpturen und anderen Waren. Ähnlich einer Wunderkammer, die die Weltwunder in Miniaturformat enthält, präsentiert die urbane Entertainment Destination eine Inszenierung, die einer virtuosen Performance gleichkommt. Ursprünglich entstanden im Kalifornien der 90er-Jahre, findet man diese urbanen Entertainment Destinations mittlerweile in aller Welt. Viele der großen internationalen Architekturbüros bieten seit den 90er-Jahren auch Entertainment Design an und verfügen über Projektteams, die unter anderem aus Filmproduktionsfirmen und kleinen Designbüros bestehen. Das Welttheater wird heutzutage von einer komplexen ökonomischen Infrastruktur unterstützt. Der Universal CityWalk in Los Angeles wurde 1993/94 eröffnet und demonstriert ebenfalls Jerdes Vorliebe für Collagen aus Bildern und Symbolen von Städten aus aller Welt – in diesem Fall von Los Angeles. Dadurch werden diese öffentlichen Räume zu Inszenierungen der Stadt im Kleinformat. Im Universal CityWalk kommt einer der gestalterischen Hauptaspekte von Entertainment Destinations zum Tragen, nämlich das strategische Design einer Erlebnislandschaft. Im Universal City Komplex finden sich die Studios selbst, Universals Hauptgeschäftsstelle, der Universal Tour- und Themenpark, ein Einkaufszentrum, Hotels, Restaurants und andere gastronomische Betriebe, Unterhaltungsmöglichkeiten wie zum Beispiel ein Mega-Kinokomplex und Nightclubs. Jede dieser Erlebniswelten verfügt über eine ihr eigene Art, die Sinne der Besucher und Besucherinnen beschäftigt zu halten. Die Vielfalt an Einkaufs- und Unterhaltungsmöglichkeiten wird durch ein Netz von Fußwegen und Straßen verbunden, das dem Bild des italienischen «Bergdorfes» nachempfunden ist. Auf der Basis dieses historischen Bildes hat Jerde eine spektakuläre Mikropolis innerhalb der Metropolis von Los Angeles geschaffen, die der Unterhaltung dient. Man könnte auch sagen, dass Universal City ein Theaterstück darstellt, das Teil des Stücks über Los Angeles ist. Hier ist die Architektur zur Filmproduktion geworden, unter Schaffung eines Ortes, an dem die Bürger zu Darstellern werden, die – wie Jerde es ausdrückt – den Raum als Drehbuch schreiben, wobei die Mise en scène bereits vorgegeben ist. Die Wände der Filmpaläste sind gefallen, und die Fantasien und magischen Welten, die sie anzubieten hatten, sind weiter in den urbanen Raum vorgedrungen. Und ebenso wie zuvor in den Filmpalästen werden die Spektakel, die von diesen Entertainment Destinations angeboten werden, durch die gleichen Technologien ermöglicht, die in Unterhaltungsmedien wie Filmen, Computer-Spielen, Film-Sets und Themenparks eingesetzt werden. Unter Verwendung neuester Technologie werden die Darsteller/Konsu-
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menten, die diese Unterhaltungsräume bewohnen, verführt. Dies wird besonders deutlich in Jerdes Neugestaltung der Freemont Street Experience in Las Vegas (1995), die eine klare Verbindung zum Hollywood-Stil und des damit verbundenen multimedialen Erlebnisses aufweist. Diese Zone umfasst vier Blöcke der Altstadt von Las Vegas, ist 600 Meter lang, 30 Meter breit und 30 Meter hoch. Die Straßenzüge werden durch eine enorme Überdachung verbunden – ein Himmel aus 2,1 Millionen Lichtern, die in die Oberfläche des Gerüsts eingelassen sind. Mit Hilfe von 32 Computern wird eine Filmshow auf diese Kuppel projiziert, die mehrmals pro Nacht für die Zuschauer unten auf der Straße ausgestrahlt wird. Ein 440.000Watt-Sound-System mit 160 Lautsprechern vervollkommnet das Himmelsspektakel und bringt die Menge zum Staunen. Der geläufige Spitzname für die Freemont Experience-Kuppel scheint hier mehr als angemessen: «celestial vault»20. Mit der Freemont Street Experience kamen eine urbane Inszenierung und ein neues sensorisches Erlebnis ins Zentrum von Las Vegas, die – um es mit Deleuze zu sagen – die barocke Verführung der Sinne wieder auferstehen lassen. «As the world becomes more virtual, we reinforce the visceral», sagt Jerde, und er fährt fort: «We use the language of the globe to reinforce primary relationships between humans», und «rich, experiential places that inspire and engage the human spirit». Darüber hinaus erklärt er: «Architects have, for the most part, been entranced by the static object to the detriment of the movable experience. What we do is design time.»21 Im «celestial vault» können wir dies nachempfinden, während wir uns durch den Raum bewegen, der sich ebenfalls bewegt, und wir somit unsere eigene Erlebniswelt schaffen und unsere persönlichen Eindrücke gestalten können. Wir ersetzen sowohl die Kamera als auch die Darsteller, wenn wir uns durch diese technologisch inszenierten Räume bewegen – während die Überwachungskameras ihre eigene Performance darbieten, indem sie wiederum uns beobachten in diesem vielschichtigen Spektakel, das zum Theaterstück im Theaterstück wird. Jerde International wurde von Steve Wynn damit beauftragt, das Bellagio als «the world’s finest» Hotelkasino zu gestalten. Das 1,9 Milliarden teure Bellagio (das an einen knapp 45.000 Quadratmeter großen, künstlichen See gebaut wurde, auf dem ehemaligen Standort des legendären Dunes Hotels) wurde im Oktober 1998 eröffnet (und gehört mittlerweile MGM), doch sein faszinierendstes Spektakel befindet sich auf Straßenebene. Alle 15 oder 30 Minuten wird das Publikum dazu aufgefordert, sich an den See vor dem Hotelkasino zu begeben, wo sodann Wasserfontänen aufschießen, die zu den Klängen von Frank Sinatras Lady Luck, Gene Kellys Singin’ in the Rain oder Andrea Boccellis Con te partirò tanzen. Dieses Schauspiel wird inszeniert, um die Zuschauer und Zuschauerinnen zu verleiten, von der Straße auf die Bühne des Kasinos zu treten (und dort zu Darstellern zu werden) – ein Hotelkasino, dessen Fassade italienischen Villen nachempfunden ist, insbesondere denen, die am Comer See zu finden sind. In seinem zum Nachdenken anregenden Buch Wonder, the Rainbow, and the Aesthetics of Rare Experiences erforscht Philip Fisher die Fähigkeit der modernen Kunst von Claude Monet bis Jackson Pollock, uns ins Staunen zu versetzen. Er reist zurück ins 17. Jahrhundert, einer Zeit, die reich an «ungewöhnlichen Erlebnissen» ist. Indem er eine
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Jerde 1998, S. 9.
Abbildung 3 Bellagio Las Vegas
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wichtige Unterscheidung zwischen dem Wundersamen und dem Erhabenen trifft, erklärt er, dass beide Erlebnisarten auf dem Visuellen beruhen und auf der «Ästhetik ungewöhnlicher Erlebnisse», die zum Nicht-Alltäglichen gehören.22 Das Erhabene verwickelt die Sinne in Empfindungen von Staunen, Macht und Gefahr, indem es die ultimative »Ästhetisierung der Gefahr» produziert, wohingegen das Wundersame mit der Ästhetisierung von Genuss und Vergnügen assoziiert ist. Fisher schreibt dazu: «The aesthetics of wonder has to do with a border between sensation and thought, between aesthetics and science.»23 Er erklärt, dass die englischen Definitionen des Wortes «wonder» einerseits Interrogation signifizieren («I wonder why?»), mit der Folgerung «the activity of sciences in so far as science is the power to notice and put in question, rather than the power to answer», als auch Exklamation, was die Verbindung mit Neugier konnotiert, aber auch «the aesthetic sense of admiration, delight in the qualities of a thing»24. In beiden Fällen weist Fisher auf die thaumatologischen Konnotationen der Begriffe und bezieht sich insbesondere auf die «science of wonders and miracles», die in den Wunderkammern und Kollektionen des 16. und 17. Jahrhunderts zuhause war. Wie Descartes in seinem Bericht über die Methode behauptet, entsteht Wunder («l’admiration») durch unsere Beziehung zur sichtbaren Welt, in der ein Objekt unerwartet und unmittelbar zum ersten Mal erblickt wird.25 Das Vergnügen und die sensorischen Eindrücke, die wir empfinden, wenn wir mit einem ungewöhnlichen Erlebnis konfrontiert werden, sind entscheidend in unserem Erleben dieser neo-barocken Räume voller technologischer und theatralischer Wunder. Die durch diese Räume angebotenen vielfältigen Eindrücke und sensorischen Empfindungen wiederum multiplizieren das außergewöhnliche Erlebnis. Der Betrachter wechselt auf eine intellektuelle Ebene, wenn die wundersamen und nahezu mythischen Erlebnisse genauer untersucht und ihre Geheimnisse hinterfragt werden. Careri argumentiert, dass der Effekt des bel composto auf die Betrachterin dem einer «montage consisting of a series of progressions or leaps from one component of the composto to another»26 entspricht. Wenn wir als Zuschauerin/Konsument/Lokus des Sehens unsere Position verändern, um uns noch einen weiteren Blickwinkel zu eröffnen, erzeugt jede Veränderung des Anblicks eine Verlagerung in der sensorischen Empfindung und somit eine Folge an ungewöhnlichen Erlebnissen, die die Virtuosität des Künstler-Architekten und die Zentralität des Betrachters als Darsteller bestätigen.
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Fisher 1998, S. 1.
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Fisher 1998, S. 6.
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Fisher 1998, S. 11.
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Fisher 1998, S. 17.
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Careri 1995, S. 2.
Bibliografie
Belton, John (1992): Widescreen Cinema. New York: Columbia University Press Calloway, Stephen (1994): Baroque Baroque, the Culture of Excess. London: Phaidon Careri, Giovanni (1995): Bernini: Flights of Love, the Art of Devotion. Einführung von Herbert Damish. Chicago: University of Chicago Press Deleuze, Gilles (1993): The Fold: Leibniz and the Baroque. Übersetzt von Tom Conley. Minneapolis: University of Minneapolis Press (erste Ausgabe 1988) Fisher, Philip (1998): Wonder, the Rainbow, and the Aesthetics of Rare Experiences. Cambridge, Massachusetts: Harvard University Press Focillon, Henri (1992): The Life of Forms in Art. London: Zone Books (erste Ausgabe 1934) Hall, Ben H. (1961): The Best Remaining Seats: the Story of the Golden Age of the Movie Palace. New York: Clarkson N.Potter Jerde, Jon Adams (1997): «Capturing the Zeitgeist». In: Wayne Hunt, Urban Entertainment Graphics: Theme Parks and Entertainment Environments. New York: Madison Square Press, S. 9-13 Jerde, Jon Adams (1998): «Visceral Reality». In: Jerde Partnership International: Visceral Reality. Rom: l‘Arca Edizioni Jones, Janna (2003): Southern Movie Palace: Rise, Fall and Resurrection. Gainsville: University Press of Florida Kaufmann, Preston K. (1979): Fox, the Last Word… Story of the Worlds’ Finest Theater. Pasadena: Showcase Publications Molinari, Cesare (1968): Le Nozze degli Dei: un Saggio sul Grande Spettaccolo Italiano nel Seicento. Rom: Mario Bulzoni Naylor, David (1981): American Picture Palaces: the Architecture of Fantasy. New York: Prentice Hall Press Naylor, David (1987): Great American Movie Theaters. Washington: The Preservation Press Ndalianis, Angela (2004): Neo-Baroque and Contemporary Entertainment. Massachusetts: The MIT Press
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Fallstudien
Arne Scheuermann
Affekttechniken des Designs
Einleitung Es ist dunkel. In der Großküche eines Vergnügungsparks kämpfen zwei Kinder um ihr Überleben. Witternde Raubsaurier befinden sich im Gebäude, und die Kinder müssen sich so leise wie möglich bewegen. Auf ihrer Flucht vor den tödlichen Velociraptoren stoßen das Mädchen und ihr Bruder zu den Erwachsenen. Die Gruppe krabbelt gemeinsam über die unter der Decke angebrachten Bleche der Haustechnik, um sich in Sicherheit zu bringen – als sich plötzlich eines der Bleche löst und ein Saurier unter ihnen auftaucht. Ein beherzter Tritt gegen die Schnauze schüttelt ihn vorerst ab, das Mädchen jedoch verliert dabei den Halt und stürzt durch die offene Luke. Nur mit einer Hand hält sie sich noch fest. Sie wird unter Mühen wieder hinaufgezogen – … der Raubsaurier steht nun direkt unter den Kindern und …: springt auf sie zu! … uns direkt ins Gesicht! Ein Aufschrei geht durch die Menge. Der Saurier verfehlt das Mädchen und stürzt auf den Boden zurück. Ein Fauchen ertönt, zeitgleich das Aufatmen der Zuschauer. Als ich Jurassic Park das erste Mal im Kino sah, beeindruckte mich dieser Effekt, und als ich einige Tage später die Gelegenheit bekam, den Film noch einmal zu sehen, war dies im Essener CinemaxX Kino 2 – einem der seinerzeit größten und technisch modernsten Kinosäle in Deutschland. Leider waren nur noch Plätze in einer der vorderen Reihen frei, doch wir versuchten, das Beste daraus zu machen: Als die Gruppe im Film beginnt, durch den Blechschacht zu kriechen, drehte ich mich um. Was ich sah, war in der Tat beeindruckend: 585 Menschen schreckten auf einen einzigen Schlag in ihren Sesseln zurück. Ein gutes Beispiel für die Wirksamkeit filmischer Mittel. Oder anders gesagt: Hier beherrschte ein Team von Designer/innen ganz offensichtlich eine spezielle Affekttechnik. Im folgenden Beitrag geht es um die gestalterische Regel als Bindeglied zwischen der Theorie und der Praxis im Design. Es gibt zwei Kontexte, in denen diese Verbindung relevant wird: die Designforschung und die Designausbildung. Der Diskurs um den Begriff der Designforschung ist an anderem Ort bereits ausführlich vorgeführt worden; an dieser Stelle soll nun von den Gegebenheiten in der Ausbildung zum Gestalter und zur Gestalterin die
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Vgl. Mareis, Claudia (2006): Designtheorie. Zürich: HGKZ.
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Rede sein. Ich beginne hierzu mit dem Spezialfall des Films (als Design) und widme mich, davon ausgehend, der Problematik einer von der Theorie derzeit weitgehend unabhängigen Designausbildung und -praxis. Diese Lücke gilt es durch ein Modell zu schließen. Die Rhetorik kann hierzu als Vorbild für die Beziehung zwischen Theorie und Praxis dienen – wurde doch in ihr ein besonderes Wechselspiel zwischen beidem in einer langen Lehrtradition eingeübt. Die in dieser Tradition stehenden Anleitungs- und Regelästhetiken der Rhetorik werden als Vorläufer zeitgenössischer Regelästhetiken im Design verstanden. Im zweiten Teil dieses Textes wird ein besonderer Schwerpunkt auf jene Regeln gelegt, mit denen Design Gefühle – in ihrer allgemeinen Form Affekte genannt – weckt. An diesen Affekttechniken lässt sich besonders gut die Wirkungsdimension gestalterischer Regeln aufzeigen und weiterhin, dass und wie gestalterische Regeln die Grundbausteine eines Modells sein können, in dem die Theorie der Gestaltung auf die Phänomene der Praxis Bezug nimmt. Ein Vorschlag zur Systematisierung der Affekttechniken im Design beschließt den Beitrag. Zum Verhältnis zwischen Theorie und Praxis im Design Es ist ein Allgemeinplatz, dass Film leicht zu verstehen und schwer zu erklären sei. In der Tat braucht es keine Ausbildung, um einen Kinofilm zu sehen – lediglich vielleicht Erfahrungen, die wir bereits als Kinder gesammelt haben, um Schnitte, Parallel- montagen und ähnliches in den Handlungsverlauf einordnen zu können. Wir können also ohne jede Vorbildung in einen Film wie Jurassic Park gehen und seiner Handlung folgen. Wir verstehen, was passiert, und nehmen Anteil am Geschehen. Ja, wir zucken sogar an den ‹richtigen› Stellen zusammen. Komplex wird die Analyse jedoch, wenn man das Gesehene erklären und begreifen will – mit dem Ziel, es zu wiederholen. Beispielsweise in der Ausbildung zur Filmregie. Das Filmemachen erlernt man heutzutage deshalb vor allem als eine Art Handwerkslehre ohne Wissenschaft: durch Praktika und eigene Erfahrungen, durch das Wiederholen von Bildregeln und das Anwenden von technischen Anweisungen, kurzum: indem man Filme macht. Die Rezeptionsästhetik hilft hier oft nur bedingt weiter, weil das Verständnis über das ‹Warum› sich nur schwer zum ‹Wie› der Filmwirkung verallgemeinern lässt: Wenn ich weiß, warum das Bild von Raubsauriern Urängste im Menschen weckt, weiß ich noch lange nicht, wie genau ich die Zuschauer aus ihren Sesseln katapultiere. So greifen Filmemacher/innen, wenn sie überhaupt zu Theorien greifen, zu Hand- und Regelbüchern ihrer Disziplin, die das Filmemachen anhand anschaulicher Beispiele illustrieren. Dieses Phänomen gilt grundsätzlich nicht nur für den Film, sondern für alle Designdisziplinen – also für jede Form gestalterischen Tuns, die einem Auftrag folgt und eine definierbare Wirkung erzielen will. Eine theoretische Durchdringung der Wirkungsdimensionen eigener Designpraxis bleibt in der Ausbildung in der Regel aus, die Rezeptionsästhetiken stehen seltsam unverbunden neben der Praxis. Stattdessen nehmen Beispielsammlungen in Design-Jahrbüchern, Vorträge erfahrener Designer/innen, Besuche von Ausstellungen und die Analyse gestalteter Gegenstände für den angehenden Gestalter und die Gestalterin die Funktion eher impliziter Anweisungsästhetiken ein. Diese ‹Theorien vor der Theorie› wiederum werden von beiden Sphären kritisch beäugt: von der Theorie, weil
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sie nur selten zu stringenten Modellen und verhandelbaren Ergebnissen vordringen, von der Praxis, weil regelbasierte Gestaltung als langweilig und eng gilt, mechanisch und wenig inspiriert. Aus einem Buch, so heißt es, kann man Gestaltung nicht lernen. In diesem Spannungsverhältnis bewegt sich auch dieser Beitrag: Es ist dem Autor bewusst, dass Regeln in der Gestaltung niemals allein zum gelungenen Design führen. Die treffende Idee des geglückten Werbeplakats, die überzeugende Typografie eines Gebrauchstextes oder die Sympathie erregende Formgebung eines Mobiltelefons lassen sich nicht nur mit Regeln auffinden. Für Plakat, Text und Telefon spielen der Geistesblitz, die Erfahrung und das Experiment wichtige Rollen. Dennoch können in all diesen Beispielen Regeln aufgespürt werden, die zum gewünschten Effekt geführt haben und die im weiteren Verlauf die Tätigkeit des Gestaltens bereichern können. Hierzu gehören das Know-how, eine Bildidee beim Plakat auch angemessen fotografisch zu inszenieren, die Erfahrungen, die passende Schrift auch richtig zu spationieren sowie das Wissen um das Kindchen-Schema in der Proportionierung eines Mobiltelefons. Die wiederholbaren Regeln und Anweisungen stehen dabei im Dienst der gesamten Designaufgabe und unterstützen einen wesentlichen Teil des Produktionsprozesses. Doch sie leisten noch mehr: Über die expliziten und impliziten Regeln der Gestaltung lässt sich etwas über die Gestaltung selbst und den Gestaltungsprozess an sich herausfinden – als Beitrag zur Wissenschaft des Designs und damit über die Nutzung in der Ausbildung und Praxis hinaus. Gestaltungsregeln in der Rhetorik und im Design Um diese Regeln aufzufinden, gibt es zwei Wege: erstens die Beobachtung und (wo dies möglich ist) die Verschriftlichung der Praxis und zweitens die Analyse dieses Diskurses. Die Klassische Rhetorik führt dieses spezielle Wechselspiel zwischen Theorie und Praxis beispielhaft vor: Die Redner der Antike und frühen Neuzeit analysierten die Reden anderer Redner, um selbst bessere Redner zu werden. Sie griffen hierzu neben den Reden selbst auf Regelbücher und Anweisungen zurück – wohl wissend, dass die Figuren und Tropen, die sie hier fanden, nicht einfach zu übernehmen waren, sondern erst noch mit eigenen Redeinhalten und ihrer eigenen Persönlichkeit verbunden werden mussten. Die Anweisungsästhetiken machten dabei nicht mehr als Vorschläge, die sich in der Vergangenheit bewährt hatten. Deshalb konnten sie sich auch ändern: Figuren nutzten sich ab und wurden unwirksam; was einmal heroisch wirkte, konnte schon wenige Jahre später lächerlich wirken. Überarbeitungen und Neuauflagen fingen diese Veränderungen auf, nahmen Innovationen zur Kenntnis und ließen veraltete Formen fallen. Im Verlauf der rhetorischen Renaissance seit Beginn der frühen Neuzeit entstanden auf diese Weise auch neue Anwendungsbereiche: die Rhetorik der Predigt und die Briefrhetorik, die barocke Bildrhetorik, Traktate zur Rhetorik der Malerei, zur Komposition, zur Verhältnislehre in der Architektur. Nicht alle diese Regelwerke sind per se rhetorisch zu nennen, denn grundlegende Regelwerke des gestalterischen Tuns gab und gibt es ja für jede Kunst und jedes Handwerk; schon immer wurden die sieben artes liberales (auch und vor allem) über Regeln vermittelt, also neben der Rhetorik auch die Grammatik, die Dialektik, die mathematischen Wissenschaften wie die Geometrie, die Astronomie, die Musiklehre und die Architektur; dasselbe galt für die daneben angesiedelten techné, wie die Kochkunst und die Malerei. Als jedoch die bildenden Künste im 15. Jahrhundert der Rhetorik und Dichtung in der (wiederentdeckten
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Formel) Horaz’ ut pictura poesis anverwandelt wurden und spätestens, als sich die Rhetorik um 1600 zum zentralen Bildprogramm der Gegenreformation entwickelte, ist die Beziehung zwischen Rhetorik und Bild sowie die Nutzung rhetorischer Wissensbestände für die Bildkomposition und -ausführung explizit. Diese rhetorischen und poetischen Anweisungsästhetiken bestimmen große Teile der Künste bis weit ins 18. Jahrhundert hinein. Wenn man nun schaut, in welcher Form diese Anweisungsästhetiken, Rhetoriken und Poetiken ihr Wissen ordnen und präsentieren, so fällt auf, dass sie ihr Material oft als einfache Anleitungen zum ‹richtigen› Handeln formulieren und mit einem Beispiel versehen: Tue dieses oder lasse jenes, und folge damit dem Beispiel von X! So formuliert beispielsweise Martin Opitz 1624: «Ein Heroisch getichte (das gemeiniglich weitleufftig ist / und von hohem wesen redet) soll man stracks von seinem innehalten vnd der Proposition anheben; wie es Virgilius in den buechern vom Ackerbawe thut: Quid faciat laetas segetes, quo sidere terram / Vertere, Maecenas, ulmisque adiungere vites / Conueniat; quae cura boum, qui cultus habendo / Sit pecori, atque apibus quanta experientia parcis / Hinc canere incipam.» Diese Form variiert, wenn die rhetorische Regel Gefühle wecken soll, also eine Affekttechnik ist. Dann folgt sie häufig der ‹Wenn-dann-Form›. So heißt es beispielsweise in der Kompositionslehre Daniel Speers 1697: «Wenn eines Dinges Untergang oder eine Sache verloren gehet, oder wann die Textworte expresse ohne Ende sich ereignen, nemlich: ‹Der Gottlosen Weg vergehet›; item: ‹Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen›; also auch ‹Himmel und Erde vergehen›; oder ‹Des Friedens kein Ende›. Bei solchen oder dergleichen Textworten sollen Pausen folgen, indem es der Text erfordert, daß zugleich mit allen Stimmen auf einmal abgeschnitten werde.» Die hierin verborgene Regel («Wenn in einem Vokalstück vom Tod die Rede ist, dann benutze die Generalpause») stellt eine implizite Beziehung her zwischen der Affekttechnik und ihrer Wirkung; die Wenn-dann-Logik enthält also eine verborgene Wirkungsregel. In diesem Fall lautet sie: Um das angemessene Gefühl der Trauer und/oder der Erhabenheit zu erzielen, nutze die Generalpause. Beide Formen – die einfache Anweisung und die wirkungsbezogene Form – finden sich nun auch in den Lehrbüchern, den Regelbüchern und Anweisungsästhetiken zum Design wieder. Auch die Foto-Lehren und Look-books, Typografie-Kompendien und Filmregiebücher des 20. Jahrhunderts enthalten neben einfachen, allgemeinen Anweisungen (nach der Art «Nahaufnahmen, Großaufnahmen sind in der Kleinbild-Fotografie stets die dankbarsten und bildmäßig wirkungsvollsten») explizite Affekttechniken, die die Wirkungsdimen- sionen betonen.
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Opitz, Martin (1624): Buch von der Deutschen Poeterey. Studienausgabe 1970. Stuttgart: Reclam, S. 20.
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Speer, Daniel (1697): Vierfaches musikalisches Kleeblatt, S. 283, zitiert nach Unger, Hans-Heinrich (1941): Die Beziehungen zwischen Musik und Rhetorik im 16.–18. Jahrhundert. Würzburg: Konrad Trilsch (Nachdruck 2004: Hildesheim, Zürich, New York: Georg Olms), S. 71.
Windisch, Hans (1937): Die neue Foto-Schule. Harzburg: Heering, S. 46.
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Diese Regeln sind – wie auch die rhetorischen Figuren der Antike und frühen Neuzeit – Kinder ihrer Zeit, und einige von ihnen erscheinen heute überholt. So heißt es beispielsweise 1953 in einem Handbuch der Reihe «Praxis-Bücher des Geschäftserfolgs» zur Aufmerksamkeitslenkung durch Bilder: «Alle Erkenntnisse der Psychologen bestätigen, daß unser Erinnerungsvermögen Abstoßendes viel schlechter reproduziert als Angenehmes. Selbst in der Werbung, die sich an Ärzte richtet, vermeidet man abschreckende Darstellungen im allgemeinen, obgleich Ärzte in ihrem Berufsgebiet dagegen wohl unempfindlich sind.» Dies bezeichnet eine Regel, die nach den Erfahrungen mit Affektbildern im Rahmen der Benetton-Kampagne in den 1980er-Jahren und mit dem sogenannten ‹Heroin-Chic› in der Modefotografie nach 1996 für unsere heutige Zeit revidiert werden muss. Andere Regeln wiederum sind erstaunlich invariant. Oder genauer formuliert: Die Anwendung, Beobachtung, Ableitung und erneute Anwendung einiger bestimmter Regeln verändern diese nur in einem schmalen Korridor medialer Varianz. In zeitgenössischen Werbefilmen und in Spielfilmen beispielsweise wird die Generalpause in der Musik und im Ton (unter anderem) noch immer wie 1697 genutzt – um vom Tod zu künden. Beide Regelarten, die stark zeitabhängigen und die eher wenig variierenden, stehen dem Gestalter und der Gestalterin zur Verfügung, und es obliegt ihnen, sich ihrer zu bedienen. Bei der Lektüre der Anleitungsästhetiken des Designs und dem Vergleich ihrer Wissensbestände mit der Praxis des Gestaltens fällt noch etwas Weiteres auf: Einige wesentliche Erfahrungen von Gestalter/innen lassen sich nicht verschriftlichen. Das ‹Gespür› für den ‹richtigen› Textsatz, der ‹Geschmack› in der Auswahl des Bildmaterials, das ‹richtige Händchen› in der Auswahl von Farben lassen sich zwar beobachten und diskutieren, entwickeln und einüben – aber nicht immer in eine schriftliche Form bringen. Es wäre nun jedoch falsch, diesen Regeln weniger Gewicht beimessen zu wollen als den verschriftlichten. Oft sind beide nur in Bezug zueinander zu denken. Das Handbuch Basic Design and Layout aus dem Jahr 1987 beispielsweise beschäftigt sich unter anderem mit der Frage der emotional richtigen und dem Kommunikationsinhalt angemessenen Wirkung von Schrifttypen. Im weiteren Verlauf des Textes wird wie folgt empfohlen, die Mischung zweier Schrifttypen auf Erfahrungen aufzubauen: «There are a number of factors to bear in mind if you are considering mixing different styles of type in one design. For example, it is unlikely, that a light, classical serif type will mix with a heavy, sans serif face. Also, as mentioned earlier, the style of the face should be in keeping with the nature of the subject it communicates. You will discover those typefaces that work together and are appropriate to an image only by experimentation and visual comparisons. To find a reference source of typefaces, contact your printers or typesetters, but also begin to build up your own library of typeface styles.»
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Ruthstrat, Otto (1953): Prospekte, die es in sich haben. Stuttgart: Forkel, S. 86.
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Swann, Alan (1987): Basic Design and Layout. Oxford: Phaidon, S. 94f.
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Der Grundimpuls – die dem Kommunikationsinhalt angemessene Schrift zu finden – wird in diesem Beispiel also als Regel formuliert und damit auf die zuvor beschriebenen emotional ‹richtigen› Wirkungen bezogen. Die Umsetzung dieser Regel jedoch – so suggeriert der Text – kann allein durch Anschauung, Experiment und Erfahrung gewonnen werden. Zur Systematik der Affekttechniken des Designs Es besteht (noch) keine umfassende Überschau und auch noch keine treffende Systematik dieser in der Praxis und den Anleitungsästhetiken des Designs aufzuspürenden Affekttechniken. Eine mögliche Ordnung kann entlang verschiedener Parameter vorgenommen werden: 1.
Eine wichtige Unterscheidung betrifft den Charakter ihrer (Re)Präsentation: Sowohl die historischen als auch die zeitgenössischen Affekttechniken lassen sich in repräsen- tative und in präsentative Affekttechniken teilen – während die repräsentativen Affekt- techniken Gefühle über den (vermittelten) Inhalt erzeugen, wirken präsentative Affekt- techniken physisch und direkt, quasi als Stimuli.
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Eine andere Einteilung ließe sich entlang der zu weckenden Affektinhalte bestimmen: Affekttechniken mit dem Ziel, zu erschrecken (wie durch Schockbilder), Affekttech- niken mit dem Ziel, zu rühren (wie durch das Kindchenschema), Affekttechniken mit dem Ziel, Aufmerksamkeit zu erzielen (wie durch grafische Störelemente).
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Eine dritte Ordnung müsste Bezug auf die anvisierte Affekthöhe nehmen: hohe Aff ekt- techniken, die Pathos erzeugen (wie das Bild des sterbenden Kindes in den Armen des Vaters) gegenüber niedrigen Affekttechniken, die gezielt und strukturiert gemäßigte Seriosität erzeugen (wie die Verwendung der Schrifttype Bauer Bodoni im Geschäfts- bericht einer Bank).
In diesem Zusammenhang möglicher Ordnungen gestalterischer Regeln ist bemerkenswert, dass die derzeit einzige explizite Sammlung von Designregeln ihr Material erst alphabetisch anordnet und dann in einem zweiten Inhaltsverzeichnis relationale (Meta-)Kategorien vorschlägt, in denen auch Mehrfachnennungen möglich sind. Ihre fünf (im übrigen wirkungsbezogenen!) Kategorien lauten: «How can I influence the way a design is perceived? How can I help people learn from design? How can I enhance the usability of a design? How can I increase the appeal of a design? How can I make better design decisions?» Folgerichtig trennt die Sammlung von Lidwell/Holden/Butler auch nicht mehr die Gattungen und Disziplinen des Designs – ein Schritt, der einleuchtet und darauf verweist, dass sich erstens die Designer/innen jeweils kategorial unterschiedlicher
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Zur ausführlichen Herleitung dieser Kategorien siehe Scheuermann, Arne (erscheint 2008): Zur Theorie des Filmemachens. Flugzeugabstürze, Affekttechniken, Film als rhetorisches Design. München: edition text + kritik, vgl. insbesondere Kap. 2.1f.
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Lidwell, William, Holden, Kristina und Butler, Jill (2003): Universal Principles of Design. Gloucester, MA: Rockport, S. 8f.
Mittel zum selben Zweck bedienen können und dass zweitens ein und dasselbe Mittel in unterschiedlichen Kontexten von Bedeutung sein kann. Dies gilt nicht nur für Designregeln allgemein, sondern auch für die Affekttechniken des Designs. Für die Bewältigung beispielsweise eines Kommunikationsauftrags «Wirke freundlich und familiär» durch eine Kaufhauskette kann eine Vielzahl von Maßnahmen richtig sein – angefangen von der Beleuchtung der Schaufenstergestaltung über die Motivwahl der Anzeigen bis zur farbigen Innenraumgestaltung der Kaufflächen. Gestalter/innen bedienen sich dieser unterschiedlichen Mittel unterschiedlich stark und oft in Abhängigkeit von ihren Erfahrungen und ihrem Leistungsprofil. Es stehen im Design stets mehrere Affekttechniken zur Auswahl. Die Orchestrierung ihrer Mittel trägt dann schließlich zur ‹Handschrift› des Designers oder der Designerin bei. Das einzelne Mittel wiederum – beispielsweise die temperierte Beleuchtung des Schaufensters – kann für verschiedene Kommunikationsaufträge die gebotene Maßnahme darstellen, für die Weihnachtsdekoration ebenso wie für das Thema ‹der gedeckte Tisch›. Es ist dabei nicht immer einfach, die zum Einsatz gekommenen Affekttechniken in einem Design nachträglich in ihrer Gesamtheit aufzuspüren und zu benennen. In der Filmanalyse hilft es, Bild und Ton mehrfach und getrennt zu betrachten, in der Analyse grafischer Mittel macht die Rezeption unter wechselnden Lichtverhältnissen Sinn, und bei der Analyse von Produktdesign und Interfaces bereichern Usability-Tests die Bandbreite der aufzufindenden Affekttechniken. Es sind zudem oft auf den ersten Blick unscheinbare, unerwartete Affekttechniken, die die Gesamtwirkung mehrerer Gestaltungsmaßnahmen im Wesentlichen dominieren. Um, wie im eingangs erwähnten Beispiel, 585 Zuschauer mittels eines Dinosaurierangriffs gleichzeitig aus ihren Sesseln zu katapultieren, wurde beispielsweise eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, die sich in folgenden Regeln ausdrücken lassen: Verwirre kurzfristig den Ortssinn durch Richtungswechsel der Kameraperspektive und Achssprünge. Verwende Geräusche von Raubtieren. Steigere die rhythmusbetonte symphonische Musik zu einem signalartigen Motiv der Blechbläser, das synkopisch von panikartigen Schreien begleitet wird. Führe schließlich das bedrohliche Element rasch (in nur 16 Einzelbildern) in der Zentralperspektive auf den Zuschauer zu … und beschleunige das Objekt dabei zweifach überraschend kontraintuitiv. Es ist dieses kleine Detail, das die Gesamtwirkung der Szene dominiert und das sich erst bei einer wiederholten Analyse der Szene aufspüren lässt: die kontraintuitive Beschleunigung. Erstens lassen das (scheinbare) Gewicht des Raubsauriers und die bisherige relative Trägheit seiner Bewegungen die Zuschauer diese Attacke nicht erwarten; der Saurier springt schneller, als man denkt. Zweitens: Wenn er denn zu dieser Bewegung imstande ist – und die bewegten Bilder suggerieren dies –, müsste er mit seinem Sprung eigentlich nicht nur das Kind zu fassen bekommen (was er erstaunlicherweise nicht tut), sondern darüber hinausschießen und schließlich die Kamera und damit den Raum diesseits der Leinwand erreichen. Die Kombination aus Überraschung und antizipierter (Weiter-)Bewegung innerhalb der 16 Filmbilder führt offenbar zur oben beschriebenen Reaktion. Das den Gesichtssinn des Zuschauers attackierende Objekt springt also gleichzeitig überraschend ‹zu schnell› als auch direkt ‹bis zu ihm›. Die Umsetzung dieser Affekttechnik lässt sich in einer Reihe von Anwendungen mit demselben Effekt beobachten – von dem durch den Tornado in Richtung der Zuschauer gewehten Lastzug in Twister bis
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zur auf den Zuschauer zuspringenden Typografie am Ende von Trailern zu Action-AdventureFilmen wie Pirates Of The Caribbean – At World’s End – was die oben formulierte These von seiner Wirksamkeit unterstützt. Fazit Damit ist an einigen Ausschnitten gezeigt, dass und wie im Design Gestaltungsregeln zum Einsatz kommen und – als Vorstellung einer besonderen Gruppe dieser Regeln – auf welche Art implizite und explizite Affekttechniken eingesetzt werden. Sie sind nur zum Teil verschriftlicht oder überhaupt verschriftlichbar; eine in der Praxis anwendbare Sammlung dieser Techniken liegt bislang nicht vor. Aus dem Gesagten folgt, dass eine anschauliche und für die ‹Praxis› nutzbare Sammlung der Affekttechniken im Design notwendigerweise trans- und multidisziplinär sein muss. Sie sollte zweitens entlang ihrer Wirkungen systematisiert sein und drittens die jeweiligen Verbindungen zwischen verschiedenen Affekttechniken aufzeigen und damit ihre Orchestrierung ermöglichen. Der Beitrag einer solchen Sichtweise zur ‹Theorie› des Designs und seiner Prozesse hingegen ist dieser: Man kann nun zeigen, wie sich die Kommunikationsabsichten im Design – vom Auftrag über den Entwurf und die Realisierung bis zur Rezeption – an den Wirkungen orientieren, die sie erzielen sollen und wie Gestalter/innen diesen Transformationsprozess steuern. Die gestalterische Regel ist in diesem Modell das Bindeglied zwischen Theorie und Praxis im Design.
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Fallstudien
Gui Bonsiepe
Audiovisualistische Rhetorik in zeitbasierten Medien: Über die kognitive Relevanz diagrammatischer Visualisierungen
Einleitung Die hier vorgelegte Skizze geht auf semiotische Untersuchungen zurück, die Anfang der 60er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts an der hfg ulm (Hochschule für Gestaltung) gemacht wurden. Den Gegenstand der Analyse bildete seinerzeit die visuellverbale Rhetorik mit dem Ziel, zu einem Verständnis des Zusammenspiels von statischem Text und Bild, vor allem in der Werbung, beizutragen. Ende der 90er-Jahre wurde die Thematik auf zeitbasierte Medien ausgedehnt und im Rahmen von Seminaren über Audio- visualistik oder audiovisualistische Rhetorik an der Koeln International School of Design (ehemals Fachbereich Design an der Fachhochschule Köln) behandelt. Medienrhetorische Untersuchungen haben sich bislang vorzugsweise auf den Film konzentriert. So ist es nicht verwunderlich, dass in filmrhetorischen Analysen die spezifischen filmtechnischen Verfahren (einschließlich Montageverfahren) wie Einstellung, Kameraführung, Reißschnitt, Totale, Halbtotale, Überblendung, Rückblende u.ä. in der Regel – und zu Recht – eine dominierende Rolle spielen. Bei den im Zuge der Digitalisierung geschaffenen Neuen Medien erweitert sich allerdings das Panorama, sodass die Grenzen einer rein am Film haftenden Rhetorik spürbar werden – einer Flash-animation oder der Menüstruktur einer CD-ROM wird eine filmtechnische Analyse wohl schwerlich gerecht werden. Wenngleich es sich in den erläuterten Beispielen um kurze Fernsehspots und um den Vorspann eines Spielfilms handelt, so ging es nicht primär um die filmtechnischen Attribute, sondern um audiovisuelle Mikrostrukturen, die nicht notwendig an den Film gebunden sind. Es stellt sich also die Frage, wie kommt man den neuen rhetorischen Phänomenen bei? Und mehr noch, wie werden die rhetorischen Phänomene überhaupt veranschaulicht? Können zeitbasierte Digitaltechniken im Gegensatz zur bloßen Beschreibung eingesetzt werden, um rhetorische Strukturen erfahrbar und nachvollziehbar zu machen? Bekannt ist eine gewisse Umständlichkeit traditioneller Verfahren, wenn es darum geht, rhetorische Strukturen in Neuen Medien aufzudecken. Am statischen (Ab)Bild haftende Verfahren stoßen da an immanente Grenzen, sodass es zweckmäßig erscheint, nach anderen Kommunikationsformen zu suchen. Dafür bieten sich diagrammatische
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Darstellungen an, vorzugsweise dynamische und interaktive Visualisierungsverfahren, die eigens technische Kompetenz im Umgang mit digitalen Techniken voraussetzen. Eine über das Medienspezifische hinauszielende Rhetorik wird mit dem Ausdruck Audiovisualistik oder audiovisualistische Rhetorik bezeichnet. Wie der Begriff anzeigt, geht es dabei um rhetorische Grundphänomene, die sich in den jeweiligen medienspezifischen Manifestationen (Film, Fernsehen, Neue Medien) ausprägen. Audiovisualistik greift also über das jeweilige Medium hinaus – oder unterläuft die herkömmlichen fachlichen Gliederungen –, wenngleich sie immer an einem Medium festgemacht ist. Audiovisualistik stellt Querverbindungen zwischen den Medien her, indem sie Rekurrenzen aufspürt und in einen geordneten Zusammenhang zu bringen sucht. Vier Perioden der Rhetorik In der traditionellen textbasierten Rhetorik gehören der Gegenstand der Analyse, nämlich Sprache in einer ihr spezifischen Ausprägung in Form von Tropen, und das analytische Instrumentarium derselben Dimension an. Über Textrhetorik – freilich ein Pleonasmus – lässt sich nur mittels Texten reden und schreiben. Zwar handelte die klassische Rhetorik auch von extra- textuellen Momenten, doch nur am Rande, als nebenherlaufende Phänomene, zum Beispiel die Intonation beim Vortrag eines Textes, begleitet von Gestikulation sowie Mienenspiel. Für die Textrhetorik, die sich am grafisch fixierten Sprachausdruck festmachte, spielten diese extratextuellen Momente keine wichtige Rolle. Sie hat es mit nur einer Variablen zu tun, eben den schriftlichen Sprachäußerungen. Wohl können typographische Mittel, zum Beispiel Fett oder Kursiv für Hervorhebungen, als Äquivalente für die Intonation fungieren, doch eben nur in untergeordneter Weise. Audiovisuelle Rhetorik und digitale Rhetorik Die plausible Feststellung über Text und Metatext als in der Sprache verankerte Phänomene trifft nicht mehr auf die multimediale und audiovisuelle Rhetorik zu. Hier fallen der Gegenstand der Reflexion und die Sprache über diesen Gegenstand sowie die Veranschaulichung nicht mehr zusammen. Mit dem Heraufkommen der digitalen Medien hat sich die Szenerie rhetorischer Phänomene erheblich bereichert.
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Sperling, Heike: «IMAGING SCIENCE». Integrative Audiovisualistik. Dissertation 1998.
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Während der Seminare war eine Tendenz festzustellen, sich in erzählerischen Interpretationen zu verlieren. Deutungen waren allerdings nicht das Ziel der Arbeit. Vielmehr ging es zunächst einmal um das Präparieren audiovisueller rhetorischer Mikrokomponenten, um die schlichte Materialität der Rhetorik. Interpretationen können später folgen. Das Augenmerk war weniger darauf gerichtet, zum Beispiel eine Metapher als isoliertes Phänomen zu behandeln, als vielmehr das Zusammenspiel der Metapher mit Musik, Sound und Bild zu erhellen.
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Diese Indifferenz textorientierter Wissenschaftstradition gegenüber der visuellen Dimension kritisiert Michael Cahn: «Die Schwäche der Rhetoric of Science besteht somit darin, dass sie wissenschaftliche Dokumente tendenziell als Rede versteht und deshalb für ihre spezifische (typo-) graphische Verfasstheit blind bleibt.» Cahn, Michael (1997): «Die Rhetorik der Wissenschaft im Medium der Typographie – Zum Beispiel die Fußnote». In: Räume des Wissens – Repräsentation, Codierung, Spur (Hrsg. Hans-Jörg Rheinberger, Michael Hagner und Bettina Wahrig-Schmidt). Berlin: Akademie Verlag, S. 91-109.
Vier Perioden der Rhetorik
Periodisierung
Audiovisualistische Rhetorik und digitale Rhetorik
Audiovisualistische ≥ digitale Rhetorik
Klassische an Text gebundene Rhetorik Moderne Rhetorik (visuell/verbal) ~ 1964 Audiovisualistische Rhetorik ~ 2000 Digitale Rhetorik ~ 2000
7 Dimensionen in interaktiven Medien
6 Dimensionen in zeitbasierten Medien
Multimedien
Film TV
Bilder Text (Typografie) Musik Sound (Geräusch) Audiotext Bewegung
Interaktivität
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Diese Bereicherung schlägt sich nieder in der Zahl der Variablen, die bei einer rhetorischen Analyse zu berücksichtigen sind. Diese Zahl erhöht sich von 1 auf 7, und zwar:
Bild Ton (sound) Musik Text (Typografie) Text (gesprochen)/Audiotext Bewegung und schließlich Interaktion.
Die Distinktionen der klassischen verbalen Rhetorik können als Ausgangsbasis für die Analyse audiovisueller Phänomene dienen. Freilich stellt sich bald heraus, dass sie für das Zusammenwirken der sieben verschachtelten Variablen nicht mehr recht greifen. Es müssen also neue Distinktionen geprägt werden, damit die Rhetorik der audiovisuellen Medien nicht durch das – von heute aus gesehen – grobmaschige Netz traditioneller textrhetorischer Begrifflichkeiten fällt. Rhetorik als Bereich der «Strategien der Erscheinungen» Bekanntlich zielt Rhetorik darauf ab, nicht nur zu überzeugen, sondern auch zu verführen – was ihr im wissenschaftlichen Bereich durchweg als Makel und Oberflächlichkeit, wenn nicht gar Effekthascherei angelastet wird. Dieser simplifizierenden Interpretation wäre ein Lob der Oberfläche, ein Lob der Erscheinungen entgegenzuhalten. Einen Topos von Jean Baudrillard übernehmend, kann man die Rhetorik kennzeichnen als einen Bereich, in dem es um die «Strategien der Erscheinungen» geht – und das ist eines der Hauptkennzeichen des Designs. Rhetorische Verfahren werden, sei es implizit, sei es explizit, in der Kommunikation benutzt, um die kommunikative Effektivität zu erhöhen. Dass dabei ästhetische Momente eine überragende Rolle spielen, liegt auf der Hand. Insofern die ästhetische Dimension aus sprachanalytischer Sicht dem Bereich der Urteile (assessments) und nicht dem Bereich der Aussagen (affirmations) angehört, ist die reservierte Haltung der Wissenschaften verständlich, denn ihnen geht es programmatisch um die Produktion verifizierbarer, auf Evidenz beruhender Aussagen, und nicht um Urteile, die auf in der Regel nicht explizierten Standards beruhen. Ausgehend von der semiotischen Unterscheidung zwischen Syntaktik und Semantik, lassen sich rhetorische Verfahren, die als seduktive Kommunikationsstrategien gekennzeichnet werden können, entweder an Operationen mit der Zeichengestalt, also an der Form der Zeichen, der Syntaktik, oder an Operationen mit dem Zeicheninhalt, der Bedeutung, der Semantik festmachen.
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Baudrillard, Jean (1998): De la seducción. Madrid: Ediciones Cátedra (Erstausgabe 1979). Hier wird ein Missverständnis von Max Bense deutlich, der gegen die geisteswissenschaftliche Interpretationsliteratur der Kunstgeschichte polemisch die These vertrat, dass man über Kunstwerke so reden können müsse wie über das Wetter – präzise, in Tatsachensätzen.
Charakterisierung der Rhetorik
Seduktion
Re-interpretation der Rhetorik; Rhetorik als Domäne der «Strategien der Erscheinungen» (nach Jean Baudrillard, 1999)
Pattern
Semiotische
Rhetorik hat mit repetitiven Strukturen von Zeichen und Superzeichen zu tun. Sie werden in der Terminologie von Ch. Alexander «patterns» genannt.
Elastizität
Rhetorik ist möglich dank der syntaktischen und semantischen Elastizität der Zeichen.
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Semiotische Elastizität Die klassische Rhetorik unterscheidet zwischen Wortfiguren und Satzfiguren. Diese duale Klassifikation lässt sich auf multimediale Phänomene anwenden. Freilich erschließt sich deren Komplexität dem an diskursiven Mitteln geschulten analytischen Blick nicht so einfach. Ebenso wie die herkömmliche literarische oder textbezogene Rhetorik einer ihr eigenen Metasprache bedarf, so erfordern auch die Neuen Medien eine ihnen eigene medienspezifische Metadiagrammatik. Denn die audiovisuellen rhetorischen Phänomene werden erst erfassbar und verständlich mittels eines Systems von visuell- auditiven-interaktiven Darstellungsformen, die über die Metasprache literarischer Rhetorik hinausgehen. Audiovisualistische Patterns Beispiel: Ein Mercedes Werbespot (2000) Dieser 44 Sekunden dauernde Spot besteht aus sieben Episoden: Männer berichten eine Szene aus ihrem Leben. Die audiovisuellen Dimensionen (Musik, Sound, Text/Sprache) wurden auf ihr Zusammenspiel untersucht und auf eine Zeitleiste projiziert/abgebildet. Folgende rhetorische Patterns wurden isoliert: 1 Chromatische Wiederholung (in allen Episoden taucht die Farbe Rot auf). 2 Melodische Wiederholung (Jingle) (Wiederholung ist ein häufig benutztes rhetorisches Pattern). 3 Narrative Stabilität (Sieben Männer erzählen eine Episode aus ihrem Leben). 4 Visuell-verbale Divergenz (der gesprochene Text handelt vom Gegenteil dessen, was die Bilder zeigen). Beispiel:
Gesprochener Text: «Mit 40 wollte ich eigentlich aufhören – dachte ich.» Bild: Ein etwa 60-jähriger Modefotograf wird in seinem Studio bei der Arbeit gezeigt.
Beispiel:
Gesprochener Text: «Am Wochenende wollte ich einen Gang runterschalten.» Bild: Ein extrem beschleunigter Wagen, der über eine Autostraße jagt. Dieses Pattern wird bei allen Episoden benutzt.
5 Verbale Kontinuität/Visuelle Diskontinuität (der gesprochene Text wird ohne Unter brechung durchgezogen. Die Bildsequenz dagegen wird in Schnitte zerlegt). 6 Expressives Zeichen (Yippieh)
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Seminarbeitrag der Studierenden Anette Haas und Lars Backhaus, 1999/2000.
Audisovisualistische Patterns
Audiovisualistische Patterns
1 2 3 4 5 6
Chromatische Wiederholung Melodische Wiederholung Narrative Stabilität Visuell-verbale Divergenz Verbale Kontinuität/Visuelle Diskontinuität Expressives Zeichen
Audisovisualistische Patterns in einem Werbespot
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Transitive Patterns oder Übergangspatterns (Konjunktionen) Man darf behaupten, dass sich an allen Übergängen von einer Szene zu einer anderen Szene – oder, angewandt auf das World Wide Web, von einem semantischen Knoten zu einem anderen semantischen Knoten – rhetorische Figuren ansiedeln. Diese Übergänge können in Übergangsklassen gegliedert werden, von denen hier fünf aufgeführt werden. Wahrscheinlich gibt es erheblich mehr Übergangsformen. Musikpatterns Eine zentrale Stellung nehmen in der Audiovisualistik die Musik und der Sound (Einsatz von Geräuschen) ein. Hierin liegt wohl der grundlegende Unterschied zur Welt der textorientierten Rhetorik. Es wurden zunächst vier musikalische Patterns ermittelt, und zwar: 1
Pattern von Musik/Sound als Kennzeichnung/Identifizierung eines situativen Kontextes (Beispiel: es wird eine Szene in einem Discoclub gezeigt; die Tonspur begleitet das visuelle Zeichenkonglomerat parallel durch Wiedergabe einer typischen Discomusik).
2 Pattern von Musik/Sound zur Kennzeichnung einer historischen Epoche (Beispiel: Barockmusik liefert den auditiven Rahmen einer Szene, die somit in die Periode des Barock verlagert wird). Dieses Pattern wird auch als akustische Tapete bezeichnet. 3 Pattern in Form illustrativer Musik (Beispiel: eine Szene einer laufenden Animations figur, die durch entsprechende Musik mit schnellem Rhythmus begleitet wird). 4 Evokatives Pattern, das zum Beispiel in Kriminalfilmen genutzt wird, um Horror affekte auszulösen. Ein Klassiker des Einsatzes dieses Patterns ist die Ermordungs szene im Film Psycho. Soundpatterns Die Wichtigkeit der Dimension des Sounds – weit mehr als ein Sekundärphänomen – wurde anhand der Eingangssequenz des Films Apocalyse Now veranschaulicht. Folgende Soundpatterns wurden ermittelt: 1 Illustrativer Sound (Beispiel: Visuell wird eine gehende Person gezeigt. Der Sound der Schritte läuft parallel. Visuelle und auditive Zeichen ergänzen sich). 2
Mickey mousing. Dieser aus den Walt Disney Studios stammende Ausdruck meint die Parallelität eines visuell vermittelten Geschehens und eines damit gekoppelten Soundverlaufs (Beispiel: Der Fall eines Gegenstands wird durch einen niedergehenden Ton verstärkt).
3 Pseudorealistischer Sound. Hier handelt es sich um die Isolation und Verstärkung eines Sounds (Beispiel: «Knuff» beim Boxen).
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Transitive Patterns oder Übergangspatterns (Konjunktionen)
Patterns
Farbkonjunktion (Übergänge erfolgen durch Nutzung gleicher Farbpaletten). Narrative Konjunktion (Übergänge entsprechen einem kohärenten Ablauf). Bewegungskonjunktion (Übergänge werden durch Kamerabewegung erzeugt). Asyndetische Konjunktion (Es besteht weder eine syntaktische noch semantische Verbindung). Polysyndetische Konjunktion (Gleicher Übergang in einer Sequenz).
Musikalische Patterns oder Audiopatterns
Patterns
Illustrative Musik eines Ortes (Beispiel: Technosound einer Disco begleitet eine Discoszene). Illustrative Musik (Beispiel: Barockmusik zur Kennzeichnung einer Epoche). Illustrative Musik (Beispiel: Disney Filme, in denen die Szene einer laufenden Figur durch schnelle Musik unterlegt ist). Evokative Musik (Beispiel: Düstere Horrormelodie in einem Hitchcock Film). Leitmotiv (modulierte Wiederholung).
Soundpatterns
Patterns
Illustrativer Sound Mickey mousing Pseudorealistischer Sound Metonymischer Sound
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4 Metonymisches Soundpattern. In diesem Fall vermittelt der Sound, was visuell nicht kommuniziert wird (Beispiel: Das Knarren des Scharniers einer Tür vermittelt den Ein- druck, dass eine – bildlich nicht angezeigte – Tür geöffnet oder geschlossen wird). Fokus der Audiovisualistik Die verschiedenen Komponenten der audiovisuellen Rhetorik können eine endliche Reihe von Kombinationen abgeben: sie können konvergieren, divergieren und korrelieren (zusammenlaufen). In den audiovisuellen Diagrammen nimmt diese Spur eine Zentralstelle ein, da auf ihr das Zusammenwirken der Bild-, Musik-, Sound- und Textdimension sichtbar wird, d.h., es wird deutlich, ob diese Dimensionen gegenläufig, parallel oder sich gegenseitig stützend zusammenwirken. Da sich dieses Zusammenspiel verbal nur umständlich oder gar nicht vermitteln lässt – was die Texte beschreiben, ist für den Leser nicht nachvollziehbar –, empfiehlt es sich, andere Techniken auszuprobieren, die den zeitbasierten Medien entgegenkommen. Mit anderen Worten: Die audiovisuelle rhetorische Analyse zeitbasierter Medien sollte ihrerseits auf zeitbasierte Medien zurückgreifen. Wie das vor sich gehen kann, wird an einigen Beispielen gezeigt. Notationssystem Zur Veranschaulichung der interagierenden Patterns wurde ein Notationssystem entwickelt, dessen Zeichen in ein interaktives Diagramm eingesetzt werden. Das Diagramm ist in mehrere Ebenen gegliedert, die den einzelnen audiovisuellen Dimensionen entsprechen – abgesehen von rein filmtechnischen Attributen. Der Ablauf wird auf eine Zeitlinie projiziert. Das analysierte Material – vorzugsweise in Form eines Clips oder Vorspanns eines Films oder einer CD – lässt sich per Click abspielen und jederzeit stoppen. Ein über das Diagramm wandernder Balken zeigt die jeweilige Position der Filmsequenz an. Legenden würden das Diagramm überladen und können deshalb bei Bedarf in Form eines Overlays eingeblendet werden. Diagramm Der Vorspann des Films Casino diente als Material für die audiovisualistische rhetorische Analyse. Auch hier wurde ein mehrschichtiges Diagramm angelegt. An den einzelnen Stellen, an denen Patterns auftreten, lassen sich zur Veranschaulichung Quicktime Movies abrufen. Die Analyse ließ die chromatischen Konjunktionen von Gelb über Rot zu Blau und von Blau über Rot zu Gelb erkennen, die Saul Bass für die Gestaltung
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Buchmüller, Sandra und Joost, Gesche (2001): Entwicklung eines visuellen Analyse-Instrumentariums multimedialer Rhetorik. Diplomarbeit am Fachbereich Design. Fachhochschule Köln, Lehrgebiet Interface Design.
Seminarbeitrag der Studierenden Juan Arroyo und Oliver Hochscheid, 2003.
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Eine aufschlussreiche Analyse des Trailers als spezifisches soziosemiotisches Phänomen liefert Nicola Dusi (2002): «Le forme del trailer como manipulazione intrasemiotica». In: Trailer, spot, clip, siti, banner (Hrsg. Isabella Pezzini). Rom: Meltemi Editore.
Zusammenspiel der Dimensionen
Konvergenz Divergenz
Die Dimensionen, insbesondere Bild, Ton, Musik und Text (Sprache) können drei verschiedene Relationen zueinander einnehmen:
≤ ≤
≥ ≤ ≤ ≥
Konvergenz Divergenz Korrelation (oder Parallelität)
Notationssystem
Interaktives Diagramm des Vorspanns von Casino
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dieses Vorspanns einsetzte. Diese Makrofigur kann als chromatische Epanalepsis gedeutet werden (Epanalepsis: Wiederholung eines gleichen Wortes am Anfang und am Ende eines Satzes).10 Interaktionsrhetorik/Digitalrhetorik Bislang gibt es zwar eine Praxis der Interaktionsrhetorik, aber soweit bekannt, keine Theorie der audiovisualistischen Verfahren oder Patterns im Umgang mit Hypertexten on-line oder off-line, also im WWW oder auf Datenträgern. Bekanntlich besteht ein Hypertext aus einer offenen Sequenz von semantischen miteinander vernetzten Knoten. Wenn man einmal von der durch die physikalischen Begrenzungen der Bildschirmgröße beschränkten Datenmenge absieht, die eine Interaktion erfordert, um neue Daten auf dem Bildschirm anzuzeigen, dann kann man annehmen, dass an den Schnittstellen oder Übergängen von einem semantischen Knoten zu einem anderen semantischen Knoten audiovisualistische Patterns auftauchen können. Eine Typologie dieser audiovisuellen Patterns steht noch aus. Menüs, wie sie in Softwareanwendungen und vor allem auf CD-ROMs vorkommen, können auch unter rhetorischen Gesichtspunkten analysiert werden. In der Regel werden die Optionen in Form einer Liste dargeboten – also einer rein sprachlich-typografischen Darstellung (niemand spricht in Form von Listen). Doch Menüs mit der Funktion, den Inhalt einer CD-ROM zu strukturieren und den Zugriff auf bestimmte Inhalte zu ermöglichen, erschöpfen sich nicht in einer alphabetisch oder nach Wichtigkeit gegliederten Listenform. Auf der CD-ROM powerhouse UK (clearinteractive, London 1997), die der Propagierung von Designservices in Großbritannien dient, wird statt eines herkömmlichen Listenmenüs ein aleatorisches, flächig angelegtes Menü mit vibrierenden kreisförmigen Elementen geboten. Beim Bewegen des Cursors auf eines dieser Elemente wird kurz eine erläuternde Legende eingeblendet, damit der Benutzer erfährt, um was es sich handelt. Ein Click bringt dann den entsprechenden detaillierten Inhalt auf den Monitorschirm. Hier handelt es sich um eine zweidimensionale, dynamische Aufzählung – und Aufzählungen gehören zu traditionellen rhetorischen Verfahren.11 Auch in Computerspielen werden intensiv Verfahren der audiovisuellen Rhetorik verwendet. Die Analyse beschränkte sich nicht allein auf die acht narrativen Stränge der acht Welten des Nintendo Spiels Super Mario Bros12 (Design: Shigeru Miyamoto 1985), sondern bezog sich auch auf rhetorische Verfahren bei der Darstellung von Leben und Tod der Spielfiguren.13 Audiovisuelle rhetorische Phänomene sind nicht auf den okzidentalen Sprachraum beschränkt. Die Analyse der dritten Episode des Antikriegs-Animationsfilms Memories – Cannon Fodder von Katsuhiro Otomo (1995) belegte die Vermutung, dass die hier vorgestellten Techniken auch in andere Sprachkreise übertragen werden können.14
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10
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Lanham, Richard A. (1991): A handlist of rhetorical terms. Berkeley: University of California Press, S. 66.
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Zum Thema Rhetorik im Web siehe Burbules, Nicholas C. (2002): «The web as a rhetorical place». In: Silicon literacies (Hrsg. Ilana Snyder). London: Routledge.
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Ausführliche Informationen zu diesem Thema sind unter zu finden.
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Seminarbeitrag der Studierenden Bettina Braun und Kim Altintop, 2002.
14
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Zwei Seminarbeiträge des Studierenden Tsuyoshi Ogihara, 2002/2003.
Aleatorisches dynamisches Menü (Quelle siehe S. 227)
Leben und Tod der Spielfiguren
Paradoxon tote Fische schwimmen zwar mit dem Bauch nach oben, aber sinken auf den Grund und nicht an die Oberfläche Visuelles Mickey-Mousing der Tod wird durch comichaft überzeichnete Bewegung dargestellt Euphemismus auf den Rücken dregen/herunterfallen als Darstellung des Todes Metaphorische Umkehrung «tot umfallen», «to stomp on» (hart vorgehen gegen) Enthymem/Aposiopese unvollständige Darstellung des Sterbens Verdinglichung/Bedeutungswandel das Leben als item, von dem man mehrere besitzen/ hinzugewinnen/verlieren kann Reaktiver Sound/Mickey-Mousing/Konjunktion die Tötungshandlung wird auditiv (in überzeichneter Weise) unterstützt (auditives Feedback)
Rhetorik über japanische Manga am Beispiel von Katsuhiro Otomos Film «Memories»
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Interfacemetaphern Die wohl am weitesten verbreitete rhetorische Erscheinungsform in den digitalen Medien ist die im PARC (Palo Alto Research Center) erfundene und entwickelte Desktop Metapher, die bei Operationssystemen mit grafischer Benutzeroberfläche benutzt wird. Bei der bereits erwähnten CD-ROM powerhouse UK spielten die Designer mit der Doppeldeutigkeit des Wortes powerhouse (Kraftwerk) und basierten das Interface auf einer aus dem Bereich der Elektrik stammenden Metapher, um über dieses Interface den Zugriff auf die Datenbank mit den Arbeiten aus dem Bereich Industrial Design und Visuelle Kommunikation zu erlangen. Der Startscreen zeigt einen Plus- und einen Minus-Pol, der auf Cursorkontakt reagiert (Funken sprühen). Die Funktion Quit wird durch eine Sicherung visualisiert. Das vierteilige Hauptmenü nimmt Bildelemente der Wicklungen von Elektromotoren auf. Müßig ist der Streit um das Für und Wider von metaphorischen Interfaces; denn das ausschlaggebende Kriterium für den Einsatz audiovisueller Mittel ist die Kohärenz der eingesetzten Komponenten, die schließlich die Qualität eines Interface, seine Brauchbarkeit ausmacht. Auflösung des Primats der Diskursivität Die skizzenhaften Beispiele, die sich ohne Zweifel erheblich verfeinern lassen, dienten dazu, die kognitive Relevanz von Visualisierungen empirisch zu belegen. Dynamische interaktive Visualisierungen stellen neue Anforderungen an die kognitive Kompetenz, die in diskursiv geprägten Disziplinen wie Literaturtheorie und Sprachtheorie bislang nicht zum Ausbildungsfundus gehört. In den Neuen Medien wird zu Recht und mit Nachdruck das kognitive Potenzial der audiovisualistischen Dimension reklamiert. Unter dem Begriff des iconic turn, der Bildwende, ist diese neue epistemologische Konstellation, ist dieser Bruch des Primats der Diskursivität als privilegierter Raum von Erkenntnis zeitaktuell thematisiert worden. «Sicher werden Schrift und Lektüre ihre Bedeutung nicht unmittelbar verlieren, in der Bandbreite kultureller Performanzen wird ihnen aber eine weniger zentrale Position zugewiesen.» «Dass nur die gedruckte Monografie etwa den Wissensstand einer wissenschaftlichen Disziplin repräsentiert, dieser Gedanke wird heute ganz allgemein als dem Bereich ›Mythen der Buchkultur‹ zugerechnet.»15 Die hier erläuterten analytischen und deskriptiven Verfahren sind medienmateriell ausgerichtet und – wie bereits erwähnt – weniger hermeneutisch. Im Gegensatz zu filmanalytischen Verfahren, in denen auf Kameraführung, Bildkomposition, Beleuchtung, Totale/Halbtotale und Dialog geachtet wird, liegt beim audiovisualistischen Ansatz der Nachdruck auf dem Aufdecken von Patterns. Zukünftige, weit über diesen hier vorgestellten rudimentären Ansatz hinausreichende Untersuchungen könnten die zunächst auf die syntaktische Dimension beschränkten filmspezifischen Technizismen wie Zeitlupe, Zeitraffer, Freeze frame und Rotoscope in ein System der Audiovisualistik eingliedern.
15 I
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Hartmann, Frank (2003): Mediologie – Ansätze einer Medientheorie der Kulturwissenschaften. Wien: Facultas Verlag.
Interfacemetapher (Elektrik) einer CD Quelle: Producer/Author: Clear Interactive Ltd. (1998): powerhouse::uk. London: dti Department of Trade and Industry.
Einschränkung des Primats der Diskursivität
Interaktionsrhetorik (Hypertexte)
»Sicher werden Schrift und Lektüre ihre Bedeutung nicht unmittelbar verlieren, in der Bandbreite kultureller Performanzen wird ihnen aber eine weniger zentrale Position zugewiesen.« Frank Hartmann, 2003
Verknüpfungen Links
Hypothese An den Übergängen von einem semantischen Knoten (Bildschirmeinheit, screen) zu einem anderen semantischen Knoten können sich rhetorische Patterns ansiedeln.
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Bibliografie
Bredekamp, Horst und Werner, Gabriele (Hrsg., 2003): Bildwelten des Wissens – Kunsthistorisches Jahrbuch für Bildkritik, Band 1,1. Berlin: Akademie Verlag Chion, Michel (1994): Audio-Vision. New York: Columbia University Press Dusi, Nicola, (2002): «Le forme del trailer como manipulazione intrasemiotica». In: Trailer, spot, clip, siti, banner. (Hrsg. Isabella Pezzini). Roma: Meltemi Editore, 2002. Flückiger, Barbara (2001): Sound Design – Die virtuelle Klangwelt des Films. Marburg: Schüren Verlag Gerig, Manfred und Vögeli, Irene (2003): Abb.1: Bilder der Wissenschaftskommunikation. Zürich: Hochschule für Gestaltung und Kunst Gombrich, Ernst (1990): «Pictorial instructions». In: Images and understanding (Hrsg. Horace Barlow, Colin Blakemore, Miranda Weston-Smith). New York: Cambridge University Press Helfand, Jessica (2001): Screen: Essays on graphic design, new media, and visual culture. New York: Princeton Architectural Press Kanzog, Klaus (2001): «Grundkurs Filmrhetorik». In: diskurs film – Münchner Beiträge zur Filmphilologie, Band 9. München: Diskurs-Film-Verlag Schaudig und Ledig Knorr Cetina, Karin (2001): «Viskurse» der Physik. In: Mit dem Auge denken (Hrsg. Bettina Heintz, Jörg Huber). Wien: Springer Verlag Lausberg, Heinrich (1990): Handbuch der literarischen Rhetorik. Stuttgart: Franz Steiner Verlag Manovich, Lev (2001): The language of new media. Cambridge: MIT Press Moritz, William (2004): Optical poetry: the life and work of Oskar Fischinger. Bloomington: Indiana University Press Nöth, Winfried und Santaella, Lucia (2001): Imagem: cognição, semiótica, mídia. São Paulo: Editora Iluminuras Searle, John R., (1982): «Metapher». In: Ausdruck und Bedeutung. Frankfurt: Suhrkamp Verlag (Originalausgabe: Expression and meaning. Studies in the theory of speech acts. 1979)
URLs
http://seminare.design.fh-aachen.de/mind/referate Thema Gedächtnis und Design, Leitung Prof. Oliver Wrede http://www.filmsound.org/terminology.htm
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Fallstudien
Gesche Joost
Die rhetorische PatternLanguage des Films
Dieser Beitrag stellt ein Notationsverfahren für audio-visuelle Patterns (AVPs) vor, mit dem auditive und visuelle Parameter von Multimedia-Produkten visualisiert werden können. Dieser Ansatz ermöglicht die Anwendung einer visuellen, auf Mustern und Strukturen basierenden Herangehensweise für die Analyse von dynamischen audio-visuellen Medien wie Film, Animation und Werbung. Darüber hinaus ist das Verfahren eine Grundlage für eine vergleichende Analyse rhetorischer Strukturen der Medien und ein Werkzeug, um emotionale Reaktionen der Zuschauer antizipieren zu können. Um diese These zu validieren, wurden zwei Tests durchgeführt, in denen die Vorhersagen des Notationssystems mit den tatsächlichen Reaktionen von Probandinnen verglichen wurden, die diese auf zehn ausgewählte Werbefilme zeigten. Diese ersten Ergebnisse belegen, dass das Notationssystem der AVPs relativ stichhaltige Vorhersagen in Bezug auf die Stärke der emotionalen Erregung zulässt. Allgemeine Rhetorik und Informationsdesign Wie Emotionen durch audio-visuelle Medien hervorgerufen werden, ist eine Forschungsfrage, die derzeit von unterschiedlichen Disziplinen angegangen wird – ja, in den Filmwissenschaften geht es so weit, dass bereits von einem «emotional turn» (Thomas Anz) gesprochen wird, der widerspiegelt, dass die Emotionserweckung eines der wichtigsten filmischen Überzeugungsmittel ist. Im vorliegenden Beitrag folge ich der Frage, wie die emotionale Struktur eines audio-visuellen Stimulus im Film visualisiert werden kann. Dazu greife ich auf die Allgemeine Rhetorik als theoretischer Rahmen zurück und nutze gleichzeitig die Kompetenzen des Informationsdesigns, um eine kognitiv effizi I
Anderson, L., Shimamura, A. (2005): «Influences of emotion on context memory while viewing film clips». In: The American journal of psychology 118, 3, S. 323-337; Bordwell, D. (1996): «Cognition, Construction, and Cinematic Vision». In: Bordwell, D., Carroll, N. (Hrsg.), Post-Theory: Reconstructing Film Studies. Madison, USA, University of Wisconsin Press, S. 87-107; Carroll, N. (1992):«Cognitivism, Contemporary Film Theory, and Method». In: Journal of Dramatic Theory and Criticism 6, 2, S. 199-219; Plantinga, C. R., Smith, G. M. (Hrsg., 1999): Passionate Views: Film, Cognition and Emotion. Baltimore, London, Johns Hopkins University Press; Smith, M.(1996): Emotions and the Structure of Narrative Film: Film as an Emotion Machine. Mahwah, USA, Lawrence Erlbaum Associates; Wuss, P. (2002): «Das Leben ist schön ... aber wie lassen sich die Emotionen des Films objektivieren?» In: Sellmer, J., Wulff, H. J. (Hrsg.), Film und Psychologie – nach der kognitiven Phase? Marburg, Schriftenreihe der GFM Gesellschaft für Medienwissenschaft, S. 123-142; Scheuermann, Arne (2004): «Moving Picture Audience – Affektkommunikation im populären Film». In: Zika, Anna (Hrsg.), The Moving Image – Beiträge zu einer Medientheorie des bewegten und bewegenden Bildes. Weimar, Kromsdorf, S. 113-130.
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ente Aufbereitung der Ergebnisse zu erreichen. Es handelt sich somit um einen interdiszi- plinären Ansatz aus Rhetorik und Design, in dem zwei Wissensbereiche und zwei unterschiedliche Heuristiken aufeinander bezogen werden. Nach Gui Bonsiepe wird dies als «Rhetorik der Audiovisualistik» oder «audio-visuelle Rhetorik» bezeichnet (vergleiche den Beitrag in diesem Band). Die Rhetorik selbst liefert dazu ein etwa 2500 Jahre altes theoretisches und praktisches Rüstzeug der erfolgsorientierten Kommunikation, während das Design über die Medienkompetenz hinaus erfolgreich darin ist, parasitäre Wissenschaftskonzepte hervorzubringen, in denen je nach Untersuchungsgegenstand vielversprechende Disziplinen als Wirtstiere dienen – und das ist durchaus positiv zu verstehen, da es eine äußerst produktive Zusammenarbeit darstellt. Das Design sattelt hier also auf die Rhetorik auf, um das Konzept der audio-visuellen Rhetorik zu präsentieren. Der Vorteil einer solchen Beziehung ist der, dass einerseits die Rhetorik aus ihrer latenten Fixierung auf die verbale Sprache befreit wird, und dass andererseits das Design – rhetorisch informiert – ein neuartiges Analyse- und Produktionswerkzeug des Films vorstellen kann. Meiner Ansicht nach stehen beide Wissensbereiche somit gleichberechtigt nebeneinander und profitieren von der Zusammenarbeit.
Audio-visuelle Rhetorik im Bereich der Human Computer Interaction (HCI) Neben den ständig wachsenden Fortschritten in der Rechenleistung von Computern und der schier endlosen Verbreitung von Informationen spielt die Verwendung von multimedialen Applikationen in interaktiven Systemen eine immer größere Rolle im Bereich der HCI. Im Mittelpunkt der vielen multimedialen Anwendungen steht das Ziel, einem Nutzer eine informative wie auch emotionale Nachricht zu vermitteln – trotz aller Verwicklungen und Widerstände, die ein solches kommunikatives Unterfangen auf Seiten des Rezipienten hervorruft. Hier spielt eine rhetorisch kompetente Vermittlung eine große Rolle, um überzeugen zu können. Die beiden wichtigsten Modalitäten solcher Systeme sind der visuelle und der auditive Sinn. Die neuere Forschung hat sich ausführlich mit den kognitiven Auswirkungen des Einsatzes von Multimedia auseinandergesetzt. Dass jedoch multimediale Anwendungen darüber hinaus einen starken Einfluss auf die emotionale Gestimmtheit eines Nutzers haben können, wurde lange vernachlässigt. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn es sich um dynamische Medien wie Videos und Animationen handelt, die immer häufiger in verschiedenen Computeranwendungen für Bildungs-, Unterhaltungsoder andere kommerzielle Zwecke eingesetzt werden. Dabei handelt es sich maßgeblich um die Gestaltung der Erfahrungen des Nutzers (user experience). Um diese Erfahrung auch auf emotionaler Basis gestalten zu können, ist rhetorische Kompetenz erforderlich, die die Beziehung zwischen Medium, Nutzer und Kontext in den Blick nimmt. Meine These ist, dass dabei rhetorische Patterns zum Einsatz kommen, die im Folgenden beschrieben werden.
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Bonsiepe, G. (1961): «Persuasive Communication: Towards a Visual Rhetoric». In: Crosby, T. (Hrsg.), Uppercase Nr. 5, London, Whitefriars Press, S. 19-34.
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Sutcliffe, A. (2003): «Multimedia User Interface Design». In: Jacko, J. A., Sears, A., The Human-Computer Interaction Handbook: Fundamentals, Evolving Technologies, and Emerging Applications. Mahwah, Lawrence Erlbaum Associates.
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Hassenzahl, M., Tractinsky, N. (2006): User Experience – A Research Agenda. Behaviour & Information Technology, 25 (2), S. 91-97; Fogg, B. J. (2003): «Motivating, Influencing, and Persuading Users». In: Jacko, J. A., Sears, A., The Human-Computer Interaction Handbook: Fundamentals, Evolving Technologies, and Emerging Applications. Mahwah, Lawrence Erlbaum Associates.
Das vorgestellte System der AVPs kann also, so die These, als Methode zur Analyse, Gestaltung und Bewertung von Multimedia-Produkten herangezogen werden. Die Theorie der audio-visuellen Patterns (AVPs) Die Rhetorik vermittelt systematische Kenntnisse über kommunikative Musterlösungen, die – je nach Kontext, kommunikativem Ziel und Adressat – zu einer erfolgreichen Kommunikation verhelfen können. Ein Teil davon sind die rhetorischen Figuren, die als Redeschmuck (ornatus) in der Phase der Textproduktion (elocutio) eingesetzt werden. Darüber hinaus benennt die Rhetorik jedoch auch Argumentationsschemata, Gliederungsvorlagen für ganze Texte oder Muster der körperlichen Beredsamkeit für Vortrag und Präsentation, die ebenso zum Repertoire der rhetorischen «Patterns» gehören. Mit dem englischen Begriff der Patterns knüpfe ich an einen neueren Forschungskontext an, der seinen Anfang in Christopher Alexanders «Pattern Language» der Architektur nahm, und in dem erstmals außerhalb der Rhetorik die Idee der rhetorischen Figur auf einen nonverbalen Zeichenkontext übertragen wurde. Nach Alexander sind Patterns archetypische De- signlösungen für allgemeine Problemstellungen, die auf die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse in einem bestimmten Kontext abzielen. Diese grundlegende Definition ist auch auf den Pattern-Begriff in den audio-visuellen Medien übertragbar. Auf seinen Vorstoß hin folgten Beiträge unterschiedlicher Disziplinen wie der Software-Entwicklung oder des Interface Design, die nun ihrerseits eigene Pattern Languages vorstellten, ohne sich jedoch explizit auf das Theoriegerüst der Rhetorik zu berufen. Der Bezug zur Ausrichtung der Rhetorik auf ihre kommunikativen Ziele ging dabei sogar gänzlich verloren. Darum versucht die audio-visuelle Rhetorik, diesen wieder herzustellen, um Auswahl und Einsatz der Mittel wieder in Einklang mit ihrer Zielsetzung zu bringen. Das Grundprinzip rhetorischer Kommunikation ist es, unter Einsatz von Medien ein Publikum von einer Botschaft zu überzeugen. Das kann zum Beispiel bedeuten, es in eine bestimmte emotionale Stimmung zu versetzen (Ethos und Pathos) oder aber es mit rationalen Argumenten zu überzeugen (Logos). Wir haben es also mit der ganzen Bandbreite der Persuasion zu tun. Das rhetorische Wissen wird in zwei Schritten für die audio-visuellen Medien nutzbar gemacht: (a) Zunächst wird der rhetoriktheoretische Rahmen für die Medien-Analyse aufbereitet, und dann werden (b) die rhetorischen Strukturen und audio-visuellen Patterns des Mediums in einem Notationssystem visualisiert. Ziel ist es, eine Methode zu entwickeln, die auf die Systematik der AVPs zurückgreift, um die Analysen zu erleichtern und zu strukturieren. Diese Art der Analyse ermöglicht darüber hinaus, die potenzielle Intensität der emotionalen Erregung des Publikums abzuschätzen, da in der rhetorischen Lehre bestimmte Muster an eine ihnen zugehörige Wirkungsabsicht gekoppelt sind. Hier spricht man von der rhetorischen Stilhöhe des schlichten, mittleren und hohen Stils einer Kommunikation auf den drei Ebenen der Wirkungsfunktion: Logos, die unterste Ebene der emotionalen Erregung über rationale Argumente für die Überzeugungsarbeit; Ethos, als mittlere Ebene der Erregung auf der Grundlage von Unterhaltung und moderat emotionalen Werten der Unter-
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Alexander, C., Ishikawa, S., Silverstein, M. (1977): A Pattern Language. Towns, Buildings, Construction. New York, Oxford University Press.
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Borchers, J. (2001): A Pattern Approach to Interaction Design. New York, Wiley & Sons; Tidwell, J. (2005): Designing Interfaces. Beijing; Sebastopol, CA, O’Reilly.
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haltung, und Pathos mit dem höchsten Niveau der emotionalen Erregung, wodurch entweder sehr negative oder sehr positive Reaktionen hervorgerufen werden. In der rhetorischen Lehre wurde die Systematik von Figuren traditionell als ein ganz praktisches Instrumentarium für den Redner verstanden: Bei der Planung einer Rede konnte er oder sie aus dieser Quelle je nach Thema die passenden Stilfiguren finden. Ein Thema von hohem Pathos wie zum Beispiel Krieg und Frieden, Vaterland oder Leidenschaft erfordert Figuren des hohen Stils für die emotionale Erregung: Metaphern, Klimax, eine Exclamatio. Die Doktrin der Angemessenheit, das sogenannte aptum, beschreibt dabei die Passung zwischen der spezifischen kommunikativen Zielsetzung gegenüber dem Publikum und der Wahl der Mittel. Dieses Wissen ist heute noch gültig. Insgesamt zeichnet sich der hohe Kommunikationsstil des Pathos durch den intensiven Gebrauch von AVPs aus; so eignen sich beispielsweise Metaphern und Metonymien, dynamische Muster wie Beschleunigung oder slow motion, Übertreibung und Antizipation, Wiederholungen und Klimax-Figuren zur Erregung starker Gefühle. Im Gegensatz dazu ist der mittlere Stil des Ethos durch einen mäßigen Gebrauch von AVPs charakterisiert, der der Unterhaltung und Erregung sanfter Affekte des Publikums dienen soll. Beispielsweise bietet sich die Personifikation als Muster an, die rhythmische Montage oder die Schnittkonvention der HollywoodGrammatik, um im Publikum sanfte Emotionen wie Sympathie und Empathie auszulösen. Der niedrige Stil des Logos arbeitet hingegen mit sehr wenigen Stilfiguren, da es sich hier um rationale Argumentationen handelt. Im Film werden dazu zum Teil visuelle Evidenzen eingesetzt, verbale Verankerungen und Illustrationen, um die meist verbal geführte Argumentation zu stützen. Designerinnen und Filmemacher nutzen meist intuitiv die angemessen kommunikativen Mittel, um die Emotionen ihres Publikums zu lenken, auch wenn sie in der Regel nicht über das explizite rhetorische Regelwerk verfügen, sondern meist auf ihre individuelle Erfahrung zurückgreifen. Heute ist die Nutzung solcher rhetorischer Muster ein Teil des impliziten Wissens, das Polanyi als Prozess des «tacit knowing» beschreibt. Die bestehende Wissensbasis der Rhetorik scheint beinahe verschüttet zu sein, wenngleich wir in den Ansätzen zur visuellen Rhetorik erste Schritte erkennen, um einem Verlust dieses Wissens entgegenzuwirken. Nach wie vor – und das ist eine grundlegende Voraussetzung für dieses Konzept – ist die rhetorische Passung im Sinne des aptum für die mediale Kommunikation gültig, und somit stellt die Rhetorik eine grundlegende Wissenschaft für das Design sowohl in theoretischer als auch in praktischer Perspektive dar. Durch eine Analyse der rhetorischen Struktur eines Mediums kann man die potenziellen Reaktionen des Zielpublikums abschätzen. Die verwendeten AVPs lassen zudem Rückschlüsse auf die rhetorische Strategie des Produzenten zu – des Filmemachers oder des Designers. Auf Basis der Rhetorik lassen sich jedoch keine Aussagen über die tatsächlichen Reaktionen eines Publikums
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Aristoteles: Rhetorik, München 1989, Wilhelm Fink Verlag, 1356a. Siehe u.a. Ehses, Hanno (1986, zweite Auflage 1989): Design and Rhetoric. An Analysis of Theatre Posters, Halifax, Design Division, Nova Scotia College of Art and Design, Design Papers 1; Ehses, Hanno, Lupton, Ellen (1988): Rhetorical Handbook. An Illustrated Manual for Graphic Designers, Halifax, Design Division, Nova Scotia College of Art and Design, Design Papers 5; Hill, Charles, Helmers, Marguerite (Hrsg., 2004): Defining Visual Rhetoric, Mahwah, NJ, Lawrence Erlbaum; Poggenpohl, Sharon Helmer (1998): «Visual Rhetoric: An Introduction». In: Visible Language, Nr. 3, S. 197-199.
Abbildung 1: Auswahl von Notations-Icons
Icons der audio-visuellen Korrelation Konvergent/divergent/ komplementär IconS der Einstellung: Großaufnahme Nahaufnahme (offen/geschlossen/ over-the-shoulder-shot) Amerikanische Einstellung (offen/geschlossen/ over-the-shoulder-shot) Totale (offen/geschlossen) Panorama Splitscreen Schwenk Zwischentitel Kameraperspektive Vogelperspektive Froschperspektive Normalperspektive
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treffen. Aus diesem Grund muss die Einschätzung durch eine empirische Evaluation validiert werden. Das visuelle Notationssystem und seine Ikonographie Audio-visuelle Patterns des Films, der Werbung oder der Animation zu untersuchen, ist ein analytischer Prozess, für den eine praktikable Methode auf visueller Basis bisher noch ausstand. In der Filmtheorie und -praxis gibt es verschiedene Modelle, um filmische Strukturen zu beschreiben und zu analysieren, wie zum Beispiel das etablierte schriftliche Filmprotokoll, mit dem das audio-visuelle Zeichensystem des Films in einen verbalsprachlichen Text übersetzt wird. Diese Methode wurde von einigen Wissenschaftlern jedoch in Frage gestellt, da den filmspezifischen dynamischen und audio-visuellen Qualitäten in dieser Form nicht in angemessener Weise Rechnung getragen werden kann – ein Film wird so, überspitzt formuliert, wie ein Text analysiert. Um dieses Problem zu überwinden, nutzt die audio-visuelle Rhetorik ein visuelles Notationssystem.10 Es handelt sich um eine Methode, mit der die Struktur eines Films auf der Basis einer Informationsgrafik beschrieben und analysiert werden kann. In der bisher etablierten Methode des Filmprotokolls wird der semiotische Code von Bild und Ton zur Verbalsprache transferiert – und dieser Codewechsel bedeutet einen großen Verlust an Informationen, der sich besonders auf die audio-visuelle und dynamische Qualität der Zeichenfolgen bezieht. Mit dem visuellen Notationsprotokoll soll dieser Informationsverlust nun verringert werden, indem der visuelle semiotische Code beibehalten wird. Diese Methode hat weitere Vorteile: Die Grafik zeigt Informationen auf einen Blick, sodass der Empfänger, die Empfängerin die Daten gleichzeitig rezipieren kann. Geschriebene Texte können Informationen nur sukzessive darstellen – ein Wort nach dem anderen. Im Notationsprotokoll werden Informationen über den gesamten Ausschnitt des Films parallel in mehreren Notationsspuren gleichzeitig dargestellt, sodass eine parallele Interpretation der Daten und ihrer Beziehung zueinander möglich ist. Durch die grafische Aufbereitung treten Muster – wie Repetitionen, Klimax-Strukturen oder Emphasen – in der Struktur visuell hervor und können somit in die Analyse einbezogen werden. Mit diesem Ansatz können große Mengen von Informationen aus den audio-visuellen Medien für analytische Zwecke effizient verarbeitet werden. Muster lassen sich visuell anhand der Pattern-Struktur und ihrer Entwicklungslinien auf einen Blick identifizieren. Das Notationssystem selbst besteht aus einer Reihe von visuellen Icons (siehe Abbildung 1). Mit Hilfe dieses Zeichensystems können die technischen wie rhetorischen Parameter des Films in kognitiv effizienter Weise abgebildet werden, beispielsweise hat jede filmische Einstellung, Kameraperspektive oder Montageform eine eigene ikonographische Repräsentation. Diese Icons sind Teil einer Notationssprache im Sinne Nelson Goodmans: sie beschreiben filmische Phänomene, ohne sie mit Worten repräsentieren zu müssen.11 Sie werden im Rahmen eines Notationsfeldes abgebildet, das auf einem 2-Achsen-Modell basiert: mit einer paradigmatischen und einer syntagmatischen Achse. Christian Metz überträgt dieses ursprünglich linguistische Modell auf den Film
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Lehner, C. (1987): «Einige zentrale Probleme der neueren Filmsemiotik». In: Bauer, L., Ledig, E., Schaudig, M. (Hrsg.), Strategien der Filmanalyse. München, Diskurs film, Bd. 1, 1987, S. 59-72.
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Diese Herangehensweise geht auf Gui Bonsiepe zurück (siehe Beitrag in diesem Band). Das Notationssystem habe ich in seinen Grundzügen gemeinsam mit Sandra Buchmüller 2001 entwickelt; für die theoretische Weiterentwicklung siehe Joost, Gesche (2008): Bild-Sprache. Die audio-visuelle Rhetorik des Films. Transscript Verlag, Bielefeld.
Goodman, Nelson (1995): Sprachen der Kunst. Frankfurt a. M., Suhrkamp, S. 125-168.
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Abbildung 2: Notationsfeld
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und beschreibt daran die grundsätzlichen Zeichenoperationen, die zum Filmverstehen insgesamt notwendig sind.12 Das Syntagma beschreibt die Abfolge und Kombination unterschiedlicher Einstellungen entlang der Zeitachse, während das Paradigma die Menge aller Einstellungen umfasst, die an einer Position in der Abfolge möglich sind, und aus denen jeweils eine selektiert wird. Beispielsweise finden sich in der paradigmatischen Selektion – der vertikalen Achse des Modells – unterschiedliche Kameraperspektiven, in denen eine Einstellung realisiert werden kann, von der Frosch- zur Vogelperspektive. Entlang des Syntagmas, das im Modell die horizontale Achse darstellt, wird im Gegensatz dazu festgelegt, welche Einstellung auf die gewählte folgt. Diese beiden Achsen bilden den theoretischen Rahmen für das Notationssystem auf der Grundlage der Semiotik und klären zeichentheoretisch, wie die rhetorischen Muster des Films Bedeutung generieren und letztlich Wirkung beim Publikum erzeugen. Das Notationsfeld besteht insgesamt aus drei Spuren: der auditiven, der visuellen und der Korrelationsspur (siehe Abbildung 2). In der ersten Spur werden alle auditiven Parameter als Sound, Dialog oder Musik beschrieben. Die zweite enthält alle visuellen Parameter wie Einstellungsgrößen und Montageformen, Perspektive, Kamerabewegung, Farben und ähnliches. Die Korrelationsspur legt fest, wie sich die auditiven und visuellen Spuren aufeinander beziehen, und zwar entweder konvergent (auditive und visuelle Zeichen stimmen überein), divergent (auditive und visuelle Zeichen widersprechen einander) oder komplementär (auditive und visuelle Zeichen verstärken einander). Aus diesen drei grundsätzlichen Patterns ergibt sich schon eine erste Interpretation, denn ein divergentes AVP beispielsweise ist ein oft artifiziell wirkendes Stilmittel, das im Widerspruch zur Erwartungshaltung des Publikums steht. Die Divergenz wird daher häufig eingesetzt, um starke Emotionen im Publikum zu wecken, wie Überraschung, Verwirrung, oder Ironie.
Mapping der rhetorischen Antizipation
Um die Tragfähigkeit des Ansatzes hinsichtlich der Antizipation von Zuschauerreaktionen zu demonstrieren, wurden zwei Tests mit einer Gruppe von Probandinnen durchgeführt, denen eine Auswahl von zehn Werbefilmen gezeigt wurde. Diese Werbefilme wurden im Vorhinein von zwei Designerinnen mit Hilfe des Notationssystems analysiert und in ihrer rhetorischen Struktur visualisiert (siehe Abbildung 3). Um die emotionale Wirkung der Filme einordnen zu können, wurde das «Emotion Response Modell»verwendet. Auf der horizontalen Ebene wird dabei die Qualität der Emotionen zwischen pleasant (angenehm) und unpleasant (unangenehm) abgetragen, während die vertikale Ebene die Stärke der emotionalen Erregung zwischen sleepy (gelangweilt/schläfrig) und aroused (erregt) angibt (siehe Abbildung 5).13 Diese psychologische Matrix wurde auf das rhetorische Emotionsmodell gemappt, das zwischen den drei Intensitäten der Erregung nach Logos, Ethos und Pathos unterscheidet. Diese drei Kategorien beschreiben nur die positive Amplitude emotionaler Erregung und decken nicht die negative Skala der Emotionen von neutral bis sleepy ab. Das resultiert aus der Tatsache, dass sich Rhetorik an sich nur auf solche kommunikativen Zwecke konzentriert, die mit emotionaler Involvierung arbeiten, sich also nicht
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Metz, C. (1972): «Probleme der Denotation im Spielfilm». In: ders., Semiologie des Films, München, Wilhelm Fink Verlag, S. 154-161.
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Diese Herangehensweise folgt den Konventionen in der Emotionsforschung, siehe u. a. Russell, J. A. (2003): «Core affect and the psychological construction of emotion». In: Psychological Review, 110, 1, S. 145-172.
Abbildung 3: Anti Child Abuse
Lufthansa NewYork
Colgate Toothbrush
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auf Bereiche sinkender emotionaler Qualität im Bereich der Langeweile oder Schläfrigkeit erstreckt. Dieses theoretische Argument kann durch alltägliche Beobachtungen unterstützt werden: Es ist schwer, Beispiele im Bereich der Werbung zu finden, die sich zum Ziel setzen, das Publikum zu deaktivieren. Die Tests zur Evaluierung von Werbefilmen wurden von der Ben Gurion Universität in Israel unter Leitung von Noam Tractinsky durchgeführt. Im Team haben wir dafür zehn Werbespots aus öffentlichen Internet-Datenbanken wie youtube ausgewählt, die online unter http://www.geschejoost.org/commercials zu finden sind (siehe Abbildung 4). Die meisten der ausgewählten Clips haben einen geringen Anteil an gesprochenen Dialogen, weil sie internationalen Probandinnen vorgestellt wurden, die nicht Deutsch sprachen. Diese Auswahl trug auch dazu bei, dass wir die Auswirkung der Inhalte der Werbestory minimieren konnten zugunsten der rhetorischen Strukturen, die im Test bewertet wurden. Wir wählten solche Werbefilme aus, die sich potenziell auf möglichst unterschiedlichem Niveau der emotionalen Erregung von hoch bis niedrig befanden. Darüber hinaus wählten wir ein Beispiel aus den späten 1980er-Jahren, weil wir festgestellt haben, dass sich der Kommunikationsstil der Werbespots bis heute stark verändert hat: heute sind rationale Argumentationen (Logos) kaum mehr zu finden, vielmehr haben die meisten von ihnen eine hohe emotionale Wirkung und einen eher unterhaltsamen Stil. Für jeden der Werbefilme wurde ein Notationsprotokoll der AVPs erstellt.14 Die Art und Struktur der AVPs wurden als Indikator für die erwarteten emotionalen Reaktionen der Empfänger angenommen. Aus Sicht der Rhetorik bezieht sich das entstehende Muster vor allem auf die Höhe der emotionalen Erregung, wohingegen es nur wenig Informationen über ihre Qualität der Empfindungen zwischen pleasant und unpleasant enthält. Daher gibt es bezüglich dieser Größen eine stark subjektive Komponente in der Einschätzung der emotionalen Werte auf der horizontalen Ebene. In fünf Werbefilmen fanden wir im Team Muster der hohen emotionalen Erregung (Pathos): für Film 1 Hyperbel, Klimax und Katachresis; für Film 2 Hyperbel und Metonymie; für Film 4 Hyperbel, Kontrast und Fokus; für Film 6 Emphase, Dynamik und Analogie; und Film 10 Metapher, Emphase und Wiederholung. Diese AVPs wecken potenziell beim Zuschauer starke Emotionen und sind dem hohen rhetorischen Stil zuzuschreiben. Auf der Basis der AVPs wurden drei Filme auf der mittleren Ebene der emotionalen Erregung (Ethos) eingeordnet: Film 5 arbeitet mit Variation und rhythmischer Montage; Film 8 auf der Grundlage von rationaler Argumentation und visueller Evidenz; und Film 3 überzeugt ebenso mit visueller Evidenz und Amplifikation. Nur zwei Filme wurden dem niedrigen Kommunikationsstil des Logos zugewiesen: Film 7 mit dem Mittel der Personifizierung, des visuellen Beweises und der verbalen Verankerung, und Film 9 (aus den 1980er-Jahren) mit rein rationaler Argumentation und visueller Verankerung. Auf der Grundlage dieser Einschätzungen wurden die Beispiele in das «Emotion Response Modell» eingeordnet. Aus der Analyse ergab sich die Einsicht, dass es nicht möglich ist, bestimmte AVPs dezidiert einer Stilhöhe zuzuordnen. Beispielsweise kam das AVP der Personifikation auch in einem Film vor, der insgesamt im niedrigen Level emotionaler Erregung gehalten war. Auch kam im Film 9, der den niedrigsten Grad an emo-
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Diese Aufgabe hat maßgeblich Sandra Buchmüller übernommen, der an dieser Stelle herzlich gedankt sei.
Abbildung 4: Titel und Nummerierung der untersuchten Werbefilme
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Carenet
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Panty Liner
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Lays Chips
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Lufthansa NewYork
6
Mercedes S Class
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Colgate Toothbrush
8
Eva Longoria for L’Oreal
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Surf detergent
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CWS Washroom Solutions
Abbildung 5: Erwartete (schwarz) versus beobachtete (grau) emotionale Reaktionen der Zuschauerinnen auf zehn Werbefilme (nummeriert von 1 bis 10).
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tionaler Erregung aufwies, trotzdem eine Emphase vor – eine Stilfigur, die eher emotionale Stimulation auslöst. Diese Beobachtung machte deutlich, dass es keine distinkte Verbindung zwischen den AVPs und dem potenziellen Level emotionaler Erregung gibt, sondern dass die Kombination der Quantität der Patterns, der Grad der Spannung und die Art der AVPs zusammen eine gute Basis schaffen, um den potenziellen emotionalen Effekt beim Publikum einzuschätzen. Die Notationspraxis und ihre empirische Bewertung Struktur und Stil von jedem der zehn ausgewählten Werbefilme sind in den Notationsprotokollen visualisiert. Die Entwicklung der Spannung ist jeweils durch eine Kurve dargestellt, deren Verlauf auf den AVPs basiert. Die vertikale Dimension der Darstellung spiegelt dabei die emotionale Intensität wider, während die horizontale Dimension die Entwicklung des Plots abbildet. Für jeden Film wurden aus rhetorischer Sicht besonders relevante Punkte markiert, die im Test mit den Probandinnen gesondert evaluiert wurden. Diese Punkte wurden «emotional check points» (ECPs) genannt, an denen die emotionale Reaktion der Testpersonen einzeln abgefragt wurde. Die Notation des Werbefilms Anti Child Abuse beispielsweise zeigt einen starken Anstieg der Spannungskurve mit Einsetzen der ersten AVPs, in diesem Falle einer Katachresis (Bildbruch). Hier ist es eine typische Szene einer Familie beim Abendessen, die sich plötzlich zu einer Kindesmisshandlung entwickelt. Über den gesamten Film hin wird die drastisch angestiegene emotionale Spannung gehalten, indem visuelle Evidenz und das Polyptoton (das gleiche Motiv wird aus unterschiedlichen Kameraperspektiven gezeigt) eingesetzt werden. Am Ende des Films erreicht die Spannung ihren Höhepunkt, wenn auf verbaler Ebene angezeigt wird, dass diese gewalttätigen Szenen gegen Kinder in Wirklichkeit noch schlimmer seien, dass der Film hier noch untertrieben habe. Dabei wird interessanterweise auf dem Höhepunkt der pathetischen Inszenierung durch Bilder eine verbale Botschaft ohne bildliche Unterstützung eingesetzt – die dazugehörigen Bilder sollen im Kopf des Betrachters ergänzt werden. Die zehn Notationsprotokolle mit den zugehörigen Werbefilmen waren die Grundlage für die beiden empirischen Studien, die mit jeweils zehn Probandinnen an der israelischen Universität durchgeführt wurden. Ziel des ersten Tests war es, zu ermitteln, ob die Vorhersagen der Notationsprotokolle mit den tatsächlichen Reaktionen der Zuschauerinnen auf die Werbung übereinstimmten. Diese Studie hatte explorativen Charakter und eine geringe Anzahl an Testpersonen, daher wurden ausschließlich Frauen rekrutiert, da sie in der Regel präzisere und offenere Aussagen über emotionale Reaktionen in Testsituationen geben als Männer.15 Die Teilnehmerinnen bewerteten die zehn Werbefilme, die zwischen 27 und 61 Sekunden lang waren (im Durchschnitt 41 Sekunden) und von unterschiedlichen Firmen und Organisationen produziert worden sind. Mit Hilfe eines Fragebogens wurden die emotionalen Reaktionen der Probandinnen aufgenommen, nachdem sie jeweils einen Film gesehen hatten. Dabei ging es sowohl um allgemeine Emotionen (Intensität der Emotionen, angenehm versus unangenehm), als auch um diskrete Emotionen wie Liebe, Angst, Überraschung etc. Die Antworten auf jede Frage wurden auf einer Skala von 1 bis 9 abgetragen.
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Hagemann, D., Naumann E., Maier, S., Becker, G., Lürken, A., Bartussek, D. (1999): The assessment of affective reactivity using films: Validity, reliability and sex differences. Personality and Individual Differences, Elsevier, Volume 26, S. 627-639; Rottenberg, J., Ray, R. R., Gross, J. J. (2007): «Emotion elicitation using films». In: Coan, J. A., Allen, J. J. B (Hrsg.), The handbook of emotion elicitation and assessment. New York, Oxford University Press, im Druck.
Die erste Studie mit den Probandinnen zeigte eine gute Übereinstimmung zwischen den prognostizierten Werten und den tatsächlich beobachteten Reaktionen. Auch die Übertragung der Werte in ein Ranking zeigte hohe Übereinstimmungen. Interessant ist jedoch, dass sich bei drei Filmen Diskrepanzen zeigten, insbesondere bei Film 6, einer Werbung für die Mercedes S-Klasse. Für die Teilnehmerinnen der Studie war es nach eigenen Angaben schwer zu verstehen, was der Inhalt des Werbefilms war – ein Film mit hoher Schnittfrequenz, in dem es augenscheinlich um einen verlorengegangenen Hamster ging. Aufgrund dieses Unverständnisses bewerteten die Probandinnen den Film eher neutral als angenehm, und daran wird eine Schwäche des Modells deutlich: es geht um die Strukturen der Werbefilme, nicht um ihre Inhalte. Die Ebene der Narration wird in dieser Art der Analyse nur auf Grundlage der Patterns berührt, spielt ansonsten inhaltlich keine Rolle. Abweichungen von den prognostizierten Reaktionen können also aufgrund von Inhalten der Werbestory – und in unserem Falle auch aufgrund von kulturellen Kodierungen im Film – auftreten. Im zweiten Test wurden die Probandinnen an den jeweiligen «emotional check points» (ECPs) nach ihren Emotionen befragt, um die Auswirkung einzelner Patterns nachvollziehen zu können. 10 von 14 der prognostizierten Reaktionen stimmten im Versuch klar mit den Reaktionen der Probandinnen überein, lediglich zwei Patterns wurden nicht als emotionsleitend angesehen. Ergebnis der Studie In dieser Studie ging es insbesondere um die Vorhersagekraft der Methode mit dem Ziel, emotionale Reaktionen des Publikums auf Werbefilme zu antizipieren. Die Prognosen basierten auf der Grundlage einer Kombination der Menge der AVPs, der Höhe der Spannung sowie der Art der AVPs. Aus den Studien ergab sich, dass diese Methode besser geeignet ist, die Intensität der emotionalen Erregung des Publikums vorherzusagen als deren Qualität im Hinblick auf die Kategorien pleasant versus unpleasant. Die Menge und Art der AVPs, aus denen die Spannung insgesamt abgeleitet wird, können also in vielen Fällen zur Vorhersage der zu erwartenden Intensität der emotionalen Reaktionen eines Publikums herangezogen werden. Die Qualität der Emotionen lässt sich nicht so deutlich auf die jeweiligen Patterns mappen, und darin spiegelt sich die Tatsache, dass rhetorische Patterns an sich zunächst als inhaltsleere Formen gesehen werden müssen, die sich für ganz unterschiedliche Kontexte – und eben auch für unterschiedliche emotionale Qualitäten – nutzen lassen. Die Art des Patterns und die Häufigkeit des Einsatzes sind jedoch an die Intensität der evozierten Emotionen gebunden. Insgesamt ist diese Studie als ein erster Schritt in der Beurteilung und der Weiterentwicklung der Methode der audio-visuellen Patterns zu bewerten, deren erste Ergebnisse positiv ausgefallen sind. Ein Ergebnis der Studie ist sicherlich auch, dass die Methode ihre Grenzen hat, insbesondere im Hinblick auf die Beurteilung der Qualität der Emotionen. Jedoch stellt das Notationssystem ein nützliches Tool für die Filmanalyse dar, die sich an rhetorischen Patterns des Films orientiert. In den nächsten Arbeitsschritten wird es darum gehen, das System und die Beschreibung der AVPs auszubauen und zu verfeinern und für die interaktiven Medien zu erweitern.
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Perspektiven einer audio-visuellen Rhetorik An diesem Beispiel zeigt sich, wie die Forschung zur audio-visuellen Rhetorik, und zur Pattern-Language der audio-visuellen Medien im Speziellen, praktisch zur Filmanalyse angewandt werden kann. In einem solchen disziplinenübergreifenden Ansatz liegt ein Potenzial, um unterschiedliche Wissens- und Wissenschaftsbegriffe miteinander abzugleichen, zu diskutieren, und zu neuen Konzepten zu kommen. Den geisteswissenschaftlich geprägten Diskurs der Rhetorik um eine visuelle Heuristik zu erweitern, und gleichzeitig das Design um die Wissensbestände der rhetorischen Kommunikationstheorie und -praxis zu bereichern, hat für beide Seiten ein großes Potenzial, ist aber in der praktischen Umsetzung oft auch von Problemen begleitet. So stellt sich schon die ganz grundlegende Frage nach einer gemeinsamen Sprache, die die beiden Disziplinen transdisziplinär teilen können. Die Terminologie der Allgemeinen Rhetorik ist recht sperrig und scheint nicht übertragbar auf eine multimediale Gestaltungspraxis. Umgekehrt erscheint eine visuelle Heuristik, wie sie das Notationssystem vorstellt, in den Augen der Geisteswissenschaften als eine «unwissenschaftliche» Herangehensweise, da das kognitive Potenzial einer diagrammatischen Darstellungsweise bislang nur wenig Anwendung und auch Anerkennung fand. Die Tradition des Textes wird hier hochgehalten – und dabei ist zu spüren, dass sich die klassischen Disziplinen gegen einen Dammbruch des Visuellen, Multimedialen, Interaktiven immer noch sträuben, auch wenn es inzwischen hier und da Gegenbeispiele aus den Bildwissenschaften gibt. Gerade darin ist das Design jedoch kompetent – im Umgang mit den Medien, in deren Analyse und Gestaltung, in der Beurteilung ihrer Wirkungen und Möglichkeiten. Das Design wiederum läuft jedoch Gefahr, in einer reinen Fixierung auf die mediale Gestaltungspraxis das vorliegende Wissen anderer Disziplinen zu ignorieren – so scheinen beide Disziplinen bislang eher Rücken an Rücken zu arbeiten, jede mit ihren eigenen Werkzeugen, Konzepten und auch Schwachstellen. Die Erkenntnis, dass multidisziplinäre Teams in der Praxis häufig viel bessere Ergebnisse erzielen als unidisziplinäre, ist ja schon weitestgehend etabliert – für eine Zusammenarbeit in den Wissenschaften muss sich diese Erkenntnis jedoch erst Schritt für Schritt durchsetzen. Undisziplinierte Ansätze16 sind hier gefragt, die Wissensbereiche verbinden, sei es auf eine parasitäre Art, experimentell, oder mit einem gemeinsamen Set an Methoden. Hier ordnet sich die audio-visuelle Rhetorik ein.
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Vgl. Brandes, Uta (1998): Design ist keine Kunst, Regensburg, Lindinger + Schmid, S. 9.
Auswahlliste audio-visueller Patterns des Films18 Audiovisuelle Figuren
Analogie
ein narrativ angezeigter Sachverhalt wird mit semantisch äquivalenten Zeichen auf den audio-visuellen Bereich übertragen
Antithese
ein semantischer Widerspruch zwischen zwei Bereichen (Bild und Dialog, Bild und Schrift, Bild und Geräusch, Bild und Musik)
Emphase
Ausdruckssteigerung durch auditive und visuelle Zeichen
Filmisches Zitat
interfilmisch: aus einem Film wird eine (häufig allgemein bekannte) Szene, eine Person o. ä. zitiert (Beispiel: die Duschszene aus Psycho ist ein häufiges interfilmisches Zitat)
extrafilmisch: ein Sachverhalt, eine Person o. ä. wird im Film zitiert (Beispiel: ein historisches Zitat)
Hyperbel
Übertreibung durch visuelle oder auditive Mittel über das Glaub- würdige hinaus, häufig mit einer pathetischen Wirkungsintention
Klimax
eine sich steigernde Reihung von Einstellungen, wobei die Folge der Glieder gelockert sein kann und eine synonymische oder tropische Ersetzung möglich ist
Metapher
Ersetzung eines «eigentlichen» Bildes durch eine «uneigentliche» Übertragung
Metonymie
ein assoziiertes Detail oder eine assoziierte Vorstellung wird genutzt, um eine Idee zu evozieren oder einen Gegenstand darzustellen
Parallelismus
analoge Anordnung zweier oder mehrerer Elemente der auditiven und/oder visuellen Ebene
Paronomasie
Wiederholung einer Einstellung oder Sequenz mit einer minimalen Variation auf der auditiven oder visuellen Ebene
Polyptoton
Wiederholung einer Einstellung in veränderter formaler Gestalt (z. B. Perspektive, Farbe, Einstellungsgröße) ohne Veränderung des semantischen Gehalts
Repetitio
Wiederholung einer auditiven oder visuellen Struktur (auditiv, chromatisch, formal, narrativ...)
18
I
Diese Figuren wurden zum Teil in Seminaren von Gui Bonsiepe an der FH Köln erarbeitet.
243
Audiovisuelle Figuren
AUDITIVE FIGUREN
MONTAGEFIGUREN
Synekdoche
auf der visuellen Ebene steht ein Teil für das Ganze oder das Ganze wird durch einen Teil ausgedrückt
Variation
auditiv: melodische, harmonische oder rhythmische Abwandlung eines musikalischen Themas
visuell: Wiederholung eines Motivs in Abwandlung
Verbale Verankerung
eine visuell angezeigte Bedeutung wird durch verbale Zeichen semantisch präzisiert
Illustrative Musik des Raumes
Musik bezeichnet einen bestimmten Raum oder Ort
der Bewegung
Musik untermalt eine Bewegung (Tempo)
der Zeit
Musik bezeichnet eine bestimmte Jahreszeit, Epoche, o. ä.
Evokative Musik
Musik evoziert eine bestimmte Affektlage
Illustrativer Sound
ein Geräusch illustriert ein visuelles Motiv
Metonymischer Sound
ein Geräusch deutet etwas an, was nicht zu sehen ist
Pseudo- realistischer Sound
ein visuelles Motiv oder eine Einstellung wird durch ein scheinbar realistisches Geräusch untermalt (Beispiel: «Knuff» bei einem Boxkampf)
Alternierende Montage Beschleunigende Montage
regelhafter Wechsel zweier oder mehrerer Einstellungen oder Motive
Deduktive Montage
regelhafte Montage von weiten Einstellungen zu nahen («Zoom in» der Einstellungen)
Reihung sich verkürzender Einstellungen
Induktive Montage regelhafte Montage von nahen Einstellungen zu weiten («Zoom out» der Einstellungen) Jump Cut
244
«Sprung-Schnitt» als zeitliche Ellipse
MONTAGEFIGUREN
Audiovisuelle Korrelationsfiguren
Kontrastmontage Zwei oder mehrere Einstellungen werden kontrastierend montiert, um eine formal-ästhetische Qualität bzw. eine semantische Steige- rung zu erreichen Match Cut
zusammenfügender Schnitt durch Wiederholung einer Handlung
Parallelmontage
zwei oder mehrere Handlungsverläufe werden parallel zueinander montiert, z. B. um ihre Gleichzeitigkeit anzuzeigen
Rhythmisierende Montage
Einstellungen werden nach rhythmischen Kriterien montiert, häufig in Übereinstimmung mit der auditiven Ebene
Kongruenz
die auditive und visuelle Ebene stimmen überein (illustrativ, unter- malend, pseudo-realistisch, realistisch)
Divergenz
die auditive und visuelle Ebene widersprechen sich (Sonderfall: Antithese)
Komplementarität die auditive und visuelle Ebene ergänzen und steigern sich (metonymisch, rhythmische Parallelität, evokativ) Konjunktionen
Auditive Konjunktion
Einstellungen werden durch einen auditiven Übergang (Dialog, Geräusch oder Musik) verbunden
Konjunktion der Bewegung
Einstellungen werden durch eine gleiche Bewegungsrichtung miteinander verbunden
Konjunktion der Form
formale Elemente verbinden Einstellungen auf der visuellen Ebene (Sonderfall: Match Cut)
Konjunktion der Farbe Narrative Konjunktion
Einstellungen werden durch eine chromatische Wiederholung verbunden Übergänge entsprechen einem handlungslogischen Ablauf
245
Fallstudien
Olaf Kramer
Der Reiz des Einfachen. Zur Rhetorik und Ästhetik des Web 2.0
I. Der Reiz des Einfachen. Rhetorische aptum-Lehre und web usability Laut Auskunft der Bundesnetzagentur wurden im Jahr 2006 in Deutschland ungefähr 22 Milliarden SMS-Nachrichten verschickt, aber nur ungefähr 170 Millionen MMS-Botschaften. Fortschrittsgläubige mag dies erstaunen, bietet doch die MMS, die Bilder, Töne, Filme enthalten kann, ein weit größeres Repertoire an kommunikativen Möglichkeiten als die auf 160 Textzeichen begrenzte SMS. Man könnte vom Pac-ManPhänomen sprechen: Dieses Spiel war in seiner Einfachheit auch erfolgreicher als die meisten weit aufwendigeren Spiele, die danach erschienen sind. Höhere technische Komplexität einer Anwendung bedeutet offensichtlich nicht in jedem Fall einen größeren Erfolg oder größere Beliebtheit. Das gilt besonders, wenn zusätzliche Komplexität nur ornamentalen Zierrat befördert. Dies mussten auch die Webdesigner zu Beginn der Internetzeit lernen: Zunächst waren sie derart fasziniert von der Möglichkeit, bunte Bilder, bewegte Grafiken und quietschende Sounds zu übermitteln, dass sie nach dem kommunikativen Wert solchen Zierrats gar nicht erst gefragt haben. Bunte Startseiten, die der eigentlichen Homepage vorangestellt werden, inhaltlich aber kaum etwas beitragen, sind ein eindrucksvolles Beispiel dieser Art von ornatus. Jakob Nielsens Theorie der web usability wirkte daher wie eine heilsame Kur für manche Webdesigner, indem er die Nutzbarkeit (usability) zum Dreh- und Angelpunkt aller Designentscheidungen machte und ein page, site und content design forderte, das sich strikt am Kriterium des Gebrauchswerts orientierte. Rhetorisch gesehen, hat Nielsen, auch wenn er dies nicht reflektiert, damit die Frage nach der Angemessenheit (aptum) ins Spiel gebracht. In der Rhetorik, die als eine Wissenschaft der wirkungsorientierten Kommunikation verstanden werden kann, war der Bereich des aptum lange schon der archimedische Punkt der Theoriebildung. Nur mit Blick auf die Interessen der Zuhörer, so hat die Rhetorik, die sich von Beginn an als empirische Wissenschaft verstand, herausgefunden,
I
Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen (Hrsg., o. J. [2006]): Jahresbericht 2006. Bonn, Bundesnetzagentur, S. 74.
I
Nielsen, Jakob (2000, 5. Auflage): Designing Web Usability. Indianapolis, New Riders Publishing. Eine rhetorische Auswertung der Arbeiten Nielsen enthält Kramer, Olaf (2005): «Rhetorik im virtuellen Raum. Das Internet in medialrhetorischer Perspektive». In: Knape, Joachim (Hrsg.): Medienrhetorik. Tübingen, Attempto, S. 195-210.
247
lassen sich kommunikative Prozesse beurteilen. Das kommunikative Dreieck aus Redner, Rezipient und Rede ist in das Kalkül zu ziehen. Angemessenheit ist die Voraussetzung für das Gelingen kommunikativer Akte. Der orator muss vom Publikum her denken, er muss die «Variablen der Situation», die er vorfindet, in den Blick nehmen, um wirksam agieren zu können. Es ist etwa zu klären, welche Eigenschaften den Rezipienten auszeichnen und in welcher Situation er sich während der Kommunikation befindet. Zudem muss er die technischen Möglichkeiten des Mediums reflektieren, die man in der Antike durchaus im Sinn hatte, wenn man über die Beschaffenheit einer gelungenen Rede nachdachte. Solange etwa die Anzeige bewegter Bilder dank Modemübertragung minutenlange Wartezeiten bedeutete, war es schlicht nicht sinnvoll, solche Elemente auf einer Internetseite zu integrieren. Dass mancher Programmierer, selbst einen Hochgeschwindigkeitsanschluss nutzend, solche Einschränkungen des Mediums Internet vergaß, zeigt ein völliges Verkennen der rhetorischen Situation, die durch das Medium Internet entsteht. Nielsen hat demgegenüber deutlich gemacht, dass nicht nur die Interessen des Kommunikators oder der Senderinstanz zu berücksichtigen sind, vielmehr der reale Internetnutzer mit seinem Bedürfnis nach Information (docere) und Unterhaltung (delectare) zum Maßstab des Webdesigns gemacht werden muss. Auch sind dabei die technischen Gegebenheiten des Mediums, die die Situation des Nutzers definieren, zu berücksichtigen. Gutes page design setzt demnach nicht auf optische Effekte, die nur um ihrer selbst willen programmiert wurden. Nielsens Forderungen nach einem «Resolution Independent Design», das bei jeder Bildschirmauflösung angemessene Ergebnisse garantieren soll, nach einem Design, das für alle wichtigen Browsertypen funktioniert, und nach einem Design, das response-Zeiten nicht gar zu sehr ausdehnt, sind technisch bedingte Regeln der Angemessenheit. Das Prinzip usability lässt sich dann in den weiteren Bereichen ausdifferenzieren: content design betrifft die Frage, wie der Inhalt von Internetseiten zu gestalten ist. Angemessenheit bedeutet hier, dass Texte und Bilder auf das Medium und den Rezipienten abgestimmt sind. Stilistische Ideale wie Kürze, Deutlichkeit und Klarheit sind maßgebend. Rhetorisch gesprochen, werden also mit brevitas, perspicuitas und claritas wiederum altbekannte Elokutionsprinzipien eingefordert, um zu verhindern, dass Internetnutzer die Kommunikation wegen weitschweifiger Erklärungen, umständlicher Darstellungen und unklarer Formulierungen abbrechen. Internetnutzer agieren ständig in großer Eile, weil das beinah unendliche Angebot an Information und Unterhaltung zum schnellen Wechsel zwischen den Texten verführt, und über Hyperlinks zahlreiche Fluchtwege in einen Text einprogrammiert sind: sie «scannen» Seiten, statt sie zu lesen, das heißt, sie wollen wichtige Passagen isolieren können, um den Lesevorgang zu beschleunigen. Die Kürze als Stilideal hängt mit dieser Beschleunigung zusammen. Hinzu tritt noch die Schwierigkeit, die es bereitet, längere Texte und Sätze am Bildschirm zu lesen. Wer diese typischen Verhaltensmuster von Internetnutzern kennt, der wird wichtige Informationen an den Beginn eines Textes stellen, diese mit grafischen und stilistischen Mitteln hervorheben, überflüssige ornamen-
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Asmuth, Bernhard (1992): Artikel «Angemessenheit». In: Ueding, Gert (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Tübingen, Niemeyer, Bd. 1, Sp. 584.
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Nielsen, Jakob (2000, 5. Auflage): Designing Web Usability. Indianapolis, New Riders Publishing, S. 29-31.
I
Ders., S. 36-42.
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Ders., S. 42-51.
I
Ders., S. 100-112.
tale Elemente vermeiden und sich zudem um Kürze, Klarheit und Deutlichkeit bemühen. Auch Töne, Bilder und Animationen im Internet sollten diesen Regeln und dem Prinzip der Angemessenheit folgen; bei Bildern kann das heißen, statt Panoramen Ausschnitte zu zeigen, die besser zu erkennen sind, und Animationen nur einzusetzen, wenn sie einen wirklichen Informations- oder Unterhaltungswert haben. Site Design als dritter Bereich, den Nielsen unter dem Stichwort usability diskutiert, betrifft die Gesamtgestaltung einer Internetpräsenz. Auch beim site design sollte ein Informationsanbieter vom Rezipienten her denken, sollte versuchen, dessen Perspektive einzunehmen. Der Internetnutzer will wissen, an welcher Stelle einer Internetpräsenz er sich gerade befindet, er muss einen für sein Anliegen sinnvollen Weg durch das Angebot konstruieren können. Rhetorische Theorien zur Gliederung können klären, wie Inhalte aufzubereiten sind, damit sie den Nutzer überzeugen. Mit bloßer Menge an Unterhaltung oder Information ist es nicht getan, am Eingang einer Internetpräsenz etwa – der sogenannten Homepage – sind attentum parare, also das Erregen von Aufmerksamkeit, und captatio bene volentiae, das Erregen des Wohlwollens, wichtige Prinzipien, um den Internetnutzer zum weiteren Verweilen zu animieren. Das Web 2.0 ist gegenüber den Anfängen der Internetpioniere so etwas wie eine wahr gewordene Prophezeiung. Ted Nelson, von dem die Grundidee des Hypertextes stammt, hatte das Ziel, mit Hilfe von Hypertexten eine «Bibliothek des Menschheitswissens» zu erschaffen – Xanadu nannte er diesen Traum von einem globalen Wissenssystem –, in dem kein Dokument zweimal existieren sollte oder besser: müsste. Inzwischen wird im Internet content in großer Menge gespeichert und erschlossen, das Netz wird, wie von Nelson erhofft, zu einem immensen Wissensspeicher. Zwar hat der Verleger Tim O’Reilly das Etikett «Web 2.0» eigentlich erfunden, um neue E-Business-Modelle zu bezeichnen.10 Doch populär wurde es als Kennzeichen für ein neuartiges und verändertes kommunikatives setting, das durch konsequente Interaktivität die Autor-Rezipienten-Beziehung neu ordnet und content durch das Zutun vieler Nutzer kreiert und als nichthierarchisch strukturierte Informationen zugänglich macht. Damit nähert sich die Realität des Internets der Vision eines seiner geistigen Väter an. Zugleich ist mit dem Web 2.0 eine neue Ästhetik der Einfachheit entstanden. Googles Suchseite hat diese als erste konsequent und prominent umgesetzt. Usability steht hier im Mittelpunkt, die technischen Möglichkeiten des Internets treten hinter den Inhalt zurück. Design spielt sich nicht hervor, sondern folgt dem Gebot der Nützlichkeit. Diese Ästhetik findet sich inzwischen überall, etwa in blogs, die Texte beinah ohne jeden grafischen Zierrat präsentieren. Selbst eine Foto-Plattform wie flickr oder ein Filmarchiv wie youtube sind zurückhaltend gestaltet und bündeln die Aufmerksamkeit auf den über sie zugänglichen content. Der ästhetische Wechsel ist radikal: Zwar ist durch Web 2.0 das Internet nicht grau geworden, das Ornamentale nicht vollends verbannt, denn es kann, sinnvoll eingesetzt, ja die Aufmerksamkeit der Rezipienten steuern, sachlichen Informationen einen Unterhaltungswert beimischen, aber der Paradigmenwechsel ist doch nicht zu leugnen. Die Google-Idee, alle Aufmerksamkeit auf Inhalte zu fokussieren, hat die Ästhetik des Internets
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10 I
Ders., S. 162-260. Nelson, Ted (1993): Literary Machines 93.1. Sausalito, Mindful, S. 2/4. O’Reilly, Tim: What is the Web 2.0? Design Patterns and Business Models for the Next Generation of Software. http://www.oreilly.de/artikel/web20.html (Seitenabruf: 15.1.2007).
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grundlegend verändert. Im Web 2.0 ist die Effizienz der SMS, die schlichte, in allen Teilen auf das Notwendige reduzierte Ästhetik von Pac-Man zum Ideal geworden. Dabei kann man hochaufgelöste Bilder, Filme und Töne inzwischen ohne größere Wartezeiten übertragen, aber man hat mittlerweile erkannt, dass diese nicht Selbstzweck sein sollten, sie sind vielmehr der Inhalt, den das Medium Internet überträgt. Die Ästhetik des Einfachen bringt diesen Inhalt in den Vordergrund und verwechselt nicht das Medium mit der Botschaft, sosehr auch jede Botschaft, wie Marshall McLuhan gezeigt hat, durch die Struktur eines Mediums beeinflusst wird.11 Rhetorisch gesprochen, könnte man von einer Überwindung asiatischer Überfrachtung, in der die Möglichkeiten des Mediums Rede in nicht funktionaler Weise zu einem Selbstzweck geworden waren, und einer Hinwendung zu attischer Einfachheit sprechen, in der alle Teile einer Rede in einen Funktionszusammenhang eingelassen sind, der dem Medium eher angemessen scheint und unter persuasiven Aspekten als wirksamer zu betrachten ist. Entsprechend ist beispielsweise der Dialog im chat weit effizienter als das virtuelle Miteinanderleben in Second Life, das die technischen Möglichkeiten des Internets auf die Spitze treibt, wenig usability und viel zusätzlichen technischen Aufwand bedeutet. Allerdings kann die Ästhetik des Einfachen, die eigentlich der usability dient, auch zu einem Problem werden. Designeffekte strukturieren schließlich den Inhalt, lenken die Aufmerksamkeit der Zuhörer und helfen, wichtige Inhalte zu identifizieren. In einigen blogs aber sind inzwischen die grafischen Mittel derart restriktiv eingesetzt, dass der Rezipient nur wenig Lenkung erfährt. Das ist der Fall, wenn die Anordnung nach Aktualität zum einzigen Ordnungsmaßstab wird, aber keine Headline die Aufmerksamkeit des Rezipienten lenkt. Die Ästhetik des Einfachen, des Verzichts wird so selbst wieder zu einem Problem, weil usability auf diese Weise nicht befördert, sondern eingeschränkt wird. Auch die Ästhetik des Einfachen muss sich schließlich am Rezipienten orientieren, sie ist wiederum kein Ziel an sich, sondern hat eine klar definierte Funktion in einem kommunikativen Kontext. II. Lässt sich Zufall ordnen? Topik im Web 2.0 Zum entscheidenden Markstein des Web 2.0 ist das content management geworden, also die Frage, wie die vorhandenen Daten in einer Weise organisiert werden können, die es dem Internetnutzer erlaubt, diese Daten einfach, schnell und effizient abzurufen. Usability ist unter dieser Perspektive nicht nur eine Sache des page content oder site designs, vielmehr geht es, rhetorisch gesprochen, darum, wie der Menge der res beizukommen ist, wie der content effizient erschlossen werden kann. Mit Blick auf das Web 2.0 ist die Frage, wie eine einzelne Seite nach den Regeln der dispositio und elocutio aufzubauen ist, um den Rezipienten zu erreichen, eher sekundär. Zwar ist die Frage nach der sprachlichen Gestaltung von Inhalten in einer Art, die diesen Inhalt überzeugend präsentiert (etwa entsprechend Stilidealen wie claritas, perspicuitas, brevitas etc.) und in einer natürlichen oder kunstgemäßen Ordnung vorstellt, also etwa nach chronologischen oder dramaturgischen Gesichtspunkten anordnet, nicht zu suspendieren, ebenso wenig die sinnvolle grafische Gestaltung der page und wohlüberlegte Struktur der site. Aber spannender ist in Hinsicht auf das Web 2.0 die Frage nach dem content management, also die Aufgabe, unüberschaubare Inhalte so zu organisieren, dass der einzelne Internetnutzer in der Masse von Informationen diejenige Information findet, die er sucht.
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11
I
McLuhan, Marshall (1968): Die Magischen Kanäle. Düsseldorf, Econ, S. 13-28.
Erfolgreiche Web-2.0-Anwendungen kreieren, weil sich an ihnen viele Nutzer als Autoren beteiligen, Inhalte in großer Menge, sodass eine unüberschaubare Vielzahl von Filmen, Fotos, Texten, Tönen verwaltet werden muss. Hinzu kommt, dass auch immer größere Datenmengen für das Internet planvoll erfasst werden, von den umfänglichen Büchersammlungen, die etwa Google und Quotia gerade zusammenstellen, über die Musikarchive kommerzieller Anbieter bis zu den Satellitenbildern, die bald auch den letzten Quadratmeter Erde abdecken werden. Die Menge an content wird immer unüberschaubarer. Die simple, anscheinend effektive Idee, durch Textsuchen auf einzelnen Seiten oder sites vorhandene Informationen zu erschließen, funktioniert in Anbetracht der Datenmengen des Internets jedenfalls nicht mehr. Ein Computer kann zwar in einem Textcorpus beliebige Begriffe mit großer Geschwindigkeit finden, die jeden Leser, der in einem gedruckten Buch nach einem Begriff Ausschau hält, schneckenlangsam erscheinen lässt. Aber wenn Millionen von Büchern gespeichert sind, Billiarden von Seiten durchsucht werden können, werden die Treffer nutzlos, weil eine Übersicht so nicht zu erreichen ist. Und wie Audiodateien und Filmen mit dieser Methode beizukommen sei, ist noch eine ganz andere Frage. Es waren wiederum die Gründer von Google, die dieses Problem überzeugend gelöst haben, indem sie den sozialen Wert von Information in ihr Suchkalkül einbezogen haben. Sie haben die Informationen auf Seiten entsprechend den Nutzungszahlen der Seite, ihrer Stellung in der Linkstruktur des Internets berücksichtigt, sodass es nun gelang, große Informationsmassen zu überblicken. Information wird also sozial gewichtet. Damit ist eine technisch ermittelte Topik entstanden. Die rhetorische Topik als Reservoir von Grundüberzeugungen einer Gesellschaft oder einer sozialen Gruppe, das der Redner in jedwedem Fall nutzen kann, um Argumente zu generieren, setzte die genaue Kenntnis des sozialen Bezugrahmens voraus und ließ sich mit hermeneutischen Mitteln zusammenstellen. Eine Topik unter den Bedingungen von Web 2.0 setzt an die Stelle hermeneutischer Verstehensprozesse quantifizierbare Zusammenhänge. Wenn man Bornscheuers Kriterien zur Bewertung eines topos heranzieht12, ist somit die Habitualität eines topos zum wichtigsten Kriterium geworden: Inhalte, die häufig abgerufen werden und auf die viele Nutzer verweisen, werden in den Suchalgorithmen bevorzugt, in Ergebnislisten ganz nach vorn gesetzt. Dabei ist ein Inhalt umso leichter zu identifizieren, je stärker er über Symbolizität verfügt: Was begrifflich auf den Punkt gebracht werden kann, lässt sich am besten suchen und handhaben. Intentionalität und Potenzialität eines topos hingegen sind von den Suchmaschinen kaum zu erfassen, allerdings spiegeln sie sich indirekt in der Habitualität wider. Auch die auf quantifizierbaren Zusammenhängen gründende Topik der Suchmaschinen und content-management-Systeme ist sozial vermittelt, und man kann über sie die politische und kulturelle Situation analysieren, erkennen, welche Themen zu einem bestimmten Zeitpunkt von gesellschaftlicher Relevanz sind. Wie in der rhetorischen Topik die Fundorte der Argumente nicht die Richtung des Arguments vorgeben, so ist dies auch im Internet der Fall. Stets kann der Inhalt, der nach sozialen Gesichtspunkten als wichtig eingestuft wird, in unterschiedlichen argumentativen Zusammenhängen auftreten, er kann sowohl befürwortet als auch abgelehnt werden.
12 I
Bornscheuer, Lothar (1976): Topik. Zur Struktur der gesellschaftlichen Einbildungskraft. Frankfurt am Main, Suhrkamp, S. 91-108.
251
Neben der quantitativen Auswertung von content ist das tagging als qualitatives Verfahren zur Kategorisierung großer Informationsmengen ein wichtiges Element vieler Web-2.0-Anwendungen: Filme, Bilder, aber auch Texte lassen sich vom Nutzer mit freien unsystematischen Stichworten versehen, die das Material erschließen, Übersicht herstellen, obwohl sie zufällig und nicht systematisch festgelegt werden. Durch massenhafte Kategorisierungen, die die Nutzer selbst vornehmen, entsteht aus Chaos Ordnung. Solche Ordnungsmechanismen ergänzen die schematischen Suchfähigkeiten, die der Computer bietet, denn Texte lassen sich auch weiterhin nach Kriterien wie Chronologie, Autor, Werk durchsuchen, zu einem völlig neuen Umgang mit Informationen. Erst mit dieser Bündelung von traditionellen Möglichkeiten und innovativer sozialer Ordnung lassen sich die Informationsmengen des Internets bewältigen. Das tagging greift rhetorische Strategien auf, die bei der Erstellung von Kollektaneen (das sind Lesefrüchte aus literarischen und wissenschaftlichen Texten) eine Rolle spielen. Dies ist ein universaltopisches Verfahren zur Aneignung von Wissen, das zunächst nicht in einem direkten Verwendungszusammenhang steht. Im Redeunterricht war die Aneignung von Wissen ein wesentliches Ziel, um den Redner mit Material für seine zukünftigen Reden zu versehen. Vorrangig wurden dazu Texte exzerpiert, stichwortartig zusammengefasst und gelegentlich zitiert, und dieses Material wurde in Kollektaneen angelegt, also in Wissensspeichern zusammengestellt. Im Laufe der Zeit wurden solche Sammlungen dann auch veröffentlicht, sodass wichtige Texte oft gerade durch die komprimierte Sammlung erhalten blieben.13 Im 18. Jahrhundert wurde diese Tradition zunehmend negativ beurteilt, vor allem Hallbauer ist ein massiver Gegner dieses rhetorischen Arbeitsmittels: «Die so genannten oratorischen collectanea, welche sich die Schüler der Beredsamkeit machen müssen / erfordern allerdings viel Zeit und Mühe: dennoch schaffen sie wenig Nutzen. Wiewenig Nutzen? Manche machen ja ganze Reden aus ihren collectaneis. Aber eben darum taugen sie nichts: eben darum ist darinne viel fremdes und übel zusammen hängendes anzutreffen.»14 Hallbauers Kritik am «bloßen Schul-Geschwätze»15 besitzt mit Blick auf das Internet durchaus eine gewisse Aktualität. Wenn das Sammeln von Informationen in komprimierter Form nicht mehr das Ergebnis von der direkten Auseinandersetzung mit Quellen ist und aus den gefundenen Fertigteilen neue Texte entstehen, dann ist das durchaus kritisch zu sehen: Referate und Vorträge, die aus Google-Fundstücken und Wikipedia-Zitaten zusammengestellt sind, können kaum überzeugen. Aber das tagging selbst ist eine Möglichkeit, Material zu erschließen, und vor allem hilfreich, um auch Bilder und Filme über Textsuche zu erfassen. Außerdem bleiben die Kollektaneen des Internets offen, verändern sich, sind in einem Prozess dynamischer Fortentwicklung. Vor allem machen sie die jeweiligen Quellen direkt verfügbar, d. h. anders als in den Kollektaneen der rhetorischen Tradition lässt sich die nicht komprimierte Variante des Inhalts in der Regel sofort durch Hyperlinks abrufen.
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13 I
Mayer, Heike (1998): Artikel «Kollektaneen». In: Ueding, Gert (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Tübingen, Niemeyer, Band 4, Sp. 1126-1127.
14 I
Hallbauer, Friedrich Andreas (1974): Anweisung zur verbesserten Teutschen Oratorie. Repr. d. Ausg. Jena 1725, o. P. (Vorrede). Kronberg, Scriptor.
Ders., o. P. (Vorrede).
15
I
Inhalte werden bei Google sozial gewichtet, auch im Web 2.0 ist die Frage, wie häufig auf welche Seite verwiesen wird, ein zentrales Kriterium bei der Bewertung von Informationen. So gesehen wird Wissen auf Grund seines kommunikativen Wertes kategorisiert. Content management realisiert sich durch Rückgriff auf spezielle Topiken, die mit Hilfe quantitativer Automatismen und qualitativer Verfahren, die zum Teil automatisch, meist aber durch Zutun des Nutzers ablaufen, entstehen. Hat man universaltopische Verfahren, bei denen man universale Wissensspeicher anzulegen versuchte, in der Rhetorik oft eher als Degenerationsphänomen gesehen, liegt in der Sammlung von Inhalten ohne unmittelbaren Blick auf ihre Verwendbarkeit im Internet gerade ein besonderer Wert. Ein Erstarren des Wissens ist hier nicht zu erwarten, vielmehr ermöglicht das universaltopische Verfahren die zukünftige Lektüre der Information.
III. Vom orator zum homo connectus. Das Internet und seine kulturellen Folgen aus Sicht der Rhetorik Die digressio, die der Redner der Antike als einen unterhaltenden oder informativen Exkurs in seine Rede eingeflochten hat, wird im Internet zum Kommunikationsprinzip. Wer sich im Web 2.0 bewegt, wird selten eine Seite von Anfang bis Ende lesen, er springt durch das Material, kreiert Zusammenhänge erst durch sein eigenes Handeln, bewegt sich in einer ständigen Digression. Ein fortlaufend formulierter Text löst sich somit im Internet auf, wird nur noch selten komplett wahrgenommen, da Hypertextelemente zur nicht-linearen Lektüre einladen. Zudem wird der Ablauf von Texten aufgebrochen, wenn Rezipienten zu Autoren werden, Kommentare und Ergänzungen einfügen können, wie das für Web-2.0-Anwendungen typisch ist. So wird eine Lektüreweise radikalisiert, die im Medium Internet von Beginn angelegt war: «Lesen ist nicht länger nur der Vorgang der Rezeption einer fixen, linear abzuarbeitenden Sequenz, sondern wird zu einem Prozeß der mehrdimensionalen, kreativen Interaktion zwischen Leser, Autor und Text.»16 Gutes content management macht Inhalte zu einer verfügbaren Ware und fördert das Entstehen neuer Inhalte durch den Leser, der zum Autor wird. Hypertextualität hat Lesegewohnheiten verändert, auch der Webdesigner kann nicht sicher voraussagen, welchen Umgang ein Nutzer mit den angebotenen Inhalten einer Website macht. Die Autorrechte sind im Web 2.0 neu verteilt, wodurch aber eine planvolle Strategie zur Beeinflussung des Rezipienten kaum noch zu entwickeln ist. Beat Suter hat den Begriff des vernetzten Schreibens vorgeschlagen,17 um neue Formen des Schreibens zu kennzeichnen, die auf die Interaktion zwischen Autor und Rezipient angelegt sind, ja, diese Kategorien auflösen, indem sie sofortige Reaktionsmöglichkeiten wie Kommentierung und Ergänzung erlauben. Im Web 2.0 sind darüber hinaus Formen «schwebenden Schreibens» entstanden, so nennt Suter Prozesse konkreativen Schreibens, bei denen Veränderungen eines Textes möglich sind, indem der Rezipient Einfügungen vornimmt, den Ursprungstext abändert oder ihn mit einer Hypertext-Struktur versieht.
16 I
Sandbothe, Mike (1997): «Interaktivität – Hypertextualität – Transversalität. Eine medienphilosophische Analyse des Internet». In: Münker, Stefan und Roesler, Alexander (Hrsg.): Mythos Internet. Frankfurt am Main, Suhrkamp, S. 72.
17 I Suter, Beat (2006): «Das Neue Schreiben. Von den Widerständen des Schreibwerkzeugs bis zum fluktuierenden Konkretisieren». In: Germanistische Linguistik 186/187, S. 248.
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Dabei sind hier nicht nur die Hypertext-Struktur des Internets, die den linearen Textfluss auflöst, und die Möglichkeit im Web 2.0, die Rolle von Autor und Rezipient mühelos zu tauschen, als Grund zu sehen. Vielmehr hat die Digitalisierung von Inhalten unseren Umgang mit den Inhalten geändert, wie vor allem Lev Manovich gezeigt hat.18 Sobald ein analoger Inhalt digital, also nach den Regeln numerischer Repräsentation abgespeichert werden kann, verändert er sich. Durch Sampling und Quantifizierung gehen einige physikalische Eigenschaften verloren, aber entscheidender ist noch, dass der Inhalt digital verfügbar ist, mit mathematisch-logischen Operationen maschinell dupliziert und modifiziert werden kann. Dabei tritt er in einen immer wieder veränderten Kontext, da bei den modular aufgebauten Webseiten jeder einzelne Teil immer neu angeordnet werden kann. Demgegenüber ist Gunther Kress’ Festlegung, der Bildschirm folge einer Logik des Bildes, nicht der eines Textes, nur eine erste Annäherung an die Ästhetik und Rhetorik des Web 2.0.19 Lev Manovich hingegen hat nach den kulturellen Folgen der Digitalisierung gefragt, die Inhalte zu elektronischen Daten werden lässt. Die Anordnung beliebiger Inhalte in Listen und Tabellen verändert den Umgang mit diesen Inhalten, zudem werden Inhalte zu Variablen, die vom Computer verändert werden können. «The structure of a computer image is a case in point. On the level of representation, it belongs on the side of human culture, automatically entering in dialog with other images, other cultural ‹semes› and ‹mythemes›. But on another level, it is a computer file that consists of a machine-readable header, followed by numbers representing color values of its pixels. On this level it enters into a dialog with other computer files.»20 Damit verändert sich der Inhalt, er wird in den Parametern von Format, Dateigröße, Kompressionsverfahren etc. wahrgenommen. Ein Kunstwerk, etwa ein Gemälde oder ein Lied, wird somit in einen völlig neuen Kontext gesetzt und verliert seine auratische Dimension, ist auch nicht länger mit der Individualität eines Künstlers verbunden, sondern in einen technischen Zusammenhang beliebiger Reproduzierbarkeit und Verfügbarkeit gestellt. In der Konsequenz wird selbst die Suche nach einem Lebenspartner, die kulturell von komplexen Konventionen und Konzepten, etwa jenen romantischer Liebe, überzogen ist, zu einer mathematischen Aufgabe: Partnerbörsen charakterisieren Individuen nach vorgegebenen Parametern, um sie katalogisieren zu können, sodass eine Datenbank entsteht, auf der mit logischen Suchroutinen die Jagd auf den Traumpartner eröffnet werden kann. Solche kulturellen Aspekte muss man berücksichtigen, wenn man über die Rhetorik des Internets nachdenkt, aus der antiken Rhetorik Hinweise für das wirksame Design von Inhalten, Internetseiten und Webpräsenzen ableiten möchte, denn sonst wird man der rhetorischen Situation im Internet nicht gerecht. Inhalte müssen, das belegen erfolgreiche Partnerbörsen ebenso wie Musikdownload-Seiten oder Bildarchive, der Logik des Computers entsprechen, erst dann werden sie genutzt und entsprechen der Erwartung des Rezipienten. Zugleich wirkt diese elektronische Ästhetik aber auch wieder
254
18
I
Manovich, Lev (2001): The Language of New Media. Cambridge, MIT Press, S. 27-48.
19
I
Kress, Gunther (2003): Literacy in the New Media Age. London, New York, Routledge, S. 9.
20
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Manovich, Lev (2001): The Language of New Media. Cambridge, MIT Press, S. 45.
auf das kulturelle Umfeld, in dem die Verfügbarkeit und Veränderbarkeit von Kunst selbstverständlich werden und Kunstrichtungen entstehen, in denen der Künstler selbst mit elektronischen Mitteln Bilder oder Töne verändert und sich der Ästhetik der elektronischen Medien anpasst. Wenn der orator die Möglichkeit zur strategischen Einflussnahme in Anbetracht sich auflösender linearer Strukturen und einer konsequenten Vermischung von Autor- und Rezipientenrolle verliert, wenn er zudem mit einer Kultur konfrontiert wird, die sich der Logik der elektronischen Medien anpasst, stellt sich die Frage, ob die Paradigmen der antiken Rhetorik überhaupt noch hilfreich sein können, um die Regeln wirksamen Webdesigns zu formulieren. War die antike Rede auf eine konkrete Zuhörerschaft bezogen, die in einem bekannten kulturellen Bezugssystem eingeordnet werden kann, sodass die Wertvorstellungen der Zuhörer zumindest in groben Zügen bekannt und ihre Reaktionen voraussehbar waren, so hat sich ein solcher Rahmen im Web 2.0 aufgelöst. Allerdings bleiben die Grundelemente der Rhetorik bestehen, es gibt schließlich weiterhin in einem Kommunikationsprozess eine orator- und eine Rezipienteninstanz, auch wenn diese ihre Position beständig wechseln. Somit bleibt auch die Perspektive des jeweils anderen ein wichtiger Bezugspunkt, um wirksame Argumente zu finden, Textstrukturen zu entwickeln, die andere ansprechen. Auch wenn der Text heute medial komplexer ist als eine antike Rede, da eine Internetseite mit der Text-Bild-Interaktion, der Interaktion von Text und multimedialen Elementen sowie grafischen Mitteln arbeitet, lässt sich auch die neue Struktur mit Mitteln der rhetorischen elocutio analysieren. Man kann mit Ulrich Schmitz von tertiärer Schriftlichkeit sprechen: «So wie primäre Mündlichkeit in praktische Situationen eingebettet ist und nur aus diesen und in Bezug auf sie ihren Sinn gewinnt, so ist tertiäre Schriftlichkeit in multimodale Sehflächen eingebettet und ohne diesen pragmatischen Kontext sinnlos.»21 Nach dieser These wird nun die multimodale Sehfläche zum pragmatischen Kontext von Schrift. Die Möglichkeiten im Umgang mit der Schrift haben sich differenziert und verändert, aber auch im Web 2.0 werden Internetseiten noch von Nutzern gelesen und gestaltet. Diese pragmatische Dimension, die jenseits der virtuellen Realität verankert ist, darf man bei der Gestaltung von Internetseiten und Anwendungen nicht vergessen. Wirksames Webdesign ist eben nicht nur eine Frage von abstrakter Multimodalität, die grafisch bewältigt werden kann. Alle Designentscheidungen sind letztlich mit Blick auf konkrete Nutzer zu stellen, egal wie wenig dieser Nutzer greifbar ist. Daher bleiben rhetorische Fragen nach Wirkung und Effekt von Texten auch im Internetzeitalter aktuell. Wie die Rhetorik die Ausdehnung rhetorischer Theoreme auf schriftliche Texte bewältigt hat, obwohl die Disziplin ursprünglich auf die mündliche Rede vor einer anwesenden Zuhörerschaft ausgerichtet war, kann sie auch den Wechsel zu tertiärer Schriftlichkeit mitvollziehen. Zumal die Wirksamkeit von tertiären Texten weiterhin auf die Relation von orator und Rezipient bezogen bleibt. Ohnehin wird die Instanz des orators auch wieder aufgewertet, denn es gibt viele Designstrategien, die die beliebige Zuweisung von orator- und Rezipientenrolle kompensieren. Viele Web-2.0-Anwendungen bringen die Subjektivität und Individualität des
21 I
Schmitz, Ulrich (2006): «Schriftbildschirme. Tertiäre Schriftlichkeit im World Wide Web.» In: Germanistische Linguistik, 186/187, S. 202.
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Autors gezielt ins Spiel. Plattformen wie Facebook, Studi-VZ oder Myspace lassen und schaffen Raum für die Darstellung und Inszenierung von Individualität – der Autor oder Redner als Person, sein ethos, spielt offensichtlich weiterhin eine wichtige Rolle. Zum Teil hat man Glaubwürdigkeit gar als ein kardinales Problem des Internets identifiziert; gerade weil das Internet die reale Präsenz von Autor und Rezipient aufhebt, der Rezipient den Autor nicht kennt, wird die Frage nach der Person des Autors, seiner Persönlichkeit und den Grundlagen seiner Autorität zu einem wichtigen Thema.22 Inhalte werden daher auf vielen Plattformen an einen Autor gebunden, dem man die Möglichkeit zur Darstellung seiner Person gibt, um den Inhalten eine ethos-Dimension beizufügen. Durch Bewertungen und Kommentare anderer Nutzer ist es sogar möglich, dieses ethos der sozialen Prüfung anheimzustellen und durch soziale Bewährung Autorität aufzubauen. Auch dies ist eine Aufgabe von Design: das Bedürfnis nach einer identifizierbaren Autoreninstanz zu befriedigen, Möglichkeiten zur sozialen Bewertung zu schaffen, um den Wunsch nach identifizierbaren Urhebern zu zerfüllen. Gerade Angebote, die solche Möglichkeiten bieten, sind im Web 2.0 besonders erfolgreich gewesen. Design muss also der Ästhetik des Internets gerecht werden, die von der Logik des Computers beeinflusst ist, den Inhalt in den Vordergrund rückt und ihn zugleich in die Logik des Computers zwingt, zudem zahlreiche Möglichkeiten der multimodalen Gestaltung von Texten, Bildern, Tönen etc. bietet. Dabei soll es die rhetorische Situation der Rezipienten bedenken, ihr Bedürfnis nach sozialer Fundierung von Information, nach einer identifizierbaren Autorinstanz. Der homo connectus ist auf der Suche nach einer individuellen Dimension der Kommunikation, gerade weil der persönliche Austausch in direkter face-to-face-Form fehlt und so die individuelle Dimension von Kommunikation abhanden kommt. Im Web 2.0 ist Individualität auf eigens eingerichteten Seiten und über Kommentar- und Bewertungsfunktionen darstellbar und lässt sich nach eigenem Gutdünken konstruieren. Jedoch findet virtuelle Kommunikation eben nicht im geschlossenen Raum statt, ein Auseinanderdriften von Lebenswirklichkeit und virtueller Realität kann zu einem Problem für das Individuum werden, Glaubwürdigkeit bei realem Aufeinandertreffen der Kommunikationspartner zerstören. Ohnehin ist das Internet ja längst nicht mehr auf einen geschlossenen Raum beschränkt, es wirkt auf den öffentlichen Diskurs, indem andere Medien Inhalte aus dem Internet aufnehmen und verbreiten, die Internetnutzer immer auch in einer sozialen, kulturellen und politischen Lebenswelt verortet werden können, die wiederum von der virtuellen Welt beeinflusst ist.23
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Rössler, Patrick und Wirth, Werner (Hrsg., 1999): Glaubwürdigkeit im Internet. Fragestellungen, Modelle, empirische Befunde. München, Fischer. Auch aus rhetorischer Perspektive wird das Thema hier behandelt: vgl. Ostermann, Eberhard: Das Konzept der Glaubwürdigkeit aus rhetorischer Perspektive. Ebd., S. 47-66.
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So haben Claudia Fraas und Achim Barzok gezeigt, wie aus weblogs eine gesellschaftlich einflussreiche Kommunikationsform geworden ist. Vgl. Fraas, Claudia und Barczok, Achim (2006): «Intermedialität– Transmedialität. Weblogs im öffentlichen Diskus». In: Germanistische Linguistik 186/187, S. 132-160.
Wie das Fernsehen nach der Analyse von Neil Postman allen Inhalten eine Unterhaltungsdimension abgewinnt, werden Inhalte durch das Internet zu digitalen Daten, die sich der Logik des Computers anpassen und universell verfügbar werden, sodass die kulturelle Dimension dieser Inhalte von deren elektronischer Struktur überlagert wird. Egal ob es um Texte, Bilder, Musik geht, alles wird im Internet zu einem digitalen Datum, selbst die Person des Autors. Zugleich aber bleibt das Interesse an der Individualität des Kommunikators erhalten, aus diesem Bedürfnis entstanden viele Web-2.0-Angebote, in denen Individualität in Szene gesetzt werden kann, Raum für die Selbstdarstellung geboten wird, um den Inhalten des Internets eine persönliche Dimension zu verleihen, den digitalen Taten eine emotionale Qualität beizumischen. Zwar erfolgt auch die Selbstdarstellung auf entsprechenden Internetseiten oder durch eigene und fremde Kommentare und Bewertungen wieder in der Logik der elektronischen Medien, aber es bleiben doch die Wirkungsdimensionen der antiken Rhetorik wichtig, sodass neben der Unterhaltungs- und Informationsfunktion auch das ethos-Moment eine Rolle spielt. Der Web-2.0-Nutzer ist in der Regel Sender und Empfänger, orator und Rezipient, er agiert dabei in einem elektronischen Medium, das durch die Digitalisierung von Daten den kulturellen Code, dem seine Nutzer folgen, selbst beeinflusst hat und weiter verändern wird. Nach der Regel der universellen Verfügbarkeit von Inhalten, die äquivalent zur Unterhaltungsfunktion des Fernsehens das Medium Internet charakterisiert, muss gutes Webdesign Inhalte vor allem universell verfügbar halten. Die Frage nach usability ist insofern die eigentliche Bewährungsprobe von Webdesign, die zu einer Ästhetik der Einfachheit führt, die die multimedialen Möglichkeiten des Mediums nur mit großem Bedacht einsetzt. Das Internet als Medium tritt, indem es zu einem Instrument der Verfügung wird, selbst weit in den Hintergrund, wird als technisches Medium kaum wahrgenommen, obwohl es durch seine Logik individueller Verfügbarkeit zugleich den Umgang mit Inhalten verändert. Darin liegt auch eine Gefahr des Mediums Internet: Der Nutzer sieht und erkennt auf einer gut gemachten Seite, die einer Ästhetik der Einfachheit folgt und sich durch ein hohes Maß an Nutzbarkeit (usability) hervortut, den Einfluss des Mediums nicht, das doch in seinen kulturellen Folgen beachtlich ist.
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Fallstudien
Fabian Steinhauer
Das Design des Rechts. Das globalisierte Immaterialgüterrecht und sein Display
I. Wir sprechen im Folgenden vom Design des Rechts. Der Titel dieses Beitrages bezeichnet eine Kreuzung, d. h. eine Kreuzung gleich mehrfacher «Blicke»: 1. In einem Sinne zielt der Titel dieses Beitrages auf die dogmatische «Perspektive» des Rechts. Das Design des Rechts ist in dieser Perspektive Designrecht. Es schützt den Produktionsprozess des Designers. Im engeren Sinne gibt es einen designorientierten Bereich des Immaterialgüterrechts und im weiteren Sinne die allgemeinen Rechte, die dem Gestalter zur Verfügung stehen, wie zum Beispiel die juristischen Institutionen des Vertrages, der Rechtspersönlichkeit und der Grundrechte. Das Immaterialgüterrecht ist im 19. Jahrhundert im Kontext der Nationalstaaten kodifiziert, das heißt, es ist in die systematische und positivierte Form eines Gesetzes gebracht worden. Im deutschen Recht gibt es neben dem Urheberrechtsgesetz das Marken-, Geschmacks- und Gebrauchsmustergesetz mit unterschiedlichen Schutzvoraussetzungen und Reichweiten. Das bedeutet, dass der Designer natürlich auch schon vor dem 19. Jahrhundert im Kontext sozialer Institutionen arbeitete und die Eigentümlichkeiten seiner Kollegen und Konkurrenten mit dem einen ungewissen Risiko respektieren und mit einem anderen ungewissen Risiko ignorieren konnte. Schon vorher gab es Vorteile und Sanktionen in beiden Fällen, sodass man als Gestalter immer die Chancen und Risiken aller Handlungsmöglichkeiten zwischen angepasster Kopie und abgewandter Idiosynkrasie, zwischen Wiedererkennbarkeit und Überraschung einkalkulieren musste. Im Laufe der Industrialisierung wurde aber auch das Regime gestal-
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Zum Begriff Designrecht und mit einem Überblick der in Betracht kommenden Gesetze siehe Stöckel/ Lüken (2006): Vom Designschutz sprechen u.a. Pierson et al. (2007), Hartwig (2007), Kur (1998). Hier werden beide Begriffe nicht (wie bei Kur und anderen) nur für das GeschmacksmusterG, sondern für das gesamte Immaterialgüterrecht – soweit Produktionsprozesse von Designern betroffen sind – verwendet.
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Zum Übergang von Eigentümlichkeiten in Eigentum und zur juristischen Rolle in den Schöpfungskonzepten des 19. Jahrhunderts: Dommann (2007), S. 252 ff.; zum Urheberrecht als eigenem Bildregime äußert sich zurückhaltend Ortland (2007), S. 281 ff.
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Paradoxie und Ökonomie dieser Doppelorientierung betont Groys (1992); die historische Umwertung betont Luhmann (1995).
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terischer Eigentümlichkeiten und Anschlusszwänge in die moderne Form des Gesetzes und Eigentumsschutzes gebracht, transformiert und verändert. Der Designer war nun durch das Gesetz und seine Ausnahmen, durch das Gericht, den Gerichtsvollzieher und die Polizei, alle zusammen wiederum durch die Armee geschützt. Der nationale Industriestaat brachte die Rechtsform. Der Rechtspositivismus definierte in seiner Anteilnahme am nationalstaatlichen Gemüt Recht als das, was durch den Gesetzgeber politisch legitimiert und durchsetzbar sei, und die Rechtssoziologie der Schule Max Webers konzipierte Recht vor allem im Anschluss an den Moment dieser notfalls gewaltsamen und zwangsweisen Durchsetzung mit Hilfe eines souveränen Staates. Im Kontext des 19. Jahrhunderts konnte man die Geburt des Rechts staatszentriert aus dem Geist des gewaltsamen Konflikts und Zwangsvollstreckungsrechts beschreiben, nicht etwa aus dem Geist des Weinbaus oder anderer epistemischer Regelbildungsprozesse. Das Designrecht kam in der Vorstellung des Rechtspositivismus aus dem Parlament, nicht aus den Akademien und Handwerksbetrieben. Die territoriale, souveräne und nationalstaatliche Absicherung des Designprozesses war bei all dieser Orientierung eine gemütliche Phase. Längst sind wir in einer weiteren, globalisierten Phase. In dieser Phase kann die Weltgesellschaft nicht analog zum Nationalstaat gedacht werden. Die Weltgesellschaft hat weder ein pansoziales Zentrum noch eine pansoziale Hierarchie, es handelt sich um eine polyzentrische Weltgesellschaft, deren Zusammenhang nur über Konflikte und Kollisionen generiert wird. So ungemütlich das erscheint, vielleicht kommt man damit der Geburt des Rechts aus dem Geist des Weinbaus näher, weil in der Unübersichtlichkeit des Politischen die Epistemologie und Evolution der Regelbildung, -speicherung, -übertragung und -anpassung wichtiger wird. Niklas Luhmann beschrieb diesbezüglich den Wechsel zur globalen Weltgesellschaft als Wechsel von normativen zu kognitiven Erwartungstypen. Auf der Ebene der Weltgesellschaft steuern – so Luhmann – nicht mehr Normen, Werte, Vorschriften und Zwecke die Vorauswahl des Erkennenden. Strukturelles Primat sei heute die Anpassung und die strukturellen Bedingungen der Lernfähigkeit. Fischer-Lescano und Teubner, die diesen Gedanken von Luhmann für ihre Beobachtungen des globalen und fragmentierten Weltrechts aufgenommen haben, sprechen im Kontext der Änderung von Erwartungstypen von einem «Führungswechsel». Auch in der Umstellung von Normativität auf Kognition gehen die Führungsansprüche also nicht verloren, auch wenn man sie in Anführungszeichen setzt. In den nicht-normativen und kognitiven Anpassungsverhältnissen gehen dank ausbleibender dialektischer Synthese weder der Status des Schülers noch der des Lehrers verloren. Im Konfliktfall bleibt zumindest die Frage, ob man sich selbst oder der andere sich anpassen, ob diese oder jene Rationalität sich arrangieren oder zurückweichen müsse. Für den Designer gibt es heute neben dem nationalen Urheberrecht und Markenschutz eine ganze Reihe von europa- und völkerrechtlichen Regimes zum Immaterialgüterschutz. Könnte er einerseits von der territorialen Ausweitung seiner Schutzrechte träumen, so muss er zugleich über die kollidierenden und ineinandergreifenden internationalen Rechtsordnungen beunruhigt sein. Im Netz des Rechts warten neben UrhG
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… und die materialistische Kritik der Rechtsform bei Buckel (2007), S. 117 ff.; 230 ff.
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Zur Globalisierung des Immaterialgüterrechts: Fischer-Lescano/Teubner (2006), S. 66-71.
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Fischer-Lescano/Teubner (2006), S. 13.
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Luhmann (1971), S. 1 ff., 26.
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Fischer-Lescano/Teubner (2006), S. 7.
und Berner Übereinkunft auch das MarkenG, das Gemeinschaftsmarkensystem und das Madrider Protokoll sowie weitere. Ihn erwarten GATT bzw. TRIPS, WIPO und WTO. Statt territorialer Ausweitung droht dabei möglicherweise ein «race to the bottom». Möglicherweise droht auch die Ausweitung des juristischen Risikos und die Diffusion im Ungewissen, mit unübersehbaren juristischen Folgekosten, deren Risiko nur von großen Gesellschaften und ihrem akkumulierten Kapital übernommen wird. Die dogmatische Perspektive formuliert mit dem Titel dieses Beitrages einen genitivus subiectivus – und doch ist das Rechtssubjekt selber schon gespalten. In der Weltgesellschaft zerstreut, steht es vor Neuakkumulationen. Ob politische Souveränitätsstrukturen durch ökonomische Hegemonien abgelöst werden, ist offen, soweit das Verhältnis von ökonomischer und politischer Konzentration ungeklärt ist. Welche Rolle das genuine Recht dabei spielt, auch das ist offen. Das Subjekt des De- signers muss sich deswegen nicht völlig aus dem Recht zurückziehen. Als starke Marke und geschützte Lizenz (Philippe Starck) kann es durchaus von diesen Prozessen profitieren, selbst wenn das bärtige französische Wesen, das seine Kindheit schon am Zeichentisch des Vaters verbrachte, dem Lizenzapparat so inszeniert beteiligungslos gegenübersteht – und sich hinter der Marke Starck eben kein bärtiges französisches Wesen namens Philippe Starck mehr verbirgt, sondern die gesammelte starck agency bzw. das starck network.10 2. Im Thema ist ein weiterer Blick angelegt, nämlich die Art und Weise, wie Recht gestaltet wird. Schon dass hier einleitend von «Blicken» und «Perspektiven» gesprochen wird, erinnert mit der geometrischen und kunsthistorischen Geschichte der Zentralperspektive an den gestalterischen Grund juristischer Kommunikation und Epistemologie. Im Kontext von Design und Rhetorik werden wir an den genitivus obiectivus erinnert: an das gestaltete Recht, an die Oberfläche des Gesetzes und die Verpackung seiner Verfassung. Man bekommt das vor Augen geführt, was schon traditionell als Rhetorik des Rechts beschrieben wird und in der Moderne, nach der Auflösung der institutionellen Rhetorik, vor allem als ein Regime der Äußerlichkeit, der Effekthascherei beziehungsweise des Blendwerks definiert wurde.11 3. An der Kreuzung der Blicke werden wir noch an etwas Drittes erinnert, nämlich an die Schwierigkeit, genitivus subiectivus und genitivus obiectivus in der juristischen Kommunikation unterscheiden zu können.12 Das ist nicht, wie die Verortung des Problems im Genitiv andeutet, einfach ein grammatikalisches, dialektisches oder rhetorisches Problem, das sich irgendwie umgehen ließe, indem man einen anderen Titel wählt und auf den Genitiv verzichtet. Es ist nicht nur ein Problem juristischer Kommunikation, sondern eben eines schon der Vorauswahl des Erkennens selbst, also ein ästhetisch unsicherer Boden. Die prozedurale Rechtstheorie und der Dekonstruktivismus erinnern
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So (im Ergebnis verneinend) Fischer-Lescano/Teubner (2006), S. 67.
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Vgl. die biographischen Rudimente, das Ensemble der Porträts und schließlich die zahllosen Credits auf www.philippe-starck.com.
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Für die Rechtsgeschichte: Kaser (1993), S. 170; Schulz (1961), S. 84-91 und 158-162; Wesel (1967), S. 139; zur Rechtsdogmatik: Canaris (1983), S. 141.
Steinhauer (2008); Vismann (2007).
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daran, dass dies ein Problem ist, das an die Wurzel des Rechts selbst heranreicht.13 Eigentlich möchte ich hier nicht von der Dogmatik des Designrechts sprechen und den Leser am liebsten auf einschlägige Literatur zum Thema verweisen. Eigentlich möchte ich wegen fehlender Aktualität auch nicht vom Rechtsdesign sprechen – denn wo sollte ich da beginnen? Beim Schild des Achilles?14 Beim Kultus und Ritus der Stämme?15 Sowohl die dogmatische als auch die gestaltungshistorische Einseitigkeit würde ich gerne vermeiden. Im designtheoretischen Kontext nicht von der Dogmatik des Designrechts zu sprechen, ist aber wegen der Verwechselbarkeit der beiden Genitive ebenso wenig möglich, wie das Rechtsdesign zu verschweigen. Von der Kreuzung zwischen Designrecht und Rechtsdesign wird also die Rede sein – und zwar in der Form von Thesen, mit denen sich Forschungsfelder umreißen lassen. Dabei treiben uns zwei Fragen um: Wo liegt in Anbetracht dogmatischer Anschlusszwänge und endloser Designgeschichte die Aktualität im Design des Rechts? Und gibt es einen eingebauten Juridismus im Design, so wie es in den römischen und nachrömischen Wissenschaften und Philosophien einen eingebauten Juridismus gibt? Uns interessiert in der zweiten Frage weniger, was heute richtungsweisendes Design ist, als das, was richtendes und urteilendes Design ist. Vielleicht ist es an der Zeit, einen antirömischen Affekt gegenüber dem Design zu kultivieren.16 Vielleicht ist es aber auch an der Zeit, diesen Affekt zu zivilisieren. II. Der Eigensinn und die Rationalität juristischer Dogmatik liegen darin, Fragen abschneiden zu können und einen konkreten Horizont entscheidungs- und beurteilungsrelevanter Umstände einzugrenzen. Dogmatik ist als Selbstbeschreibung des Rechtssystems der Eigensinn, der überhaupt erst juristische Selbstreferenz und Ordnungsaufbau ermöglicht.17 Luhmann nennt die dogmatischen Regeln Stoppregeln für ein Begründung suchendes Räsonieren.18 Zum Eigensinn des Rechts gehört es dabei nicht nur, Rechtsinstitutionen von anderen Institutionen zu unterscheiden – sondern auch noch dogmatische Fragen von bloß soziologischen, bloß rechtstheoretischen, bloß historischen und bloß philosophischen Fragen zu unterscheiden. Für die Selbstverständlichkeit des juristischen Betriebes könnte man darum die Unterscheidung von Recht und Moral als ebenso konstituierend halten wie die Unterscheidung zwischen Dogmatik und Theorie. Formuliert die Dogmatik als primäre Koordinierungsinstanz die Handlungsanweisungen für das juristische Personal, erscheinen Rechtsphilosophie und Rechtstheorie lange Zeit nur alternativ als Luxusbeschäftigungen oder Ausnahmezustände im Rechtsbetrieb. Diese Unterscheidung hat freilich ihre eigene Geschichte – und so selbstverständlich ist heute nichts mehr. Obwohl die Grenze von Dogmatik und Theorie in den altväterlichen Karrieretipps für angehende Juristen noch durchaus lebendig ist, unterhöhlt der Betrieb selbst schon die Grenze dieser Unterscheidung. Rät also vielleicht der fürsorgliche Professor seinem Nachwuchs
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Wiethölter (2003), S. 19; Derrida (1992).
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Zum Schild des Achilles als einem Prototyp: Westbrook (1992), mit weiteren Nachweisen.
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Zur Inszenierung des Opfers als Urszene der symbolischen Effektivität juridischer Ordnungen: Legendre (2001).
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Den antirömischen Affekt tauft Schmitt (2002); dazu und zu der vor allem von Heidegger geprägten Geschichte des Antijuridismus: Hörl (2006) .
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Buckel (2007), S. 246; Luhmann (1995a), S. 368.
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Luhmann (1995a), S. 387.
noch, sich nicht zu früh mit Theorie und Philosophie zu beschäftigen, sondern dogmatische Qualifikationsarbeiten zu verfassen, verunsichert die Kommentarliteratur und Rechtsprechungspraxis heute die Unterscheidung zwischen Theorie und Dogmatik.19 Der Grund hierfür ist wiederum also keine theoretische oder philosophische Bewegung – sondern die Selbstdekonstruktion des Rechtsbetriebes in den spontanen Organisationsformen des globalen Rechts.20 Die theoretische und philosophische Beunruhigung lief immer darauf hinaus, die positivistische Rückbindung an die naheliegende Rechtsgrundlage zu hinterfragen, und sie konnte insoweit von der Dogmatik als Jenseits der Frage nach der Rechtsgrundlage, als Hirngespinst weltferner (Harvard-)Professoren ignoriert werden. Die Kritik der Methodenlehren konnte immer neue Unbestimmtheiten im Rechtssatz entdecken und immer wieder mit Bestimmtheit daran erinnert werden, dass der Rechtsbetrieb jenseits philosophischer Glasperlenspiele gerade in Anbetracht der Unbestimmtheiten funktioniert – die ja schließlich auch begrenzt seien. In der Globalisierung des Immaterialgüterrechts ist Rechtsdogmatik heute selbst schon ein beunruhigtes Kollisionsrecht, in dem jede Rechtsordnung Abhängigkeiten und Interdependenzen zu anderen Rechtsordnungen aufweist, ohne dass irgendwo eine Superrechtsordnung erkennbar würde. Und das zeigt im nationalen Recht weitere Reflexe und erweiterte Rücksichtsnahmezwänge. Nicht einmal in den lokalen Rechtsverhältnissen eines nationalstaatlichen Immaterialgüterschutzes findet der Designer so ohne weiteres einen Schutz seines Produktionsprozesses. Er trifft schon im Regel-Ausnahmeverhältnis des nationalen Immaterialgüterschutzes auf Konflikte zwischen Ökonomie-, Kunst- und Wissenschaftsschutz und damit auf Konflikte zwischen ökonomischer Exklusion (Ausschließlichkeit) einerseits und Anerkennung von kulturökonomischen, gesellschaftlichen Freihaltebedürfnissen und Eigenrationalitäten andererseits.21 Die Konflikte in der globalen Rechtsordnung potenzieren nur eine Unsicherheit, die es auf dieser Ebene der lokalen Rechtsordnung immer schon gibt. Im Nebeneinander von Wettbewerbsrecht, Markengesetz, Urheberrecht, Gebrauchs- und Geschmacksmustern, Berner Übereinkommen, Madrider Protokoll, Pariser Verband (mit Sonderabkommen) und anderen transnationalen Schutzregimes vermehren sich reziproke Schleifen mit erweiterten Rücksichtsnahmegeboten.22 Im Fall des Immaterialgüterschutzes stößt man also auf die verschiedenen nationalen Kriterien zur Einschätzung schöpferischer Eigentümlichkeiten und zur Bestimmung von Zugangsregeln, die das Immaterialgüterrecht in der auf Kommunikation, Austausch und Fluktuation angewiesenen Gesellschaft öffnen und begrenzen.23 Ab wann gehen Richter von einer schutzwürdigen Schöpfungshöhe im Sinne des Urheberrechts und von origineller Unterscheidungskraft im Sinne des Markenrechts aus – und machen sie das vor Hamburger Gerichten genauso wie in München, im I. Zivilsenat so wie im X. Zivilsenat, in Spanien so wie in China? Wie schätzen Richter die schutzunwürdigen Üblichkeiten
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Buckel et al. (2006), X f.
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Teubner (1996).
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Vgl. schon unter ökonomischen Aspekten zu den unterschiedlichen Ausrichtungen des Design- schutzes zwischen Leistungs- und Zuordnungsschutz einerseits und Innovationshemmung andererseits: Ohly (2007), S. 731 ff.
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Dazu kommt jüngst ein Einbruch verfassungsrechtlicher Gleichheitsrechte in die Praxis des Markenschutzes: Kühling (2007), S. 849. Im Hinblick auf europarechtliche Gleichbehandlungsgebote wird sich dieser Paradigmenwechsel noch ausweiten.
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Zu einer Reformulierung dieser Zugangsregeln nun: Wielsch (2008); zu den umstrittenen Aneignungskonflikten in digitalen Netzwerken siehe Nuss (2006).
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des Markengesetzes ein? Und auf wessen Designgewohnheiten kommt es dabei in den Unterzeichnerstaaten des Madrider Protokolls an? Wann lohnt sich in globalen Märkten ein Prozess? Natürlich empfehlen einzelne Rechtswissenschaftler für lokal begrenzte Globalisierungsphänomene eine Vereinheitlichung der Entscheidungsgrundlagen über Richtlinien und zentrale Foren.24 Ganz unabhängig davon, dass es sich aber immer nur um lokal begrenzte Harmonisierungsbemühungen handelt: Richtlinien schaffen keine neue Gesetzespyramide, sie schaffen Zwischenwelten mit vielfältigen Rückkopplungen zu den nationalen Rechtsordnungen. Sie sorgen bloß für homoöstatische Koordinierungsfolgen.25 Die dogmatische Systembildung des Immaterialgüterschutzes führt heute also nicht mehr einfach auf den Rechtssatz einer nationalen Rechtsordnung, das eigene heimische Gesetzbuch und die örtliche Bibliothek zurück. Sie führt in ein Kollisionsmanagement diverser Rechtsregimes. Findet die Regelnormierung noch auf der Ebene politischer Gesetzgebung statt, so findet die Regeleinstellung selbst erst auf der spontanen und homöostatischen Ebene einer internationalen Rechtspraxis statt.26 Die prozedurale Rechtstheorie plädiert insoweit für eine Übersetzung kollisionsrechtlicher Konzepte in die rechtstheoretische und rechtsdogmatische Auseinandersetzung mit Recht.27 III. In Anbetracht der babylonischen Folgen für die Semantik des Rechts kommen wir zu der zweiten Perspektive: Alle Ordnungsbegriffe des Rechts haben eine Doppeldeutigkeit, die sie als Juridismen und als Design ausweisen. Der Systembegriff, dessen Konjunktur in den Rechtswissenschaften des 19. Jahrhunderts einsetzt, stammt aus der griechischen Architektur, und dieser historische Ursprung ist selbst noch das «unsystematischste» Element der Behauptung, das Rechtssystem habe eine architektonisch gestaltete Dimension. Jenseits der Etymologie des Systembegriffs ist es evident, dass die Statik, der pyramidale Aufbau, die tragenden Konzepte und die feierlichen Grenzen des Rechts gestaltete Modelle sind, die in der Korrespondenz zwischen Rechtskommunikation einerseits und nicht exklusiv juristischen Medien andererseits aufgestellt wurden. Die Mediengeschichte des Rechts ist insoweit auch die Geschichte seines Designs und die Geschichte der Anpassung von Mündlichkeit an Schrift, von Schrift an Buchdruck, von Text an Geste, Architektur, Bild und Stadtplanung. Die jüngeren Forschungen zur Evolution des Rechtssystems betonen dabei die wichtige Rolle, die Schrift und Buchdruck einst gespielt haben und die der Computer gerade spielt.28 Platonische Dialektik und aristotelische Logik setzen die Schrift voraus. Die Aussonderung des Juristenstandes setzt den Buchdruck voraus.29 Und insbesondere die Systempoeten des 19. Jahrhunderts zehren von den Gestaltungskonzepten des Buches. Das sind zwar allesamt mediale Gestaltungsfragen, für die der Begriff des Designs nur in einem weiteren – beinahe metaphorischen Sinne – zu verwenden ist. Aber neben Schrift und Buchdruck stützen sich die rhetorischen Ensembles der Juristen eben auch auf ein Design, das
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24 I
Zur Harmonisierung des Designrechts in Europa siehe nur die vielen Vorschläge aus deutscher, italienischer, britischer, «nordischer», französischer, belgischer, holländischer und luxemburgischer Sicht in GRURInt 1998, S. 353-391.
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Amstutz (2003).
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Zur Unterscheidung von Regelnormierung und Regeleinstellung: Mühlmann (2007).
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Fischer-Lescano/Teubner (2006a).
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Luhmann (1995a); Vesting (2007), S. 144 ff.
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Bellomo (2005).
ganz und gar unmetaphorisch ist. Normativität ist als Order auch ein ästhetisches Phänomen und Dogmatik eine Inszenierungsfrage.30 Dass die juristische Einbildungskraft auch dann stimuliert werden muss, wenn die Erwartung an Einheitlichkeit, Eindeutigkeit und Entscheidungssicherheit enttäuscht wird, ist dabei nur ein Aspekt des Designs. Das Dass des Designs ist nämlich insoweit relativ unbedeutend – unbestreitbar sitzt es in jedem Satz des Rechts und jeder Geste der Juristen. Viel bedeutender ist gerade wegen der Bestreitbarkeit das Wie, weil es sich dabei um selbst nicht der quaestio iuris unterworfene Regeln eines juristischen Erscheinungsbildes handelt. Es ist das Display des Rechts: eine Form der second-channel-communication, die rechtliche Kommunikation reguliert, ohne rechtlich zu sein. Weniger ontologisch gesprochen: Es ist die Form juristischer Kommunikation, die reflexiv ist, weil sie von Was- auf Wie-Fragen umstellt. Es ist eine Form juristischer Kommunikation, die laufend juristisch kommuniziert wird, aber nicht der quaestio iuris unterwerfbar ist. Das Display ist nur in Frage zu stellen, soweit juristische Order gebrochen werden und Recht nicht als Recht beobachtet wird. Neben dem Begriff des Systems ist es vor allem der Begriff des Corpus, den die humanistischen Rechtswissenschaftler für das Ganze des Rechtstextes in Anspruch nehmen. Ab dem 12.–13. Jahrhundert ist im Kontext der Kanonisten und Romanisten erstmals vom Corpus Iuris Romani, später vom Corpus Iuris Canonici und vom Corpus Iuris Civilis die Rede: Die kompilierten Schriften und die scholastische Methode der Vereinheitlichung überlieferter Texte bringen die Metapher des Corpus hervor. Die Wirksamkeit der Metapher hängt aber an mehr als bloß an der scholastischen Kompilierung und Vereinheitlichung. Es ist der spezifisch westliche Glaube, der Corpus wachse und reproduziere sich über Generationen und Jahrhunderte.31 In der Tradition dieser Vorstellung knüpft sich horizontale an vertikale Reproduktion – und die Hermeneutik einer Generation an das sedimentierte Wissen juristischer Überlieferung. Im Begriff des Corpus steckt mehr als bloß eine metaphorische Bezeichnung für die Reproduktion eines als vollständig vorgestellten Textes. Im Gegensatz zum Begriff des Systems spricht der Begriff Corpus die Inkorporation der Juristen in das Recht sehr direkt an. Der Text und die Schrift selber werden in der Metapher des Corpus somatisch und physiologisch imaginiert. Die Lektüre evoziert Blut, das durch die Zeilen sickert.32 Dass die dialektische beziehungsweise rhetorische Quaestionentechnik ihre divisio und partitio in Analogie zu Haupt und Gliedern expliziert, ist also nur eine Seite der metaphorischen Übertragung. Die Imagination von Blut und Geist des Gesetzes, von toten Buchstaben und animierter Applikation, das hat selbst schon eine ganz unmetaphorische Seite, die sich auf die strukturelle Kopplung zwischen dem sozialen System des Rechts und dem psychischen und limbischen System des Juristen bezieht.33 Das Design unterstützt insoweit eine bestimmte Sensibilität für die Speicher- und Reproduktionsmedien des Rechts, es unterstützt die Empfänglichkeit (inference) des Juristen für die extrasomatischen Speicher- und Reproduktionsmedien. Das Design im Recht, das ist die Ratio der sogenannten «niederen Sinne», die im modernen Vernunftprogramm des Rechts eigentlich aus den Reproduktionsschleifen des Rechts ausgeschlossen werden sollten. Was der Begriff des Corpus also auf der einen Seite metaphorisch, auf der anderen Seite sehr di 30 I
Zur Variation der Schrift und zur Retention juristischer Ordnungen in der Architektur siehe Fögen (2003).
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Berman (1991), S. 27.
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So noch heute per Zitat Fischer-Lescano (2005), S. 11.
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Steinhauer (2007), S. 35 f.
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rekt benennt, lässt sich anhand des Arsenals der juristischen Speicher- und Reproduktionsmedien des Rechts genau beobachten. Innerhalb des Buchdrucks etwa treffen wir auf Einrichtungen wie argumentum, simile, exempla, typus und figura, die eine Doppelrolle spielen: Medienhistorisch sind es in den Buchdruck inkorporierte Bildformen der frühen Neuzeit – und es sind zentrale Begriffe der juristischen Rhetorik und Argumentationslehre.34 Die Begriffe werden nicht synonym verwendet: Ein argumentum ist die gegliederte Gestalt eines Bildes, das die Erörterung mit Hilfe der mimesis entfaltet. Auch exemplum, figura, simile und typus sind keine synonymen Bezeichnungen für Bildtechniken einerseits und Argumentationsformen andererseits, sie bezeichnen Formen, bei denen beides poietisch zusammenfällt. Das Titelblatt des Leviathan und seine Spuren im Text sind nur das populärste Beispiel dieser Praxis. Im Humanismus ist das Bewusstsein über die mimetische Gestaltung des Rechts insofern lebendig, als es eine explizite Ausformulierung in den rhetorischen Anleitungstexten findet, die Architekten, Bildproduzenten und Rechtsberater nach gleichen Gestaltungsprinzipien adressieren. Im Hinblick auf die ästhetische Theorie der Renaissance kann man von einer rhetorischen Klammer sprechen: Compositio, ornamentum, disegno sind allesamt Techniken der juridischen Designgeschichte, und decorum ist die Hyperreferenz, die als Maßstab der Regulierung dieser Techniken gelehrt wird.35 Im Humanismus lehrt man die Parallelität von Sprache und Malerei und postuliert für die Gliederung von der Fläche zum Körper und weiter zum Bildganzen die Anwendung der Gesetzmäßigkeit des Sehens – kein Wunder also, dass Texte auch heute noch «einleuchten» sollen und insoweit Gesetzbücher mit Drehbüchern kompatibel sind.36 Und schon jenseits der humanistischen Jurisprudenz gibt es die Fortschreibung dieser Designgeschichte in den Zusammenhängen von geometrischer Darstellung und Modellen der Repräsentation, von denen Bredekamp in seinen Untersuchungen über Thomas Hobbes spricht.37 Der Übergang von Humanismus in Naturwissenschaften darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Maßstab des decorum in beiden Phasen ein Maßstab sozialer Empathie und Sympathie ist, der an natürlichen und artifiziellen Bedingungen gleichermaßen hängt und den Menschen auch in seiner «tierischen» Seite adressiert. Noch im 18. Jahrhundert ist die Verstrickung zwischen Gerechtigkeitsdiskurs und decorum-Gestaltung so eng, dass juristische Repräsentation und zentrale Institutionen wie das Rechtssubjekt nicht ohne die Spiegelungen und Verdoppelungen in den Zeichen der Stärke vorstellbar sind.38 Der juristische Diskurs über das Verhältnis von Gewalt und Gerechtigkeit, der im juristischen Positivismus als Idee des durchsetzbaren Gesetzes auftaucht, zehrt in seiner Binnendynamik von diesen Zeichen der Stärke. Im ornamentum reproduziert sich der Corpus der Juristen. Das Ornament ist keine reine Äußerlichkeit, es lässt den Corpus eingehen in eine Zeichenarchitektur, durch die er Ordnung, Legitimation und Institutionalisierung erfährt.39 Darin liegt – wie Heiner Mühlmann für die ästhetische Theorie der italienischen Stadtstaaten und Louis Marin für den entstehenden modernen Staat herausgearbeitet haben – das Richtende und Urteilende des Designs. Die Gerichtsgebäude und Parlamente, die Perücken und Roben, ja noch die Präambeln der Verfassungen und die vielfältigen rhetorischen Figuren im juristischen Text mobilisieren die
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I
Über die medienhistorische Doppelrolle von argumentum, figura, simile und typus: Warncke (1987).
35
I
Mühlmann (2005), S. 77 ff.
36
I
Kittler (2002), S. 11.
37
I
Bredekamp (2003).
38
I
Marin (2005), S. 29 ff.; Vec (1998); für das Mittelalter: Kantorowicz (1992).
39
I
Marin (2005), S. 45 ff.
Binnendynamik der Reproduktion als Bestandteile eines decorum-regulierten Ornaments – selbst dort, wo sie im Sediment juristischer Informationen nicht mehr als stilistische und rhetorische Elemente rezipiert werden. IV. Die Geschichte dieser Gestaltung können wir mit ihren Brüchen und Verschiebungen hier nicht entfalten. Zwei Dinge lassen sich stattdessen festhalten: Erstens: Die Ordnung des Rechts hat ein gespaltenes Bewusstsein, sie imaginiert sich als innere Substanz des Stoffes und als Äußerlichkeit seiner Darstellung. Für das gespaltene Designbewusstsein im Recht lässt sich nur schwer (und ganz unabhängig von den juristischen Phasen der Formalisierung und Materialisierung) ein Anfangsdatum markieren. Die mediale Praxis juridischer Inszenierung wird jenseits von Formalisierungen und Materialisierungen immer schon vom Verdacht der «schönen Worte», der belles paroles und der façon de parler begleitet. In Bezug auf das Verhältnis von Recht und Gestaltung lässt sich wegen des fehlenden Anfangsdatums auch keine große Verfallserzählung entwerfen, keine ontologische Verfallsgeschichte, die vom juridischen Dasein zum juridischen Design führte. Dass sich entsprechend auch keine epistemologische Erfolgsgeschichte durchschauender Aufklärung erzählen lässt, gehört zu der Janusköpfigkeit des Rechts. Zweitens: Mit der Auflösung der institutionellen Rhetorik gibt es keine explizite Lehre des decorum mehr. Die Auflösung der institutionellen Rhetorik ist zudem selbst eher Symptom denn Ursache.40 Mit den Differenzierungsformen der Gesellschaft ändern sich eben auch Semantik und Rhetorik. Wenn es schon keinen Anfang gibt, so gibt es vielleicht also ein Ende der juridischen Designgeschichte im ausdifferenzierten Recht. Vielleicht wandelt sich das Ornament des Rechts an einem historischen Datum und irreversibel in fucatus.41 An dem Differenzierungsprozess allein kann man eine Auflösung des juristischen Ornaments aber nicht festmachen. Selbst wenn man – wie die Systemtheorie – unterstellt, dass die Autonomie des modernen Rechts an einem funktional ausdifferenzierten, operationell geschlossenen autopoietischen Code des Rechtssystems hängt, so muss man am Rande der Autopoiesis das Auftauchen von Interdependenzen, Resonanzen, strukturellen Kopplungen und re-entrys einräumen.42 Mit der Ausdifferenzierung eines Rechtssystems lassen sich insofern bestimmte Brüche markieren, bei denen die Rede vom Rechtsdesign eine metaphorische Seite bekommt und wo noch weiter eine Zone entsteht, in der die Designmetapher ihren Sinn verliert. Es scheint darum sinnvoller, das «Ende des Ornaments» nicht quasi-hegelianisch in einem vertikalen historischen Sinne zu verstehen, sondern eben als Bezeichnung der Grenze, an der die Designmetaphorik in der gesellschaftlichen Kommunikation und ihren laufenden Aktualisierungen ihren Sinn verliert. «A world ends, when its metaphor died» – mit diesem Zitat von MacLeish beginnt Harold Berman seine Untersuchung über rechtliche Transmissionen und Revolutionen. Ich möchte diesem Zitat nicht
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I
Behrens (1982).
41 I
Zum Unterschied von ornamentum und fucatus in den rhetorischen Anleitungstexten: Cicero, Brutus 6 und 162; Cicero, De Oratore III, 96-125; Quintilian, Inst. Ora. VIII 19. Zur historischen Abschwächung des Ornaments: Brilliant (2001).
42
Steinhauer (2008a).
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jeden historischen Sinn nehmen, sondern nur seine vertikale Ausschließlichkeit.43 Die Aufmerksamkeit soll damit auf die Diachronien des juristischen Systems gelenkt werden, also den Umstand, dass seine evolutionäre Struktur den Horizont einer Landschaft eröffnet, in denen unterschiedliche Zeiten nebeneinander existieren; weiterhin auf den Umstand, dass es in dieser Landschaft moderne, vormoderne, protomoderne, postmoderne Felder gibt, die im Kollisionsgeschehen des Rechts eher aneinanderstoßen, als dass sie sich in der Zielrichtung eines Staffellaufes gegenseitig ablösten.44 Gemeint ist damit auch nicht die ewige Wiederkehr des Gleichen – die evolutionäre Transmission des Rechts liefert eine Abfolge von transformierenden Renaissancen, mit denen nichts zurückkehrt, sondern nur die Dynamik konkurrierender Zeiten aufrechterhalten bleibt. Vielleicht wäre der Name Contrenaissancen treffender. V. Das Design des Rechts wird nun immer dann bemerkt, wenn seine Repräsentation, seine zeichnerische Kraft und semantische Verbindlichkeit fragwürdig werden, also etwa, wenn man den Rechtstext als semantische Diffusion oder Verdunkelung kritisiert. Für die aktuelle Rechtswissenschaft pflegen ganz unterschiedliche Schulen die Tradition, die Fassade von juristischen Begründungen und Entscheidungen zu analysieren und hinter der Behauptung von Universalität immer nur nackte Partikularität, hinter erklärter Gerechtigkeit blanke Interessen und hinter explizierter Regelmäßigkeit hohle Willkür freizulegen. Critical Legal Studies, Dekonstruktivismus und die philologischen Exerzitien von Agamben teilen insofern heute ein Programm mit dem Dezisionismus.45 Sie alle drängen auf die Freilegung des politischen Kerns juristischer Programme. Sie sind auch in ihren unterschiedlichen Ausprägungen Epiphänomene einer Ästhetik, die als postrhetorische Disziplin «Interesse» und «Ornament» selbst schon als substanzlose Beigabe aus dem Programm der Urteilskraft ausgeschlossen hat. In der Nachfolge der philosophischen Ästhetik werden die rhetorischen Verkleidungen des Rechts als Pathologie juristischer Vernunft und die Patho- logie als manipulierte Störung juristischer Beobachtungen beschrieben. Derrida etwa nimmt zwar immer neue Anläufe, um in den juristischen Text einzudringen, endet aber jeweils in der Aporie der Unentscheidbarkeit, also immer wieder «vor dem Gesetz».46 Das Programm der Entzauberung juristischer Regelfetischismen hat dabei seine eigene Ambivalenz, soweit in der Entzauberung der Appell liegt, das Programm der rhetorischen Stimulation als Verfälschungen oder Verunreinigungen juristischer Programmatik zu ignorieren. Insofern nämlich in den rhetorischen Verkleidungen juristischer Entscheidungsprogramme eine Pathologie liegt, liegt in der Pathologie auch eine Form intensivierter Selbstbeobachtung.47 Im autopoietischen Code des Rechts sind rhetorische Figuren Spuren eines Programms, an dem sich die Resonanz des juristischen Systems gegenüber seiner Umwelt beobachten lässt. Rhetorische Ereignisse bezeugen eben immer auch das Affektregime im Recht, mit dem kommuniziert wird, was in der juristisch standardisierten und universalen Sprache nicht zur Sprache gebracht werden kann.48
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43
I
Bermann (1991), S. 9.
44
I
Steinhauer (2007), S. 92 f.
45
I
Kritisch: Frankenberg (2006), S. 111, zum Regelskeptizismus und dem Motiv der Manipulation.
46
I
Derrida (1992).
47
I
Vgl. Ihering (2003), S. 23.
48
I
Z.B. im Kontext globaler Menschenrechtsbewegungen: Teubner (2006), S. 187.
Es ist außerdem fraglich, ob die Kritik juristischer Rhetorik überhaupt einen politischen Kern des Rechts freilegt. Mit überzeugender Argumentation hat Agamben in den letzten Jahren die Leere jenes vorgeblich politischen Kerns beschrieben. Man muss seine Auseinandersetzungen mit dem Recht trotz der laufenden Schmitt-Referenzen nicht als eine Bestätigung oder Steigerung des nihilistischen Dezisionismus sehen. Sie weisen nur darauf hin, dass die Politik die Funktion der Konzentration oder – wie Luhmann meint – des kollektiv bindenden Entscheidens nur unzureichend übernimmt. Das rhetorische Programm des Rechts weist eben nicht auf den Kern eines willkürlich handelnden politischen Subjekts. Das rhetorische Programm verweist das Recht nur auf die Vielzahl seiner Umwelten, auf den Pluralismus der Gerechtigkeiten und die mobilen Formationen sozialer Gemeinschaften. Eine Analyse der rhetorischen Oberflächen des Gesetzes verweist insofern auf die evolutionären Bedingungen des Rechts: Nicht auf seine Qualität, sondern seine Reflexivität. Nicht auf sein Wesen, sondern auf seine ökologischen Beziehungen. Nicht auf einen kommunikativen Konsens, sondern auf die Kollisionen, Irritationen bzw. Perturbationen in der juristischen Kommunikation.49 VI. Kommen wir zurück zum Immaterialgüterrecht. Immaterialgüterrecht ist das Recht des geistigen Eigentums und der gestalteten Eigentümlichkeiten. Dass diesem Rechtsgebiet in den kultur- und informationsökonomischen Bedingungen der Gesellschaft eine Schlüsselfunktion zukommt, ist evident. In dieser Schlüsselfunktion des Immaterialgüterrechts lässt sich eine seltsame Rückbezüglichkeit der Aktualität des Designs beobachten. Das Eigentum orientiert sich heute eher am Modell der Benutzeroberfläche und des Designers, nicht mehr am Modell des Grundeigentums und der Landnahme. Das bedeutet unter anderem, dass die Inklusionen und Exklusionen in Rechtsgemeinschaften heute eher an Stileffekten als an territorial definierten Grenzen vollzogen werden. Insbesondere in den großen Netzwerkökonomien von Schlüsselindustrien – wie der vernetzten Unterhaltungs- und Autoindustrie – lässt sich erstens beobachten, dass also die Inklusionen und Exklusionen technischer Wissensteilung nicht mehr anhand juristischer Personen, sondern in Netzwerken erfolgen, die nicht zur Organisationsform juristischer Personen (oder Konzerne) verdichtet sind. Die Open-Source Community der Netzgestalter ist nur die radikalste Erscheinungsform einer allgemein zu beobachtenden Remodellierung in der Eigentumsspraxis. Die Abgrenzung und die Konkurrenz werden zudem eher auf der Ebene der Benutzeroberfläche als auf der Ebene des Codes und der Hardwaretechnik, eher im Design der Karosserie als auf der Ebene patentierter Motoren-, Brems-, Schalt- oder Lenktechnik ausgefochten. Auf Gründe des Marketings allein lässt sich das nicht zurückführen: Denn juristisch vereinfachte Kontrollierbarkeiten, eine angeschwollene Komplexität des Patentrechts und das am Patentamt kaum mehr zu generalisierende Wissen um den technischen state of the art spielen dabei vermutlich eine ebenso große Rolle. Von den ökonomischen Verknappungen des Lizenzapparates kann die MP3-Generation Lieder singen – besonders wenn sie ihre Präferenzen am Design und seinen i-Tüpfelchen ausrichtet. Soweit Inklusion und Exklusion ökonomische Faktoren sind, sind Stil und Lizenz das Medium dieser Inklusionen und Exklusionen. Das bedeutet nicht, dass gesellschaftliche In- und Exklusionen auf der Ebene des Displays weicher wären – vermutlich ist eher das Gegenteil der Fall. Zumindest
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I
Steinhauer (2007), S. 3.
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stoßen wir aber auf die erwähnte Rückbezüglichkeit zwischen Designrecht und Rechtsdesign in einer Form, die über eine bloße Doppeldeutigkeit oder Unbestimmtheit jeden Rechts hinausgeht. Dieser Wandel trifft nun zufällig auf die Globalisierung des Rechts. Wir hatten zum Verhältnis von Dogmatik und Theorie weiter oben angemerkt, dass diese Unterscheidung in der Globalisierung unterlaufen wird. In der Unterscheidung von Dogmatik und Theorie liegt auch ein Unterschied zwischen Order und Beobachtung, zwischen iubeo und video. Es ist fraglich, inwieweit heute auch dieser Unterschied unterlaufen (oder aufgehoben) wird. Die Reflexivität des Displays, der Wechsel von Was- auf Wie-Fragen, bedeutet in der Verfassung des Displays, Order zu brechen. Damit ist nun gemeint, dass die Spannung zwischen Order und Beobachtung nicht einseitig zugunsten der Beobachtung und zu Lasten der Order aufgelöst wird. Die rhetorische Analyse des Rechts lässt sich ins dogmatische Programm des Rechts reintegrieren – allerdings eben nur unter dem Vorbehalt, die eigene rhetorische Programmierung einzuräumen, mitzubeobachten und entsprechend reflexiv abzumildern oder zu amplifizieren. Es setzt voraus, dass man für sich kein Reservat rhetorisch gereinigter Sprache in Anspruch nimmt. Und die Reintegration in die Dogmatik ist alles andere als eine frohe Botschaft, eben weil die juristischen Order sich auf der Ebene des Displays fortschreiben. Die Rechtswissenschaft hat in avancierter Form ihre eigene Formdynamik als Dreiklang von Formalisierung-Materialisierung-Prozeduralisierung beschrieben.50 Sie sucht ein reflexives Recht, das den Krisen der Formalisierung und Materialisierung entgehen kann. In den Rückbezüglichkeiten des Designrechts wird das reflexive Recht auf eine Art Oberton dieses Akkordes gestoßen – die Stilisierung. Die seltsame Rückbezüglichkeit des Designrechts legt nahe, dass das reflexive Recht polarisierend pulsiert.
270
50
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Fischer-Lescano/Teubner (2006).
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272
Anhang
Gesche Joost, Arne Scheuermann
Kommentierte Bibliografie zu Design und Rhetorik (Mitarbeit Annina Schneller) Die nachfolgenden Titel sollen einen knappen Überblick über die wichtigsten Beiträge zur Diskussion um Design als Rhetorik geben. Zum Teil ohne Kommentar aufgenommen sind weiterführende Texte der in diesem Band vertretenen Autoren. Hier verweisen wir auf die Kontextualisierungen in den Fußnoten der jeweiligen Beiträge. Nicht aufgenommen sind Standardtitel zur Rhetorik oder zum Design allgemein.
1 Bibliografie der im
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1975. Dt. Fassung in: Alberti, Leon Battista: Kleinere kunsttheoretische Schriften, hrsg. von Hubert Janitschek, Wien 1877. Nachdruck: Osnabrück 1970 Einer der grundlegenden Texte der Renaissance, in dem programmatisch die Beziehung zwischen visueller Gestaltung und Rhetorik hergestellt wird. 275
Barthes, Roland: Die alte Rhetorik. In: Ders.: Das semiologische Abenteuer, Frankfurt am Main 1988, S. 15-101 Barthes, Roland: Rhetorik des Bildes. In: Ders.: Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn, Frankfurt am Main 1990, S. 28-46 Zwei gute Einstiegstexte in die semiologische Perspektive auf (Bild-)Rhetorik. Barthes verknüpft seine zeichentheoretische Näherung an das Bild mit einer Neuinterpretation der «alten» Rhetorik und kommt so zu einer ganz eigenen Bildtheorie, die sich bis heute als einflussreich erweist. Boehm, Gottfried: Jenseits der Sprache: Anmerkungen zur Logik der Bilder. In: Burda, Hubert, Maar, Christa (Hrsg.): Iconic Turn: Die neue Macht der Bilder, Köln 2004, S. 28-43 Boehm, Gottfried: Der Topos des Anfangs: Geometrie und Rhetorik in der Malerei der Renaissance. In: Pfisterer, Ulrich, Seidel, Max (Hrsg.): Visuelle Topoi: Erfindung und tradiertes Wissen in den Künsten der italienischen Renaissance, München/Berlin 2003, S. 48-60 Gottfried Boehm entwirft eine bildwissenschaftliche Perspektive auf die visuelle Topik und beleuchtet die Bedeutung der Rhetorik in der Renaissance auf kenntnisreiche Weise. Boyars, Marion: Decoding Advertisements. London 1978 Analysen von Werbeanzeigen mithilfe von rhetorischen Begriffen. Buchanan, Richard: Rhetoric and the productive Science: towards a new programm for research in design. In: NATO Asi Series D Behavioural and Social Science 1993, Vol. 71, S. 267-275 Buchanan, Richard: Rhetoric, Humanism, and Design. In: Buchanan, Richard, Margolin, Victor (Hrsg.): Discovering Design: Explorations in Design Studies, Chicago 1995, S. 23-68 Eco, Umberto: Einführung in die Semiotik. München: Wilhelm Fink 1972 Systematisch umfassende und aufschlussreiche Kontextualisierung der Rhetorik im semiotischen Paradigma mit einem Schwerpunkt auf der Semiotik des Werbebildes. Ehses, Hanno: Representing Macbeth: A Case Study in Visual Rhetoric. In: Design Issues, Volume 1, Number 1 (1984), S. 53-63, Nachdruck in: Margolin, Victor (Hrsg.): Design Discourse. History, Theory, Criticism, Chicago/London 1989, S. 187-197 Ehses, Hanno: Design and Rhetoric. An Analysis of Theatre Posters. Halifax: Design Division, Nova Scotia College of Art and Design, Design Papers 4, 1986; 2nd print 1989 Ehses, Hanno, Lupton, Ellen: Rhetorical Handbook. An Illustrated Manual for Graphic Designers. Halifax: Design Division, Nova Scotia College of Art and Design, Design Papers 5, 1988; 2nd. print 1996 Ehses steht mit seinen Beiträgen in der Tradition der visuellen Rhetorik nach Bonsiepe und stellt angewandte Studien zur rhetorischen Analyse visueller Zeichen vor. 276
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Die vorliegende Publikation wurde unterstützt durch die Hochschule der Künste Bern. Design: Daniela Höhmann, Wuppertal Design Konzept BIRD: Christian Riis Ruggaber, Formal Schriften: Akkurat, Arnhem Textredaktion: Andrea Hölzl, München Übersetzung vom Englischen ins Deutsche: Susanne Dickel Redaktion Übersetzung Buchanan: Arne Scheuermann, Annina Schneller Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts.
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